Читать книгу Fettnäpfchenführer Russland - Veronika Wengert - Страница 13
HERR MÜLLER GEHT UNTER DIE CO-RENNFAHRER
ОглавлениеWER IM STRASSENVERKEHR BREMST, HAT VERLOREN
Mischa ist ein Hüne. Zu Sowjetzeiten war er als Kernphysiker tätig, heute ist er Fahrer für die Repräsentanz, die Herr Müller leiten wird. Was für eine Verschwendung von Potenzial! Aber man sollte in Russland niemanden nach seinem gegenwärtigen Beruf beurteilen, vor allem nicht in Moskau und St. Petersburg. So arbeiten viele Germanistinnen als Sekretärinnen und Wissenschaftler als Kellner. Moskau und St. Petersburg sind die teuersten Städte des Landes, und selbst wer eine Eigentumswohnung hat, kommt kaum mit nur einem Job über die Runden, sondern hat noch eine Nebentätigkeit. Ohne Arbeit zu sein kann sich niemand leisten.
In den Händen des großen, athletischen Fahrers wirkt das Lenkrad des schwarzen Wolga wie ein Spielzeug. Mit quietschenden Reifen setzt Mischa den Wagen vor dem Flughafen in Gang, während Herr Müller noch am Sicherheitsgurt nestelt.
Wolga heißt nicht nur Russlands längster Fluss, sondern auch eine Automarke. Diese rollt im zentralrussischen Nischnij Nowgorod vom Band, wo die GAS-Werke seit 1932 angesiedelt sind. Gegründet wurde die Fabrik im Zuge des ersten Fünfjahresplans der Sowjetunion.
GAS/GAZ ist übrigens eine Abkürzung für Gorkowskij Awtomobilnyj Sawod, dem Gorkier Autowerk. Nischnij Nowgorod hieß zu Sowjetzeiten Gorkij, daher steckt die alte Städtebezeichnung noch im Firmennamen. International durchgesetzt hat sich allerdings die englische Transkription GAZ, auf Deutsch wird das Werk auch als GAS transkribiert.
»Njet!«, winkt Mischa ab, der die Fellmütze auch im Auto aufbehält (diesmal eine Variante mit herunterklappbaren Ohrteilen, die sich auf dem Kopf zusammenschnüren lassen). »Nje nado!« Mischa klingt bestimmt.
Ob der Gurt möglicherweise kaputt ist? Ein Bekannter sei bei einem Unfall von einem Gurt stranguliert worden, übersetzt Natascha Mischas Argument gegen das Anschnallen.
Mischa steuert den Wagen auf eine mehrspurige Ausfallstraße, die ins Zentrum von Moskau führt, den Leningradskij Prospekt. Der Straßenname wurde beibehalten, auch wenn Leningrad heute längst St. Petersburg heißt. Doch halt, nur fast: Denn das Verwaltungsgebiet um die zweitgrößte russische Stadt nach Moskau hat weiterhin seinen alten Namen behalten: Leningradskaja oblast. Überhaupt heißen einige der rund zwei Dutzend großen Ausfallstraßen in Moskau so wie der Ort oder die Gegend, in deren Richtung sie führen.
Überdimensionale Werbeplakate, von denen Mandelaugen und rote Münder hinablächeln, ziehen im Schneckentempo vorbei. So viel Anmut inmitten von hohen grauen Schneebergen stimmt Herrn Müller vergnügt. Doch die Freude währt nur kurz, denn zwei Stunden später steckt der Wolga immer noch in der Blechkolonne fest.
Der Stau löst sich schließlich auf – und Mischa gibt Gas. Nun scheint sich der Fahrer fast wie bei einem Skislalom zu fühlen. Zuerst ersetzt ein tannengrüner Schiguli die fehlenden Slalomstangen, dann ein mannshoher Jeep mit getönten Scheiben. Das Einfädeln funktioniert nach folgendem Prinzip: Blinker setzen ist verpönt, ebenso darf der Fuß keinen Millimeter vom Gas bewegt werden.
Paul Müllers Blick fällt auf die kleine Ikone, die auf der Fahrerkonsole klebt. Mischa muss einen guten Draht zum Herrgott haben, fährt es Herrn Müller durch den Kopf. Ob das auch für seine Beifahrer gilt?
Dann bremst Mischa abrupt. Aus seinem Mund sprudelt ein Redeschwall. Seine Flüche sind an dieser Stelle leider der Zensur zum Opfer gefallen, da sie nicht ganz vornehm und schon gar nicht jugendfrei waren. Prima, dass Herrn Müllers Russisch nicht so gut ist!
Natascha spielt verlegen mit ihrem Schal. Dann erklärt sie mit flüsternder Stimme, dass sich Mischa über den Fußgänger am Zebrastreifen aufgeregt habe, der einfach so über die Straße marschiert sei.
Herr Müller schaut verwirrt. »Ja sicher, dazu ist ein Zebrastreifen doch da!«
Natascha nickt. »Aber das ist ein großes Risiko, für beide Seiten.«
Herr Müller grübelt kurz. Zebrastreifen als Risiken? Das konnte ja heiter werden in dieser Stadt!
Ein schwarz-weißer Polizeistock stoppt die Anwartschaft auf den großen Slalom-Pokal von Moskau jäh. Im Fahrerfenster taucht ein Männergesicht mit grauer Fellmütze und Wappen über der Stirn auf. »Dokumenty!«
Aha, den barschen Befehl versteht auch Herr Müller. Dokumenty ist der russische Sammelbegriff für Ausweispapiere, Führerschein und Co. Mischa streckt die Wagenpapiere zum Fenster hinaus. Die Stimmen der beiden Männer werden immer lauter. Natascha flüstert Herrn Müller vom Hintersitz zu, dass der Gaischnik Mischa überhöhte Geschwindigkeit vorwerfe.
Wer? Spontan schießt Herrn Müller die Assoziation mit dem englischen gay in den Kopf ... (Bloß nicht Gay [Schwuler] und GAI [russische Verkehrspolizei] verwechseln. In Russland geht man mit Homosexualität nicht so unbefangen wie in Westeuropa um.)
Mischa verschwindet mit dem Verkehrspolizisten. Nach einer Weile steigt er wieder ein und gibt erneut Gas, diesmal mit heulenden Reifen. »Nitschego – Ach nichts«, winkt er ab. Es sei besser, solche heiklen Fragen direkt vor Ort zu klären, erklärt Natascha mit verschwörerischer Stimme.
Und weiter geht der große Slalom-Cup. Herr Müller fühlt sich wie der Co-Pilot eines verhinderten Rallyefahrers. Sicher muss Mischa zu Hause eine ganze Sammlung von Formel-Eins-Rennfahrer-Stickern haben, die er sich mit stolzer Brust in ein Sammelalbum klebt, fährt es ihm durch den Kopf. Nie wieder würde er sich über deutsche Autofahrer mit selbst gestrickten Toilettenpapieretuis auf der Hutablage ärgern, die mit Tempo 90 über die Autobahn schleichen. Alles war besser als diese Achterbahnfahrt im Moskauer Stadtverkehr! Und überhaupt würde er bald im Internet recherchieren, was es denn mit dem autonomen Fahren auf sich hat und ob man das nicht in Russland ein wenig eher einführen könnte, überlegt Paul Müller.
Mischa reißt das Lenkrad nach rechts und stoppt, wie die gesamte Kolonne, am Fahrbahnrand. Auf einmal blitzt ein Blaulicht im Rückspiegel. Ein Unfall?
Natascha schüttelt den Kopf. »Der Präsident fährt nach Hause«, erklärt sie, »dann wird die Straße gesperrt.«
Herr Müller ist verdutzt.
»Morgens fährt er in die Stadt, abends wieder nach Hause. Dabei hat er natürlich Vorfahrt«, so die Assistentin.
Ob es so etwas in Berlin auch gibt, dass kurzerhand der Verkehrsfluss auf einer mehrspurigen Ausfallstraße zum Erliegen kommt, nur weil das Staatsoberhaupt vielleicht Hunger hat und zum Abendbrot pünktlich zu Hause sein will?
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Wer einmal in Moskau Auto gefahren ist, weiß es: Russische Autofahrer sind nicht selten rücksichtslose, fast rüpelhafte Raser, die sich weder an rote Ampellichter noch an Verkehrsvorschriften halten. Andere Fahrzeuge ersetzen Slalomfähnchen, die es mit rasender Geschwindigkeit zu umfahren gilt. Notfalls auch auf der Gegenfahrbahn oder dem Bürgersteig – wie es eben gerade beliebt! Ziemlich pauschal gesagt? Mag sein! Gegenbeweise sind immer willkommen, vor allem in Zeiten, in denen mächtige SUVs immer beliebter werden ...
Es gilt das Recht des Stärkeren, fast wie im Tierreich: Je größer das Auto, desto ungehemmter darf der Fahrerkamm anschwellen. Tempo 100 im Stadtverkehr? Solange es die Polizei nicht sieht, ist erlaubt, was gefällt. Und das ist so ziemlich die einzige Regel, die weitgehend akzeptiert wird. (Offiziell gilt natürlich auch in Russland eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit: Tempo 60 innerhalb von geschlossenen Ortschaften.)
Zebrastreifen? Die wurden bestimmt nicht in Russland erfunden! Vielleicht als Verzierung des sonst so eintönig grauen Asphalts. Oder um die Straßenbauer im Zuge sozialistischer Fünfjahrespläne mit den entsprechenden Markierungsarbeiten auszulasten – allerdings sicher nicht, um Fußgänger als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer über die Straße zu lassen. Wer dennoch bremst, sorgt für ein lautstarkes Hupkonzert der nachfolgenden Kolonne. Die Fußgänger schauen zudem wie verschreckte Kaninchen, wenn ein Auto freiwillig anhält, nur um dem zuvorkommenden Verkehrskavalier dennoch nicht über den Weg zu trauen. Das konnte nur ein Irrer sein, der gleich Gas geben und in die Menschenmenge rasen würde! Oder ein Betrunkener! Im harmlosesten Fall: ein Ausländer! Okay, das mag ein wenig übertrieben formuliert sein, aber für die ältere Generation von Autofahrern gilt das nach wie vor.
Herr Müller hat seinem neuen Fahrer Mischa zum Start schon mal keinen Vertrauensvorschuss gewährt. Warum? Anschnallen galt in Russland Jahrzehnte lang als Beleidigung des Fahrers. Dieser ging dann davon aus, dass Sie seinem Fahrstil nicht vertrauen. Und viele Russen lehnen den Gurt nach wie vor ab. Ein Stück Textil soll helfen? Dann doch lieber gleich Nikolaus, der Wundertäter. Der Heilige, der an jeder Fahrzeugkonsole klebt und den Herr Müller auch gesehen hat, gilt übrigens als Schutzbeistand der Reisenden.
Überhaupt scheint im russischen Straßenverkehr manchmal göttlicher Beistand mehr wert zu sein als der gesunde Menschenverstand: Orthodoxe Priester weihen Fahrzeuge oder sprechen ein Gebet für Fernstraßen und Autobahnen. An einigen mit Weihwasser besprenkelten Zebrastreifen im Land sollen schon erste Erfolge sichtbar sein: Die Unfallzahlen sind rückläufig! Und für alle Fälle sind, zumindest im südrussischen Gebiet Krasnodar, die »Zehn orthodoxen Verkehrsgebote« schon auf den dortigen Straßen verteilt worden!
Doch nicht nur die Kirche, auch der Staat hat in der Vergangenheit eingegriffen, um die Zahl der Verkehrsopfer zu verringern: Die Bußgelder für das Nicht-Anschnallen und andere »Kavaliersdelikte« wurden vor wenigen Jahren drastisch erhöht. Seither wird nicht nur jeder Fahrer ohne Gurt, sondern auch jeder nicht angeschnallte Beifahrer gesondert zur Kasse gebeten. Viele Fahrer setzen sich deshalb einfach auf den Gurt, damit es so wirkt »als ob«, um so der Strafe für das Nichtanschnallen zu entkommen. Und in neuen Autos, in denen es ohne Gurt ununterbrochen piept und blinkt? Dafür wurde auch schon etwas ausgetüftelt: Eine Gurtschnalle vom Schrottplatz, einfach reingesteckt, und schon lässt es sich ohne nerviges Gefiepe fahren. Eins zu null für das moderne Bordsystem. Doch halt, das gilt natürlich auch nur für vereinzelte Strategen: Bei vielen Russen hat es sich durchgesetzt, dass ohne Gurt nicht unbedingt cool ist.
Mischa wurde von der russischen Verkehrspolizei gestoppt, der GIBDD. Auf Russisch ГИБДД (sprich: GE-I-BE-DE-DE), also die Gosudarstwennaja inspekzija besopasnost doroschnogo dwischenja. Was sich vermutlich ohnehin nur die wenigsten Ausländer merken können, heißt wörtlich: Staatliche Inspektion für die Sicherheit im Straßenverkehr. Früher hieß diese Behörde GAI, bis heute steht die kyrillische Entsprechung ГАИ auf vielen Straßenschildern. Daher werden die Verkehrspolizisten umgangssprachlich auch GAIschniki genannt. Mit dem englischen Wort gay für Homosexuelle hat das jedoch nichts zu tun, Herr Müller! Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, solche Scherze zu machen! Denn gleichgeschlechtliche Liebe ist in der breiten Bevölkerung immer noch ein Tabu-Thema (und es lässt sich nicht behaupten, dass sich die Einstellung verändert hat, je länger die Sowjetunion schon tot ist ... im Gegenteil ... doch das an anderer Stelle). Mit dem Abkürzungswirrwar ist hier jedoch noch nicht Schluss. Denn es ist durchaus auch möglich, dass Sie in Russland auf die DPS (ДПС, ausgeschrieben: Doroschno-patrulnaja sluschba, also die Behörde für Straßenpatrouillen) stoßen. Dies ist wiederum eine Abteilung der GIBDD.
Die russische Verkehrspolizei litt lange unter ihrem schlechten Ruf, an dem sie allerdings nicht ganz unschuldig war. Im Gegenteil: Die Polizisten ließen (oder lassen) es sich oftmals nicht nehmen, kräftig bakschisch zu kassieren. Die Gehälter der Beamten sind immer noch verhältnismäßig niedrig. Doch nicht nur die eigenen Kinder müssen versorgt werden, sondern auch die Vorgesetzten. Dabei gilt ein ungeschriebenes Gesetz: Wsjatki, so der russische Name für Bestechungsgelder, machen etwa die Hälfte der offiziellen Strafe aus. Das war zumindest die ungefähre Richtlinie. In den vergangenen Jahren hat man nämlich einiges getan, um das zu ändern. Wo die Milizionäre in der Regel keinen Spaß verstehen, ist beim Alkohol – da sind und waren die Strafen extrem hoch, sogar Gefängnis droht!
Sie zittern vor Ihrer Moskau-Reise vor der russischen Mafia? Vergessen Sie es. Denn diese rechnet in der Regel nur untereinander ab. Der Verkehr ist wesentlich riskanter: Alljährlich fordern russische Straßen 30.000 Tote, das sind sechs Mal mehr Menschenleben als im gleichen Zeitraum bei Unfällen in Deutschland sterben. Die Zahl der Verkehrstoten in Russland ist in den letzten Jahren dennoch rückläufig, auch wenn es immer mehr Autos auf den Straßen gibt. Ein Grund hierfür sind die ausländischen Fahrzeuge, oft mit Anti-Blockier-System und Airbag ausgestattet, die deutlich sicherer als ihre russischen Mitstreiter sind. Allerdings bleiben kratertiefe Schlaglöcher in den Straßen, vor allem auf dem Land, enorm gefährlich!
Doch was ist in Moskau anders als in anderen europäischen Großstädten? Und warum muss man an Werktagen drei bis vier Stunden Zeit im Stau einkalkulieren? Schuld an der prekären Verkehrslage in der Hauptstadt sind die sowjetischen Städteplaner, die Moskau noch in den späten 1980er-Jahren im besten Fall 600.000 Autos prophezeit hatten. Heute sind jedoch mindestens zehnmal so viele Fahrzeuge in der Metropole unterwegs, da sich immer mehr Menschen ein Auto leisten können. So viele Luxuskarossen wie in Moskau sucht man anderswo vergebens! So viel Stau allerdings auch: Moskau taucht regelmäßig ganz oben auf der Welt-Stau-Statistik auf. 91 Stunden verbringt ein Moskauer pro Jahr in einer Staukolonne, das sind gut ein Viertel seiner Gesamtfahrzeit, so die Zahlen der Inrix-Staustudie.
Abhilfe gegen das Verkehrschaos sollen immer wieder neue Straßenbaupläne schaffen, die allerdings nicht immer die beste Lösung für die Umwelt sind. Nun setzt die Moskauer Stadtregierung auf die Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs und will die Metro weiter ausbauen – mit recht ambitionierten Zielen.
Die Vehikelflut bringt akuten Mangel an Parkplätzen mit sich: Öffentliche Garagen sind eine Neuerscheinung, der Wagen wird vielmehr abgestellt, wo Platz ist. Jede Fläche, auf die ein Auto passt, ist ein potenzieller Parkplatz! Dazu zählen Bürgersteige, Parks, Hofzufahrten oder Grünstreifen. Beliebt ist auch das Parken in zweiter Reihe, was die endlosen Staus nur noch verschlimmert. Auch das Problem ist der Moskauer Stadtverwaltung bekannt, und so wurde längst schon angekündigt, neue Parkhäuser und Tiefgaragen zu bauen. Die offiziell ausgewiesenen Park- und Stellplätze reichen nicht einmal für ein knappes Drittel der Autos, die auf Moskauer Straßen unterwegs sind. Parken auf dem Gehweg bleibt natürlich nicht ohne Strafe: Hierfür müssen Moskauer Autofahrer einige Rubel hinblättern.
Mit einem Blaulicht auf dem Dach hat man in Moskau freie Fahrt. Wenn man die richtigen Kanäle kennt, gibt es solche »Freifahrtscheine« für mehrere tausend US-Dollar. Ohne Quittung, versteht sich. Auch das Nummernschild gibt Auskunft über den Fahrer: Angehörige von Kreml, Zoll oder Geheimdienst, die man am Kennzeichen erkennt, werden in der Regel nicht gestoppt. Dieses System mit den Kennzeichen stammt noch aus Breschnjew-Zeiten: Er hatte die Nummer 0001. Auch Diplomaten, ausländische Repräsentanzen und Journalisten haben bestimmte farbige Nummernschilder, mit denen man sie sofort zuordnen kann.
Was können Sie besser machen?
Sind Sie selbst Autofahrer? Verzichten Sie in Moskau lieber darauf, wenn Sie nicht schon drei Jahrzehnte vor ihrer Pensionierung vorschnell ergrauen möchten! Sollten Sie einem GAIschnik begegnen, bleiben Sie gelassen. Ideal wäre natürlich, wenn Sie der russischen Sprache mächtig wären – oder jemanden dabei hätten, der sich mit den leider immer noch oft recht willkürlichen »Gesetzesauslegungen« auf russischen Straßen auskennt, die immer zu einem Bußgeld führen – offiziell oder inoffiziell. Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, eine Quittung dafür zu verlangen! Falls Sie den offiziellen Weg einschlagen, könnte ihr Fahrzeug sogar beschlagnahmt werden, bis Sie die Strafe bei einer Bank eingezahlt haben – je nach Gutdünken des GAIschniks.
Andererseits gibt es glücklicherweise auch viele Beamte, die wsjatki rigoros ablehnen. Wir wollen ja hier nicht den Eindruck erwecken, dass Sie an jeder Straßenkreuzung kräftig in die Tasche greifen müssen und es in Russland von grimmigen Verkehrspolizisten nur so wimmelt, die sich gebieterisch vor Ihrem Fahrzeug auftürmen und nur darauf warten, Sie um ein paar Scheine zu erleichtern. Aber: Sollten Sie in solch eine Situation kommen, dann wundern Sie sich nicht. Am besten »regelt« Ihr Mischa das, falls Sie einen haben!
Wer trotz täglicher Staus und den Vorzügen der Moskauer Metro dennoch nicht auf sein Auto verzichten kann, sollte einen großen Wagentyp wählen. Darin lässt es sich dank Tablet, Notebook oder Laptop prima arbeiten, sofern man einen Fahrer hat. Und den gibt es meist auf Empfehlung aus der Expat-Community, also von anderen Ausländern vor Ort. Die meisten Ausländer in Führungspositionen beschäftigen einen Fahrer. Dieser übernimmt auch Besorgungen. Ein Problem bei älteren Fahrern sind manchmal die Fremdsprachen. Und selbst wenn ein Fahrer ein wenig Englisch kann, so ist noch lange nicht garantiert, dass er sich in Moskau tatsächlich auskennt. Denn nicht wenige Fahrer stammen aus der Provinz oder aus den südlichen Ex-Sowjetrepubliken. Sie arbeiten in Moskau und versorgen ihre Familien zu Hause mit dem weitaus höheren Einkommen, das sie in der Hauptstadt erzielen.
Andererseits können Sie den Stau immer als Ausrede benutzen, sollten Sie sich zu einem Termin verspäten. Eine Viertelstunde später zu kommen, ist übrigens in Ordnung, rufen Sie die Wartenden dennoch lieber an, damit das Meeting nicht ohne sie beginnt. Aber: Nie an die Decke gehen, immer schön ruhig bleiben – denn ändern können Sie den Stau ohnehin nicht.
Sind Sie hingegen Fußgänger, dann sollten Sie alles, aber auch alles, was Sie jemals im Rahmen der Verkehrserziehung oder in der Fahrschule gelernt haben, schnellstmöglich vergessen! Zebrastreifen sind nur ein Straßenschmuck. Eine weitere Bestimmung gibt es dafür nicht, zumindest nicht in Russland! Ampeln? Das könnte eine blinkende Kunstinstallation sein – entsprechend wenig gibt es davon in den Städten. Nutzen Sie daher lieber die Unterführungen, auch wenn Sie einen Umweg in Kauf nehmen müssen. Sollten Sie die Straße dennoch einmal an einer Stelle ohne Verkehrszeichen überqueren wollen, hilft nur eins: Trainieren Sie schon mal im heimischen Fitnessstudio, sputen Sie sich und versuchen Sie am besten, dem Weltrekord der russischen Sprinterin Irina Anatoljewna Priwalowa (Jahrgang 1964) nachzueifern: Sie schaffte 100 Meter in nur 10,77 Sekunden. So dürften Sie die andere Straßenseite hoffentlich heil erreichen!