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2. Paris aus der Vogelschau.

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Wir haben es soeben versucht, diese wunderbare Kirche Notre-Dame zu Paris für den Leser neu herzustellen. Wir haben in Kürze die meisten Schönheiten angegeben, welche sie im fünfzehnten Jahrhunderte besaß, und die ihr heute fehlen; aber wir haben die Hauptsache vergessen: nämlich den Anblick von Paris zu schildern, welchen man damals von der Höhe seiner Thürme herab genoß.

In Wahrheit gab es, wenn man nach langem Umhertasten auf der finstern Wendeltreppe, welche senkrecht die dicke Mauer der Thürme durchbricht, endlich unvermuthet auf einer der beiden licht- und luftumflossenen Plattformen hervortauchte, kaum ein schöneres Bild als das, welches sich von allen Seiten auf einmal unter den Augen entrollte; ein Schauspiel »eigener Art«, von dem sich diejenigen unserer Leser leicht eine Vorstellung machen können, welche so glücklich gewesen sind, eine ganz gothische, vollständige, gleichartige Stadt zu sehen, wie es deren noch einige giebt, z.B. Nürnberg in Baiern, Vittoria in Spanien; oder selbst kleinere Muster, vorausgesetzt, daß sie wohl erhalten sind, wie Vitré in der Bretagne, Nordhausen in Preußen.

Das Paris von vor dreihundertundfünfzig Jahren, das Paris des fünfzehnten Jahrhunderts war schon eine Riesenstadt. Wir täuschen uns gewöhnlich, wir Pariser, hinsichtlich der Bodenfläche, welche wir seitdem eingenommen zu haben glauben. Paris ist seit Ludwig dem Elften um nicht viel mehr, denn um ein Drittheil gewachsen; gewiß aber hat es weit mehr an Schönheit verloren, als es an Größe gewonnen hat.

Paris ist, wie man weiß, auf jener alten Insel der Altstadt entstanden, welche die Gestalt einer Wiege hat. Der Strand dieser Insel war seine erste Einfriedigung, die Seine sein erster Graben. Paris blieb mehrere Jahrhunderte auf die Insel beschränkt, hatte zwei Brücken: eine nach Norden, die andere nach Süden zu, und zwei Brückenköpfe, welche zugleich seine Thore und seine Festungswerke waren: Groß-Châtelet auf der rechten, Klein-Châtelet auf der linken Seite. Dann, seit den Königen aus der ersten Generation, überschritt Paris, dem es zu enge auf seiner Insel wurde, und das sich hier nicht mehr drehen und wenden konnte, den Fluß. Hierauf begann über Groß- und Klein-Châtelet hinaus, von beiden Ufern der Seine aus, eine erste Einfriedigung von Mauern und Thürmen in das Land hinein zu dringen. Von dieser alten Schutzmauer gab es im letzten Jahrhunderte noch einige Reste; heute existirt nur noch die Erinnerung daran und hier und da ein Ueberbleibsel, wie das Thor Baudets oder Baudoyer, lateinisch: porta Bagauda. Nach und nach überflutet, benagt, verzehrt und vertilgt die Häuserwoge, die stetig vom Herzen der Stadt nach außen gedrängt wird, diese Umfassungsmauer. Philipp August giebt ihr einen neuen Damm; er schließt Paris in eine Kreiskette von dicken, hohen und festen Thürmen ein. Länger als ein Jahrhundert hindurch drängen die Häuser sich aneinander, häufen sich und heben ihr Niveau in diesem Becken wie Wasser in einem Behälter. Sie beginnen tiefgehend zu werden, setzen Stockwerke über Stockwerke, übersteigen einander, sprudeln in die Höhe wie comprimirte Flüssigkeit, und jedes bestrebt sich, das Haupt über seine Nachbarn zu heben, um ein wenig frische Luft zu haben. Die Straße kreuzt und verengt sich mehr und mehr; jeder Platz füllt sich und verschwindet. Schließlich springen die Häuser über die Mauer Philipp Augusts hinaus, zerstreuen sich lustig in der Ebene, wie Flüchtlinge ohne Ordnung und Symmetrie. Hier thun sie sich zu Quartieren zusammen, umgeben sich im Gefilde mit Gärten und machen sich's bequem. In dieser Weise erweitert sich die Stadt seit 1367 derartig in die Vororte hinein, daß eine neue Einfassung nöthig wird, vornehmlich am linken Ufer: Karl der Fünfte baute sie. Aber eine Stadt, wie Paris, ist im anhaltenden Wachsthume. Nur solche Städte werden Hauptstädte. Sie sind Filter, in welche alle geographischen, politischen, sittlichen und intellectuellen Strömungen eines Landes, alle Triebe eines Volkes einmünden; Brunnen der Civilisation so zu sagen, aber auch Kloaken, wo Handel und Gewerbefleiß, Intelligenz und Bevölkerung, alles was Saft, was Leben, was Seele an einem Volke ist, zusammenfließt und ohne Aufhören sich aufhäuft, Tropfen um Tropfen, Jahrhundert um Jahrhundert. Die Mauer Karls des Fünften hat jedoch dasselbe Geschick, wie diejenige Philipp Augusts. Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wird sie überschritten, überholt, und die Vorstadt eilt weiter. Im sechzehnten Jahrhunderte scheint es, als ob Paris augenscheinlich zurückwiche und sich mehr und mehr in die alte Stadt hineinzöge, so sehr rückt draußen schon eine neue Stadt zusammen. Seit dem fünfzehnten Jahrhunderte also, um hier zu verweilen, hatte Paris schon die drei concentrischen Mauerkreise verbraucht, welche seit der Zeit Julians des Apostaten, so zu sagen, als Keime in Groß- und Klein-Châtelet enthalten waren. Die mächtige Stadt hatte, ähnlich einem Kinde, welches wächst und die vorjährigen Kleidungsstücke zerplatzt, seine vier Mauergürtel bersten lassen. Unter Ludwig dem Elften sah man stellenweise in diesem Häusermeere einige Gruppen von Thurmruinen der alten Umfassungsmauern, die wie Hügelspitzen bei einer Ueberschwemmung, wie Inselgruppen des alten Paris, das im neuen versinkt, hervorragten.

Seitdem hat Paris zum Unglück für unsere Augen sich noch verändert; aber es hat nur eine Ringmauer mehr überschritten: diejenige Ludwigs des Fünfzehnten, jene Schmutz- und Kothmauer, die würdig des Königs, der sie gebaut, und werth des Dichters ist, der sie besungen hat:

Le mur murant Paris rend Paris murmurant.

Im fünfzehnten Jahrhunderte war Paris noch in drei ganz unterschiedene und abgesonderte Städte getheilt, jede mit ihrer Physiognomie und Eigentümlichkeit, mit ihren Sitten, ihren Gewohnheiten, ihren Privilegien und mit ihrer Geschichte: die Altstadt (la Cité), Südstadt (l'Université) und Nordstadt (la Ville). Die Altstadt, welche die Insel bedeckte, war die älteste, die kleinste, die Mutter der beiden andern und eingepreßt zwischen ihnen – man möge den Vergleich gestatten – wie eine kleine Alte zwischen zwei großen, schönen Mädchen. Die Südstadt oder das Universitätsviertel bedeckte das linke Ufer der Seine von La Tournelle bis zum Nesle-Thurme, zwei Punkte, von denen der eine der Weinhalle, der andere der Münzstätte im heutigen Paris entsprechen. Ihre Ringmauer schweifte bogenförmig ziemlich weit in die Gegend hinaus, wo Julian seine Thermen erbaut hatte. Der Hügel der heiligen Genoveva war mit eingeschlossen. Der äußerste Punkt dieser Mauerkrümmung war das Papstthor, d.h. ohngefähr die jetzige Baustelle des Panthéons. Die Nordstadt, welche den größten der drei Stadttheile von Paris ausmachte, nahm das rechte Ufer ein. Ihr Flußdamm, der jedoch buchtig oder an mehreren Stellen unterbrochen war, lief längs der Seine hin vom Thurm Billy bis zum Holzthurme, d.h. von der Stelle, wo heute der Vorrathsspeicher steht, bis zum Platze, wo die Tuilerien sich befinden. Diese vier Punkte, wo die Seine die Ringmauer der Hauptstadt durchschnitt: La Tournelle und der Nesle-Thurm zur Linken, der Thurm Billy und der Holzthurm zur Rechten, hießen vorzugsweise »die vier Thürme von Paris.« Die Nordstadt erstreckte sich noch tiefer in die Ländereien hinein, als die Südstadt. Der äußerste Punkt der Ringmauer der Nordstadt (derjenigen Karls des Fünften) lag bei den Thoren Saint-Denis und Saint-Martin, die heute noch an derselben Stelle sind.

Wie wir soeben bemerkt haben, war jede dieser drei großen Abtheilungen von Paris eine Stadt, aber eine zu besondere Stadt, um als vollständig gelten zu können; eine Stadt, welche jeder der beiden andern nicht entrathen konnte. Auch gewährten die drei jede für sich ein völlig gesondertes Aussehen. In der Altstadt waren die Kirchen im Ueberflusse, in der Nordstadt die Paläste, in der Südstadt die Lehranstalten. Um die untergeordneten Eigenthümlichkeiten des alten Paris, z.B. die Scherereien des Wegeamtsrechtes hier zu übergehen, wollen wir im allgemeinen und nur durch Herausgreifen des Ganzen und Gewichtigen aus dem Chaos der städtischen Rechtspflege erzählen, daß die Insel dem Bischofe, das rechte Seineufer dem Vorsteher der Kaufmannsgilde oder dem Stadtvogte, das linke dem Universitätsrector unterstellt war. Der Oberrichter von Paris, ein königlicher, nicht Municipal-Beamter, wachte über das Ganze. In der Altstadt lag Notre-Dame, in der Nordstadt der Louvre und das Rathhaus die Sorbonne in der Südstadt. In der Nordstadt lagen die Kaufhallen, das Krankenhaus (Hôtel Dieu) war in der Altstadt, die Studentenwiese in der Südstadt. Jedes Verbrechen, das die Studenten am linken Ufer begingen, wurde auf der Insel im Justizpalaste abgeurtheilt und am linken Ufer, in Monfaucon, gesühnt, im Falle der Rector, sofern sich die Universität stark und der König schwach fühlte, nicht Einsprache erhob; denn es war ein Vorrecht der Studenten, in ihrem Bezirke gehangen zu werden. (Die meisten dieser Privilegien – um das im Vorbeigehen zu bemerken – und von denen es werthvollere giebt, als das eben genannte, waren den Königen durch Aufstände und Meutereien abgenöthigt worden. Es ist der uralte Hergang: der König giebt nur das zu, was das Volk ihm abpreßt. Es existirt eine alte Urkunde, welche, in Betreff der Treue, dies naiv so ausspricht: »Civibus fidelitas in reges, quae tamen aliquoties seditionibus interrupta, multa peperit privilegia.«

Im fünfzehnten Jahrhunderte bespülte die Seine fünf Inseln im Stadtgebiete von Paris: die Insel Louviers, wo damals Bäume standen und heute sich nichts weiter als Gehölz befindet; die Kuhinsel und die Insel Notre-Dame, beide wüst bis auf eine elende Hütte, beide Lehen des Bischofs von Paris (im siebzehnten Jahrhunderte hat man aus diesen beiden Inseln eine einzige gemacht und bebaut, die nun Insel des heiligen Ludwig heißt); endlich diejenige der Altstadt, und an ihrer Spitze die kleine Insel des Kuhfährmannes, die seitdem unter dem Fundamente des Pont-Neuf verschwunden ist. Die Altstadt besaß damals fünf Brücken, drei auf der rechten Seite: die Notre-Dame-Brücke und die Wechslerbrücke, beide von Stein, die Müllerbrücke aus Holz; zwei auf der linken Seite: die Kleine Brücke von Stein, die Sanct-Michaelbrücke aus Holz, sämmtliche mit Häusern besetzt. Die Südstadt hatte sechs, von Philipp August erbaute Thore, nämlich vom Parlamentsgericht angefangen: das Thor Sanct-Victor, das Frauenhausthor, das Papstthor, das Sanct-Jacobsthor, das Sanct-Michaelthor, das Thor Saint-Germain. Die Nordstadt hatte gleichfalls sechs von Karl dem Fünften erbaute Thore, nämlich vom Billy-Thurme begonnen: das Thor Saint-Antoine, das Templerthor, das Thor Saint-Merlin, das Thor Saint-Denis, das Monmartrethor und das Thor Saint-Honoré. Alle diese Thore waren stark und schön dabei, ohne durch letzteres die Festigkeit zu beeinträchtigen. Ein breiter und tiefer, bei winterlichem Hochwasser stark flutender Graben, den die Seine mit Wasser versorgte, bespülte den Fuß der Mauern rings um ganz Paris herum. Nachts wurden die Thore geschlossen, der Fluß an beiden Außenpunkten der Stadt mit mächtigen eisernen Ketten gesperrt, und Paris schlief ruhig.

Aus der Vogelschau gesehen boten diese drei Stadttheile: Altstadt, Universitätsviertel und Nordstadt, jeder für sich dem Auge ein unentwirrbares Netz von sonderbar durch einander geschlungenen Straßen dar. Doch erkannte man auf den ersten Blick, daß diese drei Bruchstücke von Stadt ein einziges Ganze bildeten. Man sah sofort drei lange, parallele Straßen, die ohne Unterbrechung und Störung, fast in gerader Linie, auf einmal die drei Stadttheile von einem Ende bis zum andern durchschnitten, sie vom Süden zum Norden und die Seine entlang laufend verbanden, vereinigten, ineinanderzogen und -gossen, und ohne Aufenthalt die Bevölkerung von dieser in die Mauern von jener hinüberfluteten und dadurch aus den dreien eine einzige herstellten. Die erste dieser beiden Straßen lief vom Thore Sanct-Jacob bis zum Thore Sanct-Martin; sie hieß Sanct-Jacobsstraße in der Südstadt, Judenstraße in der Altstadt und Sanct- in der Nordstadt; sie überschritt den Fluß zweimal: als Kleine Brücke und als Notre-Damebrücke. Die zweite dieser Straßen, welche La-Harpestraße auf dem linken Ufer, Faßbinderstraße auf der Insel, Sanct-Denisstraße auf dem rechten Ufer hieß, und als Sanct-Michelsbrücke über einen Arm der Seine, als Wechslerbrücke über den andern lief, zog sich vom Sanct-Michaelthore im Universitätsviertel bis zur Sanct-Denisbrücke in der Nordstadt hin. Beide Straßen waren, trotz so vieler verschiedenartiger Namen, doch immer nur zwei Straßen, aber die Haupt- und Stammstraßen, die zwei Pulsadern von Paris. Sämmtliche übrigen Verkehrsadern der dreitheiligen Stadt mündeten hier aus oder ein.

Unabhängig von diesen zwei diametralen Hauptstraßen, die ganz Paris in seiner Breite durchschnitten und der Hauptstadt völlig gemeinsam waren, hatten die Nord- und Südstadt jede ihre besondere Hauptstraße, welche in der Richtung ihrer Länge parallel mit der Seine liefen und gelegentlich die zwei »Hauptverkehrsadern« im rechten Winkel kreuzten. Demzufolge ging man in der Nordstadt vom Thore Saint-Antoine in gerader Linie bis zum Thore Saint-Honoré hinab; in der Südstadt vom Sanct-Victorthore bis zum Thore Saint-Germain. Diese zwei großen Straßen, die sich mit den beiden ersten kreuzten, bildeten die Unterlage, über welche das nach allen Seiten hin verschlungene, dichte und labyrinthische Straßennetz von Paris sich erstreckte. In dem unentwirrbaren Umrisse dieses Straßennetzes unterschied man übrigens bei aufmerksamer Betrachtung zwei Bündel breiter Straßen, die wie zwei Getreidegarben, von denen eine in der Süd-, die andere in der Nordstadt sich ausbreitete, von Brücke zu Brücke sich entfaltend hinliefen.

Etwas von diesem geometrischen Grundrisse ist noch heute zu erkennen.

Welchen Anblick bot dieses Ganze nun, aus der Höhe der Thürme von Notre-Dame gesehen, im Jahre 1482?

Das zu schildern wollen wir versuchen.

Für den Beschauer, welcher athemlos auf dieser Höhe ankam, bot sich dem Blicke zuerst eine verwirrende Menge von Dächern, Schornsteinen, Straßen, Brücken, Plätzen, Thurmspitzen und Thürmen dar. Alles fiel ihm auf einmal in die Augen: die abgestumpfte Zinne, das spitzzulaufende Dach, das auf den Mauerwinkeln schwebende Thürmchen, die steinerne Pyramide aus dem elften, der Schieferobelisk aus dem fünfzehnten Jahrhunderte, der runde und kahle Wartthurm, der viereckige, verzierte Kirchthurm, Großes und Kleines, Schwerfälliges und Zierliches. Der Blick verlor sich auf lange und vollständig in diesem Labyrinthe, wo jedes von seiner Originalität und Berechtigung, von seiner Eigenthümlichkeit und Schönheit zeugte, alles Kunst athmete, vom geringsten Hause an mit gemalter und von Steinmetzarbeit verzierter Vorderseite, mit Holzwerk auf der Außenseite, mit herausgerückter Pforte, mit überhängenden Stockwerken bis zum königlichen Louvre, der damals eine Colonnade von Thürmen besaß. Aber da lagen die Hauptmassen, die man unterschied, sobald das Auge sich in diesen Gebäudewogen zurechtzufinden begann.

Zuerst die der Altstadt. Die Häuserinsel der Altstadt ist, wie Sauvel sagt, der bei seinem sonst schwülstigen Stile zeitweilig recht glücklich in der Darstellungsweise ist, – »die Häuserinsel der Altstadt ist wie ein großes Schiff geformt, das im Schlamme aufgefahren ist und im Stromlauf der Seine festsitzt«. Wir haben eben erzählt, daß dieses »Schiff« zwischen beiden Flußufern im fünfzehnten Jahrhunderte von fünf Brücken geentert war. Diese Schifssgestalt ist auch den Heraldikern aufgefallen; denn daher, und nicht von der Belagerung der Stadt durch die Normannen, stammt, zufolge Favyns und Vasquiers, das Schiff, welches das alte Wappen von Paris kennzeichnet. Für den, welcher es zu erklären weiß, ist die Wappenkunde bald eine Berechnung, bald eine Sprache. Die ganze Geschichte der zweiten Hälfte des Mittelalters ist in der Wappenkunde niedergeschrieben, ähnlich wie die Geschichte ihrer ersten Hälfte in der Symbolik der romanischen Kirchenbauwerke. Es sind die Hieroglyphen der Feudalherrschaft nach denen der Kirchenherrschaft.

Die Altstadt zeigte sich also zuerst dem Beschauer mit der Hinterfront nach Osten und der Vorderfront nach Westen. Nach der letztern hingewandt sah man eine endlose Reihe von alten Dächern vor sich, über denen, ähnlich dem Rücken eines Elephanten, der seinen Thurm trägt, die bleigedeckte Kuppel der Heiligen Kapelle mächtig sich rundete. Nur hier erschien dieser Kuppelbau als der kühnste, freieste, kunstvollste und zackenreichste Thurm, der jemals den Himmel durch seinen durchbrochenen Kegel sehen ließ. Ziemlich nahe vor Notre-Dame mündeten drei Straßen in den Vorhof, einen schönen Platz voll alterthümlicher Häuser, ein. Auf der Südseite dieses Platzes neigte sich die furchenreiche und düstere Façade des Hôtel-Dieu; sein Dach schien mit Beulen und Warzen bedeckt zu sein. Dann erhoben sich rechts und links, nach Morgen und Abend zu, in dem doch so engen Umkreise der Altstadt, die Thürme seiner einundzwanzig Kirchen jeden Alters, jeder Gestalt, jeder Größe vom niedrigen und wurmstichigen, im romanischen Stile gehaltenen Glockenthurme von Saint-Denis-du-Pas (carcer Glaucini) an, bis zu den schlanken Spitzen von Saint-Pierre-aux-Boeufs und Saint-Landry. Hinter Notre-Dame im Norden zeigten sich das Kloster mit seinen gothischen Galerien, im Süden die halbromanisch gehaltene Residenz des Bischofs, im Osten die wüste Spitze des Terrains. Ferner unterschied das Auge in diesem Meere von Häusern mit ihren hohen Fenstergiebeln von durchbrochenem Steine, welche damals selbst die äußersten Dachfenster der Paläste krönten, das Schloß, welches unter Karl dem Sechsten von der Stadt dem Juvenal-des-Ursins geschenkt worden war; ein Stück weiter davon die Theerdachhütten des Gemüsemarktes; weiter noch das neue Chorhaus von Saint-Germain-le-Vieux, welches 1458 durch ein Ende der Rue-aux-Fabves erweitert wurde; dann sah man über freie Plätze hinweg einen Scheideweg, der vom Volke gesperrt wurde; einen an der Straßenecke errichteten Pranger; ein hübsches Stück Straßenpflaster, das Philipp August hatte herstellen lassen, jenes prächtige Plattenpflaster, welches in der Mitte der Bahn für die Pferde gelegt worden war und im sechzehnten Jahrhunderte leider durch die elende Sandaufschüttung, »Pflaster der Ligue« genannt, ersetzt wurde; dann einen öden Hinterhof mit einem jener durchsichtigen Treppenthürmchen, wie man sie im fünfzehnten Jahrhunderte baute, und wie man noch einen in der Rue-des-Bourdonnais sieht. Endlich, rechts von der heiligen Kapelle, gen Westen, streckte der Justizpalast am Ufer des Wassers seine Thurmgruppe in die Luft. Der Hochwald der königlichen Gärten, welche die westliche Spitze der Altstadt bedeckten, verbargen den Fährmannswerder. Was den Strom betrifft, so bemerkte man ihn von der Höhe der Notre-Damethürme kaum auf beiden Seiten der Altstadt: die Seine verschwand unter den Brücken, diese unter den Häusern.

Und wenn der Blick über diese Brücken hinaus flog, deren Hausdächer dem Auge moosig erschienen und vor der Zeit von den Wasserdünsten mit Schimmel überzogen waren, dann links nach der Südstadt sich zuwandte, so war das nächste Bauwerk, auf das er fiel, ein Haufen niedriger und umfangreicher Thürme: Klein-Châtelet, dessen gähnende Thorhalle an das Ende der Kleinen Brücke stieß; wenn dann der Blick des Beschauers das Ufer von Osten nach Westen, von La-Tournelle bis zum Nesle-Thurme überflog, traf er auf eine lange Häuserreihe mit geschnitztem Balkenwerke, buntfarbigen Fenstern, mit Stockwerken, die in die Straße heraustraten – ein unbegrenztes Zickzack von Bürgerhäusern, das häufig von der Mündung einer Straße, zeitweilig auch von der Front oder der Hinterseite eines großen steinernen Palastgebäudes unterbrochen wurde, das sich mit seinen Höfen und Gärten, Flügeln und Seitengebäuden mitten in diesem zusammengepreßten und dichten Häuserknäuel wie ein vornehmer Herr in einer Rotte Bauern spreizte. Fünf bis sechs dieser Palastgebäude standen am Quai, und zwar vom Lothringerhause an, das mit den Bernhardinern den großen Nachbarbezirk von La-Tournelle theilte, bis zum Palaste Nesle, dessen Hauptthurm das Terrain der Stadt Paris abgrenzte, und dessen spitze Dächer gewohnt waren, drei Monate des Jahres hindurch ihre dunkeln Giebelfelder von der rothglühenden Scheibe der Abendsonne vergoldet zu sehen.

Diese Seite der Seine zeigte übrigens von beiden den geringsten Handelsverkehr; die Studenten verursachten hier mehr Lärm und Gedränge, als die Gewerbetreibenden, und einen Quai gab es eigentlich nur von der Sanct-Michaelbrücke bis zum Nesle-Thurme. Der übrige Theil des Seineufers war theils nackter Strand, wie jenseits des Bernhardinerklosters, theils eine Häuserreihe, deren Grundmauern im Wasser standen, wie zwischen den beiden Brücken.

Großen Lärm verursachten hier die Wäscherinnen; sie schrien, schwatzten, sangen vom Morgen bis zum Abende am Ufer hin und klopften tüchtig die Wäsche, wie in unsern Tagen. Und diese Art Fröhlichkeit ist nicht die geringste in Paris.

Das Universitätsviertel war für das Auge ein Block. Es bildete von einem Ende bis zum andern ein gleichartiges und geschlossenes Ganze. Diese Tausende von dichtgedrängten, winkligen, aneinander klebenden, beinahe alle nach einer geometrischen Grundregel errichteten Dächer machten, aus der Höhe gesehen, den Eindruck einer Krystallisirung, die aus demselben Stoffe entstanden war. Das regellose Straßennetz zerriß diese Häusermasse nicht in so ungleiche Stücke. Die zweiundvierzig Hörsäle waren hier in ziemlich gleichmäßiger Weise vertheilt, und es gab deren hier überall. Die mannigfaltigen und interessanten Firste dieser schönen Gebäude waren das Erzeugnis der nämlichen Kunstrichtung, wie die schlichten Dächer, welche sie überragten, und im Grunde nichts weiter, als eine Wiederholung derselben geometrischen Figur in Quadrat- oder Kubikform. Sie variirten nämlich die Einheitlichkeit, ohne sie zu verwirren, bereicherten, ohne zu überladen; denn die Geometrie ist eine Harmonie. Einige schöne Hôtels erhoben hier und da ihre prächtigen Formen über die malerischen Dachstockwerke auf dem linken Flußufer: z.B. das Haus Nevers, das römische Haus, das Reimser Haus, die verschwunden sind, der Palast Cluny, welcher zum Troste jedes Künstlers noch vorhanden ist, und dessen Thurm man so thörichterweise vor einigen Jahren seines Helmes beraubt hat. Neben Cluny, diesem Palastbaue im romanischen Stile mit schönen Rundbogenformen, lagen die Thermen des Kaisers Julian. Dann befanden sich hier eine Menge Abteien von bescheidenerem Glanze und ernsterer Größe, die jedoch nicht weniger schön und vornehm, als die Palastbauten waren. Diejenigen, welche zuerst die Aufmerksamkeit erregten, waren die Berhardinerabtei mit ihren drei Thürmen; Sanct-Genoveva, deren heute noch vorhandener, vierkantiger Thurm das Verschwundene um so mehr bedauern läßt; dann die Sorbonne, halb Hörsaal halb Kloster, von dem das bewunderungswürdige Mittelschiff noch vorhanden ist; das schöne, vierflügelige Kloster der Mathuriner; ferner dessen Nachbar: das Kloster des heiligen Benedict, in dessen Mauern man zwischen der siebenten und achten Auflage dieses Buches ein Theater zu eröffnen Veranlassung genommen hat; die Abtei der Franziskaner mit ihren drei ungeheuern, nebeneinander gestellten Giebeln; die der Augustinermönche, deren zierliche Zinne, nah dem Nesle-Thurme, das zweite reich durchbrochene Thurmgebäude, vom Westen aus gerechnet, auf dieser Seite von Paris bildete. Die Studiengebäude, die in Wirklichkeit ein Bindeglied zwischen Kloster und der Welt draußen bilden, hielten in ihrem anmuthigen Ernste, mit ihrer nicht so leichten Bildhauerarbeit, wie derjenigen der Palastbauten, und in ihrem weniger strengen Baustile, als dem der Klöster, die Mitte zwischen Bürgerhäusern und Abteien in der Gebäudereihe inne. Unglücklicherweise ist fast nichts mehr von diesen Baudenkmälern übrig, an denen die Gothik mit so viel Sicherheit Ueberfluß und Sparsamkeit verbunden hat. Die Kirchen (und sie waren glänzend und zahlreich im Universitätsviertel vorhanden, und gruppirten sich hier außerdem in allen Stilen der Baukunst von dem Rundbogen des heiligen Julian an bis zu den Spitzbogen des heiligen Severin), die Kirchen, sage ich, beherrschten das Ganze; und als eine weitere Harmonie in dieser einheitlichen Gesammtheit durchbrachen sie alle Augenblicke das vielfältige Zackenwerk von Spitzthurmzinnen, durchbrochenen Thürmen und frei aufsteigenden Helmen, deren Fluchtlinie auch nichts anderes, als eine prächtige Ueberfülle von spitzwinkligen Dächern war.

Der Boden des Universitätsviertels war hügelig. Der Sanct-Genovevaberg bildete hier im Südwesten einen mächtigen Zug, und es war, von der Höhe der Kirche Notre-Dame aus, interessant anzusehen, wie diese Menge enger und krummer Straßen (heute das »Lateinische Viertel«), diese Häuserklumpen, welche, nach allen Seiten von der Spitze des Höhenzuges ausliefen, sich regellos und fast senkrecht von den Bergseiten zum Flußufer hinabsenkten, wobei es den Anschein hatte, als ob einige hinunterstürzten, andere wieder in die Höhe kletterten, und alle sich aneinander klammerten. Ein fortwährendes Fluten zahlloser schwarzer Punkte, welche auf dem Pflaster durcheinander wogten, verursachte ein Drunter und Drüber vor den Blicken: es war die Bevölkerung der Stadt, die von der Höhe und in der Ferne gesehen, sich so ausnahm.

Endlich erblickte man in den Lücken zwischen diesen zahllosen Dächern. Zinnen und Häuservorsprüngen, welche die äußerste Fluchtlinie des Universitätsviertels in so eigenthümlicher Weise bogen, krümmten und unterbrachen, von Strecke zu Strecke ein mächtiges Stück moosige Mauer, einen dicken runden Thurm, ein Stadtthor mit Zinnen, welches die Festungsmauer bezeichnete: – es war die Mauer Philipp Augusts. Drüber hinaus grünten die Wiesen, liefen die Heerstraßen fort, an deren Seiten sich noch einige Vorstadthäuser hinzogen, die aber um so seltener wurden, je mehr sie sich entfernten. Einige dieser Vorstädte waren von Bedeutung: da war zunächst, seitwärts von La-Tournelle hin, der Flecken Saint-Victor mit seiner Bogenbrücke über die Bièvre, mit seiner Abtei, wo man die Grabschrift Ludwigs des Dicken (epitaphium Ludovici Grossi) las, seiner Kirche mit dem achteckigen Thurme, der von vier Eckthürmchen aus dem elften Jahrhunderte flankirt wurde (man kann einen diesem ähnlichen in Etampes sehen; er ist noch nicht niedergerissen); dann der Flecken Saint-Marceau, der schon drei Kirchen und ein Kloster hatte; dann, wenn man die Bièvremühle mit ihren vier weißen Mauern links liegen ließ, kam man in die Vorstadt Sanct-Jacob mit dem schönen Kreuze aus gemeißeltem Steine am Kreuzwege; erblickte die hübsche Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas, die, damals im gothischen Stile erbaut, reizende Verzierungen aufwies; dann Saint-Magloire mit dem schönen Mittelschiffe aus dem vierzehnten Jahrhunderte, welches Napoleon in einen Heuboden verwandelte; endlich Notre-Dame-des-Champs, wo sich byzantinische Mosaïken befanden. Hatte man schließlich das Kloster der Karthäuser, ein reiches Bauwerk aus dem Jahrhunderte unseres Justizpalastes mit kleinen Beetgärten und den wenig besuchten Ruinen von Vauvert, im freien Felde liegen lassen, so fiel das Auge im Westen auf die drei im romanischen Stile gehaltenen Thürme von Saint-Germain-des-Prés. Der Flecken Saint-Germain, welcher schon eine große Gemeinde vorstellte, bildete fünfzehn bis zwanzig Hinterstraßen; der spitze Saint-Sulpicethurm bezeichnete eins der Enden des Fleckens. Ganz nahe unterschied man den vierseitigen Bereich des Marktplatzes von Saint-Germain, wo sich heute noch der Marktplatz befindet; dann den Pranger des Abtes, einen kleinen, hübschen runden Thurm, der durch ein kegelförmiges Bleidach entsprechend gekrönt wurde. Weiter davon lagen die Ziegelscheune, die Backhausstraße, welche nach dem Bezirksbackhause führte, dann die Mühle auf ihrem Hügel, schließlich das Spital, ein abseits gelegenes, kaum beachtetes Häuschen. Was aber den Blick vornehmlich auf sich zog und lange auf diesen Punkt fesselte, war die Abtei selbst. Unzweifelhaft ist, daß dieses Kloster, das nicht nur als Kirche, sondern auch als Lehnsherrschaft ein hohes Ansehen genoß, mit seinem Abteipalaste, in dem eine Nacht zu schlafen die Bischöfe von Paris sich glücklich schätzten, mit seinem Refectorium, dem der Baumeister das Ansehen, die Schönheit und die prachtvolle Rosette eines Münsters verliehen hatte, mit der hübschen Kapelle der heiligen Jungfrau, dem monumentalen Schlafsaale, den riesigen Gärten, mit seinem Fallgatter, seiner Zugbrücke, mit dem Kranze von Schießscharten, die dem Auge die ringsum grünenden Wiesen zeigten, mit seinen Hofräumen, in denen Gewappnete und goldstrotzende Chorgewänder durch einander schimmerten – dieses alles, das sich um drei hohe, im Rundbogenstile gebaute und auf gothischem Chore ruhende Thürme gruppirte, – dies alles, sage ich, machte unzweifelhaft am Horizonte ein prächtiges Bild.

Wenn man endlich, nach langer Betrachtung der Südstadt, sich dem linken Seineufer, der Altstadt, zuwandte, so nahm das Schauspiel plötzlich einen ganz andern Charakter an. Die Altstadt, in Wahrheit viel größer als das Universitätsviertel, war auch weit weniger ein Ganzes. Beim ersten Anblick sah man sie in mehrere, sonderbar getrennte Massen sich scheiden. Zunächst im Osten, in dem Theile der Stadt, welcher noch heutigen Tages seinen Namen von dem Moraste führt, in den Camulogenus den Cäsar hineinführte, befand sich ein Haufen palastartiger Gebäude. Diese Häusermasse erstreckte sich bis ans Ufer der Seine. Vier fast zusammenhängende Paläste: Jouy, Sens, Barbeau und das Haus der Königin, spiegelten ihre, von schlanken Thürmchen durchbrochenen Schieferdächer in der Seine. Diese vier Gebäude bedeckten die Strecke von der Straße Des-Nonaindières an bis zur Cölestinerabtei, deren Thurm sich zierlich über die Fluchtlinie ihrer Giebel und Zinnen erhob. Einige alte Hütten, die sich grünschimmernd vor diesen prächtigen Bauwerken zum Wasser hinneigten, wehrten dem Auge nicht, die schöngezierten Ecken ihrer Façaden, ihre großen, breiten Fensteröffnungen mit Steinkreuzen, ihre spitzbogigen und Statuen tragenden Thürhallen, ihre scharfkantigen, durchweg sauber behauenen Mauern und das ganze zierliche Tausenderlei der Baukunst zu schauen, das vornehmlich der gothischen Kunst den Anstrich giebt, als ob sie jeden Augenblick ihre Formverbindungen von frischem anfangen wolle. Hinter diesen Palastgebäuden lief nach allen Richtungen, theils getheilt, verpallisadirt und wie eine Citadelle mit Schießscharten versehen, theils wie eine Karthause hinter hohen Bäumen versteckt, die gewaltige und vielgestaltige Umfassungsmauer des bewunderungswürdigen Hôtels Saint-Pol hin, in dem die Könige von Frankreich zweiundzwanzig Prinzen vom Range des Dauphin und des Herzogs von Burgund nebst Dienerschaft und Gefolge mit aller Pracht beherbergen konnten, ohne die großen Barone, auch den Kaiser, wenn er Paris besuchte, und die Löwen mitzurechnen, welche besondere Unterkunft im königlichen Schlosse fanden. Es sei hier gleich bemerkt, daß eine fürstliche Wohnung zu damaliger Zeit aus nicht weniger denn elf Räumen, vom Prunkzimmer an bis zur Hauskapelle gerechnet, bestand, ganz zu geschweigen von den Corridoren, Badezimmern, Schwitzbädern und sonstigen »überflüssigen Räumlichkeiten«, mit denen jedes fürstliche Appartement versehen war; abgesehen von den besonderen Gärten jedes königlichen Gastes; nicht zu vergessen die Küchen, Vorrathskammern, Anrichtezimmer, großen Speisesäle des Hauses, die Hinterhöfe, in denen sich, mit der Bäckerei und Hofkellerei, zweiundzwanzig Arbeitsräume befanden; ohne der Spielplätze aller Art für Lauf-, Ball- und Ringspiel, der Geflügelhäuser, Fisch- und Thierbehälter, der Pferde- und Kuhställe, der Bibliothekzimmer, der Rüstkammern und Gießereien Erwähnung zu thun. So war damals ein Königspalast, ein Louvre, ein Palast Saint-Pol beschaffen – eine kleine Stadt in der Altstadt.

Von dem Thurme aus, wo wir uns befinden, betrachtet, gewährte der Palast Saint-Pol, wiewohl er hinter den vier großen Gebäuden, die wir soeben erwähnt haben, fast halb versteckt lag, einen noch sehr bedeutenden und wunderbaren Anblick. Man erkannte, trotz der geschickten Verbindung, welche Karl der Fünfte zwischen dem Hauptgebäude und seinem Palaste mittelst Glas- und Säulchengalerien hergestellt hatte, ganz deutlich drei einzelne Paläste in ihm: nämlich das Palais Petit-Musc mit der durchbrochenen Steinbalustrade, die das Dach so zierlich säumte; die Residenz des Abtes von Saint-Maur, welche mit ihrem großen Thurme, ihren Vertheidigungserkern, Schießscharten, den eisernen Bollwerken, mit dem Wappenschilde des Abtes über dem sächsischen Thore zwischen den Schränkbalken der Zugbrücke das Ansehen eines festen Schlosses hatte; endlich das Palais des Grafen von Etampes, dessen Wartthurm mit dem verfallenen Dache sich dem Auge so schartig wie ein Hahnenkamm darstellte. Hier und da sah man drei bis vier alte Eichen, die, gleich ungeheuern Blumenkohlköpfen, ein dichtes Ganzes bildeten; das Hin-und Hersegeln der Schwäne in den krystallenen Wogen der Fischteiche, die zwischen Dunkel und Licht sich hinstreckten; eine Reihe von Höfen, deren malerische Endseiten man erkannte; dann das Löwenhaus mit niedrigen Spitzbogen, die auf kurzen sächsischen Pfeilern ruhten, mit den eisernen Gittern und dem fortwährenden Gebrülle der Löwen; quer durch das Ganze hindurch den schuppenartig gedeckten Thurm der Ave-Maria-Kirche; zur Linken das Wohnhaus des Oberrichters von Paris mit seinen vier zierlich durchbrochenen Thürmchen auf den Ecken; endlich in der Mitte, im Hintergrunde, den eigentlichen Palast Saint-Pol mit den zahlreichen Façaden, den seit Karls des Fünften Zeit ununterbrochen folgenden Ausschmückungen, mit den bastardartigen Auswüchsen, durch die ihn die Phantasie der Baumeister seit zwei Jahrhunderten überladen hatte, mit allen Chorbauten seiner Kapellen, allen Zinnen seiner Galerien, den zahllosen Wetterfahnen nach allen vier Winden und mit den beiden hohen, dicht aneinanderstoßenden Thürmen, deren kegelförmiges, am Rande mit Schießscharten rings eingefaßtes Dach ihnen das Ansehen von spitzen Hüten gab, deren Krempe aufwärts gebogen ist.

Der Glöckner von Notre Dame

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