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XIII. Der kleine Gervais

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Jean Valjean eilte aus der Stadt hinaus, als hätte er Verfolger auf den Fersen, ins Freie, auf den Wegen und Pfaden, die sich ihm gerade darboten, ohne zu merken, daß er jeden Augenblick eine Strecke wieder zurückging. So irrte er den ganzen Vormittag umher, ohne zu essen und Hunger zu fühlen. Eine Menge neuer Empfindungen erhielten ihn in der heftigsten seelischen Aufregung. Er empfand zunächst eine Art Aerger, ohne zu wissen gegen wen. Auch hätte er nicht angeben können, ob er gerührt sei oder sich gedemüthigt fühle. Hin und wieder überkam ihn eine weichere Stimmung, gegen die er indeß ankämpfte mit seiner im Laufe von neunzehn Jahren zur Gewohnheit gewordnen Herzenshärte. Die Festigkeit der Ueberzeugungen, die Unglück und Ungerechtigkeit in ihm gezeitigt hatten, und seine finstre Entschlossenheit zum Bösen war erschüttert, und er fragte sich, wie er sie stützen werde. Manchmal wünschte er, die Gendarmen hätten ihn wieder ins Zuchthaus abgeführt, und daß es anders gekommen wäre; das hätte ihn nicht so erregt. Außerdem quälten ihn noch Erinnerungen an seine Kindheit, die durch den Anblick der Herbstblumen in den Hecken in ihm geweckt wurden. Wie lange war es her, daß er an diese Zeit nicht mehr gedacht hatte!

So häuften sich in seinem Geiste den ganzen Tag über unsäglich viele, ihm unverständliche Gefühle und Gedanken.

Als die Sonne zur Rüste ging, und schon die windzigsten Steinchen lange Schatten warfen, saß Jean Valjean hinter einem Strauch auf einer großen, öden Ebene. Am Horizont sah man nur die Alpen. Weit und breit nicht einmal ein Kirchthurm. Jean Valjean mochte ungefähr zwölf Kilometer von Digne entfernt sein. Einige Schritte von dem Strauch, wo er saß, war ein Fußsteig, der die Ebene durchquerte.

Während er hier sich mit seinen bösen Gedanken herumschlug, hörte er plötzlich fröhlichen Gesang.

Den Pfad entlang kam ein etwa zehnjähriger Knabe, ein Savoyarde mit dem üblichen Leierkasten und Murmelthier, einer von jenen gutmüthigen und vergnügten Jungen, die in zerlumptem Aufzuge von Land zu Land wandern.

Während er sang, unterbrach der Kleine von Zeit zu Zeit seinen Marsch und spielte Knöchelchen mit einigen Geldstücken, die wahrscheinlich sein ganzes Vermögen ausmachten. Darunter befand sich auch ein Zweifrankenstück.

Der Kleine blieb, ohne Jean Valjean zu bemerken, neben dem Strauch stehen und warf die Geldstücke, die er bisher immer sehr geschickt mit dem Rücken der Hand gefangen hatte, wieder in die Höhe.

Aber dies Mal entwischte ihm das Zweifrankenstück und rollte bis zu der Stelle hin, wo Jean Valjean saß. Dieser setzte den Fuß darauf.

Indessen war der Kleine dem Geldstück mit dem Blicke gefolgt und hatte ihn bemerkt.

Er that nicht verwundert und ging gerade auf ihn zu.

Es war eine vollständig menschenleere Gegend. So weit die Blicke reichten, weder in der Ebene noch auf dem Pfade war Jemand zu sehen. Man hörte nur das schwache Geschrei einer Schaar Zugvögel, die hoch oben am Himmel vorüberzogen. Der Kleine stand da, den Rücken der Sonne zugewendet, die sein Haar goldig durchflutete und Jean Valjeans grimmiges Gesicht blutroth bestrahlte.

Mit der aus Unkenntnis der Menschen und Unschuld zusammengesetzten Vertrauensseligkeit der Kindheit bat der Savoyarde: »Bitte um mein Zweifrankenstück.«

»Wie heißt Du?« fragte Jean Valjean.

»Der kleine Gervais.«

»Mach, daß Du fortkommst!«

»Geben Sie mir mein Zweifrankenstück wieder.«

Jean Valjean senkte den Kopf und antwortete nicht.

Der Kleine fing wieder an:

»Mein Zweifrankenstückl«

Jean Valjeans Augen blieben zur Erde gesenkt.

»Mein Zweifrankenstückl Mein Geld! Mein Geld!« schrie der Junge wieder.

Es war, als hörte Jean Valjean nicht. Der Kleine packte ihn am Kragen, schüttelte ihn und quälte sich, den groben, eisenbeschlagnen Schuh, der auf sein Geldstück drückte, wegzuschieben.

»Ich will mein Geld wiederhaben!«

Der Kleine weinte. Da hob Jean Valjean den Kopf wieder empor, blieb aber sitzen. Seine Augen waren trübe. Er betrachtete den Knaben mit einer Art Verwundrung, griff nach seinem Stock und schrie mit fürchterlicher Stimme: »Wer ist da?«

»Ich!« antwortete der Kleine. »Ich, der kleine Gervais. Ich! Ich! Bitte, geben Sie mir mein Zweifrankenstück wieder! Bitte, nehmen Sie Ihren Fuß weg!«

Jetzt gerieth der kleine Kerl in Wuth und drohte beinahe:

»Werden Sie bald Ihren Fuß wegnehmen? Vorwärts! Den Fuß weg!«

»Was! schrie jetzt Jean Valjean und stand plötzlich auf. Bist Du immer noch da? Willst Du wohl machen, daß Du fortkommst?«

Erschrocken sah der Knabe ihn an, fing an am ganzen Leibe zu zittern und rannte dann, nachdem er einige Sekunden wie angedonnert da gestanden, aus Leibeskräften davon, ohne sich umzuwenden oder einen Schrei auszustoßen.

Als er aber eine Strecke gelaufen war, zwang ihn die Ermüdung langsamer zu gehen, und Jean Valjean, obschon wieder in Grübeleien versunken, hörte ihn schluchzen.

Nach einigen Minuten war der Kleine verschwunden.

Unterdessen war die Sonne untergegangen, und es dunkelte. Jean Valjean hatte den ganzen Tag nichts gegessen; wahrscheinlich hatte er das Fieber.

Er hatte sich, seitdem der Knabe davon gerannt war, nicht vom Flecke gerührt. Sein Athem ging langsam und ungleich. Seine Augen waren tiefsinnig auf eine blaue Scherbe gerichtet, die zehn bis zwölf Schritte von ihm, im Grase lag. Plötzlich schauerte er zusammen; die Abendkälte hatte sich ihm bemerklich gemacht.

Er drückte die Mütze wieder auf seine Stirn, machte eine mechanische Bewegung, um seinen Kittel zuzuknöpfen, trat einen Schritt vor und bückte sich, um seinen Stock von der Erde aufzuheben.

In diesem Augenblick gewahrte er das Zweifrankenstück, das sein Fuß halb in die Erde hineingetreten, und das unter den Kieseln hervorglänzte.

Der Anblick wirkte auf ihn wie ein elektrischer Schlag. – »Was ist denn das?« stieß er zwischen den Zähnen hervor, fuhr drei Schritte zurück, blieb dann stehen und konnte seinen Blick nicht losmachen von jenem Punkte, auf dem sein Fuß so eben geruht hatte, als wenn das Ding, das da in der Dunkelheit glänzte, ein auf ihn geheftetes Auge gewesen wäre.

Nach einigen Minuten stürzte er sich konvulsivisch auf das Geldstück, raffte es auf, richtete sich rasch empor und schaute sich nach allen Seiten in der Ebene um, mit wilden Blicken, wie ein geängstigtes Reh, das einen Zufluchtsort sucht.

Aber er sah nichts. Die Nacht rückte näher, und auf der kalten, wüsten Ebene stiegen im fahlen Dämmerlicht violette Dünste empor.

»Ach!« rief er, eilte auf und davon, in der Richtung, wo der kleine Savoyarde seinen Blicken entschwunden war. Nach dreißig Schritten hielt er inne, ließ seine Blicke wieder nach allen Seiten umherschweifen und sah wieder nichts. »Kleiner Gervais! Kleiner Gervais! schrie er nun mit der ganzen Kraft seiner Lunge.«

Keine Antwort.

Seine Stimme verhallte ohne Wirkung in dein weiten, leeren Raum.

Ein eisiger Wind begann zu wehen und lieh den Dingen um ihn eine Art Leben, das etwas Grausiges hatte. Die Zweige der Bäume glichen mageren Armen, die wüthende Geberden machten.

Er marschierte weiter, setzte sich dann wieder in Trab, blieb ab und zu still stehen und schrie mit furchtbarer, angstvoller Stimme in die Oede hinein: »Kleiner Gervais! Kleiner Gervais!«

Hätte der Knabe ihn auch gehört, so würde er sich gefürchtet und sich nicht gezeigt haben. Aber er war gewiß schon weit fort.

Endlich begegnete er einem Priester, der des Weges geritten kam. Jean Valjean ging auf ihn zu und fragte ihn:

»Herr Pfarrer, haben Sie einen Jungen vorbeikommen sehen?«

»Nein,« sagte der Priester.

»Einen gewissen Gervais?«

»Ich habe Niemand gesehen.«

Er langte zwei Fünffrankenstücke aus seiner Geldtasche und gab sie dem Priester.

»Herr Pfarrer, nehmen Sie dies für Ihre Armen. – Herr Pfarrer, ein kleiner Junge, ungefähr zehn Jahre alt, mit einem Murmelthier glaube ich, und einem Leierkasten. Ein Savoyarde, wissen Sie?«

»Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Der kleine Gervais? Ist er nicht aus dieser Gegend? Können Sie's mir nicht sagen?«

»Wenn es so ist, wie Sie sagen, so ist er ein Fremder; die ziehen blos so durch, und Niemand kennt sie.

Jean Valjean griff heftig nach zwei andern Fünffrankenstücken und gab sie dem Priester.

»Für Ihre Armen!«

Dann schrie er wie ein Irrsinniger:

»Herr Abt, lassen Sie mich arretieren. Ich bin ein Dieb.« Der Priester gab seinem Pferde die Sporen und ritt sehr erschrocken davon.

Jean Valjean eilte in der Richtung weiter, die er zuerst eingeschlagen hatte.

Auf diese Weise legte er eine große Strecke zurück, indem er sich fortwährend umsah, rief und schrie, aber er begegnete Niemandem. Zwei oder drei Mal rannte er auf etwas zu, das wie ein liegender oder hingekauerter Mensch aussah; aber es war nur Gestrüpp oder große Steine. Endlich blieb er an einem Kreuzweg stehen. Er ließ im Mondenlicht seine Blicke weithin schweifen und rief zum letzten Mal: »Kleiner Gervais! Kleiner Gervais! Kleiner Gervais!« Sein Ruf verhallte im Nebel, ohne auch nur ein Echo zu wecken. Dann rief er wieder, aber mit schwacher, kaum artikulierter Stimme: »Kleiner Gervais!« Es war die letzte Kraftanstrengung, der er fähig war; seine Kniegelenke knickten plötzlich unter ihm zusammen, als ob eine unsichtbare Macht ihn urplötzlich mit der Last seines bösen Gewissens niederdrücke; er sank erschöpft auf einen großen Stein nieder, die Fäuste in den Haaren und das Gesicht auf den Knieen, und rief: »Ich bin ein Elender!«

Dann lief sein übervolles Herz über und er fing an zu weinen. Es war das erste Mal seit neunzehn Jahren. –

Als Jean Valjean von dem Bischof entlassen worden war, fand er sich, wie schon erzählt, in eine neue Gedankenwelt versetzt. Er konnte sich nicht klar darüber werden, was in seiner Seele vorging. Er steifte sich hartnäckig gegen die christliche Milde des Bischofs. »Sie haben mir versprochen ein ehrlicher Mensch zu werden. Ich kaufe Ihnen Ihre Seele ab. Ich entziehe sie dem Geist des Bösen und weihe sie dem lieben Gott.« Diese Worte klangen ihm unablässig in den Ohren. Er setzte dieser himmlischen Nachsicht den Stolz entgegen, der gleichsam ein Bollwerk des Bösen in unserm Herzen ist. Er hatte eine gewisse Ahnung, daß die Verzeihung dieses Priesters der gefährlichste Angriff sei, den seine bösen Grundsätze bis jetzt auszuhalten gehabt hatten; daß seine Herzenshärte für immer die Oberhand behalten würde, wenn er dieser Milde Widerstand leistete; daß, wenn er nachgebe, er dem langjährigen Haß entsagen müsse, von dem sein Herz erfüllt war, und in dem er sich gefiel; daß er dieses Mal siegen oder besiegt werden müsse, und daß der Kampf zwischen seiner Bosheit und der Güte jenes Mannes ein gewaltiger und entscheidender sein werde.

Von diesem neuen Gedanken erleuchtet, ging er wie ein Betrunkner, mit verstörten Augen, einher. Hatte er wohl einen deutlichen Begriff von dem Endresultat, das sein Erlebniß in Digne für ihn haben könnte? Flüsterte ihm eine Stimme zu, daß die Entscheidungsstunde seines Schicksals geschlagen habe, daß es für ihn keinen Mittelweg mehr gab, daß, wenn er fortan nicht der beste Mensch sein wolle, er der allerschlechteste sein werde, daß er sich zu noch höherer Vollkommenheit emporschwingen müsse, als der Bischof, oder noch tiefer sinken, als ein Zuchthäusler.

Wieder drängen sich hier Fragen auf, die uns schon früher beschäftigt haben: Zog eine auch nur schattenhafte Ahnung von diesem Entweder – Oder durch seine Seele? Allerdings erzieht das Unglück den Verstand; indessen ist es zweifelhaft, ob Jean Valjean im Stande war, sich zu lichtvoller Klarheit über die erwähnten Punkte hindurchzuringen. Falls er diese Gedanken überhaupt hatte, so boten sie sich ihm in undeutlichen Umrissen dar und beunruhigten, quälten ihn nur. Als er der Finsterniß des Zuchthauses entronnen war, hatte der Bischof seiner Seele weh gethan, wie ein zu helles Licht den Augen wehethut. Das höhere Leben, das er fortan leben sollte, machte ihn zittern und zagen. Er wußte wirklich nicht mehr, woran er war. Wie eine Nachteule, die plötzlich die Sonne aufgehen sieht, so war der ehemalige Sträfling durch die Tugend geblendet.

So viel ist sicher, – obschon er selbst es nicht inne wurde, – daß er schon nicht mehr derselbe Mensch daß alles in ihm verändert war, daß er den empfangenen Eindruck nicht mehr aus seinem Geiste verwischen konnte.

In dieser Gemüthsverfassung war er dem kleinen Gervais begegnet und hatte ihm seine zwei Franken geraubt. Das Warum hätte er sicherlich selber nicht angeben können. War es die letzte Nachwirkung, die letzte Gegenwehr der schlechten Grundsätze, die er aus dem Zuchthaus mitgebracht, was man in der Statik die erworbene Kraft nennt? Dies war es in der That oder etwas noch Schlimmeres. Einfach ausgedrückt, nicht er hatte das Geldstück geraubt, nicht der Mensch, sondern die Bestie in ihm hatte aus Gewohnheit und Instinkt den Fuß darauf gesetzt, während sein klügeres Ich mit den neuen Ideen qualvoll rang. Als sein besseres Ich erwachte und sah, was die Bestie gethan hatte, fuhr Jean Valjean schaudernd zurück und schrie auf vor Entsetzen.

Denn sonderbarer Weise und nur weil er sich gerade in dieser Seelenstimmung befand, hatte er, indem er dem Knaben das Geldstück vorenthielt, etwas gethan, dessen er schon nicht mehr fähig war.

Wie dem auch sei, – diese letzte, schlechte Handlung übte auf ihn eine entscheidende Wirkung aus. Sie fuhr plötzlich durch das Chaos, das in seinem Geiste herrschte, hindurch und fegte es weg, sonderte das Dunkel und das Licht, wie die chemischen Reagentien, die eine trübe Mischung klären, indem sie ein Element niederschlagen und von dem andern trennen.

Im ersten Augenblick, noch ehe er sich prüfte und überlegte, bemühte er sich in sinnloser Angst, wie Einer, der sich aus einer Gefahr retten will, den Knaben wieder einzuholen, um ihm das Geld wiederzugeben; dann, als er erkannte, daß dies vergeblich und unmöglich war, erfüllte ihn die qualvollste Verzweiflung. Jetzt wurde er inne, was für ein Mensch er gewesen, jetzt hatte er sich schon von seinem frühern Ich geschieden, das ihm so zu sagen, wie eine Spukgestalt gegenüberstand. Es war ihm, als sehe er jetzt den ehemaligen Jean Valjean leibhaftig vor sich, mit dem Stock in der Hand, dem Kittel, dem Tornister mit den entwendeten Sachen, dem entschlossenen, finstern Gesicht und dem Zukunftsplan im Kopfe.

Das Uebermaß des Unglücks hatte ihn, wie schon bemerkt, gewissermaßen hellseherisch gemacht, und sein Hirn befand sich in jenem Zustand gewaltsamer Aufregung, wo die Phantasie die Wirklichkeit verdrängt. Man sieht dann nicht mehr die Gegenstände, die man vor sich hat, sondern es projicieren sich umgekehrt die, von der eignen Einbildungskraft erzeugten Gestalten nach außen.

Er betrachtete sich also, so zu sagen, von Angesicht zu Angesicht; zu gleicher Zeit erschaute er aber, durch die Erscheinung hindurch, in einer unergründlichen Tiefe ein Licht, das ihm anfangs von einer Fackel auszustrahlen schien. Als er dieses Licht aufmerksamer ansah, nahm es Menschengestalt an und er erkannte den Bischof.

Diese beiden, so nebeneinander gestellten Menschen, den Bischof und Jean Valjean verglich nun sein Gewissen, und allmählich, vermöge einer Eigenthümlichkeit derartiger Extasen, wuchs die Gestalt des Bischofs und erstrahlte in herrlicherem Glanze, während der ehemalige Jean Valjean abnahm, verblich und endlich ganz verschwand.

Da brach Jean Valjean in Thränen aus. Er weinte heiße Thränen und schluchzte, wie ein schwaches Weib, wie ein erschrocknes Kind.

Während er weinte, wurde es heller und heller in seinem Gehirn. Sein vergangenes Leben, sein erstes Vergehen, seine lange Haft, seine Verthierung und Verstockung, seine Rachepläne, seine Begegnung mit dem Bischof, was er zuletzt verbrochen, die feige und schändliche Entwendung des Zweifrankenstücks, nachdem ihm der Bischof Böses mit Gutem vergolten, alles dieses trat ihm vor die Seele, mit einer Klarheit, wie er sie bisher noch nie gekannt hatte. Er überschaute sein Leben und empfand Entsetzen; seinen moralischen Menschen und er erschrak. Gleichwohl milderte ein sanftes Licht diese Schrecknisse: Ihn dünkte, er sehe Satan überstrahlt von dem Glanz des Paradieses.

Wie viele Stunden er so weinte, was er nachher that, wo er hinging, hat man nie in Erfahrung bringen können. Nur eine sicher konstatierte Thatsache können wir melden: In derselben Nacht sah ein Fuhrmann, der von Grenoble um drei Uhr Morgens nach Digne kam, vor dem bischöflichen Hause im Schatten einen Mann knieen und beten.

Les Misérables / Die Elenden

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