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Kapitel 1

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Zufrieden saß Bernd Tessendorf an diesem spätsommerlichen Morgen auf seinem Rasenmäher und tuckerte gemächlich auf der Hauptallee des Großen Gartens entlang.

Es war noch sehr früh, nur vereinzelte Radfahrer kamen auf dem Weg zur Arbeit an ihm vorbei.

Gerade erst war die Sonne aufgegangen, ein blutroter Ball, der den Park in ein märchenhaftes Licht tauchte und den Frühnebel über den Rasenflächen und Blumenrabatten in einen rosafarbenen Dunstschleier verwandelte. Tessendorf liebte diese Stimmung, wenn alles zum Leben erwachte – von der Kühle und der Feuchtigkeit der Nacht erfrischt. Noch lag der Morgentau auf den dunkelgrünen, lederartigen Blättern der Rhododendren, aber bald schon würden sie sich gegen die sengenden Sonnenstrahlen und die seit einigen Tagen in Dresden herrschende unbarmherzige Hitze zur Wehr setzen müssen. So wie die Menschen, die hier spätnachmittags nach getaner Arbeit im Schatten der großen Bäume Erholung und Abkühlung suchten.

Der Gärtner sog die duftende, belebende Morgenluft tief in seine Lungen und dachte wieder einmal daran, was für einen schönen Beruf er doch hatte. Den ganzen Tag an der frischen Luft zu sein, sich um die Blumen, Sträucher und Bäume zu kümmern, sie zu stutzen oder auszudünnen, je nachdem was erforderlich war, erfüllte ihn mit tiefster Zufriedenheit. Nie könnte er in einem dieser grässlichen Büros arbeiten, eingesperrt wie ein Gefangener. Das war nichts für ihn.

Er freute sich auf seine heutige Aufgabe: Er hatte die Rasenflächen rund um das Barockpalais zu mähen. Mit dem Streifen in Richtung Palaisteich wollte er beginnen.

Langsam näherte er sich der Teichanlage, dort, wo sich die Hauptallee in zwei Wege gabelte, die den Teich rechts und links einrahmten. Für einen kurzen Moment spiegelte sich die aufgehende Sonne feuerrot in den Fenstern des ehemaligen Lustschlösschens und erweckte es so mit einem Mal zum Leben.

Fasziniert betrachtete der Mann auf dem Rasenmäher dieses Schauspiel, das er schon oft beobachtet hatte und das ihm jedes Mal die Illusion schenkte, ein rauschendes Fest würde im Palais gefeiert, mit Hunderten Kerzen, die das Innere des Prachtbaus erstrahlen ließen. So plötzlich, wie die unzähligen Fenster aufgeflammt waren, erloschen sie jedoch auch wieder, als sich eine einzelne Wolke vor die Sonne schob. Ein Schwanenpaar zog langsam und elegant seine Runden durch das glatte Wasser, das heute wie ein kristallener Spiegel vor Bernd Tessendorf lag.

Mittlerweile hatte er das schmale Rasenstück erreicht, mit dem er starten wollte, und ließ den Mäher an, der das Gras auf die vorgeschriebene Länge kürzte. Diese Tätigkeit konnte er inzwischen fast im Schlaf verrichten.

Nach wenigen Minuten hatte er das Ende der Grün-fläche erreicht, wo sich die Hauptallee unmittelbar vor dem Palais wieder zu einem Platz vereinte, der zu einer Freitreppe führte. Tessendorf schaute auf die rechte Rasenkante, um zu kontrollieren, ob der Mäher das Gras vollständig erwischt hatte, wobei sein Blick unvermittelt an einem dunklen Fleck auf dem hell asphaltierten Weg hängenblieb. Seine Form schien zu einer der vier Brühlschen Sockelvasen zu weisen, die die Ecken des Palais-teiches markierten.

Beinahe automatisch glitt der Blick des Gärtners die übermannshohe Sandsteinvase empor. Sie sah anders aus als sonst. Eine ungewohnte Rundung war an der Stelle zu sehen, wo sich normalerweise ihre Öffnung befand.

Mit einem energischen Handgriff schaltete der Gärtner seinen Mäher aus und näherte sich irritiert der Vase. Wieder blickte er auf den dunklen, eingetrockneten Fleck vor ihm auf dem hellen Boden, dann sah er zu dem seltsamen runden Ding hoch oben in dem steinernen Gefäß hinauf. Es war hell und von unebener Kontur, nicht sehr groß, in etwa wie ein Fußball.

Nicht nur aus Neugierde wollte er wissen, was dort in der Vase lag. Es war auch seine Pflicht nachzuschauen, was das Schmuckstück so verunstaltete. Vielleicht wieder einer dieser üblen Scherze von angetrunkenen oder bekifften Jugendlichen?

Er lief zu dem linken der beiden Kavaliershäuser, die das Palais auf dieser Seite flankierten. An der rückwärtigen Seite des Gebäudes stand eine Leiter, die von ihm und seinen Kollegen jederzeit benutzt werden konnte.

Mit klopfendem Herzen lehnte er sie an den steinernen Sockel und stieg nach oben.

Vor Entsetzen wäre er beinahe wieder heruntergefallen. Ein markerschütternder Schrei entwich Bernd Tessendorfs Kehle. Er schlug die Hand vor den Mund und verlor um Haaresbreite das Gleichgewicht, als ihn ein heftiger Schwindel erfasste und ihm die Beine auf der Leiter einzuknicken drohten. Kalter Schweiß brach ihm aus, während er am ganzen Leib zitternd die Leiter wieder hinunterkletterte. Auf der vorletzten Stufe rutschte er ab und fiel rücklings auf den Asphalt.

Benommen und noch immer wie Espenlaub zitternd kroch er auf allen Vieren zu dem Rasenstück, das er kurz vorher gemäht hatte. Dort setzte er sich hin, wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete einmal tief durch, bevor er zuerst die Polizei und anschließend seinen Chef anrief. Dann erbrach er sich.

Kopflos in Dresden

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