Читать книгу Die Empathin I - Viktoria Vulpini - Страница 7
ОглавлениеKAPITEL 1
Zärtlich fuhren ihre Finger über den Pelz des Katers. Kamilla genoss dieses unglaublich seidige Fell, das man ihres Wissens nach nur bei dieser exotischen Rasse fand. Er hatte es sich mittlerweile laut schnurrend auf ihrem Schoß bequem gemacht und blickte sie hin und wieder aus großen, grünen Augen an. Balu, so hieß dieses Prachtexemplar von einem Bengalkater, war ein äußerst lieber und vor allem ruhiger Vertreter seiner Rasse, doch trotzdem hatte Frau Reichelt einige Schwierigkeiten mit ihrem heiß geliebten Tier. Das Problem war eines der weit verbreitetsten Probleme überhaupt, vor allem in ihrem Beruf. Auch Frau Reichelt hatte es vor dem Kauf des Tieres verpasst, sich ausreichend über das Tier, seine Bedürfnisse und Eigenarten zu informieren. Es war somit auch nicht weiter verwunderlich, dass das Zusammenleben zwischen ihr und ihrem geliebten Balu nicht so sorgenfrei war, wie sie es sich wünschte. Dies war auch der Grund, aus dem Kamilla nun hier war und sich bei einer Tasse gutem, englischem Earl Grey Tea von den Schwierigkeiten berichten ließ. Das war ihr Job. Sie wurde immer dann gerufen, wenn jemand mit seinen Haustieren Probleme hatte, Hilfe benötigte und nicht bereit war, einfach aufzugeben und das Tier in einem Tierheim, oder an eine andere Person abzuschieben. Prinzipiell konnte Kamilla mit fast allen Säugetieren, Vögeln und einigen Echsen arbeiten, aber am liebsten beschäftigte sie sich mit Katzen. Der Grund hierfür lag ganz einfach in deren Besitzern. Diese waren in der Regel einfacher von notwendigen Änderungen zu überzeugen, als zum Beispiel Hundebesitzer. Von Katzen erwartete man eigentlich nie, dass sie sich an den Menschen anpassten, im Gegensatz zu allen anderen Tierarten. Vor allem die Hundebesitzer waren teilweise schrecklich uneinsichtige Wesen und oft nicht bereit, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass sie einen Fehler im Umgang mit dem Tier machten. Das war der Grund, wieso sich Kamilla auf Katzen spezialisiert hatte.
Sie nahm einen kurzen Schluck aus ihrer Teetasse und begann dann, die sichtlich verzweifelte und besorgte Frau mit der Perlenkette und der Strickjacke in zartem Fliederton zu beruhigen: „Ihrem Balu geht es gut, ich finde keine Hinweise auf eine Krankheit oder eine Störung.” Sie konnte deutlich sehen, wie die ältere Dame aufatmete und ihr offenbar ein Stein vom Herzen fiel. Schnell fuhr sie fort: „Ihm ist lediglich langweilig. Bengalen sind in der Regel sehr anhängliche Tiere, denen das Alleinsein einfach nicht liegt. Sie sind, im Gegensatz zu vielen anderen Rassen, sehr intelligent, sozial und äußerst aktiv. Diese Verhaltensweisen führen dazu, dass man ihnen kaum genug Zeit widmen kann, um sie wirklich permanent bei Laune zu halten. Dazu kommt, dass Balu ein Kater ist und gerade diese neigen dazu, auch einmal handfest spielen und balgen zu wollen. Quasi als Ausgleich zu ihrem sonst ruhigen und sehr kuscheligen Charakter.” Bei diesen Worten musste Kamilla lächeln, denn der Kater schnurrte wie ein Traktor und machte keine Anstalten, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. „Das fehlt ihrem Balu.”
Nun sah Frau Reichelt etwas betroffen aus, wirkte aber nur wenig überrascht über das Gesagte und Kamilla ahnte auch schon, dass ihr diese Informationen nicht neu waren. Eigentlich war es immer die selbe Geschichte. Die Menschen suchten sich eine Rasse aus, gingen zu einem Züchter, wurden von diesem in der Regel auch richtig und gut über die Besonderheiten des Wunschtieres informiert, aber letztendlich glaubte der Käufer es, dann doch besser zu wissen, und so nahm die Misere dann jedes Mal ihren Anfang. In sieben von zehn Fällen war dies so und Kamilla glaubte auch nicht mehr daran, dass sich an diesem Verhalten jemals etwas ändern würde. Vermutlich hatte der Züchter, von dem Balu kam, Frau Reichelt dies auch schon alles erklärt und auch sie hatte es nur für eine Masche gehalten, um zu erreichen, dass ein weiteres Tier gekauft würde. Natürlich war dies nie ganz auszuschließen, aber Kamilla kannte einige Züchter und wusste, dass ihr Ruf wesentlich schlechter war, als nötig. Viele von ihnen waren total verrückte Katzennarren, die für ihre Tiere genauso viel empfanden, wie für ihre eigenen Kinder. Die wenigsten von denen, die sie kannte, verdienten damit wirklich Geld. Eher im Gegenteil. Die kostspielige hochwertige Ernährung, die Tierarztkosten, vor allem der Vorsorgeuntersuchungen, fraßen die Einnahmen in der Regel vollständig auf. Doch die breite Masse der Nicht-Züchter sah immer nur den Kaufpreis und schloss daraus, dass sich die besagten Züchter eine goldene Nase verdienten. Natürlich gab es auch immer wieder schwarze Schafe, aber von denen sollte man, Kamillas Meinung nach, sowieso keine Tiere kaufen. Zum Glück hatte sie wenig mit solchen Käufern zu tun, denn wer ein Tier bei einem Hinterhofzüchter kaufte und fest im Geiz ist Geil denken verwurzelt war, der gab seine Tiere in der Regel einfach ab und machte sich nicht die Mühe, sich professionelle Hilfe zu holen. Schließlich ging es ja nur um ein Tier, ein Gedankengang, den sie weder teilte, noch wirklich nachvollziehen konnte und der, wenn man ihn in ihrer Gegenwart aussprach, schon mal zu bissigen Kommentaren ihrerseits führen konnte. Kamilla schob diese Gedanken bei Seite und konzentrierte sich wieder auf Frau Reichelt, die in Gedanken versunken ihren Kater anblickte, der sich immer noch kraulen und nicht im Ansatz vermuten ließ, dass er einen Unsinn nach dem anderen anstellte, um sich zu beschäftigen. Sie gab der Frau Zeit, der Gesprächsteil, der nun folgte, war so etwas wie Routine geworden.
„Mmh, dann wäre es sicher das Beste, wenn ich ihm eine Freundin besorge”, sagte die Dame mit einem offensichtlich schlechtem Gewissen.
„Besser wäre ein weiterer Kater. Balu will raufen und balgen, die meisten Kätzinnen sind eher die Bällchenspieler. Glauben sie mir, wenn sie ihm eine Freundin holen, haben sie vermutlich in wenigen Wochen wieder Ärger, weil die beiden sich gegenseitig nerven”, erklärte Kamilla. „Wenn es denn unbedingt eine Kätzin sein soll, dann sollten sie eine aussuchen, die so ein richtiges, kleines Wildschwein ist. Schließlich sollen die beiden ja füreinander eine Bereicherung sein und kein Frustfaktor.”
Frau Reichelt strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und gab einen nachdenklichen Laut von sich. „Sie meinen also, ein zweiter Kater würde funktionieren? Ich meine, man sagt doch, dass Kater sich nicht verstehen und Rivalitäten will ich hier auf keinen Fall haben.”
Auch das war ein Vorurteil, welches Kamilla nur zu gut kannte. In diesem Moment unterbrach sie das Streicheln, denn sie spürte, dass der Kater sonst gleich versuchen würde mit ihrer Hand zu raufen und das wollte sie vermeiden, nachdem sie ja schon wusste, dass er dabei nicht gerade vorsichtig war. Vermutlich war er auch einfach nur etwas tollpatschig, doch sie hatte wenig Interesse daran, sich einige blutige Striemen einzufangen. „Kater haben nur dann Probleme miteinander, wenn sie potent sind, also unkastriert. Aber ihr Balu ist kastriert und ich denke auch, ein zweiter Kater würde auch kastriert werden.”
Die Frau nickte sofort sehr eifrig und Kamilla hatte schon eine klare Vorstellung von dem, was passiert war, bevor die Frau zu berichten begann: „Oh, ganz sicher! Ich habe bei Balu etwas zu lange gewartet und er hatte angefangen zu markieren.” Sie runzelte angewidert die Nase. „Das will ich kein zweites Mal erleben!”
Balu unterdessen war enttäuscht darüber, dass sie offenbar auch nicht mit ihm balgen wollte, und sie konnte beinahe sehen, wie es in seinem Kopf zu arbeiten begann. Bevor er jedoch irgendeinen Unsinn anstellen konnte, griff sie nach der Spielangel, die unweit entfernt lag, und lenkte seinen Spieltrieb auf die bunten Federn, die an einer Schnur hingen. Diesem Spielzeug konnte kaum eine Katze widerstehen. „Das kann ich mir gut vorstellen, Frau Reichelt.” Sie war nur kurz bei diesen Worten unachtsam gewesen und nun zog sich der Kater, der die Federn passend erwischt hatte, mit der gesamten Spielangel brummend in eine Ecke zurück. Kamilla musste lachen. Dies war noch so eine Eigenart der Bengalen, die oft missverstanden wurde. Zufrieden saß der Kater an seiner Beute rumspielend in der Ecke, knurrte hin und wieder wie ein Hund und war für den Moment, offensichtlich rundum zufrieden. Kater waren so einfach zufriedenzustellen.
„Gut, dann werde ich mich wohl am Besten noch einmal bei dem Züchter melden, von dem ich Balu habe und sehen, ob ich dort einen Spielgefährten für ihn bekomme.” Die Frau sah voller Zuneigung zu ihrem Kater hinüber. Er war wirklich ein ausgesprochen hübsches Exemplar. Wie bei Bengalen üblich sah er aus, wie ein kleiner Leopard. Sein Unterton war ein helles Braun, die Rosetten von einem kräftigen Schwarz umrahmt und selbst gefüllt von einem satten Braunton. Doch das Äußerliche faszinierte Kamilla nicht so sehr, wie der Charakter und die Intelligenz dieser Katzen.
„Das wird das Problem mit Balu sicher klären”, stimmte sie ihr zu. Kamilla behauptete dies nicht nur, nein, sie wusste es. Schon seit sie denken konnte, verstand sie Tiere viel besser als jeder andere Mensch. Sie nahm Dinge wahr, die kein anderer wahrnehmen konnte. Manchmal konnte sie Bilder sehen, manchmal waren es Stimmungen, die sie auffing, wie eine Antenne Radiowellen, seltener auch so etwas wie Gedankenfetzen, so man wirklich von Gedanken sprechen wollte und ganz selten war das alles so intensiv, dass sie nicht sicher unterscheiden konnte, ob es fremde oder ihre eigenen Gefühle und Gedanken waren. Schließlich war es aber genau das, was sie in ihrem Job so gut machte. Sie konnte sich in die Tiere hineinfühlen, konnte mit ihnen auf einer Art kommunizieren, die für die meisten Menschen nicht zu begreifen war und sie liebte diese Gabe. Natürlich fanden die meisten Erwachten sie todlangweilig, neben Leuten die Kreaturen beschwören, Artefakte erstellen oder sogar an Hauswänden hochklettern konnten, als wären sie Spiderman persönlich, war das nicht weiter verwunderlich, aber sie fand, es gab keine Gabe, die besser zu ihr gepasst hätte, als diese.
Sie beantwortete ihrer Klientin noch einige Fragen und trank nebenbei ihren Tee aus, bevor sie zum Abschied noch einmal Balu knuddelte, der neugierig maunzend in den Flur gelaufen kam, um zu sehen, was los war. Danach machte sie sich auf den Weg nach Hause. Es war ein wunderschöner Mainachmittag, die Sonne stand hoch am klaren, blauen Himmel und die Vögel zwitscherten lautstark in den Bäumen, die entlang der Straße wuchsen und wie kleine grüne Oasen in der sonst grau-tristen Stadtlandschaft wirkten.
Kamilla brauchte zu Fuß gute zwanzig Minuten, dann erst erreichte sie das Haus, in dem sie, neben einer anderen Familie mit einigen Kindern, wohnte. Ihr Auto stand, wie so oft, in der Garage. Wann immer möglich, nutzte sie die Wege zu ihren Terminen, um die frische Luft zu genießen und die Stadt, die ihr so vertraut war, zu erkunden. Ein kleines, braunhaariges Mädchen mit einer Schokoladenschnute grüßte sie freundlich und sie erwiderte den Gruß. Es war eines der Kinder, das auch in ihrer Straße wohnte, dessen Namen sie aber nicht kannte. Sie stieg die Treppe hinauf, schloss ihre Wohnungstür auf und trat in das kleine Wohnzimmer, welches sich direkt dahinter befand. Die Wohnung war nicht groß, bestand eigentlich nur aus einem Wohnzimmer mit offenem Küchenbereich, einem kleinen Badezimmer, in dem sich neben einer Toilette noch eine Badewanne und ein Waschbecken quetschten, und einem kleinen Schlafzimmer.
Neben der Tür gab es einen Haken an der Wand, an den sie ihre Jacke hängte. Darunter, auf einer eigens dafür dort liegenden Matte, stellte sie ihre Schuhe ab. Dann ging sie zum Kühlschrank, holte sich eine Birne heraus, schnappte sich einen Teller und ein Messer und ging zu der kleinen, hellbraunen Couch, die sich vor einen relativ großen Fernseher drängte, der an der Wand zwischen den beiden Fenstern hing. Ein wohliges Gefühl überkam sie. Dies hier war ihr Nest. So zumindest nannte sie ihre Wohnung, wenn sie mit jemanden darüber sprach. Sie hatte sie so behaglich und gemütlich, wie nur irgend möglich eingerichtet und somit gab es nichts, was sie störte.
Den Fernseher ließ sie ausgeschaltet und widmete sich stattdessen lieber mit all ihrer Aufmerksamkeit der Birne, die auf dem Teller lag und wahnsinnig appetitlich aussah. Wie sie den Rest dieses Tages zu verbringen gedachte, wusste sie auch schon ganz genau. Sie würde nun in aller Ruhe etwas essen, sich danach ein gutes Buch nehmen und lesen. Vielleicht würde sie später noch einmal mit Kleo telefonieren und natürlich würde sie noch die Rechnung für Frau Reichelt fertig machen müssen, aber das konnte zur Not auch bis morgen früh warten. Bei dem Gedanken an den Papierkrieg verzog sich ihr Gesicht ein wenig, sie hasste dieses Schreiben von Rechnungen. Vermutlich war das der schlimmste Teil ihres Jobs. Wenn sie ehrlich war, war es ihr aber auch etwas unangenehm. Eigentlich half sie den Tieren gern und kam sich dabei albern vor, sich für etwas so simples Bezahlen zu lassen. Rein prinzipiell würde sie auch völlig unentgeltlich arbeiten, aber dummerweise musste auch sie irgendwann Rechnungen bezahlen und das, was sie tat, war das Einzige, was sie konnte. Seufzend schob sie diese lästige Aufgabe gänzlich auf den ganz späten Abend oder den nächsten Morgen und betrachtete noch einmal eingehend die Birne, die einen daumengroßen Schönheitsfehler an der Schale hatte.
Während sie aß, ließ sie den Blick über die braunen Vorhänge gleiten, mit denen sie die Fenster zuziehen konnte und über die beiden prächtig wachsenden Benjaminbäumchen, die Kleo ihr mitgebracht hatte. Ja, hier fühlte sie sich rundum geborgen und wohl.
Nachdem sie die Birne gegessen, den Teller und das Messer eben abgespült hatte, machte sie sich Wasser warm für einen Tee, zog sich etwas Bequemeres an und setzte sich schließlich mit einem Buch auf die Couch zurück. Bisher hatte sie nur den Anfang gelesen und es schien eine interessante Geschichte zu werden. Das Buch gehörte Kleo, die es ihr wärmstens empfohlen hatte. Mittelalter, Hexenverfolgung und eine Liebesgeschichte, das waren Elemente die das Buch zu einem besonders Guten oder zu einem unglaublich frustrierenden Werk machen konnten, aber Kleo hatte insoweit Recht gehabt, dass der Anfang interessant genug war, dass sie es weiterlesen wollte. Auch auf die Gefahr tragischer Ereignisse und schrecklich frustrierender Wendungen hin.
Gerade hatte sie eine gemütliche Sitzposition gefunden, das Buch an der richtigen Stelle aufgeschlagen und den ersten Satz gelesen, als es an der Tür klingelte. Ihre Stirn legte sich in Falten, sie schürzte ein wenig die Lippen und seufzte. Besuch kam normalerweise nie unerwartet vorbei, denn jeder, der sie kannte wusste, dass man sie selten zu Hause antraf und dass sie es hasste, wenn man sie so überrollte. Die meisten von ihren Bekannten hielten das für einen merkwürdigen Charakterzug von ihr, irgendeine Art Tick, doch nur sehr wenige wussten, dass dieses Verhalten auch etwas mit ihrer Gabe zu tun hatte. Es war kein Geheimnis, dass sie Tiere lesen konnte, als wären diese ein offenes Buch, doch dass sie ab und an auch menschliche Emotionen auffing, davon wusste so gut wie keiner etwas. Wenn dies passierte, zog sie sich in ihr Nest zurück, denn es war schrecklich verwirrend, wenn plötzlich von allen Seiten her Emotionen und Gedanken auf einen einprasselten und man Schwierigkeiten hatte, diese zu sortieren. Es war nicht etwa so, dass sie wirklich Gedanken lesen konnte oder etwas Vergleichbares, aber in solchen Momenten nahm sie einfach viel mehr wahr, als sie wahrnehmen wollte und das Einzige was da half, war, sich zurückzuziehen.
Dieser Teil war auch ihr bestgehütetes Geheimnis, denn ihre Mutter hatte sie davor gewarnt, es jemals irgendjemandem zu erzählen, und sie wusste auch genau wieso. Sie würde wohl kaum ein vernünftiges Leben führen können, wenn die eine Gruppe von Leuten ihr aus dem Weg ging und die andere Gruppe, sie für ihre Zwecke nutzen wollte. Natürlich war das eigentlich total übertrieben, denn dieser Teil ihrer Gabe wurde nur sehr selten aktiv und wenn sie ehrlich war, hatte sie nie etwas wirklich Spannendes aufgefangen. Alles war immer sehr vage gewesen und noch dazu war sie sich bei einigen Malen sicher, es dann auch noch falsch interpretiert zu haben, aber das war etwas, was sie wusste, nicht aber der Rest der Welt, der dazu tendierte, in allem immer gleich eine Bedrohung oder ein Mittel zum Zweck zu sehen. Eilig schüttelte sie die Gedanken ab, legte das Buch auf den Tisch und ging zur Tür, um herauszufinden, wer sie heute unangemeldet störte.
Ein Blick durch den Türspion ließ sie stutzen, aber unverzüglich die Tür öffnen. Vor dieser stand ein untersetzter Mann mit braunem, kurzem Haar, in dem schon erste graue Strähnen glitzerten. „Herr Ziegelbrecher, was eine angenehme Überraschung!”, murmelte sie etwas überfahren und trat einen Schritt zurück, um den Mann im Anzug hereinzulassen. Ein Lächeln breitete sich auf seinem etwas aufgedunsenen Gesicht aus und er schien nicht im Mindesten damit zu rechnen, dass irgendjemand etwas anderes als Freude empfinden könnte, wenn er zu Besuch kam.
„Kamilla, meine Liebe. Es ist ewig her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Sag´ mir, wie geht es dir?”, sprach er sie an, während er an ihr vorbei in die Wohnung trat und seine Augen über das Mobiliar und die sonstige Einrichtung schweifen ließ.
Wenig begeistert schloss sie die Tür und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie ganz und gar nicht erfreut über seinen Besuch war. „Mir geht es sehr gut, danke. Ich hoffe Ihnen auch? Möchten Sie vielleicht einen Tee?” Als er nickte, machte sie sich daran, alles dafür vorzubereiten. Es brannte ihr auf der Zunge, zu fragen, was er hier wollte, doch sie biss sich auf ebenjene und übte sich in Geduld. Helmut Ziegelbrecher war der Chef dieses Gebiets und manchmal sehr eigen, das Letzte, was sie wollte, war, ihn zu verstimmen.
Vollkommen selbstverständlich ließ er sich auf ihrer Couch nieder und warf einen kurzen Blick auf das Buch, das sie gerade hatte lesen wollen. Dann fixierte er sie mit seinen kleinen, dunklen Augen und legte sein Handy auf den Tisch vor sich. „Wie ich höre, hast du dich auf Katzen spezialisiert, gibt es ein Problem mit den anderen Arten?” Die Neugier in seiner Stimme war kaum zu überhören und sie kam sich ein wenig, wie das Versuchsobjekt im Labor vor. Dieser Vergleich klang vielleicht übertrieben, war aber nicht allzu weit her geholt, denn es war allgemein bekannt, dass der Mann ein unnatürlich starkes Interesse an seltenen Gaben hatte und sich gern der Dienste von besonderen Menschen versicherte.
Eilig schüttelte sie den Kopf. „Nein, aber die Besitzer von Katzen sind in der Regel eher bereit auf meine Ratschläge zu hören, als es zum Beispiel die Hundebesitzer sind.”
„Woran liegt das?”, hakte er sofort nach und ließ seine Augen einmal mehr über ihr Wohnzimmer gleiten.
„Hundebesitzer wollen in der Regel, dass der Hund pariert, und tut, was man ihm sagt, egal wie sie dies tun. Sie sind oft uneinsichtig und verlangen, dass das Tier sich an sie anpasst. Katzenbesitzer sind durch das Wesen der Katze viel eher bereit, an sich selbst zu arbeiten. Demnach ist es viel einfacher, den Katzenbesitzern zu erklären, was sie ändern müssen.” Sie zuckte ein wenig die Schultern. „Hin und wieder habe ich noch Pferde, um deren Probleme ich mich kümmere, aber das passiert nicht allzu häufig.”
„Was ist mit Wildtieren?”
„Es sind Tiere.” Sie wusste nicht so recht, worauf er hinaus wollte. „Allerdings wurde ich noch nie für einen Auftrag in den Zoo bestellt. Demnach habe ich mit echten Wildtieren wenig Erfahrung.”
Sie fuhr heftig zusammen, als er laut zu Lachen begann. „Sehr gut!” Mit der Hand wischte er sich über das massige Gesicht. Schnell stellte er das Lachen wieder ein und fuhr fort: „Dann kannst du mir sicher bei meinem kleinen Problem helfen. Ich habe zwei Kätzchen, die sich derzeit sehr sonderbar verhalten. Durch ihre Größe sind sie nicht ganz ungefährlich und ich würde es sehr bedauerlich finden, wenn ich die beiden in Zukunft in einem Käfig halten müsste.” Kamilla runzelte leicht die Stirn, nickte aber und er fuhr direkt fort: „Es sind zwei Geparde. Wirklich bildschöne Tiere, aber derzeit etwas aggressiv. Ich würde dich gerne zur Überwachung anstellen. Ich bin nicht scharf auf Unfälle und denke es ist durchaus eine gute Idee, wenn jemand wie du, öfter mal einen Blick auf die Tiere wirft.” Erneut nickte sie, bisher klang das recht unproblematisch. „Gut, dann denke ich, die nächsten sagen wir, vier Wochen kümmerst du dich vorrangig um mein Problem. Ich weiß, dass du normalerweise nur das Problem analysierst und wieder gehst, aber in dem Fall will ich eine tägliche Überwachung der Tiere. Du stellst mir deine Arbeitsstunden einfach ganz normal in Rechnung.”
Kamilla hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass er ihre Dienste in Anspruch nehmen wollte. Zwar war ihr schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen, dass er sich angeblich Geparde als Haustiere zugelegt haben sollte, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie diese einmal so aus der Nähe sehen würde. Neugier durchströmte sie bei dem Gedanken und eine gewisse Ungeduld. Am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen, doch sie riss sich zusammen. „Okay, das sollte kein Problem sein. Kann ich mir die Tiere gleich morgen früh ansehen?”
Wieder nickte er. Es sah beinahe so aus, als würde er etwas überdenken, dann fragte er: „Hast du von deiner Mutter etwas gehört? Soweit ich weiß, suchst du immer noch nach ihr.” Das war ein Thema, über das sie nicht gerne sprach und so schüttelte sie nur stumm den Kopf und hoffte, dass es damit erledigt sein würde, doch weit gefehlt, wie ihr seine nächsten Worte klar machten. „Wie lange ist sie nun fort? Vier Jahre?”
„Sechs. Und ich habe nichts Neues über ihren Verbleib herausfinden können.” Ein dumpfer Schmerz breitete sich bei diesen Worten in ihrer Brust aus und sie überlegte, wie sie das Thema beenden könnte, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen, doch wieder kam er ihr mit einem Themenwechsel zuvor.
„Beschränkt sich deine Gabe eigentlich rein auf Tiere?” Diese Frage kam ihr auf der einen Seite sehr entgegen, denn sie wollte nicht mit ihm über ihre Mutter sprechen, doch auch das war nicht unbedingt ein Thema ihrer Wahl.
„Ja. Bei allem anderen, so ich ihm bisher begegnet bin, konnte ich nichts wahrnehmen. Selbst der Werwolf, der letztes Jahr im Gebiet war, und dem ich dabei unschöner Weise sehr nah gekommen bin, hat sich meiner Gabe vollständig entzogen.” Das war eine glatte Lüge, aber an dieser musste sie festhalten, genau das hatte sie schon nach dem Vorfall behauptet und so würde es auch bleiben. Die Wahrheit aber war, dass sie kurz vor dem Tod des Werwolfs etwas aufgefangen hatte. Er war wütend gewesen und irgendwie jagdhungrig. Es fiel ihr extrem schwer, dieses Gefühl, mit irgendetwas zu vergleichen, das sie kannte, oder auch nur ein halbwegs passendes Wort dafür zu finden, nur einmal, bei einem tollwütigen Fuchs, hatte sie etwas Ähnliches wahrgenommen, doch ähnlich war hier sehr weit gefasst, genauso viel Gemeinsamkeiten hatte eine Sardine mit einem Blauwal und doch war es der beste Vergleich, den sie finden konnte.
Er gab einen enttäuschten Seufzer von sich. „Sehr schade eigentlich. Sag´ mir Bescheid, wenn sich das ändert, für jemanden, der womöglich auch Dinge von Menschen auffangen kann, hätte ich durchaus eine Verwendung und das wäre auch wesentlich besser bezahlt, als dein jetziger Job.” Das konnte sie sich lebhaft vorstellen, doch sie nickte nur und bemühte sich dabei freundlich auszusehen. „Nun gut, dann will ich dich nicht länger von deiner Lektüre abhalten.” Damit erhob er sich auch schon wieder. „Wir sehen uns dann morgen früh bei mir. Einen schönen Abend noch, Kamilla.” Mit diesen Worten nahm er sein Handy vom Tisch und begab sich direkt zum Ausgang der Wohnung und verschwand.
Als sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, atmete sie erleichtert auf. Er hatte keinen Zweifel an ihren Aussagen gehegt, soviel hatte sie wahrgenommen, aber da war trotzdem irgendetwas Lauerndes gewesen, irgendetwas, dass nicht so war, wie es sein sollte. Wenn sie es vergleichen sollte, würde sie es wohl am ehesten mit einer Katze tun, die reglos, dicht an den Boden gepresst dasitzt und geduldig darauf wartet, dass ihre Beute ein Stück näher kommt. Doch vermutlich waren das nur ihre Nerven und sie wischte diese Gedanken beiseite. Menschen zu lesen war noch nie so ihr Ding gewesen und meistens wurde sie aus dem, was sie auffing, sowieso nicht schlau oder bekam zumindest selten eine Bestätigung dafür, dass sie mit ihrer Einschätzung richtig oder eben falsch gelegen hatte. So im Nachhinein war sie sich schon nicht einmal mehr sicher, ob sie sich das nicht vielleicht nur eingebildet hatte, diesem Mann gegenüber war sie immer auf der Hut, ob nun gerechtfertigt oder ungerechtfertigt, das stand dabei auf einem anderen Blatt. Sie räumte den vollkommen unangetasteten Tee beiseite und stellte auch das Buch wieder in den Schrank, da sie nun etwas zu tun hatte. Dann holte sie sich ihren Laptop und begann sich über Geparde zu informieren. Ein Teil von ihr freute sich auf diesen Auftrag, denn mit solchen Tieren hatte sie noch nie gearbeitet, doch ein anderer Teil mahnte sie weiterhin zur Vorsicht.
So spannend die Recherche über die schnellsten Großkatzen auch war, ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Wieso musste er sie auch ausgerechnet nach ihrer Mutter fragen? Sie seufzte und holte sich ihr Telefon. Wenn sie sich jetzt nicht ablenkte, würde sie wieder die ganze Nacht über Fragen brüten, die sie schon seit sechs Jahren quälten, und auf die sie auch heute keine Antwort finden würde.
Sie schaute noch einmal kurz auf die Uhr, bevor sie dann Kleos Nummer wählte. Es klingelte nur einmal, dann nahm ihre längste und beste Freundin auch schon ab. Ein Stirnrunzeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, aber sie musste gleichzeitig lächeln. „Das ging aber fix”, kommentierte sie direkt.
„Ich wusste, dass du mich anrufst!”, flötete Kleo gut gelaunt und fuhr schon fort, bevor Kamilla auch nur dazu kam, etwas darauf zu sagen, „Du rufst mich mit großen Neuigkeiten an! Haben mir die Karten gesagt.”
„Naja, ob sie groß sind, weiß ich nicht. Obwohl der Überbringer recht voluminös war”, gab sie kichernd zu. „Ziegelbrecher war hier.”
„Ach du heilige Scheiße, was wollte der denn von dir?” Kleo mochte den Mann nicht besonders, doch das lag vor allem daran, dass sie vor einiger Zeit mit seinem Sohn ein kleines Techtelmechtel gehabt hatte, bevor er sie hatte sitzen lassen.
„Er hat einen Job für mich. Ich soll mir seine beiden Geparde genauer ansehen und ich vermute, wenn ich dann schon mal da bin, hat er sicher noch mehr Probleme innerhalb seines Zoos.”
Kleo lachte kühl, doch Kamilla wusste, dass das nicht ihr galt. „Na, da hast du dir ja einiges vorgenommen, der hat allein vier oder fünf Papageien und einige Hunde. Pass bloß auf, dass der dich nicht auch in einen Käfig sperrt. Ich meine du weißt ja, was man sich über den Werwolf von damals so alles erzählt.”
„Ja, die Gerüchte halten sich hartnäckig, dass er nicht durch Zufall im Gebiet war und wohl ausgebrochen sein könnte, aber mal im Ernst: Glaubst du das wirklich? Ein Werwolf ist ja nun eine etwas andere Hausnummer, als ein paar Papageien, Hunde und Geparde.”
Ein langes, nachdenkliches Schweigen erfüllte die Leitung, bevor die junge Hexe am anderen Ende schließlich einräumte: „Nein. Ich halte ihn für einen Idioten, den größten Arsch, der hier herumläuft, einen total durchgeknallten Sammler, aber ein Werwolf ist ja nun meistens ein Mensch. Ich glaube nicht, dass er so durchgeknallt ist, sich einen Menschen als Haustier zu halten. Wohl aber trau ich ihm zu, dass der Werwolf für ihn gearbeitet haben könnte.”
„Er hat mich nach meiner Mutter gefragt.”
Diese Worte waren Kamilla einfach so heraus gerutscht und sofort änderte sich die Tonlage von Kleos Stimme. „Wusste er etwas?”
„Nein, ich glaube, er war einfach nur neugierig.”
Ein Schnaufen erklang. „So ein Idiot. Ich habe auch nichts Neues für dich. Ich meine, Aufspürzauber sind eine wirklich komplizierte Sache und ich glaube, deine Mutter will nicht gefunden werden.”
„Oder sie ist tot, ich weiß.” Kamilla ließ sich schwer gegen die Lehne der Couch sinken.
„Selbst Gustav hat nichts herausgefunden.”
„Gustav? Das war dieser total irre Schwarzmagier oder?”
Erneut lachte Kleo. „Möchtegernschwarzmagier. Der Typ hat ein Händchen für ein paar Sachen, aber ansonsten kannst du den in der Pfeife rauchen. Allerdings hat der mir einen Kontakt zu einem anderen Magier besorgt, bei dem ich mich noch mal melden will. Allerdings ist das einer von der richtig üblen Sorte. Wohl sehr fähig, das steht außer Zweifel, aber jemand, dem man besser nicht quer kommt. Ich denke noch darüber nach, wie ich die Kontaktaufnahme mit dem gestalte.”
„Lass es sein, Kleo!”, ermahnte sie Kamilla. „Ich will nicht auch noch meine beste Freundin verlieren, weil sie sich womöglich mit gefährlichen Leuten einlässt. Das ist es einfach nicht wert und die Tatsache, dass du den Kontakt zwar hast, aber ihn noch nicht genutzt hast, sagt mir, dass wir hier von jemand wirklich gefährlichem reden.”
„Ich bin vorsichtig, keine Sorge. Des Weiteren interessiert mich der Typ auch persönlich ein wenig.” Ein Kichern drang durch die Leitung. „Okay, ziemlich! Du weißt doch, ich habe einen Hang zu bösen Jungs.”
Kamilla seufzte theatralisch. „Ja, ich weiß und einer von euch beiden verbrennt sich dann die Finger, pass bloß auf, dass das nicht diesmal du bist. Wieso kannst du nicht mal zur Abwechslung eine normale junge Frau sein, die auf ganz normale Typen steht?” Ihre Stimme klang dabei gespielt niedergeschlagen.
„Weil ich bei normalen Typen einfach einpenne? Was soll ich mit denen, die sind mit mir doch total überfordert und hinterher haben die dann irgendeine Psychose und brauchen nenn Seelenklempner. Nee, das lassen wir besser. Das tue ich den armen, unschuldigen Kerlen da draußen nicht an.” Beide brachen in lautes Gelächter aus und die angespannte Stimmung löste sich auf.
„Pass auf, ich würde sagen, ich melde mich morgen dann bei dir und erzähle dir, wie es gelaufen ist”, schlug Kamilla gut gelaunt vor.
„Auf jeden Fall! Ich wünsche dir noch einen schönen Abend!”
Damit beendete sie das Telefonat und kam noch einmal auf die Idee mit ihrem Buch zurück.
Der Abend und auch die Nacht waren nach diesem unerwarteten Besuch vollkommen ruhig verlaufen und so machte sich Kamilla am nächsten Morgen, nach einem kleinen Frühstück, auf den Weg zu ihrem neuen Job.
Das Haus, zu dem sie wollte, lag am Rande des Örtchens auf einem kleinen Hügel, dessen Rückseite bewaldet war. Eine lange Auffahrt, die von Bäumen gesäumt war, welche teilweise Ausläufer des Waldes hinter dem Haus waren, der sich in einem weiten Bogen bis an die Zufahrtsstraße zog, führte durch ein schmiedeeisernes, prunkvolles Tor, das wenn überhaupt, nur nachts verschlossen war, und endete auf einem großen Platz, dessen Untergrund von weißem Kies gebildet wurde. Das Haus selbst war eine Villa mit drei Stockwerken, die stolz auf dem Hügel thronte und dem Besucher, den Eindruck vermittelte, dass er hier gleich unglaublich wichtige Leute treffen würde. Eine Doppelflügeltür aus schwarzem Holz führte am oberen Ende einer mehrstufigen Treppe in das Innere des Hauses. Überall in der schneeweißen Fassade waren große Fenster eingelassen und hinterließen einen freundlichen Eindruck. Es war nicht das erste Mal, dass sie hier war. Damals, als ihre Mutter von heute auf morgen einfach nicht mehr da war, hatte man sie ein einige Male hier her eingeladen, um über die Tage vor dem Verschwinden zu sprechen. Damals waren zwar alle freundlich gewesen und schienen bemüht, herauszufinden was passiert war, doch Ergebnisse hatte es keine gegeben und irgendwann hatte man es offenbar einfach aufgegeben.
Sie atmete tief durch und ging auf die Tür zu. Die Gedanken an ihren letzten Besuch hier, schob sie einfach beiseite und ließ es zu, dass ihre Neugier die Oberhand gewann. Nach dem Klingeln vergingen nur wenige Sekunden, bevor die Tür geöffnet wurde. Eine junge Frau, die kaum älter als sie selbst sein konnte, stand in einem kurzen schwarzen Rock und einer weißen Bluse vor ihr. „Ja?”, fragte sie und musterte Kamilla von oben bis unten.
„Herr Ziegelbrecher wünscht, dass ich mir seine Geparde einmal genauer ansehe. Ich bin Kamilla Solf.”
Sofort nickte die junge Frau, sie war also, wie zu erwarten, über ihren Besuch informiert worden. „Kommen sie doch bitte herein.” Bei diesen Worten trat sie beiseite und ließ Kamilla ins Haus. Ein schwerer Lavendelgeruch erfüllte die überwiegend aus Marmor bestehende Eingangshalle. Auch diese hatte sich kaum verändert. Genau gegenüber der Eingangstür begann eine breite Treppe und führte in das obere Stockwerk hinauf. Rechts und links von der Treppe standen zwei asiatisch wirkende Rüstungen, die Kamilla unbekannt waren. An der linken Wand standen eine Couch und ein Tisch zu denen Kamilla durch die junge Angestellte geführt wurde.
„Bitte warten Sie hier einen Moment.” Kamilla nickte kurz und die blonde Frau drehte sich um und verschwand durch eine Tür auf der linken Seite aus der Halle hinaus.
Ihre Augen glitten über den Tisch, auf dem ein paar aktuelle Zeitungen lagen, doch auch diesmal ließ man sie nicht lange warten. Ein älterer Mann kam schon kurze Zeit später auf sie zu. Sie hatte ihn schon das ein oder andere Mal hier gesehen und wusste, dass er sich um die Haustiere von Herrn Ziegelbrecher kümmerte. Nebenbei war er wohl auch der private Wildhüter von Ziegelbrecher, der sich um die freien Bewohner im Wald hinter dem Haus kümmerte und aufpasste, dass sich keine Wildschweine oder Rehe in den Garten verirrten. „Guten Morgen, Frau Solf”, begrüßte er sie mit einer leisen, ruhigen Stimme. Mit der Hand strich er sich eine ergraute Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er seine recht großen Pranken an beiden Seiten der alten Flecktarnhose, die er immer trug, wenn sie ihn sah, abwischte und ihr die Rechte entgegenstreckte. Sein Händedruck war kräftig und die Haut fühlte sich sehr rau an.
„Guten Morgen!” Sie war aufgestanden und sah dem Mann in die ruhigen, braunen Augen. Er bevorzugte die Gesellschaft von Tieren, soviel hatte sie über ihn herausgefunden. Die meiste Zeit war er allein und im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen, die sie kannte, schien es ihn nicht weiter zu stören. In dieser Beziehung waren sie sich nicht ganz unähnlich.
„Dann zeige ich Ihnen wohl am Besten mal die Kätzchen” erklärte er ruhig und wandte sich dann einfach ab, offenbar in der Annahme, dass Kamilla ihm schon folgen würde. Er führte sie durch eine Tür neben der Treppe und schon nach wenigen Schritten fiel ihr auf, dass der Mann leicht humpelte und offenbar nicht mehr so schnell konnte, wie er gerne wollte. Etwas das nicht wirklich überraschte, wenn man bedachte, dass er schon hier war, solang sie denken konnte.
Es ging einen breiten Flur entlang, von dem mehrere Türen abzweigten. Hier roch es angenehm nach frischem Brot. Dieser Geruch weckte in ihr die Erinnerungen an ihre letzten Besuche. Einige Male hatte sie das Brot gegessen, welches warm und frisch serviert wurde, wenn sie morgens oder abends zur passenden Zeit hier gewesen war. Bestimmte Dinge änderten sich offenbar nicht, und die Vorliebe Ziegelbrechers für wirklich frisches Brot gehörte dazu.
„Die beiden sind derzeit wirklich schwer einzuschätzen. Sie sollten sehr vorsichtig sein. Eine der Haushälterinnen, die mit dem braunen Haar und den Ohrringen mit den blauen Steinen, hat schon Bekanntschaft mit ihren Zähnen gemacht”, erklärte er und runzelte die Stirn. „Ich kann mir ihren Namen einfach nicht merken, irgendwas italienisches”, murmelte er weiter, ohne sich dafür umzuwenden. Er öffnete eine Tür, durch die hindurch sie in einen großen Raum kamen, dessen eine Wand komplett aus Glas bestand und von wo aus eine Tür in den weitläufigen Garten hinausführte, die aber derzeit geschlossen war. Zwei Geparde lagen vollkommen reglos auf einer Sitzgelegenheit, die sie an einen altmodischen Diwan erinnerte. Von diesen Möbelstücken standen vier in diesem Raum, je zwei an einem kleinen Tisch. Die komplette linke Wand war offensichtlich für die Tiere hergerichtet. Neben allerhand Spielzeugen und einem Baumstamm, der bis unter die hohe Decke reichte, sicher einen Meter im Durchmesser maß und viele Spuren von Krallen aufwies, gab es dort auch jede Menge Kissen und Kisten, die scheinbar allein der Unterhaltung der beiden Großkatzen dienten.
Langsam ging sie auf einen Diwan zu, der in der Nähe der beiden Katzen stand und versuchte sich auf die Tiere zu konzentrieren, die schläfrig einen Blick auf sie warfen, aber offenbar kein großes Interesse an ihr oder dem Pfleger hatten. Eine der Katzen legte den Kopf in den Nacken und gähnte, wobei Kamilla einen guten Blick auf das Gebiss der Katze werfen konnte. Ein leicht mulmiges Gefühl löste dieser Anblick bei ihr aus, doch sie nahm derzeit keine Aggression bei den Tieren wahr. Den Blick des Pflegers, der die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, aber dort stehengeblieben war, spürte sie deutlich auf sich ruhen. Ganz wie sie ihn kannte, hielt er sich auch jetzt im Hintergrund und beobachtete nur das Geschehen.
Ihre eigene Konzentration galt den schönen Katzen. Fasziniert musterte sie die atemberaubende Zeichnung. Vor allem die dunklen Streifen, die von den Augen hinabliefen, hatten sie in ihren Bann gezogen. Entspannt wartete sie darauf, dass sie irgendetwas von den Tieren auffing, doch schon nach wenigen Minuten wurde sie unterbrochen.
Die junge Blondine, die sie schon an der Tür in Empfang genommen hatte, streckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein. „Herr Ziegelbrecher wünscht, dass Sie ihm beim Frühstück Gesellschaft leisten, Frau Solf.”
Innerlich seufzte Kamilla ein wenig, denn sie war eigentlich überhaupt nicht scharf darauf, mehr Zeit, als unbedingt nötig mit dem Mann zu verbringen. Doch sie setzte ein freundliches Lächeln auf und nickte. „Geben Sie mir noch ein paar Minuten, dann habe ich mir einen ersten Eindruck der Tiere verschafft und kann Herrn Ziegelbrecher vielleicht schon etwas sagen.”
Eilig nickend zog sich die Frau zurück und schloss die Tür hinter sich. Man brauchte keine speziellen Fertigkeiten um ihr anzusehen, dass sie auf keinen Fall auch nur in die Nähe der Tiere kommen wollte. Da die beiden Großkatzen allerdings wieder einschlummerten, dauerte es nicht sehr lange, bis sich Kamilla schließlich erhob und dem Pfleger zunickte, der sich daraufhin wieder in Richtung der Tür in Bewegung setzte, hinter der sich vermutlich noch die junge Angestellte aufhielt. Draußen verabschiedete er sich knapp und überließ es dem Hausmädchen, Kamilla nach oben in den Speisesaal zu führen.
Der Raum in dem Ziegelbrecher zu essen pflegte, verdiente den Begriff Saal wirklich. Eine lange Tafel, die Platz für sicher zwanzig Leute bot, dominierte das Zimmer. An ihrem Kopfende saß, wie eigentlich immer, wenn sie hier war, Helmut Ziegelbrecher. Je ein Gedeck lag links und rechts von ihm und dazwischen standen schon allerlei Speisen. Er liebte üppige Mahlzeiten und auch diesmal gab es eine enorme Auswahl an verschiedensten Wurst- und Käsesorten, Marmeladen und sogar drei verschiedene Gläser mit Honig. Eine unglaubliche Verschwendung, ging es Kamilla durch den Kopf, als ihr Blick auf einen großen Berg Rührei fiel, den er unmöglich alleine aufessen konnte. Leicht stutzte sie allerdings, als sie erkannte, dass es dazu offenbar Bratwürste gab.
„Guten Morgen, Kamilla”, begrüßte er sie freundlich und winkte sie zu sich an den Tisch. „Morgen Stund´ hat Gold im Mund´, nicht wahr?”
„Ja, morgens arbeitet es sich am Einfachsten, finde ich.” Sie reichte ihm kurz die Hand und setzte sich auf seine Aufforderung hin nieder.
„Du hast meine beiden Babys schon gesehen?”
Kamilla nickte und fürchtete, dass es ein unangenehm langes Frühstück werden würde. „Wirklich wunderschöne Tiere, aber eine Lösung für das Problem oder eine Idee wo jenes nun eigentlich liegt, habe ich noch nicht. Tut mir leid.”
Der Mann lachte so unvermittelt auf, dass sie leicht zusammenzuckte. „Keine Sorge, damit hatte ich auch nicht gerechnet, Kamilla. Greif zu!” Er selbst griff bei diesen Worten zu der Schale mit den Rühreiern und schaufelte sich eine weitere Portion auf den nun fast leeren Teller.
Sie hatte sich gerade eine Scheibe des frischen Brotes mit Marmelade bestrichen, als die Tür zum Raum geöffnet wurde und ein junger, gut aussehender Mann den Raum betrat. James war vom Aussehen her das genaue Gegenteil von seinem Vater. Er war hoch gewachsen, sportlich und sehr attraktiv. Nur das braune Haar und die ebensolchen Augen, hatte er von seinem Vater geerbt. Unwillig musste Kamilla zugeben, dass er auch heute wieder zum Anbeißen aussah. Die Jeans, die er trug, passte perfekt und das weiße Hemd bildete dazu einen verwegenen Kontrast. Rein äußerlich betrachtet, war James definitiv einen Blick mehr wert, doch das beschränkte sich, wie Kamilla nur zu gut wusste, wirklich nur auf die Äußerlichkeiten. Sein Charakter war nicht unbedingt etwas, auf das man stolz sein konnte, zumindest nach allem, was sie von Kleo über ihn erfahren hatte. Sie selbst kannte ihn nur vom Sehen und war darüber auch nicht böse gewesen, bisher.
„Vater, du hast mir ja gar nicht gesagt, dass wir Besuch erwarten und noch dazu von solch einer Schönheit.” James Stimme klang weich und sanft, aber auch etwas Tadel schwang darin mit. Obwohl sie wusste, dass er bekannt dafür war, dass er Leute, vor allem junge Frauen, sehr gut um den Finger wickeln konnte, und sie sich nicht von solchen Leuten beeindrucken ließ, konnte sie es nicht verhindern, dass sie leicht errötete. Eine Reaktion, die sie nicht unbedingt gut hieß, denn sie hatte von ihm mehr als genug gehört, um jedes Interesse an diesem Mann sofort im Keim zu ersticken. Dazu kam, dass sie in der Zeit nach dem Verschwinden ihrer Mutter, als sie hier öfter zu Besuch war, einige flüchtige Einblicke in James gehabt hatte, auf die sie gern verzichtet hätte. Doch auch ohne dieses Wissen, hätte das, was Kleo ihr erzählt hatte ausgereicht, damit sie diesen Typen nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen würde.
Kleos Resümee war gewesen: Für einen One-Night-Stand eine durchaus passable Wahl, aber genau damit endete es dann auch. Er war das reine Gift für das eigene Selbstwertgefühl. Kamilla hatte weder damals, noch heute ein Interesse daran verspürt, diese Einschätzungen ihrer Freundin zu überprüfen.
„James! Das ist Kamilla, sie sieht sich unsere Kätzchen einmal an.”
Kamilla nickte dem jungen Mann zu, der es sich aber nicht nehmen ließ, auf sie zu zutreten und ihr seine Hand zu geben. Begierde durchzuckte sie kurz, als sie sie nahm. Es war nur ein flüchtiger Eindruck gewesen und sie schob ihn eilig beiseite, das war eindeutig seine Gefühlsregung gewesen und ganz sicher nicht ihre. Sie war nicht der Typ für flüchtige Beziehungen. Sie war eh ein eher komplizierter Beziehungstyp. „Schön Sie kennenzulernen”, sagte sie und war bemüht, sich ihre Abneigung, die sie gegen diesen jungen Mann empfand, nicht anmerken zu lassen.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite.” Mit diesen Worten strahlte er sie regelrecht an und sie musste zugeben, dass er äußerst charmant wirkte und es schaffte, dass sie schon wieder leicht errötete. Sie begann langsam zu verstehen, wieso er den Ruf genoss, dass ihm die Frauen zu Füße lagen. Nun ja, die meisten Frauen, denn Kamilla hatte nicht vor, sich da einzureihen, und war sich sicher. Nachdem er ihre Hand wieder losgelassen hatte, schlenderte er lässig an seinem Vater vorbei und setzte sich auf dessen andere Seite und somit ihr genau gegenüber. Für einen Moment musterte er sie und ihre Blicke trafen sich. Er war angetan von ihrem voluminösen, fuchsrotem Haar. Ihm war auch nicht entgangen, wie unglaublich zart die Haut an ihrer Hand war, etwas das bei ihr ständig zu kleineren Blessuren führte. Doch im Moment war er vollkommen fasziniert von ihren Augen. Es waren die wohl merkwürdigsten Augen, die ein Mensch haben konnte. Direkt um den schwarzen Punkt waren sie schon fast Bernsteinfarben, doch je weiter man sich von der Pupille entfernte, wechselte die Farbe ins Grün, so das der äußerste Rand in einem satten, strahlenden Grün leuchtete. Als wäre das noch nicht schräg genug, konnte man, wenn man genau hinsah bemerken, dass in dem Grün kleine, blaue Einschlüsse waren. „Wow”, kommentierte er, kurz nachdem sie ihren Blick abgewendet hatte. Es war ihr äußerst unangenehm, dass sie offensichtlich so empfänglich für seine Gedanken und Gefühle war, dass würde die Arbeit hier nun wirklich nicht einfacher machen.
Sie spürte, wie sie etwas verlegen wurde und eilig nach etwas suchte, mit dem sie das Gespräch wieder auf eine ordentliche Bahn bringen könnte. „Wirklich einzigartig!”, stimmte sein Vater ihm dann zu allem Überfluss auch noch zu.
„Wie alt sind die beiden Katzen, Herr Ziegelbrecher?”
„Herr Ziegelbrecher?” fragte James erstaunt. „Aber ich bitte dich! Das ist Helmut und ich bin James. Soweit kommt es noch, dass eine junge Dame, die hier frühstückt, sich so fremd fühlt.” Kamilla verbiss sich einen Kommentar zu dem Thema Frühstück und dem ganz offensichtlichen Glauben James, dass sie hier noch das ein, oder andere Mal sitzen würde, sondern setzte ein höfliches Lächeln auf und nickte leicht.
Wieder brach der Chef der erwachten Gemeinschaft vor Ort in ein lautes Lachen aus, dass jede weitere Unterhaltung im Keim erstickte. Etwas, was ihr ganz recht war und ihr Zeit gab, sich zu ordnen und zu versuchen, sich vor den Eindrücken ihrer Gabe abzuschirmen. James war für ihren Geschmack entschieden zu interessiert an ihr, das war etwas, das sie nun wirklich nicht gebrauchen konnte. Es dauerte ziemlich lange, bis sich Helmut schließlich wieder im Griff hatte und antworten konnte. „Sie sind nun etwa zwei Jahre alt. Das genaue Geburtsdatum kann ich dir aber nachher noch geben.”
„Ich denke, mit der Altersangabe kann ich schon arbeiten, danke!”
„Hast du heute Abend schon etwas vor? Es gibt da ein wirklich ausgezeichnetes Restaurant.”
Kamilla brauchte einen Moment, um den Themenwechsel ganz nachvollziehen zu können, und schwieg wohl einen Moment zu lange. „Du überfährst sie ja regelrecht!”, tadelte Ziegelbrecher Senior in diesem Moment schon seinen Sohn und sie kam sich vor, als wäre sie in einer schlechten TV-Serie gelandet. Doch dieser Eindruck verschwand recht schnell wieder.
Bevor das hier womöglich noch aus dem Ruder laufen würde, entschied Kamilla, dem Ganzen direkt einen Riegel vor zu schieben und somit diese, für sie sehr unangenehme, Situation hinter sich zu bringen. „Es tut mir leid, aber heute Abend habe ich schon etwas vor.” Das war nicht einmal ganz gelogen, denn natürlich hatte sie heute ein unaufschiebbares Telefonat mit Kleo und ein Rendezvous mit ihrem Buch auf ihrer Couch.
James wirkte einen Moment irritiert über die Absage, strahlte dann aber noch mehr. Sie erkannte sofort, dass es so leicht also nicht war. Offensichtlich hatte ihn dieser Korb nicht weiter gestört und schon gar nicht dafür gesorgt, dass er es nicht noch einmal versuchen würde. Dann fielen ihr auch noch Details ein, die ihr Kleo berichtet hatte und sie erkannte, dass er einen Korb eher als persönliche Herausforderung ansah, es würde also vermutlich noch einige Körbe und klare Worte brauchen, um ihn gänzlich loszuwerden. Derzeit hoffte sie einfach, dass er schnell ein neues Opfer finden würde und einfach nicht die Geduld aufbrachte, ihr lange nachzujagen.
„Was genau machst du mit unseren beiden Katzen?”, fragte James nun offensichtlich hoch interessiert.
„Genau genommen eigentlich gar nichts.” Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Ich höre ihnen zu und meistens offenbart sich dabei dann auch das Problem.” Als sie die hochgezogenen Augenbrauen sah, fuhr sie erklärend fort. „Ich kann Stimmungen von Tieren wahrnehmen.” Das war zwar sehr vereinfacht, aber sie hatte eigentlich keine große Lust, das nun lange auszuführen, denn sie war sich ziemlich sicher, dass es ihn in Wirklichkeit gar nicht interessierte.
„Das klingt irgendwie richtig faszinierend.” Neugierig musterte er sie einen Moment lang und fragte dann: „Geht das nur bei Tieren?”
Sie nickte fast automatisch. „Ja, nur bei denen. Menschen sind vermutlich einfach zu komplex, keine Ahnung. Bei denen muss ich mich auf das verlassen, was ich sehe und höre.” Diese Worte wurden begleitet von einem leichten Schulterzucken. Das war ein gut trainierter Reflex geworden und sie machte sich keine großen Sorgen darum, dass irgendwer ihren Schwindel bemerken würde.
Einen Moment herrschte Schweigen, dann grinste James plötzlich breit. „Bei allen Tieren?”
Sie zögerte leicht und schüttelte schließlich den Kopf. „Bis hinab zu Ratten und Mäusen ja, Fische fallen mir sehr schwer und Insekten klappen gar nicht.”
Die beiden Männer wechselten einen langen Blick, dann ergriff der junge Mann erneut das Wort. „Wir haben hier ein paar seltene Wölfe, die sind aber sehr anstrengend und wenig begeistert von Menschen. Sehr aggressiv und überaus gefährlich. Meinst du, du kommst mit denen auch klar?”
Etwas in seiner Art irritierte sie. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, als ob er nur darauf gewartet hätte diese Frage zu stellen. Nun schien eine merkwürdige Anspannung in der Luft zu liegen, von der sie nicht einmal genau sagen konnte, wo diese her kam und sich auch nicht sicher war, ob sie sich das Alles nur einbildete. Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich hier nicht wohl und hatte immer ein wenig Sorge, dass sie sich verraten könnte, das war natürlich das pure Gift für Ausgeglichenheit und Ruhe. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Nun ja, bisher bin ich noch keinem Tier begegnet, welches ich nicht lesen konnte. Also vermute ich mal, dass es mir auch bei denen gelingen würde.”
„Würdest du es versuchen, wenn ich dich darum bitten würde? Das Jungtier gehört mir, aber leider kann man mit denen nichts anfangen, denn jeder Versuch in ihre Nähe zu gehen, endet darin, dass man aufpassen muss, nicht als Zwischenmahlzeit zu enden.”
Ihr Blick wanderte fast automatisch zu dem dicken Mann, der interessiert lauschte und die Reste seines Rühreis zusammenkratzte. Dieser wirkte nachdenklich, und doch irgendwie auch zufrieden. Bevor sie etwas sagen konnte, nickte dieser. „Dein Tier. Wegen mir soll sie es versuchen.”
James triumphierender Blick gefiel ihr gar nicht und sie spielte mit dem Gedanken, diese Herausforderung abzulehnen, als er sie auch schon breit angrinste und vorschlug: „Den üblichen Stundenlohn, solange du es versuchst, und sollte es dir gelingen, lege ich einen Bonus von, sagen wir, zehn Riesen drauf. Was sagst du?”
Es kostete sie alle Selbstbeherrschung, die sie irgendwie aufbringen konnte, um ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. Sofort begannen ihre Gedanken zu rasen, sie könnte, wenn sie das schaffte, vermutlich wirklich wegziehen, vielleicht könnte sie auch noch einmal einen Magier auf ihre Mutter ansetzen. „Im Ernst?”, fragte sie direkt nach.
James nickte und grinste selbstgefällig. „Wenn es dir gelingen sollte auch das Muttertier zur Raison zu bringen, lege ich den gleichen Bonus noch einmal drauf”, fügte nun Helmut Ziegelbrecher noch einmal hinzu.
Ohne weiter darüber nachzudenken nickte sie. „Einverstanden.” Dieses Angebot war so gut und würde so viele ihrer Probleme im Handumdrehen lösen, dass sie einfach nicht anders konnte, auch wenn sich ein merkwürdiges Gefühl in ihrer Bauchgegend ausbreitete, das ihr sagte, dass es wohl einen dicken Haken geben würde. Doch die Verlockung wo anders noch einmal neu anzufangen, noch einmal mit größeren finanziellen Mitteln ihre Mutter zu suchen, das war einfach genug Grund um nicht weiter darüber nachzudenken, was sollte auch schon passieren? Entweder es gelang ihr, oder eben nicht.
„Gut, dann ist also dein Job hier folgender: Du sorgst dafür das meine Kätzchen wieder lieb und brav sind und du schaust dir die Wölfe an. Ich will, dass man mit denen einfacher arbeiten kann, und die weniger Probleme machen, als bisher. Die Konditionen für die Katzen bleiben erhalten und, wie mein Sohn gerade mit dir vereinbart hat, werden wir deine Arbeitszeit an den Wölfen passend entlohnen und sollte es dir gelingen, sie unter Kontrolle zu bekommen, gibt es pro friedlichem Wolf einen Bonus von zehntausend. Einverstanden?”, fasste der Hausherr die Vereinbarung noch einmal zusammen und streckte ihr seine große Pranke entgegen.
Sie zögerte nur ganz kurz, dann willigte sie ein. Sie konnte seine Zufriedenheit spüren und wurde den Eindruck nicht los, dass dies kein Zufall war. Auch spürte sie James Blick auf sich ruhen. „Gut, wann soll ich mir die Tiere ansehen?”
„Ich denke, du kümmerst dich heute Vormittag um die Katzen und heute Nachmittag, nachdem du deine Mittagspause hattest, sagen wir so gegen fünfzehn, fünfzehn dreißig schaust du dir die Wölfe einmal an”, wies Helmut Ziegelbrecher sie an.
„Wenn du fertig bist, bringe ich dich zu den Katzen”, bot James an, der, wie sie registrierte, nichts gegessen hatte. Doch sie nickte, sie wollte hier raus und sich endlich an ihre Arbeit machen. James hielt ihr die Tür auf, als sie den Speiseraum verließen. „Mein Vater kann, ziemlich anstrengend sein, was?”, fragte er in Plauderstimmung, während er sie in Richtung des Katzenzimmers geleitete.
„Er ist noch relativ harmlos, ich arbeite häufig mit weitaus komplizierteren Menschen zusammen”, gab sie zurück.
„Wie machst du das eigentlich mit den ganzen Träumern? Stellen die keine dummen Fragen?” Das Interesse in seiner Stimme schien echt zu sein und sie musterte ihn kurz von der Seite her.
Schließlich nickte sie leicht. „Naja, ich erzähle ihnen das, was sie hören wollen. Körpersprache, Mimik des jeweiligen Tieres. Prinzipiell kann man daraus schon eine Menge deuten, die Übergänge sind da fließend, oft bräuchte es die Gabe nicht, obwohl sie es natürlich vereinfacht, gerade wenn es ein komplizierterer Fall ist.”
„Ein echter Tierflüsterer also”, dabei schenkte er ihr ein freundliches Lächeln.
Sie spürte, wie sie errötete, und zuckte ein weiteres Mal an diesem Morgen leicht die Schultern. „Wenn man das so nennen will.”
Sie atmete auf, als sein Handy zu klingeln begann, er danach griff und auf das Display sah. „Oh Mist, das ist wichtig.” Sie hatten die Tür zum Katzenzimmer schon erreicht und er öffnete ihr diese. „Entschuldige mich bitte. Wir sehen uns sicher die Tage noch häufiger.” Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging ans Telefon.
Erleichterung durchflutete sie, als ihr klar wurde, dass sie ihn wohl für heute los war, dann schüttelte sie den Kopf um diesen Gedanken loszuwerden und sich vollkommen auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Wenn sie nicht genau gewusst hätte, dass James alles andere, als lieb, nett und charmant war, hätte er nun sicher mächtig Eindruck bei ihr hinterlassen. Auch mit diesem Wissen spürte sie, das ihre Knie etwas weicher geworden waren. So ganz immun machte sie das Wissen über ihn, gegen seinen Charme offensichtlich nicht. Doch solange sie bei klarem Verstand war, würde sie den Teufel tun, sich auf seine Art einzulassen.
Die beiden Geparde musterten sie neugierig, als sie den Raum durchschritt, um sich auf einen der freien Diwane niederzulassen. Das kleinere Exemplar war etwas zurückhaltender und beobachtete sie lieber aus einigen Schritten Entfernung, während der Größere von beiden direkt auf sie zukam, kaum dass sie sich hingesetzt hatte. Auf jede Bewegung der Tiere achtend und die Stimmungen, die sie von ihnen auffing genau analysierend, ließ sie das Männchen näherkommen und an ihrer Hand schnüffeln. Es dauerte nur wenige Minuten, dann lag der Kater neben ihr auf dem Diwan, hatte sich auf den Rücken gedreht und ließ sich kräftig durchkraulen. Er genoss die Aufmerksamkeit sichtlich und auch Kamilla hatte James und seinen Vater nach kürzester Zeit vergessen, denn so etwas machte auch sie nicht alle Tage und diese einmalige Gelegenheit nutzte sie nun richtig aus.