Читать книгу Das Geheimnis der Schatten - Viktoria Vulpini - Страница 4
Оглавление1 Kapitel 2
Die Kiste wirkte alt und bestand aus dunklem, poliertem Holz mit schweren, metallenen Beschlägen. Es gab keine Aufschriften, keine Verzierungen oder sonst etwas, das auf ihren Zweck oder ihre Herkunft schließen ließ.
„Willst du nicht mal versuchen sie aufzumachen?”
Vanessa maß Ramon mit einem Blick, der eindeutig klarmachte, dass das das Letzte war, was sie tun würde. Das Misstrauen gegenüber der Kiste war so groß, dass sie sie am liebsten genommen und irgendwo ganz tief vergraben und vergessen hätte. Neugier hin oder her, diese Kiste würde garantiert nur Ärger bringen und auf den konnte sie getrost verzichten.
In Ramons Haltung las sie das genaue Gegenteil zu ihren eigenen Gefühlen. Er wirkte neugierig und brannte sichtlich darauf sie zu öffnen und ihren Inhalt zu erkunden. „Ich bin mir sicher, sie beißt dich nicht.”
„Dann mach du sie doch auf!” gab sie trocken zurück. Sie würde das Teil zumindest nicht anfassen. Ihr Bedarf an Abenteuer war für heute gedeckt und in dem Ding könnte alles Mögliche drin sein, inklusive eines Springteufels, von dem sie vermutlich einen Herzinfarkt bekommen würde. Doch eigentlich hatte sie eher Angst davor, dass sich der Schatten in der Kiste verbarg und sie ihn heraus ließe, wenn sie sie öffnete.
Ramon wirkt beinahe so, als hätte er mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er zog die Kiste zu sich heran und untersuchte sie von allen Seiten sehr ausgiebig. Dann machte er sich an zwei Verschlüssen an der Vorderseite der Kiste zu schaffen, öffnete diese und klappte den Deckel hoch. Die Scharniere quietschten laut und stärkten in Vanessa das Bedürfnis, sich von hier zu entfernen.
Dann griff er ohne zu zögern hinein und holte mit einem erstaunten Geräusch ein in ein altes, braunes Tuch gewickeltes Etwas heraus, welches er vorsichtig auf den Tisch legte. Nach einem kurzen weiteren Blick in die Kiste schob er diese beiseite und wendete sich dem eben zu Tage geförderten Stoff zu. Wie gebannt beobachtete Vanessa jede Handbewegung und nur Momente später war der Gegenstand freigelegt. Er war etwa ein Zentimeter hoch und etwas größer als ihre Handfläche. Es sah fast aus wie eine Scherbe von einem zerbrochenen Spiegel, die Bruchkanten an allen Seiten wirkten willkürlich, doch vollkommen glatt. Am Beeindruckendsten jedoch waren die Symbole, die in die ansonsten glatte, goldene Oberfläche eingearbeitet waren. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Das diese Gravuren eine Art Schrift zu sein schienen, daran hatte Vanessa keinen Zweifel. Die Symbole an den Rändern waren teilweise unvollständig, als wäre dieses Ding erst nach der Gravur zerbrochen.
Ramon hatte die Stirn in Falten gelegt und musterte die Scherbe genauso intensiv wie sie es eben noch getan hatte. Einen Moment lang beobachtete sie ihn, dann zog diese goldene Scherbe ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sie lehnte sich etwas vor und betrachtete das merkwürdige Teil genauer. „Was ist das?”
„Es sieht verflucht alt aus. Diese Zeichen habe ich auch schon einmal irgendwo gesehen, aber frag´ mich nicht mehr wo.” Schulterzuckend fuhr fort: „Zumindest sieht es verdammt wertvoll aus. Du solltest gut darauf achtgeben.”
„Ich?” Ihre Stimme sprang bei diesem Wort direkt einige Oktaven höher und sie glaubte sich verhört zu haben.
„Na wer denn sonst. Wenn ich mir ansehe, wie gut es versteckt war, dann ist es vermutlich besser, wenn es nicht irgendwelchen Idioten in die Hände fällt. Du kannst es ja erst mal wieder unter der Scheune verstauen.”
Immer noch glaubte sie, sich verhört zu haben. Das Teil könnte Diebe anlocken, oder verflucht sein, irgendwo her musste der Schatten ja kommen. Wenn schon nicht aus ihrer Einbildung, dann vielleicht aus der Kiste. Fakt aber war, sie wollte das Ding auf keinen Fall hier haben.
Sie blickte das goldene Teil an und dann Ramon, der breit und amüsiert grinste. „Warum grinst du so?”
„Man kann deine Gedanken förmlich auf deinem Gesicht sehen.” Während er bei den Worten noch breiter grinste, gab sie ein genervtes Geräusch von sich. Solche unvorhergesehenen Dinge mochte sie schon seit Jahren nicht mehr. Dazu kam, das dies hier so total verrückt war. Diese ganze Suche nach der Kiste und deren Fundort; sie wollte das nur alles schnell hinter sich lassen und vergessen.
Mit einem tiefen Seufzen schlug sie die Augen wieder auf, die sie für einen Moment geschlossen hatte, und beobachtete, wie er sich die Schriftzeichen genauer ansah. „Kannst du das lesen?”
„Nein, ich habe nie die Zeit gehabt mich mit alten Schriften auseinander zu setzen, obwohl das sicher sehr interessant wäre. Im Moment versuche ich mich zu erinnern, wo ich diese Symbole schon einmal gesehen habe.”
„Ich gehe ein paar Brote schmieren.” Da es ihr eigentlich nur darum ging, etwas Abstand zu gewinnen, wartete sie auch seine Reaktion nicht ab, sondern floh direkt aus dem Raum.
In der Küche atmete sie tief durch, sie brauchte eine Auszeit in der Realität, ohne fremde Kerle, Schatten und merkwürdige Kisten. Ihr Blick fiel auf den Teller, der noch immer auf dem Küchentisch stand, und konnte kaum glauben, wie wenig Zeit nur vergangen war.
Schnell beseitigte sie die Reste und schmierte Brote. Ein Brot nach dem nächsten, während ihre Gedanken noch einmal den Tag Revue passieren ließen. Erst als eine Hand sie daran hinderte, noch ein Brot aus dem Beutel zu nehmen, registrierte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie blickte verwirrt auf, es war normalerweise nicht ihre Art, sich so dermaßen ablenken zu lassen, dass sie nichts weiter mitbekam, aber sie hielt das für einen wichtigen Hinweis darauf, dass sie wirklich mit ihren Nerven für heute durch war.
„Ich denke es genügt.”
Vanessa blickte auf den Tisch. Er hatte Recht, dort auf dem Tisch lagen schon gut und gerne zehn geschmierte Brote, doch eigentlich hatte sie gar keinen Hunger. Eilig und etwas verlegen, verstaute sie den Rest wieder im Kühlschrank und nahm die Teller mit in die Stube. Die Kiste stand nun wieder geschlossen auf dem Boden neben der Couch. Kurz wollte sie fragen, ob diese riesige Kiste nur dieses eine Teil enthalten hatte, doch sie schwieg, wollte das gar nicht so genau wissen, zumindest nicht mehr heute. Schweigend aßen sie und es verging eine geraume Weile bis Ramon fragte: „Willst du darüber reden?”
Völlig aus ihren Gedanken gerissen schaute Vanessa auf und blickte ihm ins besorgte Gesicht. „Ich wüsste nicht so genau worüber.”
„Du wirkst, als würdest du ziemlich neben dir stehen.” Es klang vorsichtig, offenbar bedacht darauf, nicht in ein Fettnäpfchen zu treten.
Sie antwortete, bevor sie darüber auch nur einen Moment nachgedacht hatte: „Ich bin einem Hirngespinst gefolgt und habe eine alte Kiste mit einem Stück Gold gefunden, auf dem komische Symbole sind.”
Mehr sagte sie nicht, dass war aber auch nicht notwendig, denn er schien zu verstehen, was sie sagen wollte und erwiderte: „Nur, das es kein Hirngespinst war.”
„Sondern?”
„Vielleicht ein Geist, eine Art Energie, ein Zauber.” Sein Schulterzucken machte den Eindruck, als würde er das als völlig irrelevant empfinden.
„Ein Zauber?!”
„Du bist erwacht. Erste Regel für dein Dasein als Erwachte: Es gibt nichts was es nicht gibt. Jede Geschichte, jede Legende enthält mindestens ein Körnchen Wahrheit.”
Sie fragte sich, ob er sie auf den Arm nahm, doch in seinem Gesicht fand sie keinen Hinweis darauf, dass er sie versuchte sie anzulügen. Geister, Magie, fehlten nur noch die kleinen grünen Männchen, um glücklich sein zu können, dachte sie zynisch.
„Ist diese Vorstellung denn wirklich so viel schlimmer, als die Idee verrückt zu sein?”
Die Worte waren wie ein Messer, das sich in ihr Herz bohrte. Für verrückt hatten sie alle gehalten und allein diese Erinnerung schmerzte sie ungemein. Doch war diese neue Wahrheit, wenn sie denn wahr war, auch wirklich besser? Würde ihr das irgendjemand glauben? Die Antwort darauf war kurz und sehr ernüchternd: Nein! „Es macht nicht wirklich einen Unterschied”, gab sie bitter zurück, doch er schüttelte nur seinen Kopf.
„Es ist ein gewaltiger Unterschied für dich! Hör auf an die Träumer zu denken, die werden das nicht begreifen und es ist besser, wenn sie davon auch nichts mitbekommen. Lass sie in ihrer kleinen, einfachen Welt leben.”
„Verrückt, erwacht, in beiden Fällen ist man ein Ausgestoßener.”
Obwohl er den Eindruck machte zu verstehen was sie meinte, schüttelte er zu ihrer Überraschung den Kopf. „Da irrst du dich! Mit einer halbwegs normalen Gabe bist du in der Regel in der Lage zwischen den Träumern unentdeckt zu leben. Und du hast noch die anderen Erwachten. Sie sind überall. Du bist nicht allein.”
„Ich bin noch keinem begegnet.”
„Weil man die Träumer schlafen lässt. Das ist ein ehernes Gesetz. Das wichtigste Gesetz überhaupt. Die meisten Erwachten kommen aber auch aus erwachten Familien.”
„Dann ist das ein genetisches Problem?”
Einen Moment dachte er darüber nach, dann zuckte er die Schultern. „Das kann glaube ich keiner so genau beantworten. Es scheint zum Teil erblich zu sein, aber nicht ausschließlich. Es gibt Theorien, wonach eine Begabung in jedem schlummert und wenn man einen Träumer weckt, dieser sie in der Regel auch findet. Genauso gibt es die Idee, dass es wie ein Virus ist. Wenn man zu viel mit Erwachten zusammen ist, dann steckt man sich quasi an. Die letzte Theorie halte ich für Blödsinn, aber genau wissen tut es eben keiner.”
„Du sagtest niemand mag euch, das bezog sich auf die Erwachten?”
Zögernd nickte er. „Ja, sie haben Angst vor unseren Fähigkeiten, dabei sind sie nicht mal sonderlich spektakulär, wenn du mich fragst, aber es hält sich das Gerücht, dass wir alle durchdrehen und zu Mördern oder schlimmeren werden.”
„Werdet ihr?” Sie hatte über die Frage nicht eine Sekunde nachgedacht und biss sich auf die Zunge, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte. Das war nun ganz definitiv weder sonderlich diplomatisch noch geschickt gewesen.
„Nein, ich habe Venatoren kennen gelernt, die seit Jahrzehnten erwacht sind, und noch nie jemandem etwas getan haben, wenn sie dazu nicht gezwungen wurden.”
„Gezwungen?”
„Die Angst vor uns ist so groß, dass die meisten Erwachten einen Venator sofort töten, wenn sie seiner habhaft werden.”
Entsetzen erfasste sie. Es fiel ihr schwer das zu glauben, so etwas konnte doch gar nicht wahr sein. „Ich verstehe das nicht”, gestand sie nach einer Weile. „Ich meine, was ist daran denn so beängstigend?”
Er zuckte die Schultern. „Ich denke, das haben wir alles dem Jäger und seinen Bluthunden zu verdanken.”
„Wer ist das?”
„Ein Venator, ein Schlächter. Er lebte irgendwann im Mittelalter und muss unter den Erwachten ziemlich gewütet haben. Er und seine Kollegen. Ganze Dörfer sollen sie ausgelöscht haben. Kein Erwachter war angeblich vor ihnen sicher. Nach allem was man sich erzählt, müssen die total irre gewesen sein.”
„Aber wieso hasst man dann alle? Ich meine, nur weil es einen, zwei, oder mehr Verbrecher gab, die einer Rasse, Gabe, Religion, keine Ahnung was angehörten, verurteilt man doch nicht gleich eine ganze Gruppe.” Gut sie wusste selbst, dass diese Frage naiv war, aber irgendwie musste sie es aussprechen, diese Sache klang so verrückt, dass sie fürchtete, dass sie noch verrückter würde, wenn sie nicht fragte.
Ramon mied jeden Blickkontakt und zuckte leicht mit den Schultern. „Sie haben Angst vor dem Jagdtrieb, nehme ich an, und vor der Tatsache, dass wir theoretisch immer wissen wo sie sich genau aufhalten ohne sie dafür sehen zu müssen.”
Da sie nicht bohren wollte, wartete sie darauf, ob er womöglich selbst eine nähere Erklärung dazu abgeben würde. Es verging eine geraume Weile und Vanessa hatte schon nicht mehr mit einer Antwort gerechnet, als er tief durchatmete. „Die meisten Erwachten haben so etwas wie eine Signatur. Stell es dir wie das Signal eines Flugzeuges vor. Auch wenn du das Flugzeug nicht sehen kannst, kannst du es auf einem Flugradar sichtbar machen und weißt genau wo es sich gerade befindet, sobald es in Reichweite deiner Überwachung kommt.” Vanessa versuchte sich vorzustellen wie so ein Radar wohl aussehen musste und was man mit dem Wissen wohl alles anfangen könnte. „So ist das bei uns auch. In einem Umkreis von ein bis zwei Kilometern können wir diese Signaturen ausmachen. Wir erkennen an ihnen wie stark jemand erwacht ist, oder besser wie stark die Gabe in ihm ist. Wir können aber nur in zwei Richtungen unterscheiden: Entweder liegt dessen Stärke im körperlichen Bereich oder im geistigen. Mit etwas Übung kann man auch noch bestimmte Merkmale aus dem Zeichen der Personen ablesen. Zum Beispiel einen anderen Venator erkennt man als solchen. Theoretisch gibt uns das Aufschluss über die Stärke der Person als solche, je kräftiger ein Zeichen ist, desto mächtiger ist auch die Person dahinter. Nimm einen Kämpfer. Wir können also vorher schon wissen, wie stark dieser ist, obwohl wir ihn nie gesehen haben, das gibt natürlich ein paar taktische Vorteile, aber auch sonst ist das sehr nützlich. Während die meisten Erwachten auf ihre normalen fünf Sinne angewiesen sind, können wir uns mit Hilfe dieses Radars an ihnen vorbei schleichen, sie überraschen, ihnen aus dem Weg gehen. Das passt den meisten Leuten schon nicht in den Kram, denn damit haben wir natürlich einen entscheidenden Vorteil. Aber der Hauptgrund für die Angst der Erwachten ist der Jagdtrieb. Hin und wieder müssen wir einfach jagen und das tun wir auf Erwachte, wir verfolgen sie mit Hilfe ihres Zeichens und fangen sie. Theoretisch vollkommen ungefährlich, dummerweise hat sowohl der Jäger und sein Gefolge, als auch einige, nicht ganz zurechnungsfähige Venatoren immer wieder bewiesen, dass diese Jagden auch ziemlich blutig ablaufen können. Aber im Prinzip ist es nicht viel mehr als ein Fangenspiel.”
„Mehr nicht?”
„Danach werden sie unterworfen, mit einem einfachen Abschlagen ist es nicht getan. Eine kurze Rangelei aus denen wir als Sieger hervorgehen, wenn die Beute dann quasi unterlegen am Boden liegt. Dann sind wir zufrieden, dass ist… entspannend.”
„Und die Beute?”
„Der muss dabei nichts passieren. Es ist nicht nötig sie zu verletzen oder gar zu töten. Theoretisch kann das beiden Beteiligten sogar Spaß machen, das Problem ist nur, dass es quasi unmöglich ist jemanden zu finden, der bereit ist, da mitzumachen. Schließlich gelten wir als verrückt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir durchdrehen.”
„Warum lasst ihr das dann nicht einfach?”
„Diese Wahl haben wir leider nicht. Je länger wir das aufschieben umso größer wird der Drang. Irgendwann sind wir soweit, dass wir sogar einem unerwachten Radfahrer hinterher rennen würden, einfach weil er sich schneller bewegt und wir jagen wollen, dann hat man quasi keine Kontrolle mehr darüber, ob man jagen will oder nicht. Soweit lässt man es aber nicht kommen, das ist für einen selbst sehr gefährlich und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass so eine Jagd dann total eskaliert. Wenn man es soweit treibt, vergisst man alle Vorsicht, eine denkbar leichte Beute für andere Erwachte, die uns jagen und wenn die Erwachten einen in die Finger bekommen ist man, wenn man Glück hat, tot.”
„Wenn man Glück hat?” wiederholte sie verwirrt.
Noch bevor er antwortete, sah sie ihm schon sehr deutlich an, dass er darüber nicht weiter sprechen wollte. „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.” So leicht wollte sie zwar nicht klein bei geben, aber sie riss sich zusammen und schwieg. „Deshalb fürchten uns die Menschen, in der Theorie sind wir nicht gefährlicher, als alle anderen auch, aber dank der Geschichte mit dem Jäger und einer langen Liste von Venatoren, die auch ziemlich verdreht waren, setzen die meisten Erwachten eine Jagd mit einem Todesurteil gleich. Obwohl, meiner Erfahrung nach, die meisten Venatoren, ihre unfreiwilligen Partner nicht anrühren. Sie jagen, sie unterwerfen und lassen sie dann ziehen, ohne ihnen irgendeinen Schaden zuzufügen.”
„Klingt unangenehm.”
Ein erneutes Schulterzucken. „Ich glaube die Jagd an sich ist nicht das Schlimme. Die Angst vor dem Venator ist das größere Problem. Die meisten Erwachten haben Todesangst, denn sie wissen natürlich nicht, wie der Venator, der sie auserkoren hat, drauf ist. Sie rennen und kämpfen um ihr Leben. Meistens vollkommen überflüssigerweise, denn wie ich schon sagte, die meisten Venatoren sind keine verrückten Psychopathen. Jagen, unterwerfen, fertig. Wir bemühen uns wann immer möglich, jemanden freiwilligen zu finden, wenn wir das Glück haben einem anderen Venator zu begegnen, dann kann man mit ihm jagen. Man tauscht die Rollen und beide sind zufrieden, aber es gibt nicht überall Venatoren.”
„Es klingt ein wenig beängstigend”, räumte Vanessa ein. „Ich glaube, da gehört wohl eine ziemliche Portion Vertrauen dazu, sowas mitzumachen.”
„Ja, das macht es erheblich einfacher.”
„Wieso tut ihr euch dann nicht zusammen?”
„Weil wir immer auf der Flucht sind, Vanessa. Es gibt Mittel und Wege uns aufzuspüren, ganze Gruppen, die damit ihr Geld verdienen Venatoren zu jagen.”
„Aber wenn derjenige gar nichts getan hat und nicht verrückt ist?”
Ramon schüttelte den Kopf. „Venatoren werden ausradiert, egal ob man sie persönlich kennt, ob sie jemals jemandem etwas getan haben oder nicht.” Er atmete tief durch. „Aber lass uns bitte nun das Thema wechseln, es sollte hier nicht um mich gehen, wenn du Glück hast wirst du nie wieder einen Venator sehen, sobald ich weg bin.”
Diese Informationen rückten die ganze Sache in ein ganz anderes Licht, vorausgesetzt natürlich, dass das alles so stimmte. Immer auf der Flucht zu sein, war etwas das sie sich nicht einmal wirklich vorstellen konnte. Gerne hätte sie mehr erfahren, aber in seinem Gesicht, das wieder verschlossen wirkte, konnte sie sehen, dass sie keine weiteren Antworten mehr bekommen würde.
„Du musst nicht morgen schon gehen. Du kannst ruhig noch ein paar Tage bleiben.” Sie sprach aus, was ihr in den Sinn kam, ohne sich die Mühe zu machen, das genauer zu durchdenken.
„Lieber nicht, ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Du warst ein Träumer, man wird dir noch keine großen Vorwürfe machen, dass du mich nicht direkt gemeldet hast, aber jetzt bist du kein Träumer mehr. Je nachdem, wie korrekt die Führer dieses Gebietes sind, könntest du wirklich Zoff bekommen, wenn ich länger bleibe und man dir eventuell sogar nachweisen kann, dass du das wusstest. Ich bin eigentlich schon viel zu lange hier.” Der bedauernde Tonfall in dem er das sagte, machte klar, dass er gern noch eine Weile bleiben würde. Gleichzeitig klang er so fest entschlossen, dass es unsinnig war zu versuchen ihn umzustimmen. Er würde morgen gehen, darüber gab es keinen Zweifel.
Gegen diese Art von Problemen, waren ihre eigenen ein ziemlicher Witz. „Das tut mir echt Leid.” Etwas Besseres war ihr nicht eingefallen, aber sie wollte das Schweigen, das sich ausgebreitet hatte, beenden.
„Was denn? Dass die Menschen Idioten sind? Dass ich da einfach Pech hatte?” er zuckte die Schultern, was den scharfen Ton direkt wieder etwas entschärfte. „Es ist einfach dumm gelaufen, ich versuche das Beste daraus zu machen.”
Fair und nett war das Leben irgendwie nie. Es war zum Mäuse melken. Einen Moment sah sie ihn an: Er betrachtete die Brote, schien aber selbst in Gedanken weit weg zu sein. Dann stand sie auf, holte einen Zettel und einen Kugelschreiber aus der Küche und setzte sich wieder hin. Vielleicht war es ja albern, aber es würde ihr nicht wehtun und ihm vielleicht etwas helfen.
„Muss ich dich umhauen und selbst nachsehen, schätzen oder verrätst du mir deine Kleidergrößen, ich muss eh dringend noch mal los und wenn du morgen gehst solltest du zumindest wieder etwas besser ausgestattet sein.” Offenbar wollte er widersprechen, aber sie fuhr schon fort. „Des Weiteren hasse ich es, wenn ich jemandem etwas schuldig bin. Und ich glaube der Nachmittag war hilfreicher, als die unzähligen Therapiestunden, die ich davor hatte.” Der junge Mann schüttelte überrascht den Kopf, gab aber direkt klein bei. „Wage es nicht einfach verschwunden zu sein, wenn ich wiederkomme.” Es war eine Drohung, vor allem weil sie Angst hatte, dass er genau das tun könnte.
„Sonst was?” Seine Worte klangen amüsiert und Vanessa spürte, wie ihr für einen Moment drohte die Röte ins Gesicht zu steigen drohte.
„Sonst hast du jemanden hinter dir her, der dir gehörig den Hintern versohlt, wenn er dich aufgespürt hat.”
„HOHO! Hör sich das einer an. Das klingt schon fast nach einer Herausforderung.” So entspannt und ausgelassen hatte er noch nie ausgesehen. Dieser kurze Moment erlaubte ihr einen Blick auf den Mann, der er sein könnte, wenn man ihn wohl nur lassen würde.
„Ich werde hier sein, versprochen. Es wäre zwar vernünftiger zu gehen, aber die Nacht auf der Couch und ein Frühstück in netter Gesellschaft, schlagen im Moment die Vernunft.”
Den Tag heute konnte man getrost als große Katastrophe abtun. Doch das Schlimmste war, dass der einzige Mensch, der sie nicht für verrückt hielt, morgen schon wieder aus ihrem Leben verschwinden würde und noch viel bitterer war das Wissen, dass sie ihn vermutlich niemals wiedersehen würde. Schlimmer noch, es würde unmöglich sein herauszufinden wie es ihm erging. Es war einfach alles nicht fair.
Ein paar stabile Schuhe, ein Rucksack und Klamotten waren schnell besorgt und genauso schnell war sie wieder auf dem Rückweg. Natürlich hatte sie prompt die Milch vergessen, aber das war ihr egal. Sie wollte nach Hause. Sie wusste, dass ihre Gründe, wieso ihr das alles so schwer fiel, rein egoistischer Natur waren. Doch es scherte sie nicht groß. Das ganze Leben war egoistisch, wieso sollte sie das dann nicht auch einmal sein dürfen? Der Gedanke, wieder mit ihren Problemen allein zu sein, war unerträglich. Sie würde nie im Leben den Mut haben, so etwas wie heute Nachmittag zu wiederholen. Genau genommen wäre sie weggelaufen, schreiend und ohne noch einmal zurück zu blicken, wenn Ramon sie nicht davon abgehalten hätte. Es gefiel ihr zwar nicht, dass jemand sie zu etwas zwang, aber das, was Ramon am Nachmittag getan hatte, war auch eher ein Schubs in die richtige Richtung gewesen.
Das Taxi hielt vor ihrem Grundstück. Sie zahlte, nahm die Einkäufe und rannte fast zur Haustür. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie allein sein würde. Allein, bis heute Morgen war das noch ein Traumwort gewesen, aber jetzt war es ein reiner Alptraum.
Die Stube war tatsächlich leer, auch die Reste waren wegräumt worden. Nur die Decken lagen dort noch herum, genau wie die Kiste. Weder in der Küche noch im Gäste-WC war er, wie sie enttäuscht feststellte. Wieder ging sie in die Stube und starrte die leere Couch an. Wirklich überrascht war sie nicht, sie hatte es geahnt. Dieser verdammte Idiot hatte es versprochen, und er hätte die Ausrüstung wirklich nötig gehabt. Sie stand dort wie ein Esel und kämpfte mit einer Mischung aus Wut und Trauer. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn und sie verstand nicht wirklich, wieso das so war. Sie hätte es ahnen müssen. Dummheit kannte manchmal keine Grenzen, zumindest nicht, wenn es um ihre eigene ging.
Eine Berührung an ihrer Schulter riss sie unsanft aus ihren Gedanken. Es war fast ein wie ein elektrischer Schlag, ihr Herz rutschte bis in die Kniekehlen und raste vor Schreck los, während sie einen erschrockenen Laut von sich gab und herum fuhr. Doch es war nur Ramon, der grinste. Das war zu viel! Ihre total wirren Gefühle, die Wut und der Schreck entluden sich in einer Ohrfeige, mit der wohl keiner von beiden wirklich gerechnet hatte. Das Geräusch, das ihre Hand auf seiner Wange machte, war erschreckend laut und hinterließ einen roten Abdruck. Ihre Handfläche kribbelte. Doch ihr tat das nicht Leid, die Wut hatte gewonnen und sie funkelte den jungen Mann an, dessen Mund leicht offen stand, eine Hand an der Stelle wo sie ihn erwischt hatte und drein sah, als könnte er das gar nicht fassen. Mit dieser Reaktion hatte Ramon ganz offensichtlich nicht gerechnet. Für ihn schien es nur ein kleiner Spaß gewesen zu sein und sie hatte nicht schlecht Lust die Ohrfeige zu wiederholen. Sie riss sich zusammen. Das sein kleiner Spaß nach hinten losgegangen war, war ihm sofort klar und so etwas wie Reue zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Doch das interessierte sie nicht.
„Die Klamotten stehen neben der Couch. Du weißt ja wo alles ist. Nacht!” Die Wut tobte wie ein wütendes Tier in ihr.
„Vanessa…” Es klang, als wollte er sich entschuldigen, doch sie funkelte ihn nur wütend an.
„Leg dich schlafen, so wie ich das sehe hast du eine anstrengende Weiterreise vor dir.” Damit ließ sie ihn einfach stehen.
Das hatte gesessen, sie hatte gesehen wie er unter den Worten merklich zusammengezuckt war. Doch das kümmerte sie im Moment nicht weiter. Sie rannte förmlich nach oben, schlug die Türen hinter sich zu und warf Schuhe und Jacke von sich und sich selbst aufs Bett. Tränen der Wut füllten ihre Augen. Er hatte offenbar nichts Besseres zu tun, als mit ihr zu spielen. Verfluchte Menschen, sollten sie allesamt zur Hölle fahren.
Das letzte Licht des Tages war schon lange verschwunden. Vanessa lag immer noch auf ihrem Bett. Ihre Wut war verpufft und sie sah ein, dass sie vielleicht etwas überreagiert hatte. Ein kleiner Scherz und das Ganze war so dermaßen eskaliert. Natürlich waren daran die schlechten Erfahrungen mit Menschen in ihrer Vergangenheit schuld. Das konnte schon das meiste erklären, aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, verstand sie ihre eigene Reaktion selbst nicht so ganz. Es war heute einfach ein harter Tag gewesen.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon nach Mitternacht war. Das schlechte Gewissen nagte an ihr und sie überlegte, ob sie sich womöglich entschuldigen sollte. Nach einer immer weiter anwachsenden Unruhe, die sie verspürte, schlug sie frustriert die Decke beiseite und schwang die Beine aus dem Bett. Es half nichts, sie würde sich entschuldigen. Jetzt! Während sie ihre Klamotten gerade rückte, sich das Gesicht kurz wusch und sich auf den Weg hinunter machte, kam ihr in den Sinn, dass er vielleicht schon gegangen sein könnte. In der Stube war alles ruhig und dunkel. Sie zögerte, wollte nicht nachsehen, ob er nur schlief oder schon weg war und ging stattdessen in die Küche, wo sie sich einen heißen Kakao aus Pulver machte. Es war nur ein dürftiger Ersatz für einen richtigen Kakao, aber das würde schon gehen.
Auch als sie die Küche mit der Tasse dampfenden, wohlriechenden Kakaos verließ war noch alles dunkel und still. Auch das Wissen, dass es albern war nicht einfach eben nachzusehen, schaffte es nicht ihre Schritte in diese Richtung zu lenken. Stattdessen machte sie sich auf den Weg wieder hinauf.
„Fange ich mir noch eine ein, wenn ich versuche mich zu entschuldigen?” fragte eine leise Stimme aus der Stube, als sie gerade die Hand nach der Türklinke ausstrecken wollte. Sie fuhr erschrocken zusammen, nur mühsam hatte sie verhindern können, dass ihr Kakao auf dem Boden landete. Sie ließ die Hand sinken. Er war also doch noch da. Einen Moment verharrte sie dort wo sie war, doch dann gab sie sich einen Ruck und machte sich auf den Weg in ihre Stube. Die ganze Sache war ihr mehr als unangenehm. In dem wenigen Licht, dass von draußen herein fiel, konnte sie ihn auf der Couch sitzen sehen. Sie verzichtete darauf das Licht einzuschalten, setzte sich und stellte den Kakao auf dem Tisch ab.
„Nein, und es tut mir leid. Ich bin einfach mit den Nerven am Ende. Der Tag war einfach zu viel.” Selten zuvor war sie sich so dumm vorgekommen wie in diesem Moment.
„Ich bin manchmal ein ziemlicher Idiot. Ich hatte dich bemerkt, als du dich wieder genähert hast. Ich habe keine Ahnung was ich mir dabei gedacht hatte, ich wollte einfach nur… witzig sein?! Mir war nicht klar, dass…”
Vanessa unterbrach ihn: „Ich total daneben bin.” Er schüttelte zwar den Kopf, aber sie sprach weiter. „Der Tag war einfach ein bisschen viel, er hat viele alte Schrecken ausgebuddelt und alte Wunden wieder aufgerissen, ich glaube, ich stehe noch ein wenig neben mir.”
„Es war eine bescheuerte Idee, auch von meiner Seite aus. Ich habe ja gesehen, wie heftig das alles heute für dich war. Ich sage ja, ich bin manchmal ein ziemlicher Idiot.”
„Vergessen wir es einfach?” schlug sie vor und Ramon nickte fast sofort.
Sie schob ihm den frisch gemachten Kakao rüber. Doch es blieb schweigsam.
„Woher wusstest du eigentlich vorhin, was zu tun war?” fragte Vanessa plötzlich, weil es ihr durch den Kopf schoss. „Konntest du das Ding auch wahrnehmen?”
„Nein, ich habe gar nichts wahrgenommen.” In der herrschenden Dunkelheit konnte sie seine Gesichtszüge nicht erkennen. „Mir schien es das Sinnvollste zu sein, deiner Gabe einfach zu vertrauen und zu sehen, wohin sie uns führt.”
„Das hieße, du konntest gar nicht mit Bestimmtheit sagen, dass es harmlos ist?!”
„Vanessa, in dieser Welt gibt es nie eine hundert prozentige Garantie für irgendetwas. Allerdings habe ich von solchen Phänomenen schon einmal gehört. Hätte ich geglaubt, es wäre gefährlich, hätte ich dich nicht dazu gebracht, deine Gabe einfach zuzulassen.”
Nicht wirklich die Antwort, die sie sich gewünscht hätte, aber sie klang logisch und nachvollziehbar. Vor allem schien sie in seinen Augen auch einfach die Wahrheit zu sein und die Wahrheit musste nicht immer schön sein, das hatte sie bereits gelernt. Aber, wenn sie die Wahl hatte, war ihr die Wahrheit lieber, als die ständigen Lügen ihrer Mitmenschen.
„Hast du dir mal die Mühe gemacht und versucht was du gesehen hast zu zeichnen?” Neugier schwang bei der Frage mit.
„Ja, damals. Ich habe noch eins. Die Anderen habe ich alle vernichtet, denn es waren Beweise, die man finden konnte.”
„Klingt nach einer schweren Zeit. Mich würde es interessieren.”
Er hatte ja keine Ahnung wie schwer, ging es ihr durch den Kopf. „Ich könnte es holen, aber es nicht besonders gut.”
„Das macht nichts, ich habe das Strichmännchen-Stadium beim Zeichnen nie verlassen.”
Ein kleines Lächeln stahl sich bei diesen Worten auf ihr Gesicht. Noch niemals hatte sie dieses Bild jemandem freiwillig gezeigt. Sie hatte verflucht, es jemals überhaupt gezeichnet zu haben. Sie wusste selbst nicht so genau, wieso sie es aufgehoben hatte.
In trüben Gedanken über die Vergangenheit hängend ging sie wieder hinunter, als sie es geholt hatte. Als sie den Durchgang zur Stube fast erreicht hatte, wurde sie von hinten gepackt. Eine Hand legte sich auf ihren Mund und unterdrückte so ihren Aufschrei. Wie eine Puppe, wurde sie weg von dem Durchgang gezerrt in die Dunkelheit die neben dem Durchgang herrschte. Ihr Herz begann zu rasen. Sie griff nach dem Arm, der sie gegen eine harte Brust drückte und versuchte sich strampelnd dem Griff zu entwinden. „Schhh”, hörte sie an ihrem Ohr. „Sei ganz still.” Es war Ramon. Er klang sehr angespannt und sie war sich sicher: Das war kein Spaß. Diese Tatsache änderte nicht viel an ihrem Versuch sich zu befreien. Vorsichtig löste er seine Hand von ihrem Mund und auch sein Griff lockerte sich langsam um sie wieder unter Kontrolle zu bringen, wenn sie etwas Falsches tat. Sie wich direkt vor ihm zurück bis sie mit dem Rücken an die Wand stieß. „Es schleichen Leute ums Haus”, erklärte er, bevor sie Zeit hatte etwas anderes zu tun.
Sie brauchte ein wenig um diese Nachricht zu verarbeiten. „Dann sollten wir die Polizei rufen.” Zumindest kam ihr das wie das vernünftigste vor.
„Bleib bitte kurz hier, ich gehe die Sachen eben holen.” Noch bevor sie etwas sagen konnte, bewegte er sich geduckt in die Stube. Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, war er wieder da, dieser Schatten. Sie spürte es noch bevor sie ihn sah. Die Welt verrutschte wieder und wirkte nicht mehr ganz so wie sie sollte. Der Geruch von warmen Kakao, der noch den Raum erfüllte, trat in den Hintergrund genauso wie das monotone Ticken der Uhr. Auch die Dunkelheit um sie herum wirkte einfach anders. Vanessa stöhnte auf. Direkt neben der Toilettentür war der Schatten. Trotz der dort herrschenden Finsternis, konnte Vanessa ihn gut erkennen. Die Schwärze aus der er bestand war so tief, dass sich gegen die normale Finsternis abhob als hätte man ein geschwärztes Blatt vor eine weiße Wand gehalten.
„Bitte nicht jetzt!” murmelte sie.
„Was ist los, Vanessa?” Ramon kam geduckt in den Raum. Seine Worte klangen hohl und weit entfernt.
Es kostete sie einiges an Willenskraft um auf ihn zu reagieren. „Der verdammte Schatten.” In ihren eigenen Ohren klangen diese Worte merkwürdig hohl.
„Fuck!”, fluchte Ramon. „Vanessa, was tut er?”
„Er ist einfach nur da”, begann sie, doch als habe der Schatten nur darauf gewartet bewegte er sich nun durch die Wand! Sie beendete den Satz nicht, aber Ramon verstand offenbar auch so.
„Die Kiste!” Mit den zwei Worten war Ramon schon wieder verschwunden. Ein merkwürdiger Lichtkegel erleuchtete plötzlich einen Teil des Fußbodens, dort wo der Durchgang zur Stube war. Im ersten Moment blickte Vanessa diesen verständnislos an, doch dann begriff sie. Genau gegenüber des Durchgangs war ein Fenster, jemand schien auf dem kleinen Weg zwischen Haus und der Mauer zur Straße hin zu sein und leuchtete mit einer Taschenlampe in ihre Wohnung.
Der Lichtkegel verschwand und es wurde wieder dunkel. Mit zitternden Knien stand sie da und wusste nicht was sie tun sollte. Noch verrückter schien die Situation zu werden, als Ramon mit der Kiste zurück kam und der Schatten ihm folgte.
Ramon fluchte leise und stopfte dann den Inhalt der Kiste, der offenbar aus zwei weiteren eingewickelten Gegenständen bestand, in den Rucksack. Währenddessen stand sie wie angewurzelt da und starrte auf den Schatten. Der hinter Ramon hin und her glitt und ein wenig an das Pendel einer großen Standuhr erinnerte.
„Wo sind deine Schuhe und deine Jacke?”, fragte er hektisch, doch erst als er sie an den Armen packte und leicht schüttelte konnte sie den Blick von dem Schatten nehmen.
„Oben vor meinem Bett, aber…”, weiter kam sie nicht, denn da war er schon auf und davon.
Mit ihm war auch der Schatten verschwunden und alles schien wieder an seinen angestammten Platz zu gleiten. Die Geräusche klangen wieder präsent. Schwer lehnte sie sich gegen die Wand.
Ramon schien eine Ewigkeit zu brauchen bevor er wieder auftauchte und ihr Schuhe und Jacke reichte. Mit zitternden Fingern nahm sie sie entgegen, starrte ihn aber ratlos an. Er selbst schlüpfte in die neuen Schuhe.
„Worauf wartest du? Zieh dich an, wir verschwinden hier!”, sagte er ungeduldig.
„Wir?” Ihr Ton klang völlig fassungslos.
„Ich erkläre dir das später, ich bin mir nicht sicher, dass sie meinetwegen hier sind.”
Für einen Moment begriff Vanessa nichts. Wieso sollten sie denn sonst hier sein? Doch dann fiel ihr Blick auf die Kiste. „Wenn sie die Kiste wollen, sollen sie sie doch haben.”
„So etwas ist immer eine schlechte Idee, wer weiß, wie heiß das Teil ist. Bitte, Vanessa, wir haben keine Zeit”, sagte er eindringlich.
Es war die Tonlage, die sie aktiv werden ließ. Hektisch schlüpfte sie in Schuhe und Jacke und blickte ihn dann skeptisch und verunsichert an.
„Tu was ich sage, ich bringe uns hier schon raus, es sind nicht viele, wir passen einen günstigen Moment ab.”
„Das kann ich nicht!”, stammelte sie, doch Ramon packte schon ihre Hand und zog sie Richtung Stube.
Geduckt folgte Vanessa Ramon in durch die Stube und auf die Terrassentür zu. Schnell öffnete er sie und sie traten ins Freie. Es war kalt draußen und der Wind hatte aufgefrischt. Die kalte, frische Luft vertrieb nun auch die letzten Reste von der Begegnung mit dem Schatten und holte sie endgültig in die Realität zurück. Über die Terrasse ging es durch den angrenzenden Garten in eine Ansammlung kleiner Bäume hinein. Dort verharrte Ramon einen Moment und spähte auf das Feld hinaus, welches sich direkt anschloss. Die Landstraße, zu ihrer Rechten, lag ruhig und verlassen da. Nur selten fuhr um diese Uhrzeit dort noch ein Auto vorbei. Das erste Mal, seit sie hier hergezogen war, fiel ihr auf wie wenig Deckung es in dieser Gegend hier gab.
Als der Wind ein leises Klirren herantrug, dass stark an das Zerbrechen von Glas erinnerte, zog Ramon sie auch schon weiter. „Über das Feld, zu dem Gebäude da vorn”, flüsterte er leise. Sie stolperte hinter ihm her und der Weg schien einfach kein Ende nehmen zu wollen. Wenn jemand nur kurz in diese Richtung blicken würde, müsste er sie sehen, daran führte kein Weg vorbei. Doch es schien sie niemand zu bemerken und sie erreichten das Gebäude, das nur dem Unterstellen einiger Fahrzeuge diente, in dessen Schatten sie sich nun drückten.
Fassungslos starrte Vanessa Ramon an. Er hatte die Hände auf den Schenkeln abgestützt und atmete schwer. Unendlich viele Fragen wirbelten in ihrem Kopf herum und sie konnte es nicht glauben, dass, während gerade irgendwelche Einbrecher durch ihr Haus zogen, sie hier draußen stand. An dieser Situation war so ziemlich alles irgendwie falsch.
„Wir gehen nach links, über die Felder den Weg entlang und an dem Berg vorbei. Dann sind wir schnell außer Sicht”, erklärte er bevor sie dazu kam sich weit genug zu fangen um selbst eine Frage stellen zu können. Mit offenem Mund starrte sie ihn an und fragte sich, ob das sein Ernst war. Als er sich umdrehte und losgehen wollte, hatte sie ihre Antwort.
„Warte mal!”
„Was ist?”, fragte er angespannt und seine Stimme verriet ihr, dass er keine Lust auf Diskussionen hatte.
„Gib mir den Rucksack”, forderte sie ihn flüsternd auf. Eigentlich hatte sie etwas anderes sagen wollen, doch es war ihr bei der Dringlichkeit, die in seiner Stimme lag, einfach direkt entfallen. Zum Glück widersprach er nicht, sondern überließ ihr den Rucksack. Er hatte mit sich selbst schon mehr als genug zu tun, so dass sie so auf jeden Fall schneller wären, befand sie und wunderte sich direkt über diesen Gedankengang. Doch er ließ ihr auch keine Zeit mehr darüber nachzudenken, griff ihre Hand und zog sie mit sich an dem Gebäude entlang und dann hinaus auf den Weg.
Wer sie flüchtig sah, musste wohl annehmen, es handle sich um zwei Spaziergänger oder Wanderer, die noch sehr spät unterwegs waren. Genau das war auch Ramons Plan, begriff sie. Er wollte verhindern zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Erst, als sie das Haus nicht mehr sehen konnten und der Berg zwischen ihnen und den Einbrechern lag, entspannte sich Ramon etwas. Er humpelte stärker und sein Atem ging schnell und schwer. Der kleine Ausflug schien extrem an seinen Kräften zu zehren.
Ihre Hand hielt er dabei immer noch fest umklammert. Erst nach einer geraumen Weile fiel ihr diese Tatsache auf und sie entzog ihm ihre Hand. „Sollten wir nicht die Polizei verständigen?”, fragte sie statt einer Antwort auf seinen fragenden Blick hin.
Er schüttelte den Kopf. „Lass uns erst mal hier verschwinden, dann sehen wir weiter.” Als sie widersprechen wollte fügte er hinzu: „Bitte, Vanessa, vertrau mir!” Für einen winzigen Moment zögerte sie, doch dann nickte sie schließlich. Ihr Blick glitt zum Himmel über den sich die Wolken in zunehmender Geschwindigkeit schoben. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort und schon bald hatten sie die Bereiche verlassen, die Vanessa selbst von ihren ausgedehnten Spaziergängen noch kannte. Währenddessen frischte der Wind immer weiter auf und schon bald fielen die ersten schweren Tropfen auf sie herab.
Es war ihr absolut unmöglich zu sagen, wie lange sie nun den Feldwegen gefolgt waren bevor sie einen kleinen Ort erreichten an dessen Rand sie eine kleine Gartenlaube fanden. Ihre Haare klebten ihr mittlerweile am Gesicht und ihre Hände fühlten sich taub vor Kälte an. Ramon brach die Tür zum Schuppen einfach auf. Und, noch bevor Vanessa protestieren konnte, hatte er sie schon hinter sich in den Schuppen gezogen. Es war ziemlich eng hier drin, denn der Schuppen war voller Zeug. Sie erhaschte nur einen kurzen Blick, dann schloss Ramon hinter ihr die Tür und es wurde stockfinster um sie herum. Panik drohte sie zu erfassen, doch Ramon griff ihre Hand und führte sie zielsicher zwischen einigen Hindernissen hindurch bis an die Rückwand des Schuppens. Dort angekommen rückte er scheinbar etwas um und half ihr dann den Rucksack abzusetzen.
„Setz dich, Vanessa.” Er sprach leise, aber es klang entspannt. Sie hörte wie er den Rucksack abstellte und sich selbst auch hinsetzte. Es war hier sehr eng. Auf der einen Seite lehnte Vanessa gegen etwas, das ein Sack sein mochte, auf der anderen berührte ihr Oberarm den von Ramon.
Eine Weile saßen sie schweigend da. Hier drin roch es intensiv nach Erde und Öl. Während Ramon sich scheinbar ausruhte, lauschte Vanessa auf jedes Geräusch und malte sich aus, was wohl passierte, wenn der Besitzer des Schuppens auftauchen würde. Natürlich war ihr klar, dass die Chancen, dass das passierte gleich null waren, aber trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl im Bauch.
Eine warme Hand tastete nach ihrer und drückte sie, als sie sie gefunden hatte. „Wir haben sie abgehängt, ich kann sie nicht mehr spüren, sie sind weit weg.” Er sprach leise aber er war sich seiner Sache offenbar ganz sicher.
„Wer waren die?”, ihre Stimme zitterte, doch sie war sich nicht sicher, ob das von der Kälte kam oder von der Aufregung.
„Ich weiß es nicht, aber sie waren offenbar nicht meinetwegen da. Venatorenjäger sind nicht so leicht auszutricksen. Ich denke, sie waren hinter der Kiste her. Ein verdammt guter Grund den Inhalt möglichst schnell loszuwerden oder zumindest herauszufinden, um was es sich dabei eigentlich genau handelt.”
„Wie?”
„Ich weiß es noch nicht.”
„Meinst du wir können zurück ins Haus?”
„“Nein, nicht bevor wir nicht wissen, wieso die so schnell auf dem Plan standen und wer die waren.”
Bisher hatte sie nie wirklich verstanden, wieso Leute, bei denen eingebrochen worden war, teilweise so abdrehten, doch so ganz langsam hatte sie eine Idee wie es dazu kam. Ob sie sich in ihrem Haus jemals wieder sicher fühlen würde? Sie würde auf jeden Fall Gitter an den Fenstern anbringen lassen, damit würde es erheblich schwerer werden ins Haus zu kommen.
Vanessa hing ihren Gedanken nach, wie sie ihr Haus in Zukunft vor so etwas schützen konnte und überdachte den Sinn und Nutzen von Alarmanlagen und einem großen, gefährlichen Wachhund. Von draußen drang ein Grollen zu ihnen herein, dass sie nicht nur hören, sondern auch am ganzen Körper spüren konnte. Der Vorbote eines heraufziehenden Gewitters. Der Wind wurde stärker und heulte um die Hütte und der Regen, der auf das Dach des Schuppens prasselte, wurde so stark, dass sie für einige Zeit sicher war, das eine Unterhaltung unmöglich sei.
Erst als der Regen etwas von seiner Stärke verlor fragte sie: „Wie geht es nun weiter?”
Sie bekam keine Antwort und sie überlegte schon, ob er wohl eingeschlafen sei als er doch die Stille brach. „Wir bleiben noch ein oder zwei Stunden hier, dann gehen wir weiter. Wir suchen uns einen besseren Unterschlupf und ruhen uns aus, danach versuche ich den ein oder anderen Bekannten zu kontaktieren, vielleicht kann uns von denen jemand helfen. Ich vermute, dass ich nur mal wieder den Teufel an die Wand gemalt habe. Vermutlich klärt sich das ganz schnell auf, dann kannst du in dein Leben zurückkehren.”
„Und wenn nicht?”
„Jetzt malst du den Teufel an die Wand”, sagte er leicht amüsiert. Doch sie war sich sicher, dass er daran auch schon gedacht hatte. „Mach dir darüber keine Sorgen, es bringt nichts, sich über ungelegte Eier den Kopf zu zerbrechen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das kleine Problem schnell in den Griff bekommen werden.”
Sie nickte zwar, glaubte aber nicht daran. Wenn sie in ihrem Leben eines gelernt hatte, dann, dass es eigentlich immer schlimmer kam als man angenommen hatte und nur sehr selten wurde sie von einer Wendung überrascht, die sie als positiv empfand.
„Sieht so dein Leben aus?” Ihr rutschte die Frage heraus, bevor sie darüber nachgedacht hatte.
„Mehr oder weniger. Ich suche mir einen Platz, an dem ich eine Weile bleiben kann, beobachte die Umgebung und sobald ich auffalle, ziehe ich weiter.”
Ein Leben auf der Flucht: Das war keine schöne Vorstellung.
Ihre Finger waren eiskalt und sie fror ganz erbärmlich. Der Wind hatte nachgelassen und das Gewitter war weiter gezogen, woraufhin Ramon sie schon vor einer gefühlten Ewigkeit verlassen hatte, um sich nach einer besseren Unterkunft umzusehen. Es war unmöglich zu sagen wie spät es mittlerweile war, aber sie hoffte, dass die Nacht bald vorbei sein würde.
Sie konnte immer noch nicht wirklich fassen, in welch eine Situation sie da hinein geraten war. Fröstelnd schlang sie die Arme um den Körper. Wie sollte das alles nur weitergehen? In den letzten paar Stunden war so viel geschehen, dass sie sich ernsthaft fragte wie sie an ihr Leben wieder anknüpfen sollte. Sie war hinter einem Geist hergelaufen. Hatte eine komische Kiste in einem geheimen Lager unter ihrer Scheune gefunden. Ein wenig klang das nach dem Beginn eines Abenteuerfilms mit Nicolas Cage in der Hauptrolle und als solcher wäre er sicher auch sehr vielversprechend gewesen, aber das hier war nicht der Anfang zu einem Film, es gab hier keine Kamerateams und auch das Drehbuch fehlte komplett.
Vanessa hatte sich noch nie nach Action und Abenteuer gesehnt, zumindest nicht in den letzten zehn Jahren. Davor, als kleines Kind, natürlich schon, da war sie noch ganz normal gewesen. Das alles hatte sich aber an ihrem zwölften Geburtstag schlagartig geändert. Für einen Moment erinnerte sie sich lebhaft daran. Ihre Freunde, die bunten Girlanden, die Kerzen auf der Torte… Dann jedoch schüttelte sie den Kopf und wischte die Erinnerung bei Seite.
Eigentlich wollte sie nur noch ihre Ruhe. Ein Stück Land, einen großen Zaun darum herum und einfach Frieden. Sie hatte wirklich geglaubt, das mit dem Kauf des Bauernhofes zu erreichen. Wer hätte schon gedacht, dass sie ausgerechnet auf einem landen würde, der nennenswerte Geheimnisse hatte?
Sie seufzte, offenbar bestand ihr ganzes Leben aus einer langen Pechsträhne und wenn sie es sich genauer besah, wurde es irgendwie nur schlimmer.
Als wenn all diese Begebenheiten nicht schon schlimm genug gewesen wären, hatte sie auch keine Ahnung, wo sie Ramon einordnen sollte. Er schien nicht gefährlich zu sein und eigentlich ganz okay, sie mochte ihn, doch sie fragte sich, in wie weit er die Sache mit seinem Problem - in ihren Augen waren es Probleme, keine Gaben - vielleicht schön geredet hatte.
Sie dachte über all die Sachen nach, die Ramon ihr erzählt hatte. Über die Welt, seine Art und natürlich deren Verfolgung. Obwohl sie genau wusste, dass die Welt kein guter Ort war, hatte sie doch ihre Probleme damit, ihm das wirklich alles zu glauben.
Sie würde vorsichtig sein müssen und sie würde auf jeden Fall zusehen, dass sie sich nicht zu tief in diese Sache verstricken lassen würde. Ihr war bei der ganzen Sache nicht wohl. Auch hoffte sie, dass goldene Ding möglichst schnell loszuwerden. Wenn sie es nicht mehr hatte, würde es auch keinen Grund geben, dass fremde Leute wegen dem Ding zu Besuch kamen. Sie könnte den Bereich unter der Scheune einfach aufschütten lassen. Damit gäbe es auf dem Hof nichts mehr, das irgendwen anlocken sollte - zumindest hoffte sie das. Vielleicht blieb der Schatten dann auch verschwunden. Ziemlich offensichtlich hatte er etwas mit dieser Kiste zu tun. Wenn sie die nicht mehr besaß, würde sie vielleicht endlich ihre wohlverdiente Ruhe bekommen.
Vanessa blies sich in die Hände, es war verdammt kalt und hier herum zu sitzen machte es nicht besser. Sie fragte sich, wo Ramon blieb. Natürlich, es würde nicht einfach sein, einen Unterschlupf zu finden, auf der anderen Seite, könnten sie auch einfach in ein billiges Hotel gehen für eine Nacht. Dann in Ruhe tagsüber nach einem Platz suchen und dann… ja was eigentlich? Sie hoffte immer noch, dass sie so schnell wie möglich wieder nach Hause konnte.
Von draußen klang nur das Pfeifen des Windes. Sie fluchte, sie hätte doch zumindest eine Uhr oder ein Handy mitnehmen sollen, dass lag nun aber alles noch zu Hause, so die Einbrecher es nicht hatten mitgehen lassen. Doch um den Verlust war es nicht wirklich dramatisch bestellt. Es waren Gegenstände, die sich leicht ersetzen ließen und auf die man auch nicht lebensnotwendiger Weise angewiesen war. Zumindest kam Vanessa längere Zeit ohne Handy klar. Eine Eigenschaft, die heutzutage nur noch sehr wenige Menschen hatten. Sie musste grinsen, sie dachte an die panischen Gesichter und das hektische Suchen der meisten Menschen, sobald sie ihr Handy nicht sofort fanden.
Erneut schüttelte sie den Kopf über den Weg den ihre Gedanken nahmen. Es half nichts, sie würde nicht viel mehr tun können als hier sitzen und darauf warten, das Ramon zurückkam.
Wieder lauschte sie einen Moment, doch es waren keine verdächtigen Geräusche zu hören. Wieso saß sie hier eigentlich herum? Sie hätte drauf bestehen sollen, gleich mit zu gehen, aber sie hatte noch zu sehr neben sich gestanden, als dass sie es mit Nachdruck hätte verlangen können. Dieses untätige Warten gefiel ihr gar nicht. Es erinnerte sie an andere Orte und andere Zeiten, an denen man auch nur warten konnte. Warten aufs Essen. Warten auf die Nacht. Warten auf den nächsten Termin.
Erneut und energisch schüttelte sie den Kopf. Nun reichte es aber langsam. Daran wollte sie jetzt nicht denken. Als hätte sie derzeit keine anderen Probleme.
Den Kopf gegen die Wand des Schuppens lehnend, schloss sie die Augen und versuchte das Gedankenkarussell in ihrem Kopf zum Anhalten und Stille in ihre Gedanken zu bringen.
Es half, sie spürte wie sie ruhiger wurde und konzentrierte sich einfach aufs Atmen.
Ein Geräusch ließ sie hochschrecken, doch es war nur Ramon, der die Tür wieder hinter sich schloss. Sofort fing sie an zu schlottern. Müdigkeit und Kälte waren keine tolle Kombination und sie wünschte sich nichts mehr, als eine warme Decke über den Kopf ziehen zu können.
Ramon kletterte zu ihr nach hinten und setzte sich wieder neben sie.
„Es wird bald hell. Alles in Ordnung?”
„Es ist verflucht kalt, ansonsten ist alles okay.” Sie konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen. „Wie ist dein Ausflug gelaufen?”
Ein ärgerliches Brummen. „Ich habe nichts Geeignetes gefunden, ich fürchte wir müssen weiter und woanders suchen.”
„Wie wäre es mit dem nächsten Hotel? Zumindest für einen Tag.” Erneut stieg ein Gähnen in ihr empor, dass sie mehr schlecht als recht unterdrückte.
Ramon kommentierte ihren Vorschlag nicht, sondern schien sich Zeit zu nehmen, das zu durchdenken.
„Lass es mich anders ausdrücken, Ramon, ich werde mir ein Zimmer nehmen, dort spürt uns auch so schnell keiner auf und es ist warm und gemütlich. Du kannst, wenn du drauf bestehst, ja hier bleiben, aber ich denke, auch dir würde ein warmes Bett nicht schaden.” Ein erneutes Gähnen rundete ihre Ansage ab.
„Das klingt nicht, als würdest du mir eine große Wahl lassen.” Sie war nicht ganz sicher, ob er das nun amüsant fand, oder verärgert war. So durchgefroren und müde wie sie war, würde sie den Teufel tun, sich von dem Vorhaben ohne verdammt guten Grund abbringen zu lassen.
„Tu ich auch nicht. Lass uns einfach so aufbrechen, dass wir gegen acht an einem Hotel sind und dann da ein Zimmer nehmen.”
Er gab einen Laut von sich, der klar machte, dass er so gar nichts von der Idee an sich hielt.
„Hast du sonst etwas Interessantes erlebt oder so?” Es war vor allem der Versuch dem Thema eine etwas andere Richtung zu geben.
„Nein. Draußen ist alles ruhig. Das wundert mich aber auch nicht, sie haben schließlich nicht mal direkt vom Haus aus versucht, uns zu verfolgen. Ich denke, sie haben einfach nicht schnell genug geschaltet, dass wir weg sind oder sie waren nicht hinter uns, sondern hinter dem Teil aus deiner Scheune her. Wäre es anders gewesen, wären wir vermutlich nicht so einfach entkommen.”
Bei seinen Worten lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken und sie war heilfroh, dass es nicht noch komplizierter und aufregender gewesen war.
Sie spürte seine warme Hand, die ihre griff und sie kurz drückte. Die Wärme war angenehm und sie ahnte, dass er auch nicht genau wusste, was er nun noch sagen sollte. Das war wohl für sie beide eine Art von Premiere, solch ein Abenteuer auf diese Art und Weise zu erleben. Sachte lehnte sie sich an und schloss die Augen.
Einige Stunden später hatten sie die Laube hinter sich gelassen, waren in den Ort gewandert und Vanessa hatte in einer kleinen Herberge ein Doppelzimmer gemietet. Sie hatten gemeinsam gefrühstückt und dann war sie unter die heiße Dusche gesprungen. Sie sehnte sich nach dem bequemen Bett und würde sicher schlafen wie ein Stein.
Zumindest gab es hier Bademäntel, die waren zwar wirklich riesig, aber darin wickelte sie sich ein und schlich zu ihrem Bett. Ihre Kleidung legte sie ans Fußende des Bettes, sie wollte sie in Griffweite haben.
Während aus dem Bad noch Wasserplätschern zu hören war, starrte Vanessa an die Decke. Zwischen dem Moment, an dem sie das letzte Mal aufgestanden war, und jetzt schien eine Ewigkeit zu liegen. Sie hing noch ihren Gedanken nach, als Ramon aus dem Bad zurückkam. Er trug nur ein Handtuch um die Hüften und seine Haare standen feucht in alle Himmelsrichtungen ab. Er war muskulös und offenbar sehr gut trainiert, aber nicht auf eine so verkorkste Art, wie man sie bei den Leuten fand, die vom Fitnessstudio abhängig waren. Ein nicht unangenehmer Anblick, wären da nicht die merkwürdigen Verfärbungen gewesen. An der rechten Seite sah es aus, als wäre er mit einem Auto zusammengestoßen. Aber das war nicht alles: Hier und da waren verschorfte Wunden zu sehen und, wenn man genau hinsah, konnte man sogar einige weiße Narben entdecken. Der Anblick schockierte Vanessa und sie fragte sich, wie man sich wohl solche Verletzungen zuziehen konnte, vor allem so viele.
Ramon schien ihren Blick zu spüren und drehte sich zu ihr um. Der blaue Fleck an seiner rechten Seite zog sich vorn noch ein gutes Stück weiter und schloss die unteren Rippen mit ein. Auch am Bauch und auf der Brust sah sie verschorfte Verletzungen und auch dort waren Narben zu erkennen.
„Ich würde es vorziehen, dazu keine Fragen beantworten zu müssen.” Seine Stimme klang etwas steif und ziemlich unterkühlt.
Vanessa schüttelte verlegen den Kopf und senkte den Blick. „Ich stell´ keine.”
Diese Situation war ziemlich peinlich. Sie hatte regelrecht gegafft. Sie drehte sich auf die Seite und ihm somit den Rücken zu, dann schloss sie die Augen. Es war sicher das Beste, nun einfach etwas zu schlafen. Doch das war einfacher gesagt als getan, nicht zuletzt weil ihr eine Unmenge an Fragen auf der Zunge lagen, von denen sie keine Einzige auch nur stellen würde.
Eine Decke wurde zurückgeschlagen und dann hörte sie wie er sich offenbar selbst in sein Bett legte und nur Minuten später vernahm sie tiefe, gleichmäßige Atemzüge.
Es war das Zufallen einer Tür, das sie wieder weckte. Verwirrt blickte sie sich in dem fremden Zimmer um. Sie sah Ramon, der das Zimmer gerade betreten hatte. Er trug die neuen Klamotten, die sie ihm besorgt hatte, und sah darin vollkommen normal aus. Er lächelte und setzte sich neben sie auf das Bett. Das mit dem Abstand halten hatte er nicht so drauf, allerdings schien das zumindest keine Masche zu sein, sondern einfach nur seine Art.
Darauf achtend, dass der Bademantel hübsch blieb wo er hingehörte, setzte sie sich auf.
„Wo warst du?” Schon während sie die Frage aussprach wurde ihr bewusst, dass es sie eigentlich nichts anging, doch sie hatte etwas sagen müssen. Da war dieser schwer zuzuordnende Blick in seinen Augen gewesen, der sie nervös machte. Er schien das zu bemerken und wendete den Blick von ihr ab.
„Ich habe mich ein wenig umgehört und nach Plätzen gesucht, wo wir ein paar Tage untertauchen können.”
„Ein paar Tage?”
„Ich werde etwas Zeit brauchen, um ein paar Informationen einzuholen. Des Weiteren würde ich das Risiko gern vermeiden, dass es wichtig genug sein könnte, dass die Leute womöglich als nächstes eine Jagd auf dich eröffnen und du in ihrem Zugriffsradius bist.”
Das waren schon wieder nicht die Neuigkeiten, die sie hatte hören wollen. Doch auf der anderen Seite, wäre sie wirklich zufriedener, wenn sie jetzt wie geplant Abschied nehmen müsste? Nein! Denn sie hatte noch einige Fragen zu ihrer Gabe und die würde sie so noch stellen können.
Nachdem sie nichts sagte, blickte Ramon sie wieder an. Er wirkte nicht glücklich. „Tut mir leid, Vanessa. Eine andere Idee habe ich auch nicht.”
Damit hatte er sich bei ihr einige Pluspunkte eingefangen, denn kaum jemand sonst hatte so etwas je gesagt und es offensichtlich auch noch ernst gemeint. Irgendwie genoss sie seine Gesellschaft.
„Ist okay, wie sieht also der weitere Plan aus?”
Er wirkte etwas überrascht und schien nicht damit gerechnet zu haben, dass sie das so einfach akzeptieren würde. Doch darüber war er ganz offensichtlich ziemlich erleichtert. Er drehte sich ein wenig weiter ein, sodass sein Knie auf dem Bett lag und er ihr quasi gegenüber sitzen und sie ansehen konnte.
„Wir bleiben noch ein bis zwei Stunden hier, wenn es dunkel wird, ziehen wir los. Es gibt einige Ferienhäuser etwa 15 km entfernt, die sollten größtenteils leer stehen um diese Jahreszeit.”
„Du willst in fremde Häuser einbrechen?!” Vanessa wusste nicht was sie dazu sagen sollte und auch nicht, was sie erwartet hatte.
„Wir beschädigen nichts und räumen sie ja nicht aus. Ich bin aber gerne bereit umzuplanen, wenn dir etwas Besseres einfällt.” In seiner Stimme schwang eine kleine Herausforderung mit, aber eine von der Art, über die man sich amüsierte.
Vanessa verzog das Gesicht. „Wir könnten hier bleiben.”
Ramon schüttelte den Kopf. „Das ist viel zu teuer und ein einzelner Anruf bei den Betreibern und wir könnten zielsicher aufgespürt werden.”
Daran hatte sie nicht gedacht. Es wäre zwar eine mühsame Arbeit, aber nicht problematisch alle Hotels und Herbergen in der Gegend abzutelefonieren und nach ihnen zu fragen.
„Ich fühle mich wie in einem schlechten Krimi.”
Er lachte. „Kein Krimi ist so spannend wie die Wirklichkeit.”
Sie verzog das Gesicht, musste aber gestehen, dass er nicht ganz Unrecht hatte. Für einen Moment blickte sie ihm direkt in die Augen, die wahnsinnig lebendig wirkten. Augen hatten sie schon immer irgendwie fasziniert und seine taten dies ganz besonders. Schnell wandte sie den Blick wieder ab und ließ ihn ziellos durchs Zimmer schweifen. Irgendetwas machte sie wahnsinnig unruhig und sie konnte nicht mal genau sagen was es war.
„Meinst du, du schaffst die 15 km?”, fragte er und erhob sich einen Moment später.
„Die Frage ist doch eher, ob du die schaffst.”
Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit einem schiefen Grinsen an. Auf eine Art, die deutlich sagte: Wenn du wüsstest, was ich noch alles schaffen würde. Aber er erwiderte nur: „Für mich überhaupt kein Problem.”
„Würdest du es zugeben, wenn es eines wäre?”, fragte sie neugierig.
Er nickte und klang bei den folgenden Worten plötzlich sehr ernst. „Natürlich. Ich kann es mir nicht leisten, mir selbst etwas vor zu machen. Falscher Stolz oder Überheblichkeit könnte mich schnell den Kopf kosten.”
Mit Anlauf und unglaublicher Präzision war sie offenbar wieder mitten im Fettnäpfchen gelandet, hatte sie den Eindruck.
„Entschuldige, ich wollte damit nicht… ich meine, du siehst immer noch aus, als wärest du vor einen Bus gelaufen und da dachte ich…” Seine Augenbraue rutschte ein Stück hoch, doch sein Mundwinkel zuckte leicht. „Ich bin schon still.” Sie schüttelte den Kopf und schwang die Beine aus dem Bett, prüfte, ob der Bademantel noch sinnvoll saß und stand auf.
„Vor einen Bus gelaufen ist eine interessante Beschreibung”, stellte er amüsiert fest.
„So ganz verkehrt fand ich diesen Vergleich nicht”, gab sie trocken zurück. Sie war sich aber nicht sicher, wie sie damit weiter umgehen sollte. Weniger Unsinn reden wäre bestimmt ein Anfang.
„Zieh dich an, ich würde die Zeit gern nutzen, um dir ein paar einfache Übungen zu zeigen mit denen du deine Gabe vermutlich in Schach halten kannst.”
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, sie schnappte sich ihre Sachen und verschwand im Bad, wo sie sich fertig machte. Als sie zurück kam hatte Ramon sein Bettzeug auf ihr Bett gelegt und sich selbst im Schneidersitz ans Fußende gesetzt.
„Setz dich mir gegenüber.” Er grinste breit, als er Vanessas skeptisches Gesicht sah bis sie der Aufforderung mit einem Schulterzucken nachkam.
„Schließ die Augen und entspanne dich.”
Vanessa tat was er sagte, mit solchen Spielchen hatte sie schon ihre Erfahrungen und es fiel ihr nicht besonders schwer.
Neu an dem, was er ihr zeigte, war nur, dass er damit scheinbar vorhatte die Gabe kurzfristig zu unterdrücken. Es war nicht kompliziert und wenn er Recht hatte, würde das unglaublich nützlich sein, wenn ihre Gabe in ungünstigen Momenten losging, wie etwa beim Einkaufen. Ob es allerdings wirklich funktionieren würde, würde sie erst ausprobieren können, wenn es das nächste Mal geschah.
Nach einer Weile öffnete sie die Augen und bemerkte, dass Ramon sie beobachtete. „Ich glaube ich habe es verstanden”, stellte sie fest, um überhaupt etwas zu sagen. Deutlich nahm sie seinen frischen Geruch wahr, der sie an irgendwas erinnerte, aber sie konnte es einfach nicht in Worte fassen.
Es vergingen noch einige lange Minuten, bis Ramon leicht den Kopf schüttelte und sich erhob. Zu gern hätte sie gewusst über was er nachgedacht hatte. Dann streckte er sich vorsichtig und blickte aus einem der Fenster hinaus in die einsetzende Dämmerung.
„Wir sollten langsam aufbrechen.”
„Sicher, dass wir nicht tagsüber gehen wollen?”
„Hast du mal versucht tagsüber, wenn die Leute alle wach sind, in ein Haus einzubrechen?”
„Nein, bisher sahen meine Freizeitaktivitäten etwas anders aus.” Sie trat neben ihn und warf einen Blick auf den Himmel. Wenn Sie Glück hatten, würde es eine trockene Nacht werden. Aber auf der anderen Seite: Wann hatte sie jemals wirklich Glück gehabt?
Eine Stunde später wanderten sie wieder über Feldwege und an Landstraßen entlang. Ramon war schweigsam und wirkte konzentriert. Vanessa wusste zwar nicht, auf was er genau achtete, aber sie wollte auch nicht stören und ging einfach neben ihm her.
Es war angenehm ruhig, die Sterne blitzen am Himmel und immer wieder lugte der Mond hinter einigen Wolken hindurch. Die Luft war kühl und klar und nur ein sanfter Wind wehte ihnen entgegen.
Wären die Umstände andere gewesen, hätte sie es richtig genossen. Sie mochte nächtliche Spaziergänge und die Begleitung gefiel ihr ebenfalls. Ihre Gedanken kreisten um alle möglichen Probleme. Vor allem aber über den geplanten Einbruch. Sie hatte Angst davor, dass etwas schiefgehen könnte. Sie sah sich schon in einer Zelle, wo sie den Beamten dann unsinniges Zeug erzählte. Von dem goldenen Ding im Rucksack wollte sie erst gar nicht anfangen. Allein der Gedanke wie sie versuchte, irgendeine halbwegs plausible Geschichte zusammenzukriegen, machte ihr Bauchschmerzen. Sie würde sich in Widersprüche verstricken bis sie eingerollt war wie die Beute einer Spinne.
„Du machst ein Gesicht als würdest du eine Zitrone essen.” Ramon klang amüsiert und sah auch so aus.
„Ich habe gerade sehr viele, sehr unangenehme Ideen, was alles schief gehen kann und keine davon ist irgendwie witzig.”
„Mach dir keinen Kopf, das ist nicht mein erstes Mal. Es wird schon nichts schief gehen und dir passiert auch nichts, versprochen!” Der Ausdruck in seinem Gesicht war so entschlossen und überzeugt davon, dass sie sich ein kurzes Lächeln nicht verkneifen konnte.
„Ich mach mir auch keine wirklich ernsten Sorgen.” Sie zuckte die Schultern und er schien zu verstehen, was sie meinte.
Still gingen sie nebeneinander her, bis sie kurz vor Mitternacht die Ferienhäuser erreichten. Der Ort zog sich hier etwas zurück und umschloss eine kleine Waldzunge. Irgend jemand hatte clever das Potential dieses Umstandes entdeckt, und eine Straße quer über die Waldzunge gebaut. Die kleine Reihe Ferienhäuser, die auf der ortsabgewandten Seite stand, wirkte auf Vanessa verlassen, doch was wusste sie schon davon?
Ramon und Vanessa bogen auf einen kleinen Fußpfad ab, der hinter den Grundstücken entlang lief und sie von einem kleinen, sicherlich künstlich angelegten See trennte, auf dem ein moosiges Entenhaus stand.
Ramon wirkte sehr konzentriert und lies seinen Blick immer wieder über die Gebäude und Grundstücke schweifen, bis sie am anderen Ende eine Parkbank erreichten. Ramon bat sie zu warten und ging selbst wieder zurück. Ihr war das nur Recht, sie hatte keine Lust einem eventuell vorhandenen Wachhund zu begegnen, oder sonst in irgendein Problem zu stolpern. Der Einbruch war immer noch nicht die Lösung, die sie bevorzugt hätte und derzeit kam ihr die Idee noch waghalsiger und verrückter vor.
Es war eine ruhige und schöne Gegend. Am anderen Ufer des Sees konnte sie einen Weg erkennen der im Wald verschwand. Hier von der Bank aus führte ein kleiner Trampelpfad in diese Richtung. Sie konnte sich gut vorstellen, dass wenn man hier Ferien machte, man den Eindruck hatte, wirklich mitten in der Natur zu sein. Trotzdem würden sie aufpassen müssen, wenn einer der Anwohner hier die Besitzer informierte, waren sie geliefert.
Ein Hotel wäre definitiv doch die bessere Wahl gewesen, aber er hatte natürlich nicht so ganz Unrecht. Dort waren sie einfach aufzuspüren, zumindest, wenn sie sich mit ihrem richtigen Namen irgendwo einbuchten. Kopfschüttelnd starrte sie auf den See, diese ganze Denkerei brachte sie nicht weiter, nun waren sie schon hier und sie bezweifelte stark, dass sich Ramon von seinem Plan jetzt noch abbringen lassen würde. Sie betrachtete den im Wasser spiegelnden Mond, doch die dunklen, schwere Wolken schoben sich immer wieder vor ihn.
Sie erwischte sich, wie sie sich zu den Häusern umdrehte und nach einer Spur von ihrem Begleiter suchte, doch vergeblich. Sie konnte nicht mal einen Schatten von ihm erhaschen und fragte sich, welches der Häuser er wohl nehmen würde und ob es ihm wirklich gelang, hinein zu kommen. Es war schwierig nicht unentwegt auf die Häuser zu starren. So beobachtete sie wie der Himmel immer weiter zuzog, der Wind immer weiter auffrischte und die gigantischen, schwarzen Wolken sich immer öfter vor den Mond schoben. Obwohl es noch trocken war, meinte sie den Regen in der Luft schon zu riechen. Wenn er sich nicht ein wenig beeilte, würde sie mit ihrer Ahnung Recht behalten und sie würden einen nassen Hintern bekommen. Unruhig rutschte sie hin und her. Sie verbot sich selbst noch einen Blick nach hinten zu den Häusern zu werfen. Angespannt lauschte sie. Der Wind ließ die Bäume knarren, doch mehr war nicht zu vernehmen.
Wie lange konnte es denn dauern, in so ein verdammtes Haus rein zu kommen? Ob vielleicht etwas schief gegangen war? Mit jeder Minute, die verstrich, wurde sie unruhiger. Sie machte sich selbst verrückt. Weitere Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah. Ein dicker, eiskalter Tropfen traf sie und sie konnte hören, dass weitere um sie herum zu Boden fielen. Die gerade noch ruhige Wasseroberfläche war nun durchbrochen und in ein heilloses Chaos gestürzt. Dort wo die einzelnen Tropfen aufschlugen, breiteten sich Ringe aus, die immer weiter und größer wurden und irgendwann von den anderen Ringen geschnitten und unterbrochen wurden. Erst waren es nur wenige, doch sie konnte sehen, wie es immer mehr und mehr wurden. Konnte es denn wahr sein? Hätte der Regen nicht noch eine halbe Stunde auf sich warten lassen können? Was fragte sie überhaupt, die Antwort war doch sonnenklar: Nein, hatte er nicht. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie nicht schon total durchnässt hier saß. Sie ärgerte sich über das Wetter, während weitere dicke Tropfen auf sie niedergingen und ihr die Kälte in die Glieder zu kriechen begann.
Als Ramon schließlich neben ihr auftauchte und sie anwies ihm zu folgen, war sie darüber ziemlich froh. Doch diese Erleichterung verschwand relativ schnell von selbst wieder, als sie eines der Grundstücke betraten. Plötzlich hatte es Vanessa gar nicht mehr so eilig aus dem Regen herauszukommen, auch die Kälte war vergessen. Sie war dabei in ein Haus einzubrechen. Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals. Vielleicht konnte sie das goldene Teil einfach hier im Teich versenken und gut wäre es, ging es ihr durch den Kopf. Ihre Schritte hatten sich unwillkürlich verlangsamt bei dem Gedanken. Doch in diesem Moment ergriff Ramon ihre Hand und zog sie mit sich. Es ging durch die offene Vordertür in das mittlere der fünf Häuser.
Unwillig betrat sie so eine Küche. Hinter ihr wurde die Tür geschlossen. Unwohl sah sie sich um. Es stand nichts herum, alles schien säuberlich weggeräumt zu sein, es gab keine Blumen, keine Dinge die einfach so herumstanden und die Arbeitsflächen waren etwas staubig, offenbar war hier schon länger keiner mehr zum Putzen gewesen.
„Entspann dich, Vanessa. Das Haus ist leer, es war schon länger keiner mehr hier und die Ferienzeit ist noch ein wenig hin.” Er war an sie heran getreten und nahm ihr den Rucksack ab. Dann packte er sie einfach am Arm und zog sie mit sich durch das dunkle Wohnzimmer, das einen Kamin, eine imposante Couch, aber keinen Fernseher enthielt. Weiter ging es durch eine Tür hinter der sich ein Schlafzimmer verbarg. Dort stellte er den Rucksack ab und zog auch seine Jacke und Schuhe aus. Etwas steif, immer noch wenig begeistert und unwillig, folge Vanessa seinem Beispiel.
Das Schlafzimmer war nicht sonderlich groß und wurde von einem imposanten Doppelbett beherrscht, das für ihren Geschmack zu wuchtig für das kleine Zimmer war. Es gab noch einen Kleiderschrank, der etwas gequetscht in der Ecke stand und ansonsten gab es nur schwere Vorhänge vor den Fenstern, die bis auf einen kleinen Spalt zugezogen waren.
Das Bett war mit einer Tagesdecke abgedeckt, aber die Wäsche darunter war nicht bezogen. Einen Moment lang zögerte sie, dann warf sie einen Blick in den Kleiderschrank und wurde tatsächlich fündig. Abgepackt in Tüten lag dort saubere Bettwäsche. Sie nahm sie heraus und machte sich daran, das Bett zu beziehen, wohl wissend, dass Ramon sie die ganze Zeit beobachtete.
„Du kannst gerne helfen, statt einfach nur Löcher in die Luft zu glotzen.”
Er lachte, packte dann aber ohne zu widersprechen mit an und so war das Bett schnell frisch bezogen. So würde man leben können, auch wenn Vanessa die Vorstellung immer noch nicht sonderlich gefiel. Ramon hingegen ließ sich auf eine Seite fallen und streckte sich darauf aus.
„Man könnte meinen, du fühlst dich hier pudelwohl.”
„Tja, also… Was soll ich da sagen? Es ist trocken, es ist gemütlich und wir sind hier angekommen ohne Zwischenfälle, also wieso sollte ich nicht?”
Sie schüttelte den Kopf, ersparte es sich aber, die für sie doch ziemlich offensichtlichen Punkte nun alle aufzuzählen.
Sie ging noch einmal durch das dunkle Haus, es gab noch ein Badezimmer mit Dusche und Badewanne. Die Küche war gut ausgestattet, nur Essbares war, wie zu erwarten, nicht im Haus.
Schließlich kehrte sie in das Schlafzimmer zurück, wo Ramon schon eingeschlafen war. Sie schüttelte grinsend den Kopf, der Kerl war ihr manchmal ein Rätsel. Wie konnte der jetzt nur schlafen?
Sie setzte sich auf die andere Seite und dachte ein wenig über die Alternativen nach, doch die Couch versprach unruhige Schlafphasen und vor allem Rückenschmerzen. Sie fragte sich wieso jemand sich so eine Couch kaufte. Schließlich gab sie es genervt auf, ihre Gedanken drehten sich fröhlich mal wieder im Kreis, also zog sie ihre Hose und ihre Bluse aus und schlüpfte unter die Decke. Sie müsste morgen dringend neue Klamotten besorgen, dachte sie und blickte noch einmal zu ihrem Begleiter hinüber, der immer noch auf der Decke lag - in vollen Klamotten. Er sah ganz friedlich aus, wie er so schlief, kaum zu glauben, dass er gerade eben in ein Haus eingebrochen war, sich auf der Flucht befand und eigentlich auch noch ziemlich verletzt war.
Erstaunlich, wie schnell er sich erholt hatte. Sie erinnerte sich noch sehr lebhaft an ihre erste Begegnung vor ja gerade einmal ein paar Tagen. Er war mehr tot, als lebendig gewesen. Hatte hohes Fieber gehabt und konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Sie war sich sicher, kein normaler Mensch wäre so schnell wieder so fit geworden, das war nahezu unmöglich, von der Seite aus betrachtet konnte er eigentlich nur die Wahrheit gesagt haben. Sie fragte sich, wieso sie immer noch zweifelte. Vielleicht, weil die Sache so verwirrend war, dass man sie nicht so einfach glauben konnte?
Sie drehte sich um und blickte zur Wand. Es war sicher das Beste, wenn sie sich auch noch etwas ausruhte, wer wusste welche Überraschungen der nächste Tag mit sich bringen würde.
„Sie dürfen es nicht finden”, wisperte eine leise Stimme.
„Niemals dürfen sie es in die Hände bekommen”, wisperte eine andere.
„Tod und Verderben, Verderben und Tod.” Das klang wieder nach der ersten Stimme.
„Der Untergang, ein langer, qualvoller Tod im Feuer, dass vom Himmel regnet.” Dann folgte ein markerschütternder Schrei, gefolgt von einem weiteren, der aus ihrem eigenen Munde stammte.
Sie fühlte sich an der Schulter gepackt und auf eine weiche Unterlage gedrückt. Eine Hand hatte sich über ihren Mund gelegt. Panisch riss Vanessa die Augen auf und begann sich zu wehren. Wild strampelte sie mit den Beinen und schlug mit den Händen um sich. Sie blinzelte und versuchte etwas zu erkennen. Die Welt um sie herum wirkte verzerrt und irgendwie falsch, die Töne hallten nach wie Echos und sie Begriff nicht was sie hörte. Über ihr war eine dunkle Gestalt, die sie festhielt. Der Raum war fremd. Wie kam sie hier her? Wer hatte geschrien? Wer hatte gesprochen? Wo war sie? Sie versuchte sich zu befreien, doch die Gestalt war stärker und hielt sie weiter fest.
Es schien ihr, als würde sie aus großer Tiefe auf die Wasseroberfläche zutauchen, alles wurde realer und fassbarer, dabei wuchs ihre Furcht und ihre Desorientierung aber noch. Dann erkannte sie Ramon. Sie zwang sich, sich zu beruhigen und nicht mehr sinnlos um sich zu schlagen. Einen Moment noch hielt er sie fest, beobachtete sie und dann, ganz langsam, verringerte er sowohl den Druck auf ihre Schulter, als auch auf ihren Mund.
„Alles okay, beruhige dich!” Seine Stimme klang ganz ruhig, dann spürte sie sanfte Finger auf ihrer Wange, die aber schnell wieder verschwanden. Diese kurze Berührung wischte auch noch die letzten Reste dieser seltsamen, verrückten Wahrnehmung bei Seite.
„Was war das für ein Schrei?” Ihre Stimmer zitterte bei jedem Wort.
„Du hast geschrien.”
Sie schüttelte den Kopf. „Da waren zwei Stimmen. Männer und dann schrie einer von ihnen.”
„Es war nur dein Schrei zu hören, du hast geträumt, Vanessa. Oder vielleicht war es auch deine Gabe.”
Nachdem sie nun offensichtlich wieder ruhiger wurde, zog er sich etwas zurück. Erleichtert atmete sie auf, das wurde langsam zu einer wirklich lästigen Angewohnheit. Sie richtete sich auf, so dass sie saß und schaute sich in dem Zimmer um. Es war das Ferienhaus. Natürlich! Sie zog etwas verspätet ihre Decke ein wenig höher. Vielleicht war es keine so glorreiche Idee gewesen sich auszuziehen zum Schlafen, aber das konnte sie jetzt gerade nicht mehr ändern.
„Hast du wirklich nichts gehört?” Er musste es doch gehört haben, die Stimmen waren laut und deutlich gewesen.
„Nein, nur du hast plötzlich geschrien.”
Ihrer Kehle entfuhr ein leises Stöhnen. Das wurde einfach nicht besser. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es wurde schlimmer, vielleicht hatte sie einen Fehler gemacht, sie hätte sich nicht auf seine Experimente einlassen dürfen.
„Alles okay, Nessi?”
Sie zuckte die Schultern. Was sollte sie dazu auch sagen? Irgendwie schien ihr sowohl ja als auch nein falsch.
Erst nach einer Ewigkeit antwortete sie: „Nein, es ist nicht okay!” Sie musste sich ziemlich beherrschen, um nicht einfach in Tränen auszubrechen. Wieder spürte sie, wie ihre Hand genommen wurde und er sie massierte. Die Berührung war ihr unangenehm. Allgemein kamen sie sich viel zu oft viel zu nah für Vanessas Geschmack. „Was tust du da?”
„Gerade bei den geistigen Gaben, scheint es wahre Wunder zu wirken, den Betroffenen körperlichen Reizen auszusetzen. Ich kenne jemanden, der das immer bei sich selbst macht, wenn er wieder mit der aktiven Gabe zu tun hat, er holt sich so selbst wieder in die Realität zurück und wenn du mich fragst, scheint das auch zu funktionieren.”
Mit der Antwort ließ sie sich Zeit, nickte dann aber schließlich. „Ja, es ist recht hilfreich.” Ihr war die Berührung nun doch unangenehm und so entzog sie ihm die Hand wieder. „Aber ich denke ich bin wieder ganz da”, fügte sie etwas unsicher hinzu.
Obwohl sie es nicht sehen konnte, meinte sie doch, dass Ramon schon wieder breit grinste, doch er sagte nichts weiter dazu. Schweigend saßen sie einen Moment still da, dann sagte er: „Du hast von zwei Stimmen erzählt, was haben sie gesagt?”
„Vielleicht habe ich nur geträumt.”
„Ja, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.”
Sie stöhnte auf, wie sie solche Aussagen hasste. Sie war sich unsicher, ob sie ihm wirklich davon erzählen sollte, aber eigentlich war es eh schon zu spät um es zu verschweigen. Sie zögerte und Ramon ließ ihr Zeit. Doch sie wusste, dass er wieder nachfragen würde. Schließlich seufzte sie noch einmal leise und berichtete dann was sie meinte gehört zu haben und aus ihrer Sicht eben passiert, war inklusive seines Überfalls auf sie.
„Tut mir Leid. Du hast mich aus dem Schlaf gerissen und ich musste die Situation unter Kontrolle bringen. Ich wollte dir weder weh tun noch dich erschrecken.” Er meinte seine Worte offenbar ernst. Das war etwas, das Vanessa zu schätzen wusste.
„So war das nicht gemeint, der Bericht sollte nur vollständig sein.”
Sie hörte, wie er aufstand und offenbar begann seine Kleidung auszuziehen.
„Ich weiß”, sagte er leise und kletterte dann unter seine Decke. Getrennte Räume wären ihr viel lieber gewesen, doch er blieb auf Abstand und rutschte nicht wieder näher heran. „Du solltest dich entspannen, Vanessa. Ich denke es ist vorbei.”
Sie gab ein zustimmendes Geräusch von sich und bemühte sich ihre Gedanken weg von der Tatsache zu bekommen, dass sie quasi nackt neben einem fremden Kerl in einem Bett lag. Solche Stunts machte sie nie und sie würde auch tunlichst in Zukunft darauf achten, dass so etwas nicht noch einmal vorkam.
„Ich frage mich, ob das mit dem Teil zusammenhängt, welches du gefunden hast”, murmelte er.
„Du hast es gefunden!”, stellte Vanessa eiligst richtig. Irgendwie, wollte sie nichts mit dem Ding zu tun haben.
Er lachte leise, bevor er antwortete: „Wegen mir: Das wir gefunden haben.” Sie seufzte, widersprach aber kein weiteres Mal. Er konnte also offenbar ein ziemlicher Sturkopf sein. „Wir sollten es auf jeden Fall mal annehmen”, griff er die ursprüngliche Überlegung erneut auf. Das gefiel ihm offensichtlich genauso wenig wie ihr. „Sie haben nichts gesagt darüber, was es ist beziehungsweise, wieso es wichtig sein könnte, oder sollte?“
Sie schüttelte erneut den Kopf. „Nein, nur das, was ich dir erzählt habe.” Und das war alles gewesen, was sie selbst mitbekommen hatte.
Er brummte leise und nachdenklich. Da ihr langsam kalt wurde, legte sie sich auch wieder hin und verkroch sich bis zur Nasenspitze unter der Decke. Nun herrschte zwischen ihnen wieder einmal schweigen. Vanessa war schon wieder dabei wegzuschlummern, als Ramon plötzlich sagte: „Beim nächsten Mal versuch sie einfach mal zu fragen. Kann sicher nicht schaden.”
Ein Eimer Wasser mit Eiswürfeln hätte keinen größeren Effekt haben können. Sie sog scharf die Luft ein. „Reden? Ich soll mit irgendwelchen Stimmen reden?!” In ihrer Stimme schwang Ungläubigkeit mit.
Er fing an zu lachen, als habe sie etwas wahnsinnig Komisches gesagt. „Ja, natürlich. Warum solltest du das nicht probieren, es wäre ein logischer Versuch und würde das Leben vermutlich auch noch etwas vereinfachen, wenn du nachfragen könntest.”
„Du spinnst doch!”
Offenbar war das sein Ernst, er lachte nur gut gelaunt. Sie schüttelte den Kopf, dieser Typ war doch einfach nur unmöglich! „Du schlägst gerade nicht wirklich vor, dass ich mit Stimmen in meinem Kopf rede! Was kommt als nächstes, soll ich die Schatten zu einer Teeparty einladen?” Es klang bissiger als es gemeint war. Unwirsch schüttelte sie den Kopf. Das konnte einfach unmöglich sein Ernst sein!
„Versuch es doch erst einmal, bevor du es ablehnst. Vielleicht würde es nicht schaden.”
„Und vielleicht bin ich, wenn ich das mache, auch ein hoffnungsloser Fall für den nächsten Seelenklempner.”
„Du musst dringend lernen, dir selbst mehr zu vertrauen.” Er klang geduldig und immer noch leicht amüsiert.
Sie zog es vor, darauf nichts weiter dazu zu sagen. Natürlich hatte er irgendwo Recht, trotzdem gefiel ihr die Vorstellung so wenig, dass sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Sie dachte über das Gehörte nach.
„Ramon?” Er gab ein Geräusch von sich, das klar machte, dass er noch wach war. „Was hast du da unten eigentlich gesehen?”
„Du meinst unter deiner Scheune?” erkundigte er sich sicherheitshalber.
„Natürlich.” Bisher war er ihr nicht begriffsstutzig vorgekommen, was nun dafür sorgte, dass sich ein ganz komisches Gefühl in ihrem Bauch breit machte.
„Nun da unten war eine Art Raum, sehr niedrig.” Er zögerte bei diesen Worten.
„Du weichst meiner Frage aus. Also raus damit, was außer der verdammten Truhe war da?” Etwas ungeduldig wartete sie.
Er seufzte, antwortete aber schließlich doch. „Dort unten war eine Leiche.”
Vanessa saß kerzengerade im Bett. Das pure Entsetzen hatte sie gepackt. „Du verarschst mich oder? Du weißt, dass das nicht witzig ist?” Ihre Stimme war lauter als nötig gewesen wäre und etwas unfreundlich. Eiseskälte kroch ihr über den Rücken.
„Ich verarsche dich nicht, Vanessa. Ich würde niemals über so etwas einen Scherz machen! Ich wollte es dir nicht sagen, weil ich den Eindruck hatte, die Nachricht hätte dich ganz aus der Bahn geworfen, deshalb solltest du mir auch nicht folgen. Ich hätte es dir noch versucht beizubringen, damit du die Leiche entsorgen lassen könntest, aber dazu sind wir nicht gekommen und seither hatten wir genug andere Dinge im Kopf.”
Ihre Gedanken rasten. Sie konnte es nicht glauben, sie hatte eine Leiche im Keller und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er setzte sich auch auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter, die Berührung ließ sie leicht zusammen zucken. Seine warme Hand auf ihrer Haut machte ihr schlagartig bewusst, wie entblößt sie war. Ramon zog seine Hand sofort wieder zurück, als Vanessa reflexartig ihre Decke um sich raffte. Er wartete ruhig ab, während sie mit dem Entsetzen kämpfte, das sich bei den Worten in ihr ausgebreitet hatte.
Sie hatte eine Weile so dagesessen und versucht diese Neuigkeit zu verarbeiten, als er erneut seine Hand auf ihre Schulter legte. Es war nur eine leichte Berührung und sie wirkte zögerlich, fast so als wisse er auch nicht genau, was er nun tun sollte. Sie atmete ein paar Mal tief durch und versuchte sich zu fangen. Wenn dort unten eine Leiche war, stellten sich diverse Fragen: Woher kam die Leiche? Wer hatte sie dort hingeschafft? Und am Wichtigsten: Wer war der oder die Tote? Im Moment würde sie darauf wohl aber keine Antwort bekommen können, also sperrte sie die Fragen tief in sich ein. Dann wandte sie sich Ramon zu, der nur als schwarzer Umriss zu erkennen war. Auch er hatte sich aufgesetzt und sah in ihre Richtung.
„Vielleicht wäre es gut, wenn du dich noch etwas hinlegst, die Sachen laufen dir nicht weg und die Probleme werden auch nachher noch da sein, da bin ich mir ganz sicher.”
„Spezialist, was?”
Er lachte und legte sich wieder hin. „Langjährige Erfahrung. Alles Mögliche läuft dir weg, Zeit, Chancen, nur Probleme bleiben hartnäckig bei dir.”
„Wieso machst du dir eigentlich die Mühe? Es wäre doch sicher viel einfacher, ohne mich weiter zu reisen und meine Probleme nicht zu deinen zu machen.”
Er schwieg einen Moment und dachte über ihre Worte nach. „Ich kann dich wohl kaum mit den Problemen allein lassen und ehrlich gesagt, genieße ich es, mal jemanden um mich herum zu haben. Es ist selten, dass ich mit irgendwem Kontakt habe und noch seltener mit jemandem, der über mich Bescheid weiß.”
Sie wusste was er meinte, denn es ging ihr derzeit nicht viel anders. Sie hatte auch niemanden, der über sie Bescheid wusste und sie nicht merkwürdig behandelte oder sich zurückzog. „Du bist nicht die schlechteste Gesellschaft”, sagte sie vor allem, um überhaupt etwas zu sagen. Er lachte und es war ein durchaus angenehmer Laut.
Dann kuschelte sie sich wieder in ihre Decke. Sie würde seinem Rat folgen und versuchen noch etwas schlafen. „Schlaf gut, Ramon. Lassen wir die Probleme bis morgen einfach warten, vielleicht verschwinden sie ja doch von ganz selbst?” Er stimmte ihr zu. Doch keiner von beiden glaubte wirklich daran. So etwas wäre zu schön um wahr zu sein.
Es roch nach Kaffee. Der Raum war, dank des kleinen Spalts, den die Vorhänge nicht verschlossen, schon hell. Ramon war nicht zu sehen und so zögerte Vanessa auch nicht lange, schwang die Beine aus dem Bett und zog sich eilig an. Seine Klamotten waren fort, aber das Bett war noch nicht gemacht.
Sie verließ das Zimmer und folgte dem Geruch nach frischen Kaffee in die Küche. Ramon stellte schon eine zweite Tasse auf den Tisch und wedelte grinsend mit einem Teebeutel. „Die Teeauswahl ist nicht so wahnsinnig groß, Kamille, oder Hüttentee, was darf es sein?” Im Hintergrund begann auch schon ein Wasserkocher zu rauschen.
Ein kurzes Grinsen breitete sich auf Vanessas Gesicht aus, gefolgt von einem leichten Kopfschütteln, bevor sie sich für den Hüttentee entschied. Ramon tat den Teebeutel, den er schon in der Hand hatte, in die Tasse. Währenddessen begann sie sich in der Küche noch einmal umzusehen, aber es war wirklich nichts Essbares im Haus.
„Wenn du vor hattest länger hier zu bleiben, dann sollten wir noch ein paar Vorräte besorgen. Und ich muss dringend nach Hause, ein Satz neuer Klamotten wäre echt sinnvoll.”
Er wirkte alles andere als begeistert, nickte aber. Sie fragte sich, was sie wohl vorfinden würden; am Wahrscheinlichsten schien ihr eine verwüstete, ausgeräumte Wohnung.
„Es ist eigentlich ein ziemliches Risiko sich dort noch mal blicken zu lassen, das Haus könnte überwacht werden.” Die Worte kamen nur zögerlich aus seinem Mund, aber schienen ihm doch ernste Sorgen zu bereiten.
„Ich fahre mit dem Bus in die Nähe, hole schnell ein paar Sachen und bin wieder weg, bevor mich jemand erwischt.” Das klang durchaus praktikabel, wenn man sie fragte. Seinem Gesicht nach zu urteilen, war der Plan trotzdem nicht besonders gut.
„Du fährst auf keinen Fall allein.” Allein der Ton in dem er das sagte, ließ sie jeden Widerspruch sofort vergessen.
„Du kannst mich ja gern begleiten, wenn du nichts Besseres vorhast.” Irgendwas in seinem Blick war anders, angespannter, härter, doch sie war sich nicht sicher, ob sie sich das nur einbildete oder ob da wirklich etwas war.
Grinsend nickte er. „Ich habe nichts Besseres vor heute.”
Ein breites Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, froh darüber das nicht allein machen zu müssen. Sie schob ihre Gedanken, die sich wieder einmal im Kreis zu drehen begangen, eilig beiseite und musterte den jungen Mann, der gerade heißes Wasser in ihre Tasse goss, diese ihr dann zuschob und sich dann auf einen der Stühle vor den Küchentisch setzte.
Sie tat es ihm gleich und begann den Teebeutel immer wieder ins Wasser zu tunken, ihn raus zu ziehen und wieder einzutunken. Ihr Magen knurrte und erinnerte sie daran, dass sie viel zu wenig gegessen hatte gestern.
„Wir sollten gleich mal nach einem Bäcker oder ähnlichem suchen. Sonst fürchte ich ja, dass ich verhungere.” Sie grinste breit und auch Ramon konnte nicht anders als zu grinsen.
Sie nahm den Teebeutel heraus und begann den heißen Tee genüsslich zu trinken. Ramons Blick ruhte auf ihr, ein amüsierter Ausdruck war in seinen Augen zu sehen und wieder etwas, was sie nicht wirklich zuordnen konnte.
„Was starrst du mich so an?”
Er senkte den Blick auf seinen Kaffee, grinste aber weiter. „Tut mir leid, ich war gerade wohl etwas in Gedanken.”
„Klingt gefährlich, pass´ auf, das du dir dabei nichts brichst”, konterte sie gut gelaunt.
Er lachte. „Sehr charmant!”
Sie nickte und lachte ebenfalls. „In Bestform!”
„Ich merke schon! Wenn du nicht friedlich geschlafen hättest, würde ich ja fast glauben, nenn Gestaltwandler hat dich ersetzt.”
„Ein Gestalt-Was?” Sie glaubte, sich verhört zu haben.
Ramon lachte erneut auf. „Was hältst du davon, wenn wir uns die Gruselgeschichte für heute Abend aufheben.”
Zwar war ihre Neugier geweckt, aber er hatte Recht, solche Geschichten konnten sie auch dann noch austauschen, wenn sie wieder da waren. Also nickte sie und warnte dann: „Glaub´ nicht, dass ich das vergesse!”
Er lachte und schüttelte wieder einmal leicht den Kopf. Seine gute Laune wirkte ansteckend. Seine hübschen braunen Augen strahlten regelrecht vor Leben und Vanessa musste sich immer wieder von diesem Anblick losreißen.
Als beide Tassen geleert waren, verschwand Vanessa eben ins Bad und richtete sich halbwegs passabel her. Dann machten sich dich beiden auf den Weg durch das Dorf. Sie holten beim Bäcker etwas zu essen und fanden heraus, mit welchen Bus sie in die Nähe ihres Hauses fahren konnten. Es war ganz praktisch, dass nur ein paar Meter von ihrem Grundstück entfernt eine Bushaltestelle lag. Ramon war von dem Plan immer noch nicht wirklich begeistert, verkniff sich aber jeden Kommentar in diese Richtung. So warteten sie auf den nächsten passenden Bus, genossen die Sonne und stiegen dann in den Bus ein. Ab diesem Moment wirkte Ramon wieder angespannt und konzentriert.
Der Bus selbst war angenehm leer und sie hoffte, dass das auch so bleiben würde, sie hasste nichts mehr, als Gedränge, und es schien fast so, als hätte sie ausnahmsweise einmal Glück. An den Haltestellen, an denen sie vorbei kamen, waren kaum Menschen und jene, die dort zu stiegen, stiegen meistens schon zwei, oder drei Stellen später wieder aus. Die Busfahrt dauerte erstaunlich lange für eine gar nicht so weite Entfernung, aber so war das eben auf dem Land.
Erst, als sie auf die Landstraße kamen an der ihr Haus lag, wurde sie zunehmend nervöser. „Es ist niemand in der Nähe. Zumindest niemand, den ich aufspüren kann.” Es war der Versuch sie etwas zu beruhigen. Sie fragte sich, wieso sie sich fühlte wie ein Verbrecher, der auf der Flucht war, dabei hatte sie doch gar nichts getan, im Gegenteil: Bei ihr war eingebrochen worden. Doch dann erinnerte sie sich an die Leiche in ihrem Keller. Es würde einen schrecklichen Berg Fragen geben, wenn irgendwer die Leiche fand.
Ramons warme Finger schlossen sich um ihre Hand. Sie war ihm dafür dankbar, denn es erinnerte sie daran, dass sie nicht allein war. Doch irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Der Bus wurde langsamer und hielt schließlich an einer Stelle, die definitiv keine Haltestelle war. Neugierig reckte sie den Kopf und herauszufinden, wieso der Bus nun hielt. Durch die große Scheibe konnte sie sehen, dass vor dem Bus eine Schlange Autos standen. Als sie diesen folgte sah sie, dass die Straße offenbar gesperrt war und zwar ausgerechnet dort, wo ihr Haus stand. Dann bemerkte sie die dunklen Rauchschwaden, die von dort in den blauen Himmel stiegen. Erst ganz zum Schluss nahm sie schließlich auch die Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr wahr, die dort standen.
Der Bus fuhr wieder an und rollte mit kleineren Unterbrechungen immer weiter darauf zu. Es gab keinen Zweifel: Die Feuerwehr und der Rauch, das war ihr Grundstück. Ramon verstärkte den Druck seiner Hand ein wenig, was ihre leicht schmerzen ließ, aber sie verstand. Sie sollte es sich nicht allzu offensichtlich anmerken lassen. Um sie herum hatten die anderen Fahrgäste zu reden begonnen, man diskutierte darüber, was dort vorne los sei. Eine rundliche Frau mit schrecklich schlecht gefärbten blonden Haaren war sogar aufgestanden und neben den Sitz der Busfahrerin getreten um besser sehen zu können. Ein anderer Gast, ein junger Mann in Jeans und khakifarbenem Hemd hatte sich ebenfalls erhoben und versuchte mit seinem Smartphone einige Bilder zu knipsen. Die Leute hier waren so beschäftigt mit dem Gaffen, dass keiner auch nur eine Spur Aufmerksamkeit auf das Innere des Busses richtete. So konnte auch keiner das Entsetzen sehen, dass auf Vanessas Gesicht geschrieben stand. Die Feuerwehr ließ keinen vorbeifahren und so drehten die meisten Autos ab und fuhren in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Den Grund hierfür kannte Vanessa. Es gab einen Hydranten auf der anderen Seite der Straße, so dass die Feuerwehr ihre Schläuche über die ganze Fahrbahn legen musste um ihren Löscharbeiten nachgehen zu können. Einige Fahrer, drehten nicht ab, sondern fuhren einfach rechts auf den Weg, der eigentlich nur für den landwirtschaftlichen Verkehr freigegeben war. Auch die Busfahrerin entschied sich für diesen Weg und als sie erst einmal abgebogen waren, ging es auch wieder zügiger vorwärts. Das Gebäude, hinter dem sie bei ihrer Flucht in Deckung gegangen waren, stand einsam an diesem Weg. Doch Vanessas Aufmerksamkeit galt ihrem Hof. Sie erhaschte einige Blicke und es war schon von weitem und durch die Bäume deutlich zu sehen, dass das Feuer schon enormen Schaden angerichtet hatte. Ziemlich sicher hatte es lange Zeit gehabt um sich auszubreiten, bevor es irgendwer bemerkt hatte.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Das war ihr zu Hause. „Ich weiß, dass ist nicht einfach, aber reiß´ dich zusammen, Vanessa. Du willst nicht anfangen müssen Fragen zu beantworten.” Ramons Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Sie nickte kaum merklich und riss sich zusammen. Sie hatte einige Erfahrung darin, ihre Gefühle und Gedanken zu verstecken, immerhin das hatte sie in den letzten Jahren regelmäßig trainieren können.
„Vielleicht wäre es taktisch nicht unklug, wenn du etwas Geld vom Konto holen würdest, bevor wir wieder zu Hause ankommen.” Seine Stimme machte klar, dass er offenbar noch mehr Probleme sah, als die Offensichtlichen. Kurz regte sich der Drang in ihr nachzufragen, doch sie brauchte ihre ganze Konzentration, um sich von den Ereignissen nicht allzu sehr aus der Bahn werfen zu lassen, zumindest nach Außen hin. Des Weiteren war dies hier auch weder der rechte Ort noch die rechte Zeit für so etwas.
Sie ließ Ramon die Führung übernehmen und stiegt mit ihm drei Haltestellen später aus, ging zur Bank und plünderte, soweit dies ohne Probleme machbar war, ihr Konto um dann mit Ramon im Bus zu ihrem ausgeliehenen Ferienhaus zurückzukehren.
Die Fahrt nahm sie kaum wirklich wahr und als sich endlich die Tür hinter ihr schloss, atmete sie tief durch. Sie wollte in einen anderen Raum flüchten um ihre Ruhe zu haben, doch Ramon zog sie einfach zu sich heran und nahm sie in den Arm.
Obwohl sie nicht unbedingt der Typ Mensch war, der sich gerne umarmen ließ, tat das diesmal gut. Sämtliche Selbstbeherrschung löste sich dabei allerdings in Wohlgefallen auf und Vanessa schossen die Tränen wieder in die Augen. Wie konnte es sein, dass ihr Haus nun einfach niederbrannte? Wie würde es weitergehen? Die Verzweiflung resultierte weniger aus dem Verlust, als mehr aus der Tatsache, dass sie einfach nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte. Sie hatte Angst, Angst davor, dass man die Leiche finden könnte, Angst vor den Fragen. Würde man ihr glauben? Was, wenn man sich über sie erkundigte? Was, wenn man vielleicht sogar glaubte, sie habe das Feuer selbst gelegt? Sie spürte eine eisige Kälte, die durch ihre Glieder kroch und blanke Panik drohte sie zu übermannen, als sie an die Gespräche mit den Behörden dachte. Allein die Vorstellung sorgte dafür, dass ihr der Angstschweiß auf die Stirn trat und sich ihr Herzschlag beschleunigte. In diesem Moment vergaß sie sogar Ramon, an dessen Schulter sie sich immer noch ausweinte. „Das wird schon wieder”, flüsterte er an ihrem Ohr und drückte sie ein wenig fester an sich. Sie konnte nicht sagen wie lange sie so dagestanden hatten, eingehüllt in seinem angenehmen Geruch, aber irgendwann versiegten ihre Tränen und sie schaffte es, sich wieder zu fassen. Dann löste sie sich von Ramon, dessen Berührung und ihr nun etwas unangenehm wurde und ging wieder auf Abstand.
Sie wollte etwas sagen, doch ihr viel nichts Schlaues ein. Sie blickte ziel- und ratlos durch die Küche. Dort standen immer noch ihre Tassen von vorhin und fast schon glaubte sie den Geruch nach Kaffee und Tee noch wahrnehmen zu können. Es schienen schon Tage vergangen zu sein, dabei waren doch nur ein paar Stunden ins Land gezogen. Ramon hatte sich an die Arbeitsplatte zurückgezogen und beobachtete sie mit besorgter Miene.
„Was hältst du davon, wenn du irgendetwas zu essen besorgst und ich hier ein wenig aufräume und den Staub beseitige?” Sie brauchte etwas Zeit für sich aber sie wollte auch den Plan für heute nicht komplett über den Haufen werfen.
„Kann ich machen.” Er schien sich aber unsicher zu sein, ob das eine gute Idee war. Ohne zu zögern warf sie ihm das Portemonnaie zu und begann nach Putzmitteln zu suchen. Sie musste sich beschäftigen, einfach ablenken, aber sie wollte auch allein sein, nur eine Weile.
„Kann ich dich wirklich allein lassen?” Auch in seiner Stimme war Sorge zu hören und sie erkannte, dass er diese auch wirklich empfand und nicht nur vorspielte.
„Ja. Ich denke beim Putzen kann man nicht so viel Unheil anrichten.” Sie bemühte sich ein Lächeln auf das Gesicht zu bekommen, doch den tiefen Falten auf seiner Stirn nach zu urteilen, war es ihr wohl nicht besonders gut gelungen. Schließlich nickte er aber.
„Bleib bitte im Haus, halt dich von den Fenstern fern und öffne nicht die Tür.”
Vanessa nickte „Keine Sorge, ich mache keine Unsinn!”
Er ging zwar mit einem Nicken, aber sie bezweifelte stark, dass er sich wirklich keine Sorgen machen würde.