Читать книгу Zeitenwende - Viktoria Vulpini - Страница 8

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36 Stunden zuvor

„Mir ist langweilig“, stellte Saskia fest. Thea runzelte die Stirn und blickte ihre Freundin an. Saskia hatte das Gesicht in die Sonne gedreht und die Augen geschlossen. Das Sonnenlicht brachte ihre wallende rote Mähne erst richtig zur Geltung und Thea beneidete sie wieder einmal um diese Haare. Ihre eigenen braunen Haare waren eher unauffällig, aber in Saskias Gegenwart war, wenn sie es richtig bedachte, jeder unauffällig. Wo sie war, beherrschte sie die Aufmerksamkeit der Männerwelt und so überraschte es Thea auch nicht, dass sie beobachtet wurden.

„Du langweilst dich also mit uns?“, stellte Thea fest und warf Manuela einen kurzen amüsierten Blick zu. Manuela trug ihr langes schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden und runzelte bei den Worten leicht die Stirn.

„Nein. So ganz allgemein. Wir machen immer dasselbe ...“, beschwerte sich Saskia, schlug ihre grünen Augen auf und sah sie an.

Manuela zuckte mit den Schultern. „Es war deine Idee hierherzukommen“, sagte sie und blickte über die Wiese bis hinunter zu dem kleinen Teich, in dem sich unzählige Leute tummelten.

Thea nickte zustimmend. „Deine Idee: Ein Picknick hier an diesem Ort, zu dieser Zeit.“

Saskia seufzte. „Ich weiß, so meinte ich das auch nicht. Ich will einfach nur mal etwas Anderes erleben, irgendwas total Verrücktes. Hast du nicht eine Idee? Ich meine du beschäftigst dich doch mit allerlei merkwürdigem Kram.“ Bei den letzten Worten hatte sie Manuela angesehen.

Es war kein Geheimnis, dass Manuelas Interessengebiete sonderbar waren. Schon als sie gemeinsam zur Schule gegangen waren, war dies so gewesen. Während Saskia und Thea sich für alles, was cool war, interessiert hatten, hatte es Manuela vorgezogen, sich mit Magie und Okkultismus zu beschäftigen.

Manuela runzelte stärker ihre Stirn. „Ich glaube nicht, dass da etwas bei ist, was du spannend finden würdest.“

„Warum nicht?“, fragte Saskia nach. Thea kannte ihre Freundin gut genug, um zu wissen, dass sie schon eine Idee hatte.

Manuela zuckte die Schultern. „Ich glaube einfach, dass du dir die ganze Sache irgendwie ... falsch vorstellst. Es ist nicht so wie im Fernsehen.“ Sie rutschte bei den Worten etwas unruhig hin und her. Thea wusste, dass dieses Thema ihr unangenehm war in der Öffentlichkeit zu besprechen. Schon in der Schule hatte man sie als Hexe bezeichnet und eine Zeit lang waren sich alle sicher, dass sie auf schwarze Messen ging und Tiere opferte. Es war eine schwere Phase für Manuela gewesen, die nie viele Freunde gehabt hatte.

„Eine Beschwörung ... lasst uns eine Szene machen oder wie das französische Ding heißt“, platzte es aus Saskia heraus. „Wusstet ihr, dass meine Oma mütterlicherseits eine Hexe war? Wir haben noch jede Menge gruseliges Zeug von ihr.“

Thea hatte den Eindruck, dass Manuela von dieser Information weniger überrascht war, als sie selbst.

„Séance ist das Wort, was du suchst, aber das ist eine dumme Idee.“ Manuela schüttelte den Kopf.

„Warum?“, fragte Saskia nach, die offenbar begeistert von ihrem Vorhaben war. „Das könnte doch spaßig werden. Flackerndes Kerzenlicht, Geister, unheimliche Geräusche ...“

Manuela senkte die Stimme, als sie antwortete: „Weil so etwas kein Spiel ist. Du könntest sie verärgern. Sowas kann gefährlich enden.“

Saskia grinste breit: „Wir haben doch dich.“

Manuela starrte sie fassungslos an, doch Saskia ließ ihr keine Zeit zu antworten. „Sieh es mal so: Das ist die Gelegenheit, uns an deinem Hobby teilhaben zu lassen und unter deiner Anleitung, kann da doch dann auch weniger schief gehen, als wenn wir zwei das allein machen.“

Thea war sich nicht sicher, was sie von der Idee halten sollte. Als Manuela sie hilfesuchend ansah, zuckte sie nur mit den Schultern. Wenn sich Saskia etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann würde sie das auch durchziehen. So war sie nun einmal.

„Ich weiß nicht“, meinte Manuela, „der Zirkel sieht so etwas nicht gern und es ist eigentlich auch ...“

„Super! Dann machen wir das am Samstagabend?“, unterbrach Saskia sie und klatschte begeistert in die Hände.

Thea nickte: „Wegen mir. Aber ich bestehe auf frische Pizza zum Abendessen.“

Manuela war weniger überzeugt. „Okay, aber ihr tut, was ich euch sage, das müsst ihr mir versprechen.“

Saskia stimmte sofort zu und auch Thea nickte.

„Gut, dann Samstagabend bei Thea, Geisterbeschwörung mit Pizza“, fasste Saskia begeistert noch einmal zusammen.

„Brauchen wir dafür nicht noch ein paar Dinge?“, fragte Thea und sah Manuela neugierig an.

Diese nickte. „Ja, das meiste davon sollte ich zu Hause liegen haben.“

Saskia kicherte: „Das wird so cool, wann macht man schon mal eine Dämonenbeschwörung.“

Manuela wurde eine Spur blasser. „Bei einer Séance ruft man Geister. Man tritt mit der Geisterwelt in Verbindung.“

„Das macht einen Unterschied? Na, meinetwegen. Geisterbeschwörung eben“, meinte Saskia leichthin.

Thea musste ein wenig grinsen. Während Manuela das Ganze in ihren Augen etwas zu ernst nahm, war Saskia in ihrer Euphorie kaum noch zu bremsen. Sie war sich zumindest bei einem sicher, so oder so, es würde definitiv ein lustiger Abend werden, auch wenn sie nicht davon überzeugt war, dass irgendwas Nennenswertes passieren würde.

„Ja, das macht einen Unterschied. Geister sind in der Regel Verstorbene, mit denen man Kontakt aufnehmen will. Dämonen sind böse, hinterlistige, heimtückische und extrem gefährliche Wesen, mit denen man besser nichts zu tun bekommt“, erklärte Manuela.

„Aber man kann die auch beschwören?“, fragte Saskia neugierig.

„Theoretisch schon. Aber wenn man sie beschwört, dann muss man auch in der Lage sein sie unter Kontrolle zu behalten und das ist ein Problem“, erklärte Manuela.

„Hast du das schon mal gemacht?“, wollte Thea wissen.

„Nein“, antwortete sie, aber es kam eine Spur zu schnell für Theas Geschmack.

Sie wurden unterbrochen, als ein junger Mann mit blondem Haar, blauen Jeans und einem grünen Muskelshirt auf sie zukam und Saskia einen Zettel zusteckte und sie aufforderte, ihn einfach mal anzurufen.

Saskia wartete, bis er ein paar Schritte weg war, bevor sie den Zettel achtlos in eine kleine Mülltüte stopfte. „Genau deshalb gehen wir Samstag nicht aus, sondern machen etwas ohne Kerle.“

Thea kicherte. „Du weißt schon, dass sich einige Mädels darum reißen würden, dass die Kerle so auf sie fliegen.“

Saskia lachte. „Das Problem ist, dass die meisten Kerle Trottel sind. Reine Zeitverschwendung und dem stand das doch schon auf der Stirn geschrieben. Obwohl man zumindest sagen muss, einen geilen Arsch hat er gehabt.“

Samstag Mittag klingelte Theas Handy. Auf dem Display erkannte sie, dass es Saskia war.

„Na, willst du dich doch drücken?“, fragte Thea gut gelaunt, die schon dabei war ihr Wohnzimmer etwas umzustellen, damit sie am Abend genug Platz hatten.

„Ach was. Nein. Ich habe gerade noch mal durch die Unterlagen meiner Oma geschaut und dabei so nenn altes Buch gefunden. Okay, da waren Dutzende alter Bücher, aber in dem, was ich gefunden habe, lag ein Zettel drin. Das ist so eine Art Anleitung, ich habe auch schon einige der benötigten Dinge besorgt, kannst du vielleicht noch ein paar Reste besorgen?“

„Ich glaube nicht, dass sich das lohnt, Manuela wird sicher keine Experimente machen“, wandte Thea ein.

„Muss sie auch nicht, zur Not machen wir das und sie guckt zu. Ach, komm schon, Thea. Bitte!“

Thea verdrehte die Augen. „Na gut. Was soll ich denn mitbringen?“

Thea notierte die Dinge. Schwarze Kerzen, Blumenerde, Chicken Wings.

Danach zog sie sich an und ging in die Stadt. Blumenerde und ein Beutel mit Chicken Wings für den Backofen waren leicht zu bekommen, doch schwarze Kerzen waren eine andere Sache. Obwohl viele Läden Kerzen hatten und es davon auch teilweise eine beträchtliche Auswahl gab, waren schwarze Kerzen nicht so einfach aufzutreiben. Erst in einem kleinen Laden, der neben Steinen, Räucherstäbchen und Totenköpfen in allen Farben und Formen auch Kerzen führte, wurde sie fündig.

Saskia kam eine Stunde vor der verabredeten Zeit. Sie hatte einen Rucksack dabei und sah sichtlich aufgeregt aus.

„Das wird so cool“, sagte sie und sah sich um. „Hast du alles bekommen?“

Thea nickte. „Die Kerzen sind in der Tüte, genau wie die Blumenerde und die Chicken Wings liegen im Gefrierfach. Wozu in aller Welt brauchen wir Blumenerde?“

Saskia grinste breit. „Na, Blumenerde wird doch auf Friedhöfen oft verwendet, um da Blumen einzupflanzen, oder?“

Thea runzelte die Stirn. „Ich denke schon, dass man die auch dort nutzt, ja.“

„Also ist das doch quasi sowas wie Friedhofserde.“

Thea dachte einen Moment darüber nach, widersprach aber nicht.

Saskia grinste breit. „Tust du die Chicken Wings schon mal in den Ofen?“

„Wollten wir nicht Pizza bestellen?“, fragte Thea.

„Ja, die sind ja auch nicht zum Essen.“

„Und wozu genau sind die dann?“

Saskia lachte. „Wir brauchen Hühnerknochen.“

Thea nickte und schüttelte einen Moment später den Kopf, als sie sich daran machte, den Inhalt des Beutels auf einem Backblech zu verteilen.

„Ich glaube nicht, dass Manuela von so einer kreativen Auslegung begeistert sein wird.“

Saskia zuckte die Schultern. „Die nimmt das alles viel zu ernst. Mal so unter uns, was soll denn schon passieren?“

Thea hatte keine Ahnung, doch so ganz wohl fühlte sie sich bei der Sache nicht.

„Hast du sowas wie ein Steakmesser?“, fragte Saskia.

„In der oberen Schublade, linke Seite.“

„Dann haben wir auch unser Athadingsda.“

„Was für ein Ding?“, fragte Thea nach und musterte Saskia, die das Steakmesser begutachtete.

„Keine Ahnung, ein Messer mit einem weißen Griff oder so. Meine haben alle schwarze Griffe, aber du hast ja diese schicken.“ Bei den Worten wedelte sie mit dem Messer herum, bevor sie es in die Tasche zur Blumenerde und den Kerzen legte.

Als Manuela dazukam, waren die Vorhänge schon zugezogen, der Teppich stand zusammengerollt in einer Ecke des Zimmers und die Hühnerknochen lagen in einer Schale auf der Arbeitsfläche.

Manuela hatte einiges an Dingen mitgebracht und bereitete auf dem Boden alles vor, während Thea sich um die Pizzabestellung kümmerte.

Thea kicherte, als sie die Lieferung eine halbe Stunde später entgegengenommen hatte.

Saskia, die gerade dabei war noch weitere Kerzen im Raum zu verteilen und anzuzünden schaute sie neugierig an.

„Was ist los?“, fragte Manuela etwas unsicher.

„Der Blick des Mannes war einfach der Hit. Der schaute an mir vorbei und sah das hier. Irgendwie hatte ich den Eindruck, danach hatte er es besonders eilig wegzukommen.“ Thea wischte sich die Tränen aus den Augen und auch Saskia fing an, laut zu lachen.

„Vielleicht dachte er, er würde sonst womöglich das Abendessen werden“, spekulierte Saskia, was nun auch Manuela zum Lachen brachte.

„Bisschen alt und da war nichts dran“, murmelte Manuela grinsend, was zu weiterem Gelächter führte.

Thea stellte den Pizzakarton auf der Arbeitsfläche der Wohnküche ab. „Der Abend fängt ja schon gut an“, kommentierte sie und schüttelte lachend den Kopf.

„Auf jeden Fall mal etwas anderes“, gab ihr Saskia Recht.

Als sie aufgegessen hatten, schalteten sie die Beleuchtung aus und setzten sich auf den Boden. Der Raum wurde nur noch von den Kerzen erleuchtet und Manuela begann mit der Séance.

Es war schon fast Mitternacht, als sie ihre Geisterbeschwörungsversuche schließlich aufgaben.

„Ich habe euch ja gesagt, das muss nicht klappen“, sagte Manuela in einem entschuldigenden Tonfall.

Saskia winkte ab. „Egal. Dann versuchen wir es noch einmal mit dem anderen.“

„Dem anderen?“, fragte Manuela misstrauisch.

„Ich glaube, ich habe da eine echte Dämonenbeschwörung ausgegraben, vielleicht haben wir damit mehr Glück“, erklärte Saskia leichthin.

Manuela starrte sie mit offenem Mund an. „Das ist verrückt. Da mache ich nicht mit.“

Saskia zuckte die Schultern. „Ach, komm schon, Manuela. Wir haben alles da.“

Doch Manuela schüttelte hartnäckig den Kopf. „Wenn ihr das unbedingt durchziehen wollt, dann aber ohne mich.“

Thea seufzte. Sie kannte die beiden Frauen gut genug, um zu wissen, dass es hier keine Kompromisse mehr gab.

„Ich kann euch da wirklich nur vor warnen und wenn es schief geht, dann müsst ihr das allein geradebiegen“, sagte Manuela und sammelte ihre Sachen zusammen.

„Du musst nicht gehen“, sagte Thea, doch Manuela war schon fast bei der Tür.

„Doch. Denn ich will nicht hier sein, wenn das schief geht“, sagte sie und verschwand einfach.

Saskia zuckte mit den Schultern. „Lass sie. Sie kriegt sich schon wieder ein.“ Sie machte sich daran ihre eigenen Dinge auszupacken und entsprechend der Anweisungen auf dem Zettel zu verteilen.

Thea blickte noch einmal zur Tür. Manuela hatte Angst. Hatte sie damit vielleicht sogar Recht? Vielleicht war das wirklich keine so gute Idee. Auf der anderen Seite glaubte sie sowieso nicht an irgendwelche übersinnlichen Dinge. Schließlich entschloss sie sich, Manuela morgen früh anzurufen und sich zu entschuldigen.

Schnell hatte Saskia alles entsprechend umgebaut.

„Du kannst besser vorlesen als ich“, entschied Saskia. „Darüber hinaus bist du nicht so zimperlich wie ich.“ Mit diesen Worten hielt sie ihr eine Nadel hin.

„Was soll ich damit?“, fragte Thea, die die einfache Nähnadel betrachtete.

„Wir brauchen einen Tropfen Blut“, sagte Saskia und zeigte ihr die Stelle auf der Anleitung. Der Zettel selbst war nicht sonderlich bemerkenswert, auch wenn er schon einige Tage älter zu sein schien. Die Schrift war sauber und gut leserlich. Mit Ausnahme des Beschwörungstextes waren die Anweisungen sehr präzise. Nur der Text selbst war in lateinischer Sprache verfasst.

„Was beschwören wir damit überhaupt?“, fragte Thea, der nicht mehr so ganz wohl bei der Sache war.

„Keine Ahnung“, antwortete Saskia. „Ist doch auch egal, oder?“

Thea nickte zögerlich. „Vermutlich schon. Ist das von deiner Oma?“

Saskia nickte. „Jup, zumindest sie hat an den Kram geglaubt.“

„Und du willst das jetzt echt durchziehen?“, fragte Thea, die sich ganz und gar nicht mehr sicher war.

„Klar. Und in ein paar Wochen können wir alle über den Abend dann vermutlich lachen. Lass uns loslegen, hier ist gerade so eine schöne Stimmung.“

Thea seufzte noch einmal. Sie setzte sich auf den Boden und besah die merkwürdigen Dinge, die dort schon lagen. Die Erde war als Kreis um sie herumgestreut worden, vor ihnen stand die Schale mit den sauberen Hühnerknochen und daneben lagen zwei Schädel, die verdächtig nach Katze und Vogel aussahen und bei denen Thea nicht sagen konnte, ob es einfach nur gut gemachte Dekoartikel oder echte Knochen waren.

Saskia verbrannte irgendwelche Kräuter in einer Schale. Der Geruch war schwer, aber nicht unangenehm.

Aus einem kleinen Beutel nahm sie etwas Pulver und nickte Thea dann zu.

Thea atmete tief durch und begann die Worte zu lesen, die für sie keinerlei Bedeutung hatten. Saskia musste sich zusammenreißen, um nicht zu kichern, und auch Thea hatte Schwierigkeiten ernst zu bleiben.

„ ...ego voco Atris. Pugnator reprobi...“ Bei diesen Worten warf Saskia etwas von dem Staub aus dem Beutel in eine Kerze. Es gab eine lilane Stichflamme, die Thea kurz innehalten ließ.

„Mach weiter“, flüsterte Saskia, die ebenfalls fasziniert auf die Flamme starrte. Noch immer brannte diese in violetter Farbe.

Thea fuhr fort, doch sie hatte den Eindruck, als würde das Zimmer bei jedem Wort dunkler werden. Ihr Blick glitt zu Saskia, die mit einem breiten Grinsen dasaß und gespannt lauschte. Sie schob ihre Bedenken beiseite. Vermutlich waren es nur die Nerven, die ihr einen Streich spielten.

Ein leises Flüstern drang an Theas Ohr. „Hast du das gehört?“

„Ich höre nur dich, nun lies weiter“, kicherte sie. „Oder bekommst du nun auch Muffensausen?“

Eine Zeile später, hörte Thea das Flüstern erneut und auch Saskia schaute sich um. Thea beendete den Text.

„Das Blut“, flüsterte Saskia und Thea griff zu der Nadel. Sie musste zweimal in den Finger stechen, bevor ein winziger Tropfen ihres Blutes auf der Kerze landete, die noch immer mit lilafarbener Flamme brannte.

Sie vernahmen ein metallisches Klimpern, dass von der Tür kam und schwere Schritte. Beide Frauen hielten den Atem an, dann fiel eine Tür auf dem Flur ins Schloss.

„Okay, nur der Nachbar“, fasste Saskia zusammen. „Wir müssen noch die Kerzen löschen.“

Thea nickte. Es kribbelte in ihrem Nacken und sie hatte ein flaues Gefühl in ihrem Bauch. Da war der Eindruck, beobachtet zu werden, doch es war nichts zu sehen.

Sie löschten alle Kerzen, die um sie herum standen und traten aus dem Kreis aus Blumenerde heraus. Der Raum wurde nur noch von den Kerzen erleuchtet, die im Zimmer verteilt waren und deren flackerndes Licht, die Schatten nur noch tiefer erscheinen ließen.

Ein kalter Schauer lief über Theas Rücken, während sich ihr Magen zusammenkrampfte und ihre Knie sich weich anfühlten.

Sie blickte Saskia an, die schon wieder breit grinste und gerade etwas sagen wollte, als ein eisiger Wind durch den Raum fuhr und alle Kerzen verlöschen ließ.

Theas Herz setzte einen Schlag aus, bevor es wie wild zu hämmern begann. „Das ist nicht mehr lustig, Saskia!“

„Das war ich nicht“, kam aus der Dunkelheit vor ihr zurück. „Das ist mir zu doof jetzt, ich schalte das Licht an.“ Saskias Stimme war ein wenig zu hoch.

Während sich ihre Freundin auf den Weg zur Tür machte, hatte Thea den Eindruck, etwas bewege sich hinter ihr. Sie fuhr herum und starrte ins Dunkel. Dort war etwas. Ein Schatten, dunkler als der Rest des Zimmers, schien dort zu stehen.

Thea gab einen erschrockenen Laut von sich und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Ein Fuß erwischte die Schale mit den Hühnerknochen, die laut scheppernd über den Boden rollte.

„Scheiße, Saskia, mach endlich das verdammte Licht an“, fluchte Thea, die einfach nur noch weglaufen wollte. Sie starrte den schwarzen Schatten an. Dort wo wohl die Augen sein sollten, schienen zwei kleine violette Flammen zu brennen.

„Ja, sofort“, sagte Saskia, deren Stimme nun deutlich gehetzt klang.

„Ihr wagt es, mich zu rufen?“, fragte eine leise männliche Stimme. Es war Saskia, die nun einen erschrockenen Laut von sich gab.

In diesem Augenblick ging das Licht im Raum an. Thea blinzelte, aber es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Außer Saskia war niemand im Raum zu sehen.

„Du hast das auch gehört, oder?“, fragte Saskia die kreidebleiche Thea. Wieder und wieder ließ sie den Blick durch den Raum gleiten, doch es blieb dabei, dass sie allein waren.

Thea bückte sich und griff nach dem Steakmesser, das noch immer auf dem Boden in ihrem improvisierten Kreis lag. Sie blickte Saskia kurz an und nickte. „Ist da jemand?“, fragte sie in den Raum hinein und fixierte mit den Augen die Türen zu den anderen Räumen.

Niemand antwortete. Theas Blick wanderten zu der Stelle, wo sie glaubte, den Schatten stehen gesehen zu haben. Ihr Herzschlag beschleunigte sich erneut, als sie die Abdrücke von zwei nackten großen Füßen auf dem Boden sah.

„Wir sollten vielleicht die Polizei rufen“, murmelte Thea, die sich den Fußspuren vorsichtig näherte.

„Klar, und denen erzählen wir dann was?“, fragte sie und blickte sich um.

„Hier sind die Abdrücke von Füßen“, murmelte Thea, die sich mittlerweile sicher war, dass es sich tatsächlich um solche handelte.

„Wohin gehen sie?“, fragte Saskia, die mit der Hand schon die Türklinke berührte.

„Nirgendwohin. Es sieht nur aus, als habe hier jemand gestanden, der dreckige Füße hatte.“

„Bist du dir sicher, vielleicht sind die von uns“, gab Saskia zurück, glaubte aber nicht wirklich daran.

„Nur wenn du plötzlich Schuhe mit einer Größe, keine Ahnung, jenseits der 44 tragen kannst“, gab Thea zurück.

„Doch Polizei?“, fragte Saskia nun deutlich verunsichert, während Thea langsam rückwärts auf sie zuging. „Ja, hallo, also wir haben hier ein Problem. Es könnte sein, dass ein Einbrecher im Haus ist, aber vielleicht ist der nicht so ganz normal, sie müssen wissen, wir hatten erst so ein Sedingsda und dann haben wir versucht, einen Dämon zu beschwören. Bringen sie also Geisterjäger und Exorzisten mit“, murmelte Saskia leise.

Thea musste leicht grinsen. „Klingt nicht, als würde das jemand ernst nehmen.“

„Vielleicht hat nur ein Nachbar den Fernseher zu laut gedreht. Ich sehe niemanden und zur Tür ist keiner reingekommen, das hätten wir bemerkt. Wir sind zudem im fünften Stock“, sagte Thea und versuchte, sich selbst zu beruhigen. „Ich werde jetzt einen Blick in die anderen Räume werfen zur Sicherheit ...“

Sicher war sie sich zwar nicht, aber irgendwas musste sie tun. Es war unmöglich, dass jemand Unbefugtes hier war, und sie weigerte sich, sich von etwas, das gar nicht existierte, Angst machen zu lassen.

Sie kam sich ein wenig albern vor, wie sie mit dem Steakmesser bewaffnet durch ihre eigene Wohnung schlich. Doch ihre Knie waren noch immer weich und so unlogisch diese Reaktion ihr auch erschien, sie fürchtete, was sie vielleicht finden würde.

Sie schaltete das Licht im Badezimmer ein und stieß die Tür auf. Das Bad war ein übersichtlicher Raum ohne Chancen, sich irgendwo zu verstecken, selbst die Dusche bestand vollständig aus Glas.

Beim Schlafzimmer und Gästezimmer sah die Sache etwas anders aus, doch auch hier fand sie niemanden. Eigentlich war es genau das, was sie erwartet hatte, und trotzdem blieb das ungute Gefühl im Bauch.

Saskia blickte sie neugierig an. „Aber du hast das doch auch gehört. Da war eine Männerstimme gewesen und die kam definitiv aus dem Raum hier.“

Thea nickte. „Ja, aber es ist niemand hier.“

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Thea ließ vor Schreck fast das Messer fallen und Saskia war von der Tür weggesprungen. Kurz blickten die beiden Frauen sich an, dann wiederholte es sich.

Saskia richtete sich auf und ging zur Tür. Einen Moment zögerte sie, doch dann riss sie die Tür regelrecht auf.

Manuela, die vor der Tür stand, fuhr zusammen. Dann trat sie ein und ließ ihre Augen durch den Raum wandern. „Alles okay? Ich konnte nicht einfach so nach Hause gehen.“

Thea blickte Saskia an, die sofort nickte. „Ja klar, alles wunderbar.“ Sie versuchte, ihre lässige Art wieder aufzusetzen, doch so ganz gelang ihr das nicht.

Manuela schnupperte. „Hier riecht es nach ... Feuer, Wald irgendwie männlich herb, hattet ihr Besuch?“

Saskia und Thea blickten sich an und sogen prüfend die Luft ein. Thea bemerkte diesen merkwürdigen Geruch als erste. Es war nicht unangenehm, aber ihr vollkommen unbekannt.

Saskia musterte sie misstrauisch. „Das warst du, oder?“ Sie klang verstimmt und verärgert.

Manuela schaute sie verständnislos an. „Was war ich?“

Saskia ging auf sie zu. „Na, das alles, dieser ganze faule Zauber. Die Kerzen, die Stimme. Echt, das ist voll uncool.“

Thea hatte den Eindruck, dass Manuela nicht wusste, wovon Saskia sprach.

„Verdammt, ich habe nichts gemacht, ihr habt vielleicht einfach nur Pech gehabt und der Mist hat funktioniert“, gab Manuela angespannt zurück.

In diesem Moment erloschen die Lichter im Raum wieder. Thea versteifte sich, als sie etwas hinter sich spürte. Warmer Atem streifte ihr Ohr. Sie fuhr herum, doch da war nur Dunkelheit.

„Ich mach das Licht wieder an“, sagte Saskia, deren Stimme leicht zitterte.

„Wir werden sehr viel Spaß miteinander haben“, flüsterte es leise in Theas Ohr. Thea gab einen erschrockenen, spitzen Schrei von sich und fuhr herum. Der Schatten war wieder da und diesmal spürte sie, wie zwei kräftige Hände sie an den Oberarmen packten. Durch den Stoff drang eine unnatürliche Hitze. In dem Moment, wo es zu schmerzen begann, ging das Licht wieder an. Die Hände waren weg und dort, wo der Schatten gestanden hatte, war nichts als Luft.

Thea zitterte. „Irgendwas hat mich gerade berührt.“ Sie bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen, doch das war einfacher gesagt als getan. Ihre Knie waren wie Wackelpudding und sie war wie erstarrt. Auf ihrem Pullover war nichts zu sehen, aber die Stellen an ihren Armen waren noch immer unnatürlich warm.

„Was habt ihr denn erwartet?“, fragte Manuela, die ebenfalls aufgeregt klang, sich aber bemühte ruhig zu bleiben. „Keine Panik jetzt. Im schlimmsten Fall habt ihr einen Dämon beschworen, dann müssen wir nur rausfinden, wie wir den wieder loswerden.“

„Es gibt keine Dämonen“, warf Saskia ein, die bei weitem nicht so überzeugt von ihren Worten klang, wie sonst.

Manuela fuhr wütend zu ihr herum. „Wenn du nicht an Dämonen glaubst, wieso beschwörst du dann einen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Egal. Wir kommen jetzt erst einmal zur Ruhe. Es ist keiner verletzt worden, oder? Dann habt ihr ihn vermutlich unter Kontrolle. Erzählt mir was genau passiert ist.“

Thea und Saskia sahen sich kurz an, dann berichteten sie Manuela, was sie nach ihrem Aufbruch getan hatten.

„Diese Anleitung, woher hast du sie Saskia?“, fragte Manuela.

„Ich sagte doch, meine Oma hatte einen Haufen schräges Zeug, die lag dabei.“

„Wieso konntet ihr nicht so eine blöde Anleitung aus dem Netz nehmen? Die funktionieren zumindest nicht.“ Sie blickte sich um. „Was ist das für ein Zeug auf dem Boden.“

Thea atmete tief ein. „Blumenerde.“

„Blumenerde?“, fragte Manuela verständnislos nach.

Saskia zuckte die Schultern. „Naja, Friedhofserde ist doch auch nichts anderes.“

Manuela schüttelte den Kopf. „Toll, wirklich toll. Ich helfe euch es sichtbar zu machen, wie ihr das wieder loswerdet, ist euer Problem. Ich habe euch gesagt, dass ich damit nichts zu tun haben will. Thea, du hast die Beschwörungsformel gelesen?“

Thea nickte und ahnte, dass das wohl ein großer Fehler gewesen war.

„Gut, dann befiehl ihm, sich dir zu zeigen“, sagte Manuela, die vorsichtshalber näher zu Saskia ging.

Thea war sich sicher, dass sie das auf keinen Fall tun wollte. „Ich soll was?“

„Du hast ihn beschworen, also gehorcht er dir. Du darfst keine Angst haben. Befiehl ihm, sich zu zeigen.“ Manuela sah sie auffordernd an.

Thea blickte zwischen Saskia und Manuela hin und her. Sie kam sich einsam und verlassen vor, wie sie hier mitten im Raum stand. Dann atmete sie tief ein. „Gut. Ich befehle dir, dich zu zeigen?“ Es klang weniger nach einem Befehl, als nach einer Frage und wie sie erwartet hatte, geschah nichts.

Ihr Blick huschte suchend durch den Raum. Dann sah sie Manuela und Saskia an, die irgendetwas anstarrten. Etwas, dass hinter ihr sein musste.

Thea wirbelte herum und sprang ein wenig zurück. Direkt vor ihr stand ein Mann. Er überragte sie um ein gutes Stück. Er trug eine dunkle Hose, aber sein Oberkörper war nackt. Muskeln, fein gebräunte Haut, schwarzes Haar und dunkelbraune Augen, in denen violette Flammen tanzten. Er sah aus, als wäre er direkt einem Erotikkalender entstiegen.

Saskia war die Erste, die sich wieder fasste. „Ist der echt?“

Der Mann grinste und entblößte dabei seine weißen Zähne. „Möchtest du ihn mal anfassen?“

Saskia, die sonst immer eine schlagfertige Antwort parat hatte, schwieg, obwohl ihr die Doppeldeutigkeit nicht entgangen war. Sie wollte sich in Bewegung setzen, doch Manuela hielt sie sofort zurück.

„Halt Abstand von ihm“, warnte sie und Saskia nickte.

Der Blick seiner Augen fixierte Manuela. Er betrachtete sie geringschätzig. „Eine Hexe. Diesmal gar nicht dabei gewesen, aber wissen deine Freunde auch, was du getan hast?“

Manuela fuhr auf. „Halts Maul, Dämon!“, fauchte sie.

Saskia sah sie erschrocken an und auch Thea blickte sich um. Sie zuckte, als sie registrierte, dass der Mann nicht mehr Mitten im Raum stand, sondern direkt vor Manuela, sie am Hals packte und wie eine Puppe in die Luft hob.

Saskia gab einen erschrockenen Schrei von sich und wich einen Schritt zurück. Manuela zappelte in dem Griff und versuchte, nach ihm zu treten, doch damit hatte sie keinen Erfolg.

„Hör auf!“, brüllte Thea ihn an. Sie hatte einen Schritt auf ihn zugemacht und das Messer gehoben, dass sie noch immer in der Hand hielt.

Ein unwirsches Knurren erfüllte den Raum, doch Thea sah, wie Manuela zu Boden stürzte und sich an den Hals Griff.

Der Dämon hatte sich zu ihr umgedreht und das violette Feuer in seinen Augen tanzte gefährlich, während er sie fixierte.

„Das war ein Unfall. Wir wollten ... dich gar nicht beschwören“, stotterte Thea, der heiß und kalt wurde, als sein Blick über sie wanderte.

„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst“, krächzte Manuela. „Er gehorcht dir. Er muss dir gehorchen, weil du ihn beschworen hast, aber wenn die Anweisungen nicht eindeutig sind, wird er sie gegen dich verwenden.“

Thea versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken, während der Dämon sie ansah, als überlege er, welchen Teil von ihr er zuerst verschlingen sollte.

Sie blickte an ihm vorbei. Manuela war auf die Beine gekommen, aber genauso kreidebleich wie Saskia.

„Wie werden wir ihn wieder los?“, fragte sie.

„Keine Ahnung, mit sowas hatte ich nicht gerechnet.“, sagte Manuela. „Es muss Aufzeichnungen geben, Saskia, du musst Thea das Buch bringen, aus dem der Zettel kommt.“

„Du bleibst schön da stehen“, murmelte Thea, als sie langsam an ihm vorbeiging. Seine Augen folgten ihr, doch er bewegte sich nicht.

Kurz darauf standen sie im Flur vor Theas Wohnung. „Was tun wir jetzt?“, fragte sie.

Saskia atmete tief durch. „Ich fahre los und bringe dir das Buch in dem der Zettel eingelegt war. Ich bin in einer dreiviertel Stunde wieder da.“

Manuela war blass. „Ich weiß es nicht, der ist nicht das, was ich erwartet hatte. Ich kann dir nicht helfen. Ich darf nicht, sowas hinterlässt Spuren. Saskia, deine Großmutter hat sicher etwas dazu geschrieben, sie war eine großartige Hexe soweit ich weiß, es muss Aufzeichnungen geben.“ Ihre Stimme zitterte.

„Ist okay. Ich bekomme das schon hin“, sagte Thea, der nicht entgangen war, dass Manuela kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen schien.

Manuela blickte sie an. „Sei vorsichtig. Sie sind besonders übellaunig direkt nach der Beschwörung. Lass ihn nicht frei, wenn du das machst, bringt er dich sicher um. Vergiss niemals, das sind grausame, heimtückische und von Grund auf böse Geschöpfe, auch wenn sie nicht so aussehen. Ich werde in meinen Büchern nachsehen, vielleicht finde ich noch etwas.“

Thea war nicht so ganz wohl dabei. „Ich komme klar. Ich sag ihm, er soll ins Gästezimmer gehen und da warten, das sollte für Ruhe sorgen.“

Manuela nickte, doch sie war sich ebenso wenig sicher, wie Thea.

Saskia drückte Thea. „Ich bin so schnell wie möglich wieder da.“

Thea zögerte, dann betrat sie erneut ihre Wohnung, um sich dem zu stellen, was sie versehentlich gerufen hatten.

Zeitenwende

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