Читать книгу Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman - Viola Maybach - Страница 6

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Die beiden Frauen stellten ihre Blumen vor dem Grabstein ab. Die eine, blond und schmal, mit einem Gesicht, das von schönen grauen Augen beherrscht wurde, legte der anderen, Brünetten, die kleiner war als sie und einige Jahre älter, einen Arm um die Schultern. Die Kleinere lehnte sich an sie und fing an zu weinen.

Sie standen minutenlang so, bis die Brünette sich aufrichtete. Die andere ließ ihren Arm sinken. »Geht’s wieder?«, fragte sie mit leiser Stimme. Auch sie hatte Tränen in den Augen, weinte jedoch nicht. Sie sah sehr jung und sehr verletzlich aus.

Ein stummes Nicken antwortete ihr. Ein letzter Blick noch zu dem Namen, der auf dem schlichten Grabstein stand, dann drehten sich die beiden Frauen um und verließen den Friedhof, die Köpfe gesenkt.

»Sie fasziniert mich«, sagte Felix von Bernau zu seinem Freund Moritz von Ohldorf. »Jeden Morgen sehe ich sie auf dem Parkplatz, sie kommt immer zur gleichen Zeit. Sie ist einfach hinreißend. Allein die Art, wie sie sich bewegt …«

»Und wieso hast du sie nicht längst angesprochen?«, erkundigte sich Moritz. »Ich meine, du schwärmst jetzt schon wochenlang von ihr, ohne ihr nähergekommen zu sein. So viel Zurückhaltung ist doch sonst gar nicht deine Art.«

Verwundert sah er, dass diese Bemerkung seinen Freund offenbar in Verlegenheit brachte: den attraktiven Felix von Bernau, der bisher jedem Versuch einer seiner Freundinnen widerstanden hatte, ihn für die Ehe zu gewinnen. Er war jetzt fünfunddreißig Jahre alt und wollte seine Freiheit nicht aufgeben. Seine Freiheit, die er zu genießen verstand. Moritz hatte Felix schon oft insgeheim beneidet, denn ihm ging diese Unbekümmertheit ab: Er hatte für kurzfristige Beziehungen nichts übrig und hätte lieber heute als morgen eine Familie gegründet, wenn ihm die passende Frau über den Weg gelaufen wäre. Doch die ließ zu seinem Kummer auf sich warten.

»Bei ihr ist das anders«, erwiderte Felix endlich. »Sie ist noch ziemlich jung, ich möchte sie nicht verletzen. Und ich kenne mich ja, Moritz: Treu bin ich noch nie gewesen. Also beschränke ich mich lieber darauf, sie von meinem Bürofenster aus zu beobachten und mir Geschichten zu ihr auszudenken. Das kann auch sehr anregend sein.«

»Irgendwann werden dir deine ausgedachten Geschichten nicht mehr reichen und du wirst dich erkundigen, wer sie ist«, sagte Moritz voraus. »Du bist nicht nur untreu, du bist auch neugierig.«

Felix machte ein gekränktes Gesicht. »Dafür, dass wir Freunde sind, hast du aber eine ziemlich schlechte Meinung von mir.« Seine Augen verrieten, dass er den Gekränkten nur spielte.

»Keine schlechte, nur eine realistische«, erwiderte Moritz, woraufhin sie beide lachten.

Sie aßen gemeinsam zu Abend, wie sie es mehrmals pro Woche taten, wenn sie beide ohne Partnerin waren, und das war derzeit der Fall. Kennengelernt hatten sie sich in dem Fernsehsender, für den sie beide arbeiteten: Sie entwickelten Serienstoffe, die der Sender selbst produzieren konnte. Von dem Tag an, als Felix eingestellt worden war, hatten sie sich gut verstanden und waren schnell Freunde geworden.

Felix war zwei Jahre älter als Moritz, ein Mann von mittlerer Größe mit dichten braunen Haaren und ebenfalls braunen Augen im gut geschnittenen Gesicht. Es waren diese Augen, so lautete zumindest Moritz’ Theorie, die Felix seinen sagenhaften Erfolg bei Frauen bescherten. Er konnte damit so sanft und unwiderstehlich gucken, dass er schon manches Herz gewonnen hatte, bevor auch nur ein Wort gefallen war.

Moritz selbst war ein schlanker Mann mit nervösen Bewegungen und blonden Haaren, die immer aussahen, als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen. Das verlieh ihm offenbar etwas Verletzliches, jedenfalls führte es dazu, dass sich vor allem Frauen mit Mutterinstinkt für ihn interessierten. Er wirkte, fanden sie, als müsste er noch beschützt werden. Vor solchen Frauen flüchtete Moritz umgehend.

»Im Ernst«, sagte er jetzt, »sie beschäftigt dich mehr, als dich jemals eine Frau beschäftigt hat, wenn ich das richtig beurteile. Also finde heraus, wer sie ist, und dann hat vielleicht die liebe Seele Ruh, und du kannst dich wieder auf die Suche nach einer Freundin machen. Für deine Verhältnisse bist du jetzt schon sehr lange solo.«

»Du wirst es nicht glauben, aber so schlecht finde ich das gar nicht«, murmelte Felix, während er gedankenverloren auf einem Stück Fleisch kaute. »Man hat vor allen Dingen viel mehr Zeit. Mir war vorher überhaupt nicht klar, wie zeitaufwändig der Umgang mit Frauen ist.«

Moritz grinste. »Das sind ja völlig neue Erkenntnisse.«

»Ja, ja, mach dich nur über mich lustig«, brummte Felix. Er schob seinen leeren Teller von sich. »Und was fangen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend an?«

»Nichts mehr«, erklärte Moritz. »Ich zumindest gehe nach Hause, ich habe noch einiges zu erledigen, was ich jetzt schon eine ganze Weile vor mir herschiebe. Heute Abend muss es endlich passieren, sonst kriege ich die Kurve nicht mehr.«

»Die Kurve wofür genau?«

»Steuer, ein paar Rechnungen, so ein Zeug halt.«

Felix zog die Stirn in Falten. »Musstest du mich jetzt daran erinnern? Auf meinem Schreibtisch türmen sich auch ein paar unangenehme Dinge …«

Moritz bat den Kellner um die Rechnung, wenig später verließen sie das Restaurant. Sie hatten ihre Wagen noch auf dem Senderparkplatz stehen. »Dann bis morgen!«, sagte Moritz, als sich ihre Wege trennten. »Und denk über meinen Rat nach!«

»Du bist eine Nervensäge, Moritz!«

Felix’ Auto stand weiter hinten, er war heute Morgen ziemlich spät gekommen, da waren die besten Plätze natürlich längst weg gewesen. Er konnte seinen Wagen schon sehen, als er eine weibliche Stimme leise schimpfen hörte: »Das darf doch nicht wahr sein, ich glaub’s einfach nicht!«

Er sah sich suchend um – und dann machte sein Herz einen richtigen Satz, denn dort stand sie: die schöne Blonde, die er nun schon seit Wochen vom Bürofenster aus beobachtete. Glücklicher Zufall? Schicksal? Wink des Himmels? Vielleicht alles auf einmal … Als er sich rasch umblickte, sah er, dass Moritz den Parkplatz gerade verließ, das war ihm recht. Er wollte nicht gern dabei beobachtet werden, wie er die Blonde ansprach.

»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er.

Sie zuckte erschrocken zusammen, da sie ihn offenbar nicht hatte kommen hören. Dann versuchte sie zu lächeln. »Jemand hat mir den Reifen zerstochen«, sagte sie. »Und nicht nur mir.«

Er blickte sich um und sah, dass sie Recht hatte. »Schon wieder!« Dieses Problem hatten sie seit ein paar Tagen. Die Polizei war bereits eingeschaltet, hatte die Übeltäter aber noch nicht erwischt. Sie vermuteten, dass eine Gruppe von Jugendlichen dahintersteckte.

»Ja, schon wieder«, sagte sie. »Natürlich habe ich keinen Ersatzreifen. Ich wollte gerade anrufen, damit mich jemand abholt.«

»Ich nehme Sie mit, wenn Sie wollen. Dann können Sie morgen früh als Erstes Ihre Werkstatt benachrichtigen.« Er lächelte sie an, als er ihr die rechte Hand entgegenstreckte. »Ich bin Felix von Bernau, fünfter Stock.«

»Ach, die Serienentwickler«, erwiderte sie. »Ich bin Corinna Flemming, zweiter Stock.«

»Filmtipps?«, fragte er.

»Ja, genau. Zum Glück bin ich da ziemlich unabhängig. Ins Kino gehen die Leute immer noch gern, und sie wollen, dass man ihnen Filme empfiehlt. Also ist meine Sendung nicht allzu bedroht, nur der Sendeplatz ändert sich immer mal wieder.«

»Steigen Sie ein«, sagte er, »mein Wagen steht gleich da vorn.«

»Danke, ein Glück, dass ich Sie noch getroffen habe.«

»Wohin müssen Sie denn?«

Sie sagte es ihm. Es war nur ein kleiner Umweg für ihn auf dem Weg nach Hause.

»Wie sind Sie zum Sender gekommen?«, fragte er, nachdem er den Parkplatz verlassen hatte.

»Ich bin die typische Quereinsteigerin«, antwortete sie. »Studium abgebrochen, wegen Langeweile, ein Praktikum gemacht, dann hat mich jemand gefragt, ob ich mir vorstellen könnte zu bleiben. Das konnte ich, und ich bin immer noch da.«

»Na, so lange können Sie noch nicht hier sein«, stellte er fest. »Sie sind doch noch sehr jung.«

»Ich bin schon fast zwei Jahre hier«, erklärte sie. »Das Studium habe ich jedenfalls schneller geschmissen. Ich könnte mir vorstellen, weiter für den Sender zu arbeiten, mir gefällt es da sehr gut.«

Er warf ihr während der Fahrt mehrmals verstohlene Blicke zu, die sie nicht zu bemerken schien. Sie sah aus dem Fenster und wirkte alles in allem noch jünger, als er angenommen hatte. Sie war mindestens zehn Jahre jünger als er. Er hatte also gut daran getan, sich von ihr fernzuhalten.

Unvermittelt wandte sie sich ihm zu und ertappte ihn bei einem seiner Blicke. »Was ist?«, fragte sie.

Er stellte sich dumm. »Was soll sein?«

»Sie sehen mich dauernd an. Warum?«

Verdammt, er war nicht vorsichtig genug gewesen. »Ich habe mich nur gefragt, wieso wir uns noch nie begegnet sind im Sender«, erklärte er. »In der Kantine oder so.«

»Da gehe ich nie hin. Und außerdem hat Ihre Arbeit mit meiner ja nicht viel zu tun.« Jetzt lächelte sie ihn an. »Sie waren nicht ehrlich, oder? Warum haben Sie mich wirklich angesehen?«

Er wollte eine Notlüge vorbringen, wie immer in solchen Fällen, stattdessen hörte er, wie er wahrheitsgemäß antwortete: »Ich sehe Sie jeden Morgen auf dem Parkplatz ankommen, seit ein paar Wochen. Dann beobachte ich Sie, wie Sie über den Platz laufen, bis ich Sie nicht mehr sehen kann. Ich sehe Ihnen gern zu, wie Sie sich bewegen.«

»Ehrlich wahr?«, fragte sie.

Jetzt erst bemerkte er, dass sie graue Augen hatte. Wunderschöne graue Augen. »Ehrlich wahr«, antwortete er. »Ich hatte mir geschworen, Sie das niemals wissen zu lassen.«

»Wissen Sie, was komisch ist?« Ihre Stimme klang nachdenklich. »Ich hatte seit einiger Zeit das Gefühl, dass jemand mich beobachtet. Es war kein unangenehmes Gefühl, auch nicht unheimlich oder so, ich hatte nur den Eindruck, dass jemand mich ansieht. Und jetzt sagen Sie mir, dass dieses Gefühl richtig war. Das ist schon seltsam, oder?«

»Ja. Ich wollte Sie nicht belästigen, wirklich nicht. Am Anfang war es Zufall, und dann habe ich angefangen, zu einem bestimmten Zeitpunkt auf den Parkplatz hinunterzusehen und darauf zu warten, dass Sie kommen. Mein Freund und Kollege Moritz von Ohldorf zieht mich schon auf deshalb.«

»Morgen komme ich garantiert noch später als ohnehin schon«, lachte sie. »Ich komme morgens nicht gut aus dem Bett. Aber wenn mein Auto wieder fit ist, sehe ich nach oben und winke Ihnen zu, falls ich Ihr Fenster finde.«

»Sie sind mir also nicht böse und fühlen sich auch nicht bedrängt?«

»War das Zufall eben auf dem Parkplatz oder haben Sie auf mich gewartet?«

»Lieber Himmel, nein, das war Zufall. Moritz und ich waren noch etwas essen, drüben beim Italiener. Ich war auf dem Weg zu meinem Wagen, und dann habe ich Ihre Stimme gehört. Erst als ich Sie sah, habe ich Sie erkannt, Ihre Stimme war ja neu für mich.«

»Na gut«, sagte sie, »wenn wir jetzt schon bei den Geständnissen sind: Ich wusste, wer Sie sind.«

Unwillkürlich nahm Felix den Fuß vom Gas. »Wie bitte?«, fragte er.

»Sie haben einen ziemlich krassen Ruf, das wissen Sie doch sicher? Ungefähr das Erste, was mir eine ältere Kollegin gesagt hat, war: ›Nimm dich vor Felix von Bernau in Acht, es sind schon viele Frauen hier im Sender seinen sanften braunen Augen verfallen und unglücklich geworden, diesen Fehler solltest du nicht machen.‹ Also bin ich neugierig geworden und habe die Kollegin gebeten, mir Sie zu zeigen, und das hat sie auch getan.«

Felix fühlte, dass sein Gesicht brannte. Das war ja unglaublich peinlich, es wurden also schon junge Mitarbeiterinnen vor ihm gewarnt! Einen solchen Ruf hatte er sich mittlerweile erworben? Dabei war es doch so schlimm nun auch wieder nicht gewesen. Jedenfalls hatte er sich das eingebildet und sich offenbar gründlich geirrt.

»Peinlich«, murmelte er.

»Ach, ich fand es eher lustig. Ich habe mich dann immer mal erkundigt, wen Sie jetzt gerade unglücklich machen, aber seit einiger Zeit bekomme ich jedes Mal zur Antwort, dass Sie auch nicht mehr der Alte sind und man in dieser Hinsicht schon länger nichts mehr von Ihnen gehört hat.«

»Das wird ja immer schlimmer, hören Sie auf, ich bitte Sie. Mir ist das sehr unangenehm.«

»Warum? Ich finde Sie ja trotzdem nett, jetzt, wo ich zum ersten Mal mit Ihnen rede. Und die Sache mit den Frauen … Die könnten ja ›nein‹ sagen, oder? Niemand zwingt sie, sich auf Sie einzulassen, wo doch alle wissen, dass Sie bindungsunfähig sind und nur Ihr Vergnügen haben wollen.«

Erneut musste Felix schlucken. Sie nahm wahrhaftig kein Blatt vor den Mund. Es passte ihm nicht, dass sie so von ihm dachte, obwohl sie, wie er zugeben musste, nicht gerade falsch lag mit ihren Aussagen. So war er. Oder durfte er sagen: So war er gewesen? Denn in letzter Zeit hatte er ja tatsächlich den ›Jagdinstinkt‹, wie Moritz das immer nannte, verloren. Es machte keinen richtigen Spaß mehr, die immer gleiche Geschichte zu erleben.

»Ganz so schlimm bin ich nun auch wieder nicht«, behauptete er.

Sie kicherte leise, und dadurch wirkte sie noch jünger. »… sagte der Wolf, bevor er das Lamm fraß«, spottete sie. »Sie können wirklich sehr schön sanft gucken, da hatte meine Kollegin schon Recht. Gut, dass sie mich vorgewarnt hat, ich hätte Sie sonst, glaube ich, auch für einen ziemlich harmlosen, ein bisschen schüchternen Kollegen gehalten. Das ist Ihre Masche, oder?«

Jetzt hielt Felix es doch für angebracht, energischer zu protestieren. »Ich habe überhaupt keine Masche, und für mein Aussehen kann ich nichts. Auch nicht für meine Augen. Die sind, wie sie sind, und ich gucke, wie ich gucke. Das ist alles dummes Geschwätz von Leuten, die mich überhaupt nicht kennen.«

»Das stimmt aber wohl nicht so ganz«, kam prompt die Entgegnung. »Mit der Kollegin, die mich vor Ihnen gewarnt hat, waren Sie nämlich auch mal zusammen. Sie hat mir die ganze Geschichte erzählt.«

»Also gut, mein Ruf ist ruiniert, und ich kann nichts dagegen tun«, sagte Felix. »Sie werden nie wieder ein Wort mit mir reden, und ich habe keine Chance, meinen Ruf zu retten, denn er ist auf immer und ewig lädiert.«

Eine Weile blieb es still auf dem Beifahrersitz, dann sagte Corinna Flemming gelassen: »Wer weiß? Wenn Sie sich ein bisschen Mühe geben …«

Kurz darauf hielt er vor dem Haus, in dem sie wohnte. »Danke fürs Mitnehmen«, sagte sie, bevor sie ausstieg.

»Auf die Gefahr hin, dass Sie es für Anmache halten: Soll ich Sie morgen früh abholen und mit zum Sender nehmen? Es ist kein großer Umweg für mich.«

»Das ist nett von Ihnen, vielen Dank, aber ich möchte nicht gern mit Ihnen gemeinsam am frühen Morgen aus dem Auto steigen und mir dann danach wochenlang dumme Bemerkungen anhören müssen. Tschüss, vergessen Sie nicht, in den nächsten Tagen am Fenster zu stehen!«

Mit diesen Worten stieg sie aus, warf schwungvoll die Autotür zu und eilte auf das Haus zu. Bevor sie hineinging, drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm zu.

Er setzte seinen Weg langsamer als zuvor fort. Eine Frau wie sie war ihm noch nie begegnet. So jung noch, aber doch schon sehr selbstbewusst und klar in dem, was sie wollte und was nicht. Und einmal, als ihre Blicke sich begegnet waren, hatte er gesehen, dass es auch noch etwas anderes gab als diese heitere Oberfläche, und er ertappte sich dabei, dass er das, was sie in ihrem Inneren verbarg, gern herausgefunden hätte.

Er sehnte sich nicht nach einer Affäre mit ihr, denn Affären hatte er wahrhaftig genug gehabt in den letzten Jahren. Er sehnte sich danach, sie kennenzulernen – mit allem, was sie ausmachte.

*

»Schlaft schön«, sagte Maren Flemming und beugte sich über ihre beiden Kinder, um sie zu küssen. Paul war jetzt sieben, seine Schwester Lili gerade vier geworden.

»Noch eine Geschichte«, bat Lili.

»Ich habe euch doch schon zwei vorgelesen, Lili, und es ist schon ziemlich spät. Schlaft jetzt, ich lasse die Schäfchenlampe noch an.«

Lili hörte auf zu betteln, Paul hatte sich sowieso schon klein zusammengerollt und die Augen geschlossen. Sie machte sich Sorgen um ihn. Er nahm den Tod seines Vaters viel schwerer als Lili, die bereits anfing, ihn zu vergessen. Ihren dritten Geburtstag hatten sie noch zu viert feiern können, kurz danach war Oliver verunglückt.

Leise verließ sie das Zimmer und ging zurück in die Küche, um aufzuräumen. Aber dann setzte sie sich doch an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände. Wieder einmal kamen ihr die Tränen, sie waren ihre ständigen Begleiter geworden in den zurückliegenden Monaten. Ihr ging es wie Paul: Sie konnte Olivers Tod einfach nicht verwinden. Mit gerade einmal Mitte Dreißig hatte er bei diesem entsetzlichen Unfall ums Leben kommen müssen! Bis dahin waren sie eine glückliche Familie gewesen, Sorgen hatten sie nicht gekannt, große jedenfalls nicht.

Wie dramatisch hatten sie es damals gefunden, dass Paul sich zu Beginn in der Schule nicht hatte eingewöhnen wollen, und wie lächerlich erschien ihr das heute. Hatten sie wirklich keine größeren Sorgen gehabt?

Sie trocknete sich gerade die Augen, als sie leise Schritte hörte. Erschrocken sah sie, dass Paul wohl schon eine Weile an der Tür gestanden hatte. Jetzt kam er auf sie zu und kletterte auf ihren Schoß, wo er sich wieder zusammenrollte, wie eben im Bett. Sie hielt ihn ganz fest, wiegte ihn hin und her und summte dazu, wie sie es gemacht hatte, als er noch ganz klein gewesen war. Auch Oliver hatte ihm oft etwas vorgesummt, wenn er rechtzeitig zu Hause gewesen war, um seinen Sohn ins Bett zu bringen. Als Lili auf die Welt gekommen war, waren solche Abende schon eine große Seltenheit gewesen. So viele Einsätze, auch abends …

»Glaubst du, Papa kann uns sehen?«, fragte Paul mit leiser, kläglicher Stimme. Sein Gesicht war nass von Tränen. Es war nicht das erste Mal, dass er diese Frage stellte.

Und es war nicht das erste Mal, dass Maren antwortete: »Ja, das glaube ich. Er wacht über uns, Paul. Er passt auf, dass es uns auch weiterhin gut geht, und er ist froh, dass wir so viel an ihn denken.«

»Lili denkt nicht mehr so viel an ihn, Mama. Sie vergisst ihn, und vielleicht vergesse ich ihn auch.«

»Lili war drei, als Papa verunglückt ist. Du warst schon sechs, du hast viel mehr Erinnerungen an ihn als sie, Paul. Es kann gut sein, dass sie sich später nicht mehr an ihn als Person erinnert, aber eins wird sie ihr Leben lang begleiten: das Gefühl, dass er sie geliebt hat, dass sie ein Wunschkind war. Und so war es bei dir auch. Ich glaube nicht, dass du ihn vergisst.«

»Aber manchmal versuche ich, mir sein Gesicht vorzustellen, und dann fällt es mir nicht ein«, sagte Paul. »Und seine Stimme … Manchmal kann ich sie nicht mehr hören.«

Maren zog ihn noch fester an sich. »Er war so stolz auf dich, Paul. Er hat immer gesagt, wie ähnlich du ihm bist und wie sehr ihn das freut. Ihr habt viel zusammen unternommen, und das wird dir bleiben, für immer, auch wenn die Erinnerung schwächer wird. Aber wir können sie auffrischen, indem wir uns Fotos und Filme ansehen. Er hat doch so viel gefilmt in unserem letzten Urlaub an der See, weißt du noch? Und auf den Filmen ist auch seine Stimme zu hören.«

Der Junge nickte. »Aber wir haben die Filme bis jetzt noch nicht angesehen«, sagte er zaghaft.

»Ich weiß«, flüsterte sie. »Ich hatte Angst davor. Angst, dass mir das Herz bricht, wenn ich ihn noch einmal sehe, wie er lachend und lebendig durch den Sand ins Wasser läuft. Aber irgendwann werden wir die Filme ansehen, gemeinsam, das verspreche ich dir.«

Er nickte nur, und sie merkte daran, dass sein Körper schwerer und weicher wurde, dass er dabei war, wieder einzuschlafen. »Komm, ich bringe dich zurück ins Bett«, sagte sie. »Tragen kann ich dich nicht mehr, du bist zu schwer geworden.«

Widerstandslos ließ er sich ins Kinderzimmer zurückbringen, wo sie ihn liebevoll zudeckte. Lili schlief fest, sie bewegte sich im Schlaf.

Maren ließ die Schäfchenlampe brennen. Manchmal hatte eins der Kinder Albträume und wachte weinend auf. Dann war es besser, wenn es nicht stockdunkel war, sondern die Lampe nicht nur Licht, sondern auch Trost spendete, bis die Mama kam und das Kind wieder in den Schlaf wiegte.

Eine halbe Stunde später kam Marens Schwägerin Corinna. »Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Du hast geweint, Maren.«

»Ja, ich habe geweint, zusammen mit Paul. Ich dachte, die Trauer würde irgendwann schwächer, aber irgendwie scheint das nicht zu stimmen. Manchmal denke ich sogar, es wird mit jedem Tag schlimmer, mit jedem Tag, der einem klarmacht, dass das jetzt für immer so bleiben wird, dass es kein Zurückdrehen der Zeit gibt. Oliver ist tot, er kommt nie wieder.«

Erschrocken sah sie, dass nun auch Corinnas Augen nass wurden. Corinna war erst Anfang Zwanzig, sie hatte ihren großen Bruder, der zwölf Jahre älter als sie gewesen war, durch dieses Unglück verloren. Die Geschwister waren von dem Tag an, als Corinna auf die Welt gekommen war, ein Herz und eine Seele gewesen und hatten einander vieles gelehrt: Corinna war durch die Nähe zu ihrem Bruder Gleichaltrigen immer weit voraus gewesen, weil sie ein Vorbild gehabt hatte, dem sie nacheifern konnte, und Oliver hatte von ihr gelernt, Rücksicht auf Schwächere, Kleinere zu nehmen, die sich selbst noch nicht wehren konnten.

Und jetzt war ausgerechnet Olivers kleine Schwester ihre stärkste Stütze geworden! Sie hatte das vorher nie für möglich gehalten, doch genauso war es. »Entschuldige, Corinna, ich war gedankenlos«, flüsterte Maren. »Du trauerst nicht weniger als ich, und deshalb weißt du natürlich, dass es Tage gibt, an denen es besonders schlimm ist. Heute war so ein Tag.«

Sie umarmten einander, dann half Corinna ihrer Schwägerin beim Aufräumen der Küche. Als sie sich verabschiedete, fühlte Maren sich besser. Aber kaum war sie wieder allein, als Angst und Verzweiflung zurückkehrten.

Noch lange saß sie am Küchentisch, mit dem Kopf auf beiden Armen, und weinte. Oliver war noch kein Jahr tot – ihr ganzes weiteres Leben würde sie ohne ihn verbringen müssen. Wie sollte sie das nur aushalten?

*

Baron Friedrich von Kant unterschrieb gerade einen Scheck, als seine Frau das Büro betrat. Sie kam näher, beugte sich zu ihm hinunter, um ihm einen Kuss zu geben und las dabei den Namen, der auf dem Scheck stand.

»Ich würde den Scheck dieses Mal gern persönlich überbringen«, sagte sie.

Ihr Mann sah sie überrascht an. »Warum?«

»Es ist mir ein Bedürfnis, Fritz. Ich möchte wissen, wie sie leben, wie sie zurechtkommen, ob es noch etwas gibt, das wir für sie tun können. Bisher haben wir ja ihren Wunsch nach strikter Zurückgezogenheit respektiert, aber jetzt denke ich, wäre ein persönlicher Besuch angemessen.«

»Du allein?«, fragte er zögernd. »Oder möchtest du, dass ich dich begleite?«

»Ich dachte eigentlich, ich frage Chris, ob er mich begleiten will«, antwortete sie.

Er dachte darüber nach und nickte dann. »Du hast Recht, wahrscheinlich wäre es gut.«

»Ich rede heute Abend mit ihm«, sagte sie. »Jetzt fahre ich zu Gräfin von Thun, sie will einen Wohltätigkeitsball veranstalten, hat aber keine Ahnung, was dabei zu beachten ist. Sie braucht Hilfe, hat sie gesagt.«

»Wird dir das nicht allmählich zu viel, Sofia? Deine zahlreichen ehrenamtlichen Verpflichtungen … Ich habe manchmal Angst, dass du dich übernimmst.«

Sie küsste ihn noch einmal, jetzt war ihr Lächeln traurig. »Ich übernehme mich gewiss nicht, Fritz. Du weißt, wenn ich nichts zu tun habe, kommen nur die traurigen Gedanken, und das ist schlimmer als zu viel Arbeit.«

Er stand auf, um sie in die Arme zu schließen. Sie legte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen. »Manchmal geht es besser, manchmal schlechter«, sagte sie leise. »Im Augenblick ist es eher wieder schwierig.«

»Ich weiß«, sagte er leise. »Ich spüre das schon seit einiger Zeit. Es geht nicht nur dir so, Sofia.«

Sie löste sich von ihm, strich ihm liebevoll über die Wange und verließ sein Büro. Gleich darauf hörte er sie wegfahren.

Sie lebten jetzt seit über zehn Jahren auf Schloss Sternberg. Damals hatte Sofias Schwester, Fürstin Elisabeth von Sternberg, gefragt, ob sie sich einen Umzug ins Schloss vorstellen könnten. Die Ärzte hatten dem Fürstenpaar eröffnet, dass es nach dem Erstgeborenen Prinz Christian keine weiteren Kinder bekommen werde. Und so schien es eine gute Lösung zu sein, Sofia und Friedrich mit ihren beiden Kindern nach Sternberg zu holen. Anna war damals drei gewesen, Konrad sechs, Christian fünf Jahre alt.

Die beiden jungen Familien hatten unbeschwerte, glückliche Jahre zusammen verlebt, die Kinder waren wie Geschwister aufgewachsen, und vor allem Anna und Christian waren darüber hinaus enge Freunde geworden. So wie auch ihre Mütter von klein auf enge Freundinnen gewesen waren.

Bis dann Elisabeth und Leopold im letzten Jahr bei einem furchtbaren Unfall beide ums Leben gekommen waren. Seitdem war Christian Vollwaise, Sofia hatte mit ihrer Schwester ihre engste Vertraute verloren, er selbst mit seinem Schwager einen guten Freund, Anna und Christian zwei Menschen, die ihnen fast so nahe standen wie ihre Eltern. Sie alle waren vor Trauer wie gelähmt gewesen. Die Unbeschwertheit auf Sternberg hatte ein jähes Ende gefunden.

Friedrich dachte an seinen Neffen Christian, der auch ›der kleine Fürst‹ genannt wurde. Diesen Namen hatte er von den Leuten in der Umgebung schon als kleiner Junge bekommen. Fürst Leopold, der stolze Vater, hatte seinen damals vielleicht zweijährigen Sohn bereits mit auf seine Reisen genommen, und da Leopold sehr groß gewesen war, hatte es wohl nahe gelegen, das ungleiche Paar ›der große und der kleine Fürst‹ zu nennen. Seit dem Tod seiner Eltern trug der kleine Fürst nun die Last, der letzte Nachkomme der Familie zu sein. Von ihm hing die weitere Zukunft des Hauses ab.

Mit dem Tag seiner Volljährigkeit freilich würde es keinen kleinen Fürsten mehr geben, denn mit achtzehn Jahren wurde Christian der nächste Fürst von Sternberg. Drei Jahre blieben ihm noch bis dahin, aber der Verantwortung, die er zukünftig zu tragen hatte, war er sich bereits jetzt bewusst.

Zaghaft war das Leben im Laufe des vergangenen Jahres ins Schloss zurückgekehrt, die Familie hatte sich wieder gefangen, aber so, wie es gewesen war, würde es nie mehr sein, das wussten sie. Dennoch wurde heute auf Sternberg wieder gelacht, und wer von außen auf die Familie blickte, sah nicht, wie tief die Wunden waren, die jener furchtbare Unfall jedem einzelnen von ihnen geschlagen hatte.

Friedrich seufzte. Es war, wie Sofia gesagt hatte: Es gab Tage, an denen, was geschehen war, plötzlich wieder lebendig wurde, sodass die üblichen Verdrängungsmechanismen nichts nützten. Dann musste man sich den Erinnerungen stellen, alles andere machte es nur schlimmer. Manchmal aber half die Arbeit, und so war es heute: Er war direkt froh, als der Verwalter Volker von Hagen sein Büro betrat und ihm mit besorgter Miene Probleme vortrug, die sich unerwartet im Gestüt aufgetan hatten.

Diese Probleme verlangten sofortige Entscheidungen, und das rettete den Baron. Wer entscheiden musste, konnte nicht gleichzeitig trauern oder sich Sorgen um die Familie machen. Entscheidungen konnte man nur fällen, wenn man voll konzentriert bei der Sache war, und dazu zwang er sich jetzt.

Die Probleme waren ärgerlich, dennoch widmete er sich ihnen heute direkt mit Freude.

*

»Sie hat dir zugewinkt«, sagte Moritz in heller Aufregung, »ich habe es genau gesehen, Felix.«

Felix drehte sich um. Es passte ihm nicht, dass Moritz ihn ausgerechnet in dieser Situation überrascht hatte. Ja, Corinna Flemming hatte ihm zugewinkt, wie sie es jeden Morgen tat, seit er sie an jenem Abend nach Hause gefahren hatte. Er sah sie lachen und zu ihm hinauf winken, dann verschwand sie eilig im Gebäude. Mehr als diese wenigen Sekunden jeden Tag gab es nicht, und längst gestand er sich ein, dass er damit nicht mehr zufrieden war. Er wollte sie richtig kennenlernen, mit ihr reden, ihr Fragen stellen, alles über sie erfahren. Und seltsamerweise dachte er nicht an einen Flirt. Vor allem wollte er mit ihr reden. Das war ihm zuvor noch nie passiert.

Er versuchte, sich Moritz gegenüber dumm zu stellen. »Woher willst du wissen, dass sie mich gemeint hat?«

»Willst du mich für blöd verkaufen? Du hast zurückgewinkt!« Jetzt sah Moritz empört aus.

Felix lenkte ein. Was war so schlimm daran, wenn er Moritz erzählte, dass er mittlerweile Corinna Flemmings Bekanntschaft gemacht hatte? Er fasste sich kurz und amüsierte sich insgeheim über das fassungslose Gesicht seines Freundes. »Und das war alles«, schloss er seinen Bericht. »Sie hat mich auf den Arm genommen und gesagt, von jetzt an würde sie mir zuwinken, wenn ich sie beobachte, und sie hält Wort, wie du siehst.«

»Da bahnt sich doch etwas an«, erwiderte Moritz misstrauisch.

»Es ist genau wie vorher«, widersprach Felix. »Nur dass sie jetzt reagiert. Wir haben seit unserer Begegnung neulich kein Wort mehr miteinander gewechselt, das schwöre ich dir.«

Moritz kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. »Irgendwie ist das eine komische Geschichte«, murmelte er. »So eine platonische Beziehung sieht dir nicht ähnlich.«

»Es ist keine platonische Beziehung, es ist überhaupt keine Beziehung«, entgegnete Felix, der sich jetzt ebenfalls setzte. »Außerdem glaube ich, ich ändere mich gerade.«

»Du dich? Nie im Leben. Du jagst den Frauen noch als alter Mann hinterher, darauf könnte ich wetten.«

»Ich nicht«, sagte Felix. »Ich meine es ernst, Moritz. Etwas ändert sich. Ich habe nicht mehr so viel Spaß am Jagen wie früher. Genauer gesagt: Ich habe überhaupt keinen Spaß mehr daran.«

»Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Nichts als eine vorübergehende Schwäche.« Aber Moritz’ Blick war aufmerksam geworden. »Sie gefällt dir immer noch, oder? Also willst du doch dasselbe wie immer.«

»Eben nicht«, murmelte Felix. »Ich würde gern mal ausführlich mit ihr reden, das stimmt. Sie interessiert mich, ich möchte wissen, was in ihr vorgeht.« Er sah Moritz direkt an. »Das ist neu, verstehst du?«

Moritz lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und lächelte breit. »Wenn ich nicht wüsste, dass du es bist, der so redet, würde ich sagen: Es hat dich erwischt, Mann. Aber so weit, dass ich das glaube, bin ich noch nicht.«

Ein weiterer Kollege kam heran, woraufhin sie ihr Gespräch umgehend abbrachen. Über Felix waren schon genügend Gerüchte im Umlauf, die musste man nicht noch zusätzlich befeuern.

Im Laufe des Tages ertappte Felix sich mehrmals dabei, wie seine Gedanken davonglitten in den zweiten Stock, wo Corinna arbeitete. Seinen Freund Moritz ertappte er bei prüfenden Blicken.

Vielleicht hätte er doch besser den Mund halten sollen.

*

»Die Unterlagen sind aus Versehen im fünften Stock bei den Serienheinis gelandet«, sagte einer von Corinnas Kollegen. »Und statt dass wir das sofort erfahren, lassen sie sie erst einmal einen halben Tag da liegen, bis sich mal einer bequemt, uns Bescheid zu sagen.«

»Ich gehe sie holen«, sagte Corinna. »Bevor wir noch länger darauf warten …«

Sie war schon zur Tür hinaus, bevor der Kollege etwas erwidern konnte. Niemand brauchte zu wissen, dass sie nicht wegen der Unterlagen freiwillig in den fünften Stock fuhr, sondern ausschließlich wegen Felix von Bernau. Der Mann faszinierte sie, trotz seines Rufs. Aber der Felix von Bernau, der sie kürzlich nach Hause gefahren hatte, war ganz anders gewesen als es ihr hier im Sender ständig erzählt wurde. Ein wenig unsicher hatte er gewirkt, sogar verletzlich. Sie glaubte jedenfalls nicht, dass die Bezeichnung ›Frauenheld‹ ausreichte, um ihm gerecht zu werden.

Nicht, dass sie an eine Liebesbeziehung dachte. Es war ihr unmöglich, sich vorzustellen, dass sie sich zum jetzigen Zeitpunkt verliebte, wo die Trauer um ihren verstorbenen Bruder ihr Leben beherrschte. Auch Maren hätte dafür sicher keinerlei Verständnis gehabt. Schmetterlinge im Bauch vertrugen sich nun einmal nicht mit Trauer. Aber darum ging es hier ja auch nicht. Sie war nur neugierig auf Felix von Bernau, mehr nicht. Sie wollte ihn kennenlernen, mehr über ihn erfahren als das, was alle zu wissen glaubten.

Sie war noch nie zuvor im fünften Stock gewesen. Warum auch? Hier herrschten ›die Serienheinis‹, wie der Kollege gesagt hatte, was durchaus nicht nur abfällig gemeint war. Die Serien brachten dem Sender die höchsten Quoten ein, insofern wussten alle, was sie dem fünften Stock zu verdanken hatten.

Sie fragte einen ziemlich dicken jungen Mann in ihrem Alter nach den Unterlagen.

Ein erstaunter Blick traf sie. »Und da bemühst du dich selbst nach oben? So viel Beweglichkeit hätten wir euch ja gar nicht zugetraut. Moment mal, ich hole die Mappe.«

Mist, dachte Corinna. Wenn ich Pech habe, bin ich wieder unten, ohne auch nur Felix von Bernaus Namen gelesen zu haben. Aber sie hatte nicht Pech, sondern Glück, denn in diesem Augenblick erschien er in einer der Türen und betrachtete sie ungläubig. »Sie hier?«, fragte er. »Was verschafft uns denn die Ehre? Oder sind Sie etwa gekommen, um mir einen Besuch abzustatten?«

Bevor sie antworten konnte, erschien der dicke junge Mann wieder und wedelte mit einer Mappe. »Hier sind die kostbaren Unterlagen. Keine Ahnung, wieso die bei uns gelandet sind, verbummele sie jetzt bloß nicht.« Er bemerkte Felix von Bernau, räusperte sich und verschwand eilig.

»Kennen Sie ihn näher?«, fragte Felix.

»Ich habe ihn eben zum ersten Mal gesehen. Er hat mich gleich geduzt.«

»Ja, das ist bei uns auf dem Stockwerk so üblich, aber gegenüber Besucherinnen gehört sich das natürlich nicht. Sagen Sie, wollen wir mal einen Kaffee trinken gehen? Oder eine Pizza beim Italiener essen?«

Sie ertappte sich dabei, dass sie am liebsten einfach ›ja‹ gesagt hätte, doch daran konnte sie sich ge­rade noch hindern. »Wieder auf ­Beutejagd?«, fragte sie mit leicht schnippischem Unterton.

»Nein, und das wissen Sie auch.«

Ihr fiel auf, dass alle Bürotüren offen standen, und sie nahm an, dass überall die Ohren gespitzt wurden. Vielleicht machte er das ja immer so, wenn er beschlossen hatte, eine Frau zu verführen? Nun, bei ihr würde er kein Glück haben, das stand fest.

»Okay«, sagte sie lässig. »Heute Abend habe ich Zeit.«

Er sah so verdutzt aus, dass sie lachen musste. »Was ist? Haben Sie mit einer Absage gerechnet?«

»Wenn ich ehrlich sein soll: ja.«

»Tja, da haben Sie sich geirrt. Wollen Sie jetzt einen Rückzieher machen?«

»Auf keinen Fall, was denken Sie denn? Wann und wo?«

»Um acht, vorne beim Italiener. In Ordnung?«

»Ich werde da sein.«

»Ich auch!«, lachte sie.

Als sie mit dem Aufzug nach unten fuhr, hatte sie sie doch, die Schmetterlinge im Bauch. Aber nur ganz kurz, dann rief sie sich energisch zur Ordnung.

Als sie ihr Büro betrat, musste sie feststellen, dass die Neuigkeit aus dem fünften Stock schneller in den zweiten gelangt war als sie mit dem Aufzug. Ihre ältere Kollegin Gitta Heidinger wartete bereits auf sie. »Bist du verrückt geworden?«, fauchte sie Corinna an.

»Wieso denn?«

»Du lässt dich auf ein Treffen mit dem Mann ein, vor dem ich dich gewarnt habe? Er macht es bei dir wie bei allen, und ich wollte dir eine bittere Enttäuschung ersparen. Aber wie ich sehe, haben meine Warnungen nichts genützt.«

»Es ist nicht, wie du denkst, Gitta. Ich will nichts von ihm, und er will nichts von mir.«

Gitta ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie war eine attraktive Rothaarige von Anfang Dreißig mit traurigen Augen. »Ich fasse es nicht«, sagte sie. »Er wird dich unglücklich machen, Corinna.«

»Wird er nicht, ich bin doch überhaupt nicht verliebt in ihn, Gitta«, beteuerte Corinna.

»Und warum triffst du dich dann mit ihm?«

»Weil ich ihn nett finde, deshalb. Man kann mit einem Mann auch nur befreundet sein.«

Gitta stand wieder auf und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte und mitleidig sagte: »Es mag Männer geben, mit denen das möglich ist, Kleine, aber Felix gehört ganz bestimmt nicht dazu.« Nach diesen Worten ging sie.

Im Laufe des Tages musste Corinna feststellen, dass der halbe Sender zu wissen schien, mit wem sie an diesem Abend verabredet war. Ihr folgten mitleidige, aber auch neidische Blicke, und sie empfand so manchen Gang als Spießrutenlauf. Doch beirren ließ sie sich nicht. Sie war schließlich erwachsen, sie konnte selbst entscheiden, mit wem sie essen gehen wollte.

Nur wenn sie an Oliver dachte, ihren toten Bruder, meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Es war nicht richtig, dass sie noch lebte und sich verabredete, während er …

Jedes Mal drängte sie diesen Gedanken rasch beiseite, denn er nahm ihr die Luft zum Atmen.

*

»Ich dachte, wir beide könnten zusammen hinfahren und den Scheck überreichen, Chris«, sagte Baronin Sofia zu ihrem Neffen.

Prinz Christian von Sternberg war ein schlanker, groß gewachsener Junge mit ziemlich langen dunklen Haaren und ernsten Augen. Unvermittelt konnte ein Lächeln in seinem Gesicht aufleuchten, dann erst merkte man, wie jung er noch war. Die Trauer um seine Eltern hatte ihn vor der Zeit reifen lassen, die meisten Menschen, die ihn zum ersten Mal sahen, hielten ihn für älter.

Er nickte stumm, sah seine Tante dabei aber nicht.

»Wenn es zu schmerzlich für dich ist, fahre ich allein«, sagte sie. »Aber wir haben sie ja seit damals nicht wiedergesehen, weil sie das auch nicht wollte. Doch jetzt kommt es mir so vor, als wäre es an der Zeit …«

Der Junge unterbrach sie. »Ich habe selbst auch schon daran gedacht, Tante Sofia, aber dann hatte ich Angst. Es gibt sowieso Tage, an denen alles wieder hochkommt, und die sind besonders schwer. Gerade jetzt ist wieder so eine Zeit.«

Sie ging zu ihm, um ihn zu umarmen. »Weil es bald ein Jahr her ist«, sagte sie ruhig. »Es geht mir genauso. Und dann steht ja auch der Sommer vor der Tür, alles fängt wieder an zu leben …« Sie brach ab, ihre Augen wurden feucht.

»Letztes Jahr, als der Sommer vor der Tür stand, haben sie noch gelebt«, sagte Christian leise.

»Ja, ich weiß.«

»Ich komme mit dir, Tante Sofia. Wann willst du denn hinfahren?«

»Ich dachte, gegen Ende der Woche. Du musst ja auch Zeit haben, und ihr habt ja immer so lange Unterricht.«

»Am Samstag?«, fragte er.

»Ja, Samstagmittag wäre vielleicht eine gute Zeit. Ich werde Herrn Hagedorn bitten, uns anzumelden, sie soll sich nicht überrumpelt fühlen.«

Eberhard Hagedorn war Butler im Schloss, seit vielen Jahren schon. Er war als junger Mann nach Sternberg gekommen, hatte nie eine andere Stelle innegehabt. Er war eine Respektsperson, nicht nur für die Angestellten. Auch die Teenager hörten auf ihn, Anna und Christian hatten ihm schon einige Geheimnisse anvertraut. Sie wussten, dass sie bei Eberhard Hagedorn gut aufgehoben waren. Darüber hinaus hatte er sie auch schon bei einigen ihrer Abenteuer unterstützt, ohne das jemals wieder erwähnt zu haben. Er war, in jeder Hinsicht, ein ganz besonderer Mensch.

»Ist gut, Tante Sofia.«

Eberhard Hagedorn erledigte also den Anruf und teilte wenig später mit: »Sie werden am Samstagnachmittag zum Tee erwartet, Frau Baronin, zusammen mit Prinz Christian.«

»Danke, Herr Hagedorn.« Sofia schob den Scheck sorgfältig in einen Umschlag, beschriftete ihn und legte ihn mitten auf ihren Schreibtisch, damit sie ihn am Samstag nicht etwa vergaß.

*

»Willst du zum Essen bleiben?«, fragte Maren. Corinna war wieder einmal vorbeigekommen, wie sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, wenn ihre Zeit es eben zuließ.

»Nein, ich …, ich muss noch arbeiten«, log Corinna. Sie fühlte sich elend. Sie hatte ihre Schwägerin noch nie angelogen, warum tat sie es dann jetzt? Aber es schien undenkbar zu sein, die Wahrheit zu sagen, denn die lautete: Sie ging mit einem Mann aus, der ihr sehr gefiel. Mit einem Mann, an den sie ständig denken musste, obwohl er einen schlechten Ruf hatte. Interessierte er sie vielleicht gerade deshalb? Sie wusste die Antwort nicht. Jedenfalls konnte sie Maren die Wahrheit nicht sagen, denn damit hätte sie ja auch zugegeben, dass ihre Trauer um Oliver nicht länger das beherrschende Thema für sie war, sondern dass sie allmählich anfing, sich dem Leben wieder zuzuwenden.

»Schade«, sagte Maren arglos. »Die Kinder hätten sich gefreut. Ich glaube, sie sind froh, wenn sie nicht mit ihrer traurigen Mutter allein sein müssen. Ich weiß, dass ich mich anders verhalten sollte, Corinna, aber ich schaffe es einfach nicht.« Sie deutete Corinnas Gesichtsausdruck falsch und entschuldigte sich erschrocken. »Ich wollte damit nicht sagen, dass du nicht traurig bist, wirklich nicht. Aber zumindest weinst du nicht so oft wie ich und kannst besser verbergen, wie es in dir aussieht.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Siehst du?«, setzte sie flüsternd hinzu. »Es geht schon wieder los.«

Corinna nahm sie in die Arme. »Du machst doch alles richtig, Maren. Du bist immer für Lili und Paul da, das ist das Wichtigste. Und sie wissen doch, warum du weinst. Hör mal, ich bleibe morgen Abend zum Essen, in Ordnung?«

Maren nickte, wischte sich die Tränen ab und lächelte schon wieder. »Entschuldige bitte, ich gehe mir manchmal selbst auf die Nerven.«

»Ich weiß, wie du dich fühlst«, versicherte Corinna. »Gibt es etwas Neues?«

Maren zögerte mit der Antwort. Dann setzte sie zum Reden an, bemerkte aber, dass Corinna verstohlen auf die Uhr sah, und so entschied sie anders. Was sie zu erzählen hatte, konnte warten. »Geh schon, wenn du noch arbeiten musst. Wir sehen uns dann ja morgen. Und danke, dass du trotzdem noch vorbeigekommen bist.«

Mit einer innigen Umarmung verabschiedeten sich die beiden Frauen voneinander.

*

Moritz saß allein im Büro und wartete auf eine Praktikantin, die sich vorstellen wollte. Felix war im Studio, wo gerade Kulissen für eine neue Serie aufgebaut wurden, die ab der nächsten Woche gedreht werden sollte. Hoffentlich kam das Mädchen bald, er wäre nämlich auch sehr gern ins Studio gegangen. Das war immer eine willkommene Abwechslung für Schreibtischtäter.

Als es klopfte und gleich darauf eine Frau hereinkam, traute er seinen Augen nicht. Die Praktikantin konnte es kaum sein, denn die war achtzehn Jahre alt und hatte gerade Abitur gemacht. Diese Frau hier war mindestens dreißig, hatte hellwache Augen in einem Gesicht, von dem er nicht genau wusste, ob er es hübsch nennen würde. Es war auf jeden Fall ein interessantes Gesicht: der Mund ein bisschen zu groß, die Nase leicht aufwärtsgerichtet, die Augen schräg gestellt. Dazu krause dunkle Haare und eine Figur, die sich sehen lassen konnte. Vielleicht war sie nicht im klassischen Sinne hübsch, aber er hätte wetten können, dass ihr auf der Straße jeder Mann hinterhersah.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er. »Ich nehme an, Sie haben sich verlaufen.«

»Nein, bestimmt nicht. Jedenfalls nicht, wenn Sie Moritz von Ohldorf oder Felix von Bernau sind.«

»Ersterer. Und Sie?«

»Ich bin Annika Boldts Tante.«

Moritz erinnerte sich dunkel, dass der Name des Mädchens, das sich hatte vorstellen wollen, Annika Boldt war.

»Ah ja«, sagte er. Mittlerweile war er aufgestanden, der Höflichkeit halber. »Und was ist mit ihr? Ich warte auf sie.«

»Krank geworden«, erklärte die jugendliche Tante. Dann streckte sie mit einem umwerfenden Lächeln die rechte Hand aus. »Ich bin Miriam Boldt. Und ich dachte, es ist besser, wenn ich Ihnen das persönlich sage, damit Sie es auch glauben. Annika liegt nämlich todunglücklich mit Grippe im Bett, und wir konnten sie nur mit Gewalt davon abhalten, diesen Termin wahrzunehmen. Sie hat Angst, dass Sie sie nicht nehmen, wenn sie nicht sofort zur Verfügung steht.«

Was für ein glücklicher Umstand, dachte Moritz, dass Annika gerade jetzt Grippe bekommen hat, sonst wäre ich dieser Frau vermutlich nie begegnet. »Und Sie sind jetzt nur gekommen, um ihr diesen Praktikumsplatz zu sichern?«

»Nicht nur«, gab sie freimütig zu. »Ich war auch neugierig, wie es hier zugeht.«

Er war enttäuscht. »Sie wollten also schon immer mal zum Fernsehen, und deshalb haben Sie jetzt diese Gelegenheit genutzt?« Das sagten im Grunde alle Leute, die es irgendwie schafften, ins Innere des Gebäudes zu gelangen. Sie war wohl doch nicht so besonders, wie er zunächst angenommen hatte.

Doch Miriam Boldt winkte lachend ab. »Überhaupt nicht!«, erklärte sie. »Ich bin mit meiner Arbeit überglücklich, aber ich möchte schon wissen, wohin ich mein Patenkind schicke. Ich habe mich nämlich dafür stark gemacht, dass sie dieses Praktikum antreten darf, während ihre Eltern strikt dagegen waren. Sie haben Angst um Annika, und vom Fernsehen heißt es ja immer, dass es da manchmal ziemlich wild zugeht.«

Sie warf einen Blick auf die überfüllten Schreibtische und die Wände, an denen jede Menge Skizzen für zukünftige Serien hingen, aufgehängt an Pinnleisten. »Hier sieht es allerdings ziemlich normal aus«, fuhr sie fort. »Nach Arbeit eben, wie in den meisten Büros.«

»Setzen Sie sich doch«, bat Moritz. Dass er eigentlich ins Studio wollte, hatte er vergessen.

Sie zierte sich nicht lange, sondern kam seiner Aufforderung nach, und bevor er wusste, wie es passiert war, steckte er auch schon in einem regelrechten Verhör über das, was ihre Nichte im Sender zu erwarten hatte: Würde sie etwas lernen? Würde Moritz oder sein Kollege ein Auge auf sie haben und darauf achten, dass ihr niemand zu nahe trat? Welche Aufgaben genau würde man ihr übertragen?

Moritz fing schon bald an zu schwitzen. Sie hatten immer Praktikantinnen, Felix und er, und die liefen dann eben mit. Wenn sie klug waren, lernten sie eine Menge, waren sie zu schüchtern oder ungeschickt, bekamen sie kein Bein an die Erde. Es war hier wie überall, aber ganz so deutlich wollte er es Miriam Boldt gegenüber nicht ausdrücken.

Ganz plötzlich hörte sie auf, ihm Fragen zu stellen und sagte mit breitem Lächeln: »Sie haben keine Ahnung, oder? Entweder schafft Annika es hier allein, sich durchzusetzen oder eben nicht.«

»So ungefähr«, gab er zu. »Eine Praktikumsstelle ist ja keine Ausbildung. Die Praktikanten werden da eingesetzt, wo sie gebraucht werden, und dann kommt es allein darauf an, wie gut sie mit der Situation zurechtkommen.« Er machte eine kurze Pause, bevor er hinzusetzte: »Aber wenn sie ihrer Patentante auch nur ein bisschen ähnlich ist, hat sie gute Chancen, würde ich sagen.«

»Sie sind ganz schön raffiniert, Herr von Ohldorf, das muss ich sagen.«

»Eigentlich bin ich das nicht, vermutlich liegt es an Ihnen. Sie wirken anregend. Eben ist mir sogar ein guter Einfall für unsere Serie gekommen.«

Ihre Augen glänzten. »Erzählen Sie ihn mir?«

»Nur, wenn ich Sie zum Essen einladen darf«, hörte Moritz sich sagen. Er kam aus dem Staunen nicht heraus. Er benahm sich ja beinahe wie Felix in vergleichbaren Situationen. Normalerweise war er eher zu zurückhaltend und verpasste den richtigen Augenblick für die entscheidende Annäherung.

»Sind Sie immer so schnell?«

»Überhaupt nicht«, gestand er. »Ich habe mich gerade eben über mich selbst gewundert. Aber ich würde trotzdem gern mit Ihnen essen gehen. Wie wäre es mit morgen Abend?«

Sie lächelte sonnig.

»Nur, wenn Annika die Praktikantenstelle kriegt, obwohl sie vielleicht erst in zwei Wochen kommen kann.«

Er musste lachen. »Das habe ich ja wohl verdient, aber damit sind wir quitt, ja?«

Sie nickte und stand auf. »Morgen Abend ist wunderbar. Darf ich das Lokal aussuchen?«

»Natürlich, wenn Sie wollen …«

»Ich hole Sie hier ab, einverstanden? Wäre Ihnen neunzehn Uhr recht?«

»Ja, aber unten am Ausgang bitte. Ich lege keinen Wert darauf, dass mich am Tag danach geschätzte hundert Kollegen nach Ihnen ausfragen.«

»Ich kann auch auf dem Parkplatz warten«, grinste sie. »Das ist noch unauffälliger.«

»Nein, nein, am Ausgang ist es schon okay. Ich werde pünktlich sein.«

»Ich auch.« Sie grinste ihn noch einmal an, bevor sie das Büro verließ. Er hörte ihre Absätze über den Flur klappern.

Was für eine Frau!

*

Sie kam drei Minuten zu spät. Für eine Frau war sie also überpünktlich. Felix kannte es nur so, dass man auf Frauen, mit denen man verabredet war, immer endlos warten musste. Offenbar gab ihnen das ein Gefühl von Macht. Er jedenfalls hasste Unpünktlichkeit. Dabei war es heute durchaus schwierig gewesen für ihn, rechtzeitig hier zu sein, denn im Studio hatte es ein paar Probleme gegeben, die gelöst werden mussten. Aber er hatte es ja dann doch noch geschafft.

»Entschuldigen Sie«, sagte Corinna jetzt ein wenig außer Atem, »ich …, ich habe noch einen Verwandtenbesuch gemacht und mich etwas zu lange aufgehalten.«

»Drei Minuten sind doch fast nichts.«

Sie sah ihn verdutzt an, dann lachte sie. »Sie haben auf die Uhr gesehen, um festzustellen, um wie viel ich mich verspätet habe? Das ist ja witzig, ich mache das auch immer. Ich mag es nicht, wenn Leute zu spät kommen.«

»Erste Übereinstimmung«, stellte er fest. »Was essen Sie?«

»Keine Ahnung. Haben die auch Spaghetti hier? Die mag ich lieber als Pizza.«

»Hier gibt’s alles, was das Herz begehrt.«

Sie brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden, und Sonderwünsche äußerte sie auch nicht. Ein weiterer Pluspunkt. Ansonsten fiel ihm auf, dass sie etwas blass um die Nase war. Es wirkte, als hätte sie keinen besonders erfreulichen Tag gehabt. »Probleme?«, fragte er beiläufig.

»Wie kommen Sie darauf?«

Aber er sah, dass sie ein wenig errötete, also hatte sie tatsächlich welche, doch wenn sie darüber nicht mit ihm reden wollte, würde er sie selbstverständlich in Ruhe lassen. »Das geht mich nichts an, entschuldigen Sie. Ich wollte nicht indiskret sein.« Um sie aufzuheitern, fragte er: »Und? Hat man Sie weiterhin vor mir gewarnt?«

»Die Neuigkeit war schneller unten im zweiten Stock als ich«, antwortete Corinna.

Er war froh zu sehen, dass sie jetzt lächelte. »Donnerwetter«, murmelte er. »Man sollte doch meinen, dass sie allmählich mal aufhören, sich für das, was ich tue, zu interessieren.«

»Das scheint mir nicht so zu sein. Und ich kriege jetzt Ihretwegen richtig Ärger, weil sie alle versuchen, mich vor Ihnen zu retten, und denken, dass ich nicht auf ihre guten Ratschläge hören will.« Sie lächelte ihn an. »Dabei gehen wir ja nur zusammen essen, nicht? Aber das glaubt mir niemand.«

Es gab ihm einen Stich, dass sie das sagte, und verwirrt fragte er sich, wieso. Er sah das doch genauso. Er wollte mit ihr reden, mehr nicht.

»Erzählen Sie mir von sich«, bat er.

»Lieber nicht, das ist mir zu intim. Übrigens können wir uns gern duzen. Dass ich Corinna heiße, weißt du ja.«

»Felix«, murmelte er. Zu intim? Sie wollte ihm nicht einmal etwas über sich erzählen?

»Ich würde lieber über eure Serien reden«, sagte sie. »Erzähl mir doch mal, wie ihr auf eure Themen kommt.«

Dieser Abend verlief anders als gedacht, aber Felix stellte erstaunt fest, dass er sich nicht unwohl fühlte. Sie hörte genau zu, stellte interessierte Fragen, und schon bald waren sie in eine lebhafte Diskussion verstrickt. Sie griff seine Abteilung heftig an, fand sie langweilig und ideenlos und schleuderte ihm temperamentvoll Themen entgegen, die ihrer Ansicht nach dringend Eingang in eine der Serien des Senders finden sollten.

Das Verrückte war: Sie hatte nicht einmal Unrecht, und sie argumentierte verdammt geschickt. Verglichen mit ihr kam er sich alt und ausgebrannt vor. Offenbar wusste er gar nicht mehr, was Leute ihres Alters interessierte, dabei war er doch nur gute zehn Jahre älter. Aber die machten offenbar sehr viel aus. Zum ersten Mal seit Längerem fragte er sich, ob er überhaupt noch richtig gut war in seiner Arbeit. Oder gehörte bereits zu denjenigen, die einfach immer weitermachten, ohne zu merken, dass ihre Zeit im Grunde genommen längst vorbei war?

Als sie schließlich schwiegen, waren mehr als zwei Stunden vergangen, die Teller längst abgeräumt, das Lokal um sie herum hatte sich geleert. »Wir sind die Letzten!«, stellte Felix fest. »Ich habe überhaupt nicht gemerkt, dass es schon so spät ist.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Corinna. »Und eins sage ich dir: Es wurde höchste Zeit, dass euch mal jemand die Meinung gesagt hat da oben. Ihr ruht euch auf euren Erfolgen aus, aber irgendwann überholt euch die Wirklichkeit, und dann habt ihr kein neues Konzept in der Tasche.«

»Wir werden morgen darüber reden. Es könnte sein, dass einige deiner Vorschläge in unsere Arbeit einfließen. Wenn du möchtest, erwähne ich deinen Namen.«

»Nein, vielen Dank«, erwiderte sie trocken. »Ich weiß auch so, dass meine Ideen gut sind.«

Sie war verdammt selbstbewusst, aber auch das gefiel ihm.

Er brachte sie zurück zu ihrem Wagen. Bevor sie einstieg, zog er sie in seine Arme, obwohl er das überhaupt nicht vorgehabt hatte. Einen Moment lang blieb sie weich und nachgiebig, und er hätte sie zweifellos geküsst, wenn sie sich nicht ganz plötzlich versteift und hastig aus seiner Umarmung befreit hätte.

»Was soll das denn jetzt?«, fragte sie. »Fängst du jetzt doch an wie immer? Hast du gedacht, du lullst mich erst einmal ein, bis ich keine Gegenwehr mehr leiste?« Ihre schönen Augen blitzten ihn zornig an, in ihre Stimme hatte sich eine Schärfe geschlichen, die vorher nicht da gewesen war.

»Nein, ganz bestimmt nicht!«, beteuerte er. »Ich …, ich wollte das gar nicht, Corinna. Es ist einfach so passiert.«

Sie gab ein leises Schnauben von sich. »Was für eine dämliche Ausrede! Also wirklich, Felix, da hätte ich jetzt aber etwas Originelleres erwartet. ›Es ist einfach so passiert‹ – was soll das denn heißen?«

»Es ist die Wahrheit«, sagte er lahm. Er wusste, dass er jetzt sagen konnte, was er wollte, sie würde ihm nicht glauben. Was war denn nur über ihn gekommen, dass er sie umarmt hatte? Es war doch klar gewesen, wie sie darauf reagieren würde. Und außerdem: Er wollte ja nichts von ihr, da brauchte er sie auch nicht zu umarmen.

Sie stieg ohne weiteres Wort in ihren Wagen und fuhr weg, ohne ihn noch einmal anzusehen.

Als er ihr nachsah, erkannte er mit schmerzlicher Klarheit, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Natürlich wollte er mit ihr nicht nur reden. Er wollte noch vieles mehr, aber zum ersten Mal in seinem Leben stieß er auf Widerstand. Sie würde nicht als leichte Beute in seine Arme sinken, denn sie empfand nicht wie er. Vielleicht fand sie ihn als Gesprächspartner interessant, aber mehr war da nicht.

»Ich bin verliebt«, sagte er halblaut vor sich hin, als er nach Hause fuhr. »Ich bin verliebt, und sie ist es nicht.«

Er konnte es nicht fassen, dass ausgerechnet ihm so etwas passiert war.

*

Als Baronin Sofia und Christian am Samstagnachmittag ins Schloss zurückkehrten, ging der Junge sofort in sein Zimmer. Wenig später klopfte seine Cousine Anna bei ihm.

»Willst du allein sein oder kann ich reinkommen?«, fragte sie.

Togo, Christians junger Boxer, den ihm Sofia und Friedrich geschenkt hatten, kurz nachdem seine Eltern verunglückt waren, lag vor dem Bett, öffnete die Augen, wedelte einmal mit dem Schwanz und schloss die Augen auch schon wieder.

»Komm rein, Anna«, erwiderte Christian. Er lag auf dem Bett, hatte beide Arme hinter dem Kopf verschränkt und sah zur Decke.

»Wie war’s?«, fragte sie, während sie sich neben ihn setzte.

»Es war gut, dass wir da waren, aber zugleich war es schrecklich. Natürlich ist alles wieder hochgekommen, und zum Schluss haben wir alle drei geweint.«

»Vielleicht war das gut«, sagte Anna.

»Ja, das habe ich hinterher auch gedacht. Sie ist eine tolle Frau, Anna, und sie quält sich immer noch sehr.«

»Waren die Kinder auch da?«

»Nein, sie hatte sie zu einer Nachbarin gebracht, sie hielt es für besser so. Ich war froh darüber, ehrlich gesagt. Das hätte es noch schwerer gemacht. Aber beim nächsten Mal, hat sie gesagt, sollte vielleicht der Junge dabei sein. Sie hat Angst um ihn.«

»Beim nächsten Mal?«, fragte Anna verwundert.

»Wir haben ausgemacht, dass wir wiederkommen. Nicht sobald, aber irgendwann schon. Sie meinte, für den Jungen wäre es auch wichtig. Wegen der Erinnerungen und so. Tante Sofia fand das auch.« Christian machte eine kurze Pause, bevor er hinzusetzte: »Und ich auch.«

»Aber ihr kanntet den Mann doch gar nicht.«

»Aber mein Papa hat manchmal über ihn gesprochen«, erwiderte Christian leise.

»Das wusste ich nicht.«

»Es ist mir auch erst nach und nach wieder eingefallen. Manchmal sind Erinnerungen ja irgendwie … weg, und dann tauchen sie plötzlich wieder auf. So war das. Mir ist vor einiger Zeit eingefallen, dass Papa einiges über ihn gesagt hat. Dass er klug und umsichtig ist und keiner von den Verrückten, die sich freiwillig in Gefahr begeben, um andere zu beeindrucken.« Er stockte, dann sagte er: »War, meine ich. Er war klug und umsichtig.«

»Ihr seid ziemlich lange dort geblieben.«

»Sie wollte den Scheck zuerst nicht nehmen. Sie hat gesagt, dass sie zurechtkommt und dass ihr das Geld am Anfang sehr geholfen hat, aber dass sie es jetzt nicht mehr braucht. Deine Mutter hat dann gesagt, sie soll das Geld für die Ausbildung der Kinder zurücklegen, weil man ja nie weiß, was noch kommt. Da hat sie es dann akzeptiert. Sie hatten ja keine Lebensversicherung abgeschlossen.«

Auch Anna ließ sich jetzt zurückfallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, sodass sie genauso da lag wie Christian. Sie wusste, was in ihm vorging, deshalb schwieg sie jetzt. Auch das war Ausdruck ihrer engen Verbundenheit miteinander: Sie konnten gut zusammen schweigen.

Es war schließlich Christian, der sich aufrichtete und vorschlug: »Lass uns noch mit Togo rausgehen, er ist heute echt zu kurz gekommen.«

Der Boxer brauchte nur seinen Namen zu hören, schon sprang er auf und lief zur Tür. Die beiden Teenager, eben noch in leicht schwermütiger Stimmung, mussten lachen und als sie einige Minuten später draußen im Schlosspark Stöckchen für Togo warfen, verschwand auch der letzte Rest von Traurigkeit.

*

»Wie geht es Ihrer Nichte?«, erkundigte sich Moritz. Er konnte es kaum glauben, dass Miriam Boldt seine zweite Einladung ebenfalls angenommen hatte. Der erste Abend war sehr anregend verlaufen, peinliche Gesprächspausen hatte es nicht gegeben und als er sie später nach Hause gebracht hatte, war ihm klar geworden, dass er auf dem besten Wege war, sich in die Tante seiner zukünftigen Praktikantin zu verlieben. Falls das nicht längst geschehen war.

»Sie sieht immer noch ziemlich mickrig aus, aber seit sie weiß, dass ihr der Praktikumsplatz nicht durch die Lappen geht wegen der Grippe, ist sie deutlich gelassener, das kann ich Ihnen sagen«, erwiderte Miriam Boldt, während sie mit gutem Appetit ihre Vorspeise aß.

Auch das gefiel ihm an ihr: Wie sie genießen konnte. Sie konnte von ihren Lieblingsgerichten ebenso schwärmen wie von Büchern, Filmen oder einer Opernaufführung. Mittlerweile wusste er, dass sie als Freiberuflerin an mehreren Schulen Theatergruppen leitete, mit denen sie Aufführungen erarbeitete – und dass man ihr für diese Arbeit höchstes Lob zollte. Ihre Aufführungen hatten schon mehrere Preise gewonnen, die Schulen rissen sich um sie.

»Ich habe mittlerweile beinahe ein bisschen Angst davor, wenn sie kommt«, gestand Moritz. »Sie wird Ihnen haarklein alles erzählen, und Sie werden mit unserer Betreuung nicht zufrieden sein. Die Vorstellung gefällt mir nicht.«

»Ich bin nicht naiv«, erklärte Miriam gelassen. »Sie macht keine Ausbildung bei Ihnen, sie ist eine billige Arbeitskraft. Dachten Sie, ich wüsste das nicht? Und Annika weiß es auch. Ich will nur, dass sie anständig behandelt wird und die Chance erhält, die Abläufe in einem Sender kennenzulernen und sich ein Bild von der Arbeit in den verschiedensten Bereichen dort zu machen. Und das scheint ja meistens zu klappen, sonst würden nicht so viele Praktikanten versuchen, ein zweites oder sogar drittes Praktikum anzuhängen, oder?«

»Das wissen Sie also auch schon«, seufzte er.

»Natürlich weiß ich das. Wie gesagt, mir liegt viel an Annika, und ich sorge schon dafür, dass sie halbwegs gut informiert ist, wenn sie etwas Neues anfängt. Sie hat auch in einer meiner Theatergruppen gespielt, das war überhaupt nichts für sie. Sie kann nicht spielen, und das wusste sie danach dann auch. Es war eine schmerzliche Erfahrung, die sie aber weitergebracht hat. Bei Ihnen in der Abteilung könnte sie nützlich sein. Sie hat viele Ideen, und sie ist eine gute Beobachterin. Abgesehen davon, dass sie natürlich eine ziemlich typische Achtzehnjährige ist.«

»Mit einer außergewöhnlichen Patentante«, stellte Moritz fest.

Miriam legte den Kopf schief. »Verlieben Sie sich besser nicht in mich«, sagte sie in sachlichem Tonfall.

»Wie kommen Sie darauf, dass das passieren könnte?« Er fühlte sich ertappt, wollte das jedoch auf keinen Fall zugeben.

»Ich hatte den Eindruck, Sie könnten in Gefahr geraten«, erklärte sie ohne die geringste Verlegenheit. »Wenn ich mich geirrt habe, umso besser.«

»Was wäre denn so schlimm daran, wenn ich es täte?«

»Ich bin eine Chaotin, ich bin unzuverlässig, halte es nie lange an einem Ort aus, bin praktisch mit meiner Arbeit verheiratet. Meine bisherigen Beziehungen waren allesamt blanke Katastrophen, und das hat an mir gelegen, nicht an den Männern, glaube ich.«

»Ach«, sagte Moritz nachdenklich, »so unzuverlässig kann eine Frau, die sich dermaßen für ihre Nichte engagiert, eigentlich nicht sein. Und eine Frau, die Preise für ihre Arbeit gewinnt, kann auch nicht so furchtbar chaotisch sein. Und was die Beziehungen angeht: Zeigen Sie mir einen Menschen, der in dieser Hinsicht noch keine Katas­trophen erlebt hat.«

Sie blieb stumm, zum ersten Mal fiel ihr offenbar keine Erwiderung ein. Er nahm all seinen Mut zusammen und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. »Außerdem fürchte ich, dass Ihre Warnung zu spät kommt«, sagte er und schob nach einer kurzen, wirkungsvollen Pause hinterher: »Sie wäre schon bei unserer ersten Begegnung zu spät gekommen, glaube ich.«

Nun hatte er sie doch in Verlegenheit gebracht. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gestand sie. »Ehrlich, Sie machen mich sprachlos.«

»Das ist zur Abwechslung auch mal ganz nett«, erwiderte Moritz.

Ihre Verlegenheit löste sich in einem befreiten Lachen auf, bei dem sie ihre Hand nicht zurück zog. Und das war das Wichtigste.

*

»Was willst du?«, fragte Corinna abweisend, als sie Felix neben ihrem Wagen stehen sah.

Sie hatten sich nach ihrem gemeinsamen Essen nicht mehr gesehen. Wenn Corinna morgens in den Sender kam, sah sie nicht mehr hoch zum fünften Stock und winkte, wie sie es vorher getan hatte. Zum Glück war Moritz seit ein paar Tagen ziemlich abwesend, sodass ihm das noch nicht aufgefallen war. Felix hätte sich sonst sicherlich die entsprechenden Bemerkungen anhören müssen.

»Ich will mich nur entschuldigen. Ich wollte dich nicht überrumpeln, Corinna, das schwöre ich dir.«

»Was wolltest du denn? Einfach mal testen, wie weit du gehen kannst, bevor ich ›halt‹ rufe?«

»Nein!«, beteuerte er verzweifelt. »Ich habe in dem Augenblick überhaupt nicht nachgedacht, ist das denn so schwer zu verstehen?«

»Nein, überhaupt nicht, es ist sogar ganz einfach zu verstehen«, erklärte sie steif und mit kühlem Blick. »Es bedeutet nämlich, dass bestimmte Verhaltensweisen bei dir schon so eingeschliffen sind, dass du automatisch handelst. Nimmst du jede Frau in den Arm, mit der du essen gegangen bist? Versuchst du jede zu küssen? Ich will mit einem Mann, der sich so verhält, nichts zu tun haben, Felix. Ich dachte, wir beide könnten vielleicht Freunde sein, ab und zu essen gehen und über Dinge reden, die uns beide interessieren, aber so ein Mann bist du leider nicht. Du kannst dich mit Frauen nicht befreunden, du musst sie in dein Bett kriegen, sonst bist du nicht zufrieden. Ich weiß jetzt, dass alle Gerüchte, die im Sender über dich in Umlauf sind, der Wahrheit entsprechen. Also, lass mich bitte in Ruhe, ich bin an weiteren Gesprächen mit dir nicht interessiert.«

»Aber wir haben uns gut verstanden!«, rief er. »Es war ein schöner Abend. Und ich schwöre dir, dass ich dich nie mehr umarme, wenn du es nicht willst.«

Ihre Gesichtszüge gefroren zu Eis. »Danke für das Angebot, aber ich möchte lieber nicht darauf eingehen. Und jetzt lass mich endlich in Ruhe!«

Sie stieg in ihren Wagen, ließ den Motor an und schoss förmlich aus der Parklücke.

Er sah ihr fassungslos hinterher und tat es noch, als hinter ihm eine spöttische Stimme ertönte. »Na, hast du dir eine Abfuhr eingehandelt?«

Die Szene war also zu allem Überfluss auch noch beobachtet worden! Das Getuschel in der nächsten Zeit konnte er sich lebhaft vorstellen. Er drehte sich um und begegnete Gitta Heidingers schadenfrohem Blick. Er verstand sie, er hatte sie damals wirklich nicht gut behandelt. »Entschuldige«, sagte er.

Sie sah ihn verblüfft an. »Wofür?«, fragte sie.

»Für damals. Heute tut es mir leid, Gitta. Ehrlich.«

Sie lachte, während sie ihn kopfschüttelnd betrachtete. »Die Sache mit Corinna muss dir ja ganz schön zusetzen, wenn du auf einmal anfängst, dich für dein früheres Verhalten zu entschuldigen. Ich habe mir Sorgen um sie gemacht, aber jetzt sehe ich, dass das nicht nötig war. Sie ist jung, aber sie kann sich besser verteidigen als ich damals.«

Er fühlte sich ohnehin schon elend, da brauchte er nicht auch noch Gittas Spott. »Einen schönen Abend noch, Gitta«, sagte er beherrscht und wollte sich abwenden.

Ihre Stimme hielt ihn jedoch noch einmal zurück. »Weißt du, was ich dir wünsche, Felix? Dass du auch einmal durchmachen musst, was die Frauen, die sich in dich verliebt haben und die für dich nur Affären gewesen sind, durchmachen mussten. Es wäre mir eine Freude, dich an Liebeskummer leiden zu sehen.«

»Ich kann dich verstehen«, sagte er, noch immer sehr beherrscht, dann ging er.

Er hatte es nicht anders verdient, aber mehr wollte er jetzt wirklich nicht hören.

*

»Was ist passiert?«, fragte Maren erschrocken, als Corinna eintraf und sie das blasse Gesicht ihrer Schwägerin sah. »Hast du Ärger im Sender?«

»Kann man so sagen, ja. Ich möchte aber nicht darüber reden, Maren, in Ordnung? Es ist eine etwas heikle Angelegenheit.«

»Aber doch nichts … Grundsätzliches? Du wirst nicht deinen Job verlieren oder so?«, fragte Maren ängstlich.

Das war ihre größte Sorge, Corinna wusste das. Seit Olivers Tod plagten Maren Existenzängste der schlimmsten Art. Wochenlang hatte sie nachts wach gelegen, vor lauter Angst, von jetzt an ihre Kinder nicht mehr ernähren zu können. Dabei war ihr großzügig geholfen worden, aber die Ängste waren trotzdem geblieben.

»Nein, es geht nicht um meinen Job. Ich habe Ärger mit einem Kollegen.«

»Mobbing?«, fragte Maren. Dann sah sie Corinnas Gesicht und entschuldigte sich sofort. »Du wolltest ja nicht darüber reden. Ich muss mir aber keine Sorgen machen?«

»Nein, ich werde schon damit fertig«, versicherte Corinna und schämte sich, dass sie Maren, zumindest in gewisser Weise, anlog. Die Wahrheit hätte nämlich anders gelautet, etwa so: ›Da ist ein Mann, der mir sehr gefällt und mich beunruhigt. Er gilt als Frauenheld, aber ich glaube, das ist nur der äußere Schein. In Wirklichkeit sehnt er sich nach Liebe, nur ist sie ihm bisher nicht begegnet. Ich ertappte mich dabei, wie ich davon träume, dass er mich umarmt und küsst, und dann schäme ich mich sofort und habe ein schlechtes Gewissen, wegen Oliver. Mein großer Bruder ist noch nicht einmal ein Jahr tot, und ich bin schon wieder bereit, mich zu verlieben. Ich weiß, du hättest kein Verständnis dafür, und natürlich ist es zu früh, um sich schon jetzt auf so etwas einzulassen, das ist …, das ist einfach nicht in Ordnung. Und weil ich dem Mann das so nicht sagen will, tue ich so, als störte mich sein Ruf. Ich tue so, als wollte ich nichts mit ihm zu tun haben, weil er seine Freundinnen ständig wechselt. Es ist eine wirksame Strategie, er wird mich von jetzt an sicher in Ruhe lassen. Und weil ich mir im Grunde genau das Gegenteil wünsche, bin ich sehr traurig und …, ja, und auch verzweifelt.‹

Das alles hätte Corinna ihrer Schwägerin sagen müssen, doch sie tat es nicht. Sie half Maren, Lili und Paul ins Bett zu bringen, alberte ein wenig mit den Kindern herum und verabschiedete sich danach ziemlich schnell wieder.

Sie musste allein sein. Über ihre Gefühle war sie sich bereits im Klaren, doch das machte die ganze Angelegenheit nur schlimmer. Felix von Bernau, der Mann mit dem schlechtesten Ruf des gesamten Senders, hatte es irgendwie geschafft, sich in ihr Herz zu schleichen, nun musste sie ihn so schnell wie möglich wieder daraus vertreiben.

Nur wusste sie noch nicht, wie sie das anstellen sollte, denn immer wieder sah sie seine blitzenden Augen vor sich, hörte sein dunkles Lachen und seine tiefe, angenehme Stimme. Sie spürte eine flüchtige Berührung seiner Hand und errötete bei der Erinnerung an seine fragenden Blicke, denen sie während jenes gemeinsamen Essens mehrmals begegnet war.

Sie sehnte sich so sehr nach ihm, dass es beinahe schmerzte, und doch sah sie keine Möglichkeit, als ihre erwachenden Gefühle für diesen Mann im Keim zu ersticken. Das war sie Oliver schuldig.

*

»Felix von Bernau kommt am nächsten Wochenende«, berichtete Baronin Sofia beim Abendessen im Schloss. »Er klang ein wenig mitgenommen und meinte, er bräuchte ein paar freie Tage, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ich glaube, er würde gern auch noch über das Wochenende hinaus bleiben.«

»Dann soll er das doch tun«, erwiderte Baron Friedrich.

»Das habe ich ihm auch gesagt, er denkt darüber nach.«

»Netterweise ist er ja noch nie mit einer seiner Freundinnen hier aufgekreuzt«, bemerkte der Baron. »Ich habe ihn einmal mit einer rasanten Schwarzhaarigen auf einer Pferde-Auktion getroffen. Wie gesagt, sie war rasant, aber ich glaube nicht, dass man sich länger als fünf Minuten mit ihr hätte unterhalten können.«

Anna fing bei diesen Worten an zu kichern. »Erinnert ihr euch noch an den Wohltätigkeitsbasar auf Schloss Ahlenfels? Da hatte er rothaarige Zwillinge dabei, und alle waren schockiert. Ich glaube, die Veranstalter hätten ihm am liebsten Hausverbot erteilt. Dabei hatte er mit den Zwillingen überhaupt nichts, das hat er uns selbst gesagt. Aber es hat ihm Spaß gemacht, dass sich alle so über ihn aufgeregt haben.«

»Mit Felix ist es immer lustig«, stellte der sechzehnjährige Konrad fest. »Er könnte ruhig öfter kommen.«

Der kleine Fürst schloss sich dieser Meinung an. »Von mir aus könnte er auch ruhig eine Freundin mitbringen. Irgendwann muss er doch mal die richtige Frau finden.«

»Das wäre dann aber vielleicht nicht mehr so lustig«, wandte Anna ein.

»Ich sehe schon«, fasste der Baron schmunzelnd zusammen, »alle freuen sich auf den Besuch.« Er wandte sich an seine Frau. »Du sagtest, er klang mitgenommen? Dann wird es dieses Mal ja vielleicht doch nicht so unterhaltsam mit ihm.«

»Ach, dafür sorgen wir schon«, meinte Konrad. »Wenn er mit uns zusammen ist, vergisst er, was immer ihm Ärger bereitet. Und im allerschlimmsten Fall kriegt er spätestens, wenn er auf einem Pferd sitzt, wieder gute Laune.«

Die Baronin war nicht ganz überzeugt, hatte sie doch noch den Klang von Felix’ Stimme im Ohr. Da war etwas Neues gewesen, ein Schmerz, den sie nie zuvor gehört hatte. Vielleicht wurde auch der scheinbar ewig jugendliche Felix allmählich erwachsen und war zum ersten Mal in seinem Leben an schmerzhafte Grenzen gestoßen?

Sie nahm an, dass sie es am Wochenende erfahren würden, denn wenn ihr Gefühl sie nicht trog, dann kam er vor allem, weil er sich jemandem anvertrauen wollte.

Sie behielt diese Gedanken für sich. Wenn Felix hier war, würde sich zeigen, ob sie mit ihren Vermutungen richtig lag oder nicht.

*

»Du willst nach Sternberg, so plötzlich?«, fragte Moritz verwundert. »Ich dachte, wir wollten uns am Wochenende zusammensetzen und neue Ideen entwickeln. Neulich warst du doch Feuer und Flamme und hast gesagt …«

Felix unterbrach ihn. »Ich brauche eine Luftveränderung«, erklärte er. »Am liebsten würde ich sogar noch ein paar Tage dranhängen. Echt, Moritz, ich muss hier mal raus, ich ersticke sonst.«

Endlich fiel bei Moritz der Groschen. »Dann stimmt es also doch.«

»Was stimmt?«

»Na, worüber der halbe Sender tuschelt: dass dich Corinna Flemming hat abblitzen lassen und dass du endlich mal am eigenen Leib spürst, wie es ist, unglücklich verliebt zu sein.«

»Ich will nicht darüber reden.«

»Das ist der Beweis dafür, dass es stimmt«, stellte Moritz fest. »Tut mir leid, Felix.«

Felix sah seinen Freund verunsichert an. »Ist das dein Ernst? Alle anderen scheinen außer sich vor Freude darüber zu sein, dass mir so etwas endlich auch mal passiert ist.« Er merkte selbst, dass er mit diesen Worten Moritz’ Vermutung bestätigt hatte und grinste verlegen. »Nun habe ich doch darüber geredet. Also: Ja, es stimmt. Ich habe mich in sie verliebt, und es macht mir verdammt viel aus, dass sie wegen meines schlechten Rufs nichts von mir wissen will.«

»Bist du sicher, dass es daran liegt? Vielleicht bist du einfach nicht ihr Typ. Außerdem bist du zehn Jahre älter als sie. Vielleicht steht sie nicht auf ältere Männer.«

Felix stand auf und ging zum Fenster. Sie waren noch im Büro, ihre Kolleginnen und Kollegen waren längst gegangen. Der ganze fünfte Stock lag verlassen da. »Warum muss mir das passieren, Moritz?«, fragte er. »Warum konnte ich nicht so weitermachen wie bisher?«

»Na ja, das war für dich natürlich sehr schön, aber meinst du nicht, dass es sowieso allmählich Zeit wurde, damit aufzuhören, reihenweise Frauenherzen zu brechen?«, fragte Moritz vorsichtig. »Es liegt mir fern, dich zu kritisieren, aber auf Dauer ist das doch kein Leben, Felix.«

Felix drehte dem Fenster den Rücken zu und sah seinen Freund direkt an. »Komisch, früher fand ich immer, dass genau das das Leben ist, und auf einmal macht es mir keinen Spaß mehr. Im Gegenteil. Ich finde es plötzlich langweilig. Und was noch schlimmer ist: Ich fühle mich nicht mehr wohl in meiner Haut.«

»Tja, so etwas soll es geben«, sagte Moritz.

Überraschend fragte Felix: »Und was ist mit dir? Du warst so abwesend in den letzten Tagen. Wäre ich weniger mit mir selbst beschäftigt gewesen, wäre mir sicherlich früher klar gewesen, dass das etwas zu bedeuten haben muss.«

»Ich habe mich verliebt«, ­antwortete Moritz ruhig. »In die Tante unserer zukünftigen Praktikantin.«

Da Felix nichts sagte, sondern nur ein fragendes Gesicht machte, erzählte er von seiner ersten Begegnung mit Miriam Boldt. »Sie ist so voller Lebensfreude, Felix, und so anders als die Frauen, die ich bisher kennengelernt habe. Wenn ich mich von ihr verabschiedet habe, freue ich mich schon auf das nächste Wiedersehen. Ich denke viel an sie, trotzdem kann ich mich gut auf die Arbeit konzentrieren. Irgendwie fühlt es sich so an, als berührten meine Füße den Boden kaum, wenn ich laufe.«

»Und sie?«, fragte Felix.

»Sie hat mich gewarnt, sie sei chaotisch und unzuverlässig, aber ich weiß, dass sie das in den Dingen, die für mich zählen, bestimmt nicht ist. Sie ist warmherzig und liebenswert, und ich finde sie umwerfend attraktiv.«

Felix lächelte traurig. »Ich beneide dich«, sagte er. »So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht, leider wird meine Situation dadurch noch unerträglicher. Selbst unglücklich zu sein und dabei einen frisch Verliebten ständig vor Augen zu haben, das grenzt an Folter.«

»Ja, wahrscheinlich«, murmelte Moritz. »Ich fürchte, in diesem speziellen Fall kann ich dir überhaupt nicht helfen, oder?«

»Nein, wohl nicht. Aber ich hoffe, wenn ich aus Sternberg zurück bin, habe ich das Schlimmste überstanden.«

Moritz sah ihn aus großen Augen an. »Wie bitte? Man merkt, dass du noch nie Liebeskummer hattest, Felix. Den wird man nicht in zwei Tagen los, jedenfalls nicht, wenn es richtiger Liebeskummer ist.«

Felix zog die Stirn in Falten. »Wie lange dauert das denn deiner Meinung nach?«

Moritz betrachtete ihn mit mitleidigem Lächeln. »Du hast ja wirklich keine Ahnung«, sagte er. »Das kann Monate, sogar Jahre dauern.« Als er das erschrockene Gesicht seines Freundes sah, setzte er eilig hinzu: »Natürlich nur, wenn es einen wirklich schlimm erwischt hatte.«

»Das sind ja schöne Aussichten«, murmelte Felix, drehte sich wieder um und starrte hinunter auf den Parkplatz. Corinna war bestimmt schon längst weg.

Aber was spielte das noch für eine Rolle? Sie würde nie wieder ein Wort mit ihm wechseln, das hatte sie ja klar genug gemacht.

»Bei dir ist es vielleicht gar kein richtiger Liebeskummer«, sagte Moritz, um ihn zu trösten. »Ich meine, ein Liebespaar wart ihr doch noch gar nicht, oder?«

»Nein«, gab Felix zu, »aber leider habe ich das Gefühl, dass die Sache dadurch trotzdem nicht einfacher wird.« Er sah Moritz an. »Gehen wir noch etwas essen oder bist du verabredet?«

»Heute nicht, ich stehe dir voll und ganz zur Verfügung«, erwiderte Moritz.

Felix atmete auf. Wenigstens musste er den Abend nicht allein verbringen, denn das fiel ihm im Augenblick richtig schwer. Und übermorgen würde er dann ja schon nach Sternberg fahren …

*

Es war Zufall, dass Corinna aus dem Fenster ihres Büros im zweiten Stock sah, als Felix mit seinem Freund Moritz das Gebäude verließ. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, was aber gar nicht nötig gewesen wäre, denn natürlich drehte er sich nicht um und warf einen Blick hinauf zu ihrem Fenster. Warum sollte er auch? Sie waren fertig miteinander, nachdem sie ihn neulich so hatte abblitzen lassen.

Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Eigentlich war sie zu müde, um noch zu arbeiten, aber sie wollte auch nicht nach Hause. Und Maren hatte sie bereits gesagt, dass sie heute nicht kommen konnte. Das war eine Notlüge gewesen, aber sie hielt es zurzeit in Marens Gesellschaft nicht gut aus. Das schlechte Gewissen machte ihr zu schaffen, denn wenn Maren auch nur geahnt hätte, dass die Gedanken an ihren toten Bruder seit einiger Zeit von den Gedanken an einen gewissen Felix von Bernau verdrängt wurden, wäre sie sicherlich sehr enttäuscht gewesen. Maren, die Oliver bestimmt ihr ganzes Leben lang die Treue halten würde. So war sie nun einmal, sie hatte Oliver mehr geliebt als ihr Leben.

Er war mein großer Bruder, und ich fange jetzt schon an, ihn zu vergessen, das ist nicht richtig, dachte sie. Aber ich will auch leben und das Leben genießen, trotz dieses fürchterlichen Unglücks …

Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Vor zwei Tagen hatte sie mit ihren Eltern gesprochen, da war nur von Oliver die Rede gewesen. Hätte sie auch nur angedeutet, dass es einen Mann gab, in den sie sich verlieben könnte, sie war sicher, ihre Eltern hätten entsetzt reagiert. War sie oberflächlich? Hohl? Unreif? Oder warum empfand sie so anders als die anderen?

Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Wieso bist du denn noch hier?«, fragte Gitta Heidinger erstaunt. »Ich wollte gerade gehen, und da sehe ich dich da noch sitzen.«

Corinna blinzelte die Tränen weg, bevor sie sich halb umdrehte und ihrer älteren Kollegin mühsam zulächelte. »Ich gehe auch gleich, Gitta«, sagte sie. »Ich wollte nur noch einen Text fertig schreiben.«

Aber so leicht ließ Gitta sich nicht täuschen, natürlich hatte sie die Tränen gesehen. Sie kam näher. »Hast du gerade an deinen Bruder gedacht?«, fragte sie ruhig.

Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber Corinna war froh, dass sie nicken konnte. Alles andere ging Gitta nichts an. Sie war die Einzige im Sender, die wusste, dass Corinnas älterer Bruder bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Über die näheren Umstände aber hatte Corinna auch ihr nichts erzählt. Sie wollte mit Fremden nicht über Oliver reden. Das tat sie mit Maren zur Genüge.

»Es geht schon wieder«, sagte sie und stand auf. »Aber manchmal überkommt es mich einfach.«

»Wenn du reden willst …«

»Danke, Gitta, aber ich komme schon klar.«

»Gut, dann bis morgen. Oder gehst du jetzt auch?«

»Ja, wenn du einen Moment wartest.« Corinna packte ihre Sachen zusammen und folgte ihrer Kollegin zum Aufzug. Sie mochte Gitta gern, trotz ihrer manchmal herben Art. Sie hatte wohl nicht nur mit Felix von Bernau ›Pech gehabt‹, sondern auch mit anderen Männern, und das ließ sie manchmal ein wenig verbittert wirken. Aber Corinna hatte sie nie anders als warmherzig und mitfühlend erlebt.

Sie war ihrer älteren Kollegin dankbar dafür, dass sie ihr keine weiteren Fragen stellte, sondern sie in Ruhe ließ. Auf dem Parkplatz trennten sich ihre Wege.

»Fahr vorsichtig«, sagte Gitta zum Abschied. »Du weißt schon: Wenn man traurig ist, macht man leichter Fehler.«

Oliver war nicht traurig gewesen, er hatte auch keinen Fehler gemacht. Trotzdem war er tödlich verunglückt. Und sie, seine kleine Schwester, die ihm so viel verdankte, wurde ihm, in gewisser Weise, jetzt schon untreu. Sie dachte kaum noch an ihn, dafür um so mehr an einen Mann, der in Bezug auf Frauen einen schlechten Ruf hatte und ohnehin viel zu alt für sie war.

Im Auto kamen ihr wieder die Tränen.

*

»Das ist Annika!«, sagte Miriam und strahlte Moritz an. »Sie ist wieder gesund und kann nächste Woche endlich ihr Praktikum antreten. Ich dachte, es wäre vielleicht gut, wenn ihr euch vorher schon einmal seht.«

Moritz sah verwirrt von Miriam zu dem blassen Mädchen, das verschüchtert neben ihr stand und offenbar ebenso verlegen war wie er selbst. Sollte er diesen Abend etwa mit Miriam UND Annika verbringen? So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt.

»Hallo, Annika«, sagte er und reichte dem Mädchen die Hand. »Ich bin Moritz von Ohldorf, wir können uns duzen. Bei uns in der Abteilung ist das so üblich.«

»Hallo«, erwiderte Annika. »Ich wollte überhaupt nicht mitkommen, aber gegen Tante Miriam bin ich einfach nicht angekommen. Sie setzt sich immer durch.«

Miriam grinste vergnügt bei diesen Worten, sagte jedoch nichts.

»Jedenfalls gehe ich jetzt«, fuhr Annika fort. »Nicht, dass du denkst, ich will euch den Abend verderben. Wir sehen uns dann am Montag. Tschüss, Tante Miriam.« Sie gab ihrer Tante einen Kuss und marschierte davon.

So viel zum Thema Schüchternheit, dachte Moritz. Sie scheint ziemlich pfiffig zu sein, und Angst hat sie auch nicht.

Da hatte er mit seiner Einschätzung ja ganz schön falsch gelegen.

»Ist sie nicht süß?«, fragte Miriam stolz. »Und lass dich bloß nicht täuschen: Sie weiß genau, was sie will. Und sie kann sich auch durchsetzen, wenn es darauf ankommt.«

»Nur nicht gegen dich, wie mir scheint«, lächelte er.

Sie hängte sich bei ihm ein. »Ich schätze mal, beim nächsten Mal schafft sie auch das. Ich hatte dieses Mal schon Mühe.«

Sie duzten sich seit dem vorherigen Treffen, aber sonst waren sie sich noch nicht nähergekommen, was daran lag, dass Moritz sich einfach nicht traute. Er hatte Angst, alles zu zerstören, wenn er zu schnell vorpreschte. Und er wurde auch nicht richtig klug aus Miriam. Dass er selbst in sie verliebt war, wusste sie ja längst, aber wie stand sie zu ihm?

»Was ist los?«, fragte sie. »Hast du Sorgen?«

»Sehe ich so aus?«

»Ja, gerade eben schon. Nachdenklicher Blick, Stirn in Falten.«

Er holte tief Luft. Worauf wartete er eigentlich? »Ich habe mich in dich verliebt«, sagte er.

Sie blieb stehen und sah ihn an. Ihre Augen glänzten, ihr Mund verzog sich zu einem wunderschönen Lächeln. »Ich weiß«, erwiderte sie, »und ich habe mich schon letztes Mal gefragt, wie lange du brauchen wirst, um es mir ganz direkt zu sagen. In Andeutungen hast du das ja bereits gemacht.«

»Du hättest selbst die Initiative ergreifen können. Ich meine, du, als emanzipierte Frau …«

»Ach, manchmal ist es schon schön, wenn Männer den ersten Schritt tun.« Miriam schloss die Augen.

Diese Aufforderung war so unmissverständlich, dass jeder Zweifel ausgeschlossen war. Moritz zog sie in seine Arme und küsste sie. Die Art, wie sie seinen Kuss erwiderte, war ebenso eindeutig. Je länger er sie küsste, desto leichter fühlte er sich. Sie liebte ihn auch, das musste sie ihm gar nicht mehr sagen, ihre Küsse sprachen für sich.

Wie gut, dass ihre Nichte genau zum richtigen Zeitpunkt krank geworden war.

*

»Warum ist Tante Corinna heute nicht gekommen?«, wollte Paul wissen. »Sie hat versprochen, uns eine Geschichte vorzulesen, und jetzt ist sie nicht da, Mama!«

»Sie musste noch arbeiten, Paul«, erklärte Maren, aber nun fing auch Lili an zu quengeln.

»Tante Corinna soll uns aber jetzt eine Geschichte vorlesen, Mama, sie hat es versprochen.«

»Sie kommt morgen wieder«, sagte Maren, dabei war sie gar nicht sicher, ob das stimmte.

Seit einiger Zeit war Corinna verändert. Etwas schien sie zu quälen, aber offenbar wollte sie sich ihr nicht anvertrauen. Maren gestand sich nun ein, dass sie zutiefst beunruhigt war. Corinna war ihr in diesem schweren zurückliegenden Jahr die größte Stütze gewesen, auf sie hatte sie sich immer verlassen können. Corinnas und Olivers Eltern wohnten weit entfernt im Norden des Landes, und sie hatten natürlich mit sich selbst genug zu tun. Es war nicht einfach, den Sohn zu verlieren, der, wie es damals öfter geheißen hatte, mitten aus einem erfüllten Leben gerissen worden war.

Von ihrer eigenen Familie war Unterstützung von Anfang an nicht zu erwarten gewesen: Wenn einen ein Unglück traf, so musste das nach Ansicht ihrer Eltern ertragen werden, ohne dass man großes Aufhebens darum machte. Im Gegenteil, je weniger man sich anmerken ließ, wie es in einem aussah, desto besser. Marens Vater war Berufssoldat, für ihn war Haltung in jeder Lebenslage selbstverständlich. Maren sah das ganz anders, und so hatte Olivers Tod sie ihren Eltern noch weiter entfremdet.

Corinna aber war ihr im vergangenen Jahr immer nähergerückt, wie eine gute Freundin oder Schwester. Sie hätte gern gefragt, was ihre junge Schwägerin so quälte, dass sie manchmal verweint und blass aussah, aber sie wagte es nicht. Sie hoffte noch immer, dass Corinna sich ihr bald von selbst anvertrauen würde.

Sie begann, den Kindern eine Geschichte vorzulesen. Zuerst maulten sie noch, denn Corinna las viel schöner vor, das wusste Maren. Sie machte die verschiedenen Stimmen nach, manchmal spielte sie ihnen die Szenen aus dem Buch sogar vor. Ihr selbst fehlte dafür leider jede Begabung, sie war eine deutlich langweiligere Vorleserin als ihre Schwägerin.

Lili schlief ein, bevor sie am Ende des Kapitels angelangt war. Auch Paul rollte sich zu einer Kugel zusammen. Als sie das Buch zusammenklappte, schliefen beide Kinder. Sie deckte sie noch zu, küsste sie und verließ das Zimmer.

Eine innere Unruhe veranlasste sie, Corinna anzurufen, doch sie erreichte sie nicht. Sowohl auf dem Handy als auch zu Hause hinterließ sie die Nachricht, sie habe nur hören wollen, ob alles in Ordnung sei, anschließend machte sie sich daran, Wäsche zusammenzulegen. Und dann fand sie in der Wäsche ein Teil, das da überhaupt nicht hineingehörte: ein Taschentuch von Oliver. Er hatte Papiertaschentücher gehasst, am liebsten waren ihm diese karierten aus Stoff gewesen, sie hatte ihn deshalb oft aufgezogen. »Die sind so groß wie Tischtücher, Olli! Dass die überhaupt in deine Hosentaschen passen!«

Und genau so ein kariertes Taschentuch lag jetzt im Wäschekorb. Sie nahm es heraus und schmiegte ihr Gesicht hinein. Ob Paul es sich genommen hatte, um etwas zu haben, das ihn an seinen Vater erinnerte? So musste es wohl sein, denn sie fand sonst keine Erklärung dafür, warum es in der Wäsche gelandet war.

»Du übertreibst, Mimi«, hörte sie ihren Mann sagen. Er hatte sie immer ›Mimi‹ genannt, als Einziger. »So groß sind sie gar nicht. Jedenfalls sind sie genau richtig für mich.«

Da flossen die Tränen bereits, und sie nahm Olivers Taschentuch, um sie zu trocknen.

*

Felix fuhr unwillkürlich langsamer, als er Schloss Sternberg auf seiner Anhöhe vor sich aufragen sah. Den richtigen Namen der Anhöhe hatte er vergessen, wie die meisten hier. ›Der Sternberg‹ war der seit Langem gebräuchliche Name dafür.

Er hatte den Sender frühzeitig verlassen an diesem Freitag, und so war er ohne Probleme durch den Verkehr gekommen. Seit er beschlossen hatte, die Sternberger zu besuchen, fühlte er sich ein wenig besser. Er hatte sich da in etwas verrannt, es wurde höchste Zeit, sich die Begegnung mit Corinna Flemming aus dem Kopf zu schlagen. Dabei würden ihm die Gespräche mit seinen Freunden helfen. Bisher jedenfalls war es noch immer so gewesen. Mit welchem Problem er auch zu ihnen gekommen war, sie hatten ihm gute Ratschläge gegeben, die er eigentlich immer befolgt hatte, und damit war er gut gefahren.

Er gab wieder Gas und bog wenig später ab auf die schmale, gewundene Straße, die sich den Sternberg hinaufschlängelte, durch dichten Wald, der sich oben lichtete und den Blick auf das nun schon ganz nahe Schloss so plötzlich freigab, dass der erneute Anblick des Gebäudes ihn, wie eigentlich jedes Mal, traf wie ein kleiner Schock. Es war ein so unfassbar schöner Bau, dass er noch einmal die Geschwindigkeit verlangsamte, um das Bild in aller Ruhe zu genießen.

Wie immer wurde er herzlich willkommen geheißen, zunächst von Eberhard Hagedorn, dann von Baronin Sofia und Baron Friedrich, die ihn gleich zu einem Tee in die Bibliothek baten.

Die Bibliothek war nach Meinung der Schlossbewohner und vieler ihrer Gäste der schönste Raum im ganzen Schloss. Ausgestattet mit deckenhohen Regalen, alten Ledersesseln, kleinen Tischchen mit hübschen Lampen darauf und einem Kamin, der an kühlen Abenden für behagliche Wärme sorgte, hatte er alles, was man brauchte, um sich wohlzufühlen. Auch Felix ließ sich von der Atmosphäre des Raums sofort wieder gefangen nehmen.

»Ich muss mich allerdings gleich noch einmal verabschieden, Felix«, kündigte der Baron an, nachdem sie Platz genommen hatten. »Wir haben sehr viel zu tun im Augenblick, und ich muss noch einen Termin wahrnehmen, leider. Wenn du nach dem Tee reiten möchtest, wende dich nur an Herrn Wenger, ihr kennt euch ja.«

Robert Wenger war der Stallmeister auf Sternberg, der sich trotz seiner Jugend durchzusetzen wusste und sich die Leute, die in den Ställen arbeiten wollten, gründlich ansah, bevor er seine Einwilligung zu ihrer Anstellung gab.

»Ich glaube, ich bleibe lieber hier sitzen, Fritz, aber trotzdem danke für das Angebot.«

Friedrich verließ die Bibliothek nach einer Tasse Tee, und plötzlich war Felix froh darüber. Es war einfacher, zunächst nur mit Sofia über das zu reden, was ihm auf der Seele lag. Er hatte eigentlich noch abwarten wollen, aber nun merkte er, wie wichtig es ihm war, den Rat von vertrauten Freunden einzuholen, die zwar nicht sehr viel älter waren als er, aber doch in mancher Hinsicht über mehr Lebenserfahrung verfügten. Zumindest über die Liebe wussten sie sicherlich mehr als er.

»Du hast Kummer«, stellte die Baronin fest.

»Ja«, gab er zu. »Liebeskummer, Sofia.«

Sie beugte sich unwillkürlich vor. »Du?«, fragte sie ungläubig.

»Ja, ich, stell dir vor. Dabei bin ich der Frau, um die es geht, noch nicht einmal richtig nahegekommen. Und als es so weit war, war es auch gleich das Ende.«

Er erzählte ihr von der jungen Kollegin, die ihm schon Wochen, bevor er ein Wort mit ihr gewechselt hatte, aufgefallen war, und wie sie dann tatsächlich eingewilligt hatte, mit ihm essen zu gehen, obwohl sie von allen Seiten gewarnt worden war. »Und dann habe ich sie zum Abschied in den Arm genommen«, beendete er seinen Bericht mit stockender Stimme. »Da ist sie zornig geworden und hat mich zurückgestoßen.«

»Und seitdem hast du nicht mehr mit ihr gesprochen?«

»Einmal noch, ich habe auf dem Parkplatz auf sie gewartet. Aber sie traut mir nicht, Sofia. Und sie hat unmissverständlich klar gemacht, dass ich sie in Ruhe lassen soll.«

»Du weißt, was ich jetzt sagen werde, oder?«, fragte Sofia nach einer Weile.

»Dass mir nichts anderes übrig bleibt, als das zu akzeptieren?«

»Genau. Offenbar empfindet sie nicht wie du. Das ist sicherlich schmerzlich, aber man kann einen Menschen ja nicht zur Liebe zwingen.«

»Ja, ich weiß«, murmelte Felix. »Aber warum kann sie denn nicht wenigstens normal mit mir reden und …«

Sofia unterbrach ihn. »Weil sie denkt, dass das mit dir nicht möglich ist«, erklärte sie ruhig. »Du bist als Mann bekannt, dem es die Frauen leicht machen. Du hattest schon viele Freundinnen, bei keiner bist du lange geblieben. Du sagst, sie ist noch sehr jung, Anfang Zwanzig. Sie ist auf der Hut vor dir, und sie hat allen Grund dazu, meinst du nicht?«

»Das hört sich an, als wäre ich ein Ungeheuer.«

»Du bist ein Mann, der schon viele Frauen unglücklich gemacht hat. Vielleicht will sie nicht dazugehören.«

»Das heißt, ich werde jetzt für meine Vergangenheit bestraft, Sofia? Aber in diesem Fall ist es ganz anders, das schwöre ich dir. Ich meine es ernst mit ihr.«

»Im Moment sicher, das glaube ich dir. Aber kannst du deine Hand für dich selbst ins Feuer legen, dass du in einem halben Jahr auch noch so empfindest und dann nicht etwa feststellst, dass es doch wieder so ist wie immer?«

»Niemand kann garantieren, dass sich seine Gefühle nicht verändern«, protestierte Felix.

Die Baronin lächelte. »Gut, wenn wir über einen Zeitraum von Jahrzehnten reden, hast du sicherlich Recht. Aber wenn aufrichtige Liebe im Spiel ist, dann verschwindet sie nicht innerhalb von Monaten, dafür kann man schon garantieren.«

»Ich habe das ja noch nie erlebt!«, rief Felix verzweifelt. »Wie soll ich denn dann wissen, wie ich in einem halben Jahr fühle?«

»Man weiß es einfach«, sagte Sofia leise.

Danach blieb es erst einmal still. Nur das leise Klappern der Tasse auf der Untertasse war zu hören, als die Baronin einen weiteren Schluck Tee nahm.

»Dann ist alles noch schlimmer, als ich dachte«, sagte Felix endlich. »Ich liebe sie, und sie will nichts von mir wissen. Das heißt, in einem halben Jahr liebe ich sie immer noch und vielleicht noch viel länger, ohne Aussicht darauf, dass sie meine Gefühle eines Tages erwidern wird.«

»Wenn Liebe nicht erwidert wird, stirbt sie«, entgegnete Sofia. »Vielleicht nicht sofort, aber doch mit der Zeit. Meistens jedenfalls. Liebe braucht ein Gegenüber, Felix, als Nahrung. Bleibt die Nahrung aus, verhungert sie gewissermaßen.«

»Woher weißt du das alles? Du bist schon lange mit Fritz verheiratet, und so viel Erfahrungen kannst du vorher nicht gesammelt haben.«

»Genug, um so etwas zu wissen. Dein Problem ist, dass du bisher mit Liebe noch nie zu tun hattest. Zwischen dir und den Frauen gibt es erotische Anziehung und so etwas wie Verliebtheit. Aber mit Liebe hat das nicht allzu viel zu tun. Liebe ist etwas anderes.«

Sein Blick war verzweifelt, als er fragte: »Und was fange ich jetzt damit an?«

»Entweder versuchst du, ihr Herz doch noch zu gewinnen, indem du ihr beweist, dass die Gefühle, die du für sie hast, dich verändert haben oder du schlägst sie dir aus dem Kopf.«

»Aus dem Kopf, das ginge ja vielleicht noch. Aber wie kriege ich sie wieder aus meinem Herzen, Sofia?«

Diese Frage konnte sie ihm nicht beantworten. Sie hatte ihn schon immer gerngehabt, trotz seines unsteten Lebenswandels, und im Grunde war sie davon ausgegangen, dass er eines Tages, vielleicht ganz plötzlich, erwachsen werden würde. Jetzt war es also so weit.

Und wie so oft war es ein schmerzhafter Prozess, auch wenn man ihn erst mit fünfunddreißig Jahren durchmachte.

*

»Was ist denn, Herr Hagedorn?«, fragte Marie-Luise Falkner, die hochtalentierte junge Köchin im Schloss, als der alte Butler mit ernstem Gesicht die Küche betrat. »Gab es Beschwerden?«

Ihre größte Sorge war es, dass jemandem ihr Essen nicht schmeckte, obwohl das noch nie vorgekommen war. Er hatte schon oft vergeblich versucht, ihr diese Sorge zu nehmen.

»Aber nein, Marie«, versicherte er jetzt. »Ich fürchte nur, dieses Mal wird Herr von Bernau nicht wie sonst für gute Laune sorgen.«

»Und warum nicht? Geht es ihm nicht gut?«

»Er macht einen niedergeschlagenen Eindruck«, erklärte Eberhard Hagedorn zurückhaltend. Dass er genau wusste, warum das so war, erwähnte er nicht. Zwar verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis mit Marie-Luise, trotz des großen Altersunterschieds zwischen ihnen, aber das verleitete ihn nicht dazu, sein umfangreiches Wissen über die Vorgänge im Schloss mit ihr zu teilen. Das tat er nur in Ausnahmefällen, wenn es einen Grund dafür gab. Klatsch war ihm grundsätzlich ein Gräuel.

Er hatte genug von dem Gespräch zwischen Baronin Sofia und Felix von Bernau mitbekommen, um sich über den Grund für die Melancholie des Gastes im Klaren zu sein, und er fand, dass die Baronin sehr klug reagiert hatte. Besser hätte niemand darauf eingehen können, davon war er überzeugt.

»Vielleicht hat er Liebeskummer«, kicherte Marie-Luise.

Er sah sie scharf an. Hatte sie etwas mitbekommen? Aber dann erkannte er, dass sie nur einen Scherz hatte machen wollen, denn Liebeskummer und Felix von Bernau, das passte überhaupt nicht zusammen – höchstens dergestalt, dass er seinen so häufig wechselnden Freundinnen Kummer bereitete, aber sicherlich nicht so, dass er selbst darunter litt.

»Sie scherzen, Marie«, sagte er mit einem Lächeln.

»Natürlich tue ich das. Herr von Bernau hat doch noch nie etwas anbrennen lassen, wenn ich das mal so ausdrücken darf.« Die junge Köchin wurde wieder ernst. »Ich kann Männer, die sich so verhalten wie er, eigentlich nicht leiden, aber Herrn von Bernau mag ich. Er ist immer so charmant, man kann ihm einfach nicht böse sein, selbst wenn er gerade wieder eine Frau unglücklich gemacht hat.« Sie schob Eberhard Hagedorn einen doppelten Espresso zu.

Er dankte ihr mit einem Lächeln. »Das stimmt schon«, sagte er.

Sie setzte sich einen Moment zu ihm. »Und was denken Sie, was er hat, Herr Hagedorn? Vielleicht gibt es Ärger in seinem Sender.«

»Ja, durchaus möglich, Marie.«

»Ach, er wird sich hier schon aufheitern lassen. Wer niedergeschlagen auf Sternberg ankommt, ist spätestens nach zwei Tagen wieder guter Dinge, das wird bei Herrn von Bernau nicht anders sein.«

Er stimmte ihr zu, obwohl er es besser wusste. Nachdem er seinen Espresso getrunken hatte, verließ er die Küche wieder, Marie-Luise kehrte zu ihren Kochtöpfen zurück. Das Abendessen rückte näher, und bis dahin gab es noch jede Menge zu tun.

*

»Tante Corinna!«, schrie Paul. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er Corinna unvermutet vor der Tür stehen sah.

Maren kam aus der Küche. »Das ist ja eine schöne Überraschung«, sagte sie.

Corinna hatte sich mehrere Tage nicht blicken lassen und jedes Mal eine andere Entschuldigung für ihr Fernbleiben vorgebracht. Angeblich hatte sie wahnsinnig viel zu tun. Eigentlich hatte sie auch an diesem Freitagabend nicht kommen wollen.

»Ich bin doch schneller fertig geworden im Sender«, erklärte sie jetzt. Sie umarmte erst Maren, dann Paul und zum Schluss Lili, die auch angelaufen kam. Sie war bereits im Schlafanzug.

An diesem Abend las sie den Kindern ausführlich vor, mit unterschiedlichen Stimmen, und sie spielte auch dazu. Die Kinder lauschten mit andächtigen Gesichtern, bis sie aufstand und verkündete: »Schluss der Vorstellung, bis zum nächsten Mal.«

Als sie ihnen noch einen Gutenachtkuss gab, schlang Lili die Arme um ihren Hals und flüsterte: »Du sollst wieder öfter kommen, Tante Corinna, sonst weint Mami noch mehr.«

»Versprochen, Lili«, flüsterte Corinna zurück, obwohl diese Bemerkung ihr Herz noch schwerer machte, als es schon war.

»Es ist schön, dass du gekommen bist«, sagte Maren. »Ich habe erst in den letzten Tagen gemerkt, wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, dich so oft zu sehen. Das war egoistisch von mir, entschuldige bitte.«

Corinna sah sie verunsichert an. »Egoistisch?«, fragte sie. »In deiner Situation kann man sicher nicht von Egoismus sprechen, wenn du Menschen brauchst, die dich stützen.«

»Die brauchst du doch auch. Olli war dein großer Bruder, du vermisst ihn genau wie ich. Trotzdem warst du meine Stütze und nicht ich deine. Ich meine es ernst mit meiner Bitte um Entschuldigung. Ich habe ja in diesen letzten Monaten nichts mehr gesehen außer meiner eigenen Trauer. Dabei bin ich nicht die Einzige, die einen geliebten Menschen verloren hat.«

Ihre Worte waren zu viel für Corinna. Sie schlug beide Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.

Erschrocken zog Maren sie mit sich ins Wohnzimmer, drückte sie auf das Sofa und nahm neben ihr Platz. Sie legte ihr einen Arm um die Schultern und wartete, bis sie sich allmählich wieder beruhigte. Dann erst sagte sie: »Ich merke schon seit einiger Zeit, dass es etwas gibt, das dich bedrückt, Corinna, aber ich wollte dich nicht bedrängen mit meinen Fragen. Ich hatte gehofft, du würdest mir von dir aus sagen, was dir zu schaffen macht.«

Corinna fing wieder an zu weinen, sodass Maren sich ernstlich beunruhigte. Was konnte denn so schlimm sein, dass man nicht darüber reden konnte? Sie standen einander doch nahe wie Freundinnen, jedenfalls war das im letzten Jahr ihr Gefühl gewesen. Aber vielleicht hatte sie sich getäuscht?

»Ich bin so ein treuloser Mensch, Maren«, schluchzte Corinna. »Du denkst, ich trauere wie du um Olli und denke immerzu an ihn, aber das stimmt überhaupt nicht. In Wirklichkeit …, in Wirklichkeit …« Sie konnte vor Schluchzen nicht reden, jedenfalls brachte sie keine verständlichen Worte heraus.

Maren wiegte sie hin und her, wie sie es mit Lili oder Paul machte, wenn sie weinten und getröstet werden mussten. »Sag mir, was dich bedrückt, bitte«, flüsterte sie. »Wir sind doch Freundinnen, wir können über alles miteinander reden.«

»Aber darüber nicht!«, weinte Corinna. »Du trauerst, und ich …, ich verliebe mich! Wenn Olli wüsste, dass ich ihn so schnell vergesse, wäre er schrecklich enttäuscht von mir, das weiß ich. Und du bist jetzt auch enttäuscht, und … ich weiß ja, dass das nicht richtig ist, und ich werde mich auch nicht darauf einlassen, aber es ist so schwer, Maren, weil ich …« Der Rest des Satzes ging wieder in Schluchzen unter.

Maren war nicht sicher, ob sie Corinnas Gestammel richtig verstanden hatte. Sie spürte nur, wie tief unglücklich ihre Schwägerin war und dass das, was da jetzt mit aller Macht aus ihr herausbrach, schon länger in ihr arbeitete. Es war wohl höchste Zeit gewesen, dass es ans Licht kam.

Erneut wartete sie, bis Corinna ruhiger geworden war, dann bat sie: »Bitte, erzähl mir doch das, was dir auf der Seele liegt, von Anfang an, ja? Du hast dich also verliebt?«

Die Gelassenheit in ihrer Stimme sorgte immerhin dafür, dass Corinna nicht sofort erneut in Tränen ausbrach. »Er hat einen schlechten Ruf im Sender«, sagte sie stockend, »als Frauenheld und so. Alle haben mich vor ihm gewarnt, dabei war ich gar nicht an ihm interessiert. Und dann sind wir ins Gespräch gekommen, und ich habe festgestellt, dass er anders ist, als ich dachte. Er war nett und witzig und … einfach sympathisch. Wir sind zusammen essen gegangen, und er war immer noch total nett. Wir hätten noch stundenlang da sitzen und reden können.«

Corinna wischte sich über die Augen. »Da war ich schon in ihn verliebt und wusste, dass das überhaupt nicht sein durfte. Dass ich mich nicht verlieben kann, während dein Leben gerade in Stücke gefallen ist. Dass ich nicht glücklich sein kann, wenn ich vor nicht einmal einem Jahr meinen großen Bruder verloren habe. Es war irgendwie falsch, und ich dachte, ich darf ihn nicht noch einmal treffen. Und dann hat er mich zum Abschied umarmt. Und ich glaube, wenn ich ihn nicht zurückgestoßen hätte, hätte er mich auch geküsst. Und es gab nichts, was ich mir mehr gewünscht habe, Maren.«

»Und warum hast du es dann nicht zugelassen?«, fragte Maren ganz ruhig.

Mit weit aufgerissenen Augen sah Corinna sie an. »Das fragst ausgerechnet du? Aber ich habe es dir doch gerade eben erklärt! Es ist falsch. Man kann nicht trauern und sich gleichzeitig verlieben. Ich glaube, wenn meine Eltern wüssten, was in mir vorgeht, würden sie …« Sie brach ab. »Sie wären entsetzt, weil es … unpassend ist«, sagte sie endlich. »Und ich dachte, du wärst es auch.«

»Unpassend«, wiederholte Maren nachdenklich. »Aber du trauerst doch nicht weniger um Olli, wenn du dich jetzt verliebst!« Sie unterbrach sich. »Eine andere Frage ist, ob dieser Mann der Richtige für dich ist. Du sagst, er hat einen schlechten Ruf. Wahrscheinlich ist er auch um einiges älter als du?«

Corinna nickte stumm.

»Wie gesagt: Das ist eine andere Frage, die musst du dir irgendwann selbst beantworten. Aber Ollis Tod ist doch kein Grund für dich, sozusagen dein Leben anzuhalten, Corinna. Es ist nicht unpassend, wenn du dich jetzt verliebst, es ist auch nicht treulos deinem Bruder gegenüber.«

»Aber du …«, begann Corinna.

»Er war die Liebe meines Lebens«, sagte Maren. »Vergessen werde ich ihn nie, aber ich schließe nicht aus, dass ich noch einmal ein Glück finde, mit einem anderen Mann. Zwar kann ich mir das jetzt noch nicht vorstellen, aber für ausgeschlossen halte ich es nicht. Ich war mit ihm verheiratet, er ist der Vater meiner Kinder, und er ist, wie man so schön sagt, als Held gestorben. Ein Teil meines Herzens wird immer ihm gehören. Und so ist es doch bei dir auch: Er wird für alle Zeiten dein geliebter großer Bruder bleiben, um den du trauerst. Das heißt aber nicht, dass du dich nicht trotzdem verlieben kannst.«

Es blieb lange still nach diesen Worten, bis Corinna mit tiefer Verwunderung in der Stimme sagte: »Und ich dachte, ich kann dir das nicht sagen, weil du die Letzte wärst, die Verständnis dafür aufbringen könnte. Ich dachte, gerade du würdest mich treulos finden.«

»Ich trauere auch nicht jeden Tag gleich stark, weißt du? Es gibt Tage, da lache ich laut und erschrecke darüber, weil ich mich sofort frage, ob ich das überhaupt darf als trauernde Witwe: lachen. Aber man kann in einer solchen Situation viel von Kindern lernen. Die sind in einem Augenblick zutiefst traurig und verzweifelt, und im nächsten lachen sie schon wieder. Das heißt aber nicht, dass ihre Trauer weniger tief ist als unsere.«

»Und was mache ich jetzt?«, fragte Corinna.

»Du bist auf jeden Fall vorsichtig«, antwortete Maren besorgt. »Wenn der Mann einen solchen Ruf hat, ist es ja sehr wahrscheinlich, dass du über kurz oder lang Liebeskummer haben wirst. Und der kann genauso schlimm sein wie Trauer, habe ich gehört.«

»Hattest du noch nie welchen?«

»Doch, aber da war ich noch sehr jung. Wenn man sechzehn ist, schwebt man doch sowieso immer zwischen Glückseligkeit und abgrundtiefer Verzweiflung. Ich wollte nicht mehr leben, als mich der Junge, in den ich heimlich schon lange verliebt war, zuerst als Freundin akzeptierte, mich aber schon nach zwei Wochen zugunsten einer neuen Schülerin in unserer Klasse sitzenließ. Es war die Hölle, eine Zeit lang. Und dann habe ich mich in einen anderen verliebt, und der Kummer war vergessen. Er hatte nicht sehr lange gedauert.«

Ihr Blick wanderte zum Fenster, das Lächeln, das eben noch um ihren Mund gelegen hatte, verschwand. »Kein Vergleich zu dem, was ich heute fühle. Aber wenn Olli mich verlassen hätte, wäre ich sicherlich auch sehr, sehr unglücklich gewesen.«

Corinna legte ihren Kopf an Marens Schulter. »Hätte ich bloß früher mit dir geredet«, flüsterte sie. »Ich habe mich so mit meinen Schuldgefühlen gequält, auch meinen Eltern gegenüber.«

»Ich glaube, dass du deine Eltern unterschätzt«, entgegnete Maren ruhig. »Sie wissen auch, dass das Leben weitergeht. Das hört sich banal an, aber es ist die Wahrheit. Versprich mir nur, dass du vorsichtig bist.«

»So, wie ich ihn neulich habe abfahren lassen, spricht er mich garantiert nicht noch einmal an, da muss ich schon den nächsten Schritt tun«, murmelte Corinna. Sie richtete sich auf. »Ich bin vorsichtig, und ich lasse mich von ihm auch nicht schlecht behandeln, das verspreche ich dir, Maren.«

»Dann ist es gut.« Maren strich ihr über die Wange. »Wenn ich auch nur geahnt hätte, mit welchen Gedanken du dich quälst, hätte ich viel früher den Mund aufgemacht. Da haben wir jetzt hoffentlich beide etwas für die Zukunft gelernt.« Nach einer Weile sagte sie: »Ich habe dir auch etwas verschwiegen.«

»Was denn?«

»Ich hatte Besuch neulich, von Baronin Sofia von Kant und ihrem Neffen, Prinz Christian von Sternberg.«

Corinna richtete sich auf, um ihrer Schwägerin in die Augen sehen zu können. »Und?«, fragte sie.

»Es war ein sehr zu Herzen gehender Besuch, und ich bin froh, dass ich dieses Mal zugestimmt habe. Du erinnerst dich, dass sie schon einmal kommen wollten?«

»Natürlich erinnere ich mich.«

»Ich wollte den Scheck zuerst nicht annehmen, wir kommen ja zurecht, aber sie haben gesagt, ich soll das Geld für die Ausbildung der Kinder zurücklegen, und das habe ich dann auch getan. Sie sind feine Menschen, Corinna.«

»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Das wollte ich, aber es war ungefähr zu der Zeit, als du anfingst, dich zurückzuziehen, und danach habe ich nicht mehr daran gedacht.«

Sie blieben noch lange zusammen auf dem Sofa sitzen, ohne viel zu reden. Das war auch nicht mehr nötig, alles Wichtige war ja bereits gesagt worden. Sie fühlten sich beide wie befreit, weil das, was sie in letzter Zeit getrennt hatte, nicht mehr zwischen ihnen stand – und auch, weil jetzt offen ausgesprochen worden war, dass sie zwar beide um Oliver Flemming, den Ehemann und Bruder, trauerten, aber dennoch leben wollten.

*

»Du lässt dich aber nicht nur auf mich ein, damit ich nett zu Annika bin, oder?«, fragte Moritz.

Miriam lachte schallend. »Traust du mir das zu?«

»Ich weiß es nicht«, bekannte er. »Einerseits traue ich dir zu, wie eine Löwin dafür zu kämpfen, dass deine Nichte gute Startbedingungen bekommt, andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass deine Küsse Lügen sind, denn so fühlen sie sich nicht an.«

Prompt schmiegte sie sich an ihn und küsste ihn. »Ich könnte dich gar nicht küssen, wenn ich mir nichts aus dir machen würde«, erklärte sie danach. »Im Lügen bin ich echt nicht besonders gut. Sonst hast du schon Recht: Ich würde einiges auf mich nehmen, um Annika zu helfen, aber eine vorgetäuschte Liebe wäre zu viel verlangt.«

»Da bin ich aber froh!« Er zog sie mit sich in sein Schlafzimmer, wo sie einander zärtlich und voller Hingabe liebten. Noch immer konnte Moritz sein Glück kaum fassen, das ihm diese wunderbare Frau sozusagen direkt in die Arme geführt hatte.

Das Einzige, was dieses Glück derzeit ein wenig trübte, war die Sorge um Felix: Nie zuvor hatte er seinen Freund so bedrückt und niedergeschlagen gesehen wie in den letzten Tagen. Allmählich wirkte sich das auch auf die Arbeit aus. Felix hatte keine Ideen mehr, er saß abwesend an seinem Schreibtisch, er vergaß Termine. Sicher, fast jeder durchlitt einmal eine solche Phase, aber sehr lange durfte das nicht mehr gehen, dann würde es auffallen.

Er hoffte von ganzem Herzen, dass die Gespräche mit seinen Sternberger Freunden Felix halfen. Denn dass aus dieser Geschichte mit Corinna Flemming noch etwas werden könnte, nahm er nicht an, nach allem, was er bisher darüber wusste. Das war auch sicherlich besser so. Jetzt war Felix zwar davon überzeugt, dass es ihm dieses Mal ernst war, aber ob man ihm das glauben konnte? Wohl doch eher nicht.

»Was ist los?«, fragte Miriam. Mit dem Zeigefinger zeichnete sie behutsam sein Profil nach. »Du siehst plötzlich so besorgt aus. Hast du immer noch Angst, dass ich dich nur benutze?«

Er zog sie an sich und küsste sie. »Nein, du hast mich vollkommen davon überzeugt, dass es dir ernst mit mir ist.«

»Und warum dann also dieser grüblerische Gesichtsausdruck?«

»Wegen Felix«, antwortete er zögernd. »Er ist nicht gut drauf im Augenblick, und so kenne ich ihn gar nicht.«

»Eine Frau?«, fragte Miriam sachlich.

Er nickte.

»Da bin ich aber froh«, sagte sie erleichtert.

»Und wieso das?« Er verstand sie nicht.

»Weil ich mich natürlich über euch beide erkundigt habe, als es hieß, dass Annika in eurer Abteilung ein Praktikum machen könnte. Und du weißt ja sicher, was für einen Ruf dein Freund hat. Ich war schon ein bisschen beunruhigt, muss ich sagen. Er scheint ja wirklich an jedem Finger eine Freundin zu haben. Aber wenn er verliebt ist, bedeutet er für Annika wohl keine Gefahr. Ganz abgesehen davon, dass du ihn jetzt natürlich sowieso daran hindern würdest, ihr zu nahe zu kommen.«

»Das würde er schon von sich aus nicht machen«, erklärte Moritz. »Mit Frauen, die mit uns zusammenarbeiten, fängt er nie etwas an.« Er rückte ein wenig von ihr ab. »Du hast dich wirklich vorher erkundigt, was wir für Typen sind?«

Sie nickte. »Findest du das schlimm?«

»Eher umsichtig, würde ich sagen.«

»Ich habe das hauptsächlich wegen Annikas Eltern gemacht, die sind doch so überängstlich. Und ich wollte mir hinterher nicht vorwerfen lassen, dass ich ihre Tochter praktisch direkt ins Verderben geschickt habe.« Sie legte ihren Kopf auf seine Brust. »Was ist denn mit deinem Kollegen? Ist er endlich mal an die Falsche geraten? Eine, die ihn so behandelt hat, wie er sonst die Frauen behandelt?«

»So ungefähr«, murmelte Moritz, während er ihren Rücken streichelte.

»Du willst also nicht darüber reden. Das ist auch in Ordnung, letzten Endes geht es mich ja nichts an. Nur wenn du so traurig guckst wie eben.«

»Ich gucke nicht mehr traurig. Felix ist erwachsen, er wird schon fertig damit. Ich habe übrigens Hunger. Wollen wir nicht aufstehen und die Steaks in die Pfanne hauen?«

»Gute Idee!«

Sie verließen also das Bett, verzichteten aber darauf, sich vollständig anzuziehen. Miriam zog sich eins von Moritz’ Hemden über, das ihr sehr gut stand, und er tat es ihr kurzerhand gleich.

Die Steaks brieten sie viel zu lange, weil sie sich immer wieder küssen mussten, aber ihrem Glück tat das zähe Fleisch keinen Abbruch.

*

Beim Abendessen im Schloss ging es lebhaft zu. Die Teenager freuten sich über Felix’ Besuch, außerdem hatten alle drei Erfolgserlebnisse in der Schule gehabt, von denen sie ausführlich berichteten: Christian war mal wieder der Beste bei einem Mathematiktest gewesen, Konrad hatte die Hauptrolle für das neue Schultheaterstück ergattert, und Anna war für einen Vorlesewettbewerb ausgewählt worden. So ging es zunächst beinahe unter, dass Felix ziemlich still blieb. Er konnte sonst mühelos eine Tischgesellschaft allein unterhalten, aber heute warf er nur hier und da einen Satz ein, ansonsten hielt er sich zurück.

Als sie die Schul-Neuigkeiten zur Genüge besprochen hatten, fiel es dem kleinen Fürsten schließlich doch auf. »Was gibt es denn Neues bei dir, Felix?«, erkundigte er sich. »Startet ihr bald mal wieder eine neue Serie?«

»Ja, aber das ist alles noch ganz geheim.«

Alle warteten darauf, dass Felix noch mehr dazu sagte, das tat er jedoch nicht.

Anna und Christian wechselten einen ratlosen Blick, Konrad sah fragend zu seinen Eltern hinüber. Doch Sofia und Friedrich, den die Baronin in der Zwischenzeit natürlich über ihr Gespräch mit Felix informiert hatte, fühlten sich nicht ermächtigt, Auskunft zu geben. Wenn jemand hier reden musste, dann war es Felix selbst.

Als ihm auffiel, wie still es mit einem Mal war, lächelte er verlegen. »Mir geht es nicht gut«, sagte er. »Aber es wäre mir lieber, wenn ich heute Abend nicht mehr darüber reden müsste. Sofia habe ich mein Herz schon ausgeschüttet, aber jetzt mag ich nichts mehr dazu sagen. In Ordnung?«

»Klar«, erwiderte Anna großzügig. »Wir zwingen doch keinen, mit uns zu reden.«

Daraufhin lachten natürlich alle, auch Felix verzog sein Gesicht zu einem Lächeln. Es fiel ziemlich gequält aus, aber immerhin.

Vor allem Anna war ziemlich neugierig, sie lauschte gern, und sie ruhte in der Regel nicht, bis sie ein Geheimnis gelüftet hatte. Bei Christian war die Neugier nicht ganz so ausgeprägt, aber Geheimnisse reizten ihn auch immer sehr. Nur Konrad tat so, als stünde er über den Dingen. Mit seinen sechzehn Jahren fühlte er sich schon sehr erwachsen und über so ›kindische‹ Dinge wie Neugier erhaben.

Für Anna und Christian jedenfalls stand es jetzt bereits fest, dass sie versuchen würden, herauszufinden, was mit Felix los war, auch wenn er nicht bereit sein sollte, es ihnen zu erzählen. Es gab im Schloss geheime Gänge und Zimmer, von denen aus sich Gespräche mühelos verfolgen ließen, und sollte es nicht anders möglich sein, so würden sie zu diesem Mittel greifen.

Selbstverständlich ließen sie sich von diesen Absichten nichts anmerken. Im Gegenteil: Sie bemühten sich nach Kräften, die kleine Tischgesellschaft zu unterhalten und Felix ein wenig aufzuheitern, was ihnen in Maßen auch gelang.

Nach dem Dessert fragte Anna unschuldig: »Willst du uns begleiten, Felix? Wir gehen noch mal mit Togo raus, er wartet schon ganz ungeduldig darauf. Und das Wetter ist doch so schön.«

»Felix möchte vielleicht seine Ruhe haben, Anna«, sagte die Baronin mit mahnendem Unterton.

Aber Felix schien sich über das Angebot sogar zu freuen. »Ach, Ruhe habe ich ja später noch genug. Ein Spaziergang durch den Park wäre mir schon recht, Sofia.«

»Und danach kommst du zu uns auf die Terrasse, ja? Wir dachten, wir könnten draußen noch ein Glas Wein trinken.«

»Gern, ja.«

Sie verließen also zu dritt mit dem begeisterten Togo das Schloss. Der junge Boxer schoss sofort davon, bereits nach wenigen Augenblicken war er nicht mehr zu sehen. Sie hörten ihn allerdings, recht weit entfernt, bellen. »Er war heute erst ziemlich kurz draußen und muss deshalb einiges nachholen«, erklärte Christian.

»Ja, das scheint mir auch so.« Eine Weile liefen sie schweigend, dann sagte Felix: »Ihr wollt also, dass ich euch meine Geschichte heute noch erzähle.«

»Äh …«, sagte Anna. Christian war ähnlich überrumpelt. Felix hatte sie also durchschaut.

Er lächelte. »Hört mal, ihr vergesst, dass ich euch schon ziemlich lange kenne und daher genau weiß, dass ihr keine Ruhe gebt, bis ihr Bescheid wisst. Also gut, ich erzähle euch, was mich bedrückt. Es ist leider eine Geschichte, aus der es keinen vernünftigen Ausweg für mich gibt, das macht sie so deprimierend. Deine Mutter, Anna, sieht das übrigens auch so. Ich habe mich in die falsche Frau verliebt, so einfach ist das.«

Sie hörten ihm aufmerksam zu, während er ihnen von Corinna Flemming erzählte, und in der Tat kamen sie zu dem gleichen Ergebnis wie die Baronin ein paar Stunden zuvor: Es sah nicht gut aus für Felix.

»Hast du gedacht, sie mag dich auch?«, fragte Anna. »Oder weshalb hast du sie umarmt?«

»Ich habe überhaupt nichts gedacht in dem Augenblick. Aber natürlich bin ich davon ausgegangen, dass sie mich auch mag. Das hat sie während des Essens ausgestrahlt. Es war wirklich ein sehr schöner Abend. Und zwei, drei Sekunden lang hatte ich das Gefühl, dass sie mich auch umarmen wollte. Aber dann war es, als hätte sie einen Schalter umgelegt, und sie hat mich zurückgestoßen.« Felix verstummte.

Nein, es sah nicht gut aus für ihn, darüber verständigten sich Anna und der kleine Fürst mit einem Blick. Warum Christian ein wenig später, als sie bereits auf dem Rückweg waren, nach dem Namen der Frau fragte, in die Felix sich verliebt hatte, wusste er selbst nicht. Der Name spielte schließlich keine Rolle.

Und so fragte Felix auch verwundert: »Wieso willst du das wissen? Der Name ist doch völlig unwichtig.«

»Dann kannst du ihn doch sagen, oder?«

»Sie heißt Corinna Flemming«, antwortete Felix mit angestrengter Stimme.

Anna und Christian blieben wie auf Kommando beide stehen. »Corinna Flemming?«, wiederholte Christian atemlos.

Felix war noch ein paar Schritte weitergelaufen, jetzt blieb er ebenfalls stehen und drehte sich verwundert zu ihnen um. »Ja«, antwortete er. »Warum? Wollt ihr mir jetzt erzählen, dass ihr sie kennt?«

Die beiden Teenager setzten sich wieder in Bewegung. »Nee, natürlich nicht«, behauptete Anna.

Wäre Felix nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen, hätte er sicherlich gemerkt, was seine Worte ausgelöst hatten. So jedoch sagte er nur: »Ihr seht also, die Sache ist aussichtslos.«

Sie stimmten ihm zu, wenig später kehrten sie zum Schloss zurück. Felix machte sich auf die Suche nach Sofia und Friedrich, während Anna und Christian eilig im oberen Stockwerk verschwanden, wo sie sich in Christians Zimmer zurückzogen.

»Das muss die Schwester sein«, sagte Christian. »Wir haben sie damals gesehen, bei der Beisetzung, erinnerst du dich?«

Anna nickte. »Aber Felix weiß das nicht, hast du das gemerkt?«

»Ja, natürlich. Sie hat es ihm nicht gesagt. Das heißt, er weiß nicht, dass sie um ihren Bruder trauert.«

»Und dass sie sich vielleicht deshalb noch nicht bereit fühlt für die Liebe? Meinst du das?«

»Möglich wäre es. Es kann aber auch sein, dass sein Ruf als Playboy sie abgeschreckt hat. Beides ist möglich, Anna.«

»Aber als er sie umarmt hat …«

»Ja, ich weiß. Vielleicht hat er sich aber auch nur eingebildet, dass ihr das gefallen hat und dass sie es im Grunde auch wollte.«

Sie sahen einander an. »Wir müssten etwas unternehmen«, erklärte Anna. »Vielleicht geht es ihr ja auch so schlecht wie Felix. Ich erinnere mich gut an sie, sie war furchtbar dünn und blass, aber trotzdem hat sie ihre Schwägerin gestützt. Ruf sie an, Chris.«

»Wen? Corinna Flemming?«

»Nein, ihre Schwägerin natürlich, die kennst du ja schließlich jetzt.«

»Aber vielleicht weiß sie gar nichts von dieser Geschichte, und ich bringe da nur Unruhe rein … Sie ist so unglücklich, Anna, ich will wirklich nichts unternehmen, was sie noch unglücklicher machen könnte.«

»Wieso noch unglücklicher? Wenn du merkst, dass sie nichts weiß, verabschiedest du dich wieder.« So schnell wollte Anna nicht aufgeben, aber dieses Mal blieb Christian hart.

»Maren Flemming rufe ich auf keinen Fall an«, erklärte er. »Entweder rede ich mit Corinna Flemming oder mit niemandem.«

»Na, schön«, maulte Anna und setzte sich an den Computer. Sie brauchte nicht lange, bis sie Adresse und Telefonnummer der jungen Frau herausgefunden hatte. »Dann los, ruf sie an.«

»Wie – jetzt?«

»Natürlich jetzt. Worauf willst du denn noch warten?« Wie immer war Anna die Ungeduldigere von ihnen beiden.

»Ich will mir zumindest vorher überlegen, was ich sage.«

»Du erzählst ihr von Felix und wartest ab, wie sie reagiert. Das ist doch nicht so schwierig.«

»Und wenn sie nichts mit ihm zu tun haben will?«

»Dann können wir nichts machen. Du sagst ihr, dass Felix nichts von dem Anruf weiß, dass sie ihn also deshalb nicht beschimpfen darf, und fertig ist die Sache.«

»Bei dir hört sich immer alles sehr einfach an, Anna.«

»Meistens ist es das ja auch.«

Erneut wechselten sie einen Blick. Sie hatten sich schon öfter eingemischt bei Problemen zwischen Liebenden, das war für sie nichts Neues. Doch diese Geschichte hier unterschied sich von allen vorherigen, und deshalb zögerte der kleine Fürst.

*

Als das Telefon klingelte, war Corinna gerade nach Hause gekommen. Sie fühlte sich unendlich erleichtert nach ihrem Gespräch mit Maren. Wenn sie Felix von Bernau das nächste Mal sah, würde sie auf ihn zugehen und ihm sagen … Ja, was eigentlich? Das musste sie sich noch überlegen. Aber sie würde ihn jedenfalls wissen lassen, dass es etwas gab, das sie ihm gern erzählen wollte. Und danach würde sie alles Weitere einfach auf sich zukommen lassen.

»Ja, hallo«, sagte sie. »Corinna Flemming.«

Einen Moment blieb es still in der Leitung, dann sagte eine sehr junge Stimme: »Hier ist Christian von Sternberg, Frau Flemming.«

Corinna wurden die Knie weich. »Christian von Sternberg?«, flüsterte sie. »Was …, warum rufen Sie mich an, Prinz Christian? Ist etwas mit meiner Schwägerin?«

»Nein, es geht um Sie. Und …, und um Felix von Bernau, er ist an diesem Wochenende bei uns zu Besuch.«

Corinna ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Ich …, ich glaube, ich verstehe Sie nicht«, stammelte sie, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, was ihr jedoch nicht gelang. Was ging hier vor sich?

»Das kann ich mir vorstellen. Ich bin auch nicht sicher, ob dieser Anruf klug ist. Wir hoffen es, meine Cousine Anna und ich.«

Corinna schloss die Augen. Ganz ruhig, befahl sie sich. Bleib ganz ruhig und konzentrier dich. Sie atmete mehrmals tief durch, bis sie imstande war, zu fragen: »Was ist mit Felix von Bernau? Sie haben gesagt, dass Sie seinetwegen anrufen.«

»Er ist unglücklich, und zwar Ihretwegen. Er hat uns erzählt, wie er Sie kennengelernt hat und dass Sie ihn zurückgewiesen haben, als er … einen Annäherungsversuch gemacht hat.«

Wieso hatte er das ausgerechnet ein paar Teenagern erzählt? Wieso sprach er überhaupt darüber? Sie verstand immer weniger, worum es hier ging. »Wieso hat er Ihnen das erzählt?«

»Weil es ihm so schlecht geht, glaube ich. Er denkt, Sie wollen ihn nicht, weil er schon so viele Freundinnen hatte und es bis jetzt noch nie ernst gemeint hat.«

Corinna schloss die Augen. »Ich weiß, dass er das denkt«, murmelte sie, während sie sich fragte, was sie von diesem seltsamen Gespräch, das sie gerade mit einem fünfzehnjährigen Prinzen, den sie bis jetzt genau ein einziges Mal in ihrem Leben gesehen hatte, halten sollte. Was wollte er mit diesem Anruf bewirken? Hing das alles irgendwie mit Oliver zusammen?

»Darf ich Ihnen die Sache mal von Anfang an erzählen?«, fragte der kleine Fürst. »Und Ihnen erklären, was Anna und ich uns dazu gedacht haben?«

»Ich wäre Ihnen sehr dankbar«, antwortete Corinna mit schwacher Stimme. »Denn bis jetzt verstehe ich immer noch nicht, worum es eigentlich geht.«

»Also, wir haben uns Folgendes überlegt, Anna und ich …«

Mit wachsendem Erstaunen lauschte Corinna den Ausführungen des Jungen. War es möglich, dass zwei Teenager die Situation besser durchschauten als die beteiligten Erwachsenen? So musste es ja wohl sein, denn sie hatten durchweg richtige Überlegungen angestellt, und nach einer Weile begriff Corinna, dass dieser Anruf einzig und allein dem Zweck diente, ein tiefgreifendes Missverständnis aus der Welt zu schaffen und einen Mann, den Anna und Christian offenbar sehr gern hatten, wieder glücklich zu machen.

Der Bericht des kleinen Fürsten endete mit einem Vorschlag, den Corinna ohne langes Zögern annahm.

*

»Corinna Flemming?«, fragte Sofia entgeistert, während ihr Mann Anna und Christian nur wortlos ansah, als traute er seinen Ohren nicht. »Felix hat sich in die Schwester von Oliver Flemming verliebt?«

»Ja«, antwortete Anna. »Das haben wir gestern Abend noch herausgefunden und sie dann angerufen. Sie kommt heute am frühen Nachmittag, Mama, und dann wird Felix endlich wieder so lustig sein wie früher.« Nach einer kurzen Pause setzte sie hinzu: »Jedenfalls hoffen wir das.«

»Ich muss schon sagen«, stellte der Baron, der sich endlich gefasst hatte, fest, »ihr habt wirklich Nerven. Ihr hättet mit euren Vermutungen doch auch ganz falsch liegen können! Habt ihr darüber mal nachgedacht? Dann hätte die junge Frau euch mit Recht gefragt, wieso ihr sie mit eurem Anruf behelligt.«

»Darauf waren wir vorbereitet«, behauptete Anna. »Dann hätte Chris sich entschuldigt und gleich wieder verabschiedet.« Ein wenig gekränkt setzte sie hinzu: »Wir sind ja nicht blöd, Papa. Wir haben uns alles genau überlegt.«

»Und wir hatten ja Recht«, sagte Christian. »Es war ein bisschen schwierig, ihr zu erklären, wie wir überhaupt dazu gekommen sind, sie anzurufen, aber dann war die Sache eigentlich ziemlich schnell klar. Ihr seid uns doch nicht böse, dass wir sie eingeladen haben? Aber wir wollten schnell handeln, und wir konnten euch ja nicht fragen, weil ihr noch mit Felix zusammengesessen habt.«

»Na, na«, meinte die Baronin, »ihr findet sonst ja auch Mittel und Wege, mit uns zu sprechen, wenn es unbedingt nötig ist.«

»Stimmt«, gab Christian zu. »Aber wenn wir euch erzählt hätten, dass wir sie anrufen wollen, hättet ihr uns doch abgeraten, und das wollten wir lieber nicht riskieren.«

»Wir hätten euch garantiert abgeraten.« Der Baron lächelte. »Also ist es wohl gut, dass ihr uns nicht eingeweiht habt. Nein, wir sind euch nicht böse.«

»Böse? Was haben die beiden Kleinen denn schon wieder angestellt?«, erkundigte sich Konrad, der in diesem Augenblick hereinkam. Er stichelte gern ein bisschen und hob bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervor, dass er der Älteste war.

»Sie haben die Frau eingeladen, in die Felix verliebt ist«, erklärte die Baronin.

Konrad fiel aus allen Wolken. »Er ist verliebt?«, fragte er. »Unglücklich verliebt? Und deshalb hängt er so durch? Ausgerechnet Felix?«

Während er dem Bericht lauschte, den Anna und Christian jetzt abwechselnd vortrugen, vergaß er ganz, dass er sie eben noch ›die Kleinen‹ genannt hatte. Als sie schwiegen, sagte er anerkennend: »Das habt ihr gut hingekriegt, alle Achtung.«

Ein solches Lob aus seinem Mund war selten. Sofia und Friedrich wechselten einen verwunderten, aber auch erfreuten Blick.

»Jetzt brauchen wir nur noch einen richtig schönen Ort, an dem die beiden aufeinandertreffen sollten«, warf Christian ein. »Wo ist Felix überhaupt?«

»Er wollte einen Spaziergang machen«, erklärte die Baronin, »aber er kommt sicherlich bald zurück. Eine Begegnung im Park wäre vielleicht ganz schön, was meint ihr?«

»Hört auf, euch darüber Gedanken zu machen«, warf Konrad ein. »Felix wird Pläne haben, und dann improvisieren wir eben.«

»Ich mache lieber Pläne«, maulte Anna. »Das ist sicherer.«

Sie kamen zu keiner Einigung, denn kurz darauf tauchte Felix auf, und so wechselten sie hastig das Thema.

*

»Sie sind aber heute in viel besserer Stimmung als gestern, Herr Hagedorn«, stellte Marie-Luise Falkner fest.

Er saß am Küchentisch und trank einen Tee, denn er war seit dem frühen Morgen auf den Beinen und hatte noch keine Pause gehabt.

»Ja, das stimmt, Marie«, gab er bereitwillig zu. »Es kommt noch ein weiterer Gast, heute Nachmittag.«

Sie hatte am Herd gestanden, jetzt wirbelte sie herum. »Wie bitte?«, rief sie. »Davon weiß ich ja überhaupt noch nichts!«

»Eine junge Dame«, fuhr er fort, »die noch nie hier gewesen ist. Und ich schätze mal, dann wird Herr von Bernau auch bald wieder besserer Stimmung sein.«

»Sie wissen mehr, als Sie zugeben, Herr Hagedorn«, stellte die junge Köchin fest. »Wie heißt denn die junge Dame?«

An dieser Stelle zögerte der alte Butler. »Es ist ja noch nicht offiziell, Marie«, sagte er.

Sie betrachtete ihn verwundert. »Sie machen es ja sehr spannend. Ist das ein Geheimnis?«

»Sie heißt Corinna Flemming«, sagte Eberhard Hagedorn mit ruhiger Stimme.

Marie-Luise Falkners Augen wurden groß. »Flemming?«, fragte sie.

»Ja. Seine Schwester«, antwortete er.

Mit einer raschen Handbewegung stellte sie die Herdplatte aus und kam zu Eberhard Hagedorn an den Tisch. Sie setzte sich zu ihm, schenkte sich ebenfalls eine Tasse Tee ein und nippte daran. »Hoffentlich bringt das nicht … große Unruhe ins Schloss«, sagte sie.

»Damit ist nicht zu rechnen, denn alle wissen Bescheid, nur Herr von Bernau nicht. Es soll eine Überraschung für ihn werden.«

»Wer hat das ausgeheckt?«

»Wer wohl?«

»Diese beiden«, murmelte sie. »Sie haben also mal wieder etwas herausgefunden und sich eingemischt?«

»Ja, und das haben sie, wie ich finde, sehr gut gemacht«, stellte er fest. Er leerte seine Tasse und stand auf. »Ich muss zurück an die Arbeit, Marie.«

In diesem Augenblick erschien die Baronin an der Tür. »Ach, hier sind Sie, Herr Hagedorn. Guten Morgen, Frau Falkner. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir ganz überraschend heute Nachmittag Besuch erwarten. Ich denke, die junge Dame wird bis morgen bleiben.«

»Wir werden alles vorbereiten, Frau Baronin«, sagte Eberhard Hagedorn, nachdem er einen kurzen Blick mit Marie-Luise Falkner gewechselt hatte.

*

»Wieso wollte Anna eigentlich nicht mit?«, fragte Felix, als Christian und er zum Felsplateau ritten, das bei allen Schlossgästen als Ausflugsziel gleichermaßen beliebt war, denn von dort aus hatte man einen weiten Blick über die umliegenden Täler. Als er an diesem Vormittag gesagt hatte, er würde gern einen Ausflug dorthin machen, hatte ihm Christian sofort angeboten, ihn zu begleiten, während Anna behauptet hatte, keine Zeit zu haben. Ihm war aufgefallen, dass sie zwar: »Schade!«, gesagt, aber gar nicht traurig ausgesehen hatte.

»Sie muss noch ein Referat vorbereiten«, antwortete der kleine Fürst.

Felix hatte den Eindruck, dass das nicht stimmte, aber er wollte sich damit jetzt nicht befassen. Es ging ihm ein wenig besser, seit er sich seinen Kummer von der Seele geredet hatte, aber unglücklich war er noch immer, und er wusste ja längst, dass das auch noch eine Weile so bleiben würde.

Zum ersten Mal bereute er seine zahlreichen Frauengeschichten, denn nun, so schien es, verhinderten ausgerechnet sie es, dass die eine Frau, auf die es ihm wirklich ankam, sich auf ihn einließ. Er hatte sich sein Unglück also selbst zuzuschreiben. Das machte die Sache leider nur noch schlimmer.

»Da sind wir ja schon«, sagte er.

Sie saßen ab, banden die Pferde an einen Baum und gingen zum Rand des Plateaus. Von hier aus ging es ziemlich steil nach unten. Vom Tal drangen Stimmen herauf, ein Generator brummte, sie hörten Kühe und Pferde. Alle Geräusche kamen klar hier oben an, aber gedämpft, in angenehmer Lautstärke.

Sie setzten sich auf einen der flachen Felsen, von denen hier oben mehrere lagen und genossen den Ausblick schweigend, bis ein seltsamer Vogelruf ertönte.

»Was war das denn?«, fragte Felix. »Das hörte sich ja fast wie ein Käuzchen an – aber um diese Zeit?«

»Ach, das kann schon sein«, behauptete Christian. »Ich sehe mal nach an unserer Lieblingsstelle, ob es schon Pilze gibt.«

»Das ist doch noch viel zu früh!«

»Es gibt Pilze, die jetzt schon wachsen. Du bleibst doch hier und behältst die Pferde im Blick, ja?«

»Wie lange willst du denn wegbleiben?«

»Ach, nicht lange, eine Viertelstunde vielleicht.«

Der Junge verschwand also, und Felix blieb allein zurück. Wie friedlich es hier war – und wie schön! So schön, dass man sein Unglück beinahe hätte vergessen können.

Als eine leise Stimme hinter ihm sagte: »Hallo, Felix«, zuckte er erschrocken zusammen, drehte sich jedoch nicht um. Litt er jetzt schon unter Wahnvorstellungen? Es war Corinnas Stimme, die er gehört hatte, und Corinna war ja nun ganz sicher nicht an diesem Ort.

Er spürte eine Bewegung, erst hinter, dann neben sich und als er endlich doch den Kopf wandte, stellte er fest, dass er ganz richtig gehört hatte: Es war Corinna, die sich jetzt gerade neben ihn setzte.

»Das verstehe ich nicht«, sagte er verwirrt. »Wieso bist du hier? Und wieso redest du auf einmal wieder mit mir?«

»Ich bin hier, weil ich dir etwas erklären muss«, antwortete sie.

Sie war so schön, dass ihm gleich wieder die Luft wegblieb. Zugleich sah sie blass und sehr angespannt aus, so, als hätte sie Angst vor dem, was nun folgen würde. Sie hatte sich zwar neben ihn gesetzt, aber einen deutlichen Abstand gelassen.

»Was musst du mir erklären?«, fragte er heiser. »Dass du mich vielleicht hättest mögen können, wenn mein Vorleben etwas solider gewesen wäre?«

»Dein Vorleben spielt für mich keine besondere Rolle«, erwiderte sie zu seiner Überraschung. »Das habe ich nur als Vorwand benutzt, um dich von mir fernzuhalten. Es bot sich einfach an.«

»Als Vorwand?«, fragte er fassungslos. »Aber wieso denn? Dann kannst du mich also einfach nicht leiden?«

Jetzt wandte sie den Kopf und sah ihn an. Ihr Lächeln war unübersehbar zärtlich. »Du bist ein Dummkopf«, sagte sie liebevoll. »Es hat mich sehr beunruhigt, dass ich mich so schnell in dich verliebt habe.«

Je mehr sie sagte, desto verwirrter wurde er. »Aber warum hast du mich dann weggeschickt?«, rief er. »Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!«

»Mein Bruder ist vor nicht einmal einem Jahr gestorben«, sagte sie ruhig. »Mein großer Bruder, den ich angebetet habe. Er war mein Held. Er hat mich beschützt, wenn andere Jungs gemein zu mir waren, er hat mich getröstet, wenn ich Kummer hatte, er war der Mensch, zu dem ich immer gehen konnte, wenn ich eine Schulter zum Anlehnen brauchte. Er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, nicht, weil er krank geworden wäre oder so. Am Abend vorher waren wir noch zusammen gewesen, hatten gut gegessen, haben viel gelacht. Am nächsten Abend kam der Anruf: Oliver lebt nicht mehr, er ist bei einem Einsatz gestorben. Er war sofort tot.«

Felix fehlten die Worte. Er griff nach Corinnas Hand und war froh, dass sie sie nicht zurückzog, sondern ihn gewähren ließ.

»Das war der Grund, verstehst du? Ich dachte, ich dürfte mich noch nicht wieder verlieben, es sei einfach zu früh und ein Zeichen von …, ja, irgendwie von Untreue, wenn ich Herzklopfen kriege bei den Gedanken an einen Mann, während ich doch eigentlich Tränen um meinen Bruder vergießen sollte.«

Ja, jetzt verstand er alles, und noch immer konnte er nichts sagen. Er hielt nur ihre Hand, während er über das, was sie ihm soeben erzählt hatte, nachdachte. Ein Satz war in seinem Kopf hängen geblieben. Nach einer Weile fragte er zögernd: »Du hast gesagt, dein Bruder sei bei einem Einsatz gestorben. Was für ein Einsatz war das? War er Soldat?«

Sie sah ihn an, mit Tränen in den Augen. »Er war Pilot«, sagte sie. »Hubschrauberpilot, Felix. Er ist zusammen mit dem Fürstenpaar von Sternberg gestorben.«

Die Worte trafen Felix mit voller Wucht. Er lauschte ihnen nach, während er Corinna in die Augen sah, dann zog er sie in seine Arme und hielt sie fest. Sie erwiderte seine Umarmung, während sie ihren Tränen freien Lauf ließ.

Als ihre Augen wieder trocken waren, erzählte sie ihm vom Anruf des kleinen Fürsten und seinem Vorschlag, nach Sternberg zu kommen. »Und kurz nach meiner Ankunft bin ich mit Anna hier zu der Lichtung geritten«, sagte sie endlich.

Jetzt erst fiel Felix wieder ein, dass Christian schon vor geraumer Zeit angeblich nach Pilzen hatte Ausschau halten wollen. Er lachte leise. »Diese beiden sind wirklich ziemlich raffiniert«, stellte er fest. »Sie haben unser Zusammentreffen offenbar genau geplant.«

Corinna legte eine Hand an seine Wange. »Kann das gut gehen mit uns, Felix?«

Statt einer Antwort gab er ihr den ersten Kuss, der ihr besser als viele Worte sagte, was er für sie fühlte und wie viel sie ihm bedeutete. Ganz allmählich verschwand die Bitterkeit der vergangenen Wochen, und das Glück, sich gefunden zu haben, gewann die Oberhand. »Ich liebe dich, Corinna – und ich schwöre dir, dass ich das noch zu keiner Frau gesagt habe, und empfunden habe ich es auch noch nie.«

»Gitta wird in Ohnmacht fallen, wenn sie erfährt, dass ich nun doch in deine Fänge geraten bin«, seufzte Corinna, aber ihre Augen blitzten dabei.

Felix verschloss ihren Mund mit einem weiteren Kuss.

»Geschafft«, sagte Anna zufrieden, nachdem sie einen letzten Blick auf das Liebespaar geworfen hatte. »Wir können zurückreiten, denke ich, das hier kann ja noch dauern. Und Felix kennt sich hier aus, also werden sie sich auf dem Rückweg sicher nicht verirren.«

Der kleine Fürst nickte. Er übernahm Corinnas Pferd, und so ritten sie schweigend, aber mit sich und der Welt sehr zufrieden, zurück zum Schloss.

*

»Hier oben bin ich noch nie gewesen«, sagte Maren eine Woche später. Der kleine Fürst hatte sie auf den Hügel am Rande des Schlossparks geführt. Unten im Park tollte Anna mit Paul und Lili herum, sie konnten die Kinder lachen hören. »Ich danke Ihnen, Christian, dass ich Sie hierher begleiten durfte. Ich weiß ja, wie viel Ihnen dieser Ort bedeutet.«

»Sie besuchen Ihren Mann doch sicher auch oft«, erwiderte er. »Reden Sie dann auch mit ihm – in Gedanken, meine ich?«

»Immer«, antwortete sie, die Augen auf die Namen von Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg geheftet, die in den Marmor der fürstlichen Gruft eingemeißelt waren.

»Mir hilft das«, erklärte er. »Ich erzähle meinen Eltern, was mich bewegt, und dann spüre ich, dass sie mich hören und immer noch bei mir sind.« Nach kurzem Zögern setzte er hinzu: »Wenn dann eine Amsel anfängt zu singen oder wenn ich abends eine Sternschnuppe sehe, denke ich, dass das ein Zeichen meiner Eltern ist. Sie sagen mir damit, dass ich nicht allein bin.«

»Das ist schön.« Maren lächelte. »Ich glaube, ich habe Ihnen noch nie richtig dafür gedankt, dass Sie und Ihre Familie uns nach dem Tod meines Mannes so großzügig unterstützt haben. Ich konnte es einfach nicht, ich wäre sofort in Tränen ausgebrochen. Aber mittlerweile kann ich wieder nach vorn blicken, in die Zukunft. Meine Kinder werden ohne ihren Vater aufwachsen, ich muss mich um sie kümmern, und das werde ich auch tun.« Sie sah Christian an. »Und ich werde meinem Mann, wenn ich ihn das nächste Mal besuche, von hier erzählen. Von diesem Ort, den Sie so oft besuchen, von Sternberg, von Corinna und ihrer Liebesgeschichte. Aber das macht sie vielleicht selbst. Sie hat sehr an Oliver gehangen. Sein Tod hat sie tief getroffen.«

Sie trat einen Schritt zurück. »Soll ich gehen, während Sie mit Ihren Eltern sprechen?«

»Nein, bitte bleiben Sie. Und wenn Sie wollen, reden Sie ruhig auch mit ihnen, Frau Flemming. Ich möchte Ihnen aber vorher noch etwas sagen – etwas, das mir erst vor einiger Zeit wieder eingefallen ist.«

Sie sah ihn fragend an.

»Mein Papa hat manchmal von Ihrem Mann gesprochen. Er hat ihn sehr geschätzt und ist am liebsten mit ihm geflogen. Ich höre noch, wie er sagt: ›Hoffentlich ist Herr Flemming heute im Dienst, er bewahrt einfach immer die Ruhe.‹ Er mochte Ihren Mann, und meine Mutter mochte ihn auch.«

Marens Augen schwammen in Tränen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel mir Ihre Worte bedeuten«, sagte sie leise.

»Sie sind zusammen gestorben«, erwiderte er, »vielleicht sind sie jetzt noch immer zusammen, wo sie auch sein mögen.«

Sie lächelte unter Tränen. »Was für ein schöner Gedanke«, sagte sie.

Als sie den Hügel gemeinsam verließen, zog ein Adler über ihnen seine Kreise, langsam und in vollendeter Schönheit schwebte er durch die Luft.

»Das Zeichen«, sagte Maren leise. »Ich glaube, Prinz Christian, heute kommt es nicht nur von Ihren Eltern, sondern auch von meinem Mann.«

Als sie in den Park hinuntergingen, kamen Lili und Paul mit roten Wangen und leuchtenden Augen auf sie zugelaufen. Togo, der den kleinen Fürsten wie immer auf den Hügel begleitet hatte, bellte die Kinder auffordernd an.

»Ihr sollt ihm Stöckchen werfen«, erklärte Christian.

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Anna zeigte ihnen, wie sie es machen mussten, sie hatten ihren Spaß.

Der kleine Fürst lächelte. Dies war ein guter Tag für Sternberg.

Hand in Hand standen Corinna und Felix vor Oliver Flemmings Grab, nachdem sie Blumen vor dem Grabstein abgestellt hatten.

»Das ist er, Olli«, sagte Corinna mit leiser Stimme. »Felix von Bernau, der Mann, in den ich mich verliebt habe. Aber du bleibst trotzdem mein Held, ich möchte, dass du das weißt.«

»Ich liebe deine Schwester, Oliver – ich darf dich doch duzen? Und ich verspreche dir, dass ich immer für sie da sein werde, was auch geschieht. In Ordnung?« Auch Felix hatte leise gesprochen.

Corinna legte ihren Kopf an seine Schulter. »Er ist einverstanden«, sagte sie. »Er akzeptiert dich, Felix.«

Behutsam zog er sich an sie und küsste sie zärtlich. Danach blieben sie noch eine Weile vor dem Grab stehen, ohne zu reden. Als sie den Friedhof verließen, lächelten sie beide.

Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman

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