Читать книгу Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman - Viola Maybach - Страница 9
Оглавление»Ist das dein Ernst?«, fragte Florian von Damm ungläubig. »Du willst, dass ich hier auf Schloss Sternberg als Pferdetrainer arbeite?«
»Ja«, antwortete Baron Friedrich von Kant gelassen.
Er hatte das Gestüt aufgebaut und weltweit bekannt gemacht. Sternberger Pferde genossen überall einen hervorragenden Ruf. Zudem besaß die Familie einige Rennpferde, die sie auch zu internationalen Rennen schickte. Die Pferde wurden von den besten Trainern betreut. Einer von ihnen würde sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen und in einigen Wochen eine Weltreise antreten. Sie brauchten Ersatz für ihn.
»Du bist den Anforderungen gewachsen, Florian«, fuhr der Baron fort. »Außerdem kennen wir dich, und vor allem kennst du den Betrieb hier, du würdest keine lange Einarbeitungszeit brauchen. Mit anderen Worten: Du bist unser Wunschkandidat. Aber natürlich weiß ich nicht, wie das in deine augenblicklichen Berufspläne passt.«
»Na ja«, murmelte Florian zögernd, »gar nicht so schlecht, ich denke nämlich schon länger über eine Veränderung nach. Um es genauer zu sagen: Ich wollte mich eigentlich in absehbarer Zeit selbstständig machen, bin vor diesem Schritt aber immer wieder zurückgeschreckt. Ohne soziale Absicherung zu arbeiten ist schon ein Risiko.«
Er fuhr sich mit einer Hand durch die dichten blonden Haare, die wie immer ein wenig zu lang waren. Florian von Damm war kein Mann, der im klassischen Sinne gut aussah, aber er hatte ein Gesicht, das man gerne ansah. Die blauen Augen erwiderten jeden Blick freundlich und offen, und dass er gern lachte, sah man an dem Kranz von Fältchen rund um die Augenwinkel. Sein Mund war ziemlich breit, und wenn er lachte, dann tat er das von tief unten aus dem Bauch heraus. Er war groß und breitschultrig und strahlte aus, dass er ein Mann war, auf den man sich verlassen konnte.
Baron Friedrich von Kant war etliche Jahre älter als Florian, diesem aber seit Langem freundschaftlich verbunden. Er hatte den Lebensweg des Jüngeren immer voller Interesse verfolgt, die Familie freute sich über jeden von Florians Besuchen. »Das passt doch dann ganz wunderbar«, sagte er jetzt. »Du könntest die Zeit bei uns als Einstieg in die Selbstständigkeit betrachten. Schlag ein, du würdest mich glücklich machen.«
»So schnell geht das nicht, Fritz. Außerdem gibt es da nicht nur den beruflichen Aspekt zu beachten.«
»Aha«, lächelte der Baron. »Du bist also verliebt.«
Florian lächelte verlegen. »Das bin ich schon länger, leider ist das eine einseitige Angelegenheit.«
»Ach, komm schon. Ich kann mir keine Frau vorstellen, die dumm genug wäre, deine Liebe nicht zu erwidern.«
»Sie weiß ja gar nichts davon, Fritz. Sie ist … in gewisser Weise … vergeben.«
»Was heißt denn ›in gewisser Weise‹? Ist sie es oder nicht?«
»Sie ist noch nicht verheiratet, falls du das meinst.«
»Dann sag ihr, was du für sie empfindest.« Der Baron sah seinen jüngeren Freund verwundert an. »Du bist doch sonst nicht schüchtern, Florian.«
»Ach, das hat mit Schüchternheit nichts zu tun, eher mit realistischer Einschätzung meiner Chancen. Niemand holt sich gerne eine Abfuhr, oder? Wir sind gut befreundet, das ist alles.« Florian sah jetzt ziemlich niedergeschlagen aus. »Als guter Freund bin ich bei den Frauen sehr beliebt, sie vertrauen mir gern ihre Geheimnisse an. Manchmal denke ich, dass ich einfach zu gutmütig bin. Mir fehlt das, was andere Männer auszeichnet. Ich komme als vertrauenswürdig rüber, nicht als richtiger Mann, der im Zweifelsfall die Liebste mit den Fäusten verteidigen und dann auf einem Schimmel mit ihr davonreiten würde.«
Friedrich hatte ihm kopfschüttelnd zugehört. »Du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass die heutigen Frauen noch immer solche Träume haben.«
»Manche schon«, murmelte Florian. »Jedenfalls, um die Diskussion zu beenden, meine Chancen stehen nicht gut, aber bevor ich dein Angebot annehme, muss ich herausfinden, ob es für mich wirklich aussichtslos ist. Ich hoffe, das verstehst du? Wenn ich hier arbeiten würde, wäre ich so weit weg, dass wir uns praktisch nicht mehr sehen könnten, denn ich würde ja auch zu den Wochenenden nicht ständig nach Hause fahren.«
Der Baron stimmte ihm zu. »Du würdest selbstverständlich bei uns wohnen, Florian. Du musst schon richtig hierherziehen, sonst kannst du hier nicht ordentlich arbeiten.«
»Eben, das meine ich ja. Ich wäre dann weg.«
»Aber nicht für immer«, gab der Baron zu bedenken. »Und manchmal lernt man ja einen Menschen auch erst dann wirklich zu schätzen, wenn er nicht mehr jederzeit verfügbar ist. Das ist ein Aspekt, den du vielleicht bedenken solltest bei deinen Planungen.«
»Ich denke drüber nach, Fritz. Auf jeden Fall vielen Dank für dein Angebot.«
Sie setzten ihren Rundgang durch die Stallungen von Schloss Sternberg fort, ohne das Thema noch einmal zu streifen, denn der Baron hielt es für besser, Florian nicht unter Druck zu setzen.
*
»Willst du dich nicht endlich einmal zwischen einem von beiden entscheiden?«, fragte Annina von Lucius. »Die Leute reden schon, Gaby, ist dir das eigentlich klar?«
Gabriela von Szanten zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Lass sie doch reden. Ich gehe gern mit beiden aus, und solange sie sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, sehe ich nicht ein, warum ich mich entscheiden soll. Wir flirten nur, ich habe ja nicht gleichzeitig mit zwei Männern eine Affäre.«
»Es gibt aber Leute, die das behaupten.«
Gabrielas Haltung veränderte sich. Sie drehte sich so schnell zu ihrer Freundin um, dass ihre langen dunklen Haare flogen. »Wer behauptet das?«, fragte sie scharf. Ihre fast schwarzen Augen blitzten zornig.
»Jetzt reg dich nicht auf, du weißt doch, dass immer viel geklatscht wird.« Annina wünschte sich bereits, sie hätte nichts gesagt, schließlich kannte sie das explosive Temperament ihrer Freundin. »Ich habe es halt im Vorbeigehen gehört, wie getuschelt wurde, als ihr zu dritt hier aufgekreuzt seid.«
»Die sollen sich doch alle um ihren eigenen Kram kümmern«, zischte Gabriela und steuerte geradewegs auf Robert von Gehringen zu, einen der beiden Männer, mit denen sie seit einiger Zeit ausging. Er war ein Jahr jünger als sie, sah aber älter aus mit seinem blonden Dreitagebart. Mit verliebtem Blick sah er ihr entgegen. Ihren Zorn schien er nicht zu bemerken.
»Lass uns tanzen«, sagte sie knapp.
Er kam nicht einmal auf die Idee, ihr zu widersprechen. Nie zuvor war er so verliebt gewesen wie in Gabriela, da nahm er es sogar in Kauf, dass sie sich zierte und dass es noch einen weiteren Bewerber um ihre Gunst gab, Philipp von Moerss, mit dem er sogar befreundet war. Er zweifelte nicht daran, dass die Wahl letzten Endes auf ihn fallen würde, denn er hatte alles, um Gabriela das Leben zu bieten, das sie seiner Ansicht nach brauchte: Er konnte sich sehen lassen, war reich, hatte einen guten Namen, und sie waren ein sehr schönes Paar.
Dass Philipp dieselben Vorzüge zu bieten hatte, machte er sich nicht klar. Noch keine Frau hatte ihm auf Dauer widerstehen können, es würde bei Gabriela nicht anders sein.
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte er mit charmantem Lächeln und führte Gabriela auf die kleine Tanzfläche, für die in der Wohnung, in der sie heute eine Party feierten, eins der Zimmer freigeräumt worden war. Es war ihm recht, dass gerade sehr langsame Musik gespielt wurde, die es ihm erlaubte, Gabriela nah an sich heranzuziehen.
Sie ließ es geschehen, was ihn in dem Glauben bestärkte, seinem Ziel wieder ein Stück näher gekommen zu sein. Hoffentlich sah Philipp sie hier tanzen, dann konnte er sich selbst ausrechnen, dass seine Chancen wieder ein bisschen schlechter geworden waren. Aber Philipp war ein verdammt hartnäckiger Mensch, der gab nicht so schnell auf.
Als er Philipp an der geöffneten Tür auftauchen sah, fiel es ihm schwer, sich seinen Triumph nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Doch er wurde jäh aus seinen Hochgefühlen gerissen, als Gabriela sich aus seinen Armen befreite und sagte: »Da vorn ist Philipp, ich würde jetzt gern mit ihm weitertanzen.«
Und so kam es, dass Robert sich unvermittelt dort wiederfand, wo Philipp zuvor gestanden hatte: an der Tür, mit Blick auf die Tanzfläche. Bis hierher war alles so gut gelaufen, aber jetzt musste er sich eingestehen, dass sich überhaupt nichts zu seinen Gunsten verändert hatte.
Zum ersten Mal fragte er sich, wie lange er dieses Spiel noch mitspielen sollte. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren. Zwar gefiel es ihm einerseits, dass so viel über ihre ›Dreierbeziehung‹ getuschelt wurde – die Leute malten sich, wie er festgestellt hatte, die erstaunlichsten Dinge aus. Aber andererseits war er des Spiels auch ein wenig müde. Kein Mann ließ sich gern allzu lange hinhalten.
Wenig später wandte er sich ab. So erhebend war der Anblick der Frau, in die man sich heftig verliebt hatte, in den Armen eines anderen wahrhaftig nicht, dass man ihn freiwillig lange ertrug.
*
Philipp von Moerss registrierte Roberts Abgang zufrieden. Wenn er selbst einen Vorteil in diesem Rennen um die Gunst der schönen Gabriela für sich sah, so waren es seine besseren Nerven. Er hielt mehr aus als Robert, und deshalb würde er am Ende die Nase vorn haben, das war für ihn keine Frage. Es tat ihm beinahe leid für Robert, aber schließlich konnte nur einer gewinnen. Er jedenfalls hatte nicht die Absicht, noch lange zu dritt aufzutreten. Eine Zeit lang war das amüsant gewesen, vor allem, weil es so viel Aufsehen erregt hatte, aber mittlerweile nervte es nur noch.
Er bemerkte die vielen aufmerksamen Augenpaare, die auf ihm und Gabriela ruhten. Was sie jetzt wohl alle dachten? Im Grunde war es ihm gleichgültig. Er wollte Gabriela erobern, alles andere war weniger wichtig. Aber es wäre ihm doch lieber gewesen, die Leute hätte, ihm und Gabriela aus anderen Gründen so viel Aufmerksamkeit gezollt. Sie waren ein tolles Paar, das sagte jeder, der sie zusammen erlebte. Aber er konnte sich leicht ausrechnen, dass sie das auch sagten, wenn Gabriela mit Robert ausging.
Wie war er nur in diese verflixte Situation geraten? Er wusste es nicht mehr, aber jetzt jedenfalls steckte er mittendrin, und noch war nicht abzusehen, wann das enden würde. Wenn es nach ihm ging würde das bald der Fall sein. Sehr bald sogar.
Für eine Sekunde begegnete sein Blick dem von Annina von Lucius, Gabrielas bester Freundin. Mit der musste er sich gut stellen, beste Freundinnen hatten mehr Einfluss, als mancher Mann dachte. Bestimmt redeten sie öfter über die Situation, dass Gabriela mit zwei Männern ausging. Wie er Annina einschätzte, drängte sie ihre Freundin zu einer baldigen Entscheidung. Das war ganz in seinem Sinne. Er spielte nicht gern die zweite Geige, nicht einmal vorübergehend.
Gerade als er Gabriela ein wenig fester an sich ziehen wollte, schob sie ihn zurück. »Ich muss was trinken, Phil«, sagte sie.
Und schon steuerte sie auf die Küche zu, wo die Getränke gekühlt wurden. Seufzend folgte er ihr. Robert war bestimmt nicht weit, über kurz oder lang würden sie wieder zu dritt sein.
Und genauso war es auch. Es war wirklich zum Verrücktwerden.
*
»Frau Baronin«, sagte Eberhard Hagedorn, »es ist überraschender Besuch eingetroffen. Frau von Ehrenstein ist gekommen.«
»Annabelle von Ehrenstein?«, fragte Baronin Sofia von Kant überrascht.
Eberhard Hagedorn nickte. Er war seit vielen Jahren Butler im Schloss und erkannte jeden Gast auf Anhieb, auch wenn dessen letzter Besuch schon Jahre zurücklag. Sein Gedächtnis war ebenso legendär wie sein Streben nach Vollkommenheit, das er nach Ansicht der Schlossbewohner gar nicht mehr nötig hatte. Sie fanden, dass Eberhard Hagedorn schon längst der Inbegriff des perfekten Butlers war. Er selbst sah das jedoch anders und ließ in diesem Punkt auch nicht mit sich diskutieren.
»Das ist ja eine schöne Überraschung, bitte, führen Sie sie herein, Herr Hagedorn.«
Gleich darauf betrat eine zierliche, sehr hübsche Blondine mit grünen Augen den Salon und kam mit schnellen Schritten auf die Baronin zu. Annabelle von Ehrenstein war eine passionierte Reiterin, eines Tages hatte sie auf Sternberg ein Pferd gekauft. Aus dieser Begegnung hatte sich eine Freundschaft mit den Schlossbewohnern entwickelt, die längst wichtiger geworden war als die geschäftliche Beziehung. Jetzt allerdings war Annabelle länger nicht da gewesen, sie hatte sich eine Zeit lang im Ausland aufgehalten.
Die beiden Frauen umarmten einander herzlich. Annabelle war deutlich jünger als die Baronin, das hatte ihrer Freundschaft jedoch keinen Abbruch getan. »Wie schön, dich zu sehen, Annabelle. Kannst du ein paar Tage bleiben?«
»Nein, jetzt nicht, ich bin, wie man so sagt, nur auf der Durchreise, und ich habe zu Hause in Stuttgart sehr viel zu erledigen. Aber natürlich möchte ich euch gern besuchen und ausführlich über alles, was sich ereignet hat, mit euch reden. Würde es euch in zwei oder drei Wochen passen? Da könnte ich dann auch ein bisschen länger als nur übers Wochenende bleiben.«
»Das fragst du noch? Du weißt doch, wie wir uns immer freuen, wenn du bei uns bist.«
Annabelle lachte vergnügt. »Ja, das weiß ich. Eure Gastfreundschaft ist legendär, jeder, der einmal hier gewesen ist, schwärmt in den höchsten Tönen davon. Was gibt es Neues bei euch? Das will ich wenigstens schnell noch erfahren, bevor ich mich wieder auf den Weg mache.«
»Uns geht es wieder gut, danke.«
»Ich habe gehört, dass Friedrich auf einer Auktion angeschossen wurde. Da war ich noch in Frankreich, aber meine Mutter hat es mir sofort erzählt. Was für eine furchtbare Geschichte, Sofia.«
»Ja, und sie ist nur ganz knapp gut ausgegangen. Fritz hatte länger mit den Folgen seiner Verletzungen zu kämpfen, aber jetzt ist er wieder ganz der Alte, zum Glück.«
»Und der kleine Fürst?«, fragte Annabelle nach kurzem Zögern. »Und du?« Als sie sah, dass der Baronin Tränen in die Augen traten, griff sie rasch nach ihrer Hand. »Entschuldige, ich wollte keine Wunden aufreißen. Aber ich möchte doch wissen, ob ihr zurechtkommt. Ob ihr es irgendwie schafft, mit der Trauer zu leben.«
»Ja, das schaffen wir«, antwortete Sofia leise.
Im Jahr zuvor war das Fürstenpaar von Sternberg bei einem Hubschrauberunglück ums Leben gekommen, gemeinsam mit dem Piloten. Fürstin Elisabeths und Fürst Leopolds Sohn, der fünfzehnjährige Prinz Christian von Sternberg, der von der Bevölkerung liebevoll ›der kleine Fürst‹ genannt wurde, war seitdem Waise. Sofia war eine Schwester seiner Mutter und zugleich ihre engste Vertraute gewesen. Sie und ihr Mann kümmerten sich seitdem um Christian.
Auf Sternberg lebten sie schon lange. Elisabeth und Leopold hatten die Kants vor über zehn Jahren gebeten, hierherzuziehen, damit Christian nicht ohne andere Kinder aufwachsen musste. Damals wussten sie bereits, dass ihr kleiner Sohn ein Einzelkind bleiben würde. Und so waren Sofia und Friedrich mit ihren Kindern Konrad und Anna nach Sternberg gekommen. Besonders Anna und Christian hatten sich sofort eng aneinander angeschlossen. Heute war Anna dreizehn, Konrad sechzehn Jahre alt.
»Wir schaffen es«, wiederholte Sofia. »Aber es gibt immer wieder Tage, an denen die Trauer übermächtig wird, Annabelle. Dunkle Tage, an denen ich denke, dass ich es nicht aushalte, nie mehr mit Lisa sprechen zu können. Natürlich trauere ich auch um Leopold, wie wir alle. Aber Lisa war der Mensch, der mir am nächsten stand, wir sind zusammen aufgewachsen, haben über alles miteinander sprechen können. Sie fehlt mir so sehr.«
Hastig tupfte sie sich über die Augen. »Manchmal denke ich, dass Christian reifer mit seiner Trauer umgeht als ich. Jeden Tag besucht er die Gruft seiner Eltern und erzählt ihnen in Gedanken, was ihn bewegt. Er tut einfach so, als wären sie noch da, auch wenn er sie nicht sehen kann. Und wenn dann hinterher das Lied eines Vogels erklingt, nimmt er das als Zeichen dafür, dass seine Eltern ihn gehört haben und noch immer bei ihm sind und in gewisser Weise über ihn wachen.«
»Was für eine schöne Vorstellung«, erwiderte Annabelle. »Ich kann mir schon denken, dass ihm das hilft, seine Trauer zu bewältigen.«
»Ich habe versucht, es wie er zu machen, aber das scheitert schon daran, dass ich es nicht über mich bringe, den Hügel zu betreten. Es bricht mir einfach das Herz, den Namen meiner Schwester und meines Schwagers auf einer Gruft zu lesen, mit Geburts- und Todestag.«
Sie sah aus dem Fenster, wo am hinteren Ende des Schlossparks, kurz bevor er in Wald überging, eine kleine Anhöhe zu sehen war. Das war der Familienfriedhof und somit der Ort, den Christian jeden Tag aufsuchte, um dort mit seinen Eltern zu ›sprechen‹.
»Das ist doch auch in Ordnung, Sofia. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden, mit Trauer umzugehen. Du machst es anders als Christian, andere Menschen machen es wieder anders. Du denkst viel an deine Schwester, und sollte sie noch irgendwo sein und dich sehen können, so weiß sie das. Ihr seid einander immer so nah gewesen, in gewisser Weise, denke ich mir, kann euch auch der Tod nicht trennen.«
Die Baronin lächelte unter Tränen. »Das hast du schön gesagt, Annabelle. Ich danke dir für deine Worte.«
Als sie Stimmen in der Eingangshalle hörten, tupfte sich Sofia ein letztes Mal die Augen trocken. »Wir haben Besuch«, sagte sie. »Kennst du Florian von Damm?«
»Nein, wir sind uns nie begegnet, aber ich habe seinen Namen in letzter Zeit öfter gehört. Er macht sich einen Namen als Pferdetrainer, nicht wahr?«
Noch während Sofia nickte, wurde die Tür geöffnet. Friedrich und Florian traten ein.
Auch Friedrich freute sich sehr, Annabelle zu sehen, er begrüßte sie ebenso herzlich, wie Sofia es zuvor getan hatte. Danach stellte er Annabelle und Florian einander vor, die sich sofort sympathisch waren.
»Schade, dass ich wieder fahren muss«, sagte Annabelle eine Viertelstunde später, »aber jetzt wird es wirklich höchste Zeit für mich, ich sollte längst weg sein.«
»Dann halten wir dich nicht länger auf, du kommst ja bald wieder, Annabelle«, erwiderte die Baronin.
Sie begleiteten die junge Frau zum Hauptportal. Eilig stieg Annabelle in ihren Wagen. Sie hupte mehrmals, während sie die lange Auffahrt in recht hoher Geschwindigkeit hinunterfuhr.
»Die ist ja richtig nett«, stellte Florian fest.
»Ja, das ist sie. Sie war länger in Frankreich, wir hatten sie deshalb eine Weile nicht gesehen.«
»Was macht sie beruflich?«
Sofia lächelte. »Sie fängt zum nächsten Schuljahr als Referendarin für Französisch und Deutsch an einem Gymnasium an und wollte vorher ihr Französisch noch einmal auffrischen.«
»Ich sollte mich auch bald auf den Weg machen«, seufzte Florian. »Aber es fällt mir immer schwer, Sternberg zu verlassen. Bei euch wird auch viel gearbeitet, aber trotzdem kommt es mir hier oben auf eurer Anhöhe immer so vor, als hätte ich eine andere Welt betreten.«
»Das geht allen so, uns auch«, stellte der Baron fest. »Ich hoffe, du nimmst unser Angebot an, Florian, dann kannst du für eine Weile richtig in unsere andere Welt eintauchen.«
Florian nickte nur, erwiderte jedoch nichts.
Der Baron drängte ihn nicht weiter. Er wusste ja, dass Florian noch einiges zu klären hatte, bevor er eine Entscheidung fällen konnte.
*
»Wieso ist Flo denn schon wieder weg?«, fragte Anna von Kant empört. »Er hätte doch wirklich warten können, bis wir aus der Schule zurück sind!« Sie war ein niedlich aussehendes Mädchen mit blonden Locken, unverkennbar die Tochter ihrer Mutter.
»Wenn das möglich gewesen wäre, hätte er sicherlich gewartet, Anna«, erwiderte Baronin Sofia. »Er hat viel zu tun, und vielleicht nimmt er ja das Angebot an, für eine Weile hier zu arbeiten. Wir wären darüber sehr froh. Dann seht ihr euch jeden Tag.«
»Wie schätzt ihr denn die Chancen ein, dass er das Angebot annimmt, Tante Sofia?«, fragte Christian von Sternberg.
Er war fast einen Kopf größer als seine jüngere Cousine. Schmal war er, mit dunklen glatten Haaren, die er ziemlich lang trug. Wer ihm in die Augen sah, erkannte schnell, dass er mit seinen fünfzehn Jahren schon viel Leid erfahren hatte. Aber er konnte auch lachen und ausgelassen wie ein ganz normaler Teenager sein.
»Er ist daran interessiert, hat er gesagt, aber natürlich will er noch darüber nachdenken. Das ist ja ein gewaltiger Schritt, Chris. Bisher war er immer angestellt, für eine bestimmte Zeit. Das bedeutet Sicherheit, und die gibt man nicht leichtfertig auf.«
»Ich fände es schön, wenn er eine Weile hier wäre«, warf nun der sechzehnjährige Konrad ein. »Er ist ein guter Typ, sagt immer klar, was er denkt, und er kann toll mit Pferden umgehen. Wisst ihr noch, wie er einmal diesen wilden Rappen, der jemandem unten im Dorf durchgegangen war, beruhigt hat? Die wollten schon einen Tierarzt holen, damit der das Pferd betäubt. Florian ist auch ohne Spritze mit ihm fertig geworden.«
Ihnen fielen noch weitere Geschichten über Florian ein, und schließlich endete das Gespräch mit dem einhellig geäußerten Wunsch, er möge das Angebot des Barons annehmen und eine Weile bei ihnen auf Sternberg wohnen und arbeiten.
*
Gabriela schien es nicht aufzufallen, wie still Florian blieb, während sie ihm von der Party erzählte, auf der sie kürzlich zusammen mit Robert und Philipp gewesen war. Er hatte sich schon mehr als einmal überlegt, ihr ganz direkt zu sagen, was er für sie empfand, und jedes Mal hatte er sich letzten Endes dagegen entschieden. Er hatte Angst vor der Antwort, die er im Grunde seines Herzens zu kennen glaubte: Er war ihr bester Freund, und in den besten Freund verliebte man sich nicht.
»Wann willst du dich denn endlich entscheiden?«, erkundigte er sich. »Ich verstehe, ehrlich gesagt, überhaupt nicht, wie das geht, Gaby. Man kann doch nicht gleichzeitig in zwei Männer verliebt sein.«
»Sie gefallen mir nun einmal beide, und ich sehe nicht ein, dass ich nur noch mit einem von beiden ausgehen soll, wenn ich sie doch beide gernhabe.«
»Gern hast du mich auch«, erklärte er und wartete mit bebendem Herzen auf ihre Erwiderung.
Die kam prompt und fiel so anders aus, als er es sich wider besseres Wissen erhofft hatte, dass seine Stimmung augenblicklich auf den Nullpunkt sank. Sie brach nämlich in vergnügtes Gelächter aus. »Das kann man nun wirklich nicht vergleichen, Flo! Du bist mein Freund, mit dir rede ich über alles, bei uns prickelt es nicht.«
Er musste mehrmals schlucken, bevor er mit einigermaßen neutraler Stimme fragen konnte: »Und bei Robert und Philipp prickelt es?«
»Ja, natürlich, was dachtest du denn? Mit beiden flirte ich gern. Wenn ich mit einem von ihnen zusammen bin, denke ich: Er ist es. Leider denke ich das beim anderen dann auch.« Sie seufzte. »Mir war ja vorher auch nicht klar, dass es so etwas gibt. Ich dachte immer, dass man sich verliebt, und dann ist alles klar. Ist es aber nicht.«
Sie hob den Kopf und sah Florian mit einem dieser Blicke an, die sein Herz jedes Mal ins Stolpern brachten. Sie sah so hinreißend aus, dass er nun doch wieder in Versuchung geriet, ihr seine Liebe zu gestehen. Die Vorstellung, sie in den Armen zu halten und zu küssen, raubte ihm regelmäßig den Verstand.
»Wahrscheinlich entscheide ich mich für Philipp«, sagte sie in seine Gedanken hinein. »Nicht, dass ich in ihn mehr verliebt wäre, aber irgendwie ist er reifer. Das glaube ich wenigstens.« Sie versuchte zu lächeln. »Dabei weiß ich jetzt schon, dass Robert mir dann fehlen wird. Also ist es vielleicht doch die falsche Entscheidung.«
»Ewig werden die beiden das sicher auch nicht mehr mitmachen«, murmelte Florian. Seit er wusste, dass er Gabriela liebte, konnte er ihr in Liebesdingen keinen Rat mehr geben. Solange er sich selbst als ihren besten Freund angesehen hatte, war das kein Problem gewesen, doch seit ihm eines Nachts die Erkenntnis gekommen war, dass er sie liebte und begehrte wie noch keine Frau zuvor, taugte er als Ratgeber nicht mehr.
»Und mehr fällt dir dazu nicht ein?«, fragte Gabriela. »Du bist mein bester Freund, du musst mir einen Rat geben, Flo, was ich jetzt tun soll.«
»Du musst dich entscheiden, das weißt du doch selbst.« Er stand auf, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Sie saßen in einem Café, in dem sie sich öfter verabredeten, um etwas zu trinken oder eine Kleinigkeit zu essen. Er hatte hier in der Nähe sein Büro, und die Bibliothek, in der Gabriela arbeitete, war ebenfalls nicht weit entfernt. »Tut mir leid, ich muss weg, ich hatte vergessen, dass ich gleich noch einen Termin habe, Gaby.« Das war eine reine Lüge, aber Notlügen waren bekanntlich erlaubt, und er konnte jetzt einfach nicht länger hier sitzen bleiben und mit Gabriela über ihre Verehrer sprechen. Das ging über seine Kräfte.
»Aber du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!«
»Ich muss«, wiederholte er, küsste sie auf beide Wangen und verschwand so eilig, als wäre jemand hinter ihm her.
Als er die Straße hinunter zu seinem Auto lief, wusste er, dass die Entscheidung gefallen war. Er würde seinen Job kündigen und nach Sternberg gehen. Wenn er Gabriela nicht mehr sah, würden seine Gefühle für sie mit der Zeit vielleicht einfach verschwinden.
So, wie es jetzt war, ging es jedenfalls nicht weiter.
*
Annabelle beobachtete stirnrunzelnd eine Szene, die ihr überhaupt nicht gefiel: Vielleicht dreißig Meter von ihr entfernt stand ein Mann und hielt einen Jungen von dreizehn oder vierzehn Jahren am Arm fest. Der Junge wehrte sich heftig und versuchte, sich zu befreien, was ihm jedoch nicht gelang. Er war klein und schmächtig und hatte gegen den kräftig aussehenden Mann keine Chance.
Annabelle sah sich um. Außer ihr war niemand zu sehen, um diese Zeit war der Spielplatz verwaist. Sie nutzte ihn in der Regel als Abkürzung, denn direkt auf der anderen Seite hatte sie eine Wohnung gefunden. Vor einer Woche war sie dort eingezogen.
Jetzt hatte der Junge sie entdeckt und fing an zu schreien. »Helfen Sie mir, bitte, helfen Sie mir. Der Mann will, dass ich mit ihm gehe. Helfen Sie mir!«
Sie zögerte nicht länger, zumal sie sah, wie der Mann dem Jungen etwas zuzischte. Sein Gesicht sah drohend aus. »Lassen Sie ihn los!«, rief sie. »Was fällt Ihnen denn überhaupt ein? Soll ich die Polizei rufen!«
Der Mann richtete sich auf und lockerte wohl unwillkürlich seinen Griff, denn es gelang dem Jungen jetzt, sich zu befreien. Wie der Blitz verschwand er, ohne sich noch einmal umzudrehen.
»Gratuliere«, sagte der Mann grimmig. »Ich hatte ihn fast so weit, aber Sie mussten sich ja unbedingt einmischen.«
Annabelle war noch immer empört. »Sie hatten ihn so weit, dass er bereit war, mit Ihnen zu gehen oder was?«
»Das hat er doch nur gesagt, damit Sie ihm zu Hilfe eilen, und es hat ja auch bestens geklappt. Er gehört zu einer Bande, die versuchen, den Kindern Drogen anzudrehen. Gerade weil er so klein und schwächlich aussieht, traut ihm niemand etwas Böses zu. Darauf setzen die, und das leider mit Erfolg, wie man heute wieder sehen konnte.«
»Schöne Geschichte«, sagte Annabelle. »Sie kann auch erfunden sein. Was hätten Sie denn an meiner Stelle getan? Die Hilferufe des Jungen überhört? Für mich sah es so aus, als bedrohten Sie ihn, und ich bin gern bereit, das auf einer Polizeiwache zu wiederholen.«
Lachte er jetzt etwa? Machte er sich über sie lustig? Sie wusste nicht, was sie von seinem Gesichtsausdruck halten sollte. Dann holte er einen Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn ihr unter die Nase. »Schon mal was von Zivilbeamten gehört?«, fragte er. »Ich bin hierher abkommandiert worden, weil mein Gesicht hier unbekannt ist, und ich hätte heute einen schönen Erfolg erzielen können, wenn Sie mir nicht dazwischengefunkt hätten. Aber ich muss zugeben, dass die Situation für Sie missverständlich ausgesehen haben könnte.«
»Oh, vielen Dank für Ihr Verständnis«, erwiderte sie ironisch. Seine blauen Augen machten sie nervös, genau wie dieses Lächeln, mit dem er sie jetzt betrachtete. »Kann ich den Ausweis mal genauer sehen?«, fragte sie.
»Oh, bitte sehr.«
Sie studierte ihn eingehend. Vor ihr stand also Kommissar René von Hoydorff, wenn das Dokument echt war. Dunkle Haare, blaue Augen, sehr attraktiv. Sie hatte sich Zivilbeamte immer etwas grau und deutlich älter vorgestellt. Das war wohl ein Vorurteil gewesen. »Kann ja auch gefälscht sein«, stellte sie mit kühlem Lächeln fest, als sie ihm das Dokument zurückgab. »Ich habe keine Ahnung, wie ein echter Polizeiausweis aussieht.«
»Hier, meine Dienstmarke«, sagte er. »Sind Sie jetzt zufrieden?«
Statt diese Frage zu beantworten, stellte sie ihm nun ihrerseits eine. »Wenn Sie wissen, dass der Junge zu einer Bande gehört, wieso nehmen Sie ihn dann nicht mit und verhören ihn richtig?«
»Das haben meine Kollegen schon versucht, und es ist nichts dabei herausgekommen. Wir wollten eine neue Taktik ausprobieren.«
»Tja, das konnte ich nicht ahnen«, sagte Annabelle und setzte mit ätzender Ironie hinzu: »Beim nächsten Mal bemühe ich mich, wegzusehen, wenn wieder mal ein Jugendlicher von einem Erwachsenen belästigt wird.«
Nach diesen Worten drehte sie sich um und setzte ihren Weg fort. Es wunderte sie nicht, dass er schon nach wenigen Schritten wieder neben ihr war. »Ich brauche Ihre Personalien«, behauptete er.
»Wofür?«
»Für eine eventuelle Zeugenaussage.«
»Ich habe nur gesehen, dass Sie einen Jungen festgehalten haben, mehr nicht. Das allerdings kann ich bezeugen.«
»Ja, eben«, sagte er. »Und Sie haben auch gehört, was der Junge gesagt hat. Ich weiß im Augenblick noch nicht, wofür das wichtig sein könnte, aber zur Vorsicht bitte ich Sie, mir zu sagen, wo und wie ich Sie erreichen kann.«
Sie gab nach. Wer wollte schon Ärger mit der Polizei haben? Sie wies auf das Haus, in dem sie jetzt wohnte und nannte ihm ihren Namen. Als sie sich danach ohne Verabschiedung umdrehte und weiterging, folgte er ihr nicht mehr.
Aber sie bildete sich ein, den Blick seiner blauen Augen im Rücken zu spüren.
*
»Florian kommt also«, sagte Baron Friedrich einige Tage später zu seiner Frau, als sie abends noch bei einem Glas Wein zusammensaßen. Die Teenager waren schon in ihren Zimmern, schliefen aber sicherlich noch nicht. Vor allem Konrad hatte es sich zum Kummer seiner Eltern angewöhnt, erst sehr spät ins Bett zu gehen, davon schien er sich auch nicht abbringen lassen zu wollen.
»Du sagst das so zögernd, als freutest du dich gar nicht darüber«, stellte Sofia fest.
»Natürlich freue ich mich, denn es hilft uns aus einer großen Verlegenheit. Du hättest Herrn Wengers Gesicht sehen sollen, als er die Neuigkeit hörte. Er hat sich ja auch schon Gedanken gemacht, wie wir hier zurechtkommen sollen, wenn einer unserer Trainer fehlt.«
Robert Wenger war der Stallmeister auf Sternberg, ein noch junger, aber sehr fähiger Mann, der bei seinen Untergebenen hohes Ansehen genoss. Er war zwar streng, aber immer fair. Schludriges Arbeiten freilich ließ er niemandem durchgehen. Es hatte schon Pferdepfleger gegeben, die Schloss Sternberg nach weniger als einer Woche wieder hatten verlassen müssen, weil er mit ihnen nicht zufrieden gewesen war.
»Aber?«, fragte die Baronin.
»Florian selbst hat mir erzählt, dass er verliebt ist und dass es da noch etwas zu klären gibt. Ich nehme an, wenn die Sache gut ausgegangen wäre für ihn, hätte er uns abgesagt.«
»Du meinst also, er kommt hierher und ist unglücklich?«
»Ich fürchte, so ist es, Sofia, und das ist natürlich für die Arbeit nicht unbedingt gut.«
»Vielleicht erkennt er aber auch, wenn er bei uns ist, dass die Frau nicht die Richtige für ihn ist und dass ihm nichts Besseres hätte passieren können als hier zu arbeiten.« Die Baronin unterbrach sich. »Hat er gesagt, um wen es sich handelt?«
»Nein, er hat überhaupt nur vage Andeutungen gemacht. Es ist wohl so, dass er mit der betreffenden Frau gut befreundet ist, sich aber irgendwann in sie verliebt hat. Das wollte er ihr sagen, nehme ich an.«
»Verstehe«, murmelte die Baronin. »Und das hat nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, denkst du.«
Der Baron nickte. »Pferde sind bekanntlich empfindsame Geschöpfe. Sie haben es auch lieber mit ausgeglichenen Menschen zu tun, genau wie wir.«
»Vielleicht irrst du dich, Fritz. Du weißt doch gar nichts Genaues, das sind ja alles nur Vermutungen. Wir sollten uns freuen, dass Florian das Angebot angenommen hat und abwarten, was passiert, wenn er hier ist. Ich halte es für möglich, dass du eine Überraschung erlebst.«
Der Baron nahm seine Frau in die Arme. »Nichts wünsche ich mir mehr, als dass du Recht behältst, Sofia.«
*
»Ich dachte, du hättest dich für Philipp entschieden?«, fragte Annina. »Aber das war doch eben ein Kuss, den ich da gesehen habe, oder? Robert hat dich geküsst.«
Gabriela nickte unglücklich. »Du denkst auch, dass mit mir etwas nicht stimmt, oder? Ehrlich, Annina, ich war fast sicher, dass Philipp der Richtige ist, und das wollte ich Robert heute auch sagen, aber dann war er so aufmerksam und liebenswürdig und charmant, und er hat mich zum Lachen gebracht und …«
»Dir ist nicht zu helfen«, stellte Annina fest. »Vielleicht solltest du dich für eine Weile mal mit keinem von beiden verabreden. Unter Umständen würde das ja Klarheit in deine Gefühlswelt bringen.«
»Glaubst du?« Sie waren auf der Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin. Philipp hatte verwandtschaftliche Verpflichtungen gehabt, so war Gabriela mit Robert erschienen. Jetzt hatte sie sich mit ihrer Freundin in eine Ecke der Wohnung zurückgezogen, wo sie ungestört miteinander reden konnten.
»Ich denke schon, das ist doch kein Dauerzustand so, Gaby.«
Gabriela nickte. »Und zu allem Überfluss ist Flo auch noch so merkwürdig. Er hat kaum noch Zeit, es ist richtig mühselig geworden, sich mit ihm zu verabreden.«
»Vielleicht hat er sich auch verliebt«, vermutete Annina.
»Flo?« Gabriela zog die Stirn kraus. »Das hätte er mir ja wohl erzählt, oder? Er ist mein bester Freund.«
»Bist du auch seine beste Freundin?«
»Was meinst du denn damit?«
»Na ja, ich schätze mal, dass ihr meistens über deine Probleme redet. Wenn es nicht so ist, erzähl mir doch mal, was ihn gerade so beschäftigt.«
Gabriela wurde unsicher. »Ich …, also, genau weiß ich das tatsächlich nicht, er redet ja in letzter Zeit nicht mehr so viel …«
»Hör mir mal zu, Gaby. Ich bin deine beste Freundin, aber ich muss dir ehrlich sagen, mich nervt es allmählich auch, dass wir ständig nur über deine Schwierigkeiten reden müssen, dich zwischen zwei Männern zu entscheiden. Ab und zu könntest du dich auch mal wieder für andere interessieren, so wie früher. Denk mal drüber nach, okay?«
Mit diesen Worten ließ Annina ihre Freundin stehen und mischte sich unter die übrigen Partygäste.
Gabriela kämpfte mit den Tränen. So wurde sie also gesehen? Als Egoistin, die sich nicht dafür interessierte, wie es in ihren Mitmenschen aussah, die ihre Freunde in gewisser Weise im Stich ließ? Das waren schwere Anschuldigungen, und am schlimmsten daran fand sie, dass sie nicht ganz unberechtigt waren.
Sie tupfte sich hastig die Augen trocken, dann suchte sie das Badezimmer auf, wo sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Mehrfach wurde die Türklinke heruntergedrückt, doch sie öffnete erst, als sie sicher sein konnte, dass man ihr die Tränen, die sie vergossen hatte, nicht mehr ansah.
Eine halbe Stunde später verabschiedete sie sich unter einem Vorwand von der Gastgeberin, ohne Annina zu verständigen. Sie musste jetzt erst einmal allein sein und gründlich nachdenken. Denn wenn Annina so über sie dachte, taten andere es vielleicht auch. Florian zum Beispiel.
Ohne nachzudenken schlug sie den Weg zu seiner Wohnung ein. Er war ihr bester Freund, er hatte sie noch nie angelogen. Sollte er sich von ihr vernachlässigt fühlen, würde er ihr das auch sagen, wenn sie ihn danach fragte.
Sie klingelte bei Florian und erschrak beinahe, als sie sah, dass sie ihn offenbar aus dem Bett geholt hatte. »Was ist denn?«, fragte er verschlafen.
»Ist es schon so spät? Tut mir leid, Flo, ich …«
Er bat sie nicht in die Wohnung, wie er das normalerweise getan hätte, er stand einfach nur da und wartete auf ihre Erklärung, warum sie ihn nachts um zwei aus dem Bett geholt hatte. Das brachte sie aus dem Konzept, plötzlich fehlten ihr die Worte.
»Was ist mit dir?«, fragte sie schließlich. »Du bist so verändert in letzter Zeit.«
»Und diese Frage musst du mir mitten in der Nacht stellen? Hör mal, Gaby, ich bin müde, ich hatte eine anstrengende Woche, ich würde jetzt gern weiterschlafen. Wenn also nichts Dringendes ist …«
»Kann ich kurz mit reinkommen? Bitte, Flo, ich …« Da waren die dummen Tränen schon wieder, die ihr jetzt gar nicht passten. Sie hatte schon öfter vor Florian geweint, aber in dieser Situation wäre sie lieber ruhig und souverän geblieben.
Noch immer rührte er sich nicht. War das wirklich noch ihr Freund Florian, der immer für sie da war, zu jeder Tages- und Nachtzeit? Der frühere Florian hätte sie längst in die Wohnung gebeten, sie gefragt, warum sie so durcheinander war, sie getröstet, ihr etwas zu trinken angeboten …
»Was willst du, Gaby?«, fragte er ruhig. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich bin müde und würde gern weiterschlafen.«
»Annina hat gesagt, dass ich mich verändert habe, dass ich immer nur von meinen Problemen rede, mich aber für die meiner Freunde gar nicht mehr interessiere«, stieß Gabriela hervor. »Siehst du das auch so, Flo? Ich …«
»Du stellst mir diese Frage nachts um zwei«, erwiderte er. »Dir ist klar, dass du mich geweckt hast, ich habe dir jetzt schon mehrmals gesagt, dass ich müde bin und gern weiterschlafen möchte – aber du beharrst darauf, dass du mit mir reden willst. Was also soll ich dir auf deine Frage antworten? Ja, Gaby, ich sehe es genauso wie Annina! Hast du noch andere dringende Fragen, die sofort geklärt werden müssen?«
Sie sah ihn an wie einen Fremden. Nie zuvor hatte er so mit ihr gesprochen. Nicht einmal das vertraute Gesicht ihres Freundes fand sie wieder. Die blauen Augen, die sonst immer mit freundlichem Lächeln auf ihr geruht hatten, blickten abweisend, die Wangenknochen traten deutlich hervor, Florians Mund war nicht mehr als ein schmaler Strich. Seine ganze Haltung drückte Abwehr aus.
»Sind wir keine Freunde mehr?«, fragte sie mit dünner Stimme.
»Freunde müssen sich ab und zu auch mal unangenehme Wahrheiten sagen, Gaby. Das hat Annina getan, und ich tue es jetzt auch: Freundschaften sind nichts Einseitiges, verstehst du? Was weißt du von Anninas derzeitigen Problemen? Oder von meinen?«
»Das hat sie mich auch gefragt.«
Er nickte. »Dann denk drüber nach. Und jetzt möchte ich schlafen. Gute Nacht.« Er schloss die Tür direkt vor ihrer Nase.
Sie war so fassungslos, dass sie noch mehrere Sekunden am selben Fleck stehen blieb, ohne sich zu rühren.
Auf dem Heimweg weinte sie wieder. Sie weinte auch noch, als sie sich ins Bett legte. Etwas war an diesem Abend unwiderruflich zu Ende gegangen, sie wusste nur noch nicht, was.
*
Als Annabelle etwa zwei Wochen später den Bericht über eine Bande von Drogendealern in der Zeitung las, blieb ihr Blick an einem Foto hängen, auf dem sie ein bekanntes Gesicht entdeckte. Es gehörte René von Hoydorff, dem Kommissar mit dem Röntgenblick aus blauen Augen. Sieh mal an, dachte sie.
Sie las den Artikel aufmerksam durch. Offenbar war die Schule, an der sie demnächst unterrichten würde, auch betroffen gewesen. Einige der älteren Schülerinnen und Schüler dort hatten sich bei der Bande mit Pillen eingedeckt, denen die Dealer eine geradezu magische Wirkung zugeschrieben hatten.
Sie waren immer nach demselben Muster vorgegangen. Zuerst hatten sie sich Jugendliche ausgesucht, die leicht beeinflussbar und anfällig für Einflüsterungen waren. Diese bekamen ein paar Proben gratis, damit sie sich überzeugen konnten, wie ›gut‹ die Ware war. So wurden sie nach und nach in die Sucht gelockt, und wenn für die Kriminellen alles gut lief, dann ließen sich auch noch ein paar Freundinnen oder Freunde ihrer Kunden verführen.
Die Bande hatte sich jugendlicher Lockvögel im Alter der Opfer bedient und damit großen Erfolg gehabt. Jetzt waren sie aufgeflogen. Was Annabelle beobachtet hatte, war also tatsächlich ein Polizeieinsatz gewesen. René von Hoydorff hatte mit seinem Einsatz letztlich doch noch Erfolg gehabt.
An diesen Einsatz hatte sie noch öfter denken müssen. Nicht nur, weil sie gern in Erfahrung gebracht hätte, ob René von Hoydorff ehrlich zu ihr gewesen war, sondern auch, weil er sie wider Willen beeindruckt hatte. Aber natürlich wusste sie, dass sie ihn vermutlich nicht wiedersehen würde.
Als es klingelte, war ihr das gar nicht recht. Sie wollte jetzt eigentlich nicht gestört werden. Am nächsten Tag würde sie nach Sternberg reisen, und bis dahin hatte sie noch viel zu erledigen. Sie öffnete trotzdem und sah sich unvermutet dem Mann gegenüber, an den sie gerade eben gedacht hatte. Das war ihr beinahe ein bisschen unheimlich, aber zum Glück konnte er ja keine Gedanken lesen.
Kommissar René von Hoydorff lächelte sie vergnügt an. »Fein, dass Sie zu Hause sind«, sagte er. »Lassen Sie mich kurz eintreten?«
»Niemand hat gern die Polizei im Haus, aber ich kann in diesem Fall wohl schlecht ›nein‹ sagen, Herr Kommissar.«
»Vielen Dank.« Er folgte ihr in die Wohnung und sah die aufgeschlagene Zeitung auf dem Tisch liegen. »Sie wissen also schon Bescheid«, stellte er fest.
»Ja, ich habe es gerade gelesen. Sie hatten Erfolg, ich gratuliere Ihnen. Hätten Sie die Bande nicht geschnappt, hätte ich vielleicht auch noch mit dem Problem zu tun bekommen, wie ich mittlerweile weiß.«
Er zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
»Ich fange als Referendarin an nach den Ferien. Und das Gymnasium war ja offenbar auch betroffen. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich bin gespannt, weshalb Sie gekommen sind, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie noch eine Zeugenaussage von mir brauchen.«
»Doch«, erklärte er. »Ich habe ein Protokoll von unserer Begegnung geschrieben, das Sie mir unterschreiben sollen. Hier, bitte.«
»Und dafür kommt ein hochbezahlter Kommissar extra zu mir nach Hause?«, fragte Annabelle. »Warum haben Sie mich nicht anrufen lassen, damit ich vorbeikomme? Das hätte jede Sekretärin erledigen können.«
»Ja«, seufzte er. »Das stimmt natürlich. Ich hatte mir schon gedacht, dass Ihnen das auffällt. Also gut, ich habe mir einen Vorwand gesucht, um Sie wiederzusehen.«
»Wie bitte?«
Er nickte. War da nicht sogar eine Spur Verlegenheit in seinem Lächeln. »Schlimm?«, fragte er. »Natürlich hätte ich anrufen und Sie vorladen können, aber das wollte ich eben nicht. Und deshalb bin ich jetzt hier.«
»Das ist ja wirklich allerhand!«, entfuhr es Annabelle. »Dürfen Sie das überhaupt?«
»Ganz streng genommen dürfte ich das vermutlich nicht«, gab er zu. »Und wenn Sie mich jetzt bitten zu gehen, mache ich das. Sie unterschreiben das Protokoll, und ich bin weg. Hier, bitte.«
Er reichte ihr ein eng beschriebenes Blatt, dessen erste Zeilen sie überflog, dann legte sie es vor sich auf den Tisch. »Sie sind ganz schön mutig«, sagte sie. »Und wenn ich jetzt einen Mann gehabt hätte, der Krafttraining betreibt und Sie, genau wie ich, sofort durchschaut hätte?«
Er lachte, jetzt blitzten seine Augen wieder, und auch die Verlegenheit war verschwunden. »Das habe ich nicht riskiert, ein paar Erkundigungen habe ich vorher schon eingezogen, in aller Stille. Ich wusste also, dass ich Sie ziemlich sicher allein antreffen würde.«
»Das durften Sie auch nicht«, sagte Annabelle streng.
»Nun, ich darf mich schon erkundigen, wer die Frau ist, für die ich mich interessiere. Das machen nicht nur Polizisten.«
Ihre Blicke begegneten sich. Annabelle fühlte sich plötzlich ganz leicht, in ihrem Körper kribbelte es. Die berühmten Schmetterlinge im Bauch. »Schlechtes Timing, Herr Kommissar«, sagte sie. »Morgen verreise ich erst einmal.«
»Für länger?«, fragte er.
»Na ja, zwei Wochen könnten es schon werden. Danach fängt hier bei uns ja die Schule an, und ich möchte gut ausgeruht sein, wenn ich meine neue Stelle antrete.«
»Werden Sie sich mit mir treffen, wenn Sie zurück sind?«
Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn prüfend. »Ich könnte darüber nachdenken. Wollen wir heute Abend eine Kleinigkeit zusammen essen?«
Er fing schallend an zu lachen. »Sie sind wirklich umwerfend«, stellte er fest. »Zuerst stellen Sie mich streng zur Rede, und jetzt kommen Sie mir mit so einem Angebot.«
»Nur, um mir ein genaueres Bild von Ihnen zu machen«, erklärte Annabelle. »Es gibt Steaks und Salat, mehr nicht. In Ordnung?«
»Sie laden mich hierher ein?«, fragte er ungläubig.
»Warum nicht? Ich werfe Sie frühzeitig wieder hinaus, machen Sie sich keine Hoffnungen. Können Sie um sieben hier sein?«
»Mit dem größten Vergnügen«, erklärte er. »Aber unterschreiben Sie mir trotzdem bitte dieses Protokoll?«
Sie las es aufmerksam durch, bevor sie ihre Unterschrift daruntersetzte. Als er sich verabschiedet hatte, sah sie ihm nach, wie er zu seinem Auto lief. Er rannte beinahe, wie ein kleiner Junge, der nach Hause will, um seinen Eltern zu erzählen, dass er etwas Aufregendes erlebt hat.
Kommissar von Hoydorff, dachte Annabelle, als sie sich mit einem Lächeln abwandte. Wer hätte das gedacht!
*
»Gabriela ist verändert, oder?«, fragte Robert von Gehringen, der sich an diesem Tag mit Philipp von Moerss in einem Café getroffen hatte.
»Total«, antwortete Philipp. »Wolltest du deshalb, dass wir uns treffen?«
»Ja. Ich finde, dass das so nicht weitergeht. Aber ich bin immer noch in sie verliebt …«
»Ich auch.«
»Eben. Hast du eine Ahnung, was mit ihr los ist? Ich habe schon mehrfach versucht, mit ihr zu reden. Ohne Erfolg.«
»Geht mir genauso. Sie rückt nicht mit der Sprache heraus. Nicht einmal eine Andeutung hat sie gemacht.«
»Wenn du mich fragst: Sie wird sich von uns beiden trennen«, sagte Robert mit düsterer Miene.
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, murmelte Philipp. »Dabei war ich vor zwei Wochen ganz sicher, dass sie sich im Grunde entschieden hat.«
»Das dachte ich auch. Ich war sicher, dass du aus dem Rennen bist.«
Philipp lachte. »Ich? Du, meinst du wohl.«
»Nein, ich. Wir haben uns leidenschaftlich geküsst auf dieser Geburtstagsparty, aber danach hat es angefangen, dass sie so merkwürdig war.« Robert übertrieb maßlos, aber das brauchte Philipp ja nicht zu wissen. In Wirklichkeit hatte er Gabriela geküsst, diese hatte den Kuss jedoch nicht erwidert.
Philipp versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Roberts Worte wurmten, und so wechselte er das Thema. »Redet sie eigentlich noch mit Florian über uns? Er hat ihr ja immer gute Ratschläge gegeben – oder auch nicht so gute. Jedenfalls war er auf dem Laufenden.«
»Ich hatte den Eindruck, dass er sich zurückgezogen hat. Überhaupt, jetzt, wo du es ansprichst: Ich habe ihn seit Wochen nicht mehr gesehen.«
»Ich auch nicht. Also, was machen wir jetzt, Robert? Die Situation fängt an, unerträglich zu werden.«
»Wir könnten zusammen zu ihr gehen und ihr das sagen. Dann muss sie sich ja äußern.«
»Du meinst, wir zwingen sie zu einer Entscheidung?«
»Das ist vielleicht nicht die feine Art, aber ich schätze mal, wir kommen nur so einen Schritt weiter.«
Sie sahen einander an, schließlich nickte Philipp. »Ich bin einverstanden. Aber lass uns noch ein bisschen warten.«
Robert nickte. Ihm war gerade auch angst und bange vor seiner eigenen Courage geworden.
*
»Flo!«, rief Gabriela, als Florian sie an diesem Abend anrief. Ihrer Stimme war deutlich anzuhören, wie glücklich sie darüber war, dass er sich endlich wieder einmal bei ihr meldete. »Wo steckst du denn? Ich habe schon so oft versucht, dich zu erreichen. Ich hoffe, du bist mir nicht mehr böse wegen des nächtlichen Überfalls neulich?«
»Längst verziehen«, erwiderte er. »Du hast dich ja ausführlich entschuldigt, und ich bin nicht nachtragend, das solltest du eigentlich wissen.«
»Aber wir haben uns seitdem nicht mehr gesehen«, sagte sie zaghaft. »Wir sind doch noch Freunde, oder?«
»Sicher sind wir Freunde. Nur werden wir uns in nächster Zeit auch nicht sehen, weil ich nämlich umgezogen bin. Um dir das zu sagen, rufe ich an. Ich arbeite jetzt auf Schloss Sternberg.«
Sie hörte, was er sagte, aber sie konnte es nicht glauben. Er hatte seine Anstellung gekündigt und war weggezogen, ohne vorher mit ihr darüber zu reden? Er stellte sie vor vollendete Tatsachen, hatte sie weder um Rat gefragt, noch sie auch nur in seine Pläne eingeweiht. »Du bist gar nicht mehr hier?«, fragte sie fassungslos.
»Das ist alles ein bisschen überstürzt gegangen«, antwortete er. »Ich musste mich schnell entscheiden, und das Angebot hat mich sehr gereizt. Wäre mehr Zeit gewesen, hätte ich dir natürlich vorher Bescheid gesagt, aber ich wusste echt nicht, wo mir der Kopf stand, so viel hatte ich zu organisieren.«
»Aber Freunde reden über solche Dinge«, stammelte sie. »Du kannst doch nicht einfach umziehen, Flo, ohne mir das zu erzählen.«
»Ich erzähle es dir ja jetzt. Außerdem brauchte ich keinen Rat, ich wusste sofort, dass dieses Angebot das Richtige für mich ist, ich musste also nicht einmal überlegen. Es ist toll hier, Gaby, die Arbeit macht mir große Freude.«
Es kam ihr so vor, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Mit Annina hatte sie mehrere Gespräche geführt nach jener Party. Es waren schwierige Gespräche für sie gewesen, die ihr vor Augen geführt hatten, in welchem Ausmaß sie sich eine Zeit lang mit sich selbst beschäftigt hatte. Niemand hörte solche Kritik an seinem Verhalten gern, bei ihr war das nicht anders gewesen.
Aber die Selbsterkenntnis war das eine, das veränderte Handeln das andere. Sie wusste, dass sie sich dringend mit Robert und Philipp aussprechen musste. Das, was ihr bei beiden vorher so attraktiv erschienen war, hatte ganz plötzlich an Glanz verloren. Vorher hatte sie sie charmant, unterhaltsam, interessant gefunden, jetzt wusste sie oft nicht, was sie mit ihnen reden sollte. Alles schien verändert zu sein, und sie wusste nicht, worauf das zurückzuführen war. Letzten Endes, das immerhin wusste sie mittlerweile, liebte sie wohl keinen von beiden.
Manchmal fiel es ihr in diesen Wochen schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie hatte die Abteilung der Hörbücher in der Bibliothek unter sich, die neu katalogisiert werden mussten. Das war viel Arbeit, die ihr eigentlich auch großen Spaß machte. Es gefiel ihr, Kunden der Bibliothek zu beraten, Neuerscheinungen hörte sie sofort an. Ihre Kolleginnen und Kollegen zogen sie manchmal damit auf, dass es nichts gab, das sie nicht kannte. Das war natürlich übertrieben, aber normalerweise wusste sie wirklich gut Bescheid. Seit einiger Zeit jedoch musste sie sich regelrecht überwinden, neue Sachen anzuhören und sich Notizen dazu zu machen, auf die sie zurückgreifen konnte, wenn jemand eine Empfehlung brauchte.
Nichts machte ihr mehr Freude, und jetzt, während dieses Telefongesprächs mit Florian, begriff sie, warum das so war: Er fehlte ihr. Ihr fehlten die Gespräche mit ihm, seine Augen, die voller Zuneigung auf sie gerichtet waren, sein leises Lächeln, sein freundlicher Spott. Wenn sie mit ihm zusammen war, fühlte sie sich sicher – so, wie man sich bei einem großen Bruder sicher fühlte, der einen beschützte vor allem, was bedrohlich werden konnte.
»Freut mich«, sagte sie mühsam. »Es freut mich, dass du es gut getroffen hast. Bist du denn ab und zu auch hier? An den Wochenenden oder so? Dann könnten wir uns doch mal sehen.«
»Erst einmal komme ich sicherlich nicht. Hier ist sehr viel zu tun, und ich verliere zu viel Zeit mit der Fahrerei. Aber irgendwann, wenn hier alles läuft und ich mich gut eingearbeitet habe, komme ich mal. Ich kann dich ja vorher anrufen.«
»Ich …, du bist so verändert, Flo. Wir haben uns doch immer mehrmals pro Woche getroffen, und jetzt ziehst du einfach um, ohne es mir vorher zu sagen. Du bist mir doch noch böse, oder?«
»Nein, wirklich nicht, Gaby. In meinem Leben hat nur ein neuer Abschnitt begonnen, das ist alles. Du, ich muss Schluss machen. Ich ruf bei Gelegenheit mal wieder an, ja?«
Er hatte aufgelegt, bevor sie sich richtig von ihm verabschieden konnte. Erst später fiel ihr ein, dass er sich mit keinem Wort nach Robert und Philipp erkundigt hatte, so, als interessierte es ihn nicht einmal mehr, ob sie im Hinblick auf die beiden endlich eine Entscheidung getroffen hatte.
Sie fühlte sich allein und verlassen und sehr, sehr unglücklich. Dass sie weinte, merkte sie erst, als die Tränen vor ihr auf den Tisch tropften. Hastig wischte sie sie weg, aber die Tränen flossen weiter. Schließlich legte sie den Kopf auf beide Arme und ließ ihnen freien Lauf.
*
»Morgen kommt Annabelle«, sagte der kleine Fürst. Florian hatte sich ihm und seinem jungen Boxer Togo für den abendlichen Spaziergang durch den Schlosspark angeschlossen. Anna, die Christian und Togo normalerweise begleitete, war noch mit einer Freundin unterwegs.
»Ja, ich weiß«, erwiderte Florian. »Ich bin ihr ja einmal ganz kurz begegnet hier bei euch. Sie machte einen sehr sympathischen Eindruck.«
»Das ist sie auch.« Christian warf ihm einen fragenden Blick zu. »Was ist mit dir los, Flo? Du hast doch Kummer, oder?«
Florian sah ihn überrascht an. »Ich hatte gehofft, dass man mir das nicht anmerkt. Mir geht es hier ja gut, die Arbeit macht mir Spaß, und ich bin gern mit euch zusammen.«
»Aber?«
»Na ja«, erwiderte Florian. Danach sagte er erst einmal nichts mehr. Doch Christian drängte ihn nicht, sondern wartete geduldig ab.
»Ich bin verliebt«, sagte Florian endlich. »Deinem Onkel habe ich das damals gesagt, als er mir das Angebot machte, hier zu arbeiten. Ich habe gezögert, weil ich zu der Zeit die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte.«
Er verstummte und schwieg so lange, bis Christian schließlich leise sagte: »Du bist also unglücklich verliebt.«
»Ja. In eine Frau, die mich als guten Freund ansieht, weshalb ich ihr zum Beispiel Ratschläge in Bezug auf andere Männer geben musste. Das ging so lange gut, wie ich in ihr auch eine gute Freundin gesehen habe. Bis ich eines Tages begriff, dass ich sie liebe. Von da an konnte ich nicht mehr unbefangen mit ihr reden.«
»Natürlich nicht«, erwiderte der kleine Fürst. »Also hast du ihr die Wahrheit gesagt. Und wie hat sie darauf reagiert?«
»Ich wollte ihr die Wahrheit sagen, aber ich bin schon auf halbem Wege gescheitert.«
»Wie geht das denn? Du hast ihr die halbe Wahrheit gesagt?«
»Das war gar nicht nötig. Bevor ich auch nur eine Andeutung machen konnte, hat sie klar gesagt, dass ich als Mann, in den sie sich verlieben könnte, überhaupt nicht infrage komme, eben weil ich ihr Freund bin.«
»Und du bist sicher, dass du das nicht falsch verstanden hast?«
»Oh ja, da bin ich sicher. Irrtum ausgeschlossen.«
»Wie eng ist denn eure Freundschaft?«
»Ach, Chris!«, murmelte Florian. »Wir haben uns mehrmals die Woche gesehen, sie hat mir erzählt, was sich in ihrem Leben ereignet hat, und ich habe ihr zugehört. Wenn sie einen Rat brauchte, habe ich ihr einen gegeben.«
»Und du? Hast du dir bei ihr auch Rat geholt? Hast du ihr auch aus deinem Leben erzählt?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber darauf habe ich auch keinen Wert gelegt. Ich war glücklich, sie ansehen und ihr zuhören zu können.« Florian sah zur Seite und begegnete Christians aufmerksamem Blick. »Ich war lange Zeit in sie verliebt, ohne dass ich das gewusst habe, Chris. Das führt ja manchmal zu einer gewissen Blindheit, so war es dann wohl auch bei mir. Mir ist nicht einmal aufgefallen, wie einseitig unsere Freundschaft war.«
»Heißt das, du bist gar nicht wegen der Arbeit hier, sondern weil du weg wolltest von dieser Frau?«
»Ich wäre nicht hier, wenn mich die Arbeit nicht interessiert hätte. Aber wäre die Sache mit Gabriela anders verlaufen, wäre ich wahrscheinlich nicht gekommen, das muss ich zugeben.«
»Gabriela?«
»So heißt sie. Gabriela von Szanten.«
»Was hat sie denn gesagt, als sie von deinen Plänen gehört hat?«
Florian lächelte verlegen. »Ich habe ihr erst vorhin am Telefon gesagt, dass ich umgezogen bin und meinen alten Job gekündigt habe. Ich wäre sonst vielleicht wieder schwankend geworden, denn natürlich war mir klar, was sie sagen würde.«
Christian blieb stehen. Togo war längst im Wald verschwunden, in den der Schlosspark ganz allmählich überging. Sie hörten ihn gelegentlich bellen, er war in seinem Element und vermisste sie nicht. »Also, wenn meine beste Freundin eines Tages einfach verschwinden würde …« Er schüttelte den Kopf. »Sie muss doch aus allen Wolken gefallen sein.«
»Ja, so hat es sich angehört. Ich habe das Gespräch dann etwas abrupt abgebrochen. Es war nicht angenehm, ich habe mich mies gefühlt. Wäre ich stärker gewesen, hätte ich vorher mit ihr geredet, aber, wie gesagt, ich habe mir selbst nicht über den Weg getraut.«
»Vielleicht merkt sie jetzt, wo du nicht mehr da bist, dass du in Wirklichkeit viel mehr als ein Freund für sie bist.«
Florian stieß ein freudloses Lachen aus. »Sie ist mit zwei anderen Männern beschäftigt, Chris, nicht mit mir.«
»Mit zwei Männern?«
»Oh, sie hält sie auf Abstand, aber sie flirtet mit beiden, weil sie sich nicht entscheiden kann. Das geht schon eine ganze Weile so.«
»Sie ist also sehr attraktiv«, stellte der kleine Fürst fest.
Ein verträumtes, zugleich aber auch schmerzliches Lächeln erschien auf Florians Gesicht. »Sie ist wunderschön, Chris, sehr temperamentvoll, manchmal noch wie ein Kind und dann wieder sehr erwachsen. Es ist diese Mischung, glaube ich, die mich anzieht. Sie ist sieben Jahre jünger als ich, aber immer wenn ich denke, ich müsste sie beschützen, zeigt sie mir, dass sie gut allein für sich sorgen kann. Sie ist widersprüchlich. Manchmal ganz sanft und dann wieder kratzbürstig. Das alles gefällt mir sehr.«
»Egoistisch ist sie aber auch«, sagte Christian. »Sonst hätte sie nicht immer nur über sich selbst gesprochen, wenn sie mit dir zusammen war.«
»Das liegt auch an mir, ich habe sie dazu ermuntert«, erwiderte Florian ehrlich. »Es wäre ungerecht, das allein ihr anzulasten.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Was wohl? Sie vergessen natürlich.«
Der kleine Fürst schüttelte den Kopf. »Das schaffst du nicht. So, wie du über sie redest, Flo …«
»Mach mir keine Angst«, brummte Florian. »Wenn ich über Gabriela nicht hinwegkomme, werde ich meines Lebens nicht mehr froh. Ich muss sie vergessen, das ist meine einzige Chance.«
Christian sah das anders, doch das behielt er für sich. Er rief nach Togo, der ausnahmsweise recht schnell hörte und mit langen Sätzen auf sie zukam. Schweigend kehrten sie zum Schloss zurück. Bevor sie das Hauptportal erreichten, fragte Christian: »Darf ich Anna deine Geschichte erzählen?«
»Ihr habt keine Geheimnisse voreinander, oder?«
»Wenige«, gab Christian zu.
»Natürlich kannst du mit ihr darüber reden. Aber es wäre mir lieb, wenn die Geschichte in der Familie bliebe.«
»Ja, klar. Ich erzähle sie nur Anna.«
»Danke, dass du mir so geduldig zugehört hast, Chris.«
»Wieso geduldig? Ich habe dich ja gefragt. Es hat mich interessiert. Anna und ich haben uns nämlich schon gefragt, warum du so verändert bist.«
»Ihr ist das also auch aufgefallen?«
Christian nickte. Das Hauptportal wurde von innen geöffnet, Eberhard Hagedorn erschien. »Hatten Sie einen schönen Spaziergang?«, fragte er mit seinem zurückhaltenden Lächeln.
»Ja, danke, Herr Hagedorn«, antwortete der kleine Fürst. »Jetzt sind wir hungrig. Nicht, Flo?«
»Und wie«, sagte Florian, obwohl er nicht einmal Appetit verspürte. Wie immer, wenn er intensiv über Gabriela nachdachte, schlug ihm das auf den Magen.
»Frau Falkner wird sich freuen, das zu hören«, erwiderte Eberhard Hagedorn, als er sie eintreten ließ.
Togo war bereits die breite Treppe hinaufgelaufen, die von der Eingangshalle zu den Privaträumen der Familie und den Gästesuiten führte, Florian und der kleine Fürst folgten ihm langsamer. Als Florian vor seiner Tür stand, sagte er: »Ich glaube, es hat mir gutgetan, dir alles zu erzählen.«
Der Junge betrachtete ihn mit ernstem Lächeln. »Danke für dein Vertrauen«, sagte er.
*
»Ich habe keine Blumen mitgebracht«, entschuldigte sich René von Hoydorff, »weil Sie ja morgen verreisen.« Er überreichte Annabelle eine eisgekühlte Flasche Champagner. »Also dachte ich, trinken wir auf unseren Erfolg und Ihre Reise.«
»Gute Idee«, fand Annabelle. »Bitte, kommen Sie herein.«
Sie hatte den Tisch hübsch gedeckt, sah er mit einem Blick, und offenbar war sie mit dem Packen fertig, denn im Flur standen eine Reisetasche und ein Koffer. »Kommen Sie damit aus?«, fragte er, indem er darauf zeigte. »Frauen brauchen doch angeblich immer so viel Gepäck, wenn sie verreisen.«
»Ich nicht«, erklärte sie vergnügt. »Im Gegenteil, ich hasse es, beladen wie ein Packesel unterwegs zu sein.«
Sie ging zu einer alten Vitrine und entnahm ihr zwei langstielige Gläser. »Die Flasche öffnen Sie bitte«, sagte sie, »ich muss noch mal kurz in die Küche.«
Als sie verschwunden war, sah er sich erst einmal um. Der Raum kam ihm verändert vor, dabei stand alles noch so da wie an diesem Vormittag, wenn er sich richtig erinnerte. Vielleicht lag es also nur an seiner anderen Stimmung, dass er das gemütliche Sofa, die zierlichen Sessel, das Bücherregal und die farbenfrohen Bilder an den Wänden anders wahrnahm.
»Sie stehen ja immer noch mit der geschlossenen Flasche da herum!«, rief Annabelle, die soeben mit einem Teller, auf dem kleine Törtchen lagen, aus der Küche zurückkam.
Er wies auf den Teller. »Ich dachte, es gäbe Steaks und Salat«, sagte er. »Und was ist das?«
»Gemüsequiches«, antwortete sie. »Die sind schnell gemacht, und ich hatte plötzlich Lust darauf. Außerdem war ich mit dem Packen schneller fertig als gedacht.« Sie stellte den Teller ab und nahm ihm energisch die Flasche aus der Hand. »Wenn ich auf Sie warte, stehen wir morgen früh noch hier herum und haben nichts zu trinken.«
Mit wenigen Griffen hatte sie die Flasche geöffnet und füllte die Gläser.
»Danke für die Einladung«, sagte er.
»Danke für den Champagner«, erwiderte sie. »Wenn wir die Flasche austrinken, muss ich danach auf Wein verzichten. So viel vertrage ich nicht.«
»Wir können uns ja Zeit lassen«, schlug er vor. »Und wenn wir diese lecker aussehenden Törtchen dazu essen, bleiben wir bestimmt nüchtern.«
Sie ließen es sich schmecken, während sie den Champagner tranken, und dabei kamen sie ganz unangestrengt ins Gespräch. René wusste spannende Geschichten aus seinem Arbeitsleben zu erzählen, Annabelle hielt mit Geschichten aus ihren Schulpraktika dagegen. Sie war ja gerade erst fertig geworden mit dem Studium, der Alltag an einer Schule stand ihr noch bevor, aber sie freute sich darauf.
Die Steaks aßen sie erst viel später, und noch immer ging ihnen der Gesprächsstoff nicht aus.
»Sehen wir uns wieder, wenn Sie aus Sternberg zurück sind?«, fragte René, als sie nach dem Essen gemeinsam den Tisch abräumten.
»Das hoffe ich doch«, antwortete Annabelle mit einem Lächeln.
Es war dieses Lächeln, das ihn ermutigte, sie an sich zu ziehen und ihr den ersten Kuss zu geben.
»Bist du immer so schnell?«, fragte sie danach.
»Dieses war das erste Mal«, antwortete er, bevor er sie erneut küsste.
»Aber ich werfe dich jetzt trotzdem hinaus«, sagte sie eine Viertelstunde später, in der jeder Kuss länger und leidenschaftlicher geworden war als der vorige. »Bei mir geht das nämlich normalerweise auch nicht so schnell.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Wirst du mich auch nicht vergessen, während du weg bist?«
Sie lachte leise. »Mal sehen. Vielleicht läuft mir in Sternberg ja ein super attraktiver Typ über den Weg, dem ich nicht widerstehen kann.«
»Dann soll er sich vor mir in Acht nehmen!«, sagte René und zog sie wieder in seine Arme.
Es dauerte dann doch noch ziemlich lange, bis er sich tatsächlich verabschiedete. Danach trödelte Annabelle noch herum, denn müde war sie überhaupt nicht, im Gegenteil. Ins Bett ging sie trotzdem, aber sie ließ ihre Nachttischlampe an, lag nur da und sah lächelnd an die Zimmerdecke.
Sie hatte sich in einen Kommissar verliebt, ausgerechnet.
*
»Wie – er ist weg?«, fragte Annina verständnislos.
Gabriela schluckte. Zwei Tage waren seit jenem Telefongespräch mit Florian vergangen, aber es war ihr unmöglich gewesen, Annina davon zu erzählen. Schließlich wollte sie nicht gleich in Tränen ausbrechen, was sie seitdem sehr häufig getan hatte.
»Er hat seinen Job gekündigt und ist nach Sternberg gezogen, wo er jetzt im Schloss-Gestüt arbeitet«, antwortete sie.
Annina ließ sich wie in Zeitlupe auf einen Stuhl sinken. »Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Gaby. Flo verschwindet doch nicht einfach, ohne das vorher genauestens mit dir zu besprechen.«
»Vor dem Gespräch hätte ich das auch so gesehen. Aber er ist weg, glaub mir. Seine Wohnung hat er untervermietet, ich bin da gewesen und habe mich vergewissert, dass er mich nicht irgendwie veralbert hat.«
»Aber warum?«, fragte Annina. »Und so plötzlich? Ich dachte immer, er ist mit seinem Job glücklich.«
»Das dachte ich auch, jetzt weiß ich es besser.« Gabriela drängte mühsam die aufsteigenden Tränen zurück. »Du hattest ganz Recht neulich: Er war mein Freund, aber ich war nicht seine Freundin. Mir ist das jetzt erst klar geworden, Annina, dass ich eigentlich überhaupt nichts von ihm weiß. Er hat immer mir zugehört, nicht ich ihm. Und jetzt ist er weg. Er meinte, in der nächsten Zeit würde er wohl kaum herkommen, er hätte sehr viel zu tun.«
»Komisch ist das aber doch«, murmelte Annina. »Ich meine, ihr habt euch so oft gesehen, und da zieht er um, ohne dir vorher etwas zu sagen? Bist du sicher, dass das nichts mit dir zu tun hat?«
»Wieso denn mit mir?«, fragte Gabriela.
»Was weiß ich. Wenn sich ein Mensch so merkwürdig verhält, hat er in der Regel ja einen Grund. Über einen neuen Job oder den Wunsch nach Veränderung kann man doch reden, das muss man ja nicht verschweigen.«
»Er fehlt mir«, sagte Gabriela kläglich. »Nicht erst jetzt, wo er weg ist. Er hat sich ja vorher schon rar gemacht und hatte plötzlich überhaupt keine Zeit mehr für mich. Manchmal habe ich gedacht, er weicht mir aus, er will mich nicht sehen. Vielleicht bin ich ihm auch auf die Nerven gegangen, so wie dir …«
»Übertreib nicht«, entgegnete Annina. »Ich habe dir nur gesagt, dass du aufhören sollst, ständig um dich selbst zu kreisen, und es hat ja genützt, Gaby. Die meisten Menschen machen mal so eine Phase durch, das ist doch nichts, was man jemandem für immer und ewig vorwirft.«
Sie unterbrach sich. »Was ist jetzt eigentlich mit Robert und Philipp? Siehst du, ich bin nicht einmal mehr auf dem Laufenden, weil du mir vor lauter Angst, egoistisch zu sein, gar nichts mehr erzählst.«
»Ich muss mit ihnen reden. Eigentlich wollte ich das längst hinter mir haben, aber ich schiebe es immer noch vor mir her.« Gabriela sah ihre Freundin unglücklich an. »Feige bin ich nämlich auch noch.«
»Ich kann mich nur wiederholen: Übertreib nicht. Was willst du ihnen denn sagen?«
»Ich bin in keinen von beiden verliebt«, gestand Gabriela. »Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe, sie so lange hinzuhalten. Im Grunde wusste ich das wohl schon länger. Ich glaube, es hat mir einfach geschmeichelt, dass sich zwei Männer so stark um mich bemüht haben.« Nachdenklich setzte sie nach einer Weile hinzu: »Und es hat mir auch gefallen, Flo davon zu erzählen. Das war natürlich kindisch und egoistisch, Annina. Ich wollte angeben, glaube ich.«
»Kenne ich«, bemerkte Annina verständnisvoll. »Man hat manchmal solche kindischen Phasen. Weißt du was? Wenn Flo dich nicht anruft, dann rufst du eben ihn an. Sag ihm erstens, dass er dir fehlt und zweitens, dass du sein Verhalten unmöglich findest. So behandelt man gute Freunde nicht, man redet mit ihnen, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen.«
»Das kann ich ihm nicht sagen.«
»Natürlich kannst du das. Und ich finde, du solltest es auch tun.«
Als Annina gegangen war, dachte Gabriela noch lange über den Rat ihrer Freundin nach. Doch wie sie es auch drehte und wendete, sie kam immer zum selben Ergebnis: Sie würde es nicht fertigbringen, Florian anzurufen und ihm zu gestehen, wie sehr er ihr fehlte.
*
»Wir könnten meine Mama unauffällig nach ihr ausfragen«, schlug Anna vor. »Sie kennt Gabriela von Szanten.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte der kleine Fürst. Er hatte Anna ausführlich von seinem Gespräch mit Florian Bericht erstattet. »Ich glaube, ich bin ihr auch schon mal begegnet. Wenn sie so egoistisch ist, wie ich sie im Moment einschätze, Anna, dann kann man Flo eigentlich nur wünschen, dass er sie so bald wie möglich vergisst. Was er von ihr erzählt hat, fand ich jedenfalls nicht so nett.«
»Mama hat aber von ihr geschwärmt«, entgegnete Anna mit gerunzelter Stirn. »Daran erinnere ich mich genau, sie haben bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung zusammengearbeitet.«
»Geschwärmt?«
»Jedenfalls hat es sich für mich so angehört. Komm, wir fragen sie.«
Sie fanden Baronin Sofia in ihrem Privatgarten hinter dem Schloss. Er lag unterhalb der Terrasse, hier durfte nur sie arbeiten, die Gärtner hatten hier keinen Zutritt. Sie hatte sich auf seltene Pflanzen spezialisiert und erstaunliche Ergebnisse erzielt. In einem Gewächshaus züchtete sie sogar einige davon. Wenn man ihr eine Freude machen wollte, musste man ihr nur Samen einer Pflanze mitbringen, die sie nicht kannte.
»Gabriela von Szanten?«, fragte sie verwundert, während sie sich ihre Hände an der Gartenschürze abrieb. »Wie kommt ihr denn jetzt auf sie?«
Christian zögerte kurz, bevor er wahrheitsgemäß antwortete: »Florian ist in sie verliebt. Unglücklich.«
»Ach«, sagte Sofia. »Dass er verliebt ist, wusste ich, aber nicht, in wen. Sie ist eine sehr charmante, überaus temperamentvolle und sehr attraktive junge Frau, die garantiert mehr Verehrer hat, als sie zählen kann.«
»Sie ist wirklich nett?«, vergewisserte sich Christian.
»Aber ja, sehr sogar.«
»Nicht irgendwie egoistisch oder so?«
»Egoistisch? Wie kommst du denn auf die Idee, Chris?«, rief die Baronin verwundert. »Sie hat uns bei dieser Veranstaltung, auf der ich sie kennen gelernt habe, viel länger geholfen als vorgesehen, und sie war wirklich rührend mit den Leuten, für die die Veranstaltung gedacht war.« Sie unterbrach sich. »Hat Florian gesagt, sie sei egoistisch?«
»Nee, so direkt nicht. Aber was er von ihr erzählt hat, klang nicht besonders nett, fand ich.«
»Nämlich?« Allmählich war Sofia neugierig geworden.
»Sie hat ihm immer ihr Leid geklagt, aber nie gefragt, wie es ihm geht. So habe ich das jedenfalls verstanden. Sie waren befreundet, bis er gemerkt hat, dass es bei ihm mehr ist als Freundschaft.«
Die Baronin stützte beide Arme in die Seiten und betrachtete die beiden Teenager mit kritischem Blick. »Ich will euch mal was sagen: Mischt euch da nicht wieder ein. Mir ist schon klar, dass ihr nichts lieber tätet, aber in diesem Fall hielte ich es für klüger, wenn ihr euch heraushieltet. Florian ist auf Sternberg unentbehrlich geworden, wir sind froh, dass er hier arbeitet. Verstanden?«
»Aber, Mama«, sagte Anna vorwurfsvoll, »du willst doch wohl nicht, dass er nur deshalb bei uns bleibt, weil er unglücklich ist, oder?«
»Das habe ich nicht gesagt und auch nicht gemeint«, erwiderte die Baronin. »Ich möchte nur, dass ihr ihn in Ruhe lasst, jetzt, wo er sich emotional wieder ein wenig stabilisiert hat. Also, noch einmal: Verstanden?«
»Ja, Mama«, murmelte Anna.
Christian schloss sich ihr an. »Ja, Tante Sofia.«
Die Baronin sah ihnen lächelnd nach, wie sie mit gesenkten Köpfen den Garten wieder verließen. Natürlich würden sie die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen, sie kannte die beiden doch. Aber man musste sie ja nicht unbedingt auch noch ermutigen, ihre Nasen in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken.
*
»Ich bin froh, dass du nach Sternberg gekommen bist«, sagte Florian, der einige Tage später mit Annabelle in die Kreisstadt gefahren war. Er hatte angeboten, Baron Friedrich einige Erledigungen abzunehmen und war erfreut über Annabelles Frage gewesen, ob sie mitfahren könne. »Ich kenne die Stadt nicht, ich würde mich da gerne mal umsehen«, hatte sie gesagt.
»Aber über Langeweile hast du doch auch vor meiner Ankunft nicht zu klagen gehabt, oder?«, fragte sie lächelnd.
»Nein, überhaupt nicht. Arbeit gibt es auf Sternberg wirklich mehr als genug. Aber seit du da bist, geht es lockerer zu.« Er stockte einen Moment, bevor er hinzusetzte: »Mir geht es nicht besonders gut, deshalb bin ich zurzeit nicht gerade ein glänzender Unterhalter.«
»Ja, so etwas kommt vor«, erwiderte sie ruhig. »Ich hatte im letzten Jahr so eine Zeit, wo ich plötzlich dachte, ich mache alles falsch: Ich finde keinen Mann, der mit mir zusammen eine Familie gründen will, und ich habe auch noch den falschen Beruf gewählt, in Wirklichkeit bin ich als Lehrerin ganz ungeeignet. Aber das ist zum Glück vorbeigegangen.«
»Hast du den Mann in der Zwischenzeit gefunden?«
»Vielleicht. Das ist noch zu neu, um es schon beurteilen zu können. Aber an meinem Beruf zweifele ich nicht mehr, und im Augenblick werfe ich mir auch nicht vor, alles falsch zu machen.«
»Mit anderen Worten, es geht dir richtig gut.«
Sie lachte. »Ja, so kann man das sagen, glaube ich. Und irgendwann wird das bei dir auch wieder so sein, Flo.«
»Sieht im Augenblick nicht danach aus, leider. Ich muss da vorne in das Gebäude, für diese Bescheinigung, die Fritz braucht. Bleibst du in der Nähe? Ich rufe dich an, wenn ich fertig bin.«
»In Ordnung, ja.«
Ihre Wege trennten sich also. Florian brauchte länger als erwartet, um die Bescheinigung zu bekommen, und so meldete er sich erst eine Stunde später wieder bei Annabelle.
»Ich dachte schon, du bist irgendwie verloren gegangen«, rief sie. »Wo steckst du? Ich bin nämlich hier in einem sehr hübschen Café. Wenn du Lust auf einen Kaffee hast, komm her. Oder haben wir es eilig? Dann zahle ich und komme zum Auto.«
»Für einen Kaffee reicht die Zeit noch«, entschied Florian.
Es war wirklich ein hübsches Café, das er gleich darauf betrat, und er merkte, wie gut es ihm tat, mit Annabelle zusammen zu sein. Sie bedrängte ihn nicht mit Fragen, sie ruhte in sich und war von einer heiteren Gelassenheit, die sich zumindest teilweise auf ihn übertrug.
Als sie das Café wieder verließen, legte er kurz einen Arm um ihre Schultern. »Du hast mich aufgeheitert, Annabelle, und dafür danke ich dir.«
Sie wandte sich ihm zu und lächelte ihn strahlend an. »Das freut mich wirklich, Flo.«
Der Fotograf, der sich auf der anderen Straßenseite postiert hatte, drückte gleich mehrmals auf den Auslöser, um diesen Moment innigen Einverständnisses so gut wie möglich einzufangen. Bilder von Schlossgästen wurden von Magazinen, die hauptsächlich über Prominente berichteten, gern genommen. Und Florian von Damm war immerhin ein bekannter Pferdetrainer, der schon einige Erfolge aufzuweisen hatte. Über die schöne Blondine an seiner Seite musste er noch ein paar Erkundigungen einziehen, aber das dürfte kein Problem sein.
Die Fotos waren schon so gut wie verkauft.
*
»Eine Menge Arbeit für dich«, sagte der Kollege, der Gabriela einen Karton mit neuen Hörbüchern brachte. »Ist auch der neueste Krimi von diesem Dänen dabei …«
»Und den soll ich dir am liebsten jetzt gleich ausleihen?«, fragte Gabriela, die sich zu jedem Lächeln und jeder lockeren Unterhaltung zwingen musste. Sie wurde aus sich selbst nicht mehr klug. Wieso machte ihr Florians Vertrauensbruch – denn als solchen empfand sie seinen plötzlichen Rückzug – so viel aus? Sie hatte seit jenem Telefongespräch nichts mehr von ihm gehört und ihn auch nicht angerufen. Fünf Tage waren seitdem vergangen. Fünf Tage, in denen sie sich jeden Tag ein bisschen trauriger und verlassener gefühlt hatte.
»Am liebsten, ja«, antwortete der Kollege. »Tu, was du kannst, ja?«
Sie hatte Mühe, sich zu erinnern, worüber sie zuvor mit ihm gesprochen hatte. Dann fiel es ihr wieder ein. »Ja, natürlich, das mache ich.«
Sie war noch damit beschäftigt, die Lieferung auszupacken und zu sichten, als eine Kollegin mit einer Illustrierten in der Hand zu ihr kam. »Du bist doch mit Florian von Damm befreundet, Gaby, oder?«
»Ja«, antwortete Gabriela. Beinahe hätte sie hinzugefügt: ›Ich war es zumindest, aber er ist ganz plötzlich aus meinem Leben verschwunden, und ich weiß nicht, warum.‹ Sie konnte diese Worte gerade noch zurückhalten.
»Dann interessiert dich das hier sicher, sieh mal.« Die Kollegin tippte auf ein gestochen scharfes Foto, das Florian mit einer ihr unbekannten Blondine zeigte. Er hatte der Frau einen Arm um die Schultern gelegt, sie sah zu ihm auf, mit dem strahlenden Lächeln einer Verliebten.
»Kennst du die Frau?«, fragte die Kollegin.
»Nie gesehen«, antwortete Gabriela. »Er muss sie gerade erst kennen gelernt haben.« Es fiel ihr sehr schwer, die Kontrolle über ihre Stimme zu behalten, aber irgendwie gelang es ihr.
»Ich lass dir die Zeitschrift hier, weiter hinten sind noch mehr Fotos von den beiden.«
Als die Kollegin gegangen war, suchte Gabriela hastig nach den anderen Fotos. Diese waren nicht weniger eindeutig. Im Begleittext stand, dass Annabelle von Ehrenstein und der bekannte Pferdetrainer Florian von Damm seit einiger Zeit gemeinsam auf Schloss Sternberg weilten.
Gabriela schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. War diese Frau der wahre Grund für seinen plötzlichen Umzug? Aber wenn es sich so verhielt, warum hatte er ihr dann nichts davon erzählt? Sie konnte den Blick nicht von den Bildern lösen. Warum schmerzte das, was sie darauf sah, so heftig? Florian war ihr Freund, ihr Vertrauter, sie hatte über alles mit ihm reden können. Warum tat es ihr dann so weh, ihn zusammen mit einer anderen Frau zu sehen, in die er sich offenbar verliebt hatte?
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die Bilder verschwammen vor ihrem Blick. Die Erkenntnis, dass Florian der Mann war, den sie liebte, traf sie wie ein Faustschlag in den Magen.
*
René von Hoydorff hätte die Fotos von Annabelle und Florian von Damm normalerweise sicher nicht zu Gesicht bekommen, denn Magazine mit solchen Fotos gehörten nicht zu seiner üblichen Lektüre. Aber er war an diesem Abend bei einem Kollegen und dessen Frau zum Essen eingeladen, und dort lag die Zeitschrift auf einem kleinen Tischchen neben dem Sofa. Sie tranken noch einen Espresso zum Abschluss, als sein Blick auf das Titelbild fiel. Unten auf dem Titel war ein kleines Foto von Annabelle mit einem Mann zu sehen, den er nicht kannte. Darunter stand: ›Neue Liebe für bekannten Trainer?‹
Er musste an sich halten, um nicht nach der Zeitschrift zu greifen, aber er wollte keinerlei Aufmerksamkeit erregen. Also blieb er ruhig, verabschiedete sich wenig später und fuhr dann direkt zum Bahnhof, wo der Kiosk noch geöffnet hatte. Er kaufte die Illustrierte und blätterte sie gleich vor Ort durch. Es dauerte nicht lange, bis er gefunden hatte, was er suchte: ›Florian Damm, attraktiver Junggeselle, begabter Trainer von Super-Rennpferden und offenbar ein Mann mit Geschmack, wurde mit einer schönen Blondine beim vertrauten Tête-à-Tête gesichtet. Es handelt sich um Annabelle von Ehrenstein, so viel immerhin konnten wir in Erfahrung bringen. Gibt Florian von Damm sein Single-Dasein endlich auf? Wir sind gespannt und bleiben dran.‹
Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Einerseits war ihm natürlich klar, dass man nicht alles für bare Münze nehmen durfte, was in den bunten Blättern geschrieben stand. Andererseits sprachen die abgedruckten Fotos eine ziemlich deutliche Sprache. Sicherlich, auch da konnte manipuliert worden sein, aber der Arm auf Annabelles Schultern wirkte echt und nicht wie eine Fotomontage. Und ihr Lächeln erst …
René kannte sich mit Fotos aus, er war Hobbyfotograf und hatte schon viele seiner Bilder am Computer nachbearbeitet. Er wusste also, dass man Bildern nicht unbedingt trauen durfte. Aber dieses Lächeln, das Annabelle dem Pferdetrainer schenkte, kannte er. So hatte sie ihn an jenem unvergesslichen Abend in ihrer Wohnung mehrmals angelächelt, und jedes Mal hatte er sich gefühlt, als wäre er dem siebten Himmel wieder ein Stück nähergekommen. Und jetzt musste er feststellen, dass sie ihr Lächeln auch noch anderen Männern schenkte. Oder zumindest einem anderen Mann.
Er steckte die Illustrierte ein und fuhr nach Hause. Am liebsten hätte er Annabelle umgehend angerufen. Sie hatten bereits einige Male miteinander telefoniert, und er hatte keinen Anlass gesehen, zu bezweifeln, dass sie ähnlich fühlte wie er. Aber er kannte sich: Wenn er zornig war, konnte er sehr verletzend werden, und das wollte er nicht. Er war Polizist, er hatte gelernt, dass man dem Augenschein nicht trauen durfte, weil die Dinge nicht selten ganz anders waren, als sie zunächst schienen. Er würde also eine Nacht darüber schlafen und Annabelle erst am nächsten Tag anrufen, wenn er hoffentlich ruhig genug war, um ihr ein paar Fragen zu den Fotos zu stellen.
Das war jedoch leichter gesagt als getan. Er tigerte unruhig durch seine Wohnung, unfähig, an etwas anderes zu denken als an die Fotos in der Illustrierten. War es tatsächlich möglich, dass Annabelle ihm etwas vorgespielt hatte? Er konnte das nicht glauben. Doch dann sah er wieder ihr Lächeln, das einem Mann galt, den er nicht kannte, und es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass dieses Lächeln einen anderen Grund hatte als heftige Verliebtheit.
Mehrmals hatte er das Telefon in der Hand, nur um es dann doch wieder wegzulegen. Nein, er würde sich dazu zwingen, bis zum nächsten Tag zu warten.
Er kannte sich, es war besser so.
*
Auch im Schloss wusste man mittlerweile von den Fotos. Florian waren sie gleichgültig, Annabelle aber erschrak, als sie sie sah. Zwar hielt sie es für unwahrscheinlich, dass René sie zu Gesicht bekam, aber manchmal passierten ja auch unwahrscheinliche Dinge. Und dass man sie missverstehen konnte, stand außer Zweifel, zumal mit dem Text, den sich die Redaktion dazu ausgedacht hatte. Ja, man konnte ihr Lächeln ohne weiteres als Lächeln einer verliebten Frau ansehen, und Florians Arm auf ihrer Schulter schien ein weiterer Beweis für ihre ›innige Verbundenheit‹ zu sein.
Sie dachte ziemlich lange darüber nach, dann griff sie zum Telefon. Solche Dinge schaffte man ihrer Erfahrung nach am besten sofort aus der Welt, sonst verfestigten sie sich nur, und daran konnte sie kein Interesse haben. Es war schon relativ spät, aber René ging nie früh zu Bett, so viel wusste sie bereits über ihn.
»Hallo«, sagte sie, nachdem er sich gemeldet hatte. »Ich hoffe, du schläfst noch nicht.«
»Nein, tue ich nicht«, antwortete er, und im selben Moment wusste sie, dass er die Fotos kannte. Das Unwahrscheinliche war also eingetreten, sie konnte es seiner Stimme anhören.
»Du hast die Fotos gesehen«, sagte sie.
Ein überraschtes Schweigen antwortete ihr, bevor er: »Ja«, sagte. Dieses eine Wort, nicht mehr.
»Ich hoffe, du hast weder den Fotos noch dem Text geglaubt?«, fragte sie.
»Ich bin mir nicht sicher, was ich glauben soll.« Seine Stimme klang ein wenig gepresst, so, als müsste er sich große Mühe geben, seine wahren Gefühle zurückzuhalten.
»Hör zu, René«, sagte Annabelle mit ruhiger Stimme, »wir kennen uns noch nicht lange, und ich verstehe, dass man beim Anblick dieser Fotos auf bestimmte Gedanken kommen kann. Aber an der Geschichte ist buchstäblich nichts dran. Gar nichts. Florian geht es nicht besonders gut. Ich weiß nicht genau, was er hat, aber ich vermute, dass er unter Liebeskummer leidet. Wir waren heute zusammen in der Stadt, haben das Thema ›Unglück‹ bei einem Kaffee kurz besprochen, und hinterher hat er mir gesagt, dass er sich besser fühlt. Das war vermutlich der Moment, in dem der Fotograf abgedrückt hat. Zwei Sekunden Lächeln, zwei Sekunden sein Arm auf meiner Schulter. Ende der Geschichte.«
Sie hörte René atmen. Es kam ihr noch immer so vor, als hätte er Mühe, sich zurückzuhalten. »Glaubst du mir nicht?«, fragte sie. »Komisch, ich habe diese Fotos gesehen und sofort gewusst, dass sie Ärger machen können. Mit dem Text zusammen scheint alles ganz eindeutig zu sein.«
René räusperte sich. »Mich hat der Schlag getroffen, als ich sie gesehen habe«, bekannte er.
»Ich kann es mir vorstellen. Eigentlich hatte ich angenommen, dass du solche Magazine überhaupt nicht liest.«
»Tue ich ja auch nicht. Aber ich war heute bei einem Kollegen und seiner Frau zum Essen, und da lag dieses Blatt auf einem Tisch.«
»Armer René«, sagte Annabelle. »Dann war es also gut, dass ich gleich angerufen habe.«
»Vermutlich hast du mir eine schlaflose Nacht erspart.«
»Wieso hast du nicht angerufen und mich nach den Fotos gefragt?«
»Ich fürchte, ich wäre nicht ruhig geblieben«, gestand er. »Ich kann ziemlich ausfallend werden, wenn ich wütend bin.«
Sie lachte leise. »Jetzt hältst du dich aber mustergültig. Kein Groll mehr? Kein Zweifel?«
»Ich bin zwar eifersüchtig, aber kein Idiot«, brummte er. »Obwohl der Kerl, dieser Trainer, verdammt gut aussieht.«
»Und nett ist er auch, sehr sogar. Aber zufällig ist mein Herz bereits vergeben und seins auch, vermute ich.«
»Da bin ich aber froh. Annabelle?«
»Ja?«
»Ich vermisse dich.«
»Ich dich auch, stell dir vor. Es dauert ja nicht mehr lange, bis wir uns wiedersehen.«
»Nicht mehr lange, sagst du? Du willst doch noch eine ganze Woche wegbleiben.«
»Was ist schon eine Woche im Vergleich zu der Zeit, die vor uns liegt?«
»Du bist ein verrücktes Huhn. Und in Zukunft könntest du ruhig etwas weniger strahlen, wenn du einen anderen Mann anlächelst.«
»Ich werde darüber nachdenken«, versprach sie.
Als sie sich voneinander verabschiedet hatten, ging sie zum Fenster und sah hinaus in den vom Mond beschienenen Schlosspark. Eine schmale Gestalt kehrte gerade zum Schloss zurück, begleitet von einem Hund. Christian und Togo waren also so spät noch auf dem Hügel gewesen.
Und René hatte seine Eifersucht zugegeben …
*
»Aber wieso?«, fragte Philipp mit blassem Gesicht. »Und warum ausgerechnet jetzt?«
»Ich habe mich geirrt«, erwiderte Gabriela. »Es tut mir echt leid, Philipp, aber mir ist in letzter Zeit einiges klar geworden. Jedenfalls liebe ich dich nicht. Und Robert auch nicht.«
»Hast du schon mit ihm gesprochen?«
»Ja, wir waren gestern verabredet, da habe ich es ihm gesagt.«
Philipp zwang sich zu einem Lächeln. »Es klingt vielleicht komisch, aber es ist leichter zu ertragen, wenn du uns beiden den Laufpass gibst. Übrigens haben wir uns so etwas schon gedacht, du bist seit einiger Zeit ganz verändert.«
»Ja, ich weiß, das hat Robert auch gesagt.« Auch sie bemühte sich jetzt um ein Lächeln, das ihr freilich misslang. »Vielleicht bin ich endlich erwachsen geworden.«
»Erwachsen«, wiederholte Philipp. »Das klingt irgendwie so ernst. So, als wäre der Spaß jetzt vorbei. Und wir hatten doch eine Menge Spaß miteinander, oder?«
»Doch, ja, den hatten wir«, stimmte sie ihm zu.
»Und was nun?«, fragte er hilflos. »Sehen wir uns jetzt überhaupt nicht mehr oder wie hast du dir das vorgestellt? Ich meine, wir sind so lange zusammen ausgegangen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dich von jetzt an nicht mehr zu sehen.«
»Es wird aber wohl so sein«, stellte sie fest, ohne näher zu erklären, was sie damit meinte.
Vorsichtig umarmte er sie. »Du wirst mir fehlen, Gaby. Bist du wirklich ganz sicher? Ich meine, wir sind doch ein super Team, und …«
Sie legte ihm eine Hand auf den Mund. »Nicht, bitte. Mach es mir nicht noch schwerer. Ich habe sowieso schon so viel falsch gemacht, aber diese Trennung ist richtig, das weiß ich ganz genau. Also lassen wir es doch dabei, ja?«
»Wenn du meinst«, murmelte er.
Sie küsste ihn zum Abschied auf beide Wangen, dann ging sie. Er sah ihr traurig nach. Wenn Gabriela erwachsen wurde, mussten sie es wohl auch werden, Robert und er. Irgendwie behagte ihm dieser Gedanke nicht. Lieber hätte er Robert noch länger als Rivalen akzeptiert, als plötzlich ganz allein dazustehen – ohne die Frau, in die er verliebt war und ohne den Mann, der ihm diese Frau streitig machte.
Er würde sein ganzes Leben neu ordnen müssen, und er ahnte bereits, dass das eine mühselige Angelegenheit werden konnte.
*
»Astreine Fotos«, sagte Anna, als sie ihrer Mutter über die Schulter sah. »Wenn ich in Flo oder in Annabelle verliebt wäre, würden mich solche Bilder total eifersüchtig machen. Sie sehen aus wie ein Liebespaar, oder?«
Sofia sah ihre Tochter fragend an. »Was willst du mir damit sagen, Anna?«
»Du hast ja gesagt, wir sollen uns da raushalten, Mama, aber Flo ist wirklich sehr unglücklich, das hast du doch auch schon gemerkt, oder?«
»Ja, allerdings«, gab die Baronin zu.
»Und du hast gesagt, dass Gabriela von Szanten nett ist, auch wenn sie sich Flo gegenüber egoistisch verhalten hat. Also könnte man die Fotos vielleicht benutzen, um zu sehen, ob sie sich nicht vielleicht doch etwas aus Florian macht.«
Nach diesen Worten war es einen Moment lang still. »Bevor du weitersprichst«, sagte die Baronin dann, »möchte ich dir etwas mitteilen. Gabriela wird uns besuchen.«
Anna sah ihre Mutter fassungslos an. »Sie kommt hierher?«
»Ja. Wir planen eine weitere Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der sie mithelfen möchte, und sie hat hier in der Gegend sowieso etwas zu erledigen. Ich habe sie also eingeladen zu uns, und wenn es etwas gibt, das sie und Florian zu klären haben, dann können sie das ja bei der Gelegenheit tun.«
»Das ist ja ein Ding!« Anna war überwältigt.
Sofia lächelte ihrer Tochter zu. »Du siehst, zur Abwechslung habe ich einmal eure Rolle übernommen und mich eingemischt, obwohl ich nicht sicher bin, ob das Ergebnis gut sein wird für uns. Denn, wie neulich schon gesagt: Wir brauchen Florian hier. Und sollte sich das Blatt für ihn wenden, wird er nicht länger bleiben wollen, fürchte ich.«
»Kann ich mit Chris und vielleicht auch mit Konny und Annabelle darüber reden?«, stieß Anna hervor.
»Deshalb habe ich es dir erzählt«, erklärte die Baronin lächelnd.
Schneller hatte man Anna lange nicht das Schloss verlassen sehen. Sie wusste, dass Christian mit Togo unterwegs war. Florian arbeitete auf der Übungsbahn, Annabelle und Konrad waren gemeinsam ausgeritten.
Zuerst machte sie sich auf die Suche nach Christian, von dessen Reaktion auf ihre sensationelle Neuigkeit sie jedoch enttäuscht war. »Das ist gut, dann lernen wir sie auch kennen«, war alles, was er dazu sagte.
»Darum geht es doch überhaupt nicht, Chris!«, rief Anna. »Ich habe mir überlegt, dass sie bestimmt nicht wegen der Wohltätigkeitsveranstaltung kommt, sondern einzig und allein wegen Flo. Sie hat die Fotos gesehen und ist eifersüchtig, weil sie nämlich endlich erkannt hat, dass sie ihn liebt.«
Christian blieb stehen. Togo nutzte die Gelegenheit, sich eilig wieder aus dem Staub zu machen und interessanten Spuren nachzujagen. »Das ist reine Theorie, Anna. Sie kann ganz falsch sein.«
»Ja, aber sie kann auch richtig sein! Und wenn sie richtig ist, dann müssen wir sie noch ein bisschen eifersüchtiger machen, damit alles ganz deutlich herauskommt.«
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Annabelle und Flo müssen so tun, als wären sie wirklich gerade dabei, sich ineinander zu verlieben.« Annas Stimme klang ungeduldig, weil Christian so lange brauchte, bis er verstand, was sie sagen wollte.
»Aber wozu? Entweder ist sie schon eifersüchtig – oder deine Theorie ist falsch, dann nützt ein bisschen Theaterspiel auch nichts.«
»Meine Theorie ist nicht falsch!« Anna sah ihren Cousin mürrisch an. »Sie kommt garantiert nur her, um zu sehen, ob an dem, was auf den Fotos zu sehen ist, etwas dran ist. Und wenn sie die beiden dann in trautem Einverständnis sieht, kommt viel schneller heraus, was sie fühlt. Wir müssen sie aus der Reserve locken.«
»Das kann schief gehen, Anna«, warnte Christian. »Außerdem glaube ich nicht, dass Flo mitspielt. Guck ihn dir doch an, wenn er nicht arbeitet. Er ist traurig und mit den Gedanken ganz woanders. Wenn man in einer solchen Stimmung ist, spielt man keine Komödie.«
»Annabelle wird ihn schon überreden«, sagte Anna hitzig. »Ich habe nämlich Recht!«
Er betrachtete sie, wie sie mit zornigem Blick und rotem Kopf vor ihm stand, und wieder einmal siegte die Liebe zu seiner Cousine über all seine Bedenken. Es war ihm schon immer schwergefallen, Anna einen Wunsch abzuschlagen. Außerdem musste er zugeben, dass sie mit ihren Vermutungen tatsächlich sehr oft richtig lag. Und hatten sie nicht schon etlichen Liebespaaren geholfen, denen Missverständnisse oder widrige Umstände den Weg zueinander schwer gemacht hatten?
»Es kann sein, dass du Recht hast, aber vielleicht irrst du dich auch«, sagte er ruhig. »Aber ich helfe dir trotzdem, Florian und Annabelle zu überreden. Und dann müssen wir noch deine Eltern und Konny einweihen, wenn nämlich nicht alle mitspielen, funktioniert es nicht.«
Anna atmete auf. »Ich dachte schon, ich müsste das dieses Mal allein durchziehen«, sagte sie.
Christian lächelte. »Das wäre dann aber das erste Mal«, stellte er fest. »Guck mal, da kommen Konny und Annabelle.«
Sie liefen den beiden entgegen, halfen ihnen, die Pferde abzusatteln und lotsten sie dann von den Stallungen weg in den Schlosspark.
»Was habt ihr eigentlich?«, fragte Konrad misstrauisch. »Wollt ihr was von uns?«
»Ja«, antwortete Anna.
Das Reden überließ sie dann erst einmal Christian, der die Sache in aller Kürze auf den Punkt brachte und mit dem Satz endete: »Sie kommt also her, und wir denken, die Situation sollten wir nutzen.«
»Und wenn ihr falsch liegt?«, fragte Konrad. »Vielleicht kommt sie ja wirklich nur wegen dieser Wohltätigkeitsveranstaltung hierher, so, wie sie es gesagt hat.«
Es war der Einwand, den Christian selbst zuvor schon vorgebracht hatte. Jetzt jedoch sagte er gelassen: »Dann ist auch nichts verloren. In jedem Fall weiß Flo dann, woran er ist.«
»Das weiß er doch auch ohne diese Komödie«, fand Konrad.
»Nicht unbedingt«, sagte Annabelle nachdenklich. »Wenn jemand richtig eifersüchtig ist und dann plötzlich etwas sieht, worauf er nicht gefasst war, hat er sich vielleicht nicht so gut unter Kontrolle. Ich meine damit: Wenn sie Flo und mich direkt vor ihrer Nase flirten sieht, verrät sie sich vielleicht.«
Anna strahlte, als sie erkannte, dass es bereits gelungen war, Annabelle auf ihre Seite zu ziehen.
»Von mir aus mache ich mit«, sagte Konrad. »Aber es soll hinterher niemand sagen, dass ich keine Warnungen ausgesprochen hätte.«
»Ja, ja, Konny!« Anna verdrehte die Augen.
Es war dann bedeutend schwieriger, Florian zu überzeugen. Zuerst wurde er blass, als er hörte, dass Gabriela auf Sternberg erwartet wurde, dann lehnte er die Theorie, sie käme vielleicht nur seinetwegen, rundheraus ab. »Da seid ihr leider völlig auf dem Holzweg«, sagte er. »Die Theorie basiert auf falschen Voraussetzungen, und deshalb ist es unsinnig, ihr etwas vorzuspielen.«
Aber er hatte die Hartnäckigkeit der Teenager unterschätzt. Christian unterstützte seine Cousine nach Kräften, obwohl er zunächst genauso skeptisch gewesen war. Doch jetzt, da er sich entschieden hatte, war davon nichts mehr zu merken. »Du verlierst doch nichts, Flo«, sagte er. »Und immerhin ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass wir Recht haben.«
Dass Florian am Ende doch einwilligte, lag nicht daran, dass sie ihn überzeugt hatten, sondern er wurde der Diskussion nur müde und wollte wieder seine Ruhe haben. Und wenn er sich die mit der Zusage verschaffen konnte, vor Gabriela ein wenig mit Annabelle zu flirten, dann sollte es ihm recht sein.
»Jetzt fehlen noch Mama und Papa«, sagte Anna zufrieden, als sie sich mit Christian auf den Rückweg zum Schloss machte. »Das wird garantiert auch eine harte Nuss.«
Doch diese Einschätzung erwies sich als falsch. Baronin Sofia und Baron Friedrich hörten sich aufmerksam an, was Anna und Christian vortrugen. Schließlich zuckte der Baron mit den Schultern. »Warum nicht?«, fragte er. Und an seine Frau gewandt setzte er lächelnd hinzu: »Wir können schlecht dagegen sein, wo du ja dieses Mal eifrig mitgemischt hast, Sofia.«
Ihr Lächeln wirkte ein wenig schuldbewusst. »Ich muss auch gestehen, Fritz, dass ich allmählich Angst vor meiner eigenen Courage bekomme. Es war eigentlich nur eine Einladung, von der ich mir Klarheit für Florian erhofft habe. Und jetzt auf einmal scheinen wir es mit einer richtigen Theaterinszenierung zu tun zu bekommen.«
»Ach, so schlimm wird es gar nicht, Mama!«, rief Anna, die überglücklich darüber war, dass dieses Gespräch so unerwartet glimpflich verlief. »Ihr werdet sehen, das kommt schon alles in Ordnung.«
Mit ihrem Optimismus blieb die Dreizehnjährige weitgehend allein, doch keiner wollte sie entmutigen, und so behielt jeder seine Meinung über den Ausgang des Experiments für sich.
*
»Ich freue mich ja immer, wenn Gäste kommen«, stellte Marie-Luise Falkner, die talentierte junge Köchin auf Sternberg, fest. »Aber es wäre schon schön, wenn ich etwas früher informiert worden wäre, Herr Hagedorn.«
»Ich bin unschuldig, Marie«, verteidigte sich der alte Butler. »Mir wurde es auch erst jetzt gesagt.«
Das war zwar die Wahrheit, aber er verschwieg, dass er trotzdem schon vorher Bescheid gewusst hatte, weil es nämlich kaum etwas im Schloss gab, das ihm entging. Niemand senkte die Stimme, wenn er in der Nähe war, und so bekam er die meisten Gespräche mit, ob er wollte oder nicht. Nur wenn sich Sofia und Friedrich in ihren Privaträumen unterhielten, erfuhr niemand etwas davon. Und auch die Gespräche zwischen Anna und Christian, auf einem der Zimmer geführt, blieben ohne Zeugen. Aber was unten in den Salons oder der Bibliothek gesprochen wurde, erfuhr Eberhard Hagedorn unweigerlich. Doch da er nie darüber sprach und auch nie zu erkennen gab, wenn er Dinge, die ihm anvertraut wurden, schon wusste, blieben seine umfassenden Informationen über alle Vorgänge im Schloss sein Geheimnis.
»Ich beschwere mich ja nicht über sie«, erwiderte Marie-Luise Falkner einlenkend.
»Und ich glaube, für die Frau Baronin und den Herrn Baron kam es auch überraschend«, setzte er vorsichtig hinzu. »Die junge Dame heißt Gabriela von Szanten. Die Frau Baronin hat sie bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennen gelernt. Jetzt ist Frau von Szanten in der Nähe und wollte die Gelegenheit zu einem kurzen Besuch nutzen. Aber Sie kennen ja die Frau Baronin.«
»Sie hat sie eingeladen zu bleiben.«
Eberhard Hagedorn nickte. »Jawohl, und diese Einladung wurde offenbar mit Freuden angenommen.«
Marie-Luise Falkner hatte ihre Gelassenheit bereits wiedergefunden. »So schlimm ist es auch gar nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Ich muss nur bei der Vorspeise ein bisschen umdisponieren. Aber Sie kennen mich ja, Herr Hagedorn, wenn ich das Gefühl habe, dass ich kein perfektes Essen servieren kann, werde ich nervös.«
Er lächelte sie voller Zuneigung an. »Ja, wir beide sind uns ähnlich«, sagte er nicht zum ersten Mal. »Wenigstens in diesem Punkt.«
Marie-Luise Falkner erwiderte sein Lächeln. Zwischen ihnen hatte sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, sie war darüber froh, denn sie bewunderte ihn sehr.
Wenn es überhaupt jemals einen perfekten Butler gegeben hatte, dann war es Eberhard Hagedorn. Und wenn es nach ihr ging, dann wollte sie gern, irgendwann einmal, eine perfekte Köchin werden.
*
Gabriela sah das Schloss vor sich auftauchen und ging unwillkürlich vom Gas. Mit so viel Schönheit hatte sie nicht gerechnet. Sie war ja noch nie auf Sternberg gewesen, und es hatte sie viel Überwindung gekostet, Sofia von Kant, die sie sehr schätzte, ihre kleine Lügengeschichte aufzutischen. Aber die Baronin hatte sie ohne weiteres geschluckt und sie sogar eingeladen, zumindest eine Nacht auf Sternberg zu bleiben. Natürlich hatte sie diese Einladung angenommen, so blieb ihr etwas mehr Zeit, herauszufinden, was sie unbedingt herausfinden wollte. Dabei fürchtete sie sich entsetzlich davor, mit ansehen zu müssen, wie Florian und diese Annabelle … Rasch verdrängte sie die Bilder, die sie bei dieser Vorstellung vor sich sah.
Sie wagte auch nicht, sich auszumalen, wie Florian auf ihre Ankunft reagieren würde. Der Baronin gegenüber hatte sie ihn erwähnt, alles andere wäre ja unglaubwürdig gewesen. »Ein guter Freund von mir arbeitet übrigens seit einiger Zeit bei Ihnen, Florian von Damm, Frau von Kant. Es freut mich, dass ich ihn bei der Gelegenheit wiedersehen kann.«
»Er wird sich sicherlich auch freuen, Gaby. Sie sind uns jedenfalls herzlich willkommen.«
Annina war ihr eine große Stütze gewesen, nachdem sie ihr alles erzählt hatte. »Du musst nach Sternberg, Gaby, das ist doch ganz klar. Überzeug dich mit eigenen Augen, was an der Geschichte mit dieser Annabelle dran ist. Vielleicht ist es nur ein Flirt, nichts Ernstes. Ihr habt euch doch immer gemocht, Florian und du! Entweder erzählt er dir von seinem Liebesglück – oder er lässt die Frau gleich wieder fallen, wenn er hört, dass du in Wirklichkeit viel mehr für ihn empfindest als Freundschaft.«
Das hatte sich alles so einfach angehört. So, als müsste sie sich nur ins Auto setzen, nach Sternberg fahren, die Augen offenhalten und dann das Richtige tun, und schon wären ihre Probleme gelöst. Nur wusste sie nicht, was das Richtige war. Wahrscheinlich kamen ihr die Tränen, wenn sie Florian sah.
Sie fuhr weiter, das prächtige Gebäude auf seiner Anhöhe verschwand wieder aus ihrem Blickfeld. Wenig später sah sie einen schlichten Wegweiser zum Schloss, dem sie folgte. Sie gelangte auf eine schmale Straße, die sich in engen Kurven nach oben schlängelte, durch dichten, schönen Mischwald. Als er sich lichtete, gelangte sie auf einen langen Zufahrtsweg, der direkt vor dem Hauptportal des Schlosses endete. Aus der Nähe wirkte es nicht weniger beeindruckend.
Hier also arbeitete Florian seit einigen Wochen. Hierher hatte er sich zurückgezogen und dadurch im Grunde genommen ihre Freundschaft beendet. Zwar hatte er das so nie gesagt, aber so war es. Er rief nicht mehr an, er ließ sich nicht mehr blicken. Er war ganz einfach aus ihrem Leben verschwunden, und darauf hatte er sie nicht einmal vorbereitet.
Sie hatte versucht, böse auf ihn zu sein, aber lange durchgehalten hatte sie nicht. Vor allem empfand sie Schmerz und Trauer über den Verlust seiner Freundschaft, wenn sie an ihn dachte. Er fehlte ihr. Als Freund, als Ratgeber, als Mensch. Und, ja, das auch, als Mann. Auch wenn ihr das erst mit einiger Verspätung aufgegangen war.
Sie hielt vor dem Hauptportal und wunderte sich nicht wenig, als es in dem Augenblick geöffnet wurde, da sie den Motor ausstellte. Ein älterer Herr erschien, der mit freundlich-zurückhaltendem Lächeln langsam die Stufen vor dem Portal herunterkam, direkt auf sie zu. »Willkommen auf Sternberg, Frau von Szanten«, sagte er. »Ich bin Eberhard Hagedorn. Um Ihr Gepäck und den Wagen wird sich gleich jemand kümmern. Die Frau Baronin erwartet Sie. Wenn Sie mir bitte folgen würden? Oder möchten Sie zuerst Ihre Suite sehen?«
»Ja …, ja, bitte«, sagte Gabriela. »Ich bin ein bisschen verschwitzt und würde mich gern zuerst frisch machen.«
»Selbstverständlich.«
Er ging vor ihr eine breite Treppe hinauf, die sich aus der Eingangshalle nach oben schwang. Im Vorbeigehen nahm sie die Ahnengalerie an den Wänden rechts und links wahr, stellte fest, dass der Marmorboden der Halle in einem wunderschönen Mosaik verlegt war und fühlte sich so beklommen wie schon lange nicht mehr.
In diesen Sekunden, da sie dem alten Butler nach oben folgte, war sie ganz sicher, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, nach Sternberg zu reisen. Sie würde sich lächerlich machen, wenn sie versuchte, Florian die Wahrheit zu sagen. Es war doch durch diese Veröffentlichung alles so klar geworden, wie es nur sein konnte. Wahrscheinlich war Annabelle von Ehrenstein der eigentliche Grund für seinen Umzug hierher. Sie selbst hatte ihm ja nie Fragen gestellt. Hätte sie es getan, dann hätte er ihr vielleicht sogar erzählt, wie verliebt er in die schöne Blonde war …
Eberhard Hagedorns Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Bitte sehr, Frau von Szanten. Wenn Sie so weit sind, klingeln Sie bitte, ich werde Sie dann zur Frau Baronin bringen.«
»Ist …, ist sonst niemand da?«, fragte Gabriela mit stockender Stimme.
»Alle anderen sind noch unterwegs«, antwortete der Butler liebenswürdig, »aber Sie werden ja alle beim Abendessen kennen lernen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.«
Er schloss die Tür, und sie sah sich erst einmal um. Die Einrichtung der Suite war von unaufdringlicher Eleganz. Der große Wohnraum hatte drei hohe Fenster, von denen aus man den gesamten Schlosspark überblickte. Es war ein überwältigender Anblick. Auch das Schlafzimmer war geräumig, das Badezimmer verfügte über eine riesige Badewanne auf goldenen Füßen. Sie wusch sich das Gesicht, zog die Lippen nach, tuschte noch einmal die Wimpern, bürstete ihre Haare, bis sie glänzten und meldete sich dann, wie vereinbart, bei Herrn Hagedorn.
»Ich bin so weit«, sagte sie.
Auf in den Kampf, dachte sie, als sie ihm die Treppe hinunter zur Bibliothek folgte.
*
»Sie ist da«, sagte Anna atemlos. »Seid ihr bereit?«
»Ich weiß gar nicht mehr, ob das so eine gute Idee ist«, sagte Florian mit matter Stimme. »Als Schauspieler bin ich eine glatte Niete, da könnt ihr meinen alten Lehrer fragen, der immer die Theater-AG geleitet hat. Außerdem bin ich mittlerweile fest davon überzeugt, dass ihr euch irrt, was Gabys …«
Konrad unterbrach ihn. »Du schaffst das schon«, sagte er. »Ich bin ein ziemlich guter Schauspieler, ich kriege immer die Hauptrollen bei uns an der Schule. Denk nicht so viel nach, mach dir nur klar, dass du in Annabelle verliebt bist. Bilde dir ein, du hast Gabriela vor dir, wenn du mit Annabelle sprichst. Der Rest kommt dann von ganz allein.
»Aber keine Zärtlichkeiten, Annabelle«, sagte Florian mit einem Anflug von Panik. »Ehrlich, das geht nicht. Von mir aus flirten wir miteinander, aber mehr schaffe ich nicht.«
Annabelle lächelte. »Jetzt mach dich mal locker«, sagte sie. »Konny hat Recht, denk nicht so viel nach, Flo. Oder denk an dein Ziel. Du willst herausfinden, ob Gabriela in dir wirklich nur einen Freund sieht oder ob da mehr ist. Und dieses Ziel ist es doch wohl wert, dass du dir ein bisschen Mühe gibst, oder?«
»Du hast leicht reden. Es ist mehr als ein bisschen Mühe. Ich habe jetzt schon Schweißausbrüche vor Angst. Was ist überhaupt mit euren Eltern, Anna und Konrad?«
»Sie wissen Bescheid«, antwortete Anna.
»Und sie sind einverstanden«, setzte der kleine Fürst hinzu. »Das haben wir dir doch alles schon erzählt, Florian.«
»Ich kann nicht mehr richtig denken, deshalb hatte ich das vergessen.« Florian war blass. »Ehrlich, ich glaube, ich kann das nicht.«
»Dann überlass alles mir«, schlug Annabelle vor. »Und jetzt komm.«
»Nein, halt!« Florian sah von einem zum andern. »Geht ihr zuerst. Es ist doch blöd, wenn wir alle zusammen da auftauchen.«
»Das stimmt«, sagte Christian, »aber dann machen wir es andersherum, und ihr geht zuerst.«
»Dann kriegen wir doch nicht mit, wie sie reagiert!«, protestierte Anna. »Also, das ist wirklich eine blöde Idee, Chris.«
Annabelle hatte genug von den Debatten. Sie ergriff beherzt Florians Hand und zog ihn mit sich. Den anderen blieb nichts übrig, als ihr zu folgen.
*
»Weißt du, was ich gerade herausgefunden habe?«, fragte Renés Kollege Bernd Steising.
»Was?«, fragte René, ohne von der Akte aufzublicken, die er in diesem Augenblick studierte.
»Dass wir neulich eine prominente Zeugin hatten« erklärte Bernd. Er war ein netter Kerl, René arbeitete gern mit ihm zusammen. Zwar redete Bernd manchmal zu viel, aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck, man konnte ihm vertrauen.
»Du hast sie doch sogar gesehen, glaube ich. Annabelle von Ehrenstein«, fuhr Bernd fort. »Wenn mich nicht alles täuscht, warst du derjenige, dem sie die Tour vermasselt hat, weil sie dich für einen Kriminellen gehalten hat, der sich an Jungen heranmacht.«
Längst hatte René den Blick von der Akte gehoben. »Prominent?«, fragte er, wobei er sorgfältig darauf achtete, seine Stimme beiläufig klingen zu lassen. »Ich kannte sie jedenfalls nicht, so viel steht fest und wenn sie prominent wäre, hätte ich sie doch erkennen müssen, oder?« Bis jetzt hatte er kein einziges unwahres Wort gesagt, worauf er stolz war. Er log nicht gern.
Eine Illustrierte flog auf seinen Schreibtisch. »Unten rechts, René. Sie steht sogar auf der Titelseite, auch wenn das Foto nur klein ist. Schade, dass ich sie nicht gesehen habe, sie sieht ziemlich gut aus.«
René warf einen langen Blick auf das Foto, das er ja längst kannte und nickte schließlich. »Stimmt, sie sieht gut aus«, gab er zu. »Aber nur weil sie da abgebildet ist, ist sie ja noch nicht prominent. Oder hattest du ihren Namen vorher schon einmal gehört?«
»Das nicht, aber das ändert sich jetzt sicher schnell, weil der Typ, mit dem sie zusammen ist, ziemlich bekannt ist, jedenfalls in Rennkreisen. Der hat ein Händchen für Pferde, alle sagen ihm eine richtig große Karriere voraus.«
René beschloss, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden. Dieses Thema hatte er mit Annabelle zur Genüge besprochen, und er vertraute ihr. Was aber nicht hieß, dass er gern mit anderen über sie und den Mann sprach, mit dem sie angeblich zusammen war. Auch Toleranz hatte Grenzen.
»Von mir aus«, sagte er betont gleichgültig, bevor er sich wieder seiner Akte zuwandte.
»Im Innenteil sind noch mehr Fotos«, sagte Bernd, in der Hoffnung, das Interesse seines Kollegen doch noch wecken zu können, aber der Versuch misslang.
»Wozu soll ich mir die ansehen, Bernd? Sag mal, hast du nichts zu tun?«
»Zu tun schon, aber keine Lust«, maulte Bernd, und damit war das Thema dann endlich erledigt.
René war erleichtert, aber er begann zu ahnen, was auf ihn zukam, wenn seine Beziehung zu Annabelle bekannt wurde. Er würde sich wohl auf eine Menge spöttischer Bemerkungen seiner Kollegen einrichten müssen.
Vielleicht wäre es besser, wenn sie ihre Beziehung noch eine Weile geheim hielten. Er fand, dass das eine ziemlich gute Idee war. Wenn er Annabelle anrief, würde er sie fragen, was sie davon hielt.
*
Mittlerweile hatte sich auch Baron Friedrich zu seiner Frau und Gabriela gesellt. Er fand die junge Frau sehr sympathisch, wenn auch unübersehbar nervös. Sie bemühte sich zwar sehr, sich das nicht anmerken zu lassen, doch es gelang ihr nicht besonders gut. Schon die Blässe ihres Gesichts verriet sie, aber auch ihre rastlosen Finger und der rechte Fuß, der immer wieder nervös auf und ab wippte, sprachen eine deutliche Sprache.
»Es ist so schön, Gaby, dass Sie vorbeigekommen sind«, sagte die Baronin gerade. »Und noch viel schöner ist, dass Sie unsere ehrenamtliche Arbeit auch weiterhin unterstützen wollen.«
Sie hörten Stimmen, gleich darauf rief Anna: »Hier seid ihr! Wir haben euch schon überall gesucht.«
Er sah, dass sich die Blässe auf Gabrielas Gesicht vertiefte, als sich Annabelle und Felix näherten, Hand in Hand, während die Teenager ihnen folgten.
»Das Wetter ist so schön, deshalb haben wir die Bibliothek verlassen und uns auf die Terrasse gesetzt«, erklärte die Baronin. »Nun lernen Sie also auch noch meine Familie kennen, Gaby – und unsere Gäste.«
»Wir kennen uns schon«, sagte Florian hastig und ließ Annabelles Hand los. »Hallo, Gaby, schön dich hier zu sehen.«
Er begrüßte sie mit einer fast förmlichen, ziemlich steifen Umarmung, die nichts von seinen Gefühlen ahnen ließ, woraufhin sie, wie Friedrich bemerkte, feuchte Augen bekam. Sie hielt sich aber tapfer, während Sofia sie mit Annabelle und den Teenagern bekannt machte.
»Können wir dich duzen?«, fragte Anna sofort.
»Aber, Anna …«, begann Sofia, doch Gabriela kam ihr zuvor, bevor sie ihre Mahnung auch nur aussprechen konnte.
»Natürlich könnt ihr das, Anna. Das wäre mir sowieso lieber.«
Anna strahlte sie an. »Und du bleibst bis morgen?«, fragte sie.
»Ich …, ja, deine Mutter hat mich eingeladen, und ich habe die Einladung angenommen.«
Annabelle lehnte sich zu Florian hinüber und legte ihm in einer Geste, die sehr vertraulich wirkte, die Hand auf den Arm. »Und ihr kennt euch also von früher, Flo, Gabriela und du?«, fragte sie.
Florian war mittlerweile fast so blass wie Gabriela, die beiden konnten einem richtig leidtun. Eigentlich, fand Friedrich, hätte man den Versuch an dieser Stelle abbrechen können, denn es konnte doch keinerlei Zweifel mehr daran bestehen, dass Florian dieser jungen Frau nicht gleichgültig war! Aber außer ihm sah das offenbar niemand so.
Florian nickte nur. Er sah weder Annabelle noch Gabriela an, ihm war anzumerken, dass er sich meilenweit weg wünschte. Der Baron war nicht bereit, sich diese Quälerei noch länger anzusehen. »Dann zeig du unserem Gast doch das Gelände, Flo«, schlug er vor. »Natürlich nur, wenn es Sie interessiert, Gabriela.«
Jetzt schoss ihr mit einem Schlag das Blut ins Gesicht, während sich ringsum empörte Blicke auf Baron Friedrich richteten, weil er versucht hatte, den sorgsam ausgeklügelten Plan zu durchkreuzen.
»Natürlich, sehr sogar«, erwiderte Gabriela mit zitternder Stimme, »aber ich …, ich bin ein bisschen müde. Ich habe ziemlich anstrengende Tage hinter mir. Vielleicht könnten wir den Rundgang noch ein bisschen verschieben.«
Annabelle griff nach Florians Hand. »Wenn das so ist, dann laufen wir beide noch ein bisschen durch den Park, ja? Zu unserem Lieblingsplatz.« Wer es nicht besser wusste, der hätte das Lächeln, mit dem sie ihn jetzt ansah, für das Lächeln einer Verliebten halten müssen.
Er nickte und widerstand der Versuchung, seine Hand zu befreien, wie Baron Friedrich amüsiert bemerkte. Gabriela freilich bekam davon nichts mit. Sie hatte nur den Klang von Annabelles Stimme gehört, ihr Lächeln gesehen und die ineinander verschränkten Hände des angeblichen Liebespaars. Jetzt war sie wieder leichenblass.
Kurz nachdem Annabelle und Florian gegangen waren, bat Gabriela darum, sich zurückziehen zu dürfen. Sofia und Friedrich blieben mit den Teenagern allein zurück.
»Also wirklich, Papa!«, sagte Anna. »Was sollte das denn? Es ist doch noch viel zu früh für eine Begegnung der beiden unter vier Augen.«
»Und wieso?«, wollte der Baron wissen. »Für mich ist die Sache völlig klar: Sie liebt ihn. Also kann man der Quälerei doch auch gleich ein Ende bereiten.«
»Du bist sicher, aber Flo ist es nicht«, sagte Christian. »Er zweifelt immer noch, und deshalb braucht er noch ein bisschen Zeit.«
Konrad fing leise an zu lachen. »Ist das nicht verrückt? Wir alle sehen, dass die beiden sich lieben, nur sie selbst sehen es nicht. Also stimmt das Sprichwort wohl: Liebe macht blind.«
»Jedenfalls manchmal«, stimmte die Baronin zu. »Ach, Kinder, ich wünschte, die beiden hätten sich schon gefunden. Es ist schrecklich, wenn Menschen, die man gernhat, unglücklich sind.«
Niemand mochte ihr widersprechen, in dem Punkt waren sie sich vollkommen einig.
*
»Also hast du ihm nichts gesagt?«, fragte Annina.
»Wie denn?« Gabriela, die ihre Freundin direkt nach der ersten Begegnung mit Florian angerufen hatte, konnte die Tränen nur mit Mühe zurückhalten. »Erstens waren wir ja nicht allein. Und zweitens hättest du ihn und diese Annabelle mal zusammen sehen sollen, Annina. Das war eindeutig. Am liebsten würde ich sofort wieder abreisen. Was für eine blöde Idee, hierherzufahren und zu glauben, ich könnte …« Sie brach ab. »Und wie er mich begrüßt hat! Als wären wir allerhöchstens flüchtige Bekannte gewesen, mehr nicht. Danach hat er mich kaum noch angesehen. Niemand, der uns zusammen erlebt hat, wäre auf die Idee gekommen, dass wir mal gut befreundet waren, Annina.«
»Das sieht ihm aber nicht ähnlich«, sagte ihre Freundin nachdenklich. »Warum habe ich nur den Eindruck, dass etwas an dieser Geschichte komisch ist? Der Flo, den ich kenne, würde sich nicht so verhalten. Auch wenn er in diese Annabelle verliebt sein sollte, hätte er sich gefreut, dich zu sehen, und er hätte mit dir geredet und dich angesehen und gefragt, wie zu Hause alles läuft …«
»Aber das tut er ja schon seit Wochen nicht mehr, er ruft mich doch auch nie an! Und du kannst sicher sein, dass er in Annabelle verliebt ist, das konnte ich sehen. Es war ihm zwar etwas peinlich, das zu zeigen, aber sie sind ein Liebespaar, glaub mir.« Nun weinte Gabriela doch. Die letzte halbe Stunde war einfach zu viel für sie gewesen.
»Jetzt wein doch nicht, Gaby!«, rief Annina. »Es tut mir leid, dass ich dir zugeredet habe, diese Reise zu unternehmen, wahrscheinlich war das wirklich falsch. Bitte, hör auf zu weinen.«
»Ich versuch’s ja, aber so einfach ist das nicht«, schluchzte Gabriela. »Und jetzt muss ich noch das Abendessen durchstehen, ich weiß überhaupt nicht, wie ich das machen soll. Das Schlimmste ist, dass ich mir alles selbst zuzuschreiben habe. Vielleicht hätte er sich in mich verliebt, wenn ich ihm nicht ständig nur etwas von Robert und Philipp erzählt hätte …« Sie verstummte. Robert und Philipp schienen zu einem anderen Leben zu gehören, das schon sehr lange zurücklag.
»Wenn ich wüsste, wie ich dir helfen könnte, würde ich es tun«, sagte Annina leise.
»Du kannst mir nicht helfen, Annina. Niemand kann das, das ist ja das Schlimme.«
*
Florian war direkt von der Terrasse zur Übungsbahn gelaufen. Dort angekommen, hatte er gesagt: »Ich muss ein bisschen allein sein, Annabelle.«
»Ja, natürlich.« Annabelle hatte ihn angesehen und mit fester Stimme gesagt: »Sie liebt dich. Gleichgültig, was du denkst: Sie liebt dich, Flo.«
Diese Worte gingen ihm immer noch im Kopf herum, während er zusah, wie einer der Pferdepfleger eine einjährige Stute bewegte. Normalerweise hätte er etwas dazu gesagt, jetzt aber war er mit seinen Gedanken weit weg.
Annabelle glaubte also, dass Gabriela ihn liebte. Er selbst war da nicht so sicher, aber er musste auch zugeben, dass er nicht bei klarem Verstand gewesen war in diesen Minuten auf der Terrasse. Sie dort sitzen zu sehen, ein bisschen blass und still, aber fast noch schöner als zuvor, war zu viel für ihn gewesen. Er hatte all seine Beherrschung aufwenden müssen, um ihr nicht geradeheraus zu sagen, dass er vor allem ihretwegen nach Sternberg geflohen war. Dann hätte sie wenigstens endlich gewusst, wie es in ihm aussah, und er hätte ihr nicht länger den guten Freund vorspielen müssen. Oder den Mann, der sich in eine andere Frau verliebt hatte.
Aber ein guter Freund war er ja gar nicht mehr für sie. Sie hatten im Grunde genommen keinen Kontakt mehr zueinander. War sie verletzt deshalb? War sie deshalb nach Sternberg gekommen, um ihm das zu sagen? Er wusste es nicht.
»Herr von Damm?«
Er drehte sich um, einer der Pferdepfleger kam auf ihn zu. »Herr Wenger würde Sie gern kurz sprechen, wenn das möglich ist. Es geht um das Rennen in der nächsten Woche in England.«
»Ich komme«, sagte Florian, warf noch einen letzten Blick auf den Reiter, dessen Pferd gerade in guter Haltung über ein Hindernis flog, und folgte dem Pferdepfleger.
Ablenkung durch Arbeit erschien ihm in diesem Augenblick wie Rettung aus höchster Not, denn noch stand ihm ja das Abendessen bevor, gemeinsam mit Annabelle und Gabriela.
Es war die reine Horrorvorstellung.
*
»Du hörst dich ziemlich vergnügt an«, stellte René fest, als er vor dem Abendessen auf Sternberg mit Annabelle telefonierte. »Hast du mit meinem Rivalen so viel Spaß?«
Sie lachte. »Ja, aber der arme Kerl leidet wie ein Hund. Wir spielen nämlich gerade ein verliebtes Paar, weil die Frau, der sein Herz gehört, hier ist.«
»Ihr spielt das verliebte Paar?«, fragte René, hellhörig geworden.
Sie setzte ihn in aller Kürze ins Bild. »Es ist völlig eindeutig, dass sie ihn auch liebt, aber er kann es einfach immer noch nicht glauben. Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass die beiden allein miteinander ins Gespräch kommen, dann ist er hoffentlich endlich wieder glücklich. Ich gönne es ihm, er ist ein wirklich netter Kerl, René.«
»Selbst bei uns im Büro seid ihr mittlerweile das Tagesgespräch. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Leute auf Fotos in solchen Zeitschriften achten.«
»Bin ich froh, dass ich nicht zu Hause bin«, seufzte Annabelle. »Aber das hört bald wieder auf, wenn die Medien mitbekommen, dass sie eine falsche Spur verfolgen.«
»Hoffentlich«, brummte er. »Diese Art von Aufmerksamkeit kann ich nämlich überhaupt nicht gebrauchen.« Er räusperte sich. »Wäre es dir recht, wenn wir unsere Beziehung noch eine Weile für uns behielten?«
»Sehr sogar!«, rief sie. »Das wollte ich dir auch schon vorschlagen. Wir warten, bis sich die Wogen geglättet haben, und irgendwann interessiert sich dann kein Mensch mehr für das, was ich tue und lasse.«
»Kein Mensch ist nicht richtig. Ich werde mich immer dafür interessieren«, erklärte er.
»Das hast du sehr schön gesagt, René. Jetzt drück mir mal die Daumen, ich muss das ganze Abendessen hindurch mit Florian flirten, und ich kann dir versichern, dass das Schwerstarbeit ist. Wenn er wenigstens Spaß an der Sache hätte, dann ginge es ja noch. Aber nein, er leidet einfach nur. Ich glaube, am liebsten wäre er vorhin schon aufgesprungen und hätte ihr seine Liebe erklärt.«
»Ich fände das sehr vernünftig«, sagte René mit Nachdruck. »Je eher er das tut, desto besser, dann müsste er nämlich nicht länger mit der Frau flirten, in die ich mich verliebt habe.«
Kichernd verabschiedete sich Annabelle von ihm.
*
Zur allgemeinen Überraschung verlief das Abendessen in heiterer und entspannter Atmosphäre. Das war darauf zurückzuführen, dass Gabriela vollkommen anders auftrat als nachmittags auf der Terrasse. Sie sah sehr schön aus in einem zartblauen Seidenkleid, die dunklen Haare hatte sie aufgesteckt, ihr Make-up war perfekt und sehr zurückhaltend. Von Blässe oder bedrückter Stimmung war nichts mehr zu merken. Sie ging lebhaft auf die Teenager ein, lachte und alberte mit ihnen herum, als wäre sie schon oft auf Sternberg zu Gast gewesen.
Dieses Verhalten führte dazu, dass sich mit einem Mal niemand in der Runde mehr sicher war, ob sie tatsächlich in Florian verliebt war. Hier saß eine junge Frau, die um ihre Attraktivität wusste und vor Lebenslust nur so sprühte und die offenbar keinerlei Schwierigkeiten hatte, mit Florian so unbefangen umzugehen wie alle anderen auch.
Annabelle beobachtete Gabriela aufmerksam, ohne sich das anmerken zu lassen. Sie ist eine Kämpferin, dachte sie anerkennend, und sie hat sich entschieden, ihren Kampf zumindest mit hoch erhobenem Haupt zu verlieren. Oder wir haben uns vorhin alle getäuscht, und es gab andere Gründe für ihre Blässe und den traurigen Ausdruck in ihren Augen. Sie ließ den Blick einmal in die Runde schweifen und sah, dass die anderen ähnliche Überlegungen anstellten wie sie. Plötzlich war der Ausgang der Geschichte wieder offen.
Ihr Mitgefühl galt Florian, der ja vorhin schon Zweifel angemeldet hatte. Nun fühlte er sich natürlich bestätigt in der Vermutung, dass Gabriela nicht seinetwegen nach Sternberg gekommen war. Es war wirklich eine verzwickte Geschichte!
»Warum bleiben Sie nicht ein paar Tage länger, Gaby?«, fragte Baronin Sofia in diesem Augenblick. »Wir alle würden uns freuen.«
Annabelle konnte förmlich spüren, wie Florian neben ihr erstarrte. Doch Gabriela bedankte sich mit reizendem Lächeln für die Einladung und schlug sie dann aus. »Ich kann derzeit keinen Urlaub nehmen«, erklärte sie. »Sonst hätte ich Ihr Angebot gerne angenommen, Frau von Kant.« Sie warf Florian einen Blick zu. »Zumal ich hier mit Flo einen alten Freund wieder gefunden habe, der sich in letzter Zeit ziemlich rar gemacht hatte.«
Annabelle hörte Florians leises Ächzen, und sie kam ihm schnell zu Hilfe. Der Ärmste, er war mit seiner Kraft am Ende, so elend hatte er nicht einmal heute Nachmittag ausgesehen! »Ich muss ihn in Schutz nehmen«, sagte sie mit heiterem Lächeln. »Erstens hat Flo hier sehr viel zu tun, und dann habe ich ihn auch noch mit Beschlag belegt. Sie wissen ja, wie das ist, wenn man sich gerade erst kennen gelernt hat …«
Sie sah das Flackern in Gabrielas Augen, für den Bruchteil einer Sekunde bekam die perfekte Maske Risse, und darunter las sie nackte Verzweiflung.
Na also, dachte sie beruhigt, sie liebt ihn doch!
*
»Worüber machen Sie sich Sorgen, Herr Hagedorn?«, fragte Marie-Luise Falkner, als sie sich zu dem alten Butler an den Küchentisch setzte. Das Abendessen war vorüber, es hatte allen hervorragend geschmeckt, auch der anschließende Kognak in der Bibliothek war bereits getrunken worden. Die Familie und ihre Gäste hatten sich in ihre Privaträume oder die Suiten zurückgezogen. Das Schloss begab sich allmählich zur Ruhe. Auch die Helferinnen und Helfer in der Küche waren bereits gegangen.
»Ach«, murmelte Eberhard Hagedorn, »mir scheint, es liegen ein paar Missverständnisse in der Luft, Marie.«
»Aber Sie wollen nicht darüber reden«, stellte sie fest.
»Es wäre Klatsch, weil alles nur auf Vermutungen beruht«, erklärte er fast entschuldigend.
»Die beiden werden sich schon finden«, sagte sie zu seiner Überraschung.
»Welche beiden, Marie?«
Sie lachte. »Es ist ja nicht so, dass wir in der Küche überhaupt nichts mitbekommen, Herr Hagedorn. Ich schnappe auch hier und da mal ein Wort oder einen Blick auf, und ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Ich rede von Frau von Szanten und Herrn von Damm.«
»Alle Achtung, Marie, Sie haben eine scharfe Beobachtungsgabe.«
»Ja, manchmal«, bemerkte sie trocken.
»Ach, eigentlich immer«, lächelte er und erhob sich. »Ich mache dann mal meinen letzten Kontrollgang und stelle die Alarmanlage ein. Wir sehen uns morgen, Marie. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«
»Die wünsche ich Ihnen auch.«
Eberhard Hagedorn lief also noch eine letzte Runde durchs Schloss, vergewisserte sich, dass alle Türen und Fenster ordentlich verschlossen waren und zog sich dann in seine Wohnung hinter der Eingangshalle zurück. Er hatte das Gefühl, dass dieser Tag noch nicht zu Ende war, auch wenn er dieses Gefühl nicht hätte begründen können.
Da er noch nicht müde war, setzte er sich in einen Sessel und griff nach dem Buch, in dem er gerade las. Es mochte wohl schon eine Stunde vergangen sein, als er ein Geräusch hörte. Sofort legte er das Buch beiseite und lauschte. Ja, es war eindeutig, dass jemand die Treppe in der Eingangshalle herunterkam. Noch immer blieb er sitzen und lauschte. Erst als die leisen Schritte unten angekommen waren, erhob er sich. Lautlos verließ er seine Wohnung, ebenso lautlos schloss er die Tür hinter sich. Die Eingangshalle war leer.
Er ging ein paar Schritte weiter, bevor er erneut stehen blieb und lauschte, dann wandte er sich nach rechts. Vor einem der hohen Fenster im Blauen Salon sah er eine schmale Gestalt stehen, regungslos, den Blick auf den bei Nacht nur schwach erleuchteten Schlosspark gerichtet.
Er räusperte sich, als er näher trat. »Können Sie nicht schlafen, Frau von Szanten«, fragte er.
Gabriela schien nicht einmal überrascht zu sein, ihn zu sehen. Auch erschrocken wirkte sie nicht. »Nein, Herr Hagedorn«, antwortete sie. »Ich kann nicht schlafen.«
»Ich könnte Ihnen einen Beruhigungstee machen und nach oben bringen«, bot er an. »Normalerweise wirkt er sehr gut.«
»Dann nehme ich Ihr Angebot gerne an, aber Sie brauchen ihn mir nicht zu bringen, ich warte lieber hier unten.«
»Wie Sie wünschen.«
Er machte sich auf den Weg in die Küche, wo er zunächst Wasser erhitzte, bevor er nach der Teemischung suchte, die Marie-Luise Falkner selbst zusammengestellt hatte.
»Könnte ich den Tee vielleicht auch hier trinken?«, fragte Gabriela schüchtern.
Er drehte sich zu ihr um. Sie stand an der Tür, sehr blass war sie jetzt wieder, aber sie bemühte sich um ein Lächeln. Er hatte gewusst, dass sie beim Abendessen Theater gespielt hatte, obwohl sie sehr überzeugend gewesen war. »Aber natürlich«, antwortete er. »Wo immer Sie möchten. Ich dachte nur, oben in Ihrer Suite wäre es für Sie angenehmer.«
»Ich will nicht allein sein«, gestand sie.
»Möchten Sie, dass ich Ihnen Gesellschaft leiste?«, fragte er.
»Wenn das nicht allzu unverschämt ist? Sie haben einen langen Tag hinter sich, Herr Hagedorn.«
Er brühte den Tee auf und brachte ihn zum Tisch. »Ich bin nicht müde«, erklärte er.
Sie betrat nun endlich die Küche und setzte sich. »Setzen Sie sich zu mir?«, fragte sie.
Das tat er und da sie offensichtlich reden wollte, aber den Anfang nicht fand, kam er ihr zu Hilfe. »Sie sind wegen Herrn von Damm hier, nicht wahr?«
Ihr Kopf flog nach oben. »Woher wissen Sie das?«
»Wenn man als Butler arbeitet, muss man ein guter Beobachter sein«, erwiderte er. »Sie haben heute Abend während des Essens die Unbekümmerte gespielt, aber ich habe gesehen, dass es in Ihrem Inneren ganz anders aussah.«
»Das stimmt«, gab sie zu. »Ich habe mich elend gefühlt, schon als ich ankam. Wissen Sie, Herr Hagedorn, es ist eine ziemlich lange und ziemlich komplizierte Geschichte. Eigentlich sind wir enge Freunde, Florian von Damm und ich. Bis ich mit einem Mal gemerkt habe, dass ich mehr für ihn empfinde als Freundschaft.«
Eberhard Hagedorn hörte ihr geduldig zu. Fast alles, was sie ihm erzählte, wusste er bereits, doch davon ließ er sich wie üblich nichts anmerken. Gabriela von Szanten musste in dieser Nacht jemandem ihr Herz ausschütten, und dieser Jemand war nun einmal er.
Wenn er dazu beitragen konnte, dass zwei unglückliche Menschen wieder glücklich wurden, sollte es ihm recht sein.
*
Florian war gar nicht erst ins Bett gegangen nach diesem furchtbaren Abendessen, bei dem es ihm schwergefallen war, einen Bissen hinunterzubringen, obwohl jeder Gang köstlicher gewesen war als der vorangegangene. Aber sich einzugestehen, dass er die Situation von Anfang an richtig eingeschätzt hatte, während die anderen im Irrtum waren, hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er sagen konnte. Gabriela war nicht in ihn verliebt, das hatten nun alle deutlich sehen können. Vielleicht war sie am Nachmittag, nach ihrer Ankunft, einfach müde gewesen und hatte deshalb so blass und niedergeschlagen gewirkt. An diesem Abend jedenfalls war sie wie früher gewesen. Keine Spur von unglücklicher Liebe zu ihm.
So viel zum Thema Menschenkenntnis, dachte er bitter. Alle haben sich geirrt, und ich war beinahe schon bereit, ihnen zu glauben, einfach, weil ich ihnen unbedingt glauben wollte.
Plötzlich wurde ihm die Suite zu eng. Er würde noch einen Spaziergang durch den Park machen, das passte zu seiner Stimmung. Es war eine ziemlich finstere, mondlose Nacht, wie gemacht für düstere Gedanken über unerfüllte Liebe und eine freudlose Zukunft.
Er verließ seine Suite und schlich die breite Treppe, die in die Eingangshalle führte, hinunter. Ihm war klar, dass er die Alarmanlage ausschalten musste, wenn er das Schloss noch einmal verließ. Er war bereits am Hauptportal, als er meinte, leise Stimmen zu hören, und so blieb er lauschend stehen. Ja, da sprach eindeutig jemand! Ohne nachzudenken folgte er den Stimmen, die offenbar aus der Küche kamen. Wurde dort etwa um diese Zeit noch gearbeitet?
Er schlich weiter, bis ihm bewusst wurde, dass eine der Stimmen Gabriela gehörte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Gleich darauf erkannte er auch die Stimme ihres Gesprächspartners, es war Eberhard Hagedorn, der allerdings nur ab und zu etwas einwarf.
Er schob sich jetzt Schritt für Schritt vorwärts, bis er die Tür zur Küche erreicht hatte. Sie stand offen.
Die beiden saßen am Küchentisch, vor Gabriela stand eine Tasse, aus der sie ab und zu nippte. Jetzt konnte Florian verstehen, was sie sagte.
»Ich liebe ihn, Herr Hagedorn, und ich werde es ihm niemals sagen können. Es ist zu spät. Ich bin zu spät gekommen. Jetzt hat er sich in diese Annabelle verliebt!«
Florians Herzschlag setzte aus.
*
»Was ist denn?«, fragte Baron Friedrich schläfrig, als er sah, dass Sofia auf dem Bettrand saß. »Kannst du nicht schlafen?«
»Ich schon, aber andere offenbar nicht«, murmelte sie. »Hörst du das denn nicht, Fritz? Da sind doch ständig Geräusche auf dem Flur.«
»Ich höre nichts, ich schlafe«, brummte er und drehte sich auf die andere Seite.
Die Baronin warf sich einen Morgenmantel über und verließ das Schlafzimmer. Gleich darauf warf sie einen Blick auf den nur schwach beleuchteten Flur hinaus. Im selben Moment sah sie, wie Anna in Christians Zimmer verschwand. Sie hatte sich also nicht geirrt.
In diesem Augenblick sah sie, wie Konrad vorsichtig den Kopf aus dem Zimmer streckte. Als er seine Mutter sah, grinste er verlegen. »Kannst du auch nicht schlafen, Mama?«
»Eigentlich schon, aber mir kam es so vor, als hätte ich etwas gehört.« Vorsichtshalber erwähnte die Baronin nicht, dass sie Anna gesehen hatte. Ihre beiden Kinder stritten gelegentlich noch immer gern, sie wollte Konrad keinen Vorwand liefern, mal wieder auf seine ›kleine Schwester‹ zu schimpfen, die nachts, wenn die Erwachsenen ihre Ruhe haben wollten, im Schloss herumgeisterte.
»Ja, das dachte ich auch«, erklärte Konrad. »War aber wohl doch nichts. Gute Nacht, Mama.«
»Schlaf schön, Konny.«
Sie schlossen ihre Türen gleichzeitig. Wenn Anna bei Christian war, hieß das, es tat sich etwas, das wusste Sofia. Aber sie beschloss, sich nicht weiter einzumischen. Bisher waren ihre Einmischungen, fand sie, nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Vielleicht lief es ohne sie besser.
Als sie wieder unter die Bettdecke schlüpfte, drehte sich Friedrich wieder zu ihr um und streckte die Arme nach ihr aus. »Wo bleibst du denn?«, murmelte er.
Sie rutschte zu ihm und kuschelte sich an ihn. »Ich bin ja schon wieder da, Fritz.«
Er umschlang sie mit beiden Armen und drückte sie an sich. War sie zuvor noch davon ausgegangen, in den nächsten Stunden keinen Schlaf zu finden, so merkte sie jetzt, wie ihre Atemzüge mühelos ruhig und gleichmäßig wurden und sie ganz leicht ins Land der Träume glitt.
Und morgen, war ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen, sind vielleicht alle Probleme gelöst …
*
»Jetzt passiert’s«, sagte Anna und ließ sich auf Christians Bett fallen.
Togo, der davorlag, hob nicht einmal den Kopf, er bewegte nur kurz seinen Stummelschwanz. Christian hingegen fuhr erschrocken in die Höhe. »Mach das nicht noch mal, Anna!«, stöhnte er, als er seine Cousine erkannte. »Man kann einen Herzschlag bekommen vor Schreck, ist dir das nicht klar?«
»Du doch nicht, dein Herz ist völlig in Ordnung«, versetzte sie ungerührt. »Sie sind beide in der Küche.«
Er sah sie verwirrt an. »Von wem redest du?«
»Von Gaby und Florian natürlich.« Sie betrachtete ihren Cousin kopfschüttelnd. »Es wird Zeit, dass du richtig wach wirst, wir müssen nach unten.«
Er ließ sich wieder zurückfallen und schloss die Augen. »Ich verlasse dieses Bett nicht vor morgen früh, Anna. Wenn du willst, erzähl mir, was los ist, aber ich stehe nicht auf.«
»Gaby hat Herrn Hagedorn ihr Herz ausgeschüttet.«
»Und woher weißt du das?«
»Wieso fragst du das, wenn du die Antwort doch genau weißt?«
»Eines Tages werden sie dich beim Lauschen erwischen, du solltest damit aufhören.«
»Du lauschst doch selbst ab und zu«, erwiderte sie. »Jedenfalls hat sie ihm erzählt, dass sie Florian liebt, ich habe es selbst gehört.«
Endlich war es ihr gelungen, Christians Aufmerksamkeit zu erregen. »Also doch!«, rief er. »Sie hat auch geschauspielert beim Abendessen.«
Anna nickte. »Und dann ist Florian aufgestanden. Er muss sie gehört haben, jedenfalls ist er zur Küche gegangen.«
»Und?«
»Mehr weiß ich nicht. Als mir klar geworden ist, dass Herr Hagedorn ihn gesehen hat und die Küche gleich verlassen würde, habe ich gemacht, dass ich nach oben kam. Ich wollte mich schließlich nicht erwischen lassen. Aber das Gespräch dauert ja sicher noch eine Weile, also beeil dich, damit wir wenigstens noch einen Teil davon mitkriegen.«
»Du bist eine Nervensäge, Anna«, schimpfte der kleine Fürst, aber seine Stimme klang ganz friedlich dabei. Er schwang die Beine aus dem Bett.
»Wenn wir schon aufstehen, will ich aber auch noch auf den Hügel«, sagte er. »Also muss Togo mit.«
»Von mir aus. Hauptsache, ihr beeilt euch!«
Togo war nicht begeistert davon, dass er seine Nachtruhe unterbrechen sollte, aber als er sah, dass Christian sich anzog, gähnte er ausgiebig und stand doch auf.
»Endlich!«, murmelte Anna. Sie öffnete die Tür und lauschte, aber alles blieb still.
Die Luft war also rein.
*
Als Eberhard Hagedorn aufsah und Florian entdeckte, reagierte er sofort. »Ich koche Ihnen noch einen Tee, Frau von Szanten«, sagte er ruhig.
»Vielen Dank, Herr Hagedorn.« Ihre Stimme klang leise und erstickt, aber sie sah nicht einmal auf, und so merkte sie auch nicht, dass der alte Butler zielstrebig die Küche verließ, dem heimlichen Lauscher freundlich und ermunternd zunickte und dann seine Wohnung ansteuerte, denn in der Küche wurde er ja nun nicht mehr gebraucht.
Florian schlug noch immer das Herz bis zum Hals. Er betrachtete Gabrielas gesenkten Hinterkopf. Wie unglücklich sie jetzt wieder aussah – und welch glänzende Schauspielerin sie offenbar war, hatte sie doch während des Abendessens alle getäuscht, auch ihn. »Nicht erschrecken, Gaby«, sagte er. »Herr Hagedorn ist gegangen.«
Ruckhaft schoss ihr Kopf herum, ihre Augen weiteten sich. »Du?«, fragte sie. »Aber …«
»Ich bin schon eine Weile da«, sagte er ruhig. »Ich konnte nicht schlafen und wollte eigentlich noch einen Gang durch den Park machen, als ich euch habe reden hören. Ich bin hierhergekommen und habe gehört, worüber ihr gesprochen habt. Als mich Herr Hagedorn gesehen hat, war ihm also klar, dass wir beide es sind, die miteinander reden müssen.«
Er setzte sich an den Platz, an dem zuvor der alte Butler gesessen hatte. Gabrielas Augen schwammen in Tränen. »Ich habe alles falsch gemacht«, sagte sie. »Vielleicht hättest du dich in mich verliebt, wenn ich nicht so dumm und egoistisch gewesen wäre. Aber Annabelle ist natürlich toll, und ich verstehe dich, und …«
Er ergriff ihre beiden Hände. »Alles Theater«, sagte er ruhig. »Ist dir denn immer noch nicht klar geworden, dass ich vor allem deinetwegen weggegangen bin, Gaby? Ich konnte einfach nicht länger dein bester Freund sein.«
»Was meinst du denn damit?«, fragte sie unter Tränen.
»Mir sind meine wahren Gefühle für dich auch erst spät klar geworden«, antwortete er. »Und als es so weit war, konnte ich plötzlich nicht mehr mit dir über Robert und Philipp reden und so tun, als …, als gäbe es meine Gefühle nicht. Ich liebe dich, Gaby, und ich habe mich einfach nicht getraut, es dir zu sagen, weil ich dachte, ich hätte überhaupt keine Chance.«
»Du liebst mich?« Ihre Stimme war so leise wie ein Hauch. »Aber …«
»Ja, ich weiß, die Sache mit Annabelle. Die Teenager meinten, wenn du eifersüchtig würdest, wüsste ich am schnellsten, woran ich bin. Annabelle ist frisch verliebt, aber nicht in mich. Alles Theater, wie gesagt.«
Sie sah ihn an, die Augen noch immer voller Tränen. Ihre Hände ruhten in seinen, er sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Er wollte ihr Zeit lassen, sie nicht überrumpeln, denn er konnte sich vorstellen, wie es jetzt in ihr aussah. Da wirkte noch so viel Kummer nach, der erst einmal verarbeitet werden musste, auch wenn sich gerade herausstellte, dass es für diesen Kummer gar keinen Grund gegeben hatte.
»Bei mir auch, heute Abend«, flüsterte sie. »Ich wollte einfach nicht noch einmal so ein Jammerbild abgeben wie auf der Terrasse. Wenn du wüsstest, wie schwer mir das gefallen ist.«
Er musste plötzlich lachen. »Es kommt dir vielleicht komisch vor, dass ich in dieser Situation danach frage, aber was ist aus Robert und Philipp geworden? Triffst du dich noch mit ihnen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hätte viel früher erkennen sollen, was für eine Kinderei das war. Aber seit ich weiß, dass ich dich liebe, frage ich mich manchmal, ob ich dich nicht vielleicht aus der Reserve locken wollte mit meinen ständigen Berichten über das, was ich mit den beiden erlebt habe. Blöd, oder?«
»Wir waren beide blöd. Oder eher blind«, sagte er nachdenklich.
Sie stand auf, umrundete den Tisch und blieb einen Moment lang vor ihm stehen, bevor sie sich kurz entschlossen auf seinen Schoß setzte. Er schlang seine Arme um sie und verbarg sein Gesicht an ihrer Brust. Eine Zeit lang saßen sie so da, bis Florian anfing, Gabrielas Hals mit sanften Küssen zu bedecken, bis er endlich ihren Mund gefunden hatte. Ihre Lippen öffneten sich sofort und erwiderten die Liebkosungen seiner Zunge auf eine Art und Weise, die auch den letzten Zweifel an ihren Gefühlen für ihn im Keim erstickte.
Später standen sie auf, um die Küche zu verlassen, aber sie kamen auf dem Weg zur Tür kaum vorwärts, denn immer wieder mussten sie stehen bleiben und sich mit einem weiteren Kuss versichern, dass es Gabriela und Florian, die guten Freunde, nicht mehr gab, sondern nur noch Gabriela und Florian, die Liebenden.
*
»Verrückt, mitten in der Nacht auf den Hügel zu gehen«, sagte Christian.
»Aber so kannst du deinen Eltern gleich das Allerneueste erzählen, noch bevor es die anderen erfahren«, widersprach Anna. »Außerdem, wenn wir nicht nach unten gegangen wären, hätten wir diesen Wahnsinnskuss nicht gesehen, Chris.«
Der kleine Fürst lächelte. »Stimmt, der war es schon wert. Aber wenn sie uns erwischt hätten, wäre das sehr peinlich gewesen.«
»Finde ich nicht. Letzten Endes haben sie es uns zu verdanken, dass sie zusammengekommen sind. Hätten wir nicht diese super Idee gehabt, Gabriela eifersüchtig zu machen …«
»Ich weiß nicht, ob es wirklich so eine super Idee war, Anna«, bemerkte Christian skeptisch.
Sie erreichten den Hügel, Togo war bereits oben und wartete auf sie. Christian stellte sich vor die fürstliche Gruft, Anna blieb zwei Schritte hinter ihm stehen, um ihn nicht zu stören.
Er brauchte lange, um seinen Eltern in Gedanken die Geschichte von Gabriela und Florian zu erzählen, aber schließlich hob er doch den Kopf, drehte sich halb zu Anna um und sagte: »Ich bin fertig. Ich glaube, meine Eltern freuen sich mit uns über den Erfolg.«
»Ganz bestimmt tun sie das!«, sagte Anna.
Togo flitzte den Hügel bereits wieder hinunter, er hatte es eilig, auf seinen Platz vor Christians Bett zurückzukehren, wo er so unsanft aus angenehmen Träumen gerissen worden war.
Anna und der kleine Fürst warteten noch, bis plötzlich eine Haselmaus über die Marmorplatte vor der Gruft huschte. Sie hielt einen Moment inne, während sie die beiden Menschen furchtlos betrachtete, dann verschwand sie in einer Steinspalte.
Der kleine Fürst war glücklich, er sah in der Haselmaus das Zeichen seiner Eltern, dass sie ihn gehört hatten.
Sie verließen den Hügel und durchquerten den Park wieder. Das Schloss lag ruhig und kaum beleuchtet vor ihnen, als sie darauf zugingen. Togo hatte bereits das Hauptportal erreicht, das plötzlich von innen geöffnet wurde. Eberhard Hagedorn erschien und wartete, bis sie herangekommen waren.
Keiner von ihnen sagte etwas, aber alle drei lächelten. Sie hatten das Ihre zum glücklichen Ende einer schwierigen Liebesgeschichte beigetragen.