Читать книгу Der kleine Fürst Staffel 15 – Adelsroman - Viola Maybach - Страница 9
ОглавлениеNur scheinbar ist Fürst Leopolds Ehre gerettet.
Die gerissene Corinna Roeder hat immer noch einen Trumpf im Ärmel, den sie hemmungslos ausspielt.
Muss der kleine Fürst Christian nun doch an seinem Vater verzweifeln?
Der Junge war Caroline von Clemens längst aufgefallen. Sechzehn, siebzehn Jahre alt mochte er sein, hatte dichte braune Haare und forschende dunkle Augen. Er sah gut aus, fand sie, klug und sympathisch, seine Haut war leicht gebräunt. Gekleidet war er wie alle amerikanischen Teenager in Jeans und T-Shirt. Etwas unterschied ihn jedoch von anderen, wenn sie auch noch nicht hätte sagen können, was es war.
Er beobachtete sie hartnäckig, während sie an einem Tisch des asiatischen Restaurants, in dem sie ziemlich gut und preiswert gegessen hatte, Fotos begutachtete. Vor zwei Tagen war sie in dieser Kleinstadt in Georgia im Süden der USA angekommen. Sie reiste seit einem halben Jahr um die Welt, um Menschen in Trachten zu fotografieren, bevor diese endgültig verschwanden. Schon heute wurden sie ja nur noch zu ganz bestimmten Gelegenheiten getragen. Mittlerweile hatte sie Tausende von Bildern gemacht. Sie legte ihre Digitalkamera beiseite und hob den Kopf.
»Willst du dich nicht zu mir setzen und mir erzählen, warum du mich die ganze Zeit ansiehst?«, fragte sie den Jungen. Ihr Englisch war fast akzentfrei, seit Monaten war es ja nun die Sprache, in der sie sich meistens verständigte. Sie hatte wirklich viel gelernt.
Zu ihrer Überraschung antwortete der Junge auf Deutsch. »Du kommst aus Deutschland, das habe ich mir schon gedacht. Bist du Journalistin?« Ihre Aufforderung, sich an ihren Tisch zu setzen, schien er nicht gehört zu haben. Immerhin duzte er sie, das gefiel ihr.
Sie lachte. »Nein, um Himmels willen, das wäre nichts für mich. Ich bin Fotografin, ich bereite ein Buch über Trachten vor.« Sie war nicht ganz sicher, ob er wusste, was Trachten waren.
Während sie noch überlegte, ob sie traditionelle, landesübliche Kleidung hinzusetzen sollte, stellte er fest: »Dann hast du hier wahrscheinlich Indianer fotografiert.«
»Ja, das stimmt.« Sie hatte ihn also unterschätzt.
Nun stand er doch auf und kam zu ihr herüber. »Kann ich mal ein paar von den Fotos sehen?«
»Klar.«
Sie klickte eins an, auf das sie besonders stolz war. Es war noch in Deutschland entstanden und zeigte eine Frau in sorbischer Tracht – eine schöne alte Frau mit stolz erhobenem Kopf.
»Das ist eine Sorbin«, sagte der Junge. Im nächsten Augenblick wandte er sich dem Mann hinter der Theke zu und bat ihn in völlig akzentfreiem Englisch um eine Cola, die er sich gleich darauf selbst abholte.
»Woher weißt du so etwas?«, fragte Caroline, als er sich wieder gesetzt hatte. »Kein normaler Junge deines Alters hätte gewusst, dass das eine sorbische Tracht ist.«
»Ich bin eben kein normaler Junge«, antwortete er, und es klang nicht überheblich. Fast meinte sie sogar, eine Spur von Traurigkeit in seiner Stimme zu hören.
»Und du sprichst sehr gut Englisch.«
»Ich bin schon ziemlich lange hier, da lernt man das schnell«, erklärte er.
»Sind deine Eltern hierher ausgewandert?«, fragte sie.
»Nein, ich bin allein, ich gehe hier zur Schule, für ein Jahr.«
»Ach so. Und wie gefällt es dir?«
»Gut.« Dies sagte er mit großem Nachdruck.
»Ich heiße übrigens Caroline.«
»Sebastian.«
Er maß sie mit einem seltsam prüfenden Blick, den sie sich nicht erklären konnte. »Freut mich, dich kennenzulernen, Sebastian. Willst du noch mehr von meinen Fotos sehen?«
Er nickte und sie reichte ihm die Kamera. »Du kannst selbst weiterklicken«, sagte sie.
Er vertiefte sich in die Fotos, machte ab und zu eine Bemerkung, die erkennen ließ, dass er nicht nur die sorbische Tracht kannte und reichte ihr die Kamera schließlich zurück. »Gute Fotos«, bemerkte er. »Kannst du von deiner Arbeit leben?«
»Geht so«, antwortete sie ehrlich. »Für das Buch habe ich einen Vorschuss bekommen, sonst hätte ich die Reise nicht antreten können. Ich lebe sehr sparsam, so ein Essen wie heute, in einem Restaurant, leiste ich mir nicht oft. Wenn es geht, zelte ich, sonst gehe ich in Jugendherbergen oder billige Hotels. Ich habe außer dem kleinen Zelt auch einen Gaskocher im Rucksack, meistens verpflege ich mich selbst. Und wenn ich umsonst irgendwo mitfahren kann, mache ich das. Ich brauche nicht viel, wenn ich arbeite.«
»Wie lange brauchst du denn noch, bis du fertig bist?«
»Ich bin fast fertig«, erklärte sie lächelnd. »Ich will noch nach Mexiko für ein paar Tage, das ist dann meine letzte Station. Vorher will ich mir aber noch New Orleans ansehen, wenn mein Geldbeutel es zulässt.«
»In New Orleans war ich mit meiner Mutter, als sie zu Besuch hier war.« Wieder streifte sie dieser merkwürdig prüfende Blick.
»Deine Mutter hat dich hier besucht? Das war bestimmt schön – oder hat es dich aus deinem Leben hier herausgerissen?«
»Nein, es war schön.«
»Fühlst du dich einsam?«, fragte sie plötzlich. Sie wusste selbst nicht, woher diese Frage gekommen war.
»Wirke ich so?«
»Ja, du kommst mir ein bisschen traurig vor. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil ich selbst traurig bin. Das bin ich immer, wenn etwas zu Ende geht.«
»Du kannst doch wiederkommen.«
»Ja, natürlich, aber es wird irgendwann ein neues Projekt geben, und das führt mich in andere Gegenden der Welt. Ich habe etwas im Kopf …« Sie verstummte. Über ihre zukünftigen Projekte redete sie grundsätzlich nicht, da war sie abergläubisch.
»Wie lange reist du denn jetzt schon herum?«
»Schon länger als ein halbes Jahr.«
»Ach, deshalb«, murmelte er vor sich hin.
»Was meinst du damit?«
Er sah sie beinahe erschrocken an, bevor er hastig versicherte: »Nichts, überhaupt nichts.«
Er wich ihr aus, das spürte sie, aber das war natürlich sein gutes Recht. Sie kannten sich kaum, er musste ihr nichts erzählen, wenn er nicht wollte.
»Wie lange bleibst du noch hier?«, fragte er.
»Willst du dich mit mir verabreden und mir deine neue Heimat zeigen?« Sie fragte es mit einem Lächeln, denn ein Junge seines Alters konnte wohl kaum Interesse am Kontakt mit einer gut zehn Jahre älteren Frau haben. Bestimmt hatte er hier jede Menge Freundschaften mit Gleichaltrigen geschlossen.
»Ja, das würde ich gern tun«, antwortete er jedoch. »Es stimmt vielleicht, dass ich mich gerade ein bisschen einsam fühle. Ich habe einen Freund, er ist auch Deutscher und arbeitet hier als Ingenieur. Wir reden viel, aber er ist jetzt für eine Woche weg. Er fehlt mir.«
»Wenn er Ingenieur ist, muss er deutlich älter sein als du«, stellte Caroline fest. »So wie ich auch. Hast du denn keine Freunde in deinem Alter gefunden?«
»Nein«, antwortete er. »Gleichaltrige langweilen mich, und ich langweile sie. Wir kommen schon klar, ich habe keinen Stress mit ihnen, aber am besten läuft es, wenn wir nicht viel miteinander zu tun haben.«
»Und woran liegt das? Du machst doch einen sehr umgänglichen Eindruck.«
»Umgänglich«, wiederholte er nachdenklich. »Schönes Wort, das habe ich lange nicht gehört.«
Einmal mehr wunderte sie sich über ihn. Er unterschied sich wirklich von anderen Jugendlichen seines Alters.
»Ich bin hochbegabt«, fuhr er fort, in einem Tonfall, als berichtete er über eine schlimme Krankheit, mit der er nur mühsam zu leben gelernt hatte.
»Ach«, sagte Caroline. »Damit habe ich überhaupt keine Erfahrung. Du bist der erste Hochbegabte, mit dem ich zu tun habe. Macht dir das zu schaffen?«
»Normalerweise eigentlich nicht, aber es ist …, letzten Endes ist es der Grund für alle Probleme, die ich im Augenblick habe.«
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Gerade eben hast du doch gesagt, dass du mit anderen deines Alters schon klarkommst. Und in der Schule dürftest du auch keine Probleme haben.«
»Hab ich auch nicht. Ich habe … privaten Stress.« Wieder fiel ihr sein Blick auf, der beinahe lauernd war, als wartete er auf eine ganz bestimmte Reaktion von ihr.
»Das tut mir leid für dich, Sebastian. Kann dir denn dabei niemand helfen?«
»Mein Freund Carl, der jetzt nicht da ist, versucht es, mit ihm rede ich viel über alles. Aber gerade jetzt ist er eben nicht da, und ich …, ich brauchte ihn, damit er mir einen Rat gibt.«
»Tut mir leid«, wiederholte Caroline. »Ehrlich. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber das kann nur jemand, der dich besser kennt.«
Er schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Es geht letzten Endes auch gar nicht um mich.«
Jetzt lächelte sie. »Dir ist aber schon klar, dass ich keine Ahnung habe, wovon du sprichst, oder? Du ergehst dich in Andeutungen, aber da ich deine Geschichte nicht kenne, kann ich damit nichts anfangen. Ich sag dir was: Wenn du glaubst, ich könnte dir einen guten Rat geben, erzähl mir, was dich beschäftigt. Wenn nicht, lass uns bitte das Thema wechseln. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich hasse Andeutungen, mir ist Klartext lieber.«
Das nahm er sich zu Herzen, denn umgehend wechselte er das Thema. »Wann willst du weiter nach Mexiko?«
»Morgen oder übermorgen, dachte ich. Ich muss in aller Ruhe ein paar Klamotten waschen und sehen, dass mir jemand für wenig Geld die Haare schneidet, damit ich wieder etwas zivilisierter aussehe.«
»Du siehst klasse aus«, stellte er fest. »Und deine Haare müssen überhaupt nicht geschnitten werden.«
»Oh, danke für das Kompliment. Ich fühle mich aber trotzdem etwas ungepflegt.«
»Kannst du bis übermorgen bleiben?«, fragte er. »Ich lade dich morgen zum Essen ein …«
Sie hob abwehrend beide Hände. »So weit kommt es noch, dass du dein Taschengeld für mich ausgibst.«
»Ich gebe Nachhilfeunterricht und verdiene ziemlich gut damit«, erklärte er. »Es ist also nicht mein Taschengeld. Außerdem wette ich mit dir, dass ich im Augenblick mehr Geld habe als du. Und es ist richtig, wenn ich dich einlade, ich will ja etwas von dir.«
»Ach so. Und was wäre das?«
»Ich will dir meine Geschichte erzählen, und du sollst mir einen Rat geben.«
Sie sah ihn prüfend an. Er wich ihrem Blick nicht aus, und sie erkannte, dass es ihm ernst war. Er brauchte einen Rat, und da dieser Ingenieur, den er als seinen Freund bezeichnet hatte, verreist war, hatte er nun sie ausgesucht. Armer Junge, dachte sie unwillkürlich und wollte schon fragen, warum er sich mit seinem Problem nicht an seine Mutter wandte. Doch gerade noch rechtzeitig kam ihr der Gedanke, dass diese Mutter, die ihren Sohn schon einmal hier besucht hatte, möglicherweise Teil des Problems war.
»In Ordnung, dann reise ich auf jeden Fall erst übermorgen weiter«, antwortete sie. »Ist sowieso besser, wenn ich ein bisschen länger Zeit habe, um auszuruhen und meine Sachen zu ordnen.«
»Bist du auf dem Campingplatz?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, da drüben gibt es dieses nette und preiswerte Hotel, das habe ich mir geleistet. Ich wollte mal wieder in einem richtigen Bett schlafen, außerdem kann ich da besser waschen.«
»Mittags oder abends?«, fragte er.
»Ich richte mich nach dir, Sebastian, du musst ja bestimmt am nächsten Tag früh aufstehen, ich kann mich ausschlafen.«
»Wenn du dich auf den Weg nach New Orleans machen willst, solltest du auch früh aufstehen.«
Sie lachte. »Da hast du auch wieder Recht. Aber bist du denn mittags nicht mehr in der Schule?«
»Morgen kann ich früher gehen«, erklärte er. »Kein Problem.«
Sie fragte nicht weiter nach, wenn er es sagte, würde es schon stimmen. »Dann lass uns doch zusammen zu Mittag essen«, schlug sie vor. »Danach packe ich meine Sachen und breche übermorgen früh auf.«
Sie verließen das Lokal gemeinsam und standen schon auf der Straße, als er fragte: »Wie ist eigentlich dein voller Name?«
»Caroline von Clemens«, antwortete sie. »Und du, wie heißt du?«
»Das erzähle ich dir morgen«, sagte er. »Ich hole dich gegen eins im Hotel ab.«
Sie sah ihm verwundert hinterher. Wieso hatte er ihr seinen Namen nicht sagen wollen? Sie war gespannt, was für eine Geschichte er ihr am nächsten Tag erzählen würde, aber eins glaubte sie sicher zu wissen: Es würde keine normale Teenager-Geschichte sein. Etwas sagte ihr, dass sein Problem ein ernstes war und dass ein Junge seines Alters es allein nicht lösen konnte, nicht einmal, wenn er hochbegabt war.
*
Peter Friese stürmte ohne anzuklopfen in das Zimmer seines Chefs und Freundes Niko von Hohenwege. Niko war bereits Kriminalkommissar, aber niemand neidete ihm den schnellen Aufstieg, denn er war verdient.
»Sie haben es gefunden!«, stieß er hervor. »Der Anruf kam gerade eben. Sie haben es endlich gefunden, Niko!« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«
Nikos Herz schlug augenblicklich schneller. Dieses war ein großer Moment in seinem Leben als Kriminalbeamter, aber jetzt war nicht die Zeit, den Triumph auszukosten. »Wir müssen im Schloss anrufen«, sagte er. »Und sofort einen Termin vereinbaren.«
»Warte noch eine Sekunde«, bat Peter. »Ich muss mich erst beruhigen. Ich stehe dermaßen unter Strom, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen.«
»Doch, kann ich«, widersprach Niko, »weil es mir nämlich genauso geht.«
»Wir haben es geschafft. Wir haben es wirklich geschafft, Niko!«
Hinter ihnen lagen Wochen akribischer Ermittlungsarbeit, die schließlich dazu geführt hatten, dass sie eine ganze Bande von Hehlern hatten festnehmen können. Einer von ihnen hatte angefangen zu reden und ihnen schließlich verraten, wo er und seine Komplizen die gestohlenen Gegenstände gelagert hatten. Den Beamten waren schier die Augen übergegangen angesichts der Schätze in der unscheinbaren Lagerhalle am Rande eines Industriegebiets. Wertvolle Gemälde und Kunstgegenstände, sowie kostbaren Schmuck hatten sie gefunden und schon bald festgestellt, dass mindestens zwei Kriminalbeamte mit den Hehlern gemeinsame Sache gemacht haben mussten.
Der Fall hatte für viel Aufsehen gesorgt, Niko und seinen Leuten aber natürlich jede Menge Lob und Anerkennung eingetragen. Und dann hatte sich herausgestellt, dass sich in der Lagerhalle auch ein Gegenstand von ganz besonderem Interesse befinden musste: Ein Medaillon der Fürstin Elisabeth von Sternberg.
Diese war im Jahr zuvor gemeinsam mit ihrem Mann Leopold bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Der einzige Sohn des Paares, Prinz Christian von Sternberg, lebte weiterhin im Schloss, war aber zu seinen Verwandten in den Westflügel gezogen. Baronin Sofia von Kant, eine Schwester der verstorbenen Fürstin und also Christians Tante, und ihr Mann Friedrich hatten den Fünfzehnjährigen praktisch als drittes Kind in ihre Familie aufgenommen, zu ihrem Sohn Konrad, der ein Jahr älter als Christian war und ihrer dreizehnjährigen Tochter Anna.
Vor einigen Monaten nun war eine Frau namens Corinna Roeder an die Sternberger herangetreten. In einem Brief hatte sie behauptet, knapp zwanzig Jahre zuvor eine Affäre mit Fürst Leopold gehabt zu haben, zu einem Zeitpunkt, als dieser bereits mit Elisabeth verheiratet gewesen war. Aus dieser Affäre, so Corinna Roeder weiter, sei ein Sohn hervorgegangen, der heute knapp siebzehnjährige Sebastian Roeder. Leopold habe sie all die Jahre heimlich mit Geld unterstützt, was er nun, nach seinem Tod, natürlich nicht mehr tun könne. Ihr Sohn aber sei hochbegabt und brauche daher besondere Förderung seiner Talente, und für diese Förderung fehle ihr das Geld, das sie nun von den Sternbergern zu erhalten hoffe.
Dieser Brief hatte vor allem Prinz Christian in tiefe Verzweiflung gestürzt. Noch hatte er den Verlust der Eltern nicht überwunden, da traf ihn bereits das nächste Unglück. Er sah sich in der Pflicht, die Ehre seines Vaters wiederherzustellen, doch das erwies sich als schwieriges Unterfangen, denn Corinna Roeder legte ›Beweise‹ vor: Fotos, Briefe, eine Sprachaufnahme. Die Experten waren sich über die Echtheit des Materials nicht einig, eine Lösung schien nicht in Sicht zu sein. Corinna Roeder nutzte die Öffentlichkeit für sich, und lange hatte es so ausgesehen, als werde sie ihren Kampf gewinnen.
Dann jedoch waren Zeugen aufgetaucht, die sie früher gekannt hatten, und etliche von ihnen hatten ausgesagt, sie sei mit einem Mann liiert gewesen, der dem Fürsten sehr, sehr ähnlich gesehen habe. Einer der Zeugen hatte sogar den Namen dieses Mannes gewusst: Sven Helmgart. Doch Sven Helmgart war flüchtig, und Corinna Roeder, die mittlerweile unter anderem wegen versuchten schweren Betrugs in Untersuchungshaft saß, blieb hartnäckig bei ihrer Geschichte, sodass noch immer kein Ende der unglückseligen Sternberger ›Affäre‹ in Sicht war.
So kam dem Medaillon der Fürstin, das am Tag ihres Todes gestohlen worden war, eine entscheidende Bedeutung zu, denn im Inneren des Medaillons befand sich eine Locke von Fürst Leopold. Ein Gentest würde sofortige Klarheit in der Frage bringen, ob Leopold von Sternberg Sebastian Roeders Vater war oder nicht.
Einer der Hehler hatte ausgesagt, das Medaillon in Unkenntnis der Tatsache gekauft zu haben, dass es der Fürstin gehörte. Es sei ›heiße Ware‹ gewesen, hatte er erklärt, und deshalb habe er es im Lager erst einmal versteckt, um es gegebenenfalls nach einigen Jahren, wenn sich niemand mehr dafür interessierte, wieder hervorzuholen und endlich zu verkaufen. Vielleicht sogar zurück an die Sternberger …
Das Lager war so groß, dass die Fahnder seit Tagen damit beschäftigt waren, die Sachen zu erfassen und zu katalogisieren – und eben auch das Medaillon zu suchen. Jetzt endlich hatten sie Erfolg gehabt.
»Kein Zweifel möglich?«, vergewisserte sich Niko.
»Wir haben doch die Zeichnung, die die Goldschmiedin angefertigt hat, zu den Kollegen geschickt. Sie sagen, es muss das Medaillon sein. Sie haben es in einem kleinen schwarzen Kästchen gefunden und weisungsgemäß nicht angerührt. Nur einmal angesehen haben sie es, mit der Zeichnung verglichen und das Kästchen dann gleich wieder zugeklappt.«
Niko griff zum Telefon. »Hast du schon veranlasst, dass es hierhergebracht wird?«
»Ja, klar.« Vorher war Peter blass vor Aufregung gewesen, jetzt kehrte wieder Farbe in sein Gesicht zurück. Langsam stand er auf. »Bis gleich«, sagte er. »Ich muss einen Schluck Wasser trinken, sonst kippe ich um.«
Niko wählte bereits, und so nickte er nur.
*
Im Schloss Sternberg nahm wie fast immer der alte Butler Eberhard Hagedorn das Telefongespräch entgegen. »Oh, Herr von Hohenwege«, sagte er. »Ich glaube, Ihr Anruf wird schon sehnsüchtig erwartet. Einen Augenblick bitte, ich verbinde Sie mit dem Herrn Baron.«
»Sind Sie denn gar nicht neugierig, Herr Hagedorn?«, fragte Niko verwundert.
»Ich denke mir, Sie haben gute Nachrichten«, erwiderte der Butler mit einem kleinen Lächeln in der Stimme, bevor es klickte und er das Gespräch weiterleitete.
»Herr von Hohenwege?«, fragte Baron Friedrich von Kant. »Bitte, sagen Sie es gleich, spannen Sie mich nicht lange auf die Folter.«
»Das Medaillon wurde gefunden, unsere Kollegen haben es noch nicht geöffnet, weil wir nicht riskieren wollten, dass die Locke, falls sie noch im Inneren ist, herausfällt oder sonst ein Missgeschick passiert. Das Medaillon wird bereits mit einem Spezialtransport zu uns gebracht, damit Sie es identifizieren können.«
»Moment bitte«, murmelte der Baron. »Ich stand gerade am Fenster, aber jetzt muss ich mich erst einmal setzen. Mir sind tatsächlich die Knie weich geworden.«
»Es ging uns genauso, Herr von Kant.«
»Ich werde keine Ruhe haben, bis wir wissen, ob sich die Locke noch im Inneren des Medaillons befindet. Wann wird es bei Ihnen sein?«
»In ein oder zwei Stunden, denke ich. Wir haben einen Tresorraum hier, dort kann es sicher gelagert werden, bis Sie hier sein können.«
»Ich fürchte, die ganze Familie wird bei Ihnen anrücken, Herr von Hohenwege. Auf diesem Medaillon ruhen all unsere Hoffnungen.«
»Das ist uns bewusst. Sagen Sie uns nur einen Termin, dann richten wir uns entsprechend ein.«
»Ich muss zuerst mit allen sprechen. Die Kinder gehen ja zur Schule, es kommt also ohnehin nur ein Nachmittagstermin infrage. Kann ich Sie später zurückrufen, wenn ich mit allen gesprochen habe?«
»Ja, natürlich.«
»Sie können nicht ermessen, was es für uns bedeuten würde, wenn diese unselige ›Affäre‹ endlich zum Abschluss käme.«
»Ich glaube, ich kann es mir ungefähr vorstellen«, erklärte Niko. »Und ich hoffe sehr, dass Sie bald alles hinter sich haben.«
»Danke«, erwiderte der Baron und verabschiedete sich. Eine Weile saß er bewegungslos an seinem Schreibtisch, dann rief er Eberhard Hagedorn.
»Wissen Sie es schon, Herr Hagedorn?«
»Nein, aber ich denke mir, Sie haben eine gute Nachricht erhalten, Herr Baron.«
»So ist es, und das verdanken wir zu einem Gutteil Ihnen. Hätten Sie nicht noch einmal darüber nachgedacht, warum dieses tüchtige Zimmermädchen damals von heute auf morgen gekündigt hat und wäre Ihnen nicht wieder eingefallen, dass es Gerüchte über ihren Freund gab, der schon einmal straffällig geworden war …«
»Ich bitte Sie, Herr Baron«, erwiderte der alte Butler bescheiden, »darauf hätte jeder kommen können.«
»Hätte, ja. Ist aber nicht, Herr Hagedorn.« Der Baron erhob sich. »Ist meine Frau in der Nähe?«
»Die Frau Baronin beantwortet Post, und eigentlich hat sie gesagt, dass sie nicht gestört werden möchte. Aber ich bin sicher, dass das nicht für die guten Nachrichten gilt, die Sie ihr zu übermitteln haben.«
»Das Medaillon ist gefunden, nun muss es nur noch vorsichtig geöffnet werden, wegen der Locke. Das wird in unserem Beisein geschehen. Und dann …«
»Ja, dann, Herr Baron«, sagte Eberhard Hagedorn, als Friedrich nicht weitersprach, »dann ist die Affäre bald zu Ende.«
»Zumindest hoffen wir das.« Mit diesen Worten verließ der Baron sein Büro, um sich auf die Suche nach seiner Frau zu machen.
*
»Schlechte Nachrichten?«, erkundigte sich Harry Ohlschläger.
»Ja, schon«, brummte Carl von Seeheim, als er sein Handy wieder in die Tasche steckte. »Ich mache mir Sorgen um den Jungen.«
»Du tust ja gerade so, als wärst du sein älterer Bruder, der auf ihn aufpassen muss. Dabei kennt ihr euch noch gar nicht so lange.«
»Stimmt, aber ich mag ihn. Er ist klug und ziemlich einsam. Er braucht jemanden, mit dem er reden kann.«
»Er geht doch hier zur Schule, oder? Da müsste er eigentlich jede Menge Freunde haben.«
»Er ist eher ein Einzelgänger, er freundet sich nicht so schnell mit jemandem an«, sagte Carl.
Harry und er waren Ingenieure. Sie arbeiteten in Deutschland für dieselbe Firma, hatten sich jedoch erst hier in den USA kennen gelernt, wo sie ein großes Kongresszentrum bauten, in der Nähe der Kleinstadt in Georgia, wo der Junge lebte, über den sie gerade sprachen, und in der auch sie wohnten.
»Mit dir hat er sich angefreundet«, stellte Harry fest. Er war ein drahtiger kleiner Kerl mit grauen Schläfen und flinken blauen Augen. Man sah es ihm nicht an, aber er war stark wie ein Bär und hatte schon manchen Bauarbeiter, der so dumm gewesen war, ihn zu unterschätzen, Respekt gelehrt.
»Ja, aber auch nicht sofort. Wir haben uns öfter getroffen, bevor er endlich ein bisschen aufgetaut ist.«
Carl verstummte. Sebastian Roeder war ihm gegenüber nicht nur ein bisschen aufgetaut, sondern er hatte ihm nach und nach seine ganze Geschichte erzählt. Zuerst hatte Carl ihm nicht glauben wollen, aber ein paar Recherchen im Internet hatten ergeben, dass alles der Wahrheit entsprach, was der Junge gesagt hatte. Eine völlig verrückte Geschichte war das, die einen knapp siebzehnjährigen Jungen natürlich überforderte, selbst wenn er so klug war wie Sebastian.
Harry wusste nicht einmal Sebastians Nachnamen, Carl hielt es so für besser. Er mochte Harry, sie teilten sich die Wohnung, tranken gelegentlich ein Bier zusammen, und bei der Arbeit harmonierten sie hervorragend. Aber er würde Harry nicht erzählen, dass Sebastians Mutter behauptete, ihr Sohn sei der Erstgeborene des verstorbenen Fürsten von Sternberg. Er hatte Fotos gesehen, auf denen Sebastian tatsächlich große Ähnlichkeit mit dem Fürsten in dessen jungen Jahren hatte, aber mittlerweile hieß es ja, es gebe einen Doppelgänger des Fürsten, und dieser sei der Vater des Jungen.
Carl hatte nicht die Absicht, sich auf Spekulationen darüber einzulassen, ob Sebastians Mutter die Wahrheit sagte oder nicht. Das mussten andere klären. Aber er hörte dem Jungen zu und wenn dieser ihn um einen Rat bat, sagte er ihm seine ehrliche Meinung. Er unterhielt sich tatsächlich gern mit Sebastian, der manchmal noch richtig kindlich sein konnte, auf der anderen Seite aber wieder überraschend erwachsen war. Er wusste viel – auch Dinge, von denen Carl noch nie gehört hatte. Sebastian hatte ein geradezu phänomenales Gedächtnis, das alles zu speichern schien, was er jemals irgendwo aufgeschnappt hatte.
»Und was ist jetzt? Er hat dir doch eine Nachricht geschickt, oder?«
»Da ist eine Frau aufgetaucht, eine Fotografin, offenbar haben sie sich länger unterhalten. Er will mit ihr essen gehen. Mir gefällt das nicht.«
Harry grinste. »Man könnte meinen, dass du eifersüchtig bist, Carl.«
»Bin ich nicht, ich mache mir nur Sorgen. Er ist einsam, und deshalb vergisst er seine Vorsicht. Eine Fotografin! Wahrscheinlich ist sie Journalistin und will ihn nur aushorchen.« Zu spät merkte Carl, dass er zu viel gesagt hatte.
»Aushorchen?«, fragte Harry auch schon, er war schließlich nicht auf den Kopf gefallen. »Worüber denn? Und wieso redest du von Vorsicht? Hat der Junge Geheimnisse?«
»Ja«, antwortete Carl kurz angebunden. »Ich kann sie dir nicht erzählen, aber er hat tatsächlich Geheimnisse, und die letzten Berufsgruppen, mit denen er reden sollte, sind Journalisten und Fotografen.«
Ein nachdenklicher Blick traf ihn. »Gut, dass ich nicht neugierig bin«, stellte Harry trocken fest.
»Tut mir leid, ich kann dir wirklich nicht mehr erzählen, Harry.«
»Musst du ja auch gar nicht. Wenn das so ist, warn den Jungen halt und sag ihm, dass er vorsichtig sein soll.«
Genau das tat Carl dann auch. Er tippte eilig eine lange Warnung ein und schickte sie ab. Hoffentlich nahm Sebastian sie sich zu Herzen.
*
»Was ist denn?«, fragte Caroline, als Sebastian und sie in einem hübschen Lokal Platz genommen hatten, das ein wenig abseits der Hauptstraße lag. Ihr war gleich aufgefallen, dass Sebastian nachdenklich aussah.
Unschlüssig sah er sie an. »Mein Freund hat mich gewarnt, dir meine Geschichte zu erzählen«, sagte er.
»Hast du ihn um Erlaubnis gefragt?«
»Nee, ich hab ihm nur gesagt, dass ich mit dir reden will, und er hat mich gewarnt.«
»Vielleicht ist er eifersüchtig, wenn er nicht mehr der Einzige ist, dem du dich anvertraust.«
»Eifersüchtig?«, wiederholte Sebastian. »Carl doch nicht.«
»Man kann in einen anderen Menschen nicht hineinsehen, weißt du? Vielleicht hat er sich in dich verliebt.« Dieser Gedanke war Caroline am vergangenen Abend gekommen, er hatte sie sehr beunruhigt. Ein einsamer Siebzehnjähriger ließ sich bestimmt leicht verführen …
Sebastian grinste breit. »Er hat’s mit Frauen, keine Sorge. So eine Art von Beziehung ist das nicht. Wir sind wirklich Freunde, wir reden nur.«
Sie sah keinen Grund, seine Worte anzuzweifeln. Das erleichterte sie. Diese Sorgen musste sie sich offensichtlich nicht mehr machen. »Wenn er dich warnt und du jetzt Bedenken bekommen hast, dann erzähl mir deine Geschichte eben nicht«, sagte sie. »Du hast mich zwar neugierig gemacht, aber ich glaube, ich kann es aushalten, wenn wir über andere Dinge reden. Mach dir bloß keinen Stress meinetwegen.«
»Ich möchte dir aber gern alles erzählen, auch weil du eine Frau bist. Frauen beurteilen Dinge manchmal anders als Männer.«
»Dazu kann ich nichts sagen, Sebastian, weil ich ja nicht weiß, welches Problem du hast. Sollen wir uns vielleicht zuerst einmal unser Essen aussuchen?«
Er nickte, und die Auswahl der Speisen nahm eine ganze Weile in Anspruch. Er empfahl ihr verschiedene Gerichte, woraus sie schloss, dass er öfter hier aß, obwohl es kein ganz billiges Restaurant war. Er schien tatsächlich gut zu verdienen mit seinem Nachhilfeunterricht.
Als sie die Bestellungen aufgegeben hatten, fragte er: »Gehst du manchmal ins Internet, um auf dem Laufenden zu bleiben, was zu Hause so los ist?«
»Nein, das ist zu teuer, und es lenkt mich von der Arbeit ab. Ich habe mit einer Freundin vereinbart, dass sie sich bei mir meldet, wenn es wirklich nötig sein sollte, und das hat sie bis jetzt genau ein einziges Mal getan.«
»Kennst du Schloss Sternberg?«, fragte er weiter.
»Das Schloss habe ich einmal aus der Ferne gesehen, es ist ja berühmt.«
»Die Familie kennst du also nicht?«
»Nein.« Sie fand seine Fragen zunehmend verwunderlich, zumal sie keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte, aber sie verließ sich darauf, dass er es ihr schon noch sagen würde.
»Du weißt aber, dass das Fürstenpaar von Sternberg im letzten Jahr mit einem Hubschrauber abgestürzt ist?«
»Das weiß, glaube ich, jeder, Sebastian.«
»Meine Mutter behauptet, dass sie vor achtzehn, neunzehn Jahren eine Affäre mit dem Fürsten von Sternberg hatte und dass ich sein erstgeborener Sohn bin. Wir sehen uns ziemlich ähnlich, ich habe Fotos von ihm gesehen, als er siebzehn war. Meine Mutter hat also an die Familie einen Brief geschrieben und um Geld für meine Ausbildung gebeten. Weil ich hochbegabt bin, brauche ich besondere Förderung, die ist ziemlich teuer, selbst wenn man ein Stipendium bekommt.«
Er bemühte sich angestrengt, seine Stimme sachlich klingen zu lassen. »Die Sache ist an die Öffentlichkeit gelangt, und seitdem herrscht ein Riesenwirbel. Die Sternberger wehren sich, sie sagen, das ist unmöglich, so etwas hätte der Fürst nie gemacht. Meine Mutter hat Fotos vorgelegt, auf denen sie mit dem Fürsten zu sehen ist, aber das erkennen sie nicht als Beweis an, weil es auch eine Fotomontage sein könnte.«
Caroline konnte zunächst nichts erwidern. Sie wusste nicht genau, welche Art von Geschichte sie erwartet hatte, aber ganz bestimmt nicht diese.
»Da staunst du, was?«, fragte er.
»Ich bin sprachlos«, gestand sie.
»Das merke ich.«
»Und ich verstehe nicht, wie ich dir in dieser Angelegenheit raten könnte. Musst du eine Entscheidung treffen?«
»Mehrere, glaube ich.«
»Warte«, bat sie. »Es gibt also einen Rechtsstreit zwischen dem Haus Sternberg und deiner Mutter darüber, wer dein Vater ist – habe ich das richtig verstanden?«
»So ungefähr. Sie sitzt seit einigen Wochen in Untersuchungshaft. Ein Verfahren gibt es noch nicht.«
»Oh!« Sie sah den Jungen erschrocken an. »Sie hat also gelogen?«
»Sie bleibt bei ihrer Geschichte, aber sie glauben ihr nicht mehr. Eine Zeit lang sah es so aus, als hätte sie gewonnen, aber es gibt Zeugen, die ausgesagt haben, dass sie damals mit einem Mann zusammen war, der dem Fürsten sehr ähnlich gesehen hat.«
»Verstehe«, murmelte Caroline. »Erzähl mir das etwas genauer.«
Er bemühte sich, ihr einen knappen Überblick über die Geschehnisse der vergangenen Monate zu geben und endete mit den Worten: »Zuerst hat sie es mir also nicht einmal erzählt, sie wollte mich da heraushalten. Deshalb hat sie auch so gedrängt, dass ich für ein Jahr hier zur Schule gehe. Das hat sie alles privat organisiert, damit niemand Auskunft darüber geben konnte, wo ich mich aufhalte. Sie hat das alles ziemlich gut geplant.«
»Aber konnte sie denn vorhersehen, dass das ein solcher Skandal werden würde? Die Sternberger hätten ja auch einfach zahlen und die Sache auf sich beruhen lassen können.«
Er nickte nachdenklich. Ihre Vorspeisen wurden gebracht. Er redete erst, als sie wieder allein waren. »Ich glaube, das war ihr Plan. Sie hätte genug Geld bekommen, um uns beiden Luft zu verschaffen – mehr wollte sie gar nicht Sie hat ja einen Job in einem Spitzenhotel. Dort arbeitet sie an der Rezeption. Wir sind eigentlich immer gut zurechtgekommen, nur in letzter Zeit nicht mehr. Meine privaten Musiklehrer wurden zu teuer, und Opern- und Konzertkarten sind schrecklich teuer. Nachdem der Fürst tot war …« Er brach ab.
»Ja?«, fragte Caroline. »Was wolltest du sagen, Sebastian?«
»Er hat uns immer unterstützt, das hat sie mir erzählt. Aber als er tot war, hörte das natürlich auf.«
»Er hat euch unterstützt?«, fragte Caroline. »Heimlich?«
»Ja, natürlich heimlich, anders wäre es ja nicht gegangen, schließlich sollte niemand etwas von mir erfahren.« Er stockte, schob einen Bissen in den Mund, kaute lange darauf herum und sagte schließlich so leise, dass Caroline Mühe hatte, ihn zu verstehen: »Manchmal frage ich mich, ob sie die Wahrheit gesagt hat. Wenn diese Zeugen nämlich nicht lügen und sie damals wirklich mit einem Mann zusammen war, der aussah wie Fürst Leopold, dann ist klar, warum ich dem Fürsten ähnlich sehe.«
»Du wirst das nur herausfinden, wenn du sie fragst, Sebastian.«
»Das habe ich schon getan, als sie hier war.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Sie war ziemlich schockiert, dass ich an ihr zweifele, das konnte ich ihr ansehen. Aber …« Er brach ab.
Sein Blick war so unglücklich, dass Caroline über den Tisch hinweg nach seiner Hand griff und sie drückte. »Es ist normal, dass du zweifelst, Sebastian.«
»Aber sie ist meine Mutter!« Es klang wie ein Aufschrei. »Ich lebe mit ihr zusammen, seit ich auf der Welt bin, ich dachte, ich kenne sie. Und jetzt stelle ich fest, dass sie offenbar ziemlich viele Geheimnisse hat. Ich wusste nichts von der Sache mit dem Fürsten, und ich wusste nichts von ihrem Plan, einen Brief nach Sternberg zu schreiben. Ich mag meine Mutter, sie war immer für mich da, immer auf meiner Seite. Aber jetzt merke ich, dass sie vielleicht ein ganz anderer Mensch ist als ich dachte.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Caroline nachdenklich. »Sie hat Geheimnisse vor dir gehabt, aber auch das ist normal. Kein Mensch gibt alles von sich preis, du tust das auch nicht. Sie hat sich um dich gekümmert, sie hat gearbeitet, um euch beide zu ernähren, sie war gut zu dir. Das ändert sich ja nicht dadurch, dass du jetzt Dinge über sie erfährst, die dir vielleicht nicht gefallen.«
Sein Blick wurde starr. »Und wenn sie gelogen hat?«, fragte er.
»Dann ist sie immer noch deine Mutter, die dafür gesorgt hat, dass du behütet aufwachsen konntest. Wenn sie gelogen hat, hat sie das getan, was viele Menschen jeden Tag tun.«
»Ganz so einfach ist es ja wohl nicht«, entgegnete er. »Wenn sie gelogen hat, hat sie sich strafbar gemacht. Dann hätte sie versucht zu betrügen, wahrscheinlich würde man ihr auch Verleumdung vorwerfen und erpresserische Absichten. Ich kenne mich bei juristischen Fragen nicht gut aus, aber ich schätze mal, die könnten sie für mehrere Jahre im Gefängnis verschwinden lassen.« Jetzt klang seine Stimme verzweifelt, und zum ersten Mal während dieses Gesprächs wirkte er so jung, wie er war, und sehr verletzlich. »Ich habe Angst, Caroline.«
»Die hätte jeder an deiner Stelle.«
Eine Weile aßen sie schweigend weiter, wobei Sebastian kaum zu merken schien, was er zu sich nahm.
»Du wolltest einen Rat von mir hören«, sagte Caroline nach einer Weile. »In welcher Frage?«
»Was soll ich tun?«, fragte er. »Hierbleiben oder das Jahr in den USA abbrechen und nach Deutschland zurückkehren? Vielleicht könnte ich eigene Recherchen anstellen und meiner Mama helfen. Sie will das nicht, das weiß ich, sie will auf jeden Fall, dass ich hierbleibe, damit ich in die Geschichte nicht hineingezogen werde …«
»Aber das bist du doch längst, Sebastian, du bist doch längst mittendrin, ob dir das nun gefällt oder nicht.«
»Das stimmt auch wieder«, murmelte er. »Waren ja auch schon genug Leute hier, die mich unbedingt interviewen wollten.«
»Aber jetzt nicht mehr?«
»Jetzt lassen sie mich einigermaßen in Ruhe, vor allem, weil sie wissen, dass sie aus mir sowieso nichts herauskriegen. Eine Zeit lang haben sie das Haus meiner Gastfamilie bewacht, aber das ist jetzt nicht mehr nötig.« Er sah sie an. »Was soll ich tun, Caroline?«
»Im Augenblick bist du hier sicherlich besser aufgehoben als in Deutschland. Da hättest du vermutlich keinen Augenblick Ruhe, die Journalisten würden dir auf Schritt und Tritt folgen. Und du sagst ja selbst, dass deine Mutter auch möchte, dass du hierbleibst.«
Er nickte. »Aber wenn sie gelogen hat, wird sie Hilfe brauchen«, sagte er mit veränderter Stimme. Er sah Caroline an. »Es spricht mittlerweile ziemlich viel dafür, dass sie gelogen hat – und wenn das so ist, hat sie es für mich getan. Ohne mich …« Er brach ab, seine Augen glänzten verdächtig. »Es ist alles meine Schuld!«, sagte er. »Wenn ich nicht hochbegabt wäre, hätte sie das niemals gemacht. Klar wäre es schön, wenn ich wieder mehr Musikunterricht bekommen könnte, aber ich komme auch so klar.«
»Es ist nicht deine Schuld!«, widersprach Caroline energisch. »Rede dir das bloß nicht ein, es ist nämlich Unsinn. Außerdem weiß ja im Augenblick niemand außer deiner Mutter, ob ihre Geschichte stimmt oder nicht. Es ist ziemlich sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.«
Er wischte sich hastig und verlegen über die Augen und nickte. »Was soll ich tun?«, fragte er. »Bitte, sag mir, was ich tun soll!«
Caroline erkannte seine Not und fällte einen schnellen Entschluss. Ihr kam es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an, wenn sie mal davon absah, dass ihr Geld allmählich knapp wurde. Aber sie war schon öfter in Geldnöten gewesen und hatte jedes Mal eine Lösung gefunden, so würde es auch dieses Mal sein. »Ich fahre morgen noch nicht weiter«, sagte sie. »Ich bleibe noch ein paar Tage, sodass wir in Ruhe überlegen können, was für dich das Richtige wäre. Was hältst du davon?«
Nie würde sie seinen dankbaren Blick vergessen und sein scheues Lächeln, als er ihr antwortete. »Geht das denn? Du hast doch gesagt, du hast nicht mehr viel Geld und willst noch nach New Orleans und nach Mexiko …«
»Das will ich auch, aber auf ein paar Tage früher oder später kommt es nicht an. Zuerst einmal finden wir heraus, was für dich das Beste ist.«
Sie sah, dass er ruhiger wurde. Er aß nach ihrer Entscheidung sein Hauptgericht mit deutlich mehr Appetit als die Vorspeise. Es war, als sei eine große Last von ihm genommen worden, und das machte sie froh.
Es kostete sie nur ein paar Tage, mehr nicht.
Als er sich später vor ihrem Hotel von ihr verabschiedete, umarmte er sie schüchtern und ungelenk. »Danke, Caroline«, sagte er. »Das vergesse ich dir nie.«
*
»Sie sind da«, sagte die Sekretärin leise. »Sie haben gerade Bescheid gesagt von unten, dass die Limousine jetzt eingetroffen ist.«
»Ist gut, Sonia, danke.« Niko nickte der jungen Frau zu. Peter und er standen nebeneinander, blass und aufgeregt. Einen Tag wie diesen erlebte man als Kriminalbeamter nicht jeden Tag.
Auch Kriminalrat Volkmar Overbeck hatte sich im Konferenzraum eingefunden, zusammen mit dem Wissenschaftler eines Forschungsinstituts, der die Locke des Fürsten, sollte sie sich noch im Inneren des Medaillons befinden, vorsichtig entnehmen und zur weiteren Untersuchung in sein Institut bringen würde.
Das verstaubte schwarze Kästchen, in dem sich das Medaillon befand, stand vor ihnen auf dem Tisch. Es sollte Prinz Christian von Sternberg vorbehalten bleiben, das Medaillon aus dem Kästchen zu nehmen und es zu öffnen.
An der Tür des Konferenzraums erschien erneut die Sekretärin, auch sie war jetzt blass vor Aufregung. »Die Besucher sind da«, sagte sie.
Kriminalrat Volkmar Overbeck, der die Sternberger gut kannte, trat vor, um sie zuerst zu begrüßen. Die Familie erschien vollzählig, begleitet wurde sie von Eberhard Hagedorn und den beiden Sternberger Anwälten Dr. Barbara von Kreyenfelss und Dr. Hagen von Boldt. Es dauerte eine Weile, bis alle einander begrüßt und sich um den Tisch versammelt hatten.
»Prinz Christian«, sagte der Kriminalrat, »in diesem Kästchen befindet sich ein Medaillon. Nach der uns vorliegenden Zeichnung gehen wir davon aus, dass es das Medaillon Ihrer Mutter ist. Wir bitten Sie, das Kästchen jetzt zu öffnen.«
Christian trat vor, jeglicher Blutstropfen war aus seinem Gesicht gewichen. Alle konnten sehen, dass seine Hände zitterten, ja, dass er am ganzen Leib zitterte. Ein entscheidender Wendepunkt in der ›Affäre‹ stand bevor, jedem der hier Anwesenden war das bewusst – und auch, dass hier ein Fünfzehnjähriger stand, der im vergangenen Jahr seine Mutter verloren hatte und jetzt gleich vielleicht etwas in Händen halten würde, das sie fast jeden Tag ihres Lebens getragen hatte.
Der Blick von Kriminalrat Volkmar Overbeck ruhte nachdenklich auf dem Jungen. Wie groß er geworden war, und wie reif er wirkte! Vor Jahren, er war vielleicht zwei oder drei Jahre alt gewesen, hatte er den Beinamen ›der kleine Fürst‹ bekommen, von einer Bevölkerung, die ihm und seinem Vater, der ihn gerne mit auf Reisen nahm, Zuneigung und manchmal sogar Verehrung entgegenbrachte. Der groß gewachsene Fürst Leopold und sein winziger Sohn wurden überall begeistert empfangen, und schon bald waren sie nur noch ›der große und der kleine Fürst‹ gewesen. Seltsam, dachte der Kriminalrat. Klein ist er nun wirklich nicht mehr, aber der Name wird ihm wahrscheinlich auch dann noch bleiben, wenn er der nächste Fürst von Sternberg geworden ist.
Zögernd streckte Christian die Hände nach dem Kästchen aus. Das Zittern hatte sich verstärkt, aber er schaffte es, den Verschluss zu betätigen, sodass der Deckel aufsprang. Da lag es, das Medaillon, und ein vielfacher Seufzer ging durch den Raum. Die Sternberger hatten sich um Christian geschart, ihre Blicke fest auf das Schmuckstück gerichtet. Baronin Sofias Augen füllten sich mit Tränen, der Baron legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. Anna und Konrad atmeten schnell, sie konnten ihre Erregung kaum verbergen. Einzig Eberhard Hagedorn stand ganz still und ohne sichtbare Gefühlsregung da, aber wer ihn besser kannte, sah doch, dass ab und zu ein Zucken über sein Gesicht lief, als hätte er nicht jeden Muskel unter Kontrolle.
»Ist es das Medaillon Ihrer Mutter, Prinz Christian?«, fragte der Kriminalrat mit sanfter Stimme.
Der kleine Fürst sah auf. In seinen Augen schimmerten Tränen. »Ja, das ist es«, bestätigte er mit heiserer Stimme.
»Dann bitte ich Sie, es jetzt zu öffnen«, sagte der Kriminalrat.
Sehr behutsam nahm der Junge das Medaillon aus dem Kästchen, er schloss die rechte Hand darum zur Faust und legte sie auf sein Herz. Allen im Raum stockte der Atem.
Als Christian die Faust öffnete und den winzigen Knopf an der Seite des Medaillons drückte, sprang der Deckel auf und gab den Blick ins Innere des Schmuckstücks frei. Alle konnten es sehen: Darin lag eine Locke dunklen, dichten Haares. Und, auch das war zu sehen, in den Deckel waren einige Worte eingraviert, die freilich nur der kleine Fürst lesen konnte.
Er starrte auf die Inschrift und die Locke. Lautlos bewegte er die Lippen. Niemand wagte ein Wort zu sagen oder sich zu rühren, bis der Junge behutsam das Medaillon wieder schloss und es in das schwarze Kästchen zurücklegte.
Er hob den Blick, ließ ihn über die Anwesenden schweifen. Es war offensichtlich, dass er etwas sagen wollte, doch dazu kam es nicht. Ohne einen Laut von sich zu geben, sackte er bewusstlos in sich zusammen.
*
»Entwarnung«, sagte Dr. Walter Brocks, der in Sternberg eine Klinik leitete und zugleich der Arzt der Schlossbewohner war, einige Stunden später. »Ich denke nicht, dass Prinz Christian eine Nacht bei uns verbringen muss. Er ist bei Ihnen im Schloss besser aufgehoben, besonders nach einem so aufregenden Tag wie heute. Er hat sich im Fallen nur eine kleine Prellung zugezogen, aber das muss Sie nicht weiter beunruhigen.«
»Danke, Herr Doktor«, sagte Baronin Sofia, »wir waren in großer Sorge um Chris.«
»Eigentlich hat sein Körper vernünftig reagiert, Frau von Kant«, erklärte der Klinikchef mit feinem Lächeln. »Er hat für Ruhe gesorgt, und das ist es, was Prinz Christian jetzt vor allem braucht. Ich empfehle, ihn einige Tage nicht zur Schule gehen zu lassen. Er sollte sich ausruhen und Kraft sammeln für das, was ihm bevorsteht.« Das Lächeln verschwand vom Gesicht des Arztes. »Und das wird, wie wir alle wissen, nicht einfach werden.«
Sofia und Friedrich hatten Dr. Brocks eingeweiht, es war ohnehin nur eine Frage von wenigen Tagen, bis der Fund des Medaillons mit der Locke des Fürsten allgemein bekannt sein würde, einen Grund zur Geheimhaltung sah niemand. Die Locke änderte alles, mit ihrer Hilfe konnte die ›Affäre‹ rasch beendet werden.
»Das wird ihm nicht gefallen, Herr Dr. Brocks«, entgegnete Baron Friedrich. »Christian geht gern zur Schule, er mag es nicht, wenn er Unterricht versäumt.«
»Dann überlassen Sie die Entscheidung ihm. Er kann vielleicht am besten einschätzen, was jetzt gut für ihn ist und was nicht.«
»Es war alles zu viel für ihn«, sagte die Baronin leise. »Für ihn und für uns alle.«
Sie verabschiedeten sich und kehrten zu Christian zurück. Anna und Konrad waren nicht von der Seite ihres Cousins gewichen. Eberhard Hagedorn indes war von Per Wiedemann, dem Sternberger Chauffeur, mittlerweile ins Schloss zurückgebracht worden.
»Wir können dich mitnehmen, Chris«, sagte die Baronin. »Herr Dr. Brocks meint, dass du auf Sternberg am besten aufgehoben bist.«
Der Junge atmete erleichtert auf. »Dann ist es ja gut. Ich wäre nicht gerne hiergeblieben. Und Togo hätte das bestimmt auch nicht gefallen.« Togo war Christians junger Boxer, die beiden hingen mit großer Liebe aneinander.
»Kannst du allein aufstehen?«, fragte die Baronin.
»Chris war nur kurz ohnmächtig, Mama!«, sagte Anna. »Ich wäre auch beinahe ohnmächtig geworden, als ich Onkel Leos Locke gesehen habe, das ist doch normal, oder?«
»Normal vielleicht nicht, aber jedenfalls nicht so besorgniserregend, wie wir zuerst dachten, Anna.«
Christian schwang die Beine vom Bett und stand dann vorsichtig auf. Beruhigt sahen Sofia und Friedrich, dass Konrad sich unauffällig bereithielt, seinen Cousin zu stützen, sollte es sich als notwendig erweisen. Doch Christian stand sicher auf seinen Beinen, sein Gesicht hatte wieder Farbe. »Alles in Ordnung«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass ich noch einmal das Bewusstsein verliere.«
Sie nahmen ihn in die Mitte, als sie die Klinik verließen. Per Wiedemann war bereits wieder zurück, er erwartete sie. Als er den kleinen Fürsten sah, lächelte er. »Ich bin froh, dass es Ihnen besser geht, Prinz Christian«, sagte er.
»Das bin ich auch, Herr Wiedemann. Und noch froher bin ich, dass ich jetzt wieder nach Hause darf.«
Die kurze Fahrt zum Schloss legten sie mehr oder weniger schweigend zurück, selbst die lebhafte Anna blickte nur gedankenverloren aus dem Fenster. Es war ein ereignisreicher Tag gewesen, ein Tag, von dem sie alle hofften, dass er die entscheidende Wende in der ›Affäre‹ herbeigeführt hatte.
*
Carl erschrak, als er einen Tag später morgens einen raschen Blick ins Internet warf und ihm sofort die Nachricht über eine ›sensationelle Wendung in der Sternberger Affäre‹ ins Auge fiel. Er las atemlos, was die Polizei in Deutschland soeben erst veröffentlicht hatte: Ein Medaillon der Fürstin war gefunden worden, mit einer Haarlocke des Fürsten darin. Nun konnte also ein Gentest für Klarheit in der Vaterschaftsfrage sorgen – etwas, das bisher als ausgeschlossen gegolten hatte.
Carl zweifelte nicht daran, dass Sebastian diese Neuigkeit in Kürze erfahren würde, wenn er sie nicht schon gelesen hatte, was auch möglich war. Oder vielleicht hatte ihn ja sogar seine Mutter informiert, obwohl er, Carl, das nach allem, was er über die Sache wusste, für eher unwahrscheinlich hielt.
Was würde der Junge tun? Wie würde er reagieren? Er selbst konnte erst übermorgen zurückkehren, bis dahin war Sebastian mit dieser deutschen Fotografin zusammen, die ihre Pläne verdächtig schnell geändert hatte und noch immer in Georgia war. Sicherlich würde sie die Situation ausnutzen und Sebastian seine Geheimnisse entreißen. Weshalb sonst hätte sie sich entscheiden sollen, ihre Reisepläne zu verschieben? Reine Menschenfreundlichkeit war es sicherlich nicht gewesen.
»Was ist denn los?«, fragte Harry verwundert, als er Carls mürrisches Gesicht sah. »Schlecht geschlafen? Oder Ärger mit irgendeiner Frau?«
»Letzteres«, knurrte Carl.
»Ich habe gar nicht gemerkt, dass da was läuft.«
»Es geht um die Frau, mit der Sebastian sich angefreundet hat«, erklärte Carl.
»Die, die ihm seine Geheimnisse entlocken will, wenn ich deine Andeutungen neulich richtig verstanden habe.«
»Genau. Es wird Zeit, dass wir zurückkommen, Harry. Ich muss den Jungen beschützen, er ist erst siebzehn, er ist einsam, er wird zu viel reden und sich ins Unglück stürzen.«
Harry war Carls Ausführungen mit wachsendem Erstaunen gefolgt. »Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, er hätte ein Verbrechen begangen und sei auf der Flucht.«
»Ich habe es Sebastian versprochen, die Sache für mich zu behalten, sonst würde ich sie dir liebend gern erzählen, das darfst du mir glauben«, erwiderte Carl.
»Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?«, fragte Harry gekränkt. »Ich informiere mich auch über das, was in Deutschland vor sich geht. Glaubst du im Ernst, ich hätte nicht mitbekommen, wo sich ein gewisser siebzehnjähriger Sebastian Roeder aufhält – und welches seine Geschichte ist? Ich dachte, du kommst sicher von selbst auf die Idee, dass ich mir schon zusammengereimt habe, wer dein Freund Sebastian ist, aber offenbar war das ein Irrtum.«
Carl sah ihn fassungslos an. »Du hast das die ganze Zeit gewusst?«
»Die ganze Zeit nicht, aber irgendwann habe ich angefangen, mich zu fragen, was mit dem Jungen eigentlich los ist, dass du dir so viele Sorgen um ihn machst. Man brauchte nicht besonders viel detektivisches Gespür, um es herauszufinden. Außerdem waren ja schon einige Journalisten hier und haben auch mit ihm gesprochen. Sein Aufenthaltsort ist kein Geheimnis. Ich weiß sogar, dass das Haus seiner Gasteltern zwischenzeitlich bewacht werden musste.«
»Entschuldige, Harry«, sagte Carl. »Ich bin richtig froh, dass du Bescheid weißt.« Und das war er wirklich. Jetzt konnte er endlich offen mit Harry reden, das hatte ihm die ganze Zeit gefehlt.
»Die Sache spitzt sich jedenfalls zu«, stellte Harry fest. »Ich habe die neuesten Nachrichten heute nämlich auch schon gelesen. Hat er sich noch nicht bei dir gemeldet?«
»Nur kurz, und ich weiß schon, was das bedeutet.«
»Du traust dieser Frau nicht. Du denkst, sie hat sich nur an ihn herangemacht, weil er Sebastian Roeder ist«, stellte Harry fest.
»Sicher denke ich das. Du nicht?«
»Möglich wäre es. Aber nicht alle Menschen sind so, dass sie andere nur ausnutzen wollen und ihren eigenen Vorteil im Auge haben.«
»Nicht alle, aber die meisten, ich mache mir da nichts vor.« Carls Gesicht war düster. »Wenn ich hier bloß früher weg könnte, ich habe überhaupt keine Ruhe mehr, Harry.«
»Lass uns mit der Arbeit anfangen, es ist immerhin nicht völlig ausgeschlossen, dass wir früher fertig werden.«
Carl hielt das für unwahrscheinlich, es stellte sich jedoch heraus, dass er sich irrte: Sie wurden früher fertig, und die Bauleitung beschloss, dass sie bereits am nächsten Tag in ihr ›Hauptquartier‹, wie sie es scherzhaft nannten, zurückkehren konnten.
»Na, also«, sagte Harry. »Morgen kannst du nach dem Rechten sehen und dir diese Fotografin vorknöpfen.«
»Worauf du dich verlassen kannst!«, erklärte Carl mit grimmigem Unterton in der Stimme.
*
»Das ist doch Unsinn, Herr Dr. Braun«, sagte Corinna Roeder, aber sie war blass geworden, nachdem ihr Anwalt Dr. Jens-Oliver Braun seinen knappen Bericht beendet hatte. »Die Sternberger haben schon in der Vergangenheit eine Überraschung nach der anderen aus dem Hut gezaubert, und so machen sie jetzt weiter. Wer weiß, wessen Locke das ist, die sie jetzt angeblich so überraschend gefunden haben.«
Jens-Oliver Braun war ein noch junger Anwalt. Er hatte sehr gute Examensnoten bekommen und war ehrgeizig. Besonders eindrucksvoll sah er nicht aus, er war nicht groß und auch nicht attraktiv. Zu seinem größten Bedauern hatte er ›ein Durchschnittsgesicht‹, wie er selbst es ausdrückte. Doch genau das war sein Antrieb: Er wollte in seinem Beruf auf keinen Fall Durchschnitt sein, und deshalb interessierte er sich auch von Anfang an nicht für die Fälle, mit denen Anwälte normalerweise ihr Brot verdienten. Er wollte das werden, was die Medien gerne ›Star-Anwalt‹ nannten, und allein im Bewusstsein dieses Ziels entschied er, wen er vertreten wollte und wen nicht.
Da er über gute Verbindungen verfügte, war es ihm gelungen, einige interessante Mandanten zu gewinnen, und zu diesen zählte er auch Corinna Roeder. Natürlich hätte er ihren Fall gerne gewonnen, aber er wusste, dass er auch dann ein gemachter Mann sein würde, wenn er verlor. Sein Name war jetzt seit Monaten fast täglich in der Presse zu lesen, er hatte das eine oder andere Interview gegeben, sein Foto wurde ständig veröffentlicht. Er war durch Corinna Roeder ein gefragter Mann geworden, und in der ersten Zeit hatte der Fall für ihn und seine Mandantin ja auch richtig gut ausgesehen. Doch in den letzten Wochen schien sich das Glück zu wenden, und genau das versuchte er ihr jetzt klarzumachen.
Er selbst war, was ihre Geschichte betraf, noch immer unsicher. Am Anfang hatte er ihr geglaubt, das hatte ihm bei ihrer Verteidigung geholfen. Dann waren ihm erste Zweifel an ihrer Wahrhaftigkeit gekommen, aber sie war bei ihrer Geschichte geblieben, ohne jedes Wenn und Aber. Also würde er ihr, nach außen hin, auch weiterhin glauben. Bis jetzt war er davon ausgegangen, dass die Geschichte unentschieden ausgehen würde, da es jeder Seite an Beweisen fehlte. Sollte jetzt tatsächlich eine Locke des Fürsten aufgetaucht sein, sah das natürlich anders aus.
»Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die gefundene Locke tatsächlich Fürst Leopold gehört hat«, sagte er jetzt. »Frau Roeder, das Gericht wird einen Gentest erzwingen. Wenn Sie mir also etwas zu sagen haben, was von Ihren bisherigen Aussagen abweicht, dann sollten Sie es spätestens jetzt tun.«
»Ich habe nichts zu sagen«, erklärte sie. »Was ich gesagt habe, ist die Wahrheit. Ein Gentest wird nichts anderes ans Licht bringen. Außerdem brauchen sie dazu ja wohl meinen Sohn, und der ist nicht in Deutschland.«
»Er sollte lieber herkommen, finde ich. Der Gentest wird ergeben, dass er Fürst Leopolds Sohn ist, und danach werden Sie sofort aus der U-Haft entlassen.«
Sie nickte. »Ja, so könnte es laufen, aber ich will das nicht. Ich will nicht, dass Sebastian in diese Sache hineingezogen wird.«
Jens-Oliver Braun traute seinen Ohren nicht. Erregt beugte er sich vor. »Frau Roeder, er muss kommen, sonst kann dieser Test nicht durchgeführt werden. Beziehungsweise kann sich die Durchführung des Tests lange hinauszögern. Sie wissen ja, wie langsam Behörden manchmal arbeiten … Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen? Sie schaden sich doch nur selbst.«
»Ich habe Sebastian verboten, nach Deutschland zu kommen. So habe ich es auch seinen Pflegeeltern mitgeteilt. Sie sind für ihn verantwortlich, er ist noch nicht volljährig. Ich will nicht, dass er herkommt und sich die Medien wie die Geier auf ihn stürzen. Ich habe das selbst mitgemacht, ihm will ich so etwas auf jeden Fall ersparen.«
»Aber dann kann ich Ihnen nicht mehr helfen, Frau Roeder«, sagte er. »Das muss Ihnen doch klar sein! Es liegt jetzt ein Beweis vor …«
»Was ist der Beweis denn wert?«, rief sie zornig. »Es kann die Locke von irgendwem sein, die sie in das Medaillon gelegt haben. Bei allen Beweisen, die ich vorgelegt habe, haben sie behauptet, dass sie gefälscht sind, selbst wenn ein Gutachter für mich gesprochen hat, haben sie das behauptet. Und jetzt kehre ich den Spieß um und sage: Die Locke ist nicht von Leo! Sie ist erst jetzt gefunden worden! Wie wollen sie denn beweisen, dass es seine Locke ist? Sie wollen nur, dass ich aufgebe. Sie wollen mich mit solchen miesen Tricks zum Aufgeben zwingen.«
Es war bisher nur selten vorgekommen, dass sie sich so erregt hatte. Er kannte sie als ruhige, beherrschte Frau, die er bis jetzt noch nicht einmal hatte weinen sehen. Sie ertrug ihre Untersuchungshaft mit bewundernswertem Gleichmut. Manchmal hatte er sich schon gefragt, ob sie heimlich weinte – nachts vielleicht, wenn niemand sie dabei beobachten konnte. Aber das würde er natürlich nie erfahren.
Immerhin war ihr Gedankengang interessant, das war nicht zu leugnen. Er war im Stillen davon ausgegangen, dass sein Mandat in Kürze beendet sein würde, doch danach sah es nach Corinna Roeders Reaktion nicht unbedingt aus.
»Wenn Sie das so sehen«, sagte er betont ruhig, »werde ich die Echtheit der Locke anzweifeln. Mal sehen, wie weit wir damit kommen.«
Sie hatte ihre Fassung bereits wiedergewonnen. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie, »ich hätte mich nicht so aufregen dürfen. Aber ich möchte Sebastian schützen, das ist für mich das Wichtigste.«
Er konnte nicht umhin, sie zu bewundern. Sie war nur einige Jahre älter als er, und sie war zweifellos eine sehr attraktive Frau. Gut vorstellbar, dass Fürst Leopold damals schwach geworden war. Vor knapp zwanzig Jahren hatte Corinna Roeder garantiert absolut umwerfend ausgesehen …
Er stand auf. »Ich sehe, was ich tun kann«, sagte er.
Sie erhob sich ebenfalls. »Danke, Herr Dr. Braun«, sagte sie.
Während er das Gebäude verließ, formulierte er bereits, was er zur Auffindung des Medaillons mit der angeblichen Locke des Fürsten sagen würde. Tatsächlich konnte sich auch diese Situation wieder als Glücksfall für ihn erweisen. Er würde, so oder so, noch eine ganze Zeit lang interessant bleiben für die Medien, und das war letzten Endes die Hauptsache.
*
»Du bist schon zurück?« Sebastian freute sich sichtlich, Carl zu sehen. »Ich hatte erst morgen mit dir gerechnet.«
»Wir sind früher fertig geworden«, erklärte Carl. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Sebastian. Ich habe von der neuesten Entwicklung in …, in eurem Fall in Deutschland gehört.«
Eben hatte der Junge noch gelächelt, jetzt verschloss sich sein Gesicht. »Meine Mama sagt, sie haben irgendeine Locke in das Medaillon gesteckt, damit sie endlich aufgibt. Sie sagt, die lassen keinen Trick aus.«
»Und, glaubst du das?«
Sebastian betrachtete angelegentlich seine Schuhspitzen, bevor er den Blick hob und Carl in die Augen sah. »Ich weiß nicht, Carl. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll.«
»Sollen wir drüben bei Joe eine Cola trinken?«
Der Junge nickte, und so überquerten sie die Straße und steuerten auf Joes Bar zu. Sie wurden freundlich begrüßt, die Cola bekamen sie, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Man kannte sich schließlich.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll, Carl. Und was ich denken soll, weiß ich auch nicht.«
»Was sagt denn deine neue Freundin dazu?«, erkundigte sich Carl betont beiläufig.
»Caroline?« Sebastians Augen leuchteten auf. »Sie ist echt cool, und sie ist nur meinetwegen noch geblieben, weil sie gemerkt hat, dass ich durchhänge.« Schüchtern setzte er nach einer kurzen Pause hinzu: »Du hast mir gefehlt. Wenn man keinen hat, mit dem man offen über seine Probleme reden kann, ist das echt Mist. Deshalb war ich ja so froh, als Caroline aufgetaucht ist.«
»Du hättest mit deinen Gasteltern reden können.«
Sebastian winkte ab. »Sie sind nett, aber sie verstehen einfach nicht, was genau in Deutschland vor sich geht. Die haben hier doch keine Adeligen und so. Sie können nicht richtig nachvollziehen, was es bedeuten würde, wenn Fürst Leopold von Sternberg mein Vater wäre.«
»Wenn deine Mutter behauptet hätte, einer aus der Familie Kennedy wäre dein Vater, dann hätte das hier bestimmt auch eingeschlagen wie eine Bombe, meinst du nicht? Ich glaube, das kann man schon vergleichen.«
»Kann sein, aber ich will trotzdem lieber nicht mit ihnen reden, ich glaube nämlich, sie wären mich ganz gerne los, weil meine Mutter jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Aber einfach auf die Straße setzen wollen sie mich wohl auch nicht.«
»Und deine Lehrer? Du verstehst dich doch mit fast allen sehr gut.«
»Aber wir reden eigentlich nur über schulische Sachen, ich kann denen nicht mit meinen privaten Problemen kommen.«
Eine helle Stimme rief: »Hallo, Sebastian!« Eine schlanke junge Frau mit dunkelblonden Haaren und einem fein gezeichneten Gesicht, in dem vor allem die ausdrucksvollen Augen auffielen, erschien an der Tür von Joes Bar. »Oh, ich dachte, du bist allein«, setzte sie hinzu, als sie Carl sah. Unbefangen kam sie näher. »Ich bin Caroline«, sagte sie. »Sebastian und ich haben uns angefreundet. Du musst Carl sein, der Ingenieur.«
Es ärgerte Carl, dass sie ihn einfach duzte, und er fand seine Reaktion selbst ein wenig albern. Es ärgerte ihn auch, dass sie ein so erfreulicher Anblick war. Lieber wäre es ihm gewesen, er hätte sie unattraktiv, vielleicht sogar abstoßend finden können. Das hätte ihm den Umgang mit ihr erleichtert. »Bin ich«, sagte er trocken. »Und, wie viele Fotos von Sebastian hast du schon gemacht, die du dann in Deutschland teuer verkaufst?«
»Carl!«, rief Sebastian erschrocken. »Das macht sie doch gar nicht!«
»Und woher weißt du das?«, fragte Carl. »Eine Fotografin lebt davon, dass sie ihre Fotos verkauft – und wenn etwas in Deutschland gerade auf großes Interesse stößt, dann sind es Fotos von dir.«
»Ich habe überhaupt keine Fotos von Sebastian gemacht«, erklärte Caroline mit zusammengezogenen Brauen. »Wie kommen Sie denn auf diese dämliche Idee?«
Carl fand es interessant, dass sie ihn jetzt siezte. War das nicht ein Zeichen dafür, dass sie etwas zu verbergen hatte, wenn sie mit einem Mal auf Abstand zu ihm ging? »Es ist keine dämliche, sondern eine ziemlich naheliegende Idee«, erklärte er und ging seinerseits zum ›Sie‹ über. »Was für ein Interesse könnten Sie denn sonst an Sebastian haben?«
Sie starrte ihn an wie ein giftiges Insekt. »Und Sie?«, fragte sie. »Die Frage gilt für Sie doch genauso, oder etwa nicht? Nur weil ich Fotografin bin, muss ich böse Absichten haben, während Sie von vornherein über jeden Verdacht erhaben sind, weil Sie Ingenieur sind? Machen Sie sich doch bitte nicht lächerlich!«
»Hört bitte auf, euch zu streiten«, sagte Sebastian unglücklich. »Wieso streitet ihr überhaupt?« Seine Stimme klang so kläglich, dass Carl sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Vielleicht übertrieb er es ja wirklich mit seiner Sorge um den Jungen, wie Harry es neulich angedeutet hatte?
»Ich will mich nicht streiten mit deiner neuen Freundin, Sebastian«, erklärte er, »ich will nur sicher gehen, dass sie dich nicht ausnutzt.«
Caroline wollte erneut zornig auf ihn losgehen, doch er sprach schnell weiter. »Bitte, Sie müssen doch zugeben, dass es Menschen gibt, die Sebastians Situation ausnutzen würden, um selbst Vorteile daraus zu ziehen.«
»Ja, die gibt es. Aber wie eben schon erwähnt: Es trifft auf mich nicht mehr zu als auf Sie.« Ihre Blicke schossen wütende Blitze auf ihn ab, bevor sie sich Sebastian zuwandte. »Ich reise morgen ab, Sebastian. Erstens brauchst du mich ja jetzt nicht mehr, weil dein guter Freund wieder da ist« – die Worte ›guter Freund‹ spuckte sie so verächtlich aus, dass Carl zusammenzuckte. »Und zweitens möchte ich weiteren unerfreulichen Zusammentreffen dieser Art lieber aus dem Weg gehen. Ich nehme an, du verstehst das. Vielleicht kommst du heute Abend noch einmal bei mir vorbei, damit wir uns voneinander verabschieden können.«
Wieder schoss sie einen Blick auf Carl ab, der ihn getötet hätte, wäre er eine Waffe gewesen, bevor sie hinzusetzte: »Komm aber bitte allein, falls dein Aufpasser dich gehen lässt.« Ohne weiteres Wort drehte sie sich um und marschierte aus Joes Bar.
Sebastian stand auf, er öffnete den Mund, um ihr etwas nachzurufen, doch sie war bereits nicht mehr zu sehen. Er ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken und warf Carl einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du hast sie verjagt.«
»Zum Glück«, sagte Carl grimmig. »Wenn sie kein schlechtes Gewissen gehabt hätte, wäre sie bestimmt geblieben.«
Sebastian biss sich auf die Lippen. »Du hast ihr Unrecht getan!«, sagte er nach einer Weile heftig. »Du hattest kein Recht, sie zu beschimpfen, Carl.«
»Ich habe sie nicht beschimpft, ich habe ihr nur gesagt, dass ich ihr nicht gleich jedes Wort glaube, nur weil sie nett aussieht. Du bist siebzehn, Sebastian, du weißt noch nicht, wie viel Schlechtigkeit es auf der Welt gibt.«
»Vielleicht weiß ich das nicht, aber mit ihrem Argument hatte sie jedenfalls Recht«, erwiderte Sebastian.
»Mit welchem Argument denn? Sie hatte doch gar keins.«
»Doch, das hatte sie wohl. Sie hat gesagt, wenn ich zu ihr kein Vertrauen haben darf, darf ich es zu dir auch nicht haben, dich kannte ich nämlich am Anfang auch nicht.«
Carl schwieg, denn das war leider nicht von der Hand zu weisen. Etwas lahm sagte er: »Ich bin kein Fotograf. Mein Beruf ist nicht verdächtig in Bezug auf deine Geschichte. Ich finde schon, dass das einen Unterschied macht.«
»Vielleicht«, gab Sebastian widerstrebend zu. »Aber es ist ja nicht so, dass ich überhaupt keine Menschenkenntnis habe. Am Anfang war ich nämlich sehr misstrauisch, ich habe ihr nicht sofort alles erzählt. Erst, als ich sicher war, dass sie keine Ahnung hatte, wer ich bin.«
»Das ist leider kein Beweis. Sie kann dir etwas vorgespielt haben. Wer die Geheimnisse von anderen erfahren will, muss gut lügen können, sonst erzählt ihm niemand etwas.«
»Caroline lügt nicht.« Sebastian sah jetzt so traurig aus, dass Carl ein schlechtes Gewissen bekam. Worüber stritten sie hier eigentlich? Er selbst hatte ein paar schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, die sich sein Vertrauen zuerst erschlichen und es dann missbraucht hatten. Das berechtigte ihn aber trotzdem nicht dazu, jetzt überall Ähnliches zu vermuten. Und vor allem durfte er nicht einen Siebzehnjährigen mit Misstrauen vergiften, von dem er in der Tat nicht sicher wusste, ob es berechtigt war.
»Ich will nicht, dass sie schon abreist, Carl. Ich will, dass sie noch hierbleibt. Wir haben so viel geredet in den letzten Tagen, und ich muss doch eine Entscheidung fällen, jetzt, wo sie diese Locke gefunden haben …«
Carl sah mit Schrecken die Tränen in den Augen des Jungen. Nie zuvor hatte er Sebastian weinen sehen. Immer hatte der Junge sich in der Gewalt gehabt, wie beunruhigend die Nachrichten aus Deutschland auch gewesen waren. Aber jetzt schienen ihn seine Kräfte zu verlassen, und das war ja auch kein Wunder. Er hatte sich schon mehrfach gefragt, wie er als Siebzehnjähriger in Sebastians Lage gehandelt hätte – er war sich die Antwort auf die Frage schuldig geblieben. Mit siebzehn war man fast erwachsen, aber eben noch nicht ganz. Von Sebastian jedoch wurde erwartet, dass er mit einer Situation umging, die selbst die meisten Erwachsenen überfordert hätte.
Er legte dem Jungen einen Arm um die Schultern und zog ihn an sich. »Es tut mir leid«, sagte er ruhig. »Ich habe überreagiert, aber ich habe es getan, weil ich mir Sorgen um dich mache. Ich hatte einfach Angst, dass sie deine Unerfahrenheit ausnutzt, Sebastian.«
Der Junge trocknete seine Tränen. »So unerfahren bin ich gar nicht mehr«, erklärte er. »Du vergisst, wie lange diese ›Affäre‹ jetzt schon dauert. Ich habe in der Zeit ziemlich viel gelernt.«
»Natürlich, das vergesse ich wirklich immer wieder. Also, was machen wir jetzt?«
»Könntest du dich bei Caroline entschuldigen?«, fragte Sebastian schüchtern. »Ich muss eine Entscheidung fällen, und ich möchte gern, dass ihr beide mir dabei helft. Nicht nur du allein oder Caroline allein, sondern ihr beide. Du bist ein Mann, sie ist eine Frau, ihr seht die Dinge unterschiedlich, und deshalb glaube ich, dass es am besten wäre, wenn ich auf euch beide höre.«
»Und wenn ich das Gegenteil von dem sage, was sie dir rät?«
Sebastian zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich sehe es, wenn es so weit ist.«
»Ich weiß eigentlich gar nicht, wofür ich mich entschuldigen soll«, sagte Carl störrisch. »Ich war misstrauisch ihr gegenüber, und ich finde, das war mein gutes Recht. Außerdem bin ich immer noch nicht überzeugt, dass sie so harmlos ist, wie sie tut.«
Sebastian sah ihn nur an, und Carl wurde es unter seinem Blick unbehaglich. »Was?«, fragte er schließlich.
»Ich vertraue ihr, wie ich dir vertraue«, antwortete Sebastian. »Und du solltest mir vertrauen. So blöd, dass ich auf jeden, der ein bisschen freundlich zu mir ist, hereinfalle, bin ich nämlich nicht. War ich übrigens auch nie. Du weißt doch, dass ich ein Einzelgänger bin und außerdem ein ziemlich guter Beobachter. Ich wusste schon einiges über sie, bevor ich sie so auffällig angestarrt habe, dass sie mich schließlich angesprochen hat.«
Carl war über diese Eröffnung so verblüfft, dass er eine Erwiderung vergaß. Mit einiger Verspätung fragte er: »Du hast also den Kontakt zu ihr gesucht – nicht umgekehrt?«
»Ich fand, dass sie nett aussah, und ich hatte ja schon mitgekriegt, dass sie Deutsche ist. Du weißt, hier spricht sich alles schnell herum.«
Carl nickte, das war in der Tat so.
»Na ja, ich habe mich im Restaurant neben sie gesetzt und sie so auffällig beobachtet, dass sie mich schließlich aufgefordert hat, mich zu ihr zu setzen. Genau das hatte ich erreichen wollen.«
»Und das erzählst du mir jetzt nicht nur, damit ich meine Meinung über sie ändere?«
»Ganz bestimmt nicht!«, beteuerte Sebastian. »Bitte, Carl.«
»Entschuldigen tue ich mich erst einmal nicht, ich finde das übertrieben, sie hat schließlich auch ganz gut ausgeteilt, aber ich bin bereit, mich mit ihr und dir an einen Tisch zu setzen und über dein Problem zu sprechen.«
»Dann gehe ich jetzt gleich zu ihr und bitte sie, noch nicht abzureisen.«
»Viel Glück«, murmelte Carl, aber da war Sebastian schon gegangen und hörte die Worte nicht mehr. Carl meinte sie auch, wenn er ehrlich zu sich selbst war, nicht ganz ernst. Von ihm aus konnte die junge Fotografin gern sofort abreisen. Er würde ihr keine Träne nachweinen.
*
Caroline schimpfte unablässig vor sich hin, während sie ihre wenigen Sachen sorgfältig rollte, damit sie in ihren Rucksack passten. Gerollt nahmen sie weniger Platz weg, das hatte ihr einmal ein alter Soldat verraten. Seitdem rollte sie und kam viel besser zurecht als zuvor. »Dieser eingebildete Kerl!«, murmelte sie, während sie ihr einziges Kleid vom Bügel riss. »Kommt daher und bildet sich ein, Hellseher zu sein und alles über andere Menschen zu wissen. Hat man so etwas schon mal erlebt? Und wie er mich angeguckt hat – als stünde ich vor Gericht und wäre bereits rechtskräftig verurteilt! Armer Sebastian, wenn er auf solche Freunde angewiesen ist. Erbärmlich ist das, rundum erbärmlich.«
Sie hörte das Klopfen an ihrer Tür gar nicht, so vertieft war sie in ihr Schimpfen. Erst als sie Sebastians Stimme ihren Namen rufen hörte, hielt sie inne. »Sebastian?«, rief sie. »Komm rein, die Tür ist offen.«
Er war blass, als er ihr kleines Zimmer betrat. »Bitte, bleib noch«, sagte er. »Ich will nicht, dass du schon fährst.«
Sie stemmte beide Arme in die Hüften. »Und ich will mich von deinem Freund nicht noch einmal dermaßen beschimpfen lassen«, erklärte sie. »Was bildet der sich denn ein? Kennt mich überhaupt nicht, äußert aber trotzdem gleich mal ein paar böse Verdächtigungen. Ich muss schon sagen, so etwas ist mir noch nie in meinem Leben passiert.«
»Es tut mir leid, er ist sonst nicht so. Er hat ein paar schlechte Erfahrungen gemacht, und er ist in Sorge um mich. Deshalb hat er übertrieben reagiert.«
Sie wurde schon wieder zornig. »Wieso erklärst du mir eigentlich, warum er sich so verhält? Hat er dich vorgeschickt? Ist er zu feige, das selbst zu tun? Und entschuldigt hat er sich ja garantiert noch nie in seinem Leben.«
Sebastian holte tief Luft. »Bitte, bleib noch«, wiederholte er. »Ich wünsche mir, dass ihr beide mit mir zusammen überlegt, was ich jetzt tun soll. Aber dazu müsst ihr euch wenigstens so lange vertragen, wie wir zusammensitzen und diskutieren.«
»Du verlangst von mir, dass ich mich mit deinem Freund, der mir unterstellt hat, eine miese Schnüfflerin zu sein, die siebzehnjährige Jungen heimlich aushorcht und dann Geschichten und Fotos über sie veröffentlicht, an einen Tisch setze und diskutiere?«
Er sah sie geradeheraus an. »Ja«, antwortete er. »Darum bitte ich dich. Verlangen tue ich gar nichts.«
Ihr Widerstand brach in Sekundenschnelle zusammen. Sie mochte Sebastian. Er war erst siebzehn, er litt unter seiner Hochbegabung, und er hatte auch sonst mehr Probleme als die meisten Erwachsenen, die sie kannte. Er brauchte Hilfe, darum bat er sie. Sie und diesen … Mann. Wer war sie denn, dass sie ihm diese Hilfe versagte?
»Dann bleibe ich noch«, sagte sie ganz ruhig und hängte das Kleid, das sie noch immer in der Hand hielt, wieder über den Bügel.
Er kam auf sie zu und umarmte sie. Normalerweise achtete er auf Distanz, als wäre Distanz für ihn auch eine Art Schutzschild. Aber jetzt umarmte er sie und hielt sie einfach fest. »Danke«, sagte er.
»Ich bin deine Freundin, du musst dich nicht bei mir bedanken. Unter Freunden ist es normal, dass man sich hilft.«
Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Morgen?«, fragte er. »Morgen in Joes Bar, so gegen achtzehn Uhr?«
»Zu Befehl, Herr General«, sagte sie lächelnd.
Als er ihr Zimmer wieder verließ, lächelte er auch.
Sie ließ sich auf ihr Bett sinken. Natürlich war alles, was sie jetzt tat, in höchstem Maße unvernünftig. Ihr Geld war wirklich knapp, sie hatte sogar schon überlegt, einige ihrer Fotos vor Ort zu verkaufen. Wenn sie noch lange blieb, würde ihr auch gar nichts anderes übrig bleiben. Wobei sie natürlich nicht wusste, ob sie überhaupt eine Chance hatte.
Aber allen Einwänden zum Trotz zweifelte sie nicht daran, dass es richtig war zu bleiben.
*
»Dieses Miststück«, murmelte Dr. Hagen von Boldt. »Entschuldige meine Ausdrucksweise, Barbara.«
Seine jüngere Kollegin Dr. Barbara von Kreyenfelss sah ihn interessiert an. »Wen meintest du denn gerade? Frau Roeder oder ihren Anwalt?«
»Beide«, brummte er.
Sie nickte nachdenklich. Barbara war eine attraktive Blondine von Mitte Dreißig, die noch nicht lange Hagens Partnerin in seiner Anwaltskanzlei war. Er war vor einiger Zeit zu der Erkenntnis gelangt, dass sein Arbeitsumfeld eine Verjüngungskur brauchte, und so war er, der Sechzigjährige, auf die temperamentvolle junge Anwältin gekommen, die seitdem tatsächlich viel Schwung in die Kanzlei gebracht hatte. Sie war eine erstklassige Juristin, und sie kam bei den Mandanten sehr gut an – bei den Männern noch ein bisschen besser als bei den Frauen, wie Hagen stillschweigend bei sich vermerkte. Aber diese Erkenntnis behielt er für sich.
Sie hatten ein Schreiben von Dr. Jens-Oliver Braun bekommen, Corinna Roeders Anwalt. In diesem Schreiben legte er ihnen dar, dass seine Mandantin Corinna Roeder die Echtheit der gefundenen Locke anzweifelte. In seinen Augen und denen seiner Mandantin stellte sie keinerlei Beweis dar, war doch das Medaillon fast ein Jahr lang verschwunden gewesen, und in diesem Jahr hätten sicherlich viele das Schmuckstück in der Hand und somit die Möglichkeit gehabt, die Locke auszutauschen.
»Was er leider nicht schreibt«, seufzte Hagen, »ist, warum sich jemand die Mühe machen sollte, eine Locke in einem Medaillon auszutauschen.«
»Na ja, wenn du es deiner Frau geschenkt hättest, hättest du sicherlich vorher die fremde Locke herausgenommen«, bemerkte Barbara, »und deine eigene hineingelegt.«
Hagen begnügte sich damit, etwas Unverständliches zu brummen.
»Es geht ja auch nicht um die Wahrheit«, fuhr Barbara mit einem bitteren Unterton fort, »sondern allein darum, die Sache weiterhin in die Länge zu ziehen, denke ich. Du nicht?«
»Doch«, gab Hagen zu. »Leider wird es ihnen mit dieser Strategie auch gelingen, und der junge Kollege Braun erreicht sein Hauptziel.«
»Im Gespräch zu bleiben?«, fragte Barbara.
»Ja, natürlich. Nach diesem Prozess wird er ein gemachter Mann sein, gleichgültig, wie die Sache ausgeht. Es drängt ihn doch förmlich ins Rampenlicht.«
»Ja, eitel ist er«, murmelte Barbara. »Aber er ist auch ziemlich gut, oder?«
»Gerissen«, sagte Hagen nachdenklich.
»Warum hast du dir nicht jemanden wie ihn in die Kanzlei geholt, wenn ich das mal fragen darf?«
Er sah sie eine Zeit lang an, ohne zu antworten. Schließlich lächelte er. »Weil ich dann keinen Spaß mehr an der Arbeit hätte«, erklärte er. »Mit dir macht es mir wieder Spaß, ich hatte ihn ja vorher ein bisschen verloren, wie du weißt. Aber jetzt … Selbst so eine üble Geschichte wie diese Sternberger ›Affäre‹ stehen wir zusammen ganz gut durch, finde ich.«
»Das waren ja gleich mehrere Komplimente auf einmal«, stellte Barbara fest.
»Ja, und jedes einzelne davon war ernst gemeint.«
»Zurück zu Frau Roeder und ihrem gerissenen Anwalt. Was wollen die eigentlich noch? Ich meine, außer Zeit zu schinden, denn dass sie das wollen, ist ja offensichtlich.«
»Weißt du, was ich denke?«, fragte Hagen. »Ich denke, dem Kollegen Braun sind mittlerweile selbst Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Mandantin gekommen.«
»Und woraus schließt du das, wenn ich fragen darf?«
»Weiß ich nicht genau, es ist eher so ein Gefühl. Er muss doch wissen, dass ihm dieses Schreiben allenfalls einen kurzen Aufschub gewährt.«
»Vielleicht genügt ihm das, vielleicht will er gar nicht mehr. Wir haben doch eben schon festgestellt, dass er nach dem Prozess in jedem Fall ein gemachter Mann sein wird. Wir hingegen riskieren viel mehr, nämlich, dass wir uns selbst nie verzeihen werden, wenn es uns nicht gelingt, das Fürstenhaus sauber aus dieser Sache herauszuholen.«
»Das ist allerdings wahr«, gab Hagen zu. »Ich träume oft davon.«
»Dass wir verlieren?«
Er nickte. »Ja. Ich denke nicht, dass die Sternberger uns das anlasten würden, sie wissen, wie hart wir arbeiten, aber wir beide …«
»Ja«, bestätigte Barbara, »wir beide würden uns Vorwürfe machen.«
Ihre Blicke begegneten sich. Barbara reckte angriffslustig ihr Kinn vor. »Aber so weit wird es nicht kommen, so wahr ich hier sitze und jetzt Partnerin dieser Kanzlei bin.«
Er griff nach ihrer Hand und drückte sie. Dann stand er auf. »An die Arbeit!«, sagte er.
*
»Frau Roeder steht mit dem Rücken zur Wand, Chris«, sagte Baron Friedrich ruhig. Er war mit dem Jungen in seinem Büro, niemand sonst war anwesend. »Jetzt leugnet sie also die Echtheit der Locke – ich nehme an, es ist ihre Rache dafür, dass wir ihre ›Beweise‹ allesamt angezweifelt haben. Du unterziehst dich diesem Test und wenn wir es schwarz auf weiß haben, dass du der Sohn des Mannes bist, dem diese Locke gehört hat, wird sie aufgeben müssen. Ich habe lange mit Dr. von Boldt telefoniert, er hat dieses Vorgehen vorgeschlagen, und es scheint mir vernünftig zu sein. Wenn ich mich ausnahmsweise einmal militärisch ausdrücken darf: Dies sind die letzten kleinen Gefechte vor dem Ende der Schlacht, und ich glaube, unsere Gegner wissen das auch.«
Christian war blass geworden, er nickte aber. Nach einer Weile fragte er: »Warum macht sie das, Onkel Fritz? Was glaubst du?«
»Diese Frage habe ich mir in den vergangenen Monaten immer wieder gestellt, ich kann sie dir nicht beantworten. Wahrscheinlich hat sie ursprünglich gedacht, alles würde glatt gehen. Dann ist es anders gekommen, aber sie konnte nicht mehr zurück, also hat sie ihr Heil in der Flucht nach vorn gesucht.«
»Ja, aber warum hat sie damals überhaupt ihren Brief geschrieben? Wenn es ihr ums Geld ging, hätte sie doch viel mehr verlangen müssen, nicht bloß die Bezahlung der Ausbildung ihres Sohnes.«
»Sie hat bescheiden angefangen, und das war klug. Sie wollte ja nicht, falls die Sache bekannt würde, als Erpresserin dastehen. Hätten wir damals gezahlt, wäre sie, davon bin ich fest überzeugt, immer wieder auf uns zugekommen, und wir hätten immer wieder zahlen müssen. Sie hat in uns wohl eine allzeit sprudelnde Geldquelle gesehen.«
»Sie hat mich dazu gebracht, an Papa zu zweifeln«, sagte der kleine Fürst mit leiser Stimme.
»Wir alle haben solche Momente gehabt, Chris. Was hätten wir auch denken sollen, als diese Fotos auftauchten, die Frau Roeder mit deinem Vater zu zeigen schienen? Oder die Fotos ihres Sohnes, der tatsächlich aussieht wie der junge Leopold. Natürlich kommen einem da Zweifel, aber sie sind auch wieder vergangen, sogar sehr schnell. Wir wussten, dass dein Vater mit einer solchen Lüge nicht hätte leben können, und dieses Wissen hat letzten Endes über alle Zweifel gesiegt.«
»Und wenn sich jetzt herausstellt, dass es wirklich nicht Papas Locke ist?«, fragte Christian.
»Hör auf mit solchen Grübeleien, Chris, weil sie nämlich zu nichts führen. Wir lassen diesen Gentest durchführen, danach wissen wir mehr.«
Der Junge nickte. Er selbst hatte die Locke dem Medaillon entnehmen und dem Wissenschaftler des Forschungslabors übergeben dürfen. Seitdem befand sich das Medaillon in seinem Zimmer. Die Inschrift im Deckel hatte außer ihm niemand gelesen, und es hatte ihn auch niemand danach gefragt. Wenn er darüber sprechen wollte, würde er es tun. Wenn nicht, so war es auch in Ordnung.
»Es soll endlich vorbei sein, Onkel Fritz«, sagte er.
Der Baron schloss ihn in die Arme. Christian war längst sein Sohn geworden, er war ihm so nah wie seine leiblichen Kinder Anna und Konrad, und es gab nichts, was er sich sehnlicher wünschte als Ruhe und Frieden für diesen vom Schicksal so hart geprüften Jungen.
*
»Ich muss die Wahrheit wissen«, sagte Patrick Herrndorf.
Er kam jede Woche einmal ins Untersuchungsgefängnis, um seine ehemalige Kollegin Corinna Roeder zu besuchen. Sie hatten lange Zeit zusammen an der Rezeption des Luxushotels ›Victor und Victoria‹ gearbeitet, und er fand noch immer, dass sie das beste Team von allen gewesen waren. Es hatte seinerzeit für viel Unruhe unter den Kollegen gesorgt, als sich die Nachricht von Corinnas Brief an das Haus Sternberg verbreitet hatte. Die eine Hälfte der Kollegen hatte ihr geglaubt, dass Fürst Leopold der Vater ihres Sohnes war, die andere nicht. Patrick war einer von denen gewesen, die ihr geglaubt hatten.
In ihren privaten Gesprächen hatten sie das Thema zunächst mehr oder weniger gemieden, aber mit der Zeit waren sie dann doch gelegentlich darauf zu sprechen gekommen. Patrick war der Einzige im Hotel gewesen, mit dem Corinna offen über ›Leo‹, wie sie den Fürsten grundsätzlich nannte, sprach. Ihr Vertrauen hatte ihn stolz gemacht, und er hatte keinen Grund gesehen, an der Wahrheit ihrer Worte zu zweifeln. Diese Zweifel waren erst in letzter Zeit in ihm erwacht, und sie wurden stärker. Zwar war es ihr bisher noch jedes Mal gelungen, sie zu zerstreuen, doch sobald er sie verlassen hatte und mit seinen Gedanken wieder allein war, kehrten die Zweifel zurück.
»Du kennst die Wahrheit«, erwiderte sie.
Die Untersuchungshaft hatte bisher ihrer Attraktivität nichts anhaben können. Sie war nach wie vor sorgfältig gekleidet, die Haare waren immer frisch gewaschen, sie schminkte sich dezent. Doch unter dem Make-up sah er die dunklen Schatten unter ihren Augen, er sah die Blässe ihres Gesichts, er bemerkte die Anspannung ihres Körpers. Sie hatte abgenommen, und sie war nervös.
»Sie haben ein Medaillon gefunden, das der Fürstin gehörte«, sagte er ruhig. »Sie trug darin eine Locke ihres Mannes. Du weißt, was das bedeutet.«
»Natürlich weiß ich das, Patrick. Sie werden einen Gentest durchführen und ihn mit den Werten Sebastians vergleichen wollen. Aber Sebastian ist nicht hier, und ohne Weiteres können sie ihn nicht zur Einreise zwingen.«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte er stockend. »Wenn er käme und sich untersuchen ließe, läge endlich ein Beweis vor. Du sagst, der Fürst ist sein Vater – mit einem Gentest lässt es sich beweisen.«
Sie nickte müde. »Ich habe die ganze Zeit darauf geachtet, dass Sebastian nicht in diese Geschichte hineingezogen wird, und ich finde, dass das richtig war. Ich werde nicht plötzlich meine Meinung ändern, nur weil die Sternberger auf einmal ein Medaillon aus der Versenkung holen, das angeblich eine Locke des Fürsten enthält. Wieso taucht dieses Medaillon jetzt erst auf?«
»Aber das weißt du doch! Es war gestohlen …«
»Ja, ja, ich kenne die Geschichte, aber ich glaube sie nicht. Zuerst erfinden sie einen Doppelgänger des Fürsten, der wie durch ein Wunder der Polizei jedes Mal entwischen kann, obwohl sie ihn eigentlich schon geschnappt haben, und dann taucht genau zur passenden Zeit ein Medaillon mit einer Locke des Fürsten auf.«
»Also, das kannst du ihnen aber wirklich nicht vorwerfen, dass die Polizei erst jetzt darauf gestoßen ist.«
»Das Medaillon ist gestohlen worden, wer weiß, wo es überall war seitdem. Und da soll ich glauben, dass es jetzt immer noch eine Locke von Leo enthält? Das ist doch lächerlich.«
Er antwortete nicht sofort. Alles, was sie sagte, klang schlüssig und nachvollziehbar, er fand einfach keine Schwachstelle in ihrer Argumentation, dennoch zwang er sich dazu, dieses Mal nicht so schnell klein beizugeben. »Ich verstehe trotzdem nicht, warum du Sebastian nicht kommen lässt, um der Sache ein Ende zu bereiten«, sagte er hartnäckig. »Hier bietet sich endlich eine Gelegenheit, und du willst sie nicht ergreifen.«
»Weil ich ihnen nicht traue!«, sagte sie heftig. »Die Sternberger sind reich und mächtig, sie werden schon dafür sorgen, dass die Ergebnisse zu ihrer Zufriedenheit ausfallen. So war es bisher ja auch jedes Mal.«
»Aber, Corinna!«, sagte er schockiert. »Du unterstellst ihnen, dass sie betrügen würden …«
»Natürlich würden sie betrügen!« Sie hatte die Stimme erhoben, merkte es aber selbst und dämpfte sie gleich wieder. »Natürlich würden sie das, was glaubst du denn? Sie haben einen Ruf zu verlieren, sie würden alles tun, um mich endlich zum Schweigen zu bringen.« Ihr Atem ging schneller, ihre Finger trommelten nervös auf die Tischplatte. Ihre Wangen waren jetzt gerötet, sie war sehr schön in ihrem Zorn.
»Corinna«, sagte er ruhig, »du verrennst dich in Verschwörungsfantasien, das solltest du nicht tun. Wenn sie wirklich versuchen sollten, die Ergebnisse solcher Tests zu manipulieren, hätten sie viele Mitwisser und würden sich erpressbar machen. Ich glaube nicht, dass sie das riskieren würden.«
Sie stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. »Nein, das glaubst du nicht? Ich glaube es für dich mit! Was haben sie denn bis jetzt getan? Sie haben sich mit allen Mitteln gegen mich, eine kleine Hotelangestellte, gewehrt, und jetzt endlich sehen sie Licht am Ende des Tunnels. David gegen Goliath – das ist vorbei. Diesen Kampf wird wieder einmal Goliath gewinnen.«
Er erwiderte nicht sofort etwas, um sie nicht noch mehr aufzuregen. Als er sah, dass sie ruhiger geworden war, sagte er: »Ich bin anderer Meinung als du. Ich glaube, du schlägst einen falschen Weg ein. Es gibt jetzt die einmalige Gelegenheit, die Sache zu beenden, und ich als dein Freund rate dir, diese Gelegenheit zu ergreifen. Es ist auch für Sebastian nicht gut, wenn seine Mutter auf unabsehbare Zeit in Untersuchungshaft sitzt und sich diese ›Affäre‹ noch lange hinzieht. Hast du daran einmal gedacht? Wie sich das auf sein Leben auswirkt? Du kannst ein Ende vielleicht hinauszögern, aber es wird kommen, so oder so. Ich wiederhole meinen Rat: Lass ihn herkommen und diesen Test machen, damit endlich Ruhe herrscht. Für Sebastian, für dich – und für die Sternberger.«
Jetzt war sie wieder sehr blass, ihre Augen funkelten nicht mehr, er sah Verzweiflung und Trauer in ihrem Blick. Als er aufstand, schien sie zu erschrecken. »Ich gehe jetzt, Corinna, denn ich weiß nicht, was ich dir noch raten soll. Nur eins möchte ich dir zum Abschluss noch sagen. Ich habe mich in dich verliebt, als ich glaubte, dass du die Wahrheit sagst, und ich habe mich lange Zeit nicht getraut, mir selbst meine Gefühle für dich einzugestehen. Jetzt zweifele ich an deiner Geschichte, aber meine Gefühle für dich haben sich trotzdem nicht geändert. Ich kann dich lieben, auch wenn du einen großen Fehler gemacht haben solltest. Ich will, dass du das weißt. Und jetzt lasse ich dich allein, damit du über meinen Rat nachdenken kannst. Mach der Geschichte ein Ende, ich bitte dich.«
Einen Augenblick lang stand er noch da und sah sie an. Sie erwiderte seinen Blick und öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, doch es kam kein Laut heraus.
Er nickte ihr noch einmal zu und ging hinaus, ohne sie zum Abschied zu umarmen, wie er es sonst immer tat.
*
»Jetzt setzt euch schon hin«, sagte Sebastian. »Wir wollen doch reden, oder?«
»Ja, sicher«, erwiderte Carl. Noch standen Caroline und er einander mit unversöhnlichen Gesichtern gegenüber, aber natürlich war das albern. Wenn sie Sebastian helfen wollten, und das wollten sie sicherlich beide, würden sie ihre gegenseitige Abneigung überwinden müssen, zumindest für die Dauer dieses Gesprächs. Er setzte sich also.
Sie zögerte, nahm dann aber ebenfalls Platz.
Joes Bar war fast leer, aber die übrigen Gäste saßen auf der anderen Seite des Raums und waren damit beschäftigt, große Mengen von Essen zu vertilgen.
Sie bestellten Hamburger, Cola und Wasser. Die Stimmung war gespannt, doch Sebastian schien fest entschlossen zu sein, sich darum nicht zu kümmern.
»Sie haben eine Locke des Fürsten gefunden«, sagte er.
Carl nickte, er hatte die Sache ja im Internet verfolgt. Caroline jedoch fragte verblüfft: »Wo denn das?«
Sebastian berichtete ihr von den neuesten Entwicklungen in der ›Affäre‹ und setzte dann hinzu: »Meine Mama will auf keinen Fall, dass ich nach Deutschland komme.«
»Aber wieso denn nicht?«, fragte Caroline verwirrt. »Die Locke bedeutet doch, dass die Sache endlich aufgeklärt werden könnte, oder?«
»Sie will mich da raushalten«, erklärte Sebastian. »Außerdem sagt sie, kann niemand beweisen, dass die Locke echt ist.«
»Was allerdings Unsinn ist«, warf Carl ein. »Wenn sie einen Gentest seines Sohnes Christian mit den Werten der Locke abgleichen, wird sich schnell feststellen lassen, ob die Locke vom Fürsten stammt oder nicht.«
»Wobei sollen wir dir raten, Sebastian?«, fragte Caroline.
Der Junge holte tief Luft. »Ich bin kein Kind mehr«, erklärte er. »Ich verstehe, dass meine Mutter mich beschützen will, aber seit ich hier bin, habe ich viel gelernt, und ich bin auch ziemlich selbstständig geworden.«
Carl und Caroline nickten, ohne einander anzusehen. Die Spannung zwischen ihnen bestand zwar noch, aber im Augenblick spielte sie keine Rolle. Hier ging es um andere Dinge, die erst einmal im Vordergrund standen.
»Und weiter?«, fragte Caroline, als Sebastian schwieg.
»Ich überlege, ob ich meine Sachen packe und nach Deutschland zurückfahre, obwohl sie es nicht will«, platzte Sebastian heraus. »Ich weiß nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Idee ist, und ich weiß nicht einmal, ob sie mich überhaupt ins Flugzeug steigen ließen. Meine Mama hat mit meinen Gasteltern gesprochen und ihnen gesagt, dass ich auf jeden Fall hierbleiben soll. Aber mit ihnen könnte man vielleicht reden, für sie ist die Situation mit mir ja auch nicht so toll. Das Haus musste schon mal bewacht werden, als mich die Journalisten gejagt haben, und sie finden es natürlich auch nicht gut, dass meine Mama im Gefängnis sitzt, auch wenn es nur ein Untersuchungsgefängnis ist.« Er stockte. »Also, ich will wissen, was ihr mir ratet. Soll ich hierbleiben oder versuchen, nach Deutschland zu fliegen?«
»Und was willst du in Deutschland machen?«, fragte Caroline.
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Mich untersuchen lassen. Selbst wenn diese Locke nicht echt ist, dann müsste man ja feststellen können, ob Christian von Sternberg und ich Halbbrüder sind, nicht?«
»Natürlich kann man das feststellen«, sagte Carl. »Wäre diese Locke nicht gefunden worden, hätten die Ermittlungsbehörden eine solche Untersuchung sicherlich ohnehin als Nächstes angeordnet – wohl wissend, dass auch das noch einmal Zeit in Anspruch nehmen würde, wenn du dich geweigert hättest, nach Deutschland zurückzukehren.«
»Ich will, dass die Sache ein Ende hat«, erklärte Sebastian. »Und ich überlege mir das nicht erst jetzt, seit ich von der Locke gehört habe.«
Caroline überlegte sich ihre Worte sorgfältig, bevor sie fragte: »Dir ist aber klar, dass das Ergebnis auch anders ausfallen könnte, als du es dir vielleicht wünschst?«
»Ich weiß gar nicht, was ich mir wünsche«, antwortete der Junge. »Was hätte ich davon, der erstgeborene Sohn des Fürsten Leopold von Sternberg zu sein? Vielleicht hätten wir ein bisschen mehr Geld, das wäre schön, aber nicht unbedingt notwendig. Immerhin: Dann hätte meine Mutter die Wahrheit gesagt, aber mir wäre es trotzdem am liebsten, wir hätten wieder unser altes Leben. Mir hat es gefallen, das möchte ich gern zurückhaben.«
Er stockte kurz, bevor er fortfuhr: »Wenn sie gelogen hat, wird es schwer werden, das ist mir klar. Dann muss sie ins Gefängnis, wir haben kein Geld mehr, und ich kann mir meine weitere Ausbildung wahrscheinlich an den Hut stecken. Ich weiß, dass ich mit dieser Möglichkeit rechnen muss, aber das würde ich riskieren. Es soll vorbei sein. So, wie es jetzt ist, finde ich es unerträglich, obwohl ich so weit weg bin und alles nur übers Internet mitkriege. Aber allein die Frage, ob sie die Wahrheit sagt hat oder nicht, zerstört alles. Oder vielmehr die Ungewissheit darüber. Ich liebe meine Mutter, sie hat immer alles für mich getan und wenn sie jetzt einen Fehler gemacht hat, dann will ich für sie da sein. Ich fände es richtig so.«
Er starrte vor sich auf den Tisch, nachdem er geendet hatte. Ohne nachzudenken streckten Caroline und Carl fast gleichzeitig eine Hand nach Sebastian aus. Caroline ergriff seine Rechte, Carl seine Linke, und so saßen sie eine Weile da, ohne dass einer von ihnen etwas sagte.
»Was meint ihr?«, fragte Sebastian schließlich zaghaft.
»Du musst fahren«, antworteten Carl und Caroline zu ihrer größten Überraschung wie aus einem Mund.
Danach redeten sie noch lange darüber, was als Nächstes zu tun war und brachten Sebastian anschließend nach Hause. Mit den Gasteltern würden sie gemeinsam reden, am nächsten oder übernächsten Tag, sobald sie sich ihre Argumente sorgfältig zurechtgelegt hatten.
Sebastian, der sonst eher zurückhaltend war, umarmte beide zum Abschied.
»Und jetzt?«, fragte Carl, als er Caroline zu ihrem Hotel brachte. »Wir müssen uns ja wohl oder übel vertragen, zumindest bis Sebastian abgereist ist.«
»Wir vertragen uns doch schon«, erklärte sie ganz sachlich. »Hier geht es um einen Siebzehnjährigen in Not, nicht um zwei Erwachsene, die Streit miteinander hatten.«
»Es tut mir leid«, sagte er zu seiner eigenen Überraschung. »Ich habe dich falsch eingeschätzt.« Jetzt war er es, der zum ›Du‹ zurückkehrte. »Ich hätte mir besser zuerst ein Urteil über dich gebildet.«
»Ja, das wäre besser gewesen«, stimmte sie zu. »Aber es ehrt dich auch, dass du dir solche Sorgen um Sebastian gemacht hast.« Sie kicherte plötzlich.
»Was ist denn so komisch?«
»Ich hatte dich am Anfang im Verdacht, dass du den Jungen vielleicht verführen wolltest, aber Sebastian hat das ganz lässig ausgeräumt. ›Carl hat’s mit Frauen‹ hat er gesagt.«
Zuerst wusste er nicht, wie er reagieren sollte, dann lachte er auch. »Ich verzeihe dir«, sagte er.
»Ich verzeihe dir auch.« Sie waren an Carolines Hotel angelangt. »Wie lange arbeitest du morgen?«
»Den ganzen Tag, da habe ich also keine Zeit, aber wir könnten uns in der Mittagspause zusammensetzen, um schon mal erste Überlegungen anzustellen, wie wir mit den Millers reden wollen.«
Die Millers, Sebastians Gasteltern, hatten einen Laden am Ende der Hauptstraße, in dem sie Elektroartikel verkauften. Sie waren einfache, sympathische, geradlinige Leute – so hatte Sebastian sie beschrieben, und sie nahmen an, dass seine Beschreibung korrekt war.
»Ist gut. Wieder bei Joe? Welche Uhrzeit?«
»Kann ich dich anrufen? Es wäre besser, wenn ich mich nicht genau festlegen müsste.«
»In Ordnung.«
Während Carl noch überlegte, ob er Caroline zum Abschied die Hand reichen sollte, hatte sie ihn schon umarmt und auf beide Wangen geküsst. »Am Ende werden wir sogar noch Freunde«, kicherte sie, bevor sie sich umdrehte und im Hotel verschwand.
Nachdenklich kehrte Carl zu seiner Unterkunft zurück. Harry und er bewohnten eine kleine Zweizimmerwohnung, die die Firma für sie angemietet hatte. Eine Wohnung war billiger als ein Hotelzimmer, und sie waren froh, sich ab und zu selbst eine Mahlzeit zubereiten zu können.
Harry war noch wach, als Carl die Wohnung betrat. »Na?«, fragte er. »Habt ihr euch die Köpfe eingeschlagen?«
»Nein, im Gegenteil.«
»Was heißt das?«
Carl blickte seinen Kollegen nachdenklich an. »Sie ist nett, Harry. Richtig nett. Ich habe ihr Unrecht getan.«
Harry lag bereits die nächste Frage auf der Zunge, die er jedoch hinunterschluckte, als er den Gesichtsausdruck seines Freundes sah. Es war wohl besser, damit noch zu warten. Aber zweifellos bahnte sich hier eine interessante Entwicklung an.
*
»Sie sind alle da«, sagte Anna, als Christian, Konrad und sie Schulschluss hatten. »Dieses Mal haben sie sich nicht versteckt.«
Konrad stellte sich neben sie und spähte aus dem Fenster. ›Sie‹ waren Journalisten und Fotografen, die in regelmäßigen Abständen Jagd auf die Teenager machten, seit es die sogenannte Sternberger Affäre gab. Früher waren die Medienleute deutlich zurückhaltender gewesen, doch diese Zeiten waren vorüber. Jetzt ging es nur noch darum, Fotos zu schießen und möglichst einem der drei einen Satz zu entlocken, der sich zitieren ließ und sich vielleicht sogar für eine Schlagzeile eignete. Doch Anna, Christian und Konrad hatten dazugelernt seit dem ersten Überfall durch die Medienmeute. Sie sagten kein Wort mehr, ihre Gesichter blieben so verschlossen wie ihre Münder auf dem Weg vom Schulhof zur wartenden Limousine.
Seit Beginn der ›Affäre‹ wurden sie vom Sternberger Chauffeur Per Wiedemann morgens zur Schule gefahren und nachmittags wieder abgeholt. Hatten sie zu unterschiedlichen Zeiten Schluss, warteten sie aufeinander.
»Wo steht denn Herr Wiedemann? Ich kann ihn nicht sehen«, sagte Christian.
In diesem Augenblick meldete sich der Chauffeur telefonisch. »Bleiben Sie im Gebäude, Prinz Christian«, sagte er. »Es würde das reinste Spießrutenlaufen, es wimmelt nur so von Journalisten und Fotografen. Ich bin heute mit einem anderen Auto gekommen, das ich in einer Seitenstraße geparkt habe. Ich laufe jetzt hier draußen herum, mit einer Mütze getarnt, sodass mich niemand erkennt. Ich melde mich, wenn ich ein Schlupfloch entdecke, durch das Sie die Schule verlassen können.«
»Danke, Herr Wiedemann«, sagte Christian. Er steckte das Handy wieder in die Tasche und informierte die beiden anderen.
»Mist«, maulte Anna, »ich will nach Hause!«
»Das wollen wir auch, Anna«, erklärte Konrad ruhig, und das genügte, um weitere Beschwerden seiner Schwester zu unterbinden.
Eine knappe Viertelstunde später meldete sich der Chauffeur von Neuem. »Die ersten ziehen ab«, sagte er. »Sie sehen die Limousine nicht und denken, dass Sie gar nicht mehr in der Schule sind. Ich fahre das Auto zum Hintereingang, warten Sie noch ein paar Minuten, bis Sie herauskommen.«
Die List gelang. Es waren nur noch zwei Reporter da, als die drei Teenager die Schule verließen, alle anderen waren schon gegangen.
»Was sagen Sie zu Frau Roeders Weigerung, die Echtheit der Locke Ihres Vaters anzuerkennen, Prinz Christian?«, rief der eine, während der andere seinen Fotografen anwies, Fotos zu schießen, so viele wie möglich.
Sie erreichten das Auto ungehindert und stiegen ein, ohne ein Wort gesagt oder eine Miene verzogen zu haben.
»Gute Idee, die Sache mit dem anderen Auto, Herr Wiedemann«, sagte Konrad anerkennend.
»Das werde ich jetzt jedes Mal machen«, erklärte der junge Chauffeur mit einem Lächeln. »Alle Angestellten haben ihre Autos zur Verfügung gestellt für den guten Zweck. Wir können das ziemlich lange durchhalten, ohne ein Auto zweimal benutzen zu müssen. Schade, dass ich die Idee nicht schon viel früher hatte.«
»Der Nachteil ist«, bemerkte Anna, »dass keins der anderen Autos so groß und so bequem ist wie unseres.«
»Und leider lässt sich auch keins so gut fahren, Baronin Anna«, setzte Per Wiedemann hinzu. »Aber ich denke, das nehmen wir lieber in Kauf als die Zudringlichkeiten der Journalisten, oder?«
Die drei stimmten ihm lebhaft zu. Nach kurzer Fahrt hatten sie bereits die Schranke erreicht, durch die neuerdings die Zufahrt zum Schloss kontrolliert wurde. Auch das war eine Maßnahme, die erst erforderlich geworden war, seit sich Leute mit Teleobjektiven bis zum Schloss geschlichen hatten, um dort ihre Fotos zu schießen.
Die schmale Straße, die den kleinen Berg hinaufführte, auf dem das Schloss stand, wand sich durch einen schönen Mischwald, dessen Bäume jetzt freilich noch kahl waren. Aber eine erste Ahnung von Frühling lag bereits in der Luft. Als das Schloss in Sicht kam, lichtete sich der Wald, und es war Anna, die aussprach, was die anderen dachten: »Wir haben garantiert das schönste Zuhause der Welt.«
*
»Gibt es Neuigkeiten, Chef?«, erkundigte sich Niko von Hohenwege bei Kriminalrat Volkmar Overbeck.
»Viele«, antwortete dieser. »Welche interessiert Sie denn besonders?«
»Wie steht es bei der Sternberger ›Affäre‹?«
»Frau Roeder bleibt bei ihren Aussagen, was Sie vermutlich schon wissen.«
Niko nickte.
»Die Gentests laufen. Es wird ja auch Prinz Christian getestet, damit wir nachweisen können, dass die gefundene Locke seinem Vater gehört. Das nimmt allerdings eine gewisse Zeit in Anspruch. Haben wir diesen Nachweis erbracht, werden wir die USA um Hilfe bitten müssen. Wir brauchen Sebastian Roeder, um die Sache abzuschließen.«
»Das kann dauern«, stellte Niko fest.
»Leider, ja, was natürlich auch Frau Roeder und ihr Anwalt wissen.«
»Ich begreife die Frau nicht, Herr Overbeck«, sagte Niko kopfschüttelnd. »Meinen Sie, dass sie an Realitätsverlust leidet? Sie muss doch wissen, dass die Tage ihrer Geschichte gezählt sind.«
»Na ja«, sagte der Kriminalrat nachdenklich, »aus diesen Tagen können Wochen und Monate werden, wie Sie selbst eben festgestellt haben.«
»Schon, aber je länger es dauert, desto schlimmer wird das Ende für sie sein, und es ist doch längst klar, dass sie nicht gewinnen wird.«
»Ich kann Ihnen nicht sagen, was in ihr vorgeht.«
»Es ist doch sicher, dass sie lügt?«, fragte Niko. »Ich meine, ich bin ja in die Ermittlungen nicht eingebunden gewesen und eigentlich nur wegen des gestohlenen Medaillons dazugestoßen. Ist es wirklich ausgeschlossen, dass Sebastian Roeder der Sohn des Fürsten ist?«
»Ausgeschlossen ist zum jetzigen Zeitpunkt gar nichts«, erwiderte der Kriminalrat. »Aber es gibt eindeutige Zeugenaussagen, und zwar mehrere, über Sven Helmgart, sein kriminelles Vorleben, sein Aussehen, sein Verhältnis zu Frau Roeder. Es gibt andere Spuren, die in eine Fälscherwerkstatt geführt haben – zu einem Mann, bei dem Frau Roeder gewesen ist, der sich aber schon vor einiger Zeit, als das Netz um ihn enger wurde, ins Ausland abgesetzt hat. Es gibt Gutachten, die Frau Roeders ›Beweisfotos‹ als Fotomontagen entlarvt haben – und so weiter und so fort. Sehr viele Indizien sprechen gegen sie.«
»Für sie spricht vor allem die Ähnlichkeit ihres Sohnes mit Fürst Leopold«, sagte Niko nachdenklich.
»Und die Geschichte, die sie vorgetragen hat, ist auch nicht schlecht: Dass Leopold und seine Frau sich Kinder wünschten, sie zunächst aber nicht bekamen, ist eine allgemein bekannte Tatsache. Sie warteten sehnsüchtig darauf, dass Fürstin Elisabeth schwanger wurde, aber in den ersten Jahren ihrer Ehe passierte das nicht.«
»Verstehe«, murmelte Niko. »Man könnte also verstehen, wenn sich der Fürst praktisch aus lauter Verzweiflung in die Arme einer anderen attraktiven Frau gestürzt hätte.«
»So hat sie es erzählt, und es hat der überwiegenden Mehrzahl der Leute auch eingeleuchtet.«
»Ich habe das nicht im Einzelnen verfolgt, aber ich erinnere mich, dass es am Anfang so aussah, als würde sie einen sehr schnellen Erfolg verzeichnen können.«
Der Kriminalrat nickte. »Und dann hat sich das Blatt irgendwann gewendet.«
»Aber der letzte Beweis fehlt immer noch.«
»Nicht mehr lange, hoffe ich.«
Sie sprachen noch über den Fall von Korruption bei der Polizei, der dank Nikos Hartnäckigkeit vollständig hatte aufgeklärt werden können, dann verabschiedete sich der junge Kommissar von seinem Vorgesetzten.
Es gab noch immer so schrecklich viel zu tun.
*
Caroline und Carl sprachen allein mit den Millers, sie hielten das für besser. Bei zwei vorangegangenen Treffen hatten sie ihr Vorgehen besprochen und waren sich schnell einig gewesen, dass sie ganz einfach die Wahrheit sagen würden. Auch die Millers verfügten über einen Internetanschluss. Zwar konnten sie kein Deutsch, aber wenn es hart auf hart kam, würden sie sich die Nachrichten, die man in Deutschland über die ›Affäre‹ verbreitete, sicherlich übersetzen lassen, falls sie das noch nicht getan hatten. Es schien also nicht ratsam zu sein, ihnen eine Lügengeschichte vorzusetzen, deren Wahrheitsgehalt leicht überprüft werden konnte.
Abigail und Harvey Miller hatten sich nur zögernd bereit erklärt, mit zwei erwachsenen Freunden ihres Gastsohnes zu sprechen. Jetzt saßen sie nebeneinander auf ihrem Sofa im peinlich aufgeräumten Wohnzimmer. Sehr gerade saßen sie da, mit aufmerksamen Gesichtern, ihr Misstrauen kaum verbergend.
Carl ergriff zuerst das Wort. Er beschrieb in knappen Worten noch einmal die Situation in Deutschland, versuchte herauszuarbeiten, welche Tragweite der Brief von Sebastians Mutter – der Brief an das Haus Sternberg mit der Mitteilung, der verstorbene Fürst Leopold sei der Vater ihres Sohnes – in Deutschland gehabt hatte und kam dann auf den derzeitigen Stand der Ermittlungen zu sprechen. Anschließend übernahm es Caroline, die Gründe darzulegen, weshalb Sebastian unbedingt jetzt nach Deutschland zurückkehren wollte. Es war hilfreich, dass sie beide sehr gut Englisch sprachen, sodass von vornherein keine Verständigungsprobleme auftauchten.
Die Millers hörten aufmerksam zu, die Augen zuerst auf Carl, dann auf Caroline gerichtet. Beide waren blass, sie standen unter starker Anspannung, was ja nur zu verständlich war. Schon seit Jahren nahmen sie Schüler aus anderen Ländern auf, nie hatte es Probleme gegeben, und jetzt das: Sebastians Mutter, die sie bei ihrem Besuch in den USA so sympathisch gefunden hatten, saß in Untersuchungshaft, angeklagt des schweren versuchten Betrugs und anderer Vergehen. Zwar beteuerte sie ihre Unschuld, aber mittlerweile waren die Millers schon mehrfach auf ihren Gastsohn angesprochen worden. Die Sternberger ›Affäre‹ war auch hier, in Georgia, zur Kenntnis genommen worden, da man mittlerweile wusste, dass Sebastian Roeder, wenn auch indirekt und ohne eigenes Zutun, darin verwickelt war.
»Frau Roeder will auf keinen Fall, dass ihr Sohn nach Deutschland zurückkehrt«, sagte Harvey Miller, als Caroline ihre Darstellung von Sebastians Gemütszustand beendet hatte.
»Das wissen wir«, erwiderte Carl. »Aber Sebastian ist siebzehn, Herr Miller, also fast erwachsen, und es ist sein dringender Wunsch, dieser Geschichte ein Ende zu bereiten, auch gegen den Willen seiner Mutter. Er ist der Schlüssel zu allem. Ohne ihn kann die Sache nicht aufgeklärt werden.«
Abigail Miller beugte sich vor. »Denken Sie, dass seine Mutter lügt?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Wir nehmen uns nicht heraus, darüber eine Meinung zu haben, Frau Miller«, erklärte Caroline. »Wir kennen Frau Roeder nicht, wir wissen nicht genau, was zur jetzigen Situation geführt hat. Aber wir kennen Sebastian, und wir finden beide, dass er Recht hat mit seinem Wunsch, die Sache zu beenden. Es kann zu nichts Gutem führen, sie weiter in die Länge zu ziehen, und das gilt ganz unabhängig davon, ob Frau Roeder lügt oder nicht. Es muss Klarheit geschaffen werden, für alle Beteiligten und ganz besonders für Sebastian.«
Die Millers tauschten einen zögernden Blick. Sie wirkten jetzt längst nicht mehr so steif wie zu Beginn dieses Zusammentreffens. Offenbar war es Carl und Caroline gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Jedenfalls waren sie bereit, über die Argumente, die die beiden vorgetragen hatten, ernsthaft nachzudenken.
Harvey Miller ergriff schließlich das Wort. »In dieser Woche stehen wichtige Tests an«, sagte er. »Sebastian ist ein sehr guter Schüler, er sollte diese Tests nicht versäumen.«
Seine Frau setzte hinzu: »Wir haben uns natürlich auch schon Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll. Und, ehrlich gesagt, manchmal haben wir uns schon gewünscht, er würde nach Deutschland zurückkehren, weil diese ganze Sache so viel Unruhe in unser Leben gebracht hat. Aber wir haben ihn gern, und wir glauben, dass er es weit bringen kann, bei entsprechender Förderung. Er fühlt sich wohl hier, und wir möchten, dass er die Möglichkeit hat, zurückzukommen.«
»Zu uns zurückzukommen«, präzisierte ihr Mann. »Wenn er die Tests gemacht hat, ist er erst einmal frei, dann hat er Zeit, sich zu überlegen, was er in Zukunft machen möchte.«
Caroline und Carl sahen einander an, dann sagte Carl: »Das klingt vernünftig. Allerdings möchte Sebastian natürlich so schnell wie möglich zurück nach Deutschland.«
Die Millers nickten. »Er soll die Tests machen«, sagte Abigail Miller, »danach würden wir versuchen, eine Art Beurlaubung für ihn zu erreichen. Das gelingt uns sicher.« Sie stand auf. »Ich rufe Sebastian, er wartet sicherlich schon ungeduldig darauf, dass wir ihm sagen, worauf wir uns geeinigt haben.«
So war es auch, der Junge konnte seine Neugier nur mühsam zügeln. Aufmerksam sah er von einem zum anderen, versuchte, in den Gesichtern zu lesen. Es war Harvey Miller, der jetzt das Reden übernahm. Sebastian sah schnell ein, dass der Vorschlag, zuerst die Tests in der Schule zu machen und erst dann nach Deutschland zu fliegen, vernünftig war. Überrascht wirkte er von dem Angebot der Millers, danach zu ihnen zurückzukehren, sollte er sich entscheiden, die Schule in den USA zu beenden. Damit hatte er offenbar nicht gerechnet, es brachte ihn aus dem Konzept. Aber er fasste sich schnell wieder.
»Ist gut, ich mache die Tests noch, die sind ja schon Ende der Woche«, sagte er. »Danke, dass Sie mich unterstützen.«
Abigail Miller strich ihm über die Haare. »Du bist ein guter Junge, Sebastian«, sagte sie mit leiser Stimme. »Wir hoffen, wir tun das Richtige, denn deine Mutter will auf keinen Fall, dass du jetzt nach Deutschland fliegst, das weißt du ja.«
»Sie denkt, sie muss mich beschützen, aber es ist genau anders herum«, erwiderte er. »Ich muss sie beschützen, ich glaube nämlich, dass sie einen Fehler macht.«
Caroline hatte den Eindruck, dass die Millers gern noch allein mit Sebastian gesprochen hätten, und das fand sie nachvollziehbar, schließlich lebten sie seit Monaten mit ihm zusammen. »Wir sollten gehen«, sagte sie daher und stand auf.
Carl zögerte, erhob sich dann aber ebenfalls. Sie bedankten sich bei den Millers, verabredeten sich mit Sebastian für den nächsten Tag und verließen das Haus.
»Es war einfacher, als ich befürchtet hatte, aber trotzdem fand ich es ziemlich unangenehm«, sagte Caroline, nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren.
»Ich auch«, gab Carl zu. »Sie wussten zuerst sichtlich nicht, was sie von uns halten sollten.«
»Das wäre uns an ihrer Stelle genauso gegangen, meinst du nicht? Aber jetzt ist die Entscheidung gefallen oder glaubst du, sie könnten es sich noch einmal anders überlegen?«
»Ich glaube nicht. Sie mögen Sebastian, auch wenn ihnen die Sache mit seiner Mutter unheimlich ist und sie nicht wissen, was sie von einer Frau halten sollen, die in Untersuchungshaft sitzt.«
»Wenn ich ehrlich sein soll: Das weiß ich auch nicht«, murmelte Caroline. »Ich habe die Sache ja nicht verfolgt, so wie du, also weiß ich eigentlich nur, was Sebastian mir erzählt hat. Es muss schwer für ihn sein.«
»Kein Siebzehnjähriger sollte in eine solche Situation geraten«, sagte Carl. »Damit wären ja schon erwachsene Menschen überfordert. Jetzt stell dir doch mal vor, wie es erst einem Teenager gehen muss!«
»Mir scheint, die Rollen bei ihm und seiner Mutter haben sich jetzt umgekehrt: Er ist der Erwachsene, der eine wichtige Entscheidung trifft, weil er sieht, sie müsste es tun, kann es aber offenbar nicht, weil sie sich zu sehr in ihrer Geschichte verstrickt hat. Sebastian hat das ja selbst schon so ähnlich gesagt. Früher hat sie ihn beschützt, jetzt beschützt er sie. Ich hoffe, er ist mit dieser Aufgabe nicht überfordert.«
Carl blieb stumm.
»Was ist?«, fragte sie. »Bist du anderer Ansicht?«
»Nein, im Gegenteil, ich hätte es nur nicht so gut ausdrücken können.«
Schweigend gingen sie weiter, bis Caroline sagte: »Ich werde nicht bis zu Sebastians Abreise hierbleiben.«
Sie wollte Carl gegenüber nicht von ihrer Geldknappheit reden, deshalb fuhr sie fort: »Ich muss mit meiner Arbeit fertig werden, ich habe einen Abgabetermin für das Buch. Durch diese ganze Geschichte bin ich natürlich in Verzug geraten. Höchste Zeit für mich, nach Mexiko zu kommen.«
Zu ihrer Überraschung sagte Carl nüchtern: »Es geht doch eher ums Geld, oder? Du bist weniger in Zeit- als in Geldnot.«
Ihr stieg das Blut in die Wangen, etwas von ihrer früheren Abwehr gegen ihn wallte wieder in ihr auf. »Das weiß ich ja wohl besser als du, meinst du nicht?«
»Du brauchst dich vor mir nicht zu genieren, Caroline«, erwiderte er ruhig. »Ich bin nicht in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen, ich weiß, wie es ist, wenn man mit wenig Geld auskommen muss. Und ich habe gehört, dass du mehrere sehr schöne Fotos verkauft hast. Dies ist ein kleiner Ort, solche Dinge sprechen sich schnell herum.«
Seine Worte, die sie eigentlich besänftigen sollten, verstärkten ihren Ärger noch. »Das geht dich aber trotzdem nichts an!«, sagte sie aufbrausend.
»Ich finde schon, dass es mich etwas angeht«, widersprach er. »Wir beide fühlen uns für Sebastian verantwortlich, er braucht unsere Unterstützung, nicht nur die der Millers. Es wäre besser, du würdest noch bleiben, und ich bitte dich deshalb herzlich, mir ein paar von deinen Fotos zu verkaufen – so viele, wie du brauchst, um bis zu Sebastians Abflug nach Deutschland hierbleiben zu können.«
Sie wollte noch einmal schimpfen, doch ein Blick in sein Gesicht ließ sie innehalten. »Ich hasse Almosen«, murrte sie.
»Und ich würde keine verteilen, jedenfalls nicht an dich«, erklärte er ernst. »Wir sind wichtig für Sebastian, deshalb möchte ich, dass du bleibst.«
Sie sah ihn an, versuchte in seinem Blick zu lesen, und so setzte er mit weicher Stimme hinzu: »Also schön, das ist nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass ich auch meinetwegen möchte, dass du noch bleibst. Wir lernen uns gerade erst kennen, und ich möchte dich noch nicht gehen lassen. Du merkst es doch selbst, dass sich etwas zwischen uns entwickelt, und ich …« Er wusste nicht weiter, und so verstummte er.
Sie blieb stehen, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Dann trat sie auf ihn zu und schlang beide Arme um seinen Hals. »Ich konnte dich nicht ausstehen, dass du es nur weißt«, sagte sie leise.
»Wetten, dass ich dich noch viel weniger ausstehen konnte?«, erwiderte er, bevor er sie küsste.
*
»Diese Warterei ist schrecklich«, klagte Marie-Luise Falkner, als Eberhard Hagedorn ihr wieder einmal einen Besuch in der geräumigen Schlossküche abstattete.
Die begabte junge Köchin, die die Sternberger Küche in kürzester Zeit über die Landesgrenzen hinweg bekannt gemacht hatte, war in den letzten Monaten immer unzufriedener geworden: Früher waren oft Gäste nach Sternberg gekommen, für die Marie-Luise aufwendige Menüs gekocht hatte, doch seit Beginn der ›Affäre‹ verirrten sich nur noch selten Besucher hierher. Bislang waren die Sternberger davon ausgegangen, einen großen Freundeskreis zu haben, jetzt wussten sie es besser: Seit Fürst Leopold in den Verdacht geraten war, über siebzehn Jahre lang einen unehelichen Sohn verschwiegen zu haben, galt die Familie nicht mehr als wünschenswerter Umgang. Die wenigen Freunde, die ihnen geblieben waren, wussten sie daher umso mehr zu schätzen.
»Es kann ja nicht mehr lange dauern, Marie«, beschwichtigte Eberhard Hagedorn die junge Frau. Marie-Luise Falkner und er waren einander ähnlich: Sie wollten beide in ihrem jeweiligen Fach Höchstleistungen vollbringen, mit weniger gaben sie sich nicht zufrieden. Seit sie diese geistige Verwandtschaft entdeckt hatten, waren sie einander nähergekommen und hatten, bei aller gebotenen Distanz, Freundschaft geschlossen. »Diese Gentests brauchen halt eine gewisse Zeit, aber danach haben wir wenigstens Gewissheit.«
»Bestimmt fällt Frau Roeder dann etwas Neues ein«, murrte Marie-Luise. »Die kann einfach nicht zugeben, dass sie gelogen hat, sie muss immer weiter an ihrer Geschichte festhalten. Ich verstehe die Frau nicht!«
»Vielleicht versteht sie sich selbst nicht, Marie!«, sagte Eberhard Hagedorn mit sanftem Lächeln.
Aber die junge Köchin war nicht in der Stimmung, sich aufheitern zu lassen. »Und wie lange mag es danach noch dauern, bis sie schaffen, Frau Roeders Sohn ebenfalls zu untersuchen? Wochen, Monate oder sogar Jahre? Wer weiß, wann wir endlich wieder einmal ein richtig großes festliches Essen im Schloss haben werden?«
Etwas an ihrer Stimme ließ den Butler aufhorchen. »Sie denken doch nicht etwa daran, sich zu verändern, Marie?«, fragte er beunruhigt. »Weil Sie hier nicht mehr genügend gefordert werden? Ich habe es Ihnen ja schon einmal gesagt: Die eigentliche Herausforderung besteht darin, die Menschen, für die man jeden Tag kocht, immer wieder zu überraschen. Ich weiß ja, dass Sie viele Angebote haben, in anderen Häusern zu arbeiten …«
Marie-Luise fing an zu lachen, mit einem Mal war ihre gedrückte Stimmung wie weggeblasen. »Was für eine Idee, Herr Hagedorn! Ich würde doch niemals meine Stelle hier aufgeben, dazu bin ich viel zu gerne hier.«
Sie wurde wieder ernst. »Aber manchmal möchte man auch glänzen, verstehen Sie das nicht? Manchmal möchte ich eine große Gesellschaft bekochen und lauter glückliche Gesichter sehen, wenn ich einen heimlichen Blick in den Salon werfe. Fremde, aber glückliche Gesichter. Es ist einfach eine andere Atmosphäre, wenn ich für viele Menschen koche, die auch deshalb ins Schloss gekommen sind, um zu genießen, was ich zubereitet habe. Sie kommen natürlich auch wegen der Gespräche, der Atmosphäre und weil sie sich mal wieder zeigen wollen, aber ein Grund für ihr Kommen ist das Wissen, dass sie hier etwas Außergewöhnliches essen werden. Das ist es, was ich vermisse. Ein bisschen – Spannung, Aufregung, Hektik, Chaos, Zittern, ob alles so gelingt, wie ich es mir wünsche. Das ist wie im Theater vor der Premiere, glaube ich …« Marie-Luise verstummte mit verlegenem Lächeln.
»Das verstehe ich.« Eberhard Hagedorn stand mit einem Lächeln auf. »Und ich glaube fest daran, dass Sie diese Spannung schon sehr bald wieder verspüren werden. Danke für den Espresso, Marie.«
»Bis bald«, rief sie ihm nach, denn ihr wurde bewusst, wie sehr sie sich an seine Besuche in der Küche und vor allem an die Gespräche mit ihm gewöhnt hatte. Als sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte, tat sie es leichteren Herzens als zuvor. Sie würde es machen wie der alte Butler und ganz fest daran glauben, dass Schloss Sternberg wieder bessere Zeiten bevorstanden.
*
»Ich würde es sehr bedauern, dich als Schüler zu verlieren«, sagte Bill Graham, Sebastians Musiklehrer. »Du hast großes Talent, Sebastian, und das muss gefördert werden. Ich hoffe, du kommst wieder. Nein«, verbesserte er sich gleich darauf, »wir alle hoffen das.«
»Danke, Sir«, erwiderte Sebastian. »Aber ich weiß noch nicht genau, ob das geht. Das hängt davon ab …« Er verstummte.
»Es hängt davon ab, wie diese Geschichte deiner Mutter sich entwickelt«, sagte der Lehrer ruhig. Bill Graham war ein immer leicht abwesend wirkender Mann von Anfang Vierzig, der aussah wie der sprichwörtliche zerstreute Professor: die Haare zerzaust, eine runde Nickelbrille auf der Nase, das Gesicht spitz, die Kleidung nachlässig und zerknittert. Aber keiner seiner Schüler hatte sich jemals über sein Aussehen lustig gemacht, denn Bill Graham war ein begnadeter Lehrer.
Er verstand es sogar, diejenigen unter seinen Schülerinnen und Schülern für Musik zu begeistern, denen es an Begabung für dieses Fach mehr oder weniger fehlte. Er hatte einen Schulchor ins Leben gerufen, sowie ein Schulorchester, und beide kannten keine Nachwuchsprobleme, weil mehr Leute mitmachen wollten, als es Plätze gab. Bill Graham verfügte nicht nur als Lehrer über besondere Fähigkeiten, sondern er war außerdem auch noch ein besonders sympathischer Mensch, der für die Sorgen und Nöte seiner Mitmenschen immer ein offenes Ohr hatte.
»Ja«, bestätigte Sebastian. Er betrachtete beharrlich seine Schuhspitzen. »Wenn es schlecht für sie läuft, kann ich sie nicht einfach im Stich lassen, Sir.«
»Du meinst, du könntest nicht hierher zurückkehren, wenn sie, beispielsweise, ins Gefängnis müsste?«, fragte Bill Graham so ruhig, als besprächen sie gerade die Aufgaben für die nächste Stunde.
Sebastian nickte wortlos.
»Deine Mutter ist erwachsen, Sebastian«, sagte der Lehrer mit sanftem Nachdruck. »Was auch immer sie getan haben mag, sie hat es bewusst getan. Ihr war also klar, welche Auswirkungen ihr Handeln unter Umständen für dich haben würde. Du bist siebzehn und auf keinen Fall für sie verantwortlich. Das heißt nicht, dass du ihr nicht beistehen und ihr helfen sollst, wenn sie Beistand und Hilfe braucht. Aber es heißt, dass du das Recht und vielleicht sogar die Pflicht hast, dein Leben in die eigenen Hände zu nehmen.«
»Ich soll sie im Stich lassen?«
»Natürlich nicht. Aber du sollst dir gut überlegen, wie du dein Leben führen willst. Die Entscheidung darüber musst du allein fällen, und das solltest du nicht voreilig tun. Noch einmal angenommen, deine Mutter müsste ins Gefängnis: Dann kannst du ihr das Leben etwas schöner machen, wenn du sie dort regelmäßig besuchst, aber du würdest an ihrer Situation nicht grundsätzlich etwas ändern, wohl aber an deiner eigenen. Was wäre in dem Fall mit deinem eigenen Leben? Wie würde es aussehen? Über solche Fragen sollst du nachdenken, das ist alles, wozu ich dir rate.« Bill Graham machte eine Pause, bevor er hinzusetzte: »Ich wünsche dir viel Glück bei dem, was du vorhast, Sebastian.«
»Danke, Sir.«
Der Lehrer sah seinem Schüler nach, wie er mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern davonging. Einen wie ihn hatte er noch nie unterrichtet, er hoffte von ganzem Herzen, dass der Junge zurückkam, sobald er erledigt hatte, was immer er in Deutschland erledigen zu müssen glaubte.
*
»Carl!« Caroline strahlte, als sie Carl vor der Tür ihres Hotelzimmers stehen sah.
Er kam herein, schloss die Tür hinter sich und zog Caroline in seine Arme, um sie zu küssen. »Ich hatte solche Sehnsucht nach dir, dass ich nicht bis heute Abend warten konnte«, flüsterte er zwischen zwei Küssen.
An diesem Abend waren sie bei Millers zum Essen eingeladen. Es war Sebastians letzter Abend, am nächsten Tag würde er nach Deutschland fliegen. Er hatte alle Tests in der Schule geschrieben und sich von seinen Lehrern verabschiedet. Seit Tagen war er sehr in sich gekehrt, sie merkten ihm an, wie aufgeregt er war und auch wie ängstlich, da er nicht wusste, was ihn in Deutschland erwartete.
»Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass nicht nur Sebastian abreist, sondern du auch«, sagte Carl, der Caroline am liebsten gar nicht wieder losgelassen hätte.
»Wir sehen uns doch wieder, Carl.«
»Ja, aber wann? Ich weiß nicht genau, wann mein Einsatz hier beendet sein wird. Zwei Monate bleiben wir mindestens noch hier, es können aber leicht auch drei werden.«
»Das ist natürlich sehr lang«, sagte sie ernsthaft, aber ihre Augen funkelten dabei. »Es gäbe allerdings eine Möglichkeit, diese Zeit zu verkürzen.«
»Welche?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Nun, ich könnte zum Beispiel meinem Verlag den Vorschlag unterbreiten, das Buch dicker zu machen, als wir es bis jetzt geplant haben. Ich habe nämlich meine Fotos gesichtet und festgestellt, dass ich mehr gute Bilder habe, als abgedruckt werden können, wenn es bei der ursprünglichen Planung bleibt. Außerdem habe ich mir überlegt, dass das Buch mit ausführlicheren Texten schöner wäre. Und an diesen Texten kann ich hier genauso gut arbeiten wie zu Hause, wenn mir das Hotel einen Sonderpreis macht. Natürlich müsste sich mein Verleger darauf einlassen und mir einen weiteren Vorschuss gewähren, sonst muss ich zurückfliegen.«
Er verschloss ihr die Lippen mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss, der ihr mehr als viele Worte sagte, was er von ihrem Vorschlag hielt. Als sie sich voneinander lösten, bat er: »Ruf sofort an und mach deine Vorschläge«, sagte er. »Ach, Caroline, das wäre einfach zu schön, um wahr zu sein.«
Sie schmiegte sich an ihn und lachte leise, als ihr wieder einfiel, wie sie nach ihrem ersten Zusammentreffen auf diesen Mann geschimpft hatte. Es schien ihr Monate zurückzuliegen, dabei waren es nur ein paar Tage. Ein paar Tage freilich, die ihr ganzes Leben verändert hatten.
*
»Herr Kriminalrat!«, sagte Niko von Hohenwege überrascht. »Dass Sie sich bei uns blicken lassen …«
»… hat seinen Grund. Es gibt Neuigkeiten und da Sie sich kürzlich nach der ›Affäre‹ erkundigt haben, will ich Ihnen diese Neuigkeiten nicht vorenthalten.«
Niko zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Aus den USA erreicht uns die Kunde, dass Sebastian Roeder einen Flug nach Deutschland gebucht hat.«
»Nein!«, rief Niko. »Aber wieso das denn? Das kann doch nicht im Sinne seiner Mutter sein, nach allem, was man in den letzten Tagen über sie zu hören und zu lesen bekam.«
»Ist es sicherlich auch nicht, aber eigentlich kann es nur bedeuten, dass der Junge seine eigenen Entscheidungen getroffen hat, denn er weiß ja sicherlich, was ihn hier erwartet.«
»Er soll doch hochbegabt sein. Meinen Sie, ihm ist klar, dass er seiner Mutter schaden kann, wenn er nach Deutschland zurückkehrt?«
»Vielleicht geht es ihm wie uns oder auch den Sternbergern, und er möchte nur, dass alles vorbei ist.«
»Das ist allerdings eine ziemliche Überraschung«, murmelte Niko. »Nach unserem Gespräch neulich war ich davon ausgegangen, dass es einer längeren Auseinandersetzung bedarf, bis der Junge untersucht werden kann.«
»Ich auch«, gab der Kriminalrat zu. »Aber nun sieht es anders aus.«
»Die Sternberger sind sicherlich überglücklich.«
»Sie wissen noch nichts davon. Ich habe mir vorgenommen, ihnen nichts zu sagen, bis Sebastian Roeder in der Luft ist. Bis dahin kann noch viel passieren, und die Erfahrung lehrt mich, dass wir besser vorsichtig sind, bevor wir einen Etappensieg feiern. In dieser Angelegenheit hat es schon zu viele Rückschläge gegeben.« Volkmar Overbeck lächelte. »Aber es gibt eine Neuigkeit, und die werde ich gleich nach Sternberg weitergeben.«
»Die Ergebnisse der Gentests?«, fragte Niko gespannt.
»Ja, sie sind zu unserer vollsten Zufriedenheit ausgefallen.«
»Gratuliere«, sagte Niko. »Das ist doch mal ein echter Fortschritt.«
»Den wir Ihnen und Ihren Leuten zu verdanken haben.« Der Kriminalrat ging zur Tür. »Weiter so, Niko. Ich bin mit Ihrer Abteilung wirklich sehr, sehr zufrieden.«
Mit diesen Worten ging er hinaus und ließ den jungen Kommissar ein wenig verwirrt, vor allem aber glücklich zurück.
*
»Was war denn so wichtig, dass du es unbedingt während des Abendessens erfahren musstest?«, fragte Baronin Sofia, als Friedrich zu den anderen an den Tisch zurückkehrte. Sie ärgerte sich über Störungen zu dieser Stunde immer sehr, aber nicht jedes Telefonat ließ sich vermeiden.
»Das war der Kriminalrat«, antwortete Friedrich. Nicht nur diese Information, sondern vor allem sein Tonfall sorgte dafür, dass die Teenager, die bis dahin lebhaft diskutiert hatten, schlagartig verstummten. Sie wandten sich mit gespannter Aufmerksamkeit dem Baron zu.
»Sag schon, Papa!«, drängte Anna, als er nicht sofort das Wort ergriff.
»Die Gentests«, sagte Friedrich, »haben eindeutig ergeben, dass du der Sohn des Mannes bist, dessen Locke sich im Medaillon deiner Mutter befand, Chris. Dieses nimmt Frau Roeder also ihr letztes Argument, die Echtheit der Locke anzuzweifeln.«
Kein Jubel erhob sich nach diesen Worten, niemand sagte ein Wort. Plötzlich war das Ende der ›Affäre‹ beinahe greifbar geworden. Sicher, die Untersuchung Sebastian Roeders konnte sich noch eine Weile hinziehen, wenn der Anwalt der Gegenseite es darauf anlegte, aber verhindern konnte er sie wohl nicht, und das hieß, das Ende war eindeutig in Sicht.
Christian war wachsbleich geworden. »Sagt mir, was jetzt noch passieren kann«, bat er. »Sagt es mir, sonst fange ich wieder an, mir Hoffnungen zu machen.«
»Sie werden verhindern wollen, dass Sebastian Roeder untersucht wird«, erklärte der Baron ruhig. »Herr Dr. Braun, der Anwalt von Frau Roeder, wird jede List anwenden, die ihm einfällt, um eine Rückkehr des Jungen nach Deutschland hinauszuzögern, aber am Ende wird er keinen Erfolg haben, Chris. Jetzt kommt es nur darauf an, dass wir die Ruhe bewahren. Wir haben so viele dunkle Stunden hinter uns, ohne uns unterkriegen zu lassen, da sollte uns das doch jetzt auch gelingen, oder nicht?«
Der Junge nickte, aber sein Gesichtsausdruck war abwesend. Sie sahen, wie es in ihm arbeitete, und so ließen sie ihn in Ruhe.
»Wenn ich könnte, würde ich diesen Sebastian eigenhändig nach Deutschland schleppen«, brummte Konrad.
»Ich würde dir helfen«, sagte Anna sofort.
Sofia und Friedrich erwiderten nichts. Ihre Blicke kehrten immer wieder zu Christian zurück, dessen Blässe sie beunruhigte. Sie konnten sich vorstellen, was ihm durch den Kopf ging, und einmal mehr überkam sie Zorn auf jene Frau, die so viel Unglück über sie alle gebracht hatte, vor allem aber über den kleinen Fürsten.
Er hatte es verdient, endlich zur Ruhe zu kommen.
*
»Das war ein sehr schöner Abend, vielen Dank«, sagte Carl zum Abschied zu den Millers.
»Und das Essen war wunderbar«, setzte Caroline hinzu.
»Ich bringe euch noch raus«, sagte Sebastian. Er war still gewesen, hatte nur ab und zu etwas zur Unterhaltung beigetragen, was die Erwachsenen jedoch verstanden hatten: In Gedanken saß er wohl schon im Flugzeug oder war bei seiner Mutter im Untersuchungsgefängnis.
»Danke für alles«, sagte er, als sie jetzt vor dem Haus der Millers standen. »Ohne euch …« Seine Stimme kiekste, sie sahen, dass er den Tränen nahe war.
Caroline tat das einzig Richtige: Sie nahm ihn in die Arme. »Wir bleiben in Kontakt, Sebastian«, sagte sie. »Du tust das Richtige, und wie es weitergehen soll, entscheidest du in Deutschland. Du bist ein kluger Junge, du wirst wissen, was zu tun ist.«
»Und wenn ich es nicht weiß, kann ich euch dann anrufen und um Rat fragen?«
»Jederzeit«, antwortete Carl, der Sebastian nun ebenfalls in die Arme schloss.
Die Millers würden den Jungen am nächsten Tag zum Flughafen fahren, Sebastian selbst hatte gesagt, er würde sich von Caroline und Carl lieber vorher verabschieden. »Sonst fällt mir der Abschied zu schwer.«
»Geh jetzt wieder rein«, sagte Caroline. »Und versuch zu schlafen. Dir stehen schwierige Zeiten bevor, aber das weißt du ja.«
Sebastian nickte. »Bis dann.« Seine Stimme klang belegt, seine Augen glänzten feucht. Er schien noch etwas sagen zu wollen, tat es aber dann doch nicht. Stattdessen nickte er noch einmal, bevor er sich umdrehte und im Haus verschwand, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.
Hand in Hand liefen Caroline und Carl zum Hotel. »Am liebsten würde ich ihn begleiten«, sagte Caroline leise. »Er sah so einsam aus eben. Und er hat Angst, Carl.«
»Wenn er diese Sache durchgestanden hat, wird er endgültig erwachsen sein.«
»Armer Kerl«, murmelte sie.
Carl übernachtete bei Caroline im Hotel. Harry wusste Bescheid, er würde nicht auf ihn warten. Als er Caroline in die Arme schloss und küsste, dachte er, wie so oft in den letzten Tagen, wie nahe Glück und Unglück doch beieinander lagen. Er selbst hätte vor lauter Glück am liebsten die Welt umarmt, während Sebastian sich fürchtete und seine Zukunft grau in grau sah.
Als hätte Caroline seine Gedanken gelesen, flüsterte sie: »Er soll glücklich werden, Carl!«
»Das wird er«, erwiderte er voller Überzeugung und begann, mit seinen Lippen Carolines Hals hinunterzuwandern und von dort weiter zu ihren Brüsten, die er sanft liebkoste. Er ließ sich Zeit, sie hatten noch die ganze Nacht vor sich.
Sie stöhnte leise und vergrub die Hände in seinen Schultern. Von da an konnte er nicht mehr denken.
*
»Frau Roeder«, sagte Dr. Jens-Oliver Braun eindringlich, »die Locke gehört Fürst Leopold. Die Gentests haben ergeben, dass die Locke dem Vater von Prinz Christian abgeschnitten wurde. Sie wissen, was das bedeutet?«
Corinna Roeder nickte gleichmütig, ihrem Gesicht war nicht anzusehen, was sie dachte. »Sebastian bleibt trotzdem in den USA!«, sagte sie mit fester Stimme. »Tun Sie, was Sie können, umso lange wie möglich zu verhindern, dass er untersucht wird.«
Mit einem Ruck hob der Anwalt den Kopf. »Ist das jetzt das Eingeständnis, dass Sie nicht die Wahrheit gesagt haben?«
»Das ist überhaupt kein Eingeständnis«, entgegnete sie zornig. »Ich will nicht, dass der Junge in diese Sache hineingezogen wird, mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Und was diese Untersuchungen angeht: Wenn man so mächtig ist wie das Haus Sternberg, bekommt man sicherlich jedes Ergebnis, das man sich wünscht. Das habe ich Ihnen neulich schon gesagt, und ich habe meine Meinung seitdem nicht geändert.«
Er hielt es für besser, darauf nichts zu erwidern. Letzten Endes konnte es ihm ja egal sein, wie die Sache ausging, und das war es mittlerweile auch. Wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass ihre Geschichte nicht stimmte, würde er trotzdem als gerissener Anwalt in Erinnerung bleiben, und das war alles, was für ihn zählte. Geld bekam er kaum von Corinna Roeder, sie hatte ja nichts, aber das war für ihn kein Hinderungsgrund gewesen, den Fall anzunehmen. Der wahre Wert dieses Falles für ihn würde sich erst in der Zukunft erweisen, das war ihm von Anfang an klar gewesen, und er hatte richtig spekuliert.
»Ich tue, was ich kann, um Ihren Sohn zu schützen«, sagte er deshalb nur.
Sie nickte mit gleichmütigem Gesicht, etwas anderes hatte sie nicht erwartet.
Wenig später verabschiedete er sich von seiner Mandantin, zum ersten Mal allerdings mit einem leisen Anflug von Ungeduld. Auch für ihn dauerte der Fall allmählich zu lang. Er kostete ihn viel Zeit, und er musste eine vernünftige Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen. Es gab erste Anfragen von anderen Mandanten, solchen, die zahlungskräftig waren und große Namen hatten. Das war seine Zukunft, Corinna Roeder war mittlerweile schon fast seine Vergangenheit. Er tat wohl gut daran, sich allmählich zu überlegen, wie er den Fall für sich möglichst bald abschließen konnte, denn an einem monatelangen Tauziehen um einen Gentest Sebastian Roeders hatte er nicht das geringste Interesse.
Aber bisher war ihm, wenn es sich als notwendig erwiesen hatte, noch jedes Mal etwas eingefallen.
*
Sebastian saß im Flugzeug, das mit zweistündiger Verspätung gestartet war. Alles war glatt gegangen, entgegen seinen geheimen Befürchtungen. Er hatte sich noch am Abend zuvor ausgemalt, wie sie ihn in letzter Sekunde noch aus der Maschine holen würden. »Wissen Sie denn nicht, dass Sie das Land nicht verlassen dürfen? Bitte folgen Sie uns …« Das war natürlich Unsinn, aber die Fantasien hatten ihn die halbe Nacht lang wach gehalten. Noch immer konnte etwas schiefgehen, dies war kein Direktflug, er musste umsteigen, aber allmählich war er bereit, daran zu glauben, dass man ihn wirklich nach Deutschland fliegen lassen würde.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Die Flugbegleiterin stand vor ihm und lächelte freundlich. Oder lächelte sie mütterlich, weil sie ihm ansah, dass er sich fühlte wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal ganz allein war? Dabei war er eigentlich sehr selbstständig für sein Alter, er war schließlich auch in den USA gut zurechtgekommen. Jedenfalls, bevor diese ›Affäre‹ angefangen hatte, sein Leben zu verdunkeln.
»Eine Cola bitte«, sagte er.
»Gern. Etwas zu knabbern?«
Auch das akzeptierte er, obwohl er glaubte, nichts hinunterbringen zu können. Später würde es noch ein Abendessen geben, später, wenn er umgestiegen war. Dieses war nur der erste Teil der Reise.
Als die Flugbegleiterin weitergegangen war, versank er wieder in seinen Gedanken. Er hatte etwas zu lesen mitgenommen, aber er wusste, dass er sich nicht konzentrieren konnte. Zum Glück war der Platz neben ihm frei geblieben, insgeheim hatte er sich schon vor einem mitteilsamen Sitznachbarn gefürchtet. Oder vor einer Sitznachbarin, die zu ihm sagte: »Meine Güte, Sie sehen aus wie der junge Fürst Leopold von Sternberg …«
Auch das waren natürlich abwegige Fantasien, er wusste es, aber ein Teil der Furcht, dass so etwas passieren könnte, blieb. Es waren schon Dinge geschehen, die er noch vor wenigen Monaten für sehr viel unwahrscheinlicher gehalten hätte.
Drei Stunden später saß er in dem Flugzeug, das er erst in Deutschland wieder verlassen würde. Als die Maschine abhob, schloss er die Augen und atmete tief durch.
Bereits am nächsten Tag würde er seine Mutter wiedersehen.
*
»Hat es geklappt?«, fragte Carl.
Caroline stürzte sich in seine Arme. »Zwei Wochen Mexiko, dann bin ich wieder hier!«, berichtete sie strahlend. »Mein Verleger fand all meine Vorschläge großartig, ich kann also noch bleiben, und ab sofort muss ich auch nicht mehr jeden Dollar zwei Mal umdrehen, bevor ich ihn ausgeben kann.«
»Aber du wirst zwei Wochen in Mexiko sein«, stöhnte Carl. »Das ist viel zu lang! Wie soll ich das aushalten?«
»Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, aber ich glaube, es ist zu schaffen.«
Sie küssten sich zärtlich, bis sich hinter ihnen jemand räusperte.
»Ach, da bist du ja schon, Harry«, sagte Caroline. Sie hatte Carls Kollegen am Tag zuvor kennengelernt und sofort ins Herz geschlossen, was übrigens auch umgekehrt galt. »Dann lasst uns essen gehen, Jungs.«
»Und zwar umgehend«, meinte Harry, »mir hängt der Magen schief«
Sie hatten in einem Fischrestaurant einen Tisch reserviert. Als sie vor ihren Platten mit Meeresfrüchten saßen, murmelte Carl: »Sebastian müsste jetzt eigentlich schon im zweiten Flugzeug sitzen und auf dem direkten Weg nach Hause sein.«
Caroline griff nach seiner Hand und hielt sie fest. »Es wird schon alles gut gehen, Carl.«
»Das kann man nicht wissen. Manchmal denke ich, wir hätten ihn nicht allein fliegen lassen dürfen. Er mag hochbegabt sein, aber er ist erst siebzehn! Das ist zu viel für ihn.«
»Ich kenne den Jungen ja nicht«, mischte sich Harry ein, »aber nach allem, was ihr mir bisher über ihn erzählt habt, kann ich Caroline nur zustimmen. Er schafft das.«
Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln, und wenig später gelang es ihnen, Carl von seinen Sorgen um Sebastian abzulenken. Dabei wanderten auch Carolines Gedanken immer wieder zu dem Jungen, denn sie hatte ihn wirklich gern, und in den letzten beiden Wochen hatte sie sich ja fast ausschließlich mit seinen Problemen beschäftigt. Das ließ sich jetzt nicht ohne Weiteres abstreifen wie ein altes Kleid.
Aber um Carl nicht noch mehr zu beunruhigen, behielt sie ihre Gedanken für sich und versuchte, an ihre eigenen Worte zu glauben: Es wird schon alles gut gehen.
*
Der kleine Fürst stand vor der Gruft seiner Eltern, auf dem kleinen Hügel am Rande des Sternberger Schlossparks, auf dem sich der Familienfriedhof befand. Er kam jeden Tag hierher, um ihnen in Gedanken zu berichten, was ihn bewegte oder was sich ereignet hatte. Auf diese Weise hielt er die Erinnerung an sie aufrecht. Das Ritual half ihm außerdem, seine Trauer zu bewältigen.
Seit Beginn der ›Affäre‹ spielte diese natürlich bei jedem seiner Besuche die Hauptrolle. Es gab Tage, da gab es überhaupt kein anderes Thema, denn hinter der ›Affäre‹ traten andere Ereignisse, die früher vielleicht wichtig gewesen wären, fast automatisch zurück. Christians Leistungen in der Schule, seine früheren Kabbeleien mit Konrad, die Einsamkeitsgefühle, die ihn noch immer regelmäßig überwältigten – all das spielte entweder keine große Rolle mehr oder es hatte sich schlicht verändert. Konrad zum Beispiel war ihm jetzt ein guter, enger Freund geworden, er hatte vor ihm so wenig Geheimnisse wie vor Anna.
Heute hatte er nicht viel Neues zu berichten. Dass die Locke im Medaillon seiner Mutter tatsächlich seinem Vater gehört hatte, hatte er seinen Eltern bereits einige Tage zuvor berichten können, weitere Neuigkeiten gab es nicht. »Tante Sofia und Onkel Fritz glauben, dass Frau Roeders Anwalt sich jetzt große Mühe geben wird, Sebastian Roeders Untersuchung hinauszuzögern. Ehrlich gesagt, das fürchte ich auch, aber ich hoffe trotzdem, dass bald alles vorbei ist und keiner mehr schlecht über dich redet, Papa.«
Er wartete auf das Zeichen seiner Eltern, dass sie ihn gehört hatten, und es kam prompt: Eine leuchtende Sternschnuppe zog einen langen Lichtschweif am dunklen Himmel hinter sich her. Andere hätten das für einen Zufall gehalten, für den kleinen Fürsten war dies eine Botschaft seiner Eltern. »Danke, dass ihr immer noch bei mir seid«, flüsterte er.
Togo, der bis dahin ruhig neben ihm gesessen hatte, sprang beim Klang seiner Stimme sofort auf und lief den schmalen Weg vom Hügel hinunter in den Park, auf das hell erleuchtete Schloss zu.
Der kleine Fürst folgte ihm. Das fremde Auto sah er bereits, als sie noch weit vom Schloss entfernt waren. Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte. Wer war der Besucher – und welche Neuigkeiten hatte er gebracht?
Er war außer Atem, als er das Schloss erreichte und Eberhard Hagedorn ihm das Hauptportal öffnete. »Wer ist denn noch gekommen, Herr Hagedorn?«, keuchte er.
»Der Herr Kriminalrat ist vor wenigen Minuten eingetroffen. Bitte, gehen Sie gleich in die Bibliothek, Prinz Christian.«
Der kleine Fürst stürzte vorwärts, er öffnete die Tür zur Bibliothek und blieb stehen, als sich ihm lauter lächelnde Gesichter zuwandten. Es war Anna, die ihm die gute Botschaft verkündete: »Sebastian Roeder sitzt im Flugzeug nach Deutschland, Chris! In ein paar Stunden wird er landen, und dann …« Sie beendete ihren Satz nicht, aber das war auch nicht nötig, jeder im Raum wusste, was diese Nachricht zu bedeuten hatte.
Der kleine Fürst blieb stehen, wo er stand, ohne sich zu rühren. Er merkte, wie ihm die Knie weich wurden, dann spürte er, wie jemand nach seinem Arm griff, um ihn zu einem Sessel zu führen und ihn dort sanft auf den Sitz zu drücken. Für einen Moment schloss er die Augen.
War es das jetzt – das Ende der ›Affäre‹?