Читать книгу Datteln und Dromedare - Viveca Lärn - Страница 4
ОглавлениеDer letzte Schultag in der Sechsten war ein ganz besonderer Tag. Außerdem hatte der Tennisstar Björn Borg Geburtstag, und es war der schwedische Nationalfeiertag.
Ulli und ich wollen auch Tennisprofis werden, bevor wir in Kunstgeschichte promovieren und Schauspieler werden. Björn Borg und die anderen alten Herren, die etwas von Aufschlag und Rückhand verstehen, finden wir ganz in Ordnung.
Am letzten Schultag allerdings, im Pausenhof, dachten wir mehr an uns selbst. Es war eine tolle Stimmung. Alle Mädchen aus der Sechsten hatten Blumenkränze im Haar, weil sie mit dieser Schule fertig waren und nie mehr einen Fuß in dieses rote Ziegelgebäude setzen würden. Nicht einmal für fünfzig Kronen. Im Herbst kommen wir nämlich auf die Realschule, und dort geht es viel härter zu. Da hat jeder seinen eigenen Schrank, zum Beispiel, für seine Klamotten und sein Zeug, und nicht mehr nur die lächerliche Bank. Außerdem hat man für jedes Fach einen anderen Lehrer, und einige davon tragen Krawatten. Die Jungs haben einen männlichen Turnlehrer und wir eine Frau, damit alles klar ist. In der Realschule dürfen die Mädchen auch keine Shorts tragen, weil sie jetzt so lange Beine haben. Und natürlich gibt es keinen Pausenhof mehr, denn mit dreizehn wird man ja kaum mehr Seil hüpfen wollen, oder?
Am letzten Schultag sang Jasmine Svensson Solo.
Sie hat wirklich eine gute Stimme, um die sie alle beneiden, sogar ich, obwohl ich mich im Chor ganz gut mache. Jasmine trug ein grünes Trikot, dazu ein grünes Hemd, und das Haar hatte sie auch grün gefärbt. Ulli flüsterte, daß sie sich vom Rasen kaum abheben würde, und dann mußten wir vier Minuten lang lachen, genau so lange, wie das Lied dauerte. Jasmines Tanten und Onkel, die vor uns im Hof standen, warfen strafende Blicke in unsere Richtung, was alles noch lustiger machte. Jasmine bekam viel Applaus, als sie von der Bühne lief, und irgend ein Blödmann rief: „Da Capo!“
Das war natürlich mein Vater, Thomas Tedin. Tja, man hat es nicht immer ganz leicht.
Er stand mit den Händen in den Hosentaschen und einem Farbklecks auf der Backe da und freute sich. Ullis Mutter stand daneben und laberte. Sie hatte bestimmt einen ganzen Vortrag auf Lager, wie wir uns in Tunesien benehmen sollten und ähnliches, und daß Ulli für Halsentzündungen anfällig sei, und ob Halbpension nun wirklich ausreichend sei. Nur Frühstück und Abendessen? Ulli neigte nämlich auch leicht zum Verhungern.
Mein Vater sah nur zufrieden aus. Er hört nie hin, wenn Leute reden.
Dann trat der Pfarrer ans Rednerpult, lehnte sich nach vorne und fing an zu sprechen. Es hörte kaum jemand zu, denn Ullis kleiner Bruder Sebastian kletterte zur gleichen Zeit aufs Dach des Lehrerzimmers. Es handelt sich hier um ein Blechdach, und als Sebastian da oben herumsprang, machte das einen ganz schönen Lärm. Er hatte ein großes Handtuch mit Sicherheitsnadeln am Rücken befestigt, und auf seinem Pulli war ein großes S. Jeder wußte natürlich, was das bedeutete. Alle außer Ullis Mutter.
„Was hast du vor?“ schrie sie.
„Das ist doch Superman“, antwortete der Pfarrer erstaunt. „Er wird vermutlich gleich vom Dach springen.“
Alle außer Sebastian lachten. Und außer Ulli, natürlich, die wütend war.
„Ein Glück, daß wir zwei im Herbst nicht mehr in die gleiche Schule gehen müssen wie er“, seufzte sie.
Sebbe ist erst siebeneinhalb und eigentlich zu groß, um auf Dächern herumzurennen. Er steht nur gern im Mittelpunkt. Das hatte er jetzt erreicht, und so setzte er zu einem gewaltigen Sprung an. Am Anfang sah alles noch ganz harmlos aus, aber irgendwie schaffte er es, so mit den Beinen zu zappeln, daß er zu weit rechts abkam und in der Lehrertorte landete.
„Ach du lieber Gott!“ stöhnte Semmel.
Der Pfarrer schaute Semmel streng an. Er kann ja nicht wissen, daß Semmel seit jeher unser Klassenlehrer ist, und Junggeselle obendrein, und daß er nur am letzten Schultag Kuchen kriegt. Semmel hatte sich schon den ganzen Tag in der Nähe des Kaffeetisches herumgedrückt.
Sebastian lief zu den Erstkläßlern, die in einer Ecke versammelt waren, und seine Lehrerin schüttelte den Kopf. Dort, wo Sebastian gelandet war, hatte die Torte ein großes Loch. Gut, daß er nicht sehr dick ist. Es blieb immer noch eine Menge Torte rundherum übrig.
„Ja, weiter kommen wir wohl heute nicht“, stellte der Pfarrer fest und schaute auf die Uhr. „Ich weiß, worauf ihr alle wartet: daß wir alle zusammen, Eltern, Schüler und Lehrer, ein Lied anstimmen.“
Das taten wir dann auch, und alle, die nicht zeigen wollten, daß sie gerührt waren, schauten auf den Boden, als sie sangen.
Ulli und ich schauten in die Luft, wo wir am nächsten Tag fliegen würden. Auf dem Weg nach Afrika.
„Und jetzt“, sagte der Rektor, „wünsche ich allen recht schöne Ferien.“
Daraufhin gab die ganze Schule den berühmten Ferienschrei von sich, daß die Fensterscheiben nur so zitterten. Dieses Jahr war das Geschrei so laut, daß die Scheiben des Musikzimmers sogar zersprangen, aber was machte es uns schon. Ulli und ich hatten ja nichts mehr mit dieser alten verschimmelten Schule im Sinn.