Читать книгу Datteln und Dromedare - Viveca Lärn - Страница 8
Оглавление„Können wir nicht zum Strand gehen?“ schlug Ulli vor, als wir mit dem Essen fertig waren. „Dort gibt es vielleicht Kamele und Dromedare.“
Ein guter Vorschlag. Also liefen wir und holten unsere Badesachen. Immer noch keine Eidechse in unserem Schrank. Als wir in die Sonne traten, wurden wir von dem grellen Licht geblendet. Ulli blieb sogar stehen.
„Komm!“ sagte ich. „Ist doch nur die Sonne. Man gewöhnt sich daran.“
Aber Ulli kam nicht. Ich drehte mich um und stellte fest, daß sie am Boden kauerte und mit einer kleinen brandgelben Katze schmuste. Sie ist total weg, wenn sie eine Katze sieht. Kommt einfach nicht daran vorbei.
„Paß auf! Du kannst dir sonst was holen. Schreckliche Krankheiten und so“, rief ich.
So etwas läßt Ulli kalt. Nun lag die Katze rücklings auf den Steinplatten vor unserem Haus und wand sich zufrieden, während Ulli sie unter dem Kinn streichelte. Ich flackte mich in einen weißen Gartenstuhl. So etwas konnte dauern.
Da entdeckte ich ihn, den Typ mit dem gestreiften Pulli. Seine nackten Beine waren genauso braun wie die der alten Männer, die herumliefen und die Blumen gossen. Er streckte den Fuß ins Wasser und schien mit der Temperatur zufrieden zu sein, denn im selben Augenblick machte er eine gewaltige Bauchlandung in den Pool und fing an hin und her zu kraulen, als hätte er einen Hai im Schleptau.
„Wollen wir dann endlich zum Strand gehen?“ fragte Ulli.
Aber ich stand wie angewurzelt da. Ich mußte doch sehen, wie er aussah, wenn er aus dem Wasser kam.
„Bleib du nur bei deiner Katze!“ sagte ich. „Ich habe Wichtigeres vor.“
„Spinnst du, oder was?“ meinte Ulli. „Die ist doch schon längst weg.“
Da krabbelte der dunkelhaarige Typ auf die Poolkante, und das Wasser lief in Strömen aus seinen schwarzen Haaren und von dem gestreiften Pulli. Er schüttelte energisch den Kopf, und die Wassertropfen bespritzten etliche alte bissige Damen, die oben ohne in der Sonne lagen und widerlich aussahen.
„Ist der nicht süß?“ sagte ich zu Ulli.
„Wer, was, wo?“ fragte Ulli. „Noch eine Katze?“
Ich konnte nur ein Stöhnen hervorbringen, aber nicht bösartig. Ulli ist tatsächlich etwas kurzsichtig.
Es waren nur ein paar hundert Meter bis zum Strand, aber unsere Fußsohlen kochten schon. Wir beschlossen, meinen Vater aufzuklären, daß man in Afrika nicht ohne Sandalen auskommt.
Bevor wir losfuhren, hatte ich nämlich versucht, ihn dazu zu bringen, mir ein Paar schöne naturfarbene Jesus-Latschen zu kaufen, die gerade meine Größe hatten und nur knapp neunzig Kronen kosteten. Aber er hatte nur grimmig geantwortet, daß er das für völlig überflüssig hielte und daß Kinder übrigens im Sommer barfuß laufen sollten, denn das hätte er auch getan, als er klein war. Das sei fast das Beste an den ganzen Ferien gewesen. Er hätte dann so dicke Lederhaut an den Füßen bekommen, daß er im August das Gefühl gehabt hätte, dicke Holzpantinen zu tragen. Und als er im September in der Badewanne badete, hätte ein Reißnagel in seinem Fuß gesessen. Großmutter hätte sich riesig gefreut, denn sie hätte seit Juni, als der Nagel vom Schwarzen Brett in der Küche hinuntergefallen sei, danach gesucht.
Ulli hatte auch keine Sandalen bekommen, denn ihre Eltern meinten, daß dann auch ihre Brüder Sandalen bekommen müßten, damit es gerecht zuging, und das konnten sie sich angeblich nicht leisten.
So standen die Dinge, und deshalb verbrannten wir uns jetzt die Füße auf tunesischem Asphalt. Schließlich wurde uns der Boden unter den Füßen so heiß, daß wir nicht mehr laufen konnten, sondern bis zum Strand hüpfen mußten.
„Gut für die Beinmuskeln“, bemerkte Ulli in munterem Ton. „Denk dran, daß wir Tennisprofis werden wollen ...“
Wir hüpften durch ein weißes Tor und dann waren wir am Strand. Feiner hellgelber Sand, der noch heißer war als der Asphalt, aber wir hüpften vor zu einem Sonnenschirm, unter dem der Sand dunkel und beinahe kühl war. Von hier aus konnten wir alles, was vorging, gut überblicken. Wir hatten natürlich unsere Notizbücher dabei, für den Fall, daß wir etwas Wichtiges für unseren Denkerclub entdeckten.
Überall waren Unmengen von Strandkörben ordentlich aufgereiht, und in diesen drückten sich affige Touristen herum. Ulli und ich sind gegen organisierte Sonnenbäder. Braun darf man schon sein, aber man darf sich nicht sonnen. Einerseits sieht es blöd aus, und andererseits vergeudet man seine Zeit, noch dazu bekommt man einen Hitzschlag, und das Gehirn läuft aus. Leute, die sich beispielsweise in Straßenbahnen über Bügeleisen unterhalten, haben möglicherweise zu lange in der Sonne gelegen.
Unten am Wasser sah der Strand und der Sand spannender aus. Der Sand wechselte jedesmal die Farbe und Form, wenn eine Welle mit herrlichem weißem Schaum obendrauf hereinrollte. Am Wasserrand entlang flanierten haufenweise Holzköpfe Hand in Hand. Alle Erwachsenen hatten definitiv zu wenig an. Mit Ausnahme eines kleinen alten Mannes, der einen Tropenanzug aus Khaki und einen niedlichen kleinen Hut trug. Wir hielten es in unseren Notizbüchern fest. „Verwende immer genügend Kleider.“
„Ach du lieber Himmel!“ sagte ich. „Wenn ich dir in zwanzig Jahren an einem Strand begegne, und du mir nur in Unterhose und Pappnase entgegenkommst, dann raste ich aus.“
Aber zum Glück haben wir ja unsere Notizbücher.
Sonnenöl ist übrigens auch albern. Wir lauschten lange einer ernsthaften Diskussion zwischen zwei Familien, die mit unserem Flugzeug gekommen waren. Ein Grufti hielt Sonnenfaktor zwölf tagsüber für den geeignetsten, während seine Angetraute behauptete, daß Karottensaft das einzige sei, was wirklich die ultravioletten Strahlen im richtigen Maß durchließe. Die andere Tante teilte in überheblichem Ton mit, daß sie schon im Solarium gewesen sei, und deshalb gleich auf Faktor vier gehen könne. Ihr Ehemann saß da, hielt seine Brieftasche fest und sah krank aus. Er hatte vielleicht gerade entdeckt, daß er im Leben falsch gelandet war, und das zu spät.
„Wir werden ihn beobachten“, flüsterte ich Ulli zu. „Er scheint nicht völlig verloren zu sein.“ In unserem Denkerclub haben wir uns nämlich zur Regel gemacht, halb verlorene Seelen zu retten, so weit es eben möglich ist. Leider ist es uns noch nicht gelungen. Aber so lange wir selbst unsere reine und ehrliche Linie aufrechterhalten, geben wir die Hoffnung für andere nicht auf Das gehört dazu. Wir machten eine genaue Personenbeschreibung von dem Mann für unsere Notizbücher, was auf dem Strand gar nicht so einfach war. Geschlecht: männlich. Alter: circa 40. Hautfarbe: rotfleckig. Besondere Merkmale: O-Beine. Zustand: Unglücklich. Frau: Schreckschraube. Maßnahme: Müssen wir noch überlegen. Kleidung: Wenig (zu wenig).
Nun kam ein Verkäufer durch den Sand gestapft. Er war barfüßig wie wir, und dennoch lächelte er alle an und versuchte, Feigen und Datteln zu verkaufen.
„Datteln mitten im Sommer, das müssen wir haben“, sagte Ulli.
Ulli und ich essen sonst nur Weihnachten Datteln, bei ihr zu Hause. Bei uns gibt es das gar nicht, denn mein Vater hat nichts übrig für Weihnachtsessen. Letztes Jahr zu Weihnachten waren wir in den Bergen skifahren, und da gab’s natürlich weit und breit keine Datteln. Aber Datteln in Afrika, das paßt. Wir kauften uns je eine Tüte von dem Verkäufer. Er wollte nur einen Dinar dafür. Es war ein feiner Mann.
„Datteln, Dinare und Dromedare“, sagte Ulli. „Alles fängt wohl hier mit D an.“
„Stimmt“, sagte ich und deutete zur Seite.
Ein Stückchen weiter weg gab es einen Anlegeplatz für Tretboote und Kanus. Gleich daneben stand, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, ein braunes schönes Dromedar.
Die Leute schauten nicht einmal hin. Es war, als säße dort ein gewöhnlicher alter Pudel.
Ulli und ich stürzten zu dem Tier. Neben ihm war ein Schild in den Sand gesteckt, auf dem etwas in französisch und englisch stand. Es schien, als könne man für einen Dinar auf dem Dromedar reiten.
„Datteln und Dromedare, das ist das richtige für uns!“ rief Ulli.
„Ja, da kannst du Datteln darauf nehmen“, schrie ich.
In diesem Augenblick kam ein alter Mann im weißem Gewand auf einen Stock gestützt den Strand entlang.
„Reiten, liebe Margareta?“ fragte er uns auf Schwedisch.
„Bist du ein Schwede?“ fragte Ulli und starrte ihn entgeistert an.
Er lachte nur. Er konnte nur „Reiten, liebe Margareta“ auf schwedisch sagen.
„Glaubst wohl, daß wir kein französisch können, was?“ sagte ich.
„Hör auf ihn zu ärgern!“ sagte Ulli. „Ich will erst reiten.“
„Schade, daß es kein Kamel ist, dann könnten wir beide drauf Jeder auf einem Höcker.“
Der alte Mann streckte seine Hand aus, und wir reichten ihm zwei Dinare. Und was tat er? Er nahm seinen schrecklichen Stock und fing an, auf die Hinterbeine des Dromedars einzuschlagen, bis es sich auf die Knie legte. Dann grinste er uns widerlich an und zeigte mit seiner Hand auf den rotbestickten Sattel und meinte, daß eine von uns hinaufspringen sollte.
„Nie im Leben, Opa!“ zischte Ulli und riß sich das Geld aus seiner Hand. Ulli wird selten wütend, aber wenn, dann sollte man lieber aufpassen. Das tat der Mann aber nicht. Er blieb stehen und schaute blöde. Da nahm Ulli ihm den Stock ab und zerbrach ihn übers Knie in zwei Teile. Der Alte starrte weiter. Jetzt ging Ulli zu einem Herrn hinüber, der auf einem Hocker neben den Booten saß, stieß ihn zur Seite, nahm den Hocker unter den Arm und kehrte zu uns zurück. Den Hocker stellte sie neben das Dromedar Margareta, das sich vor Schreck wieder aufgerichtet hatte.
„Du sollst aufhören, Tiere zu quälen“, sagte Ulli zu dem alten Mann. „Die Leute, die reiten wollen, sollen sich auf den Hocker stellen, wenn sie aufsteigen, dann kommen sie auch hoch. Dann brauchst du nicht zu schlagen. Kapiert?“
Der alte Mann lächelte Ulli freundlich zu.
Ulli entfernte sich mit wütenden Schritten, und der Sand spritzte um ihre Füße.
„Datteln und Dromedare noch mal! Das hast du prima gemacht“, keuchte ich, als ich sie eingeholt hatte. Erst dann entdeckten wir, daß es mein Vater gewesen war, der auf dem Hocker gesessen hatte. Er trug ein Beduinenkleid, das an ihm wie ein Nachthemd aussah, und einen großen blauen Hut und war dabei, ein Segelschiff zu zeichnen, das etwas entfernt von allen badenden Köpfen dahersegelte. Vorher hatte er auf dem Hocker gesessen, nun saß er auf einem Tretboot. Er hatte sicherlich gar nicht gemerkt, daß Ulli ihm den Hocker weggenommen hatte.
„Schlage nie Tiere!“ sagte ich, „Das müssen wir in unsere Notizbücher schreiben.“
„Das ist nicht nötig“, meinte Ulli eingebildet.