Читать книгу Alles wegen Valentino - Viveca Lärn - Страница 4
Ein fleischfressender Hund
ОглавлениеAls Eddie nach Hause kam, war Arne aufgestanden. Er saß am Küchentisch und knabberte an einem kalten Wiener Würstchen und studierte dabei einen Versandhauskatalog.
»Komm, ich will dir mal was zeigen, Eddie«, sagte er freundlich und zeigte auf ein Telefon, das aussah wie ein Hamburger. »So eins möchte ich in meinem Zimmer haben, ein Teleburger.«
»Dein Zimmer?« rief Eddie. »Ich wohn da doch auch.«
»Ich, ich, ich«, sagte Arne. »Denkst du immer bloß an dich! Du bist ein richtiger Egoist. Total beknackt.«
»Bin ich das?« fragte Eddie. Dann fiel ihm etwas ein. »Du, Arne«, sagte er, »willst du das Neueste wissen?«
»Ja, dein Hintern ist schmutzig, ist das nicht putzig?« sagte Arne blitzschnell. »Weißt du noch mehr? Deine Birne ist leer!«
»Axel, dein Lehrer hat ein Kind gekriegt.«
»Erzähl mir noch mehr, was ich nicht weiß«, sagte Arne und gähnte. Eddie war so erstaunt, daß er die Wurst fallen ließ, die er gerade aus einer Tüte genommen hatte. Arne warf ihm einen schnellen, strengen Blick zu, und Eddie hob die Wurst sofort vom Fußboden auf und wischte sie mit dem Anorakärmel ab.
»Aber das kannst du doch gar nicht wissen«, sagte er. »Ich hab es als erster erfahren. Axel hat es niemandem erzählt.«
Arne guckte seinen Bruder an und klopfte sich an die Stirn. »Man hat ja schließlich Nieren zum Denken. Ich hab doch gestern gesehen, wie Axels Alte in die Klinik gefahren ist. Und eine Tasche hatte sie auch dabei. Dicke Frauen, die mit großen Taschen im Taxi in die Klinik fahren, kriegen plötzlich Babys.«
Eddie mußte sich hinsetzen und eine Weile nachdenken.
»Aber diesmal ist es ein Ferkel geworden«, sagte er. »Axel Jonsson hat ein Ferkel gekriegt.«
»Das ist ja super!« sagte Arne. »Wo doch bald Weihnachten ist und alle Welt einen Schinken braucht.«
Eddie seufzte ein bißchen und ging seine Wasserschildkröte Maxon Jonsson mit einem Radieschenblatt füttern. Er hob sie aus dem Glas und küßte sie ganz oben auf den Panzer, und sie sah Eddie mit ihren kleinen Pfefferkornaugen freundlich an. Eddie saß lange mit der Schildkröte auf seinem Bett und wartete darauf, daß Arne noch was Geiles im Katalog entdecken würde, was er ihm zeigen könnte. Schließlich rief Arne – er hatte einen musikalischen Mini-Staubsauger mit Rückspiegel gefunden.
Es gab keine Klingel an der Tür zu ihrer Hütte. Leute aus der Stadt, die sich mit dem Leben auf dem Lande nicht so auskannten, wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Sollte man etwa geradewegs hineingehen wie bei den Bauern in Fernseh-Serien aus der Steinzeit? Zuerst die Tür öffnen, seine Schuhe zwischen den lehmigen Holzpantoffeln im Vorraum abstellen und dann taktvoll an die nächste Tür klopfen? Oder sollte man abwarten, bis es jemandem einfiel herauszukommen, weil er etwas zu erledigen hatte?
Solche Probleme hatte der Besucher nicht, der an diesem Abend in ihr Haus kam. Er hatte zwar keine Ahnung, wie man sich auf dem Lande benahm, aber er war so beschaffen, daß er nicht die geringste Angst hatte, etwas falsch zu machen.
Arne und Eddie saßen im großen Zimmer auf dem Sofa und sahen sich den Katalog an, da fuhren sie plötzlich zusammen, weil es heftig an der Haustür klopfte. Arne hatte Eddie gerade huldvoll ein unwiderstehliches Ding gezeigt: einen batteriebetriebenen Schlüssellochreiniger, den man außerdem als Reisezahnbürste benutzen konnte. Ganz in Schwarz und Chrom. Neunundvierzig Kronen und neunzig Öre, exklusive Batterie. Das war doch geschenkt! Aber als es an die Tür hämmerte, versteckte Arne den Katalog schnell hinter einem Sofakissen.
»Scheiße!« schrie er. »Jetzt wollen sie den Video abholen!« Drohend zeigte er auf Eddie. »Du weißt von nichts!« brüllte er.
Eddie sah seinen Bruder unglücklich an.
»Hich weiß von nichts«, sagte er nervös. »Hist das gut so?«
Arne nickte zufrieden und erklärte mit freundlicherer Stimme: »Papa hat wahrscheinlich die Rechnung nicht bezahlt. Dann kommen irgendwelche Typen und ballern an die Tür und holen Sachen ab, die ihnen gefallen. Zum Beispiel den Video.«
Eddie folgte Arnes Blick zum Fernseher und Video, weiter nach links zum Buchregal und dem großen schwarzen blöden Storch aus Holz, den sie letztes Jahr von der Großmutter zu Weihnachten bekommen hatten.
»Harne«, flüsterte Eddie, »glaubst du nicht, daß die Typen lieber den Storch haben möchten?«
Plötzlich ertönte eine Stimme, eine Stimme, die laut »Hallo!« und »Huhu!« rief, begleitet von munterem Hundegebell. Arne erstarrte.
»Himmel«, sagte er, »bringen die auch Hunde mit? Das sind bestimmt Kampfhunde.«
»Sind die niedlich? Hich hab Hunde so gern«, flüsterte Eddie.
Aber Arne nahm Eddie hart am Arm.
»Du darfst nicht so ängstlich gucken«, sagte er. »Dann beißen sie sofort zu. Und wenn sie die Ohren anlegen, dann paß bloß auf.«
Eddie stiegen Tränen in die Augen. Da war plötzlich so vieles, woran er sich erinnern mußte.
»Wie macht man das, wenn man haufpaßt?« flüsterte er.
Arne sah ihn müde an.
»Halt dich von den Hunden fern«, sagte er.
»Haber hich hab Hunde doch so gern«, antwortete Eddie und sah ganz unglücklich aus.
Im selben Augenblick ertönte eine Stimme, eine wohlbekannte Stimme: »Arne! Eddie! Seid ihr nicht zu Hause?«
Eddies Gesichtsausdruck wechselte von Entsetzen in Freude, und er sprang begeistert vom Sofa auf, um Axel entgegenzulaufen.
Aber Arne blieb sitzen. Er hatte noch tiefere Kummerfalten als vorher.
»Mein Lehrer«, seufzte er, »was hab ich nun wieder falsch gemacht?«
Axel und sein Hund Valentino kamen gleichzeitig ins Zimmer. Plötzlich war alles voller schwarzem Flausch – von Bart und Haaren und Hundefell und dicken Socken. Eddie warf sich in Axels Arme, so sehr freute er sich. Und Arne vergaß ganz, daß er sich vor den Eintreibungstypen und vor seinem Lehrer fürchtete. Arne lachte über das ganze Gesicht und zeigte auf Valentino.
»Was für ein dog, total geil!« rief er aus. »Ist das deiner?«
Axel nickte energisch mit seinem großen schwarzen Wuschelkopf.
»Klar«, sagte er, »oder richtig gesagt, nein. Ach nein, er gehört ja meiner Frau. Und sie ist in der Klinik. Wir haben ein Kind bekommen, wie jeder weiß ...«
»Ja, ein Ferkel«, sagte Eddie und lächelte.
»Genau«, sagte Axel und versuchte, sein Gesicht unter Kontrolle zu bringen. »Wir haben ein Ferkelchen gekriegt. In einigen Tagen dürfen sie nach Hause, das Mädchen und meine kleine Frau. Aber jetzt gibt’s viel zu tun. Das versteht ihr vielleicht. Sehr viel.« Die Jungen nickten stumm. Sie fühlten, daß jetzt etwas sehr Bedeutungsvolles geschehen würde. Eddie nahm Arne bei der Hand.
»Und da haben wir gedacht«, sagte Axel und guckte zu Boden, plötzlich etwas verlegen, »falls euer Papa einverstanden ist ...«
»Bestimmt«, versicherten beide Jungen gleichzeitig und lächelten Axel Jonsson strahlend an.
»... ob ihr vielleicht Valentino eine Weile nehmen könntet ...«
»Aber das geht doch in Ordnung, Axel«, sagte Arne. »Wieso hast du überhaupt daran gezweifelt?«
Plötzlich waren sie ein großer, wimmelnder dunkler Haufen – Arne, Eddie und Valentino. Sie umarmten sich und schnappten und rangen miteinander. Das war Liebe auf den ersten Blick.
Axel stand daneben mit hängenden Armen und lächelte auf seine neue väterliche Weise.
»Und dann?« fragte Arne mißtrauisch. »Wollt ihr ’n dann auch wiederhaben?«
»Ihn«, verbesserte Axel automatisch (er war ja schließlich Lehrer).
»Doch, dann wollen wir ihn wiederhaben, in einem halben Jahr oder so, aber ihr könnt ’n trotzdem haben, sooft ihr wollt.«
»Ihn!« verbesserte Arne automatisch.
Sie sahen einander an und lachten. Eddie befand sich in einer anderen Welt. Er lag mit Valentino auf dem Rücken auf dem Fußboden und gluckste vor Lachen, während der Hund ihm über das ganze Gesicht leckte. Axel stand zufrieden daneben und sah ihnen zu, und von Zeit zu Zeit konnte er Eddies muntere Augen und seine kleine Nase unter Valentinos großer Zunge erkennen.
Aber Arne hatte sich mit ernstem Gesicht auf das Sofa gesetzt. Vor ihm auf dem Tisch lagen ein Kugelschreiber und ein alter brauner Umschlag.
»Was ißt er?« fragte er Axel. »Und vor allen Dingen wieviel? Was kostet das? Mag er Kekse? Wir holen uns immer Keksbruch aus der Keksfabrik. Kann er die auch essen?«
»Ach du liebe Zeit«, sagte Axel und schlug seine großen Hände zusammen, daß es klatschte. »Natürlich braucht ihr kein Essen für ihn zu besorgen. Ich hab das ganze Auto voller Fleisch und Konserven, Chappi und so was und Hundekuchen.«
Eddie baute sich verwirrt vor ihm auf.
»Ist er denn noch kein Vetegarier?« fragte er.
Arne streckte ein Bein unterm Sofatisch hervor und trat seinem kleinen Bruder gegen das Bein.
»Vegetarier heißt das, du Affenhirn. Und warum sollte er das sein?«
»Weil ich und meine Frau das sind«, antwortete Axel ruhig. »Du hast also ganz richtig gedacht, Eddie, obwohl es doch falsch ist. Meine Frau und ich essen kein Fleisch aus Rücksicht auf die Natur. Aber Valentino ...«
»Na, dann mal her mit den Autoschlüsseln«, sagte Arne zufrieden.
»Ich geh raus und hol das Freßchen.«
Axel lächelte und gab ihm den Schlüssel.
Eddie hob Valentinos plattes, flauschiges Ohr hoch und flüsterte: »Komm, dann zeig ich dir meine Schildkröte. Aber du darfst sie nicht auffressen, verstehst du das, Valle? Sie ist nicht so ein Tier, auch kein Hamburger.«
»Valle?« fragte Axel ärgerlich.
»Ich kann doch nicht den ganzen Tag lang Valentino sagen, das verstehst du ja wohl«, sagte Eddie.
»Da hast du vielleicht recht!« rief Axel erstaunt. »Ich fand den Namen auch immer viel zu lang und anstrengend. Aber ich wußte gar nicht, daß man Namen einfach so ändern darf.«
»Das darf man.«
»Aha, das darf man also.«
Eddie lachte aus vollem Halse.
»Du, Haxel, du weißt aber auch gar nichts über Kosenamen«, sagte er. »Vielleicht heißt du hin Wirklichkeit Haxelino.«
»Jetzt redest du ja wieder so«, sagte Axel ernst. »Warum tust du das, Eddie? Du kannst doch richtig sprechen.«
Eddie ließ den Hund los und sprang in Axels Arme.
»Ich hab bloß Spaß gemacht, weil ich so froh bin«, flüsterte er.
»Und vielen Dank für den Hund, er darf auch in meinem Bett schlafen.«
Axel sah ein wenig verwirrt aus und guckte auf die Uhr, die an einem handgewebten Band um seinen Hals hing.
»Jetzt muß ich mich aber beeilen, ich muß in die Klinik«, sagte er. »Da werde ich gebraucht.«
An der Tür begegnete er Arne, der den kleinen Abhang heraufkam, die Arme voller Hundenahrung.
»Ich ruf heute abend an«, sagte Axel, »und frage euren Papa, ob er damit einverstanden ist, wenn Valentino ein paar Wochen hierbleibt ... Valle.«
»Valle – ach so, the dog«, sagte Arne schnell. »Nein, tu das nicht. Papa ist heute abend furchtbar müde, weil er drei Nächte lang Laster gefahren ist. Aber mach dir keine Sorgen. Er hat erst gestern angerufen und gesagt, daß er uns einen Hund kaufen will.«
Axel sah ganz bekümmert aus.
»Aber wenn er das nun schon getan hat«, sagte er. »Zwei Hunde, das geht wohl nicht ...«
Arne klopfte Axel tröstend auf den Jackenärmel.
»Ich weiß, daß er es nicht getan hat«, sagte er. »Er will einen feinen Hund. Wenn man so einen haben will, muß man bei einem richtigen Züchter Schlange stehen. Ein echter Hühnerhund. Nicht so eine komische Mischung wie Valentino. Beruhige dich also. Keine Gefahr. Wir sehen uns Montag in der Schule. Jetzt geh mal zu dem Ferkel und den anderen!«
Axel lächelte und sah Arne in die Augen.
»Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann«, sagte er. »Du hast ja meine Telefonnummer. In dem Beutel mit dem Trockenfutter ist eine lange Liste, da steht drauf, was für Gewohnheiten Valentino hat. Sag doch bitte deinem Papa, er möchte mich bei Gelegenheit anrufen. Er soll es ruhig lange klingeln lassen – ich bin auch müde.«
Arne lächelte und ging ins Haus und reihte alle Essensachen auf dem Tisch auf.
»Komm schnell, Eddie!« schrie er. »Und bring Valle mit. Heute gibt es Steak zu Mittag.«
Er hatte den Satz kaum beendet, da sah er ein erwartungsvolles Hundegesicht und viel Körper. Und auf diesem schwarzen flauschigen Wesen saß ein magerer, blasser kleiner Junge und strahlte vor Freude.
»Guck mal, Arne! Ich reite zu Tisch.«
Arne sah seinen kleinen Bruder lächelnd an. Das war ein netter Hund, der könnte auf Eddie aufpassen, so daß Arne sich manchmal ein bißchen freinehmen konnte. Die Butter zischte in der Bratpfanne, und Arne warf alle acht Steaks auf einmal hinein. Eddie sprang von Valles Rücken und guckte sich interessiert das Hundemittag an. Plötzlich begann er zu niesen, viele Nieser hintereinander. Der eine Nieser war noch gar nicht zu Ende, da kam schon der nächste. Seine Augen tränten.
»Hör doch auf, Eddie«, sagte Arne. »Das ist ja nervig!«