Читать книгу Alles wegen Valentino - Viveca Lärn - Страница 5
Lennart begegnet dem Teufel
ОглавлениеEs war dunkel und still im Haus, als der Papa der Jungen heimkam. Der Herbstwind heulte um die Hausecken. Lennart parkte seinen kleinen Laster neben der Gartenlaube und stieg aus. Er blieb stehen und lauschte auf die Geräusche aus dem Wald, ehe er die Haustür mit einem Ruck öffnete. Er seufzte schwer, weil die Brüder vergessen hatten, die Tür vorm Schlafengehen abzuschließen.
Drinnen im Haus war es ganz still, und die Glut im Kamin war erloschen. Vorsichtig öffnete Lennart die Tür zum Zimmer der Jungen. Er mußte nach Arnes Lockenkopf unter der Decke suchen, so lautlos schlief er.
Aber Eddie lag auf dem Rücken, und in seinen Lungen rasselte es wie bei einem alten Mann. Lennart lächelte und deckte ihn gut zu. Aber er war doch ein bißchen enttäuscht, daß die beiden schon schliefen. Dabei hatte er sich so beeilt, nachdem er den letzten Auftrag erledigt hatte, und war ganz schnell nach Hause gefahren, um am Samstagabend mit seinen Söhnen zusammen zu sein.
Er schloß vorsichtig die Tür und ging in die Küche.
Außerordentlich gut gebratene kalte Steaks lagen auf einem Teller und wellten sich neben einem Haufen Chips. Was für ein Glück, wo er doch vergessen hatte, etwas zu essen zu kaufen. Lennart öffnete den Kühlschrank: vier Bier und ein Glas mit etwas Komischem drin, vielleicht eine Ringelnatter, und drei Konservenbüchsen mit Chappi.
»Chappi!« rief Lennart ärgerlich aus. »Darüber muß ich mit Arne reden. Kauft er etwa Hundefutter für das Geld? Denkt er denn, wir sind Rentner, oder was? Wir Jungs brauchen was Ordentliches zu essen.«
Er öffnete ein Bier und schaltete den Fernseher ein. Nach einer Weile fand er ein Programm, in dem Ringkämpfe gezeigt wurden. Er zögerte einen Augenblick, dann ging er hinaus zum Laster und holte eine Flasche Wodka, die ungeöffnet unterm Vordersitz lag.
Zurück im Wohnzimmer, studierte er die Flasche lange und beschloß, sie nicht zu öffnen. Er hatte den Jungen ja versprochen, nicht mehr so viel Schnaps zu trinken. Aber dann fiel ihm ein, wie gern Eddie gerade die Flaschen von dieser Marke Wodka hatte. Sie waren ganz durchsichtig und hatten einen silbrigen Korken, und der Text war direkt aufs Glas geschrieben, so daß man ihn auch auf der anderen Seite der Flasche lesen konnte. Drei solcher Flaschen hatte Eddie weiterverarbeitet. Er hatte Gras und Farnkraut vom Bach hineingestopft, nicht irgendwie unordentlich, sondern sehr sorgfältig. Dann hatte er sie mit Wasser gefüllt und kleine Lebewesen hineingetan, Froschlaich und anderes. Manches war gestorben, anderes hatte überlebt, weil er die Flaschen nicht verkorkt hatte.
Als Lennart so eine Flasche zum erstenmal sah, hatte er ausgerufen: »Was zum Teufel soll das bedeuten, Eddie?«
Und Eddie war erschrocken zusammengezuckt.
»Das hist mein Haquarium«, hatte er gesagt. »Hich hab hein heigenes Haquarium.«
Eddie würde sich bestimmt freuen, wenn er noch eine Aquarium-Flasche bekäme. Diese hatte eine Extra-Aufschrift: »Mit Zitrone«. So eine hatte Eddie noch nicht. Lennart brauchte ja nicht gleich die ganze Flasche auszutrinken. Er ging in die Küche und wühlte in dem Schrank unter der Kochplatte. Schließlich fand er, was er suchte – einen Trichter aus gelbem Emaille mit einem grünen Rand. Auf der Spüle stand die leere Milchkanne. Lennart goß sich einen Wodka in ein Glas, den Rest ließ er durch den Trichter in die Milchkanne laufen. Kein Tropfen ging verloren.
Dann spülte er die Wodkaflasche mit Wasser aus, damit der Junge keine giftigen Dämpfe einatmete, und dann schlich er in das Zimmer der Jungen und stellte die Flasche neben Eddies Bett. Eddie röchelte immer noch. Das Atmen schien ihm schwerzufallen.
Fast lautlos verließ Lennart das Zimmer und setzte sich mit dem Schnapsglas in der Hand vor die Ringkämpfe. Es waren sehr viele Kämpfe, deshalb mußte er viele Male in die Küche gehen und sein Glas aus der Milchkanne auffüllen.
Vom letzten Kampf kriegte Lennart nicht mehr viel mit. Er brüllte den Ringern zu, sie sollten auf der Matte bleiben, und als er in die Küche schwankte, um mehr Wodka zu holen, war er so unsicher auf den Beinen, daß er gegen den Türrahmen stieß. Er fluchte und trank vor lauter Ärger den letzten Schnaps direkt aus der Kanne.
Dann beschloß er nachzusehen, ob die Jungen auch gut schliefen, bevor er selbst zu Bett ging. Er torkelte durch das Wohnzimmer, warf einen Stuhl um und fummelte lange nach der Türklinke zum Zimmer der Jungen. Als er die Tür aufgerissen hatte, blieb er wimmernd auf der Türschwelle stehen. Die Jungen lagen wie vorher da, aber mitten im Zimmer stand der Teufel und starrte ihn an. Ein großes schwarzes, haariges Biest mit gelben Augen, die in der Dunkelheit glühten.
»Nein, nein«, flüsterte Lennart. »Der Teufel. Sie haben mir den Teufel persönlich geschickt.«
Das Biest kam auf ihn zu und wedelte mit dem Schwanz, aber das sah Lennart nicht. Er zog die Tür zu, taumelte ins Wohnzimmer und warf sich auf sein Bett hinterm Vorhang. Sein langer, knochiger Körper wurde geschüttelt von Schluchzern, und er schlug mit den Fäusten ins Kissen.
»Der Teufel frißt meine Jungen auf! Und dann frißt er mich!«
Schließlich schlief er ein. Schwer und unbeweglich lag er angezogen auf seinem Bett, bis ihn brennender Durst weckte. Und da war es ein neuer Tag.
Eddie träumte, es sei schon Frühling, und er lief zu seinem Bach hinunter und beobachtete das rauschende Wasser. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß er seinen Kopf kühl halten mußte. Er kniete sich hin und tauchte den Kopf langsam ins Wasser. Er war sehr erstaunt, wie lauwarm es war. Er schlug die Augen auf und sah eine große rosa Zunge, die ihm übers Gesicht leckte.
»Hallo, Valle!« sagte Eddie. »Bist du schon wach? Komm in mein Bett.«
Der Hund sprang auf sein Bett und wedelte mit dem Schwanz. Er verstand schwedisch! Eddie rieb sich die Augen.
»Warte mal eben, Valle«, sagte er. »Ich muß mir erst die Nase putzen.«
Aber Valle folgte ihm in die Küche. Eddie versuchte den langen Brief zu lesen, den Valles Herrchen geschrieben hatte, all die Regeln, wie man Valle pflegen sollte. Aber das war nicht so leicht. Eddie konnte nur bestimmte Wörter lesen: Mona, Oma, Sonne. Und die kamen in dem Brief nicht vor.
Eddie guckte in die Milchkanne. Sie war leer. Im Kühlschrank gab es nur Bier und Coca-Cola. So was mochte Valle bestimmt nicht. Eddie goß Wasser in eine Schüssel und stellte sie auf den Fußboden. Das mochte Valle. In dem Augenblick klingelte das Telefon. Es war Axel. Er wollte wissen, wie es Valle ging.
»Ihm geht’s gut«, sagte Eddie. »Er hat dich schon vergessen.«
Und dann legte er den Hörer auf.
»Komm, Valle«, sagte er. »Wir gehen zum Bach.«
Eddie stieg barfuß in seine Stiefel, zog Papas Anorak an und ging hinaus, ohne sich um das Telefon zu kümmern, das wieder klingelte. Nach sechzehn Klingelzeichen kam ein verschlafener Arne in die Küche und hob den Hörer ab.
»Ja, hallo«, sagte er, »gut – nein, gut ... Ich weiß nicht, wo er ist. Er ist wohl mit Eddie rausgegangen. Ich meine, Eddie ist wohl mit Valle rausgegangen ... Warte, ich will mal sehen, ob er wach ist.« Arne ging in das große Zimmer, schob den Vorhang beiseite und hielt sich die Nase zu.
»Mensch, du stinkst vielleicht nach Schnaps!« schrie er seinem Papa ins Ohr. »Mein Lehrer will mit dir reden.«
»Gib mir Wasser«, lallte Lennart.
»Hast du das nicht geschnallt? Mein Lehrer will dich sprechen.«
Lennart richtete sich sofort auf.
»Was, ist er etwa hier?« sagte er. »Hol mal schnell die Wodkaflasche. Die steht neben Eddies Bett. Wo ist mein Hemd?«
»Das hast du an«, sagte Arne mürrisch. »Und außerdem ist er nicht hier, sondern am Telefon. Er wartet bald zehn Minuten.«
»Was hast du denn jetzt wieder angestellt?« sagte Lennart grantig.
»Doch nichts Schlimmes?«
Arne ging ins Kinderzimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Aber durch die Wand konnte er die angestrengt muntere Stimme von seinem Papa hören.
»Zu früh? Nein, nein, ich steh mit den Hühnern auf ... Was hat der Junge denn jetzt wieder angestellt? Ach so, es geht um den Hund. Den Hund? Ach so, den Hund! Ja, ja, ist er groß und schwarz? Ich meine, ist es der große schwarze Hund? Ach ja, hier gibt es ja keine anderen Hunde. Ja, ich hatte heute nacht eine lange Tour. Aber ich hab ihn gesehen, als ich nach Hause gekommen bin. Sehr groß und schwarz, ja. Gelbe Augen. Wirklich ein netter Bursche. Nein, nein, überhaupt kein Problem. Wir haben Hunde sehr gern. Ich hab selbst einen Hund gehabt, als ich klein war. Arne weiß bestimmt Bescheid, was zu tun ist. Es gibt nichts, womit er nicht fertig wird. Der Brief ja, den haben wir gelesen. Ein guter Brief. Er hat jetzt gefrühstückt, der Hund, meine ich, das sehe ich ... Ja, abgemacht. Er darf so lange bleiben, wie er will. Wie heißt er?«
Lennart legte den Hörer auf, nahm den Eimer Wasser mit hinaus auf die Küchentreppe und kippte sich das ganze Wasser über den Kopf. Dann ging er hinein und kroch wieder ins Bett.
Arne legte sich auf sein Bett und starrte zur Decke hinauf. Er hatte Angst gehabt, Papa würde ihnen nicht erlauben, den Hund zu behalten. Obwohl er sich deswegen keine Sorgen mehr zu machen brauchte, konnte er sich trotzdem nicht richtig freuen. Er sprang aus dem Bett, nahm die leere Wodkaflasche und ging zum Vater.
»Wenn du nicht sofort aufstehst und Frühstück machst, hau ich dir die hier auf den Kopf«, zischte er seinem Papa ins Ohr.
Lennart richtete sich blitzschnell auf, zog eine Grimasse und griff sich an den Kopf. Mit roten Augen starrte er Arne an.
»So spricht man nicht mit seinem Papa«, sagte er.
»Dann benimm dich auch wie ein Papa«, sagte Arne, ging in die Küche, setzte sich auf die Küchenbank und wartete.
Lennart kam ihm sofort nach und strich seinem ältesten Sohn unbeholfen über den Kopf.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich werde wirklich nicht mehr so viel trinken. Das hab ich versprochen. Was wollt ihr zum Frühstück haben?«
»Jedenfalls kein Bier«, schnaubte Arne, »und das ist das einzige, was es im Kühlschrank gibt.«
Währenddessen spazierten Eddie und Valle auf der Landstraße entlang. Sie brauchten keine Leine. Valle ging dicht neben Eddie, und sobald ein Auto kam, drückte er sich noch enger an Eddies kleinen Körper, als suche er Schutz bei ihm. Und jedesmal, wenn er etwas fand, woran er schnuppern wollte, sah er Eddie an, als ob er ihn um Erlaubnis bitten wollte.
Eddie hustete mehrere Male, und er beschloß, einen Umweg über die Tankstelle zu machen und sich Halspastillen zu kaufen, bevor er Valle seinen Bach zeigte.
Alma Diesel stand hinter dem Tresen und blätterte in einer Illustrierten, als Eddie und Valle hereinkamen.
»Hallo, Alma!« sagte Eddie.
»Wo hast du den denn her?« fragte Alma und zeigte auf Valle.
»Hunde müssen draußen bleiben, wo wir jetzt auch Lebensmittel verkaufen. Das steht auf dem Schild vor der Tür, falls du lesen kannst.«
»Das kann ich aber nicht«, sagte Eddie wahrheitsgemäß. »Ich bin doch gerade erst in die Schule gekommen. O kann ich und M. Opa und so was kann ich lesen, aber nicht so was, daß Hunde verboten sind.«
»Was ist das denn für ein Dorfköter?« fragte Alma griesgrämig.
»Und wem gehört er?«
»Der gefährliche Hund gehört mir«, sagte Eddie. »Arnes und mein gefährlicher Hund ist das.«
»Ach, kann dein Vater es sich jetzt leisten, einen Hund anzuschaffen?« fragte Alma höhnisch. »Dann kann er sich ja auch hierher bequemen und das Benzin bezahlen, das er Donnerstag hat anschreiben lassen. Bestell ihm das.«
»Das werd ich machen«, sagte Eddie ernst. »Muß ich ›hierher bequemen‹ sagen? Das kann ich mir so schlecht merken.«
Er holte einen zerknautschten Zehn-Kronen-Schein aus der Anoraktasche und kaufte eine Schachtel Halspastillen.
»Ich hab Husten«, sagte er zu Alma.
Sie gab keine Antwort.
Eddie und Valle gingen weiter die Landstraße entlang. Valle wollte keine Halspastille haben, aber Eddie nahm einen ganzen Mundvoll. Es half nichts. Nachdem er sich ausgehustet hatte, sagte er zu dem Hund:
»Sich bequemen, Valle, das müssen wir uns merken. Papa soll sich mit dem Benzingeld hierher bequemen. Möchte mal wissen, was das bedeutet? Bequem ist Papa ja wirklich. Der liegt gern im Bett. Soll er mit dem Bett herkommen? Das wär was!«