Читать книгу Mein Weg - Volker Hohlbein - Страница 5
Tag 0: Anreise
ОглавлениеDie letzte Nacht zu Hause kam ich nicht zum Einschlafen. Tausend Gedanken hielten mich wach. Morgen früh um 3:00 Uhr brechen wir auf. Habe ich alles eingepackt? Habe ich nichts vergessen? Klappt alles mit der Anreise? Mit flauem Gefühl im Bauch stand ich kurz nach 2:00 Uhr wieder auf. Meine Frau und mein Freund mit seiner Frau fuhren mich zum Flughafen. Auf der Fahrt hatte ich meine „Pilgerkleidung“ bereits an. Diese Schuhe sollen mich in den nächsten 40 Tagen über 900 Kilometer tragen! Außer mir waren da auch noch ca. acht Kilogramm Gepäck zu tragen. Meine Packliste hatte ich sorgfältig zusammengestellt. Ich hoffte, dass alles Wichtige dabei sei.
Pünktlich um 3:00 Uhr starteten wir nach Frankfurt. Am Flughafen war es um 5:00 Uhr morgens noch ziemlich ruhig. Erst mal zum Check-In. Na super, meine Trekkingstöcke durften nicht am Rucksack bleiben! Die Stöcke sollte ich als Handgepäck mit mir führen. Ich musste zum Sicherheitspersonal und nachfragen, ob es möglich ist.
„Kein Problem, sind ja keine Spitzen dran“, sagte mir dort ein Beamter.
„Alles klar!“
Gut, dass ich zu Hause noch die Gummipuffer aufgesteckt hatte. Die Sicherheitsleute wandern anscheinend nicht so oft, sonst wüssten sie, dass Trekkingstöcke auch Spitzen haben. Also gut, der Rucksack konnte eingecheckt werden. Stöcke in die Hand, Bordkarte, fertig zum Abflug, aber vorher kam noch der schwerste Teil der Abreise.
Ich ging wieder zurück zu meiner Frau und meinen beiden Freunden. Da noch genügend Zeit bis zum Boarding blieb, tranken wir erst noch einen Kaffee. Wir flachsten ein bisschen rum und sprachen über die nächsten Wochen. Mein Magen fühlte sich immer noch nicht besser an.
Jetzt kam der Moment, von dem ich so oft in anderen Pilgerberichten gelesen hatte, die Trennung. Die Freude über mein bevorstehendes Abenteuer war riesengroß, aber musste das sein, dass vor diese Freude erst mal ein leidvoller Moment gesetzt wurde? Vielleicht war es aber wichtig, um zu spüren, dass man auch Opfer bringen muss, obwohl das größte Opfer meine Frau brachte. Ich ging ja weg und sie blieb da. Ich war der Egoist, der sich diese Auszeit nahm. Ich war der, der diesen Weg allein gehen wollte. Um so mehr war ich froh, dass sie mir diesen Freiraum ließ. Wenn man jemanden liebt und ihn halten will, so muss man ihn gehen lassen. Hört sich doch super an, aber es dann auch zu tun, ist doch schon etwas anderes. Danke, mein Schatz.
„Also dann“.
Wir umarmten uns ein letztes Mal, wünschten uns alles Gute und hofften auf eine glückliche und gesunde Wiederkehr. Ein letzter Kuss und dann ging‘s zum Sicherheits-Check. Meine Stöcke durften wirklich mit. Meine Frau und meine Freunde standen noch hinter der Absperrung und warteten, dass alles gut geht. Wir konnten uns nur noch zuwinken. Ab jetzt war ich allein.
Mein Flug ging um 7:30 Uhr nach Paris. In „Charles de Gaulles“ hatte ich einen Zwischenstopp für ca. vier Stunden. Das musste reichen, um zum Flughafen nach Paris „Orly“ zu wechseln. Von dort ging es dann nach Biarritz weiter. Vor dem Flughafen fuhr der Bus direkt zum Flughafen „Orly“. Bei einem Preis von 19,- € war es keine billige Angelegenheit, aber dafür muss man nicht umsteigen und kommt direkt zum Terminal in „Orly“. Die Zeit reichte aus und ich kam rechtzeitig an. Um 13:00 Uhr flog ich von Paris weiter nach Biarritz.
Die Ankunft im französischen Biarritz verlief ohne Probleme. Vor dem Flughafen fuhr der Bus Linie 14 für nur 1 € direkt zum Bahnhof nach Bayonne. Sehr preiswert, wie ich fand. Im Bus lernte ich bereits zwei junge Männer aus Irland kennen. Gleichgesinnte sprechen sich hier an. Die Beiden wollten die Nordroute, den „Camino de Norte“ gehen und hatten Zelte dabei. Im Gegensatz zu mir hatten sie aber keinen Zeitplan. Mein Flug zurück war bereits gebucht. Mit 13 kg Gepäck würden sie es nicht leicht haben. Ich war gespannt, ob man sich wiedersehen würde.
Biarritz selber zeigte sich von seiner schönsten Seite. Super Wetter, blauer Himmel und es war angenehm warm. So konnte es für die nächsten Wochen bleiben. Dass ich dem „Camino“ (so nennt man den Jakobsweg in Spanien) näherkam, merkte man schon daran, dass hier viele Leute umherliefen, die mit einem Rucksack bepackt waren. Am Bahnhof in Bayonne kam die große Ernüchterung. Der nächste Zug fuhr erst um 21:11 Uhr. Das waren noch fünf Stunden! Blieb Zeit, sich die Stadt anzusehen.
Zwischenzeitlich lernte ich bereits Hans aus Schweden kennen. Wir suchten uns ein kleines Café, aßen gemeinsam und fragten uns einander über das Woher und Wa rum aus.
Pünktlich um 21:11 Uhr fuhren wir endlich weiter. Der Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port war nicht der schnellste und so kamen wir erst gegen 22:30 Uhr dort an. Jetzt war die spannende Frage, ob ich in Saint-Jean-Pied-de-Port noch ein Bett bekommen würde? Vorgebucht hatte ich nicht, da ich annahm, rechtzeitig anzukommen, um mir in Ruhe ein Quartier zu besorgen.
Etwas harmonischer hatte ich mir die Anreise schon vorgestellt. Das Pilgerbüro würde sicher nicht mehr geöffnet haben, wenn ich ankam. Verzagen galt nun nicht, so wie es kommt, kommt es eben! Jetzt hieß es schleunigst das Pilgerbüro finden. Vielleicht ging ja doch noch etwas.
Im Reiseführer von Raimund Joos stand, dass die Pilgerinformation von Ehrenamtlichen der französischen Pilgerbruderschaft betrieben wird und bis nach Ankunft des letzten Zuges geöffnet haben soll. Am Ostermontag - für mich nicht so recht vorstellbar!
Mittlerweile war unsere Gruppe bereits auf über zehn Leute angewachsen. Somit war ich nicht allein mit meinem Problem. Nach kurzen Suchen hatten wir das Pilgerbüro gefunden und der Tag wollte sich doch wieder mit uns versöhnen. Es war noch offen! Da saßen doch tatsächlich drei Frauen und warteten auf den letzten Zug. Schnell wurden wir eingewiesen und unsere Länderherkunft wurde erfasst. Währenddessen fragte ich mich, warum diese drei Frauen am Ostermontag um diese Zeit noch hier saßen und ihre Zeit mit dem Empfang von verrückten Pilgern verbrachten. Das musste wohl eine Art Berufung sein. Eine Dame brachte uns dann ein paar Häuser weiter und wir fanden dort unsere Bleibe für die erste Nacht. Den drei Pilgern, die bereits in der Herberge im Bett lagen und durch unsere Ankunft munter wurden, sei um Vergebung gebeten. Ihre Nachtruhe hatten wir mit unserer Ankunft gründlich unterbrochen. Rasch wurde der Schlafsack das erste Mal ausgerollt. Nachdem ich noch schnell eine SMS nach Hause geschickt und meine glückliche Ankunft mitgeteilt hatte, war endlich Nachtruhe angesagt. In der kleinen Waschstube machte ich mich noch etwas frisch und die erste Nacht auf meinem Camino begann. Zum ersten Mal schlief ich mit lauter fremden Menschen zusammen in einem Raum. Trotz der zehn Bettgenossen im Zimmer verlief die Nacht sehr still und meine Ohropax konnten im Rucksack bleiben. Morgen fing mein großes Abenteuer endlich an! Ich glaube, ich schlief mit einem Lächeln ein.
Herberge in Saint-Jean-Pied-de-Port
•