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1. Tag: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles

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(27,2 km)

Am Morgen ging es so gegen 6:00 Uhr bereits los. Die ersten Pilger brachen schon auf und der Rest konnte dann auch nicht mehr schlafen. Sicher waren die anderen genauso aufgeregt wie ich, dass es nun endlich losging. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es draußen trocken war. Kein Regen! Na ja, die Sonne wird auch noch kommen. So war zumindest mein Plan, aber irgendjemand hatte einen ganz anderen Plan für diesen Tag.


Pilgerbüro in Saint-Jean-Pied-de-Port

In unserer Herberge gab es nur ein minimalistisches Frühstück, aber wenigstens viel Kaffee. Den Café au lait (Milchkaffee) bekamen wir in einer großen „Kompottschale“ von den Frauen der Herberge serviert. Mein Kaffeebedarf war damit erstmal für längere Zeit gedeckt. Jetzt noch schnell ins Pilgerbüro, um die letzten Informationen zu bekommen. Die drei Damen von gestern Abend waren auch wieder da und die eine kannte sogar noch meinen Vornamen. Bei den vielen Leuten jeden Tag hielt ich das schon für erstaunlich. Jetzt erhielten wir auch die Jakobsmuschel. Diese band ich gleich an meinen Rucksack. Nun war ich für Jedermann als Jakobspilger zu erkennen. Noch ein paar wichtige Hinweise für unterwegs, ein letztes „ Merci Bocour und Arevoir“ und es konnte losgehen. Um punkt 8:00 Uhr trat ich auf die Straße. Vom Pilgerbüro führte der Weg bergab bis zum „Spanischen Tor“. Nach weiteren 100 m musste man sich schon entscheiden, welche Route man gehen will. Rechts führt die Route über die Landstraße, links geht es den höheren und steileren Weg über den Pass. Natürlich ging ich links, den „richtigen“ Weg, die „Route Napoleon“.


Das Spanische Tor in Saint-Jean-Pied-de-Port

Kurz hinter Saint-Jean-Pied-de-Port merkte ich bereits, dass mein Plan mit dem Wetter ins Wanken geriet. Dichte Wolken zogen auf und kurz darauf fielen auch schon die ersten Tropfen. Noch viel schlimmer aber war der Wind. Ich bekam kaum mein Regencape übergezogen, ohne dass es fast wegflog. So, geschafft, weiter geht’s! Dass das Wetter auch mal schlechter sein würde, war ja klar gewesen, aber musste das gleich am ersten Tag sein? Es sollte aber noch dicker kommen, viel dicker! Gleich zu Beginn ging es ziemlich steil bergauf und das sollte auch so bleiben. Saint-Jean-Pied-de-Port liegt auf ca. 200 m Höhe. Das erste Ziel hieß Hunto.

Das kleine Bergdorf liegt bereits auf 500 m Höhe und ca. 5 Kilometer entfernt.


Blick zurück ins Tal

Das ließ sich noch halbwegs meistern. Danach führte der Weg richtig aufwärts bis Orisson. Der Regen hatte zwischenzeitlich aufgehört und die Sonne schien sogar ab und zu. Der Wind wurde immer stärker und man musste teilweise ziemlich dagegen ankämpfen. Irgendwie kam mir der Gedanke, dass der Wind beauftragt war, mich wieder zurück zu wehen. So ein Blödsinn! Wer sollte das wollen? Ich kämpfte tapfer weiter und erreichte so gegen 10:30 Uhr die Herberge in Orisson. Jetzt erst mal einen „café con leche“ (Milchkaffee) und eine heiße Suppe. Orisson liegt auf ca. 800 m Höhe, aber die höchste Stelle vom Pass über die Pyrenäen liegt bei 1.420 m. Mein T-Shirt war bereits total durchgeschwitzt und ich zog mir gleich ein neues an. Nach einer guten halben Stunde brach ich wieder auf. Bis zum Ziel lagen noch 19 Kilometer und der Pass vor mir. Die nächsten zwei bis drei Kilometer gingen zwar gut bergauf, bei Sonnenschein und trotz des starken Windes kam ich aber gut voran. Irgendwie wollte die Steigung kein Ende nehmen. Der Wind wuchs langsam zum Sturm heran und das Geradeauslaufen wurde zusehends schwieriger. Kam er direkt von vorn, musste ich mich stark nach vorn beugen, sonst hätte es mich umgehauen. „Das wird wieder besser“, redete ich mir unermüdlich ein. Und wie das besser wurde!


Herberge in Orisson


Markierung am Wegesrand

Dass ich irgendwann die spanische Navarra betrat, bemerkte ich gar nicht. Zu sehr war ich mit mir und dem Sturm beschäftigt. Dass nun wieder der Regen einsetzte, musste ja wohl so sein. Mein Regencape hing zwar über mir, machte aber, was es wollte. In diesen Höhenlagen war das für mich auch kein Sturm mehr, sondern schon ein Orkan. Zum Glück hörte der Regen erst einmal auf, dachte ich zumindest. Aber nein, er machte nur Platz für den einsetzenden Hagel!


Bergab Richtung Roncesvalles

Die Temperatur fiel mittlerweile ziemlich in den Keller. Das war der Moment, wo ich richtig froh darüber war, meine Flieshandschuhe doch mitgenommen zu haben. Vom Gürtel abwärts total durchnässt fror ich zusehens mehr und mehr. Und es stieg immer noch weiter an.

Zu dieser Zeit merkte ich langsam, wie meine Kräfte sich Stück für Stück von mir verabschiedeten. Vor mir und hinter mir war kein einziger Pilger zu sehen. Ich stand allein auf dem Berg mit Hagel, Sturm und nur noch einem kleinen Rest an Kraft. Zum Glück hatte ich in Orisson ein Baguette mit Schinken gekauft. Dessen Stunde schlug jetzt!

Ich dachte nur: „Du musst mir jetzt die nötige Kraft geben, damit ich über diesen Berg komme.“ So lecker hatte mir noch nie ein Schinkenbaguette geschmeckt. In Gedanken schickte ich tausendmal Dank in die Herberge nach Orisson. Das hätte sich der Wirt dort sicher nicht träumen lassen, dass er heute noch mein Retter wird.

Als ich während des Essens meine Gedanken so schweifen ließ, musste ich mir selber den Vorwurf gefallen lassen, wie dumm es doch war, hierher zu kommen. Aber ich hatte es doch selbst gewollt und war doch trotz meiner 47 Jahre noch topfit, oder? Na ja, egal, durchnässt, durchgefroren und total k.o. schleppte ich mich weiter. Zum Glück hagelte es ja nicht mehr. Nein, es regnete wieder!

Endlich erreichte ich den höchsten Punkt des Lopoeder-Passes. Mir war das aber in dem Moment total egal, ich wollte nur weiter. Vor mir tauchte plötzlich eine Pilgerin auf.

„Oh, bin ich doch nicht alleine unterwegs!“, dachte ich.Sie wartete am Wegesrand und bat mich ihren Regenponcho über ihren Rucksack zu ziehen. Natürlich half ich gern und zog auch gleich mit forschem Schritt weiter. Meine Kräfte kamen nach und nach wieder. Es ging jetzt nicht mehr bergauf. Kurz vor Roncesvalles führte die Route dann drei bis vier Kilometer durch ein Waldgebiet bergab, so steil bergab, dass es sehr anstrengend für die Füße war. Mein Ziel rückte aber näher und mit ihm kam auch meine gute Laune wieder. Wenn ich das hier bewältigt habe, schaffe ich einfach alles!


nach der langen Tour

Um 15:00 Uhr erreichte ich frohen Mutes Roncesvalles. Der Ort besteht hauptsächlich aus einem Kloster und zwei Restaurants für Pilger und Touristen. Erst einmal ein Bett suchen. In der Herberge der Abtei gab es auch gleich den Stempel und dazu das ersehnte Bett.

Plötzlich stand Hans aus Schweden wieder vor mir. Am Morgen war er vor mir aufgebrochen und jetzt stand er da. Ich glaube, er war genauso froh wie ich, dass wir es geschafft hatten.

Die Herberge war 2011 erst neu eröffnet worden und gut eingerichtet. Als Erstes den Schlafsack auf „meinem“ Bett ausbreiten, somit weiß jeder Pilger, dass dieses Bett belegt ist. Der Schlafsaal selber bestand aus lauter einzelnen, abgetrennten Kabinen mit jeweils 2 Doppelstockbetten. Insgesamt waren es so ca. 100-120 Betten. Platz für Privatsphäre blieb da nicht. Ich überlegte: „Wie wird es diese Nacht werden, bei so vielen Menschen? Kann ich hier abschalten und erholsamen Schlaf finden?“


Schlafsaal in der Abtei

Doch jetzt war nicht die Zeit darüber nachzudenken. Ich war angekommen und das war das Wichtigste.

Als Nächstes ging es unter die Dusche. Wie belebend so eine Dusche doch sein kann! Zu Hause ist das alles selbstverständlich und man macht sich gar keine Gedanken darüber.

Meine Hose sah aus wie nach einer Schlammkur, also war nach meiner Reinigung das Equipment dran. Im Keller gab es einen großen Waschraum und so machte ich mich an meine erste Handwäsche. Ich war mit dem Ergebnis äußerst zufrieden, schleuderte alles und hängte es zum Trocknen auf. So, fertig! Jetzt noch die Bettstatt fertig machen und überlegen, was der Abend noch so bringt. Ganz oben auf meiner Liste stand die Nahrungsaufnahme.

Im Hotel „La Posada“, unterhalb der Abtei, gab es um 19:00 Uhr das Pilgermenü. So ein Pilgermenü besteht immer aus drei Gängen, der Vorspeise (Primero Plato), dem Hauptgericht (Secundo Plato) und dem Nachtisch (Postre). Dazu erhält man meist noch Brot, Wasser und Wein. Für uns stand heute Macarones (Makkaroni mit Tomatensoße), danach Trucha (gebratene Forelle mit Pommes) und zum Nachtisch Flan (Pudding) auf der Menüliste. Wasser und Rotwein waren bei dem Preis von 9,- € inklusive. Das hielt ich für wirklich preiswert und ich war am Ende auch satt.

Wir saßen bunt gemischt aus mehreren Ländern zusammen am Tisch. Ich würde dringend mein Englisch verbessern müssen, denn auf dem Camino wird scheinbar vorwiegend Englisch gesprochen. Wenn ich jeden Abend mein Essen mit so vielen Leuten einnehmen würde, werde ich wohl eine Vielzahl an Pilgern kennen lernen.

Um 20:00 Uhr sollte dann noch die Segnung der Pilger in der Kirche stattfinden. Nicht alle Pilger gingen zur Messe, aber für mich war es heute ein tiefes Bedürfnis. Während der Messe ließ ich den Tag vor meinem inneren Auge Revue passieren. Mein erster „Wandertag“ ging zu Ende und ich stand hier unter so vielen fremden Menschen fernab der Heimat. Ich kam mir etwas einsam vor.

Von der Andacht verstand nicht sehr viel, eher wohl gar nichts, außer „Peregrino“, „Compostela“ und „Camino.“ Ich denke aber, dass der Priester uns allen Gottes Segen und einen guten Weg nach Compostela gewünscht hat.

Jetzt noch ein kurzer Gruß nach Hause und dann ins Bett. Ich weiß nicht genau, wo meine Grenzen liegen, aber heute war ich wohl verdammt nah dran. Die Stra-pazen des Tages vergaß ich aber schnell und ich freute mich schon auf den nächsten Tag.

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