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Оглавление3. Gibt es Vollkommenes?
Aber welche Konsequenz hat das Wissen um den eigenen Tod für das Handeln des einzelnen Menschen? Vielleicht zuallererst die Einsicht, dass man eilen muss. Dass man keine Zeit verschwendet. Dann, dass man nicht alles, was man will, auch schaffen kann. Menschenwerk ist Stückwerk. Der Optimismus des Römers Seneca, dass man auch in der Kürze des Lebens alles schafft, was man sich vorgenommen hat, macht sicherlich Mut – entspricht aber nicht so ganz der Alltagserfahrung. Da bleibt doch vieles unerledigt: Alle Fotografien zu ordnen und zu beschriften, im Garten den halberfrorenen Pflaumenbaum doch noch einmal zum Blühen zu bringen, das Wohnzimmer noch schöner zu gestalten, doch noch einmal Schützenkönig oder Karnevalsprinz zu werden. Mit dem Kegelverein alle europäischen Hauptstädte zu besuchen (und nicht nur die größten) … Wünsche und Lebensträume gibt es viele. Würden wir unendlich lange leben, könnten wir sie uns alle erfüllen. Wir hätten alle Zeit der Welt. Aber unsere Endlichkeit bedingt, dass wir zumeist nur Stückwerk abliefern. Wir könnten immer alles noch besser machen, wenn wir mehr Zeit hätten. Wenn wir endlos Zeit hätten. Gleichwohl versuchen wir, alles perfekt zu machen.
Wir suchen immer nach dem Besseren
Wie oft haben wir den ersten Liebesbrief geschrieben, weil er uns immer noch nicht gut genug war? Doch als wir ihn endlich in einem gefütterten Briefumschlag verstaut und diesen mit einer hübschen Sondermarke beklebt und in den Briefkasten geworfen hatten, fiel uns ein noch schöneres Kompliment ein.
Wenn wir etwas sagen, dann wollen wir es richtig sagen. Wir reden dann immer weiter, bis wir glauben, es nun richtig gesagt zu haben. In dem Roman „Die Pest“ (1947) schildert sein Autor Albert Camus (1913–1960) einen Schriftsteller, der nie über den ersten Satz seines neuen Romans hinwegkommt, weil er ihn perfekt machen möchte. Eine Textaufgabe, die er nie im Leben lösen wird. Ihm gelingt dieser perfekte erste Satz nicht. Aber er hat ihn immerzu versucht.
Wir haben in den 50er-Jahren an flimmernden Fernsehern gesessen, um bei Krönungen, Katastrophen und Kunst dabei zu sein. Man konnte auch fast alles erkennen. Außer bei bedecktem Himmel, Regen und Schneefall. Und bei atmosphärischen Störungen. Den Technikern war das nicht genug. Sie verbesserten zuerst das Bild, dann schafften sie es, Bilder in Farbe auf die Mattscheibe zu zaubern, dann kam die HD-Technik auf, die Bilder zeigt, so scharf wie, ja schärfer als die Wirklichkeit …, und jetzt gibt es 3D-Fernseher.
Eine notwendige Voraussetzung
Alle Verbesserungen setzen die Gewissheit voraus, dass es etwas Besseres geben könnte. Nur : Woher kommt diese Gewissheit? Woher wissen wir, dass es einen vollkommenen Kreis geben könnte, wenn wir noch nie einen vollkommenen Kreis in der Wirklichkeit gesehen haben? Woher wissen wir, dass es Sittlichkeit gibt, wenn wir noch nie eine vollständig sittliche Handlung erlebt haben?
„Dies Bildnis ist bezaubernd schön, / Wie noch kein Auge je gesehn!“ heißt es in Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) Oper „Die Zauberflöte“ (1791) über die Prinzessin Pamina. Aber woher wissen wir, was ein schönes Bild ist, wenn noch „kein Auge“ je ein perfektes Bild gesehen hat? Warum haben wir eine Vorstellung davon, dass etwas überhaupt schön sein könnte? Warum haben wir einen Zweifel daran, dass das, was Menschen bisher gemacht haben, das Beste ist, was Menschen je machen können? Woher kommt dieser Zweifel?
Nun könnte man antworten: Wir sehen aus der Geschichte, dass alles besser wurde – und daher ist anzunehmen, dass es auch künftig besser werden kann. Aber kann man das Bessere nicht immer nur dann erkennen, wenn es einen Maßstab für das gibt, was besser und was schlechter ist? Woher kommt dieser Maßstab, wenn nicht aus der Vorstellung eines Allerbesten? Doch dieses Allerbeste wird es nie geben, weil die Geschichte zeigt, dass immer alles zu verbessern gewesen ist.
Wieso wollen wir dann etwas verbessern, wenn wir das letzte Ergebnis des Besten gar nicht kennen und nie erfahren werden? Ist das nicht irrational? Es gibt keinen rationalen Grund, warum wir daran zweifeln, dass das bisher Beste nicht auch endgültig das Beste ist. Leben nicht unsere Geschichte, die Geschichte aller Kulturen, aller Völker, von diesem Glauben daran, dass man es immer noch ein wenig besser machen könnte als bisher? Und ebenso wenig, wie unser Glaube an das Bessere je aufhören kann, setzt er doch etwas voraus, was wir nie sehen oder erleben werden : das unverbesserbar Beste. Wir leben mit einer nicht erfahrbaren, aber zugleich unabweisbaren Voraussetzung.
Bloß keine Utopien!
In jedem Menschen wirkt diese Vorstellung von der Vollkommenheit. Nicht das vollkommene Bild. Nicht ein Abbild des Vollkommenen, eine Utopie oder gar „best practice“. Das mögen sich phantasievolle Animateure ausdenken! Welche Anmaßung! Zuweilen ließen sich Philosophen sogar animieren.
So hat Platon (427–347) sich einen idealen Staat ausgedacht, in dem die Philosophen herrschen. (Und was beherrscht die Philosophen?)
Der englische Parlamentarier Thomas Morus (1478–1535) hat sein „Utopia“ (1516) im Nirgendwo angesiedelt, einem „Nicht-Ort“ (aus altgriechisch οὐ- („nicht-“) und τόπος („Ort“). Kein Ort. Nirgends. Denn die hiesigen Verhältnisse, die sind nicht so. Wie aber gelangen wir von unseren Verhältnissen zu jenem Nichtort?
Die Sonnenstadt „La città del sole“ (1602) des politisch verfolgten Tommaso Campanella (1568–1639) lag außerhalb von Europa – wo wir regenmüden oder verstädterten Europäer immer alle Paradiese glaubten, jedenfalls so lange, bis wir dorthin fuhren.
Das „Nova Atlantis“ (1627) von Francis Bacon (1561–1626), einem Wissenschaftstheoretiker, schildert eine Elite, die den übrigen Menschen sagt, wo es langgehen soll. Die Herrschaft der Technokraten.
Dies sind nur die berühmtesten Utopien. Beim Lesen merkt man, dass das angeblich so Utopische erstens so weit vorausgedacht nicht war (sondern doch sehr deutlich vom Zeitgeist bestimmt). Und dass es daher zweitens, im Lichte privater Vorlieben betrachtet, so wünschenswert auch nicht wäre, wenn man die Utopien verwirklichen würde.
Das, was ich meine, ist nicht ein Bild von einem Vollkommenen, sondern die Vorstellung, dass es Vollkommenes geben muss, wenn wir das Bessere suchen. Die Vorstellung von der Notwendigkeit des Vollkommenen.
Eine ganz kurze Theorie der Voraussetzung
Wir Menschen sind unfähig, das Vollkommene zu denken. Wir müssen es gleichwohl voraussetzen. Wir brauchen schließlich ein Kriterium, das uns erkennen lässt, dass das Veränderte auch etwas verbessert hat. Inwiefern ist der Farbfernseher gegenüber dem Schwarz-weiß-Fernseher eine Verbesserung ? Weil er realistischere (oh, was für ein Komparativ!) Bilder der Welt zeigt. Ist also Realismus das Bessere? Wer so antwortet, setzt einen endgültigen Maßstab voraus: Realismus. Wie begründet er ihn ?
Jede Verbesserung setzt, bis ans Ende verfolgt, eine Idee des Besten voraus. Wie aber sollten wir das Beste beschreiben, wenn menschliches Denken immer nur Stückwerk ist? Kein Mensch ist vollkommen.
Inwiefern ist die Gleichberechtigung aller Menschen klüger als eine Ständegesellschaft? Weiß jemand, wie die gerechte Welt aussieht? Ist jemand so weise, dass er alles weiß? Und doch setzt er bei jeder Abstimmung über ein besseres Gleichberechtigungsgesetz voraus, er wisse alles und sei so weise. Wie kann das zusammenpassen? Suchen wir Hilfe bei den Griechen. Nach Platons Überlieferung sagt Sokrates zu seinem Gesprächspartner Phaidros:
„Jemand einen Weisen zu nennen, guter Phaidros, scheint mir etwas Großes zu sein und Gott allein zu gebühren: aber einen Freund der Weisheit oder dergleichen etwas möchte ihm selbst angemessener sein und auch an sich schicklicher.“
Wir machen beim Denken Voraussetzungen, die wir gar nicht erkennen können. Wir setzen immer etwas Vollkommenes voraus, das wir allerdings nie beschreiben können.
Nun beschäftigt sich – worauf Sokrates hinweist – ein ganz bestimmtes Wissensgebiet mit der Idee des Vollkommenen, nämlich das Wissensgebiet der Religion. In vielen Konfessionen werden Geschichten darüber erzählt, die zeigen sollen, dass es dieses Wahre, Gute und Schöne gibt und von den Göttern verwaltet oder aber von Gott repräsentiert wird. Das Göttliche wäre der Platzhalter für etwas, was noch kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört …, was wir aber immer voraussetzen, wenn wir etwas verbessern wollen. Es ist die Idee der Vollkommenheit, des vollkommen Wahren, Guten und Schönen.
Religion ist das Glauben an die Vollkommenheit – und reflektiert zudem, welche Konsequenzen die Vorstellung einer nie erfahrbaren, sondern geglaubten Vollkommenheit für unser Leben hat. Vollkommenheit ist aber nur ein anderes Wort für … Gott.
Geschichten eines Vergnügungssüchtigen
Ich will diesen Gedanken an einem historischen Beispiel erläutern. Der berühmte und große Kirchenvater Augustinus (354–430) berichtet in seiner Autobiografie, dass er in seiner Jugend so gar nicht nach den Regeln gelebt hat, die man bei einem Christenmenschen erwarten würde. Bei ihm ging’s nach eigenen „Bekenntnissen“ recht freizügig zu, wild und trinkfreudig. In seiner Clique wurde gescherzt und gebechert, geliebt und betrogen. Nach allen Prognosen der empirischen Sozialforschung hätte Augustinus zu einem Wüstling und Alkoholiker werden müssen, der bei Bedarf an die römischen Götter glaubt und sich’s bis zum Delirium gut gehen lässt. Aber er wurde 396 Bischofvon Hippo (einer nordafrikanischen Stadt im heutigen Algerien) und war zur Zeit des Untergangs des Römischen Reiches einer der bedeutsamsten Philosophen und Religionstheoretiker. Das hat ihn selbst erstaunt.
Weil ihm sein Erstaunen keine Ruhe ließ, formulierte er als einer der ersten Sozialphilosophen jene Frage, die dann die spätere Sozialforschung schier zur Verzweiflung getrieben hat: Wie ist im Falschen das Richtige möglich?
(Der Frankfurter Sozialphilosoph Theodor W. Adorno [1903–1969] hat einige Untergänge später den dann gern zitierten Satz formuliert: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Da hätte Augustinus gegengehalten: „Es gibt richtiges Denken im falschen Leben!“ und seine „Bekenntnisse“ [397–401; immerhin 400 Taschenbuch-Seiten] als geradezu empirischen Gegenbeleg aufs Lesepult gehievt …, und er hätte Adorno sicher gerne gefragt, ob dann jenes Leben so ganz falsch gewesen sei, bei dem zumindest richtig gedacht worden wäre.)
Die Biographie von Augustinus ist bildungstheoretisch hochbedeutsam und theologisch hilfreich: Werden wir nur in eine bestehende Gesellschaft hineinsozialisiert? Werden wir nur so, wie alle schon sind? Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) hatten ja geschrieben: Die herrschende Pädagogik sei die Pädagogik der Herrschenden. Das Falsche reproduziert das Falsche. Input gleich Output.
Aber wieso ändert sich dann die Geschichte? Wie kommt das Neue in die Welt? Warum bildeten sich in den autoritären Schulen des deutschen Kaiserreichs jene demokratischen Männer und Frauen, die die Weimarer Republik ausriefen? Warum wurde die Bundesrepublik von jenen Frauen und Männern in die Demokratie und zur Europäischen Union geleitet, die im schlimmsten Nationalismus und Nationalsozialismus zur Schule gegangen waren? Warum wehrte sich gerade jene Generation gegen das System DDR, die im System der DDR-Schulen fürs Leben gelernt hatte?
Diese Fragen sind sicher nicht monokausal zu beantworten, sondern nur aus vielen Perspektiven zu betrachten. Ich will daher nur den Fall Augustinus zu Ende erzählen. Vielleicht regt die Erzählung zum kreativen Transfer an.
Auch Augustinus spielte Antworten auf die Frage durch, warum er im Falschen zum Richtigen gebildet wurde: Er führt zuerst die gängigen Antworten an, nämlich dass es auch im Falschen richtige Ansätze gäbe; dass auch das Falsche formal zu jenen Kompetenzen ausbilde, mit denen dann das Richtige gedacht werden könne. Und überhaupt: Vielleicht war alles nur Zufall?
Aber all das überzeugte ihn nicht. Wie hätte er im ganz Falschen wissen können, was sich später als das Richtige herausstellen würde? Im Nachhinein mögen pfiffige Historiker sicher nachweisen können, dass Platons Philosophie die christliche Religion vorbereitet hatte, aber woher sollte Augustinus das zu jenem Zeitpunkt wissen, als er das Christentum noch nicht kannte? Und wenn er am Falschen auch jene Kompetenzen ausbilden konnte, die für das Richtige bedeutsam sind: Woher wusste er dann später, was das Richtige ist?
Augustinus verwirft also die üblichen Antworten, die der kulturellen Bildungstheorie, die der formalen Bildungstheorie, und kommt zu dem Ergebnis: Mich hat allein die Suche nach Wahrheit gerettet. Heilsam war mein Zweifel daran, dass das Faktische schon das Gültige sei.
Aber woher diese Suche, diese Sucht nach dem Wahren, dem Guten und Schönen komme, das ließe sich biographisch nicht begründen. Augustinus nennt diese Suche daher die Bildung am Nicht-Faktischen, am Göttlichen. Sie sei jedem Menschen zu eigen. Der Grund für die Suche liege nicht in der zufälligen Autobiographie, sondern in der Betrachtung des Lebens unter dem Gesichtspunkt von Wahrheit und Sittlichkeit – dem Vollkommenen, also dem Göttlichen.
Es gibt das Gute
Was das Richtige und Gute und Schöne ist, vermag keine Konfession zu sagen (und sie wäre gut beraten, sich bei solchen Aussagen auch stark zurückzuhalten). Aber dass alles, was wir suchen, wahr, gut oder schön sein soll, das ist motiviert durch einen unbeweisbaren Glauben daran, dass es solches gibt und es sinnvoll ist, danach zu streben.
Nicht die Vorstellung vom Guten ist das Religiöse am Guten, sondern der Glaube daran, dass es dieses Gute gibt und es sinnvoll ist, es anzustreben. Nicht die Vorstellung des Wahren ist das Religiöse am Wahren, sondern der Glaube daran, dass es diese Wahrheit gibt und es sinnvoll ist, sie zu suchen. Und nicht die Vorstellung des Schönen ist das Religiöse am Schönen, sondern der Glaube daran, dass es vollkommen Schönes gibt und es sinnvoll ist, es zu versuchen.
Die Vorstellung eines Perfekten, das es nie in der Welt geben wird und dennoch angestrebt werden soll, das scheint mir der Grundgedanke der Religion zu sein: der Sog des höchsten Guts. Keiner hat es je formuliert oder gar verwirklicht, und doch streben wir alle es an. Immer. Zu jeder Zeit. Davon lebt eine Gesellschaft.
Das, was alle Menschen wollen
Wenn die Motivation, immerzu nach der Idee des vollkommenen Lebens zu suchen, nach der Wahrheit, der Sittlichkeit und der Schönheit, kurz: nach Vollkommenheit, ein Kennzeichen der Religion ist, dann sind in diesem Sinne alle Menschen religiös – auch die, die es gerne nicht wären oder bestreiten.
Es geht mir wieder gar nicht um das Wort „religiös“. Es geht nicht darum, auch diejenigen der Religiosität zu überführen, die sie ablehnen. Das wäre Psychoterror und widerspräche – wie wir noch sehen werden – dem Anspruch religiöser Bildung.
Es geht mir darum aufzuzeigen, dass ein Grundgedanke der Religion in allen Menschen wohnt: das Motiv, nach dem vollkommenen Leben zu suchen. Die Sehnsucht nach dem Richtigen. Der Wunsch, dass der nächste Satz gelingt. Dieser Wunsch setzt das Vertrauen darauf voraus, dass der nächste Satz gelingen könnte und sollte. Das Bemühen, im Kriminalroman den wahren Täter zu finden, weil man als Detektiv daran zweifelt, dass es der ist, den die Polizei schon am nächsten Tag präsentiert. Der Versuch, die gerechtere Partei zu wählen. Der Versuch, den richtigen Partner fürs Zusammenleben zu finden – und nicht nur den nächsten. Die Überlegung, wie man ein gutes Verhältnis zu Kindern aufbaut. Das Bemühen, das Wohnzimmer schön einzurichten. Der Neukauf eines TV-Gerätes, um ein besseres Bild der Welt zu bekommen. Kurz: der Zweifel daran, dass das, was ist, schon gut ist. Die Hoffnung darauf, dass alles besser werden könnte, weil man weiß, dass es dieses Bessere gibt.
Wir setzen diese Überzeugung vom Besseren immer stillschweigend voraus. Das Aussprechen dieses stillschweigend Vorausgesetzten, das wäre Religion. Die Überzeugung, dass die Geschichte ein „happy end“ haben wird. Wenn wir daran nicht fest glaubten, bräuchten und würden wir nichts verbessern. Dann bräuchten und würden wir nicht mal den Küchenabfall zum Müllcontainer raustragen. Man kann auch formulieren: „Das Recht siegt über den Frevel, / Wenn es zum Ende kommt.“ Dies schreibt voller Gewissheit der griechische Dichter, Ackerbauer und Viehzüchter Hesiod (um 700 v. Chr.).
Die durch nichts begründete und durch alle historische Erfahrung widerlegte Hoffnung darauf, dass es besser und gerechter wird auf der Welt, das ist es, was die Religion im Hauptprogramm hat: die verwegene und immer wieder durch den Lauf der Geschichte enttäuschte Hoffnung auf das Gelingen. Ohne diese Hoffnung wäre ein Folterkeller genauso gut wie ein Luxusappartement.
Diese absolute Vorstellung können wir nicht löschen. Niemand will für sich das Schlechte. Niemand will, dass es schlechter wird. Wir wissen aus der jüngsten Vergangenheit, dass die Hölle auf Erden möglich ist …, hier bei uns, auf dem Boden, auf dem wir leben. Die Hölle ist nicht anderswo. Die Hölle ist hier möglich. Die Hölle, das können wir sein. Aber niemand sehnt sich danach. Wir bemühen uns, diese Hölle zu verhindern. Aller Erfahrung nach wird uns das nicht gelingen. Und dennoch versuchen wir es. Den Antrieb dazu gibt die Religion.