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TASTENSPIELE

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Verdammt … Jan Salfrank sah vor Wut und Empörung alles doppelt. Lampen, Leute, den Steinway.

Er war ja einiges von seinem Chef Professor Raffa Minkow gewohnt. Nur was er eben beim Atlas-Wettbewerb, dem alljährlichen Kräftemessen der Klavierstudenten des Königlich Privilegierten Heinz-Rogersson-Musikinstituts, erlebt hatte, war einfach zu viel gewesen. Weshalb er Minkow auch prompt zur Rede stellte. Doch der Professor für künstlerisches Klavierspiel, zugleich Prorektor für die Sektoren Meisterklassen, Sonderstudien, Begabtenakquise und zentrale Wettbewerbsbeschickung, meinte nur: „Aaach, nun mach mal halblang mein guter Jan. Wollen das doch mal alles nicht unnötig dramatisieren. Ha … entweder die beiden werden damit fertig oder nicht. So einfach ist das.“

„Aber …“

„… oder nicht.“

„Aber …“

„Nichts mit aber. Es geht im Leben nicht … immer der Nase nach, ganz und gar nicht.“

Unter den vier Finalisten war der neunzehnjährige Ferenc Meyer klar der beste gewesen. Vom barocken Fugengehämmer bis hin zu den zwanzig Finger und mehr verlangenden impressionistischen Lautmalereien – alles kam bei ihm wie gestochen, hatte Charakter, strahlte etwas ganz Eigenes aus, eine seltsame Leichtigkeit, etwas im besten Sinne Galantes, Bestrickendes, Elektrisierendes. Es war wie alles Außerordentliche in der Musik schwer abschließend in Worte zu fassen. Salfrank konnte sich, seine sechsjährige Studienzeit und die Jahre als Aspirant bei Minkow eingerechnet, nicht erinnern, Vergleichbares schon einmal gehört zu haben. Und was musste er erleben? In der Sitzung der Jury, bei der er Protokoll führte, erwähnte Minkow den jungen Mann mit keinem Wort. Mit keinem Wort bedachte er ihn, mit keinem Wort, keiner Silbe! Da wie nicht anders zu erwarten niemand wagte, in die Bresche zuspringen, Minkow galt in jeder Beziehung als der ungekrönte König des Instituts, ging Meyer am Ende leer aus. Total leer. Den Atlas-Preis bekam Sonja Wanderbilt zugesprochen, eine sicher durchaus talentierte Studentin, der eine respektable Technik und auch eine gewisse Ausstrahlung nicht abzusprechen waren, die es aber in nahezu allen Belangen noch weit hin hatte zum Stand ihres Konkurrenten. Unendlich weit. Um das mitzukriegen, musste man nicht studiert haben, das lag selbst für einen blutigen Laien nach drei Takten auf der Hand. Nein, nein, nein und nochmals nein …

Nach der Verkündung des Ergebnisses stapfte Meyer wutblitzend aus dem Saal. Die Kommilitonen sahen sich entgeistert an, murmelten eine Weile untereinander und gingen dann nach und nach auch. Zum Anstoßen auf den Sieg, zur traditionellen spontanen Contest-Feier blieb nur die Hand voll der anwesenden Dozenten und zwei Freundinnen der im Übrigen alles andere als glücklich dreinschauenden Siegerin.

Da hatte es Salfrank gereicht. Er war zu Minkow gegangen und hatte so leise, dass die anderen es schwerlich mithören konnten, gesagt: „Mach mit mir, was du willst, aber das war doch eben … ich weiß gar nicht, wie ich sagen soll … eine glatte … also, das könnt ihr doch nicht machen, der Meyer war doch klar der Bessere …“ Um dann zu hören, dass es im Leben nicht immer der Nase nach ging.

Man musste endlich etwas unternehmen. Dieser Mann ruinierte langsam, aber sicher das gesamte Institut. Wie hat er sich nur zu dieser Sonderstellung aufschwingen können? Wenn er hustete, hatte das Gesetzeskraft, nein, das konnte nicht normal sein. Dabei hat er, seit Salfrank am Institut war, keinen Ton mehr selbst gespielt. Nicht einmal im Unterricht ließ er sich dazu herab. Das war allgemein bekannt. Was konnte er überhaupt? Salfrank hielt in seiner Empörung alles für möglich.

Zu Hause angekommen, er hatte noch immer sein Studentenzimmer im ein wenig bieder, um nicht zu sagen rechtschaffen verschlafen anmutenden Äußeren Pfingstbergviertel, konnte Salfrank schon beinahe wieder lachen. Es war nicht das erste Mal, dass ihn der Gang durch den Park der Medizinischen Akademie und die stillen Gassen der Nordstadt mit Postillionplatz und Weberbrücke auf andere Gedanken brachte.

Seltsam. In dem Saal, wo vorhin der Contest so wenig sinnstiftend zu Ende gegangen war, hatte er vor zwei Jahren sein Konzertexamen abgelegt. Und wie. Nach dem letzten Ton des knapp zweistündigen Programms wollte der Beifall nicht verstummen. Er musste sieben Zugaben spielen, sage und schreibe sieben Zugaben, bis das Auditorium endlich Ruhe gab. Sieben Zugaben. Nicht zu glauben. Es folgte eine rauschende Feier, denn im Grunde war alles klar. Es konnte nur ein „Mit hervorragender Auszeichnung bestanden“ geben, verbunden mit der Empfehlung für ein anschließendes Meisterstudium in der Landeshauptstadt Mantribur, bei dem am Ende der Titel „Nationaler Kammervirtuose“ winkte, in aller Regel Grundstein für eine von staatlicher Seite aus großzügig geförderte Solistenkarriere. Mein Gott, er hatte es geschafft! Es sah jedenfalls ganz danach aus.

Salfrank bekam die Bestnote, aber mit dem Meisterstudium wurde es nichts. Minkow nahm ihn im Audimax nach der Übergabe der Diplome beiseite und sagte: „Ordentliches Examen, um es noch mal zu sagen, Kompliment, hast mich nicht enttäuscht, na, das wäre auch allerhand gewesen, aber … das alles ändert nichts dran, dass du schwerlich, nimm mir’s nicht krumm, wirklich das Zeug zum, hm, reisenden Virtuosen hast. Dir fehlt dafür, glaub mir, die originäre robuste künstlerische Statur, das Unverwechselbare, noch nie Dagewesene, das halbe Pfund Genie, wenn du so willst, ohne dass es nun mal nicht geht. Junge, ich will dir was sagen: Du läufst im Falle des Falles Gefahr, schlussendlich vor einem gewaltigen Scherbenhaufen zu stehen. Ich kenne eine Menge Leute, die konnten am Ende kein Klavier mehr sehen. Um es klipp und klar zu sagen: Die Empfehlung für Mantribur, da hab ich noch nichts veranlasst. Wenn du unbedingt darauf bestehst, gut. Aber hör zu: Was würdest du sagen, wenn ich dir statt der Geschichte eine Stelle als außerordentlicher Aspirant anbieten würde? Mit der Perspektive, in zwei, drei Jahren per Sonderacklamation zum künstlerischen Fachdozenten ernannt zu werden. Hast du das verstanden? Ja? Gut. Also vielleicht überlegst du dir das mal. Du hast ein sicheres Auskommen, erfüllst eine Aufgabe und dir bleibt auch, das garantiere ich dir hier und heute, genügend Zeit, um selbst noch weiter voranzukommen.“

Salfrank schlug, nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, in die Hand ein. Nach der ersten Enttäuschung – was Minkow ihm da an den Kopf geworfen hatte, war ja nicht ohne gewesen – sah er mit einem Schlag auch die andere Seite. Es gab tatsächlich nicht wenige einst verheißungsvoll gestartete Unglücksraben in seinem Fach. Wirkliche Erfolgsgeschichten waren rar.

Zwei Jahre ist das her. Er war heute, mit vierundzwanzig, eine feste Größe im Musikleben der Heimatstadt, das durfte er ohne Übertreibung von sich sagen, galt als ausgezeichneter Lehrer, dazu als hundertprozentig zuverlässiger, im Grunde durch niemand anderes mehr auf die Schnelle zu ersetzender Korrepetitor und seine Soloabende zogen ein ums andere Mal vermehrt auch Zuhörer von außerhalb an. Ja, er war drauf und dran, sich einen Namen zu machen. Wer hätte das gedacht, alles in allem und überhaupt … Außerdem würde er, ehrlich gesagt, auch nicht mehr gern auf den täglichen Weg durch die Anlagen der Medizinischen Akademie und die Gassen der Nordstadt verzichten wollen.

Aber … nichts mit aber …

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