Читать книгу Jesus - Volker Schunck - Страница 7

Einleitung

Оглавление

Ich frage “Wer bist Du, Jesus?” Das ist mindestens genauso schwierig zu beantworten wie “Wer bist Du, Volker?” oder “Wer bist Du, Paulus?” oder “Wer bist Du, lieber Leser, liebe Leserin?” “... liebe Beate, lieber Peter, lieber Ralf, lieber Klaus - oder wie immer Du auch heißen magst?”

Ich bin im Siegerland, d.h. in einer ziemlich frommen und pietistischen Gegend, geboren und aufgewachsen. Hätte ich dort nach dem Gottesdienst in einer landeskirchlichen Gemeinschaft oder in einer Freikirche gefragt, “Wer ist Jesus?” hätte ich die Antwort bekommen: “Das steht doch in der Bibel!” Sicher. Ich hätte damals keine andere Antwort gegeben. Aber man muss schon etwas differenzierter hinschauen.

Die Bibel ist nicht die Gründungsurkunde oder Satzung eines Anglervereins oder eines Campingclubs. Zwar hat Jesus seine Jünger als “Menschenfischer” ausgesendet, zwar war Paulus im Hauptberuf Zeltmacher, aber es ging beiden um Höheres als um Fischerei und Zelte. Natürlich! Beiden ging es um Gott. Und die Bibel ist über Jahrhunderte entstanden aus mündlich erzählten Geschichten und gesammelten Überlieferungen und Briefen, und nicht wie eine Vereinsordnung aus einem Guß geschrieben von einer Handvoll Männer und Frauen am Wochenende im Vereinsheim.

Es ist den meisten wahrscheinlich bekannt, dass die Bibel nicht einfach “vom Himmel gefallen ist”, sondern aus unterschiedlichen Handschriften entstanden ist, die dann als Papyrusrollen (Papyri) aufbewahrt oder vervielfältigt und weitergegeben worden sind. Ich will gar nicht weiter ins Detail gehen, ich müsste mich erst selbst wieder in die Thematik einlesen. Nehmen wir mal an ein Tonkrug in dem sich alle Briefe des Paulus befinden, der Römerbrief und der Galaterbrief, wäre im 2. Jahrhundert n. Chr. plötzlich verschollen, bevor deren Inhalt vervielfältigt werden konnte. Ich weiß, der Gedanke ist absurd, aber machen Sie einfach mal mit bei diesem Gedankenexperiment. Außerdem sind zwei weitere Tonkrüge mit dem “Ur”- Hebräerbrief (der ist nicht von Paulus) und dem Johannesevangelium verschwunden. Wir hätten “nur” die synoptischen Evangelien, d.h. Matthäus, Markus, Lukas. Was heißt das konkret? Wir hätten an “Original”-Jesusworten die Bergpredigt, Jesu Gleichnisse, die Streitgespräche mit den Pharisäern und die wenigen letzten Worte am Kreuz und nach der Auferstehung.

Man muss nicht unbedingt Theologe oder Theologin sein, um die Bergpredigt oder die Gleichnisse Jesu verstehen zu können. Alltägliche Geschichten für die einfachen Menschen, Wanderarbeiter, Zolleintreiber, Prostituierte. Für Gerechte und Sünder.

Die Wunder können wir nicht mehr miterleben, aber die Geschichten Jesu sind einfach und verständlich für diejenigen, die ihnen mit offenem Herzen zuhören. Leider müssen wir auf das Charisma des Erzählers Jesu verzichten. Ich kann es mir nur vorstellen, wie er mit leuchtenden Augen und brennendem Herzen mit ausladenden Armbewegungen die Größe von Gottes Liebe und Barmherzigkeit angedeutet hat, wie er zu den Füßen der Ärmsten gesessen und ihnen mit dem Finger Bilder in den Sand gemalt hat, damit seine Geschichten noch anschaulicher werden.

Wenn wir heute seine Geschichten nicht mehr verstehen, oder wenn wir meinen, sie noch nicht verstanden zu haben, mag das daran liegen, dass die Wahrheit in diesen Geschichten einfach zu einfach, zu trivial ist: Das Himmelreich ist wie ein Schatz im Acker. “Ja, und?” - Geschichten, die wir in und auswendig kennen, die uns langweiliger sind als die 5. Wiederholung eines Krimis im Fernsehen.

Kannst du dir denn nicht mehr vorstellen, weil du den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, wie es ist, stundenlang, ja, tagelang einen steinigen Acker umzugraben, der noch nicht mal dein eigener ist, sondern für den du monatlich eine hohe Pacht zahlen musst? Wie es ist, wenn du schon die anklagenden und rot-verweinten Augen im Nacken spüren kannst, ohne hinzusehen, weil du sie kennst, deine Frau, die hungrig den Säugling stillt, und du immer noch nicht fertig bist mit dem Acker, weil dir jede Faser deines abgearbeiteten Körpers weh tut und deine Pausen immer länger werden, weil du nicht mehr kannst? Wie es dann ist, wenn die Schaufel plötzlich auf etwas Hartes trifft, du hast schon gar nicht mehr richtig hingesehen, weil dir dauernd die Augen zufallen, aber es klingt irgendwie anders, hohl. Du bist so in Ekstase, dass du jetzt auf den Knien bist und mit abbrechenden Fingernägeln, nein... das kann doch nicht sein... oh Gott...

Die Menschen zur Zeit Jesu haben eine solche Geschichte wahrscheinlich viel tiefer verstanden, als wir das heute können. So kostbar ist das Himmelreich, wie ein Schatz im Acker!

Wenn wir die Gleichnisse und Predigten Jesu im Neuen Testament lesen, werden wir überrascht sein. Was macht Jesus in seinen Predigten? Oder was ist die Intention in seinen Predigten? Sie können selber in Ihrer Bibel in den synoptischen Evangelien nachlesen. Was mir aufgefallen ist, ist folgendes: Jesus verkündigt das Reich Gottes, das gerade jetzt unter den Menschen angebrochen ist, und ruft sie zur Umkehr auf. Und was ganz wichtig ist: Er hat Vollmacht Sünden zu vergeben. Wer hat es ihm offiziell erlaubt? Keiner. Und das überrascht natürlich in einer Gesellschaft, deren religiöse Oberschicht durch ein kompliziertes Buß- und Opfergeschäft auf dem Rücken der Ärmsten fett geworden ist.

Jesus kommt einfach daher, ein Wanderprediger mit staubigen Füßen und ungewaschenen Händen und vergibt die Sünden. Das tut er mit Gottes Vollmacht. Und alles was er tut wird zum Zeichen dafür, wie es Gott mit seinen Menschen meint. Jesus sieht das Wesentliche, weil er Gottes Herz kennt. Die schmutzigen Hände beim Essen machen den Menschen nicht unrein, sondern was aus seinem Mund herauskommt, böse Worte aus einem bösen Herzen, die machen den Menschen unrein. Die Gebote sind für die Menschen gemacht und nicht gegen sie. Darum heilt er am Sabbat und pflückt mit seinen Jüngern Korn vom Feld. Die Theologen haben nicht das letzte Wort, sondern lasst die kleinen Kinder zu mir kommen, denn sie verstehen Gottes Reich.

Bei Jesus wird plötzlich alles ganz einfach. Liebe Gott und deinen Nächsten wie Dein Selbst. Das ist alles. Selbst ein Glaube, der so klein ist wie ein Senfkorn, kann Berge versetzen. Sorge dich nicht um morgen, sondern vertraue in Allem auf Gott. Der Mensch lebt nicht davon, dass er viele Güter hat.

Jesus du Träumer! Wach endlich auf! Die Realität sieht anders aus. Die Lilien auf dem Feld machen mich nicht satt, besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Erst das Fressen, dann kommt die Moral! Jesus wo lebst du denn? Das Leben ist kein Ponyhof!

Aber letzten Endes wissen wir, dass er Recht hat. “Recht” haben ist vielleicht der falsche Ausdruck. Auf einer rein menschlichen Basis machen wir doch auch selbst die Erfahrung, Geld allein macht nicht glücklich, der reiche Milliardär sitzt alleine in seiner Luxusvilla, weil er keinem Menschen mehr trauen kann, weil alle nur hinter seinem Geld her sind, oder er es glaubt. Wir wissen, wie Topmanager überarbeitet im Urlaub an Herzinfarkt sterben, weil sie nicht mehr entspannen können. Wie schwer ist es, dass ein Reicher in den Himmel kommt!

Und so spielen viele Geschichten im täglichen Milieu der kleinen Leute; die arme Witwe, die mehr gibt als der Reiche, der ein Vielfaches gibt. Denn Gottes Maßstäbe sind andere als unsere materiellen. Er sieht das Herz des Menschen. Der arme Lazarus kommt in den Himmel, der geizige Reiche in die Hölle. Das sind Geschichten aus der jüdischen Alltagsfrömmigkeit, die Jesus aus dem Volk gehört hat, oder die er sich selber ausgedacht hat. Aus solchen Geschichten eine Diskussion darüber abzuleiten, ob es eine Hölle gibt oder nicht, geht völlig an der Geschichte vorbei. Jesus war kein Sozialist, Träumer oder Idealist, sondern ein Realist des Glaubens. Er war selbst tief in der jüdischen Frömmigkeit verankert. Er kannte Gott, wie ein Sohn seinen Vater kennt.

Was mir aufgefallen ist im Vergleich zu den im 2. Jahrhundert “verschwundenen Schriftrollen”? Diese überaus wichtigen und zentralen synoptischen Evangelien mit authentischen Jesusworten (ipsissima vox) enthalten keine Aussagen zur Rechtfertigungslehre! Hätte man nicht gerade hier Aussagen über Jesus oder aus seinem Munde erwartet, die seinen Tod heilsgeschichtlich interpretieren? Solche Bibelstellen wie im Johannesevangelium, z.B. Joh. 3,16 “Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.” (Römer 5.8) (Römer 8.32) (1. Johannes 4.9) oder auch die bekannte Stelle Joh 10,11: “Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.” Oder auch die ausgearbeitete Rechtfertigungslehre des jüdischen Schriftgelehrten Paulus im Römerbrief. Hier ist ein Theologe ersten Ranges am Werk, der mit seiner Interpretation des Todes Jesu nicht nur den Spagat zwischen der jüdischen Religion und Christus versucht*, sondern der auch eine kleine Gruppe, die ursprünglich als kleine Sekte innerhalb der jüdischen Religion angesehen worden war, zu einer Weltreligion gemacht hat. Diese Leistung des Theologen Paulus ist beachtlich.

(*Stichworte Gesetz und Evangelium; die heutige Theologie weiß, wie problematisch (bis falsch) die Aufteilung AT (Alter Bund) = Gesetz und NT (Neuer Bund) = Gnade ist.)

Ohne Jesus gegen Paulus ausspielen zu wollen, beide haben sich persönlich ja nie kennengelernt, aber wenn beide in einer Talkshow miteinander diskutieren würden, würden sie sich überhaupt verstehen? (Ich weiß, so eine abgedrehte Frage kann nur einem Theologen einfallen.) Oder würden sie aneinander vorbeireden? Jesus, der Zimmermann und Mystiker, der Mann der “kleinen Leute”, ja, der Gottessohn, würde der in den Argumentationen und Denkbewegungen im Römerbrief nicht immer noch zu sehr den Pharisäer und Gesetzeslehrer Paulus erkennen, statt den erlösten Christusnachfolger? Sind sich Paulus und Jesus nicht im 1. Kor 13 (Hohelied der Liebe) (“Und hätte ich keine Liebe wäre ich nur ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle”) viel näher als im Römerbrief? Jesus, der Gott im Herzen hat und das höchste Gebot mit dem Doppelgebot der Liebe (Liebe Gott und deinen Nächsten...) zusammenfasst?

Zusammenfassend lässt sich bis hierher sagen: Die Bibel ist nicht aus einem Guß entstanden wie eine moderne Vereinssatzung oder als “Heiliges Buch” vom Himmel gefallen. Daher macht man es sich zu einfach, wenn man auf die Frage: “Wer ist Jesus?” antwortet “Das steht doch in der Bibel!” Es fällt auf, dass wir durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte Jesus eher durch die Brille einer jüdisch-christlichen Interpretation gesehen und verstanden haben (Stichworte: antike Opfervorstellung, Sühne, Rache, Zorn, Blutzoll, Auge um Auge, Rechtfertigungslehre), als durch die Verkündigung Jesu in den Synoptikern.

Inhalt

Jesus

Подняться наверх