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Sommer 2003.

Röhrende Jets verursachten am blauen Himmel kondensierende Kratzer. Eine Putzfrau schüttete einen Eimer Wasser aus, das sofort verdunstete. Die Sonne brannte heiß auf ausgezogene Leiber. Hitze schälte den Lack vom Blechkleid ächzender Karossen. Häuser lehnten faul in der Hitze und fraßen Staub mit gierigen Mäulern. Schweißperlen tropften zu Boden. Wespen stachen gut gelaunt in Menschenfleisch. Europa beklagte Tausende Hitzetode, zur Freude der Insekten, die lustvoll ihre Lätze umgebunden hatten. Ernteausfälle waren zu verzeichnen, und Atomkraftwerke wurden abgeschaltet. Kleine Flüsse trockneten aus. Der Würzburger Kessel brodelte. Jene Stadt, deren Kirchtürme den Himmel perforieren, damit der rechte Glaube auf die Menschen rieselt.

Drohende Schatten zogen aus der Ferne auf.

Dunkle Flecken auf einem Gesicht.

Ein lachendes, hübsches Gesicht.

Dunkle Flecken auf einem Gesicht.

Blut.

Blut.

Blut.

Blut, das fließt.

Blut, das pocht.

Blut, das stirbt.

Unreines Blut floss durch die Adern der Hauptkommissarin Rebecca Rust. Das vibrierende Handy auf dem Nachttisch riss sie aus einem Albtraum. Die Haarsträhnen hingen schweißverklebt an der Stirn. 6 Uhr 30.

„Ja?“

„Hallo Rebecca. Wagner hier. Einsatzzentrale. Entschuldige, dass ich dich wecken muss. Aber du musst unverzüglich zur Dienststelle kommen! Es wurde ein Mord gemeldet. Ein Kollege ist das Opfer. Die Chefs sind schon verständigt. Du kannst dir vorstellen, wie nervös hier alle sind!“

Ferdinand, der Kater, strich um ihre Füße, als sie aus dem Bad kam. Sie gab ihm ein ganzes Schälchen Trockenfutter und hoffte, dass er sich faul in der Wohnung verkroch, bis sie nach Hause kam.

Der schwarze Nissan Micra fand seinen Parkplatz vor dem Dienstgebäude. Rebecca hastete die zwei Stockwerke hoch ins Büro. Der Aufzug war immer noch defekt. Ein Kollege rief ihr hinterher, dass das linke Bremslicht kaputt sei. Sie wusste das, aber es war ihr egal.

Nach dem Anruf nahm sich Roland Utz, drei Jahre älter als Rebecca und von Beginn an im selben Ermittler-Team, noch die Zeit, sich den Schweiß der Nacht vom Körper zu waschen. Unter der Dusche kratzte er sich gedankenverloren am Hintern. Die Augen geschlossen, dachte er, dass er sich nie daran gewöhnen werde, dass Menschen sich gegenseitig umbringen. Das Wasser bahnte sich seinen Weg durch die Haare am Körper und verschwand im Abfluss. Beim Abtrocknen hatte er einen Niesanfall.

Verdammter Heuschnupfen. Der Kaffee war durch die Maschine gelaufen. Schwarz. Dazu eine Zigarette. Dann aufs Fahrrad. Der Kriminalhauptmeister brauchte zehn Minuten ins Büro.

René Streitenberger. Einundfünfzig Jahre alt. Verheiratet. Drei Kinder. Zwei im Studium. Eine pubertierende Tochter zu Hause. Kriminaloberkommissar. Seine Frau schlief weiter, als das Telefon im Parterre penetrant klingelte. Sein unruhiger Schlaf erfuhr Befreiung.

„Ich habe verstanden. O.K.! Scheiße! Bin gleich da.“

Schnell ein halbes Brötchen mit Nutella. Er hielt mit seinem Wagen kurz beim Bäcker, holte sich einen Kaffee zum Mitnehmen und verbrannte sich die Zunge. Er hatte schlechte Laune, als er um kurz nach sieben Uhr im Besprechungszimmer stand. Die Chefs waren natürlich schon da. Und er, wie immer, der Letzte. Die Blicke kannte er schon.

„Guten Morgen, Kollegen.“

Rufer war nervös. Er war der Leiter der Kriminalinspektion.

„Unangenehme Geschichte. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Im öffentlichen Toilettenhäuschen, unten am Mainufer, Höhe Arbeitsamt, fand man die Leiche eines Mannes. Das Ganze wurde anonym über eins, eins, null gemeldet. Die Uniformierten sind vor Ort und sichern den Tatort. Hoffentlich ohne Spuren zu zerstören. Erste Meldungen, und jetzt wird’s interessant, sprechen davon, dass das Opfer ein Kollege ist. Alles deutet auf Mord hin. Die Auffindesituation: Hose nach unten gezogen, Flecken am Hals. Wir wissen alle, meine Dame, meine Herren, dass es sich bei der Toilette um einen stadtbekannten Schwulentreff handelt.“

Die Ermittler blickten sich an und schnauften im Gleichklang ein und hörbar aus.

Rufer, Briefmarkensammler aus Passion, exakt im Auftreten, ließ seine scharfen Augen über die Mannschaft blitzen. Das geräuschvolle Einziehen der Luft durch die Nasenflügel, nach jedem Satz, verriet seine Anspannung.

„Bei Hitze gibt es Ärger. Das war schon immer so. Wenn die Temperaturen steigen, nehmen die Aggressionen zu. Mehr Menschen auf der Straße. Mehr Alkohol. Längere Helligkeit. Alles Punkte, die der Kriminalität zusprechen. Wir müssen den Ball aufnehmen und das grausame Spiel beenden. Unangenehme Geschichte, das. Ich fordere zunächst absolutes Stillschweigen gegenüber der Presse. Das übernehmen wir. Frau Rust, ich übertrage Ihnen als frischgebackene Hauptkommissarin und Ihrem Team hiermit den Fall. Ich erwarte Diskretion und perfekte kriminalistische Aufklärung. Ich verlasse mich auf Sie. Enttäuschen Sie mich nicht. Viel Erfolg! Und informieren Sie mich über alles zeitnah. Unangenehme Geschichte, das.“

Mit einem blütenweißen Stofftuch wischte sich der Chef der Kripo den Schweiß von der Stirn und trank ein Glas Wasser in einem Zug leer.

Auf dem Weg zum Ort des Verbrechens wurde nicht gesprochen. Die Angst unter Kontrolle halten. Den Kollegen keine Blöße zeigen. Sich den Toten möglichst grausam entstellt vorstellen, damit einen die Realität etwas besänftigt.

Der BMW rollte über das Kopfsteinpflaster. Der Adrenalinspiegel stieg. Stickige Hitze drang durch die Lüftungsschlitze, um sich als zweite Haut an die Insassen zu schmiegen. Die Klimaanlage blieb, aus Rücksicht auf Rolands Heuschnupfen, ausgeschaltet.

Das Absperrband verhinderte die Weiterfahrt. Im Streifenwagen hatte ein Kollege den Beifahrersitz zurückgedreht und döste. Überstunden. Die Nacht hat ihren Preis. Ein zweiter übermüdeter Beamter kam auf den BMW zugelaufen. Schweißflecken unter den Achseln wirkten wie überdimensionierte Abzeichen des Sommers. Sie hatten das bambusfarbene Hemd dunkel gefärbt.

„Hallo, Rebecca. Hallo, René. Roland.“

„Morgen, Manni.“ Man kannte sich. Die Stadt war überschaubar.

„Rebecca! Ich kenne den Toten. Es ist Langner. Mein ehemaliger Ausbilder bei der Bereitschaftspolizei. Wir haben nichts verändert und niemanden durchgelassen. Er liegt dadrinnen. Verrückte Welt. Echt krass!“

Mit dem Daumen deutete er hinter sich auf das kleine Toilettenhäuschen aus Bruchstein.

„Soweit ich weiß, war der Mitteiler anonym. Wenn ihr jetzt übernehmt, hauen wir endlich ab. Ich schreib euch aber noch einen kurzen Vermerk.“

Die drei Ermittler zogen sich am offenen Kofferraum die weißen Schutzanzüge über. Sie diskutierten kurz, ob sie auf den Staatsanwalt warten sollten, bevor sie reingingen. Sie warteten nicht.

René hatte den Fotoapparat bereit. Rebecca testete das Diktiergerät. Roland kniete sich hin, um die Leiche zu untersuchen.

Der Gestank menschlicher Ausscheidungen nahm ihnen den Atem.

„Das beschissenste Klo in dieser Stadt!“, würgte René hinter seinem Mundschutz hervor und hellte mit dem ersten Blitz den gekachelten Raum unnatürlich auf.

Jeans und die schwarzen Boxershorts des Toten waren bis zu den Kniekehlen heruntergezogen. Er lag bäuchlings auf schmutzigen Fliesen. Den Oberkörper bedeckte ein weißes Kurzarmhemd. Auf dem nackten Hintern glänzte ein milchiges Sekret. Roland strich die Substanz in ein Reagenzglas und beschriftete es. Es sah nach Sperma aus. Es roch nach Sperma. Es war Sperma.

Grün schimmernde Fliegen umkreisten den Leichnam. Die Hitze unter den Schutzanzügen war unerträglich und durchtränkte die Kleidung. Rebecca musste darauf achten, nicht zu hyperventilieren. Roland eilte nach draußen, um eine Heuschnupfenattacke hinauszuniesen.

„Druckspuren am Hals. Moment, ich dreh den Leichnam jetzt um.“

Die Leiche rülpste. „Mahlzeit!“

Der Humor von Polizisten ist ein eigener. Ein Blick in die Mundöffnung. Routine.

Roland zog die bereits erstarrten Finger des Toten auseinander. In der Handinnenfläche der rechten Hand lag ein Zettel, darauf ein Wort, am Computer geschrieben:

ICH

„Ich weiß ja nicht. Aber mit den Schwulen komm ich nicht so ganz klar. Tun so, als seien sie die Liebsten der Gesellschaft. Haben bei Frauen ’nen echten Stein im Brett, und dann töten sie sich doch aus Geldgier oder Eifersucht oder was weiß ich. He Rebecca, guck mal!“

Flash! Ein Blitz zuckte durch den Raum, und Rebecca war Nummer 24 zwischen all den Leichenbildern.

„Fotografiere lieber die Kontakte an den Wänden und lass den Unsinn!“

Rebecca war genervt.

René kommentierte die obszönen Sprüche an den Wänden, als es Roland zu bunt wurde.

„Halt endlich die Klappe, René! Mach einfach deine Arbeit!“

Roland hatte im Geldbeutel, der in der Gesäßtasche des Toten steckte, dessen Dokumente gefunden. Der Kollege hatte Recht. Es war Christian Langner. Der Ausweis der Bereitschaftspolizei zeigte sein Konterfei. In der Börse befanden sich exakt 312,94 Euro. Sie stutzten. Sah nicht nach Raubmord aus.

Der Staatsanwalt, Jochen Bohm, war mittlerweile eingetroffen und ließ sich von Rebecca informieren. Sie kannten sich und hatten schon manchen Kampf vor Gericht ausgefochten.

Die Leichenbestatter warteten rauchend vor ihrem Mercedes. Die Tatortarbeit war erledigt. Die Männer in schwarzer Kleidung, die nach Schweiß stank, hoben den Verstorbenen in den schmucklosen Sarg.

Letzte Fahrt. Rechtsmedizin.

Die Sonne sandte ihre Strahlen, als wolle sie das Zink schmelzen und den Toten brandmarken.

Nachdem sie der Obduktion beigewohnt hatten, bat Professor Schwacke die Ermittler in sein Büro. Wie immer hatte er nüchtern und effizient die Leiche untersucht. Roland war den Obduktionen, denen er beiwohnen musste, für seinen Heuschnupfen dankbar. Durch die verstopfte Nase drang so nicht jener Geruch, den der Tod den Lebenden ein letztes Mal entgegenatmet.

„Erwürgt! Das Opfer ist eindeutig durch Erwürgen ums Leben gekommen. Das Sperma, das auf dem Hintern platziert war, ist wohl mit Absicht dort, ähm, abgelegt worden. Ein Analverkehr fand zwar statt, jedoch mindestens vierundzwanzig Stunden vor Eintritt des Todes. Das Sperma war noch nicht ganz getrocknet. Ich bin gespannt, ob es die gleiche dna aufweist wie die des Toten. Das dürfte für Sie ein interessanter Ermittlungsansatz werden. Aber ich sehe schon, wie ihre Gedanken kreisen. Die Todesursache, meine Dame, meine Herren, ist eindeutig Ersticken. Es gab am Tatort und kurz davor mit Sicherheit keinen Analverkehr. Der Körper zeigt keine typischen Kampfspuren. Keine Hämatome oder Risswunden. Das Zungenbein ist gebrochen, der Kehlkopf weist Bruchstellen auf. Die Würgemale am Hals haben Sie ja selbst dokumentiert. Ich werde Ihnen schnellstmöglich einen Bericht zukommen lassen. Viel Glück, Frau Rust. Meine Herren. Kaffee?“

Ohne die Antwort abzuwarten, goss Professor Schwacke vier Becher ein, während sich drei Ermittler verdutzt anblickten.

Im Büro, das sie sich mit Roland teilte, hatte sie über der Tür einen Spruch angebracht: Lupus pilum mutat, non mentem (Ein Wolf ändert sein Haar, aber nicht seine Absicht).

René, der bei der Spurensicherung, im Fotolabor, seinen Platz hatte, erhielt den Auftrag, in die Wohnung Langners zu fahren.

Das Zweizimmerappartement war bieder eingerichtet und penibel sauber. Offensichtlich war Langner Einzelgänger. Zudem hatten Nachforschungen ergeben, dass er keine Schulden hatte. Die Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. Die Anwohner sagten, der Vater hätte die Andersartigkeit seines Sohnes nicht ausgehalten.

Im Schlafzimmer fanden sie ein paar Schwulenpornos. Nichts deutete auf ein extravagantes Leben des Toten hin. Er lebte als Single und hielt wenig Kontakt zu seinen Nachbarn.

Die Kollegen der Bereitschaftspolizei verhielten sich ihnen gegenüber reserviert. Ja, man hatte gemunkelt, dass Herr Langner homosexuell sein könnte. Na und! Er war beliebt und kollegial. Was einer in seiner Freizeit machte, ging niemanden etwas an. Als sie zum Auto zurückkehrten, stolperte Rebecca über einen Stein, der vom Aushub für das neue Sportzentrum auf die Straße gerollt war. Die Luft flirrte über dem Asphalt.

„Ich wette, wenn wir hier draußen sind, zerreißen sie sich die Mäuler. Und dann wussten sie schon immer, dass Langner mal so enden würde. Diese Scheinheiligen!“ René kommentierte mal wieder unaufgefordert.

Roland bog Büroklammern zurecht, um sich die Fingernägel zu putzen. Rebecca hasste das, vermied aber, ihn darauf anzusprechen. Sie holte zwei Becher Kaffee. Fluchte, da die Maschine nebenan schon wieder defekt war und sie in den obersten Stock gehen musste.

ICH, was glaubst du, René? Hast du eine Ahnung, was es bedeuten soll?“

René hob die Schultern an und legte den Kopf zur Seite.

ICH bin das Opfer oder ICH bin der Täter. Allmachtsfantasien eines Psychopathen, wenn du mich fragst. Vielleicht auch: ICH bin schwul?“

René stutzte. Rebecca lächelte nicht.

„Vielleicht auch nur ein unvollständiges Gebilde. Da kommt noch was auf uns zu. Da bin ich mir sicher.“

„Die Buchstaben sind am Computer geschrieben. Akkurat und ohne Satzendzeichen.“

„Es ist noch viel zu früh, uns auf irgendwas festzulegen. Es wäre reine Spekulation. Warten wir doch mal die Laborproben ab.“

„Wir haben bis dato auf den Bildern vom Tatort nichts Verdächtiges gefunden. Die Nummern an den Wänden sind abtelefoniert. Meistens waren die Angerufenen verblüfft und erstaunt, dass sie nicht nur im Telefonbuch, sondern auch im Schwulenklo auftauchen. Ich lasse es mir nicht nehmen. Der Mörder kann nur in der Szene zu finden sein. Überleg doch mal. Schwulenklo. Opfer: schwul. Sperma auf dem Hintern. Was wollen wir denn noch? Ich denke, wir müssten die Jungs in der Szene mal gehörig aufmischen!“

So war René. Geradeheraus. Direkt. Aber manchmal, das musste Rebecca sich eingestehen, blieb nur die Wahl, seinen einfachen Gedanken zu folgen. Unter anderem deshalb war er auch in ihrem Team.

Eine Woche später war die Analyse da: Das Sperma, das der Täter auf dem Anus von Langner platziert hatte, wies eine differente dna auf. Demnach war es das erste wirkliche Beweismittel, das sie hatten. Ein Abgleich in den Datenbanken des bka verlief allerdings ohne greifbares Ergebnis. Die Laune sank wieder. Rebecca sah sich gezwungen, Renés Vorschlag zu folgen und die Schwulenszene zu überprüfen.

Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Als junge Beamtin musste sie im Rahmen ihrer Ausbildung unter Gauweilers Innenministerherrschaft Homosexuelle an Szenetreffs aufspüren, ihre Namen notieren, um sie aktenkundig zu machen. Die AIDS-Hysterie hatte die Gesellschaft erfasst und ließ manchen Politiker zu überzogenen Handlungen hinreißen. Halbwahrheiten und Lügen vermischten sich zu einem unseligen Gebräu.

Auch wenn sie mit Bauchschmerzen das Gespräch mit Rufer bestritt, war der auf ihrer Seite. Sie einigten sich auf so wenig Unterstützungsbeamte wie notwendig und beschränkten sich auf den Bahnhofsbereich, die öffentlichen Toiletten und den Ringpark.

Rebecca forderte in der Einsatzbesprechung Fingerspitzengefühl bei Menschen, denen sie nun, nur aufgrund von deren Veranlagung, auf die Pelle rücken mussten. Selbst im Jahr 2003 mussten sie sich verstecken, um einer Veranlagung nachzugehen, für die sie nichts können. Sie würden die Leute aufscheuchen, aus ihrer Anonymität holen, da führte kein Weg daran vorbei. Der Mord an Langner war ein zu hoher Preis.

Rebecca und René schritten auf das Kriegerdenkmal im Ringpark zu und überlegten gerade, die Aktion erfolglos abzubrechen, als ein junger Mann aus dem Buschwerk sprang. Er erstarrte vor Schreck, als er die Ermittler erblickte.

„Ihr Scheiß-Bullen! Macht mal hier nicht so ’nen Rabatz! Haut endlich ab! Scheiß Faschistenpack!“

Bevor er Fersengeld geben konnte, war René schon bei ihm und packte ihn am T-Shirt. Doch der Junge war geschmeidig. Riss sich los und rannte weg. René war aufgrund seines Alters schnell aus der Puste. Rebecca versuchte, den Weg abzuschneiden. Doch dann stolperte der Flüchtende über eine Baumwurzel und schlug brutal zu Boden. René war über ihm und schlug die Faust in seine rechte Niere, worauf der Junge laut aufschrie. Vor dem zweiten Schlag hielt Rebecca Renés Arm und schüttelte energisch den Kopf.

„Du verstehst, dass wir dich jetzt mitnehmen, Junge!“

Rebecca und Ronny Koslowski saßen sich gegenüber. Der Junge zitterte und blickte zu Boden. Das Blut im Gesicht begann zu verkrusten. Mit zitternden Händen trank er einen Schluck Wasser. In seinem Rücken stand Roland und passte auf, dass er nicht überreagierte. René war duschen und musste sich von dem Ereignis erst einmal erholen.

„Um was geht es hier eigentlich genau? Ist es in Würzburg etwa verboten, schwul zu sein, oder was?“

„Hier gehen die Uhren seit ewigen Zeiten anders. Mach dir doch nichts vor.“

„Und ihr lasst jetzt meine Uhr ablaufen, ja? Ich bin Berliner. Ostberliner, um genau zu sein. Darauf bin ich auch stolz. Bin von zu Hause abgehauen. War siebzehn. Wollte weit weg. Wir wurden verraten im Osten. Weißte? Von wegen blühende Landschaften und so ’n Scheiß. Keine Arbeit. Die Alte nur besoffen, und immer ein anderer Typ zu Hause. Mir hat’s einfach gelangt. Klaro?!“

„Kennst du Christian Langner?“

„Wer soll denn das sein? Ein Schauspieler?“ Ronny grinste.

„Lieber Ronny. Uns ist das ernst hier. Wir verfolgen euch Schwuchteln nicht so zum Spaß. Uns ist es völlig gleichgültig, wer welche Neigungen hat. Verstehst du? Du bist hier bei der Kripo. Wir ermitteln in einem Mordfall. Und du könntest uns vielleicht wertvolle Hinweise geben. Denk mal nach. Du kannst das Befragen hier abkürzen, wenn du kooperierst. Uns tut auch leid, dass dein Leben nicht zu deiner Zufriedenheit verlaufen ist. Aber wir können da auch nichts für. Klaro?!“

„Ich kenne keine Typen, die Lager oder Langner heißen! Mord, was? Scheiße, Leute, damit habe ich wirklich nichts zu tun. Das könnt ihr mir aber glauben. Ich bin froh, wenn ich mein Leben habe. Ihr wisst ja nicht, was sich da rumtreibt. Neulich hatte ich einen hohen Beamten aus der Regierung. Weiß ich, weil er seine Visitenkarte verloren hatte, der Typ. Geilheit macht unvorsichtig, müsst ihr euch merken. Ich habe die Karte aber weggeworfen.“

Rebecca bohrte ihren Blick in die Augen des Jungen, gerade mal zwanzig Jahre alt, röntgte sein Innerstes und versuchte seine Gedanken zu filetieren.

„Wir suchen gerade in deiner Wohnung nach eventuellen Beweismitteln. Der Richter hat das abgesegnet.“

„Außer Dreck findet ihr da gar nichts! Finde ich ja echt krass. Mal was anderes, Frau Kommissar. Finden Sie nicht, dass mit dieser Gesellschaft was nicht stimmt? Ihr nehmt euch da ganz schön was raus. Wenn ich Geld hätte, würde ich euch verklagen. Aber ich bin ja nur ein Niemand. Mit mir könnt ihr das ja machen. Macht, was ihr wollt, und lasst mich gehen. Ich will nur meine Ruhe. Ich weiß von keinem Mord. An niemandem. Schöner Mist, das alles.“

Zur Verblüffung aller fing der Junge an zu weinen. Das Telefon klingelte. Die Durchsuchung war negativ gewesen.

Als Rebecca den Jungen an der Wache verabschiedete und sich bei ihm entschuldigen wollte, fragte sie ihn noch:

„Kannst du mir Namen von Personen nennen, die euch auf den Tod hassen? Gibt es jemanden in den Chatrooms, der über Todesfantasien schreibt?“

Ronny lächelte abschätzig.

„Frau Kommissar! Ich kenne die Menschen. Aber ich kenne keine Killer.“

Er blickte Rebecca lange in die Augen.

„Ich sehe aber in Ihnen ein Geheimnis lauern, das Sie auffrisst.“

Er ging. Ohne sich noch einmal umzudrehen, streckte er seinen rechten Mittelfinger in die Höhe.

Bullenhitze

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