Читать книгу Rosengasse 17 - Volker Simon Haymann - Страница 7
ОглавлениеMontag, 4. März 17.00 Uhr
Gegen 17 Uhr hält ein dunkelroter Golf vor dem Hauseingang in der Rosengasse 17. Die Beifahrertür öffnet sich, ein gut aussehender Mann entsteigt flink dem Fahrzeug und begibt sich rasch zur Heckklappe des Wagens. Offenbar vom Fahrer gesteuert, surrt die Heckklappe hoch, und Adrian Moslechner entnimmt eine Kiste Bier. Danach schließt die Klappe, das Fahrzeug entfernt sich, und Adrian Moslechner trägt die Bierkiste durch den Hauseingang und stellt sich und die Kiste vor den Fahrstuhl.
Normalerweise benutzt Adrian nicht den Aufzug. Die sechzehn Stufen zu seiner Wohnung im ersten Stock bewältigt der junge Mann locker schnellen Schrittes. Heute aber hatte er einen sehr harten Arbeitstag in der Schreinerei und ist zudem mit einer Bierkiste beschwert.
Über der Tür des Aufzuges leuchtet die Zwei. Adrian drückt den Knopf, um den Lift ins Erdgeschoss zu schicken. Ein leises Surren ist zu vernehmen. Wenige Augenblicke später öffnet sich die zweigeteilte Schiebetür. Eine Hälfte verschwindet in der rechten, die andere in der linken Wand. Adrian verschlägt es den Atem! Der Blick in den Aufzug lässt ihn erschauern. So etwas hat er noch nie gesehen. Auf dem Boden sitzt, mit dem Rücken an die Fahrstuhlwand gelehnt, Xaver Armbruster. Seine hellblauen Augen sind halb geöffnet. Ebenso der Mund. Xaver bietet beim ersten Hinsehen ein friedliches Bild. Wenn da nur nicht dieses riesengroße Kochmesser wäre, das in seinem Herzen steckt. Auf dem hellgrauen Pulli hat sich ein fast kreisrunder großer Blutfleck gebildet und bringt etwas Farbe in das ansonsten graue Erscheinungsbild. Auf dem Boden erkennt Adrian einen zerknüllten Regenponcho. Neben Xaver liegt Willi, sein Rollator. Aus der Seitentasche der Gehhilfe ragt eine Weinflasche heraus. Adrian gerät in eine Art Schockstarre. Aus dieser wird er urplötzlich gerissen, als die Lifttüren den Versuch unternehmen, sich aus der Wand zu schieben. Beherzt setzt Adrian einen Fuß dazwischen, greift gleichzeitig zu seinem Smartphone, wählt 1 1 2 und schaut wie ferngesteuert auf die Uhr seines Handys: 17.03 Uhr. Als er die Stimme einer Mitarbeiterin der Notrufzentrale vernimmt, meldet er vollkommen emotionslos:
„Guten Tag. Mein Name ist Adrian Moslechner. Ich stehe im Flur des Hauses in der Rosengasse 17. Bitte schicken Sie einen Notarzt. Vor mir liegt eine männliche Person, die offenbar erstochen wurde. Ich halte es für angebracht, dass auch die Polizei verständigt wird.“
„Ich werde alles veranlassen, bleiben Sie bitte dort, wo Sie jetzt sind.“
„In Ordnung.“
Dann schiebt Adrian die Bierkiste vor die linke Fahrstuhltür, um diese zu blockieren. Bereits acht Minuten später hört er Martinshörner. Ein Krankenwagen und der Notarztwagen halten fast zeitgleich vor dem Haus Rosengasse 17. Als Erster erscheint der Notarzt Dr. Julius Bremser, gefolgt von zwei Rettungssanitätern.
Dr. Bremser untersucht Xaver sehr sorgfältig. Währenddessen erscheinen Polizeimeister Thorsten Bertkau und Polizeiobermeister Friedel Rauscher. Der Notarzt schüttelt nur den Kopf:
„Wir sind leider zu spät. Der Gute benötigt keinen Krankenwagen mehr. Ihr könnt den großen schwarzen Kombi mit den hübschen weißen Gardinen bestellen.“
Polizeiobermeister Friedel Rauscher greift zu seinem Mobiltelefon.
„Ja hallo, Rauscher hier. Ich melde einen Leichenfund in der Rosengasse 17. Vermutlich Tötungsdelikt. Bitte schicken Sie das ganz große Orchester. Aber wirklich. Das ganz Große! Danke, Tschüss!“
Dann wendet er sich zu Adrian.
„Guten Tag, Polizeiobermeister Friedel Rauscher. Haben Sie den Toten gefunden?“
„Ja.“
„Wie ist Ihr Name bitte?“
„Adrian Moslechner. Ich wohne hier im ersten Stock.“
„Kennen Sie den Toten?“
„Ja, das ist der Hauseigentümer, Xaver Armbruster. Er wohnt oben im Dachgeschoss.“
„Er wohnte.“
„Ach ja, natürlich.“
„Ich vermute mal, das dort ist Ihre Bierkiste, richtig?“
„Richtig.“
„Dann erzählen Sie mal.“
„Ja, so fürchterlich viel zu erzählen gibt es da nicht. Normalerweise nehme ich nie den Lift. Aber, auch wegen der Bierkiste, wollte ich heute mal den Aufzug nehmen. Als ich hier ankam, stand der Lift im zweiten Stock. Ich habe ihn angefordert, und als sich die Türen öffneten, bot sich mir dieses grauenvolle Bild.“
„Haben Sie den Aufzug betreten oder irgendetwas berührt?“
„Nein, außer diesen Knopf, um den Aufzug nach unten zu holen.“
„Wollten Sie keine erste Hilfe leisten?“
„Welche Hilfe sollte das sein? Ein bewegungsloser Mensch mit einem Messer im Herzen! Ich habe sofort den Notarzt gerufen. Das erschien mir in dieser Situation das einzig Richtige.“
„Gibt es neben dieser Eingangstür auch eine andere Möglichkeit, das Haus zu betreten oder zu verlassen?“
„Nein.“
„Okay. Wir müssen erst einmal den Fundort absperren, bis die komplette Mannschaft bei uns eintrifft. Warten Sie bitte hier, fassen Sie nichts an und halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung.
„In Ordnung.“
„Ach ja Herr Moslechner. Eine Frage hätte ich noch. Hat Herr Armbruster Angehörige?“
„Er ist Witwer. Aber Herr Armbruster hat einen Sohn. Soweit ich weiß, wohnt der Sohn in München. Seine Adresse kenne ich allerdings nicht.“
„Danke!“
So nach und nach füllt sich das Treppenhaus. Die Damen und Herren der Spurensicherung in ihren weißen Overalls verleihen dem Ganzen eine fast gespenstische Atmosphäre.
Etwas abseits stehend, schaut Adrian dem für ihn völlig fremden Treiben fasziniert zu. Solche Szenen kannte er bisher nur aus dem Fernsehen. Zwei Herren in Zivil treten ins Treppenhaus und schauen höchst interessiert in den Aufzug.
Einer von ihnen wendet sich an einen der beiden Overallträger, die im Aufzug mit ihren Untersuchungen und Spurensicherungen beschäftigt sind.
„Hallo Manfred, bist du mal wieder im Ganzkörperkondom unterwegs? Ich hätte dich fast nicht erkannt.“
„Ach, schau an, unser Lord. Schön, dich mal wieder zu sehen.“
Bei dem als Lord titulierten Beamten handelt es sich um Kriminalrat Dr. Edelbert von Gutmanson. Der promovierte Jurist passt in keines der für Kriminalkommissare üblichen Klischees. Dr. Edelbert von Gutmanson stellt, wie man es so schön formuliert, etwas dar. Er sieht aus, wie sein Name dies vermuten lässt: edel! Seine schlanke, sportliche Figur, seine markanten Gesichtszüge und sein wundervolles, dickes, leicht gelocktes, im Ansatz bereits ergrautes Haar, das ihm fast bis zur Schulter reicht, verleihen ihm einen ausgesprochen aristokratischen und würdevollen Ausdruck. Den Spitznamen Lord, den er übrigens gerne vernimmt, verdankt er seiner, ja fast schon krankhaft anmutenden, ausgeprägten Anglophilie. Nur das, was von der Insel kommt, ist wirklich gut. Es versteht sich von selbst, dass seine Kleidungsstücke, Schuhe und Accessoires very british daherkommen. Zu diesem Zweck gönnt er sich gelegentlich einen Flug nach London. Dort lenkt er dann seine Schritte in die Jermyn-Street und lässt sich bei Turnbull & Asser Hemden schneidern. Schließlich werden ja auch die James-Bond-Darsteller von diesem Edelschneider ausgestattet. Ein Besuch bei Ede And Ravenscroft in der Chancery-Lane, deren Maßanzüge auch von den Mitgliedern des englischen Königshauses geschätzt werden, darf ebenso nicht fehlen wie die Anprobe bei John Lobb in der St. Jame´s Street, dessen Maßschuhe Kultstatus besitzen.
Heute trägt der Lord einen perfekt sitzenden dunkelgrauen Flanellanzug, den er sich bei Gieves And Hawkes in der legendären Savile Row No. 1 auf den Leib schneidern ließ. Das dunkelblaue Hemd von Turnbull & Asser sowie die damit harmonierenden dunkelblauen Schuhe von John Lobb runden das edle Erscheinungsbild eines Aristokraten ab.
Egal, wo und wann Dr. Edelbert von Gutmanson auftritt, sind ihm die bewundernden Blicke der Anwesenden sicher, insbesondere, wenn sie weiblichen Geschlechts sind. Der Kriminalrat bewegt sich auf der Sonnenseite des Lebens. Seine sehr wohlhabenden Eltern hinterließen ihm ein ansehnliches Vermögen. Im Grunde könnte der Lord die Früchte seiner Erbschaft genießen, ohne sich mit so nebensächlichen Dingen wie Arbeit belasten zu müssen. Seine Beamtenvergütung läuft bei ihm unter der Rubrik Taschengeld. Das Landesamt für Finanzen, das für die Zahlung seiner Bezüge zuständig ist, wird von ihm scherzhaft als Landestaschengeldkasse tituliert. Gleichwohl ist der Lord mit Leib und Seele bei der Sache und geht in seinem Beruf förmlich auf. Dabei kommt ihm die Tatsache, dass er ledig ist, natürlich sehr entgegen.
„So auf den ersten Blick haben wir es mit einem entzückenden Mord zu tun, oder liege ich da falsch, Manfred?“
„Nun, euer Lordschaft, vieles spricht dafür. Das Messer steckt mitten im Herzen und hat es vermutlich vollständig durchstochen. Der Notarzt erklärte, dass das Opfer wahrscheinlich sofort tot war. Also: Unglücksfälle sehen anders aus. Selbsttötung können wir auch ausschließen. Da muss schon jemand kräftig nachgeholfen haben. Ja, euer Lordschaft, da wurde dir wohl mal wieder ein schöner Mordfall serviert.“
„Sag doch bitte, Manfred: Mit wie vielen Leuten ist deine Truppe hier aufmarschiert?“
Manfred Sedlmeier, ein leitender Mitarbeiter der Spurensicherung, stieß fast zeitgleich mit Dr. Edelbert von Gutmanson zur örtlichen Kriminalpolizei. Beide sind befreundet und treffen sich hin und wieder auf ein Glas Bier. Im Gegensatz zu Gutmanson ist Sedlmeier allerdings verheiratet und hat zwei liebenswerte Töchter im Alter von sechs und acht Jahren.
„Wir sind zu fünft. Klaus und ich hier im Aufzug und drei weitere Leute untersuchen das Treppenhaus, damit die Bewohner es bald wieder benutzen können.“
„Okay, danke.“
Dann greift Dr. Edelbert von Gutmanson zu seinem Smartphone. „Hallo, Gutmanson hier. Ich brauche Verstärkung. Schickt mir bitte sofort zwei zusätzliche Personen von der Spurensicherung. Wir müssen so rasch wie möglich die Wohnung des Getöteten durchsuchen. Danke, bye.“
Dann wendet sich Gutmanson an seinen Kollegen Rufus Schollmeier.
„Rufus, schau doch bitte mal im Haus nach, wer von den Mietern anzutreffen ist, und stelle bitte die üblichen Fragen. Danke!“
Anschließend schreitet er zu dem abseits stehenden Adrian Moslechner.
„Guten Tag. Kriminalrat Gutmanson. Sie sind Herr Moslechner? Wie mein Kollege Friedel Rauscher mir sagte, haben Sie den armen Herrn Armbruster so aufgefunden. Nach Ihrer Aussage befand sich der Aufzug im zweiten Stock. Ist das zutreffend?“
„Genau, das habe ich ja auch schon dem Polizisten gesagt.“
„Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, als Sie auf den Aufzug gewartet haben? Haben Sie etwas Auffälliges gesehen oder gehört? Ist Ihnen jemand begegnet, als Sie in das Haus gingen? War irgendetwas anders als sonst?“
„Ein Freund hatte mich mit seinem Auto vor der Tür abgesetzt. Ich habe dann die Kiste Bier (er zeigt zum Aufzug) aus dem Kofferraum genommen und bin anschließend durch die offene Haustür zum Lift gegangen. Ich habe weder einen der Bewohner im Fenster gesehen noch irgendjemand auf dem Gehsteig oder hier im Flur bemerkt.“
„Sie wohnen hier im Haus. Kannten Sie Herrn Armbruster näher?“
„Seit sechs Jahren lebe ich in der Wohnung im ersten Stock. Ich bin Schreinermeister und hatte für Herrn Armbruster ein Weinregal für seinen Keller gefertigt. Zu dieser Zeit lebte ich in Scheidung und war auf der Suche nach einer Wohnung. Herr Armbruster hat mir damals die Wohnung angeboten, die wegen des Todes einer alleinstehenden Dame frei geworden war. Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen: So richtigen Kontakt mit ihm hatte ich nie. Wenn man sich im Flur traf, hat man sich gegrüßt. Das war´s aber auch schon.“
„Wissen Sie denn, ob der Tote zu den anderen Mitbewohnern näheren Kontakt oder tiefere Beziehungen hatte?“
„In diesem Haus wohnen, wie nennt man das so schön, sieben Parteien. Von denen geht jeder mehr oder weniger seinen eigenen Weg. Mir ist nicht bekannt, dass hier tiefere Beziehungen oder gar Freundschaften zwischen den Mietern untereinander bestehen. Aber das sollten Sie dann lieber die übrigen Mitbewohner fragen. Vielleicht ist ja etwas an mir vorbeigegangen.“
„Können Sie denn etwas über den Charakter oder die Umgangsformen von Herrn Armbruster sagen?“
„Nun ja, über die wenigen Kontakte, die ich mit ihm hatte, kann ich nur Positives erwähnen. Er war stets höflich und freundlich. Wenn in der Wohnung mal etwas zu reparieren war, hat er sich umgehend darum gekümmert und die entsprechenden Handwerker beauftragt. Aber wie gesagt: Xaver Armbruster hat nicht unbedingt die Nähe anderer gesucht. Soviel ich weiß, ging er regelmäßig rüber in die Krone. Vielleicht war er dort gesprächiger.“
„Herr Moslechner, vorerst einmal vielen Dank. Wir müssen Sie in den nächsten Tagen zu uns bitten, um Ihre Aussage zu unterzeichnen. Steht dem etwas entgegen?“
„Nein, Herr Kommissar. Meine Urlaubsplanungen liegen in weiter Ferne. Darf ich jetzt in meine Wohnung?“
Dr. Edelbert von Gutmanson ruft mit lauter Stimme ins Treppenhaus: „Wie weit seid ihr mit der Spurensicherung?“
„Das braucht etwas Zeit. In etwa einer Stunde können wir die erste Etage freigeben.“
„Sie hören es, Herr Moslechner.“
„Schon gut. Dann erledige ich in der Zwischenzeit ein paar Einkäufe in der Nachbarschaft.“
„Hallo, Lord, du benötigst Verstärkung?“
Die beiden angeforderten Kolleginnen von der Spurensicherung sind soeben eingetroffen.
„Hallo, meine bildhübschen Ladys, das ging aber rasch. Ihr seid die Schnellsten. Wenn andere noch gähnen, seid ihr schon am Schlafen. Wir müssen unbedingt die Wohnung des Getöteten untersuchen. Oben im Dachgeschoss. Name Armbruster.“
„Wie kommen wir dort hinein?“
„Gute Frage!“
Dann meldet sich Manfred Sedlmeier aus dem Lift zu Wort:
„Normalerweise benutzt man zum Öffnen einer Tür einen Schlüssel. Oder ist das heutzutage nicht mehr modern? In der Hosentasche des Toten habe ich zwei Schlüssel gefunden. Ich vermute mal, der eine passt zur Wohnungstür und der andere wird für den Keller sein. Die spurensicherungstechnischen Untersuchungen haben die Schlüssel schon hinter sich. Also fasst sie mit Handschuhen an und tütet sie anschließend ein.“
Dann fährt Sedlmeier fort:
„Wir sind hier ohnehin fast durch. Es fehlt nur noch die Punktewolke. Du wolltest sie ja unbedingt haben, nicht wahr, Lord?“
„Ja, ich bestehe darauf.“
Die Punktewolke ist ein Begriff aus der Kriminaltechnik. Die Spurensicherung macht mittels eines laserstrahlunterstützten Scanners eine 3-D-Aufnahme des Tatortes. In exakt einer Minute und einundvierzig Sekunden erzeugt dieser Scanner eine sogenannte Punktewolke. Mit dieser Aufnahme wird der Tatort quasi konserviert. Somit wird der Tatort mit allen Details, seien sie auch noch so winzig, erfasst und kann später im Rahmen der weiteren Ermittlungen immer wieder eingesehen werden. Aufgrund der dreidimensionalen Aufnahmen können die Ermittler die Lage und die Begebenheiten am Tatort bei Bedarf rekonstruieren. Sie können sich sogar im Tatort bewegen und unter verschiedenen Perspektiven wählen.
Während Sedlmeier den Scanner in Position bringt, erscheint Polizeimeister Thorsten Bertkau.
„Lord, vor der Eingangstür wartet eine junge Frau. Sie behauptet, sie wohne hier und möchte in ihre Wohnung.“
„Danke Thorsten, ich komme sofort.“
Gutmanson verlässt den Flur und tritt auf den Gehsteig vor die Haustür. Vor ihm steht eine atemberaubend attraktive junge Frau. Ihr hautenger, schwarzer Gymnastikanzug steht in einem aufregenden farblichen Kontrast zu ihren hennaroten, kurzen Locken. Ihre beeindruckenden femininen Konturen werden durch die Enge des Anzuges wirkungsvoll in Szene gesetzt.
„Guten Tag, Kriminalrat Gutmanson. Sie möchten in Ihre Wohnung? Wie ist denn Ihr Name bitte?“
„Jennifer Habestolz, ich wohne im Dachgeschoss. Was ist denn passiert?“
„Ja, liebe Frau Habestolz. In Ihre Wohnung dürfen wir Sie im Moment nicht hineinlassen. Es gab da einen bedauerlichen, unangenehmen Vorfall.“
„Bedauerlicher, unangenehmer Vorfall? Wie soll ich das verstehen?“
„Nun ja. Ihr Vermieter, Xaver Armbruster, wurde tot im Aufzug aufgefunden.“
„Ist das wirklich wahr?“
„Leider ja!“
„Nein, nein, nein!“
Jennifer Habestolz hält ihre Hände vors Gesicht und weint jämmerlich.
„Was ist denn geschehen? Ich habe ihn doch heute Mittag noch gesehen, da war er putzmunter.“
„Wann war das denn?“
„Das muss so kurz nach zwei gewesen sein. Ich hatte um 14.30 Uhr einen Termin im Nagelstudio.“
„Und wo sahen Sie Herrn Armbruster?“
„Hier, wo wir jetzt stehen. Er kam von seiner Mahlzeit in der Krone und erzählte mir, dass die Leberknödel, die er heute gegessen hat, die besten weit und breit seien.“
Dann beginnt sie wieder fürchterlich zu schluchzen.
„Aber, was ist denn passiert? Warum ist er nun tot?“
„Tja, meine liebe Frau Habestolz. Es hat den Anschein, dass der gute Herr Armbruster getötet wurde.“
„Getötet? Wer sollte denn so etwas tun? Der Mensch hat doch niemandem etwas zuleide getan.“
Und wieder bricht sie in Tränen aus.
„Ich stelle fest, dass Ihnen der Tod von Xaver Armbruster sehr zu Herzen geht. Hatten Sie näheren Kontakt zu dem Toten?“
„Näheren Kontakt? Ich wohne im Dachgeschoss unmittelbar neben ihm. Da trifft man sich schon mal und unterhält sich.“
„Andere Mitbewohner stuften den Toten eher als kontaktscheu ein. Von Ihnen hört sich das Ganze aber jetzt etwas anders an.“
„Was andere von ihm denken oder über ihn sagen, vermag ich nicht zu beurteilen. Mir gegenüber war er stets ein freundlicher älterer Herr mit guten Manieren, der immer für einen kurzen Plausch zu haben war.“
„Nun, dann halte ich das einfach mal so fest. Aber etwas anderes: Kennen Sie den Sohn des Herrn Armbruster oder wissen Sie gar, wo der wohnt?“
„Ja, Gottlieb heißt er. Er besucht seinen Vater gelegentlich. Als ich ihm einmal gemeinsam mit seinem Vater oben auf dem Flur begegnet bin, hat Xaver Armbruster ihn mir vorgestellt. Dieser Gottlieb wohnt in München. Die genaue Anschrift kann ich ihnen leider nicht nennen. Aber sein Geburtsdatum. Es ist der 17. März 1974.“
„Sie sind eine Frau, die sehr genau weiß, wie man erwachsene Männer zum Staunen bringen kann. Woher kennen Sie das Geburtsdatum eines Ihnen im Grunde fremden Menschen und behalten es im Gedächtnis?“
„Ganz einfach, es ist auch das Geburtsdatum meiner Mutter. Xaver Armbruster hatte es mir gegenüber einmal erwähnt.“
Gutmanson greift zum Smartphone. „Gutmanson hier, ich grüße dich. Ich benötige dringend die Anschrift eines Gottlieb Armbruster in München. Der Gute ist am 17. März 1974 geboren. Sobald du die Anschrift hast, rufst du mich bitte zurück. Danke schon mal!“
„Frau Habestolz. Sie gaben an, um 14.30 Uhr einen Termin im Nagelstudio gehabt zu haben. Ich vermute doch wohl zutreffend, dass diese Aktion nicht bis jetzt Ihre Zeit in Anspruch genommen hat. Wo waren Sie anschließend?
„Ist das jetzt ein Verhör?“
„Nein, kein Verhör, lediglich eine Befragung.“
„Ach so. Ich war, wie jeden Montag, im Fitness-Center in der Brandtner Straße. Der Kurs läuft immer von 15.30 Uhr bis 17 Uhr. Anschließend wird gelegentlich ein wenig in der Cafeteria geplaudert.“
„Ich nehme an, dass Ihre Anwesenheit von den übrigen Teilnehmern bezeugt werden kann.“
„Teilnehmerinnen.“
„Oh sorry. Natürlich. Wie genau nennt sich denn dieser Kurs?“
„Bauch, Beine, Po!“
„Aha. Offenkundig hat der Kurs bei Ihnen äußerst erfolgreich angeschlagen. Oh Verzeihung. Das war wohl etwas vorlaut.“
„Ja, das sehe ich auch so.“
„Werten Sie es bitte einfach nur als ein wohlgemeintes Kompliment eines ungeschickten Beamten.“
Jennifer Habestolz lächelt verlegen.
„Wie ist er denn gestorben?“
„Herr Moslechner fand ihn im Aufzug. Xaver Armbruster wurde, so hat es den Anschein, mit einem Messer erstochen.“
„Das ist ja schrecklich. Wer tut denn so etwas und warum?“
„Das herauszufinden ist unsere Aufgabe, liebe Frau Habestolz. Und Sie dürfen mir glauben, bis zum heutigen Tag ist es mir immer gelungen, die jeweiligen Täter dingfest zu machen.“
„Dann hoffe ich inständig, dass es Ihnen auch in diesem Fall gelingen wird.“
„Ist Ihnen bekannt, ob Herr Armbruster zu einem seiner Mieter näheren Kontakt pflegte oder es vielleicht zu Streitereien kam, was ja durchaus zwischen Vermieter und Mieter vorkommen kann?“
„Von irgendwelchen Kontakten weiß ich nichts. Ich denke aber auch, dass es für Herrn Armbruster keinen Anlass gab, mir davon zu berichten. Mietstreitigkeiten kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Xaver Armbruster war aus meiner Sicht der perfekte Vermieter. Sobald auch nur eine Kleinigkeit zu reparieren war, hat er dies unverzüglich erledigen lassen. Schauen Sie sich doch bitte um; hier ist alles sehr gepflegt und in einem tadellosen Zustand.“
Gutmansons Handy klingelt. „God Save The Queen, das ging aber flott. Dann schick doch bitte zwei Leute rüber nach München. Sie sollen ihm die Nachricht übermitteln und mal ganz unverbindlich auf den Busch klopfen. Danke!“
„Ja, Frau Habestolz. Vielen Dank für das Gespräch. Wir müssten Sie in den nächsten Tagen zu uns bitten, um Ihre Aussage zu protokollieren. Könnten Sie das einrichten?“
„Kein Problem.“
„Ach eines noch: Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, selbst wenn es aus Ihrer Sicht unbedeutend erscheint, rufen Sie mich bitte an. Ich gebe Ihnen mein Kärtchen. Ich bin rund um die Uhr für Sie erreichbar. Leider dürfen Sie jetzt nicht in Ihre Wohnung. Ich schätze mal, das wird noch eine halbe Stunde dauern. Passt das?“
„In Ordnung. Passt schon!“
Danach begibt Gutmanson sich zum Aufzug, wo Manfred Sedlmeier bereits auf ihn wartet.
„So, euer Lordschaft. Der Tatort ist archiviert. Der gute Xaver darf jetzt in die Gerichtsmedizin. Die Kollegen sind schon informiert und im Anmarsch. Die Kiste Bier kann nun ihrem durstigen Besitzer übergeben werden. Der Aufzug wird versiegelt. Sobald der Tatortreiniger durch ist, kann der Lift wieder benutzt werden. Das Treppenhaus ist übrigens auch frei. Die Kollegen haben sich neben der Wohnung des Getöteten auch dessen Keller vorgenommen.“
„Sag mal, Manfred. In der Seitentasche des Rollators steckt doch eine Weinflasche. Ist die voll oder leer?“
„Die Flasche ist voll. Moment, ich hab´s notiert: Bernkastler Doctor Riesling Spätlese 2008. Mir sagt das nichts.“
„God Save The Queen! Da wollte unser Xaver es aber heute Abend mal ordentlich krachen lassen. Für diese Flasche musst du mindestens fünfzig Euro auf den Tisch legen. Darunter ist der edle Rebensaft nicht zu haben. Der Doctor ist eine der bekanntesten Rieslinglagen an der Mosel. Herr Moslechner sagte doch aus, dass der Aufzug im zweiten Stock, also auf Xavers Etage, stand. Angesichts der vollen Flasche, die er bei sich führt, ist doch zu vermuten, dass er sie aus seinem Keller geholt hat und anschließend wieder hoch zu seiner Wohnung wollte. Dort oben wurde er dann wahrscheinlich von einer Person empfangen, deren Identität leider im Dunkeln liegt.“
„Könnte so abgelaufen sein.“
Gutmanson fährt fort: „Könnte so abgelaufen sein. Ja. Wenn da nicht dieser Regenponcho wäre. Für den Keller hat der Getötete den wohl nicht benötigt. Und draußen hat es seit etwa 15 Uhr nicht mehr geregnet. Das ist schon eigenartig. Muss es denn unbedingt der Poncho des Toten sein? Vielleicht wurde das Teil vom Täter zurückgelassen.“
„Das schließe ich nahezu aus“, kommt es von Sedlmeier.
„Am Saum des Ponchos klebt ein Namensschild: Xaver Armbruster.“
„Dann bleibt mir die Sache vorerst ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Schau dir bitte seine Pantoffeln oder meinetwegen auch Hausschuhe an. Mit diesen Dingern geht niemand auf die Straße. Dieser Regenponcho ergibt einfach keinen Sinn! Aber eine ganz andere Frage: Trug der Getötete eine Brieftasche oder ein Portemonnaie bei sich?“
„Fehlanzeige. Weder in einer der Hosentaschen noch in der Seitentasche des Rollators bin ich fündig geworden. Wahrscheinlich liegt das Teil noch in der Wohnung. Um in den Keller zu gehen, benötigte er so etwas wohl auch nicht.“
„Genau, mein Junge. Das untermauert die These, dass er das Haus nicht verlassen wollte. Und dies wiederum führt uns zu diesem verflixten Regenponcho, dessen Anwesenheit, zumindest im Moment, nicht den geringsten Sinn ergibt.“
Während des Gesprächs erscheint Rufus Schollmeier, der die Befragung der Mitbewohner abgeschlossen hat.
„Und Rufus, was kannst du mir Sensationelles berichten?“
Schollmeier erklärt, während er auf seinen Notizblock schaut: „Wie man´s nimmt Lord. Hier unten links wohnt ein gewisser Wotan Böseknecht.“
„Eigenartiger Name.“
„Ja, fast so eigenartig wie Dr. Edelbert von Gutmanson.“
Gutmanson lacht.
„Es kommt noch besser. Herr Böseknecht ist pensionierter Finanzbeamter. Ein drahtiger Bursche, der nach seinen Angaben kaum Kontakt zu Armbruster unterhielt. Von ihm erfuhr ich allerdings, dass der Getötete früher als Steuerberater in einer großen Münchener Kanzlei tätig war. Nach Aussage von Böseknecht hatten die beiden aber zu ihrer aktiven Zeit niemals miteinander zu tun oder waren sich irgendwie in die Quere gekommen. Wotan Böseknecht hat nichts gehört oder gesehen. Er gab an, ein Konzert der Berliner Philharmoniker im Fernsehen über seinen Kopfhörer verfolgt zu haben. Als er die Tür öffnete, trug er den Hörer noch auf dem Kopf.“
„Und wie konnte er die Türglocke wahrnehmen, als du klingeltest?“
„Ulkig, er hat eine rote Lampe über dem Fernseher installiert, die ihm Besucher ankündigt. Ein bisschen eigenartig ist der Bursche allerdings schon.“
„Woraus schließt du das?“
„Als ich ihn bat, eine Weile das Treppenhaus nicht zu betreten, faselte er etwas von Freiheitsberaubung.“
Gutmanson wirft mit einem verschmitzten Lächeln ein: „Freiheitsberaubung? Dieses Wort aus dem Mund eines Finanzbeamten? Ich fasse es nicht. Diese Blutsauger vom Finanzamt rauben mir die Freiheit, mit meinem Geld zu tun oder zu lassen, was ich will.“
Schollmeier: „Ja Lord, aus diesem Blickwinkel habe ich das bisher gar nicht betrachtet. Aber weiter. Hier im Erdgeschoss zur Rechten wohnt Frau Veronika Moshirmer. Eine nette, für ihr Alter ausgesprochen attraktive Dame.“
„Wie alt ist denn die Nette?“
„Moment, ich schau nach. 72 Jahre.“
Gutmanson: „Ja, wie sagte mein Vater, Gott hab ihn selig, doch immer so zutreffend: Man kann auch in einer alten Kapelle schön beten. Sorry, ich habe dich unterbrochen. Fahre bitte fort.“
„Halte dich fest Lord! Veronika Moshirmer hatte heute Abend eine Verabredung mit Xaver Armbruster in dessen Wohnung.“
„Entzückend. Um wie viel Uhr sollte denn die Betstunde sein?“
„Er hatte sie für 19 Uhr auf ein Gläschen Wein eingeladen.“
„Tat er das öfters? Bestand zwischen den beiden eine Beziehung?“
„Frau Moshirmer sagte aus, dass sie weder mit dem Getöteten noch mit anderen Personen in diesem Haus näheren Kontakt habe. Sie selbst sei äußerst überrascht gewesen, als sie die Einladung erhielt. Nach ihrer Auskunft wäre das, falls es dazu gekommen wäre, das allererste Mal überhaupt gewesen, dass sie Armbrusters Wohnung betreten hätte. Sie konnte sich die Einladung einfach nicht erklären. Sie bezeichnet Herrn Armbruster als freundlichen älteren Herrn, mit dem sie nur gelegentlich im Vorbeigehen ein paar unverbindliche Worte gewechselt hat.“
Gutmanson: „Tja, dann nehmen wir das vorerst mal einfach so zur Kenntnis.“
„Im ersten Stock wohnt dann dieser Adrian Moslechner, den du ja bereits befragt hast. Daneben lebt das Ehepaar Schmoller. Zwei junge Leute, die sich heute Nachmittag freigenommen haben, um das Kinderzimmer anzustreichen. Als ich eintraf, waren sie total überrascht. Das Radio lief laut und sie waren fleißig bei ihrer Arbeit. Von dem ganzen Fackelzug, der hier um sie herum vollführt wurde, haben sie ihren Angaben zufolge nichts vernommen. Sebastian Schmoller ist von Beruf Physiotherapeut und seine hochschwangere Frau Miriam ist Arzthelferin.“
„Wie alt sind denn die jungen Leute?“
„Er ist 28 Jahre alt und sie 26. Ja, und oben im Dachgeschoss neben Xaver Armbruster und demnach gegenüber von Frau Habestolz wohnt ein Tobias Kerner, alleinstehend. Ich habe ihn allerdings nicht angetroffen.“
„Danke, Rufus. Dann wollen wir uns mal in der Wohnung unseres Opfers umschauen.“
In diesem Augenblick betreten die Mitarbeiter der Gerichtsmedizin den Flur und packen den guten Xaver in den bekannten Zinksarg. Kurz danach erscheint ein äußerst korpulenter, ja man kann schon sagen, fetter Mann, im Flur. Gutmanson tritt zu ihm.
„Guten Tag. Kriminalrat Gutmanson, das ist mein Kollege Rufus Schollmeier, wer sind Sie bitte?“
„Mein Gott, ich habe schon gehört. Der arme Xaver Armbruster ist nicht mehr. Ach, Entschuldigung. Ich bin der Nachbar von Herrn Armbruster, Tobias Kerner. Heute Mittag habe ich ihn noch getroffen.“
„Herr Kerner, wo trafen Sie Herrn Armbruster?“
„Heute Mittag, so gegen 12.30 Uhr oben vor dem Fahrstuhl. Wir haben gemeinsam den Lift nach unten genommen.“
„Haben Sie sich mit Herrn Armbruster unterhalten?“
„Nun, Unterhaltung würde ich das jetzt nicht nennen.“
„Sondern?“
„Ja eben einfach nur guten Tag und auf Wiedersehen.“
„Ist Ihnen etwas aufgefallen oder war etwas anders als sonst?“
Nichts Besonderes, es sei denn, Sie bezeichnen einen Regenponcho als etwas Besonderes.“
„Herr Armbruster trug einen Regenponcho?“
„Ja, es hat geregnet und ich vermute, er wollte trockenen Fußes rüber zur Krone.“
„Herr Kerner, was machen Sie beruflich?“
„Ich betreibe ein Homeoffice und bin als Lektor für verschiedene Verlage tätig. Daneben mache ich gelegentlich Übersetzungen mit Schwerpunkt Wirtschaftsenglisch.“
„Interessant. Aber heute Nachmittag waren Sie offenkundig nicht in Ihrem Homeoffice.“
„Nein. Montags fahre ich regelmäßig ins Verlagshaus nach München und beteilige mich an der Redaktionskonferenz. So auch heute.“
„Sie haben also um 12.30 Uhr dieses Haus verlassen und es seitdem nicht mehr betreten?“
„Richtig. Ich bin gegen 18 Uhr aus München zurückgekehrt und habe dann in der Krone eine Kleinigkeit gegessen. Dort habe ich auch von den hiesigen Vorkommnissen erfahren.“
„Wann endete denn Ihre Tätigkeit im Verlag?“
Kurz nach 17 Uhr. Danach habe ich die S-Bahn nach hier genommen und bin rüber zur Krone gegangen.“
„Für die Teilnahme an der Konferenz gibt es sicher Zeugen, oder liege ich da falsch?“
„Na klar, wenn Sie möchten, kann ich Ihnen eine entsprechende Liste erstellen.“
„Danke, das ist nicht nötig. Wir werden uns an Ort und Stelle umhören.“
„Das können Sie gerne tun, Herr Kommissar. Hier haben Sie meine Visitenkarte und die des Verlages.“
„Ja, das ist ja mal ein Service. Verbindlichen Dank, Herr Kerner. Dann bekommen Sie von mir im Gegenzug auch ein Kärtchen. Für den Fall, dass Ihnen später etwas einfallen sollte, können Sie mich jederzeit erreichen. Ach, noch eine Frage: Leben Sie allein?“
„Ja Herr Kommissar.“
„Schönen Abend , Herr Kerner.“
„Ihnen auch, meine Herren.“
„So Rufus, nun wollen wir mal der Wohnung unseres Weinliebhabers einen Besuch abstatten“
Die Wohnungseingangstür steht halb offen. Die beiden Beamtinnen der Spurensicherung, Sybille Gutmann und Caroline Fleischer, sind emsig mit ihren Untersuchungen beschäftigt.
„Schau doch Rufus, selbst in diesen Ganzkörperkondomen sehen die Mädels entzückend aus. Sie können einfach alles tragen. Ihr beiden werdet von Tag zu Tag hübscher und seht heute schon aus wie nächste Woche. Guten Abend, meine Damen!“
„Hallo Lord. Du bist nicht nur ein hervorragender Kriminalist, sondern auch ein exzellenter Frauenversteher. Hast du den Täter schon gefasst?“, lacht Caroline.
„Leider nicht, meine bezaubernde Ermittlerin. Das braucht so seine Zeit. Wie sagt doch der Engländer so schön: Rome Wasn´t Built In A Day oder wie man hierzulande sich ausdrückt: Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Da fällt mir ein: Habt ihr die Geldbörse oder Brieftasche des Getöteten hier aufgefunden?“
„Ja“, kommt es von Sybille. „Die haben wir im Sakko an der Garderobe entdeckt. Wir haben sie zu den Asservaten gelegt.“
„Danke, meine Hübsche!“
Sybille: „Übrigens; Kompliment an die Putzfrau des Opfers. Hier ist alles blitzblank gewienert. Kein Stäubchen! Das ist absolut ungewöhnlich für einen Junggesellenhaushalt.“
„Einspruch, meine Liebe. Ich schlängele mich ja bekanntermaßen auch als Junggeselle durch mein Leben. Du solltest dir mal meine Wohnung ansehen. Ich versichere dir, du würdest aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.“
„Soll das etwa eine Einladung sein, Lord? Darf ich zu der Wohnungsbesichtigung auch meinen Freund mitbringen?“
„Sorry, ich bedauere, meine anmutige Kollegin. Zu meiner Wohnung haben ausschließlich attraktive Damen ohne Herrenbegleitung Zugang.“
„Tja Lord, dann wird das wohl nix.“
Die beiden Ermittler durchschreiten die Wohnung des Xaver Armbruster und sind sichtlich erstaunt über die aus ihrer Sicht geschmackvolle Einrichtung. Bei einem Menschen dieses Alters würde man eher eine Möblierung im Gelsenkirchener Barock, sprich Eiche rustikal, erwarten. Nicht so hier. Eine hochmoderne Einbauküche, in einem betongrauen Farbton gehalten und mit Küchengeräten der neuesten Generation ausgestattet, lassen die beiden ebenso staunen wie das extravagante Wohnzimmer. Der helle, fast weiße Teppichboden bietet einen fantastischen Kontrast zu den dunkelblauen Ledersitzmöbeln und der im gleichen Farbton lackierten Schrankwand.
Im Schlafzimmer fällt ihr Blick auf ein unberührtes, großes Boxspringbett. Der bis zur Decke reichende Kleiderschrank ist nach der fachmännischen Einschätzung des Lords allerdings ungewöhnlich klein geraten.
Als sie die Tür des Badezimmers öffnen, springt ihnen sofort eine riesige Rundbadewanne in die Augen, die in der Mitte des Raumes zum Entspannungsbad einlädt. Den Lippen des Lords entfährt ein leichter Pfeifton:
„God Save The Queen, das wäre etwas nach meinem Geschmack. Alle Achtung; der Getötete war offenkundig ein Genießer. Vielleicht wollte er heute Abend den Bernkastler Doctor gemeinsam mit unserer Lady aus dem Erdgeschoss in diesem Wohlfühl-Ambiente genießen?“
Rufus lacht: „Da lässt du dich vermutlich von deinen eigenen Angewohnheiten inspirieren, Lord. Wenn ich die Aussage der Dame richtig in Erinnerung habe, schließe ich ein solch delikates Badevergnügen unter zwei nicht mehr ganz so jungen Mitbürgern nahezu aus.“
„Vermutlich liegst du mit deiner Meinung richtig, Rufus. Dann wollen wir uns mal weiter umsehen. Aber unsere Damen haben völlig recht. Es ist schon erstaunlich, wie peinlich sauber und gepflegt hier alles erscheint. Die Putzfrau versteht jedenfalls ihr Handwerk.“
Als der Lord und Rufus das Arbeitszimmer betreten, haben die beiden Ermittlerinnen bereits alle relevanten Gegenstände in Kisten zum Abtransport verpackt.
„Tja Rufus, an einem solchen Schreibtisch lässt sich arbeiten. Schau mal an. Das Teil ist elektrisch in der Höhe verstellbar.“
„Ja, Lord. So wie ich das hier auf den ersten Blick beurteilen kann, macht das ganze Ensemble einen höchst professionellen Eindruck.“
„Das sehe ich auch so.“
Dann wendet sich der Lord den Damen zu:
„Tja, meine Lieben. Dann macht mal schön weiter. Wie lange werdet ihr hier beschäftigt sein?“
Sybille: „Nicht mehr lange. Vielleicht noch eine halbe Stunde, Lord.“
„Nun denn; schönen Abend euch beiden.“
„Von mir auch“, lächelt Rufus.
„Schönen Abend euch beiden“, kommt es fast zeitgleich aus den bezaubernden Mündern von Sybille und Caroline.