Читать книгу Nebelmond ... unter fernen Sonnen - W. Berner - Страница 3

1. Eine schicksalhafte Begegnung

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Der hochgewachsene schlanke Mann stand nachdenklich vor den riesigen Fenstern seines Schlafzimmers und blickte hinaus in die Nacht über New York. Tausende und Abertausende von Lichtern in allen nur denkbaren Farben blinkten dort, täuschten einen falschen Tag vor, lockten mit Hundert wahren und unwahren Versprechen. Der Blick seiner Stahlblauen Augen wanderte über die nächtliche Skyline. Noch immer vermisste er die markante Doppelsilhouette der Zwillingstürme des am 09.11.2001 von Terroristen zerstörten World Trade Centers. Das langsam dort hoch wachsende One-World-Center besaß für ihn nicht das Flair, welches die ursprünglichen Gebäude an diesem Platz verströmt hatten. Sicher, die neuen Gebäude waren eleganter, futuristischer. Doch für seinen Geschmack war viel zu viel Zeit vergangen, bis man endlich damit begann, diese schwärende Wunde im Antlitz des Big Apple zu beseitigen. Hätte man ihn damit beauftragt, dort, am Ground Zero, ein neues Gebäude, Fanal für den unbeugsamen Freiheitswillen der Amerikaner, zu errichten, THAR Buildings Inc. hätte diese Aufgabe innerhalb kürzester Zeit erledigt, und New York damit ein neues Wahrzeichen gehabt. Etwas Spektakuläres! Doch letztendlich setzte die Politik auf weniger Effekte und verwarf die Pläne seiner Architekten.

Der blonde Mann seufzte. Damals, in jenem September des Jahres 2001, da schwappte eine Welle des „Wir“-Gefühls, des Miteinanders, der Solidarität nicht nur über die Bürger New Yorks hinweg. Für kurze Zeit konnte man glauben, die Menschen des Westens seien einander näher gerückt, eine neue Ära angebrochen. Doch die damalige amerikanische Regierung hatte es geschafft, die Menschen weiter auseinander zu bringen, als es jeder Terrorist vermocht hatte. Und jetzt, fast neun Jahre später, war eigentlich alles wieder so, wie es immer gewesen war, hier an den Ufern des Hudson Rivers, den Inseln wie Manhattan oder Staten Island, und am atlantischen Ozean.

Die Gesellschaft spaltete sich auf brutale Weise in die, die etwas besaßen, und die, die nichts hatten. Republikaner prallten unversöhnlich auf Demokraten und führten das Land mehrmals an den Rand der Unregierbarkeit und des Bankrotts.

War dies der Grund, warum es Zeiten gab, in denen der Mann in dem dunklen Zimmer die so genannte feine Gesellschaft nur schwer ertrug? Mit Sicherheit, wenn auch nur einer unter vielen.

Auf sein Gesicht fiel nur der schwache Lichtschimmer, der aus den Straßenschluchten des Big Apple zu seinem Penthouse im 110. Stockwerk des Harris-Buildings empor drang.

Nachdenklichkeit spiegelte sich in seine ebenmäßigen, schönen, wie aus Marmor gemeißelten Gesichtszügen, und einige tiefe Falten waren auf der Stirn erschienen, die sonst makellos glatt und rein zu sein schien. Überhaupt wirkte die ganze Erscheinung des Mannes sportlich durchtrainiert und athletisch.

Er hielt seine Arme vor der Brust verschränkt. Dass er dabei die Blüten der zart rosafarbenen Orchidee, die in der linken Brusttasche seines dunkel-violetten, tadellos geschnittenen Designer-Anzuges steckten, zerdrückte, schien ihn nicht im geringsten zu stören.

New York!

Stadtgigant und Menschen verschlingender Moloch!

Wie konnte man sich in einer derart hektischen und aufgewühlten Umgebung bloß wohl fühlen? Er würde es nie verstehen und weiterhin jede Möglichkeit nutzen, den Straßenschluchten und Menschen dieser Stadt zu entfliehen.

Ein weiteres Seufzen entrang sich aus dem Mund des Mannes, und es schien, als wäre es aus den tiefsten Tiefen seiner Seele, dem Grunde all seiner Empfindungen, Sehnsüchte und Wünschen, empor gestiegen.

Leise öffnete sich die Tür des Schlafzimmers hinter ihm.

Der Mann bemerkte es zwar, machte jedoch keine Anstalten, sich umzudrehen und nachzuschauen.

Er schien es vorzuziehen, weiterhin hinaus in die Dunkelheit über New York City zu starren.

Warmer Lichtschein drang durch die nun geöffnete Tür in das dunkle Schlafzimmer herein. Ein Schatten tauchte in dem hell erleuchteten Rechteck auf.

„Mr. Harris, Sir?“

Die tiefe, wohl tönende Bassstimme, die zu dem Schattenumriss gehörte, besaß einen drängenden Unterton. Aber auch dieser Umstand schien nicht weiter dazu angetan, den Mann am Fenster zu stören.

„Mr. Harris, Sir!“

Der Tonfall der Stimme wurde noch eine Spur drängender.

Endlich regte sich die Gestalt am anderen Zimmerende.

„Ich höre ja ...“, erwiderte sie, unwillig und ein wenig mürrisch.

„Was wollen Sie, Herbert?“

„Mr. Harris, Sir, es ist Zeit zu gehen. Die Party … man wird schon auf Sie warten. Ihr Chauffeur steht bereit.“

Der Angesprochene drehte sich zu dem großen, breitschultrigen und massiv wirkenden Mann in der Türöffnung um.

„Und wenn ich nun absolut keine Lust habe, dort hinzugehen?“, rief er, mit einer deutlichen Spur von Aggressivität in seiner Stimme. „Sie wissen doch genau, wie sehr ich alle Arten von gesellschaftlichen Verpflichtungen hasse. Und ganz besonders hasse ich diese Upper-Class-Parties! Das sind doch nur Ansammlungen reicher Hohlköpfe, die belangloses Blabla von sich geben und sich dabei unheimlich gebildet und erhaben vorkommen!“

Der zuvor als ‚Herbert‘ angesprochene Mann stieß nun seinerseits ein verhaltenes Seufzen aus.

„Aber Mr. Harris“, meinte er kopfschüttelnd, „Diese Diskussion haben wir doch weiß Gott schon tausend Mal geführt. Als ihr Vater, Gott hab ihn selig, verschieden ist, hinterließ er Ihnen nicht nur ein stattliches Milliardenvermögen, Sie haben auch die Leitung der THAR Holding übernommen. Und damit eben auch ...“

„Auch die damit verbundenen, gesellschaftlichen Verpflichtungen“, fiel ihm Harris ins Wort. „Taylor M. Harris der Dritte, Industrietycoon und Partylöwe!“

Bitterkeit schwang in der Stimme von Harris mit.

„Ich kenne ja Ihre Einstellung zu diesen Dingen“, versuchte Herbert beruhigend auf seinen Chef einzuwirken. „Doch diese Party wird schließlich von einem Ihrer wichtigsten Geschäftspartner gegeben. THAR Industries macht jedes Jahr Milliardenumsätze mit den Firmen von Mr. Richardson. Und deswegen sollten Sie sich dort zumindest für kurze Zeit sehen lassen. Sonst sagt man Ihnen womöglich noch Desinteresse für Ihre Firma nach.“

Taylor M. Harris seufzte ein weiteres mal tief auf.

„In dem Fall höchstens Desinteresse für eine Firma. Es gibt ja noch THAR Buildings, TMH-Entertainment, THAR Logistics, THAR Developement and Research Foundation, THAR-Air, THAR Railways, THAR Financial, THAR Foods, und so weiter, und so fort!“

„In der Tat, Sir. Und mit diesen Firmen erwirtschaften Sie das Geld, welches Sie in jedem Jahr für unzählige karitativ tätige Vereine und Nothilfeeinrichtungen spenden.“

Taylor M. Harris III. hob in ergebener Geste seine beiden Hände.

„Schon gut, schon gut … Sie haben gewonnen!“, gab er sich geschlagen. „Da ist man nun ein schwer reicher Industriemanager, und dann muss man sich von seinem Butler sagen lassen, worauf es ankommt. Herbert – Sie sind ein Ungeheuer!“

„Ich weiß, Sir“, erwiderte der blonde Hüne mit einem feinen Lächeln auf seinen Lippen. „Ihr Herr Vater pflegte dergleichen des öfteren zu mir zu sagen.“

„Na gut, dann bringen Sie mir schon meinen Mantel. Ich werde gehen … wenn auch nur unter Protest!“, schimpfte Harris. Allerdings musste er selbst dabei schmunzeln.

„Und nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich gedenke, mich gnadenlos zu betrinken!“, fügte er dann noch mit grimmig entschlossener Miene hinzu.

„Viel Erfolg dabei, und viel Vergnügen für den Tag danach“, war des Butlers kurze und trockene Antwort auf die ‚drohende‘ Ankündigung seines Chefs.

Kurz darauf schloss sich die Tür des Penthouse hinter Harris. Aufatmend lehnte sich Herbert, der Butler, daneben gegen die Wand.

Das war wieder einmal geschafft!

Sein Boss und die Verpflichtungen der Gesellschaft – das war wie Feuer und Wasser. Kopfschüttelnd begab sich der Butler in die Küche, um einen kleinen Spätimbiss für seinen Chef vorzubereiten. Danach suchte er sein Zimmer auf. Er würde noch ein wenig Fernsehen, sich einen kühlen Drink genehmigen, um dann in aller Ruhe ins Bett zu gehen. Morgen wartete wieder ein langer Tag auf ihn, und er wusste aus Erfahrung, dass ein verkaterter Chef ein besonders anstrengender Chef zu sein pflegte.

Es kam, wie es Taylor M. Harris im Voraus befürchtet hatte. Die vielen Menschen, die Reichen und die Schönen auf der Party, bedrückten ihn. Er kannte zwar viele von Ihnen persönlich, doch wenn es sich nicht gerade um geschäftliche Dinge handelte, wollte er in der Regel nichts mit diesen Leute zu tun haben.

Die Oberflächlichkeit der Gäste und der überwiegend nichts sagende Partytalk ödeten Ihn Abgrundtief an.

So hielt er sich meist gelangweilt irgendwo Abseits und nippte ab und zu an seinem Drink, einem viel zu süßen und schlecht gemixten Mai Tai. Ein original Schottischer Whisky wäre ihm bedeutend lieber gewesen. Doch das konnte ihm hier nicht geboten werden. Aus irgendwelchen, kaum nachzuvollziehenden lokalpatriotischen Gründen gab es lediglich amerikanischen Bourbon. Damit konnte man Harris allerdings jagen!

Gelegentlich wechselte mit dem einen oder anderen Gast der Höflichkeit halber ein paar belanglose Worte, während er in Gedanken schon überlegte, wie lange er wohl noch bleiben müsste, um nicht unhöflich zu erscheinen.

„Man sieht dir an, dass du dich absolut Königlich amüsierst“, erklang da plötzlich eine warme und volltönende, weibliche Stimme hinter ihm. „Etwas mehr Selbstbeherrschung in der Öffentlichkeit, mein lieber Taylor. Deine Gesichtszüge drohen zu entgleisen!“

Taylor Harris wirbelte herum und sein Blick fiel auf die attraktive Erscheinung einer etwa 29-jährigen Frau. Feuerrotes, glänzendes Haar, das in dichten Locken bis auf die atemberaubenden, vom Schulterfreien Kleid nicht verborgenen Schultern fiel, umwallte ein fröhlich lachendes, sommersprossiges Gesicht, aus dem ihm zwei intensiv grüne Augen frech zuzwinkerten.

„Sheila ..!“ ,rief er auf das angenehmste überrascht aus.

Er breitete seine Arme aus, und die beiden umarmten sich zur Begrüßung.

„Sheila Armstrong – wo kommst du denn auf einmal her?“, erkundigte er sich dann bei seiner langjährigen Freundin, die er allerdings schon einige Wochen nicht mehr gesehen hatte.

„Ach du weißt ja, man sagt mir nach, dass ich das zweite Gesicht hätte“, erwiderte sie mit betont geheimnisvollem Unterton in ihrer Stimme.

„Hier dabei, oder zu Hause im Nachttisch?“, wollte Harris darauf frech grinsend von der unverkennbar Irisch stämmigen Frau wissen.

„Uff!“

Auch das kam von ihm. Diesmal war es eine Reaktion auf den Rippenstoß, den ihm die Rothaarige versetzt hatte.

„Schuft!“, rief sie lachend. „Aber gut, dann will ich dir mal reinen Wein einschenken“, fügte sie noch hinzu.

„Ein kleines Vöglein der Gattung Herbertinum Butlerius hat mir da was zugeflüstert. Nämlich, dass es einen Ort gäbe, an dem sich Jemand, den ich persönlich gut kenne, gar entsetzlich langweilt. Und sozial eingestellt, wie ich nun mal bin, eilte ich sogleich zu dessen Errettung herbei.“

„Der gute Herbert ...“, schmunzelte Harris.

„Ich glaube, ich sollte mal wieder sein Gehalt erhöhen.“

Etwas lauter und zu Sheila gewandt, sagte er dann:

„Damit scheint der heutige Abend ja doch noch gerettet zu sein. Hast du schon eine Idee, was wir damit anfangen?“

„Wir werden gepflegt Essen, Trinken und Tanzen gehen. Mike kennt ein tolles Restaurant. Er wartet übrigens unter vor dem Haus auf uns.“

Nun ging erneut ein fröhliches Strahlen über Taylors Gesicht.

„Mike?“, fragte er freudig überrascht nach.

„Mike Iron? Mein guter, alter Mike? Er ist auch hier? Das ist ja sagenhaft! Unsere Superclique wäre dann ja wieder einmal komplett. Das wird ja wirklich noch ein wundervoller Abend.“

Taylor M. Harris war wirklich begeistert. Mike Iron und er waren mehr als gute Freunde. Einige Jahre lang waren sie sogar Lebenspartner gewesen. Mike kam allerdings nicht gut damit zurecht, der Mann an der Seite eines Multimilliardärs zu sein. Das Leben im Focus der Öffentlichkeit hatte ihm gar nicht behagt und sehr zugesetzt. So trennten sich die Wege von ihm und Harris wieder. Doch trotz all dem verband sie nach wie vor eine innige Freundschaft. Mikes Beruf als Bodyguard brachte es allerdings mit sich, dass sich die Beiden oft Monate nicht sahen. Um so mehr freute es ihn, dass er jetzt unten vor dem Gebäude auf ihn und ihre gemeinsame Freundin wartete.

Taylor hakte sich bei Sheila ein. Anschließend schlenderten beide unauffällig in Richtung des Ausgangs. Nachdem sie sich noch einmal davon überzeugt hatten, dass niemand sie beachtete, schlüpften sie rasch durch die Tür hinaus und strebten den Aufzügen zu. In dem Trubel würde es vermutlich gar nicht auffallen, dass der Milliardär sich schon von der Party verabschiedet hatte.

Harris Mantel hing zwar noch in der Garderobe, aber es war zum einen nicht kalt draußen, und zum anderen würde er am nächsten Morgen einen seiner vielen Angestellten vorbeischicken können, um ihn abzuholen zu lassen.

Unten vor dem Haus trafen die zwei auf Mike Iron, der schon ungeduldig auf sie wartete.

Mike, dem man seinen Beruf eines Bodyguards ansah, groß, bullig und breitschultrig, wie er war, begrüßte Taylors sehr herzlich und mit einer ausgiebigen Umarmung.

„Es ist wirklich schön, dass du auch dabei bist, Mike!“, rief Taylor über das ganze Gesicht strahlend aus. „Wir haben uns ja schon Monate nicht mehr gesehen!“

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Taylor“, erwiderte der attraktiv aussehende Mann und grinste den Freund aus seinem schwarzen Vollbart heraus an.

„Es ist wirklich viel zu lange her, seit wir das letzte Mal ein wenig Zeit miteinander verbracht haben! Darum habe ich auch sofort 'Ja' gesagt, als die liebe Sheila mich anrief und mir vorschlug, dass wir dich von dieser langweiligen Party entführen. Zum Glück habe ich auch gerade Zeit, weil mein letztes Engagement gerade beendet war, und ich noch keinen neuen Job an Land gezogen habe.“

„Es freut mich wirklich wahnsinnig, Mike“, sagte Taylor zu seinem Freund.

„Wohin wollt ihr mich denn nun entführen?“, erkundigte er sich sodann. „Sheila hat da zwar schon so ein paar Andeutungen gemacht, aber die Katze noch nicht so richtig aus dem Sack gelassen.“

Taylor strich sich mit seiner linken Hand über die kurz geschnittenen, dunkelblonden Haare und blickte dabei seinen Freund erwartungsvoll an.

Dieser grinste geheimnisvoll, was durch seinen kurz getrimmten, gepflegten, schwarzen Vollbart besonders gut zur Geltung kam. Er deutete mit dem Daumen seiner rechten Hand nach hinten über die Schulter.

„Da hinten, nur ein paar Häuserblocks weiter, gibt es ein urig-gemütliches Lokal. Es heißt „The Smugglers Cave“, und ist absolut originell eingerichtet. So mit Schatztruhen, Fischernetzen, Wrackteilen. Die Räume selbst hat man wie richtige kleine Höhlen gestaltet. Das Essen dort ist einfach Spitze. Seafood par excellence! Zudem spielen die da immer recht gute Musik, und zwar mit verschiedenen Live-Bands. Nicht zu leise, aber auch nicht zu laut, so dass man sich beim reden anschreien müsste.“

Taylor nickte anerkennend.

„Von dem Lokal habe ich zwar noch nie etwas gehört, doch es hört sich ja wirklich gut an. Deine Schilderungen haben mich neugierig gemacht!“

Harris war tatsächlich sehr gespannt auf die Empfehlung seiner Freunde.

„Worauf warten wir dann noch?“ sagte Sheila auffordernd zu den beiden Männern. „Lasst uns endlich losgehen. Ich komme sowieso schon fast um vor Hunger, denn heute hatte ich noch nichts richtiges zum Essen gehabt. Nur einen kleinen Salat am Mittag.“

„Also, bevor du hier noch auf der Straße verhungerst, gehen wir lieber los“, meinte Harris lachend.

Er und Mike hakten sich links und rechts bei Sheila ein. Gut gelaunt, und sich dabei angeregt unterhaltend, marschierten die drei Freunde in Richtung von „The Smugglers Cave“ los.

Sie waren gerade einige Straßenzüge weit gekommen, als Sheila plötzlich wie angewurzelt stehen blieb

Mike, der gerade dabei war, die Speisekarte des anvisierten Lokals in den höchsten Tönen zu loben, und Taylor reagierten nicht sofort. So machten die beiden noch einen Schritt weiter und zogen so die gemeinsame Freundin ein Stückchen mit sich mit.

„He Sheila, was ist? Warum gehst du denn nicht weiter?“, rief Taylor ihr fragend zu.

„Pst!“

Die gezischte Aufforderung war die einzige Antwort, welche die beiden Männer von der schlanken Frau zu hören bekamen. Taylor und Mike blickten sich daraufhin erstaunt an.

„Was ist denn bloß auf einmal mit dir los?“

Mike warf ihr einen mehr als fragenden Blick zu. Taylor Harris musterte seine langjährige Freundin aufmerksam. Ihm entging nicht, dass sie in höchster Konzentration auf irgendetwas zu lauschen schien. Die drei New Yorker verharrten einige Momente in völliger Stille.

Schließlich zuckte Sheila mit ihren Schultern und ihr Gesichtsausdruck entspannte sich wieder.

„Nichts ...“, sagte sie dann nur lapidar.

„Was – Nichts?“ Der blonde Milliardär schüttelte nur verständnislos seinen Kopf. „Könntest du dich nicht ein bisschen genauer ausdrücken, meine Gute?“

„Ich dachte, ich hätte jemanden um Hilfe rufen hören“, erwiderte die rothaarige Frau ernst. „Aber anscheinend habe ich mich getäuscht - es hat sich nicht wiederholt.“

„Also, wenn da nichts ist und war, dann könnten wir vielleicht langsam weiter gehen“, meinte Harris schließlich „So langsam knurrt mir nämlich auch der Magen! Auf der Party gab es nichts Gescheites zu essen. Nur so Schicki-Micki-Zeugs.“

Sheila und Mike nickten zustimmend, dann setzten sich alle Drei sich wieder in Richtung des Restaurants in Bewegung.

Sie waren noch keine vier Meter weit gegangen, als sie es dieses Mal alle hörten: In nicht all zu weiter Entfernung rief jemand in höchster Not um Hilfe!

„Das muss dort drüben aus der Seitenstraße gekommen sein!“, rief Taylor Harris alarmiert aus. Dabei zeigte er mit ausgestrecktem Arm auf eine dunkle Abzweigung auf der anderen Seite der breiten Hauptstraße.

„Los Leute, lasst uns sehen, was da vor sich geht!“, rief Mike den beiden Freunden zu, während er sich selbst schon in Bewegung setzte.

Die drei überquerten rasch die zu dieser Tageszeit wenig frequentierte Fahrbahn, um bald darauf in die schmale, nur spärlich beleuchtete Seitenstraße hinein zu laufen, die zu diversen Hintereingängen von den Häuserblocks rechts und links davon führte. Hier dominierten nicht die Lichter und der Glanz der Großstadt, dies war das Reich der Müllcontainer und Schmuddelecken. Es lagen große Mengen Unrat auf dem Boden verstreut herum, Papierreste, alte Kartons, leere Getränkedosen und Abfall. Hier und da schimmerte eine ölige Pfütze. Trübe Lampen über wenigen Hintereingängen von diversen Gebäuden spendeten kaum brauchbares Licht.

In einigen Metern Entfernung von den drei New Yorkern war ein wildes Gerangel in Gange. Zwei Männer in dunkler Lederkleidung standen vornüber gebeugt an einem der Hauseingänge. Beide schlugen mit nicht genau erkennbaren Gegenständen auf eine am Boden liegende Gestalt ein, bei der es sich um einen weiteren Mann zu handeln schien. Er lag dort in zusammen gekrümmter Haltung und gab ein schauerliches Wimmern und Jammern von sich.

„Aufhören! Sofort damit aufhören! Lasst den Mann in Ruhe!“

Zornig hallte Taylor Harris Aufschrei durch die schmale Seitenstraße.

Noch im Laufen griff sich der schlanke und durchtrainierte Geschäftsmann einen Holzprügel, der gegen eine Hauswand lehnte, und warf ihn Sheila zu.

Die beiden finsteren Schläger schreckten auf und wirbelten herum. Jetzt war zu erkennen, dass beide mit Baseballschlägern bewaffnet waren, die sie nun drohend gegen Taylor und Mike erhoben.

Mit einem Urschrei setzte Taylor Harris zu einem Kampfsprung an. Mit angewinkelten Armen und weit vorgestrecktem, rechten Bein schoss er auf einen der Angreifer zu. Mit voller Gewalt traf er das Handgelenk seines völlig überraschten Gegners.

Ein schmerzerfüllter Schrei hallte durch die Nacht und der Baseballschlägers des finsteren Typen wirbelte wie ein Propeller durch die Luft davon.

Harris, der wie eine Katze auf Finger- und Zehenspitzen gelandet war, rappelte sich sofort wieder auf, um das Überraschungsmoment weiter für sich auszunutzen.

Wieder einmal kam ihm zu Gute, das er sich durch verschiedene asiatische Kampfsportarten körperlich fit hielt und schon mehrere schwarze Gürtel errungen hatte.

Während er seinen Gegner heftig attackierte, hatte sich Mike Iron auf den zweiten Angreifer gestürzt. Durch seinen Beruf als Bodyguard war er ebenfalls ständig im Training und vor allem auch im Nahkampf trainiert. Er deckte den Gegner vor ihm mit einer Reihe von heftigen und gezielten Faustschlägen ein.

Allerdings setzte sich der bullige Typ, ein richtiger Schläger mit unsympathischem Narbengesicht, auch recht heftig zur Wehr.

„Mistkerl“, rief Mike keuchend, während er mit seinem Gegner rang. „Dir werde ich es zeigen. Alte Männer zusammenschlagen. Das machst du nicht noch mal!“

Er setzte zu einer neuen Reihe von starken und schnellen Schlägen an, die dem Angreifer förmlich die Luft aus seinen Lungen trieb.

Es gelang ihm den Baseballschläger aus den Händen des miesen Typen zu winden. In hohem Bogen warf Mike diesen hinter sich, verbesserte so seine Position. Dann bereitete er sich darauf vor, den Schläger vollends Schachmatt zu setzen.

Unterdessen kümmerte sich Sheila Armstrong um den am Boden liegenden Mann. Seine Verwundungen schienen ziemlich schwer zu sein. Er blutete aus vielen kleinen und größeren Platzwunden, aus seinem linken Ohr und auch aus seinem Mundwinkel rann ein dünner, roter Strom von dunkelrotem Blut hervor.

Sein Atem ging schwer. Ein Röcheln und Pfeifen begleitete es, was die junge Frau mit größter Besorgnis zur Kenntnis nahm. Sheila, die in ihrer Freizeit oft freiwilligen Sanitätsdienst bei verschiedenen Hilfsorganisationen verrichtete, hegte die schlimmsten Befürchtungen. Für den Alten sah es wirklich nicht gut aus, das war Sheila schon nach wenigen Augenblicken klar.

Sie musterte den Mann ihn besorgt, während sie ihm ihre Jacke unter den Kopf schob, und mit ihrem Taschentuch einige der blutenden Stellen an seinem Kopf und in seinem Gesicht vorsichtig abtupfte. Vom Aussehen her musste es sich um einen Asiaten handeln, vielleicht ein Chinese. Die gab es in New York ja in großer Anzahl. Der Mann war schon alt. Sheila schätzte, dass er mindestens um die 70 war, was die Tat der beiden Schläger in ihren Augen noch verwerflicher erscheinen lies.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie den Mann etwas hilflos. „Haben Sie Schmerzen?“

Sie musste über sich selbst den Kopf schütteln. „Meine Güte, was fasele ich denn da?“, murmelte sie leise vor sich hin. „Es wäre ein Wunder, wenn er keine Schmerzen hätte!“

Der alte Asiate wandte sich ihr zu und blickte sie aus weit aufgerissenen, trüben Augen an. Dann gab er einige kaum verständliche Worte von sich. Er tat dies in einer Sprache, die Sheila unbekannt war. Es gab lediglich einige wenige Wortfetzen, von denen sie meinte, sie verstanden zu haben.

Seine rechte Hand hob sich zitternd. Mit großer Kraftanstrengung nestelte er damit ein vergilbtes Stück Papier aus seiner zerrissenen und blutverschmierten Jacke hervor. Mit einem flehenden Ausdruck in seinen Augen überreichte er es an Sheila. Dazu stammelte er nochmals einige kaum verständliche Worte hervor. Sheila lauschte angestrengt und versuchte, das Gehörte auf alle Fälle im Gedächtnis zu behalten.

Plötzlich hustete der Mann heftig. Dann schüttelte es ihn in heftigen Krämpfen. Schließlich sank sein Kopf zurück und seiner Brust entrang sich noch ein letzter, tiefer Seufzer.

Die Pupillen des Alten wurden starr, der geschundene Körper sank kraftlos zur Seite.

Er war tot!

Erschüttert schloss Sheila für einen Moment ihre Augen.

Taylor und Mike, die es in der Zwischenzeit geschafft hatten, ihre Gegner zu überwältigen und zu handlichen Paketen zu verschnüren, waren neben Sie und den alten Mann getreten. Betroffen blickten sie auf das Bild, welches sich ihnen darbot.

„Zu spät ...“, murmelte Sheila leise vor sich hin.

Mit einer Hand schloss sie dann sanft die Augenlider des Toten. Einige Tränen drängten aus ihren Augenwinkeln hervor und liefen langsam, eine feuchte Spur hinterlassend, ihre Wangen hinab.

Langsam erhob sie sich wieder und blickte erst Mike, dann den Milliardär an. „Ach Taylor, warum gibt es immer nur diese sinnlose Gewalt auf der Welt?“

Trauer, Verzweiflung, aber auch hilflose Wut standen ihr ins Gesicht geschrieben.

Taylor nahm sie daraufhin sanft in seine Arme und streichelte ihr beruhigend über ihr weiches, duftendes Haar.

„Darauf kann ich dir auch keine Antwort geben, Sheila“, erwiderte er leise. „Vermutlich wird man nie eine Antwort darauf finden, warum Menschen so handeln können. Ob das jemals anders sein wird … man kann es nur hoffen. Doch über all die Jahrtausende, seit es unsere Rasse auf diesem Planeten gibt, scheinen wir nichts dazu gelernt zu haben. Intelligenz kommt wohl immer mit Dummheit im Duett daher!“

Er blickte ihr ins Gesicht und wischte dabei mit einer Hand ihre Tränen beiseite.

„Lass uns jetzt die Polizei verständigen, damit wir dies alles hier hinter uns bringen können. Wenn dann alles erledigt ist, gehen wir zu mir ins Penthouse und genehmigen uns einen handfesten Drink. Ich glaube kaum, dass jetzt einem von uns noch zum Essen zumute ist.“

Mit diesen Worten holte er sein Blackberry aus der Innentasche seines Jacketts, um über die Notrufnummer 911 die Polizei zu verständigen. Rasch schilderte er am Telefon das Vorgefallene. Danach wandte er sich wieder seinen beiden Freunden zu.

„Na, alles klar? Seid ihr OK?“, erkundigte er sich bei den Beiden.

Mike nickte nur kurz und mit verbissenem Gesichtsausdruck.

„Ich bin OK, Taylor“, sagte Sheila leise. Bei dieser kurzen Antwort brachte sie sogar schon wieder ein zaghaftes, zuversichtliches Lächeln zustande. „Der arme alte Mann ...“, fügte sie dann noch bedauernd hinzu.

Dann warteten die drei Freunde schweigend auf das Eintreffen der Polizei.

Nebelmond ... unter fernen Sonnen

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