Читать книгу Die geprellten Verschwörer - W. E. Norris - Страница 3
Erstes Kapitel.
ОглавлениеAn einem gewissen Frühlingsabend eines gewissen Jahres (die Möglichkeit, das Datum genauer anzugeben, wäre vorhanden, aber aus verschiedenen Gründen erscheint es wünschenswert, die Zeit minder deutlich zu bezeichnen) gab Lord Guise in seinem Klub ein kleines Diner. Es machte ihm besonderes Vergnügen, derartige Einladungen zu erlassen, ja, er war überhaupt nur in diesen Klub eingetreten, weil dieser wegen der Trefflichkeit der Küche, womit die Mitglieder Fremde bewirten konnten, berühmt war. Ob er es nun nicht der Mühe wert fand, sich um die Zusammensetzung der Gesellschaft viel zu bekümmern, oder ob er ihre Buntscheckigkeit ergötzlicher fand, kurz, Lord Guise suchte sich seine Gäste aus, ohne im geringsten Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie sich untereinander verstehen würden oder nicht. Dass die drei, die er bei dem heutigen Anlass zusammengebeten hatte, ausser dem Sinn für gute Küche und gute Weine keinerlei Berührungspunkte hatten, dessen musste er sich auf alle Fälle bewusst gewesen sein.
Einer davon war sein alter Freund und einstiger Schulkamerad, Percy Thorold, ein hübscher, ziemlich ernsthaft dreinschauender Mann von über dreissig Jahren, mit dunklem Haar und breiter Stirn, der früh Parlamentsmitglied geworden war, sich rasch als Redner hervorgethan hatte und jetzt die Stellung eines jüngeren Lordschatzmeisters einnahm. Der zweite war Eustace Moreton, ein auffallend hübscher und nach Ansicht der meisten Leute auffallend nichtsnutziger junger Mensch; er war eine Zeitlang Gardeoffizier gewesen, hatte diesen Beruf aber aufgegeben, weil er gefunden hatte, dass seine Mittel ihm diesen Luxus nicht gestatteten. Ob er oder sein Vater es weniger kostspielig fanden, wenn er ganz ohne Beschäftigung in London lebte, bleibt eine offene Frage, jedenfalls hatte er weder Lust noch Aussicht, auf irgend eine Weise sein Brot zu verdienen. Als treuer Unterthan des neuesten Modegesetzes war er ganz glatt rasiert; sein blondes, lockiges Haar wuchs weit in die breite Stirn hinein, seine schläfrigen blauen Augen drückten der Welt, die im Ganzen genommen so gnädig mit ihm verfahren war, als er irgend erwarten konnte, ein gewisses lässiges Wohlwollen aus. In der Gesellschaft war er ein begehrter Mann, denn er tanzte gut, hatte kein Vorurteil gegen Londoner Bälle und wusste sich angenehm zu machen. Der dritte Gast endlich war der kleine Herr Schneider, von dem weder sein Wirt, noch sonst jemand viel wusste, als dass er viel Geld besass, dass er im Park und an andern Orten vierspännig fuhr, dass sein verstorbener Vater ein deutscher Bankier gewesen war und dass ihm ausserordentlich viel daran lag, in der Gesellschaft festen Fuss zu fassen. Von den vier Tischgenossen war Lord Guise selbst der älteste und der wenigst elegante; sein Haar, das er länger trug, als es heutzutage bräuchlich ist, war nicht forgfältig genug gepflegt, seine Kleider sassen schlecht und seine Züge waren plump und unregelmässig. Alles zusammengenommen, sah er sehr gewöhnlich aus, wenn es auch Leute gab, die ihn in seiner Eigenschaft als ältester Sohn eines Herzogs eine vornehme Erscheinung zu nennen beliebten. Er galt für excentrisch, was aber nicht viel mehr heissen wollte, als dass seine Umgangsformen weniger fein waren, als zu erwarten gewesen wäre, und dass er noch unverheiratet war.
Wenn Lord Guise, trotzdem verlockende und ziemlich deutliche Aufforderungen, seinen Stand zu verändern, nicht ausblieben, noch immer Junggeselle war, so rührte das nicht von phantastischen Launen her, sondern beruhte auf der tiefen Ueberzeugung, dass ein Mann, der sich lebenslang an ein Weib bindet, zehn gegen eins eine unwiderrufliche Thorheit zu bereuen haben werde. Es war dies ein Lieblingssatz von ihm, und er trug ihn jetzt eben seinen drei Gästen vor, die ihm mit Interesse und Spannung zuhörten.
„Selbstverständlich ist die Ehe als gesellschaftliche Einrichtung eine Notwendigkeit,“ bemerkte er in seiner langsamen, etwas schleppenden Sprechweise, „und das zu bestreiten, wird wohl niemand einfallen. Wogegen ich mich auflehne, ist nur die englische Art, Heiraten zu schliessen. Was zum Henker hat denn die Liebe mit der Geschichte zu thun? So ein verrannter Esel ist doch wohl kein Mann, dass er glauben könnte, er werde sein ganzes Leben lang in eine und dieselbe Frau verliebt sein und bleiben.“
„Ich kann mir doch vorstellen, dass ein Mann ein solcher Esel wäre,“ sagte Thorold mit einem leisen Lächeln.
„Bei Licht besehen, ich auch, eigentlich bildet man sich das ja ein, so oft man verliebt ist. Ich habe meinen Gedanken nicht richtig ausgedrückt, ich hätte sagen sollen, so dumm ist keiner von uns, an die Möglichkeit einer unwandelbaren Liebe bei einem andern Mann zu glauben.“
„Oder an die dauernde Liebe bei einem Weib,“ setzte Moreton mit einem Seufzer hinzu und heftete einen wehmütigen Blick auf sein leeres Sektglas.
Lord Guise gab dem Kellner einen Wink und nahm seine Vorlesung wieder auf.
„Der Grund, aus dem so viele Eheleute sich gegenseitig hassen, liegt nur darin, dass sie mit dem abgeschmackten Gelöbnis, Unmögliches zu vollbringen, vom Stapel gelaufen sind. Man sollte anfangen, wie man fortzumachen gesonnen ist, und wenn man mit einem guten, ruhigen Gefühl gegenseitiger Rücksicht und Achtung beginnen wollte, so liesse sich die Sache wahrscheinlich ohne viel Unbehagen durchführen. Ich sage nicht, dass die Ehe in irgend welcher Weise erfreulich sein könnte, aber erträglich könnte sie gemacht werden!“
Der kleine Herr Schneider, mit seinem runden, rosigen Gesicht und den hervorstehenden Augen, nickte beistimmend und klopfte auf den Tisch.
„Vollkommen richtig!“ rief er lebhaft. „Ich stimme Ihnen ganz und gar bei!“
„Das habe ich von Ihnen erwartet,“ bemerkte Lord Guise trocken. „Sie thun das in der Regel. Aber was halten Sie davon, Thorold? Geben Sie mir recht?“
In Wahrheit hatte diese ganze Standrede, so allgemein sie der Form nach auch gehalten war, nur auf einen einzelnen Fall Bezug, und Herr Thorold war sich dessen vollkommen bewusst.
„Sie mögen recht haben,“ versetzte er. „Ich persönlich hätte kein grosses Verlangen, nach französischem Rezept zu heiraten, aber vermutlich bewährt es sich in den meisten Fällen besser, als das unsrige. Uebrigens hat es nicht viel zu sagen, ob Sie recht oder unrecht haben, denn Sie werden schwerlich eine Umwälzung unsrer angebornen Vorstellungen hervorbringen.“
„Das weiss ich denn doch nicht,“ erwiderte Lord Guise. „Jede Bewegung entsteht durch einen einzelnen, und so sehr ich von meines Nichts durchbohrendem Gefühle durchdrungen bin, könnte es doch sein, dass ich der erste wäre, der die Kugel in der rechten Richtung ins Rollen brächte. Nicht, dass ich dem französischen Rezepte unbedingte Geltung verschaffen möchte — für meinen Geschmack nimmt in Frankreich die Schwiegermutter eine zu hervorragende Stellung im Haushalt ein. Ich möchte es nur dahin bringen, dass die Männer einsehen, dass in eine Frau verliebt zu sein, gar kein Grund ist, sie zu heiraten — im Gegenteil. So viel werden Sie mir doch zugeben müssen, Thorold?“
Die Blicke der beiden andern Tischgenossen waren erwartungsvoll und mit einer versteckten Heiterkeit auf den jungen Politiker gerichtet, dessen Verlobung mit einer sehr bekannten Dame kürzlich abgebrochen worden war, und von dem man annahm, er sei noch etwas herzwund über die Geschichte.
„O gewiss gebe ich das zu,“ erwiderte er achselzuckend. „Schliesslich handelt es sich ja nur um verschiedene Abstufungen unsrer Unkenntnis, denn was wissen wir überhaupt von den Frauen, auch wenn wir nicht verliebt sind? Das beste ist, ihnen freien Spielraum zu geben.“
„Was nur nicht ausführbar ist,“ versetzte Lord Guise. „Wollen wir jetzt hinaufgehen und rauchen?“
Der Gegenstand wurde für den Augenblick fallen gelassen, aber später im Rauchzimmer von Eustace Moreton, der in Beziehung auf das andre Geschlecht einen haarsträubenden Cynismus zur Schau trug, wieder aufs Tapet gebracht. So kurz sein Lebensgang war, so ereignisreich war er in Dingen der Liebe gewesen, und was die Beständigkeit anging, so hatte er sich dadurch nicht eben ausgezeichnet, teilte aber jetzt seinen Zuhörern mit, dass er in keinem einzigen Fall der zuerst Erkaltende gewesen sei.
„Meine Ueberzeugung ist,“ erklärte er feierlich, „dass es den Frauen niemals um den Mann selbst zu thun ist. Ihr einziges Streben ist, ihn zum Heiraten zu verlocken, und sobald sie sehen, dass er keine Lust hat, so furchtbar weit zu gehen, wird er beiseite geworfen, wie ein alter Handschuh.“
Diese Lehre von der gänzlichen Unvernunft weiblicher Natur wurde von Herrn Schneider bestätigt, der, mit dem Kopf nickend, salbungsvoll bemerkte: „Ganz Ihrer Meinung, Moreton.“
Herr Schneider war einer von den liebenswürdigen, leider allzu seltnen Menschen, die nie widersprechen.
„Suchen wir, gerecht zu sein selbst gegen die Frauen, obwohl sie es beinahe nie gegen uns sind,“ sagte Lord Guise. „Es ist nur billig, wenn wir anerkennen, dass sie in mancher Hinsicht lange nicht so thöricht sind, wie wir, und ihr Wunsch, geheiratet zu werden, ist ihnen in Anbetracht ihrer Lage nicht zu verargen. Natürlich wollen sie unter die Haube kommen und natürlich geben sie sich alle Mühe, uns zu angeln, aber weshalb beissen wir immer Hals über Kopf an? Das möchte ich nur wissen?“
„Manche lassen es wohl bleiben,“ bemerkte Thorold.
„Hm! Manche haben das Glück, wieder ins Wasser geworfen zu werden, weil sie sich gar zu leicht fangen liessen.“
Thorold hatte eine Entgegnung auf der Zunge, besann sich aber eines Besseren, drehte seinen Schnurrbart und schwieg.
„Was wir brauchen,“ fuhr Lord Guise fort, „ist ein Junggesellenbund zu gegenseitigem Schutz und Beistand. Wie ich vorhin schon sagte, ist es abgeschmackt, die Frauen zu tadeln, weil sie ihren angebornen Trieben gehorchen. Das thun auch die besten; aber der Himmel weiss, dass es schlechte genug gibt, und wie soll ein harmloses Geschöpf von einem Mann ihnen ausweichen? Sobald sie nur ein bisschen hübsch sind, müssten sie entsetzlich ungeschickt sein, wenn sie es nicht fertig brächten, uns um den Verstand zu bringen, und dann ist es um uns geschehen. Es vergeht kein Jahr, dass ich nicht von einem halben Dutzend Verlobungen höre, die geradezu herzbrechend sind.“
„Sie sind übrigens bis jetzt noch immer ungefährdet davongekommen,“ bemerkte Thorold.
„Nur weil ich mit einer ausnahmsweise ruhigen Gemütsart begnadet bin; hätte ich meinen ersten Regungen gehorcht, so wäre ich längst ein elender Sklave. Sie sind ein reicher Mann und werden ein Lied zu singen wissen von den Fussangeln, die uns auf Schritt und Tritt gelegt werden.“
„Ohne ein reicher Mann zu sein,“ schaltete Moreton ein, „kann ich davon auch mitreden. Niemand hängt mehr am Weibe als ich und niemand weiss besser, dass sie alle, die eine wie die andre, Lug und Trug üben.“
Herr Schneider gab zu verstehen, dass seine persönlichen Erfahrungen ihn auch zu diesem traurigen Ergebnis geführt hätten.
„Aber auf welche Weise gedenken Sie denn, diesem betrüblichen Zustand abzuhelfen?“ fragte Thorold.
„Wie ich Ihnen sage, durch Gründung eines Schutz- und Trutzbündnisses,“ gab Lord Guise zur Antwort. „Von dem Augenblick an, wo der Mann sich verliebt, ist er nicht mehr zurechnungsfähig. Zu seinem eignen Besten hätten die Freunde die Pflicht, jede Verantwortung für ihn zu übernehmen; das können sie aber natürlich nur dann thun, wenn er ihnen, solange er noch seine fünf Sinne beisammen hatte, Vollmacht dazu erteilt hat. Man hört häufig von armen Teufeln, die einen ererbten Hang zum Trunk haben, es aber vorher fühlen, wenn der Anfall kommt, und freiwillig in Anstalten gehen, wo keine geistigen Getränke verabreicht werden. Derselbe Grundsatz sollte auch auf das Heiraten Anwendung finden. Wenn einer auf dem Punkt steht, eine Dummheit zu machen, sollte er zu seinen Freunden gehen und ihnen sagen: ‚Hört, wenn ihr mich nicht festhaltet, so werbe ich heute oder morgen um Fräulein A. oder Lady B. Meiner Ansicht nach ist sie ein Engel, aber ich bin mir bewusst, dass meine Urteilsfähigkeit gegenwärtig gleich Null ist — sorgt also für mich, so gut ihr könnt!‘ Das ist mein voller Ernst,“ setzte er hinzu, als er bemerkte, dass seine Zuhörer behaglich lächelten.
„Und was würden Sie mit dem Unglücklichen beginnen, der sich in so rührender Weise unter Ihren Schutz flüchten wollte?“ fragte Thorold. „Einsperren? In Ketten legen?“
„Nein, solche Mühsal könnte er mir doch wohl nicht zumuten, überdies zweifle ich, ob das gesetzlich wäre. Meine Idee ist, dass jedes Mitglied der Gesellschaft sich verpflichten sollte, eine gewisse Zeitlang — sagen wir sechs Monate — vollständig dem Rat der Freunde zu gehorchen. Selbstverständlich könnte es auch der Fall sein, dass sie seine Heirat auf der Stelle gut hiessen, wären sie aber überzeugt, dass er im Begriff stehe, einen moralischen Selbstmord zu begehen, so müssten sie ihm jeglichen Verkehr mit der Dame für ein halbes Jahr untersagen. Nach dieser Frist würde es ihm anheimgestellt sein, ob er mit dem Kopf gegen die Wand rennen will oder nicht, es ist aber alle Aussicht vorhanden, dass der Zeitraum genügt hätte, ihn zu nüchterner Ueberlegung zu bringen. Weshalb sollten wir nun die Sache nicht frischweg ins Werk setzen? Wir scheinen so ziemlich Gesinnungsgenossen zu sein, und offenbar ist augenblicklich keiner von uns verliebt.“
„Wenigstens nicht mehr als sonst,“ versetzte Moreton, von sich ausgehend.
„Nicht die Spur,“ versicherte Herr Schneider selbstgefällig.
Nach einer kleinen Pause sagte Thorold: „Nun, ich glaube, ich kann ganz gut mit einstimmen in den Chor. Jedermann weiss, dass ich bis vor kurzem mit Lady Belvoir, meiner Cousine, verlobt war und dass ich es nicht mehr bin. Da wir einmütig übereingekommen sind, unsre Beziehungen abzubrechen, so lässt sich annehmen, dass weder bei mir noch ihr von einer unglücklichen Liebe die Rede ist.“
„Ich freue mich, dass Sie die Sache zur Sprache bringen, Thorold,“ bemerkte Lord Guise, indem er sich behaglich in seinen Lehnstuhl zurücklegte und eine blaue Rauchwolke zur Zimmerdecke hinaufsandte. „Ich hätte Ihren Fall ohne besondre Erlaubnis nicht gern angeführt, und doch gehört er so sehr hierher.“
„Es schmerzt mich gar nicht, wenn Sie ihn anführen. Aber wieso gehört er hierher?“
„Na, ich dächte doch! Meines Wissens ist noch nie jemand so glücklich einer Gefahr entronnen, wie Sie. Der Himmel behüte mich, Sibyl Belvoir irgend jemand zur Frau zu wünschen, aber von allen Männern der Welt wäre keiner weniger geeignet, ihr Mann zu werden, als Sie.“
„Möglich,“ versetzte Thorold mit einem Anflug von Gereiztheit. „Deshalb begreife ich aber noch immer nicht, weshalb mein Fall von so allgemeinem Interesse sein soll. Wir haben es selbst herausgebracht, dass wir nicht füreinander taugen, und danken diese Entdeckung weder Ihnen noch andern Freunden.“
Lord Guise lächelte ein wenig.
„Sie sind der Gefahr entronnen, aber mit knapper Not, und wenn Sie unsrem Schutzverein angehört hätten, so würden sie ihr gar nicht ausgesetzt worden sein; denn würde irgend einer von Ihnen, meine Herren — es versteht sich, dass diese Unterredung eine ganz vertrauliche ist und dass von dem hier Gesprochenen nichts weitergetragen wird — würde einer von Ihnen Thorold gestattet haben, Lady Belvoir zu heiraten?“
„Entschieden nicht!“ rief Moreton.
Herr Schneider sprach sich weniger schroff und etwas weitläufiger aus; wenn man aber seine Aeusserungen zusammenfasste, so war der ganzen Rede kurzer Sinn, dass, wenn er in der Sache ein Wort mitzureden gehabt hätte, er es nicht mit seinem Gewissen hätte vereinigen können, eine solche Verbindung gut zu heissen.
„Sie sehen also, dass Sie in guten Händen gewesen wären,“ sagte Lord Guise, sich an Thorold wendend. „Was mich betrifft, so kenne ich Sibyl Belvoir ungefähr so lange, als sie auf der Welt ist.“
„Ich auch,“ fiel ihm Thorold ins Wort.
„Ganz richtig, nur kannten Sie die Dame, ohne sie zu kennen, und ganz London, sogar unser Freund Schneider, der meines Wissens nie ein Wort mit ihr gewechselt hat, scheint sie besser gekannt zu haben als Sie. Ihre Lebensgeschichte spricht übrigens für sich selbst. Kaum war sie der Schulstube entschlüpft, als sie gegen den Willen ihrer ganzen Familie darauf bestand, Belvoir zu heiraten; er ist jetzt tot, und wir wollen nichts weiter über ihn sagen, als dass er sich die Kehle abgetrunken hat. Man kann also entschieden nicht behaupten, dass sie mit dem Heiraten Glück gehabt habe. Seit sie Witwe ist, hat sie mit jedem Mann, ob er nun ernstlich in Frage kommen konnte oder nicht, kokettiert — ich will mich so mild als möglich ausdrücken — und ihn an der Nase herumgeführt, solange es ihr Spass machte; sie hat —“
„Ich dächte, wir brauchen uns nicht in all diese Einzelheiten zu vertiefen,“ unterbrach Thorold den Sprecher zum zweitenmal.
„Nun gut, lassen wir sie ruhen. Ich wollte Ihnen nur klar machen, dass auch eine Frau, die sich einer so unerquicklichen Berühmtheit erfreut, noch immer im stande ist, sogar einen so gescheiten Menschen wie Sie zu täuschen.“
Moreton erklärte sehr ernst, Lady Belvoir sei in der That und Wahrheit ein schlimmes Geschöpf, fast so schlimm, als die Leute sagten, und eine Weile hatte es den Anschein, als ob Herr Schneider dem ganz beipflichten wollte, bei näherer Ueberlegung begnügte er sich jedoch, sein Haupt tiefsinnig hin und her zu wiegen. So schlimm diese Lady Belvoir auch sein mochte, war sie doch tonangebend in der Gesellschaft, und von Magnaten soll man nichts Uebles reden, wenigstens nicht, solange man noch einen Funken Hoffnung hat, bei ihnen eingeladen zu werden.
„Nicht ein jeder kann auf Thorolds Glück rechnen,“ fasste Lord Guise das Ergebnis des Gespräches zusammen. „Gestern war die Reihe an ihm, morgen, mein armer Schneider, können Sie daran kommen, und bei Ihren grossen persönlichen und — hm — materiellen Vorzügen, sind Sie in einer sehr bedenklichen Lage, die die grösste Vorsicht erheischt. Bei Moreton sind die Gefahren andrer Art, darum aber nicht minder schrecklich, ich selber habe vorderhand wohl schwerlich Aussicht, ein Opfer zu werden, aber man thut wohl, sich vor Uebermut zu hüten. Lassen Sie uns deshalb, solange wir alle noch im Besitz unsrer fünf Sinne sind, den Entschluss fassen, Carré zu bilden und Schulter an Schulter, Rücken gegen Rücken dem gemeinsamen Feind Widerstand zu leisten.“
Der kleine Herr Schneider fühlte sich sehr geschmeichelt; es that ihm wohl, seine gesellschaftlichen Vorzüge anerkannt zu hören, und es war ihm ein Hochgefühl, in so vortrefflicher Gesellschaft irgend eine Verpflichtung auf sich zu nehmen. Er erklärte sich sofort bereit zu allem, was man von ihm wünschen konnte, und Eustace Moreton folgte seinem Beispiel mit der Bemerkung, dass er immer dankbar sei, wenn jemand ihm die Sorge um sein Selbst abnehme. Nur Thorold, dessen Gedanken in den letzten fünf Minuten eine andre Richtung genommen hatten, antwortete ausweichend.
„Was für einen verzweifelt schlechten Witz wollen Sie sich denn eigentlich mit uns erlauben, Guise?“ fragte er.
„Von einem schlechten Witz ist gar nicht die Rede, sondern von heiligem Ernst, und ich habe mich schon deutlich genug ausgesprochen,“ erwiderte Lord Guise. „Im Fall der Not wollen wir das Recht haben, einander eine Frist von sechs Monaten zum Aufatmen zu sichern, das ist die ganze Sache. Nun werde ich die Form des Eides feststellen, oder, falls Ihnen das lieber ist, Sie geben mir freiwillig Ihr Versprechen — es wird ja genügen, wenn wir uns durch Ehrenwort binden.“
Das Rauchzimmer war um diese Zeit ziemlich verödet; die Klubmitglieder, die im Hause gespeist hatten, waren weggegangen und solche, die erst nach dem Theater oder einer Gesellschaft zu erscheinen pflegen, noch nicht da. In einer entfernten Ecke sass ein beleibter Herr und schlief, den Hut über die Augen gezogen, den Schlaf des Gerechten. Etwas mehr in der Nähe der Verschwörer war ein andrer über seiner Zeitung eingenickt.
„Ich denke, wir können ohne Gefahr des Verrats an unser Geschäft gehen,“ sagte Lord Guise, worauf die vier Herren ihre Stühle möglichst zusammenrückten und der Reihe nach die folgende Formel feierlich nachsprachen:
„Auf mein Ehrenwort verspreche ich, dass, wenn ich innerhalb Jahresfrist die Absicht hegen sollte, um eine Dame zu werben, ich eine Versammlung dieser Gesellschaft einberufen, ihr meine Pläne unterbreiten und sie bitten würde, die wünschenswerten und für nötig erachteten Erkundigungen einzuziehen. Ferner verspreche ich auf mein Ehrenwort, dass ich, im Fall die Mehrheit der Gesellschaft sich gegen die in Frage stehende Dame erklären würde, ich jeden Verkehr mit ihr, sei er mündlich oder schriftlich, mittelbar oder unmittelbar, für den Zeitraum von sechs Kalendermonaten vom Tag des Urteilsspruchs ab, unterbrechen werde.“
„Damit ist für mich überhaupt alles abgethan,“ sagte Eustace Moreton gelassen, „und ich kann mich mit dem Gedanken an ein einsames Alter vertraut machen. Bisher dachte ich immer, wenn die Dinge schief gingen, könnte ich mich noch auf die bräuchliche ältliche Erbin verlegen, aber nun muss ich auch diesem Hoffnungsstrahl den Abschied erteilen. So angealtert eine Erbin auch sein mag, sechs Monate Verlassenheit in einem Zug, dem hält keine stand.“
„Weshalb setzen Sie denn so unbedingt voraus, dass die Gesellschaft sich gegen die ältliche Erbin aussprechen werde, mein lieber Junge?“ fragte Lord Guise. „Ich für meine Person zum Beispiel würde ihr, vorausgesetzt, dass sie eine anständige, vernünftige Person ist, meine Stimme geben. Unser einziges Ziel ist ja, gegenseitig unser Glück zu fördern, und wer Sie kennt, kann keinen Zweifel darüber hegen, dass Sie mit einer älteren Frau glücklicher wären, als mit einer jungen. Verständige ältere Frauen sind nachsichtig, und diese Tugend ist bei Ihnen sehr am Platz.“
Thorold erhob sich, um seinem Wirt gute Nacht zu sagen. Er hielt es dabei für angezeigt, deutlich zu erklären, dass er der neugebildeten Gesellschaft nur aus rein selbstlosen Gründen beigetreten sei, denn ihm selbst werde es nie einfallen, zu heiraten. Wenn er jedoch andre durch Rat oder That von einer Thorheit abhalten könne, so werde ihm das natürlich eine grosse Freude sein.
„Ich bin nur neugierig,“ kicherte Herr Schneider, nachdem er sich ebenfalls empfohlen hatte, „wer von uns zuerst eine Versammlung einberufen wird. Wundern sollte es mich gar nicht, wenn trotz seiner Behauptungen Thorold der erste wäre, wenn er daran dächte, ein zweites Mal um Lady Belvoir zu werben.“
„Das beweist nur, dass Sie trotz Ihres natürlichen Scharfsinns Thorold noch nicht ganz das Mass genommen haben, mein lieber Schneider,“ bemerkte Lord Guise. „Er hat sich an den Weltdamen gründlich den Magen verdorben und wird sich das nächste Mal in ein kleines Mädchen verlieben, das an Wochentagen in die Kirche geht und für arme Kinder Röckchen häkelt.“
Schneider und Moreton gingen zusammen weg.
„Ist diese Lady Belvoir wirklich so schlimm, wie man sie macht?“ fragte Herr Schneider neugierig.
„Schlimmer,“ versetzte Moreton lakonisch. „Ich kenne sie nur oberflächlich, habe aber viel von ihr gehört. Da ich selbst kein Mustermensch bin,“ fügte er hinzu, „mache ich keine übertriebenen Ansprüche an die Tugend andrer und bin nachsichtig gegen ihre Schwächen, aber die Herzlosigkeit kann ich einem Weibe nicht vergeben.“