Читать книгу Die geprellten Verschwörer - W. E. Norris - Страница 5
Drittes Kapitel.
ОглавлениеDer kleine Herr Schneider war einer von jenen glücklichen Sterblichen, deren Los der übrigen Menschheit beneidenswert erscheint und wohl so erscheinen darf. Sein Vermögen legte ihm in nichts Schranken auf, er hatte keine Ländereien, keine Verwandten, keine Pflichten, keine Verantwortlichkeit oder Widerwärtigkeiten irgend welcher Art, und dass er keine nennenswerten Vorfahren hatte, ist in unsern Tagen doch nur ein unbedeutendes Missgeschick. Nichtsdestoweniger erging es ihm, wie es neunundneunzig Prozent unsres widerspruchsvollen Geschlechts ergeht: er war nicht zufrieden, und zwar deshalb nicht, weil es ihm trotz seines verschwenderischen Aufwands noch nicht gelungen war, die hauptstädtische Gesellschaft im Sturm zu erobern. Diese That zu vollbringen, war sein glühendes, leidenschaftliches Verlangen, und es lässt sich nicht sagen, ob er irgend einen Preis zu hoch gefunden hätte, um den er sich den Zugang zu jenen innern Kreisen, an deren Grenze er sich mit gierigen, sehnsüchtigen Blicken umtrieb, hätte erkaufen können.
Sein Ehrgeiz war weder erhabener noch verständiger Art, aber er war wenigstens harmlos, wie der ganze Herr Schneider in Wahrheit überhaupt ein sehr harmloser kleiner Mann war, wenn es ihm auch nicht das geringste Vergnügen gemacht hätte, so bezeichnet zu werden. Seiner eignen Ansicht nach war er ein Schwerenöter und trieb es so toll, dass den Leuten Hören und Sehen vergehen musste. Das Tempo, in dem er seine Rosse lenkte, brachte jedenfalls bei den hinter ihm Sitzenden diese Wirkung hervor, das kam aber nur davon her, dass er sie ganz und gar nicht in der Gewalt hatte und mit dem erhabenen Mut gesegnet war, den die Unkenntnis der Gefahr verleiht. Wie er seinen Wagen in und aus dem Park und durch die überfüllten Strassen Londons brachte, ohne sich und seiner Ladung die Hälse zu brechen, bleibt ein ungelöstes Rätsel; vielleicht hätte er auf einer einsamen Landstrasse weniger Glück gehabt. Dass er immer eine Menge Leute fand, die mit Vergnügen an diesen lebensgefährlichen Ausflügen Teil nahmen, zeigt nur, was der unbemittelte Brite wagt, ohne mit der Wimper zu zucken. Bei den Rennen war in letzter Zeit Herrn Schneiders rundes, rosiges Gesicht von allen Anwesenden bemerkt worden, nicht so sehr wegen der Pferde, die er besass und von denen er immer einige „im Training“ hatte, als wegen der ungeheuren Wetten, womit er die Bookmaker je nachdem entzückte und zur Verzweiflung brachte.
Lord Guise in seinem gleichgültigen Cynismus liess ihn an sich kommen, weil er sich einiges Vergnügen davon versprach. Lord Guise schätzte die Londoner Gesellschaft nur so hoch, wie ungefähr jeder das schätzt, was er ohne Mühe haben kann. Er wusste, was viele minder hochgestellte Menschen vor ihm schon entdeckt haben, dass diese Gesellschaft nicht aus besonders angenehmen, begabten oder auch nur wohlerzogenen Einheiten zusammengesetzt ist und dass sie sich von der andrer europäischer Hauptstädte dadurch unterscheidet, dass ein goldner Schlüssel all ihre Pforten aufschliesst. Er selbst legte deshalb gar keinen Wert darauf, eine hervorragende Rolle darin zu spielen, aber er verspürte Lust, des kleinen Schneiders goldnen Hauptschlüssel in all ihre verschiedenen Schlüssellöcher einzupassen, denn es gab wenig Dinge, die ihn so reizten, wie hochgeborne Damen in ihrem Verkehr mit reichen Emporkömmlingen zu beobachten.
„Sagten Sie nicht neulich, dass Sie Lady Belvoir nicht kennen?“ fragte er eines Tages seinen Schützling. „Möchten Sie vielleicht ihre Bekanntschaft machen?“
Das war ungefähr, wie wenn man einen aufstrebenden Künstler fragte, ob er den Präsidenten der königlichen Akademie kennen lernen möchte, oder einen Lieutenant, ob er dem Kommandierenden vorgestellt werden wolle; aber Schneider, der seine Manieren den elegantesten jungen Männern der Zeit abgeguckt hatte, fühlte, dass es seiner unwürdig gewesen wäre, seine Freude zu verraten. Er heftete den Blick auf seine Stiefel, seufzte tief und brummte etliche Worte, von denen nur „sehr angenehm“ zu verstehen war.
„Ach, natürlich, nur wenn Sie Lust dazu haben,“ sagte Lord Guise lachend. „Ich dachte mir nur, Sie würden gern bei der Dame verkehren, weil Sie überhaupt Sinn für Gesellschaften haben. Ueberdies hat sie ihre persönlichen Verdienste. Jemand hat einmal von dieser oder jener Dame gesagt, sie zu kennen, sei ein Stück Erziehung, nun, das passt auch auf Sibyl Belvoir, wenn ich auch nicht behaupten will, dass es gerade die Sorte Erziehung ist, die ich für meinen Sohn aussuchen würde, wenn ich nämlich das Missgeschick hätte, einen Sohn zu besitzen.“
„Ich glaube kaum, dass sie mir Dinge offenbaren wird, die ich noch nicht wüsste,“ bemerkte Herr Schneider, mit Selbstgefühl lächelnd.
„Wahrscheinlich nicht,“ pflichtete Lord Guise ernsthaft bei. „Ich reisse mitunter die Augen auf über sie, aber ich bin eben merkwürdig unschuldig für mein Alter. Gut, ich werde Sie heute abend in Paddington House der Dame vorstellen — Sie gehen doch hin? Keine Einladung erhalten? Einerlei! Sie speisen mit mir und wir gehen dann zusammen hin, das geht ganz gut.“
Es war eine Leistung, dass Herr Schneider sich enthielt, einen Freudensprung zu machen. Bisher hatte sein vertrauter Verkehr mit Lord Guise ihm keine gesellschaftlichen Vorteile eingetragen; nun kam dies Anerbieten, dessen Bedeutung und Grossmut er etwas durch das Vergrösserungsglas sah. Die Herzogin Paddington war eine grosse Dame und der Herzog sogar unter Herzogen eine Grösse, vielleicht standen sie ein wenig zu hoch, um wählerisch zu sein. Jedenfalls waren in der Menge, die sich herbeidrängte, so oft sie ihren prachtvollen Ballsaal aufthaten, ebensoviel unbedeutende als berühmte Namen zu bemerken, und man brauchte nicht im geringsten zu fürchten, dass ein ungeladener Gast, für den Lord Guise die Verantwortung auf sich nehmen mochte, ihren Widerspruch erregen werde. Ohne sich darüber klar zu sein, machte Herr Schneider noch sorgfältiger Toilette als sonst und folgte glückselig seinem Gönner nach dem grossen Haus, das jedem Londoner von aussen und einem grossen Teil der Einwohner auch von innen wohlbekannt ist. Die Aufnahme, die ihm zu teil wurde, war sehr erhebend, denn die Herzogin reichte ihm die Hand, und der Herzog wusste zu seiner angenehmen Ueberraschung ganz genau, wer er war.
„Habe Sie oft in New Market gesehen, Herr Schneider,“ sagte der gutmütige Magnat. „Sie beteiligen sich, so viel ich weiss, an den Rennen oder nicht?“
„Ach, nur in ganz bescheidenem Massstab,“ erwiderte Schneider, der nicht recht wusste, ob er Durchlaucht sagen solle, es aber doch für sicherer hielt, diese feierliche Anrede wegzulassen.
„Hm! Bescheiden? Das weiss ich denn doch nicht! Man sagt mir, Sie seien der Schrecken der Bookmakerzunft. Ich selber habe meiner Lebtage Pferde gehen lassen und doch nie gewettet, aber ich mache darin wohl eine Ausnahme.“
Der Herzog war ausnehmend reich und konnte sich daher den Luxus erlauben, ohne zu wetten, am Rennen teil zu nehmen; Schneider fand es aber nicht passend, ihn daran zu erinnern, und er bemerkte nur, ein Rennen würde ihm unvollkommen erscheinen, wenn er nicht etwas dabei riskierte.
„Ja, ja, das ist’s!“ erwiderte der Herzog. „Ihr jungen Leute treibt den Sport nicht um des Sports willen, und unter zehn von euch trifft man kaum einen, der ein gutes Pferd von einem schlechten unterscheiden kann.“
Solch entsetzliche Dinge lässt man sich nicht gern sagen, und wäre es auch von einem Herzog, und sie berühren um so schmerzlicher, wenn sie in so wohlwollender und sachlicher Weise gesagt werden. Herr Schneider zog sich ein wenig verdutzt zurück und sah sich die Gesellschaft an, unter der er zu seinem Leidwesen sehr viele Bekannte entdeckte. Es war ja eine Genugthuung, dass sie ihn in Paddington House sahen, aber es war ihm durchaus keine, sie hier zu finden, und es wäre ihm weit lieber gewesen, wenn sie morgen erst aus den Zeitungen erfahren hätten, in welch hohe Kreise er Zutritt hatte.
Mittlerweile liess Lord Guise die Interessen seines Schützlings keineswegs aus dem Auge, er bahnte sich einen Weg zu Lady Belvoir, die eben mit seinem Freunde Eustace Moreton tanzte, und knüpfte ohne Rücksicht auf die Gegenwart ihres Tänzers ein Gespräch mit ihr an.
„An was für einem Unheil arbeiten Sie denn jetzt gerade?“ fragte er sie. „Vermutlich besuchen Sie nie einen Ball ohne feindselige Absichten auf die Gemütsruhe irgend eines armen Teufels.“
„Ich gehe nach dem Balle, um zu tanzen,“ erwiderte Lady Belvoir, „glaubte aber, Sie besuchen überhaupt keinen. Was für einem Umstand verdanken wir denn die ungewohnte Freude Ihrer Gegenwart?“
„Wenn ich sagen wollte, ich sei hierher gekommen, um Sie zu sehen, so würden Sie das wahrscheinlich für eine Lüge halten, oder nicht?“ fragte Lord Guise.
„O nein, das würde ich durchaus nicht, es würde mir gar nicht schwer, daran zu glauben; denn ich frage mich oft, weshalb Sie mich nicht leiden mögen, während ich Ihnen doch nie das geringste Unrecht angethan habe.“
„Es ist auch nicht Abneigung bei mir, sondern Angst. Sie sind ja so unwiderstehlich.“
Lady Belvoir seufzte und machte sich das Vergnügen, ihre grossen, ein wenig schwermütigen Augen eine Weile auf seinem Gesicht ruhen zu lassen, worauf sie in ein helles Lachen ausbrach.
„Haben Sie nur keine Angst,“ rief sie. „Wie unwiderstehlich ich auch sein mag, Sie sollen nicht in die Lage kommen, sich meiner erwehren zu müssen. Ich will nicht unartig sein; aber da wir alte Freunde sind, nehmen Sie es mir gewiss nicht übel, wenn ich Ihnen sage, dass ich einen angebornen Widerwillen gegen hässliche Männer habe. Als Freunde sind sie mir natürlich lieb und wert, als Verehrer aber unerträglich.“
„Und diese Regel lässt keine Ausnahme zu?“ fragte Lord Guise ohne jegliche Verstimmung. „Das thäte mir leid, denn ich hatte im Sinn, Ihnen heute abend einen hässlichen Mann vorzustellen, und dass er ein Verehrer werden wird, ist, wenn Sie sich herbeilassen, ihn kennen zu lernen, unvermeidlich!“
„Das kann ich ja thun,“ erwiderte Lady Belvoir. „Wer ist es und wo ist er und weshalb wollen Sie ihn mir vorstellen? Herr Moreton, ich merke wohl, dass Sie darauf brennen, hier loszukommen, und ich will Sie nicht länger festhalten. Lord Guise wird mich irgendwo zu einem Sitzplatz führen.“
Als Moreton dem Wink verständnisvoll gehorcht und sich empfohlen hatte, fand sich auch ein unbesetztes Sofa, wo sie ihre Erkundigungen nach dem hässlichen Unbekannten fortsetzte.
„Wenn ich mir recht überlege,“ sagte Lord Guise, „so weiss ich eigentlich nicht, ob er so hässlich ist — sehr hässlich wenigstens nicht. Er ist jung, und das ist an und für sich schön, hat ein rundes Gesicht, einen leeren Kopf, weiss sich zu kleiden und heisst Schneider — ist die Personalbeschreibung ausführlich genug?“
„Ach! Der kleine Mann, der so grosse Summen wettet! Er hat die Geldsäcke bergweise dastehen, nicht?“
„Nun ja, etliches Kleingeld hat er wohl, ist aber kein Jude, falls Sie darauf abzielen und falls dies in Frage kommt. Meine Gutmütigkeit hat mich auf den Einfall gebracht, Ihnen den Mann vorzustellen. Ich weiss, dass auf Ihrer Besuchsliste zu stehen, eine wahre Wonne für ihn wäre, und bei Licht besehen, ist er gerade so wohl erzogen, wie die Mehrzahl Ihrer Vertrauten.“
„Gehen Sie und holen Sie ihn,“ befahl Lady Belvoir, „schlechtere Manieren als Sie kann er jedenfalls nicht haben.“
„Und ganz gewiss benimmt er sich besser als Sie, meine liebe Sibyl, was aber noch nicht hoch geschworen ist.“
„Ich hätte gedacht, Sie wüssten allmählich, dass ich Ihre Ungezogenheiten nichts weniger als unterhaltend finde,“ bemerkte Lady Belvoir mit Ruhe.
„Das habe ich allerdings beobachtet, und es hat mich immer in Erstaunen versetzt. An Ihrer Stelle würde ich mich darüber freuen, denn sie bringen doch einige Abwechslung ins Leben. Doch vermutlich weiss keine Frau, was es heisst, Schmeichelei satt bekommen. Jetzt will ich gehen und meinen kleinen Schneider zur Stelle schaffen; er wird Ihren Durst nach Huldigung befriedigen, falls Sie ihn nicht zu sehr einschüchtern.“
Lady Belvoir hatte das durchaus nicht im Sinn, vielmehr hielt sie es für selbstverständlich, den unschuldigen Schneider der Zahl ihrer Eroberungen beizugesellen. Sie nahm sich das bei jeder neuen männlichen Bekanntschaft vor und führte es auch unfehlbar aus; in diesem Falle sprach aber überdies noch ein Hintergedanke andrer Art mit.
„Vielleicht lässt sich etwas mit ihm machen,“ dachte sie, „Wenn er wirklich so reich ist, wie es heisst, so könnte es wohl gehen.“
Des Pudels Kern war, dass Lady Belvoirs Vermögensverhältnisse durchaus nicht befriedigend waren. Schon seit geraumer Zeit gab sie mehr aus, als sie einnahm, und sie hatte Stunden, wo die Zukunft sie ernstlich beunruhigte. Natürlich verfiel sie in solchen Augenblicken darauf, sich selbst zum Verkauf auszubieten, und sie schickte sich an, Herrn Schneider Gelegenheit zu geben, den sehr hohen Preis zu bieten, den sie zu fordern berechtigt war.
Sie war eine Frau von ungewöhnlich rascher Fassungsgabe, und ehe sie ein halbes Dutzend Redensarten mit dem kleinen Mann gewechselt hatte, der ihr mit jener Art von Schüchternheit gegenübertrat, die sich in übertriebener Sicherheit äussert, wusste sie ganz genau, wes Geistes Kind er war und wie er behandelt werden musste. Sie schob ihr Kleid zur Seite, um ihm auf der Sofaecke neben sich Platz zu machen.
„Sie haben natürlich keine Lust, zu tanzen?“ sagte sie, „dies ist zwar einer der wenigen Räume in London, die zum Tanzen geeignet sind, aber heute abend ist das Gedränge viel zu gross. Kommen Sie zu Paddingtons kleiner Tanzgesellschaft am siebzehnten?“
„Nein, ich glaube nicht,“ erwiderte Herr Schneider zögernd, denn er fürchtete, durch den triftigsten aller Gründe vom Besuch dieser Gesellschaft abgehalten zu sein.
„Ist Ihnen nicht gut genug? Nun, ich muss sagen, das ist wirklich zu schlimm von euch Herren. Sie scheinen alle die Vorstellung zu haben, dass die Gesellschaft verpflichtet sei, für ihre Unterhaltung zu sorgen, und wollen doch zu gunsten der Gesellschaft nicht das kleinste Opfer bringen. Wenn die eleganten jungen Männer den Tanz verschwören, so können einfach keine Bälle mehr gegeben werden.“
„Ach, ich habe das Tanzen gar nicht verschworen; nur finde ich es zuweilen viel angenehmer, still zu sitzen und zu plaudern, meinen Sie nicht auch?“ sagte Herr Schneider, überglücklich, ein eleganter junger Mann genannt worden zu sein.
„Ja wohl, aber Pflichterfüllung ist selten angenehm, und Sie haben Pflichten, wenn Sie das auch nicht anerkennen mögen. Heute abend werde ich Sie übrigens nicht zum Tanzen veranlassen. Was das für eine unglückselige Geschichte ist mit der Herzogin, nicht wahr?“
Schneider hatte keine blasse Ahnung, von was für einer Herzogin sie sprach und worin die unglückselige Geschichte bestand; er schüttelte also teilnehmend den Kopf und machte ein feierliches Gesicht.
„Natürlich finden Sie, dass sie es nur sich selbst zuzuschreiben hat,“ fuhr Lady Belvoir fort. „So urteilen die Männer immer, es ist aber recht unschön und unrichtig, und die Sache ist die, dass sie fast nie die Wahrheit erfahren. Nehmen Sie zum Beispiel nur den Fall mit Lady **. Ich weiss, dass Sie die Dame in keiner Weise entschuldbar finden, und ich gebe ja zu, dass sie eine grosse Thorheit begangen hat, in Wirklichkeit aber ist mehr an ihr gesündigt worden, als sie gesündigt hat.“
So plauderte sie noch eine ganze Weile fort und besprach die Schwächen hoch gestellter Personen, sowie die Skandale, die sich an ihre Namen knüpften. Schneider wusste nichts von den Dingen, von denen sie sprach; aber er war über alle Massen entzückt, dass sie ihn für eingeweiht hielt in all den Klatsch ihrer Kreise, und lehnte die Haltung des strengen Sittenrichters, die sie ihm andichtete, durchaus nicht ab.
„Wir sind in der That lange nicht so schwarz, als man uns malt,“ sagte sie schliesslich und setzte in fast klagendem Ton hinzu: „Weshalb wollen Sie sich nicht lieber ein eignes Urteil zu bilden suchen, statt blindlings zu glauben, was man Ihnen von uns erzählt?“
„Aber ich versichere Sie, dass ich durchaus nicht alles glaube, was man mir sagt,“ wandte Herr Schneider eifrig ein und hielt es zwar für gewagt, aber doch nicht für unerlaubt, hinzuzusetzen: „Jedenfalls werde ich in Zukunft nicht mehr glauben, was ich über Sie höre, Lady Belvoir!“
„Ach, Sie sind also ganz darauf gefasst, nicht viel Gutes zu hören!“ versetzte sie lachend. „Jedenfalls hat Ihnen Lord Guise nichts Lobenswertes erzählt, dessen bin ich gewiss.“
Als eine ehrliche und harmlose Seele, die er war, fühlte sich Herr Schneider nicht im stande, diese Behauptung zu widerlegen; aber er versicherte mit verbindlicher Anmut, dass er sich dem edlen Lord ewig verpflichtet fühle für die ihm heute abend zu teil gewordene Ehre, ihr vorgestellt zu sein, und er nahm Lady Belvoirs Aufforderung, sie an Sonntagnachmittagen, wenn er sonst nichts Bessres vorhabe, zu besuchen, mit Freuden an.
Diese einfache Geschichte beschäftigt sich nur zum Teil mit Herrn Schneiders Unterjochung, die von dieser Stunde an beschlossene Sache war und deren Einzelheiten für Lady Belvoir ergötzlicher gewesen sein mochten, als sie es für den Leser im allgemeinen sein würden. Selbstverständlich suchte er sie auf, selbstverständlich kam er, als sie ihn zum Essen einlud, und ebenso selbstverständlich wurde er ihr unterthäniger Sklave. Sie hatte bei viel widerspenstigeren Opfern, als dieses war, mit Erfolg gewirkt, und worin das Geheimnis dieser Erfolge bestand, wird der Erzähler nie enthüllen, auch wenn er es selbst wüsste; denn die Offenbarung solcher Geheimnisse kann nicht zum Vorteil des Publikums gereichen. Auch gegen Dorothea Leslie, die Herrn Schneider gewöhnlich zudringlich und durchaus nicht annehmbar fand, hütete Lady Belvoir sich wohl, zu erklären, wie und warum sie seinen Skalp ihren früheren Trophäen hinzugefügt hatte.
„Du bist viel zu wählerisch und streng,“ sagte sie zu dem jungen Mädchen. „Wenn man sich nur bei angenehmen Männern beliebt machen wollte, würde man in einer Einöde leben. Dieser arme kleine Schneider ist auch nicht schlimmer als die andern.“
„Ich dächte doch, weit schlimmer als einige von ihnen,“ versetzte Dorothea; und nichts konnte sie bewegen, dem Unglücklichen, der seinerseits alles that, um sie zu versöhnen, auch nur die landläufige Höflichkeit zu bezeigen.
„Aus dem Mädchen kann ich nicht klug werden,“ klagte Schneider eines Tages gegen Eustace Moreton, den er zufällig an der Carlton House Terrace traf. „So oft ich den Mund aufmache, lässt sie eine eiskalte Douche auf mich los, und wenn ich sie an einem dritten Ort treffe, thut sie, als ob sie mich nicht sähe. Wie kommt sie denn nur dazu, sich solch ein Ansehen zu geben, das möchte ich wissen?“
Herr Moreton wusste es auch nicht und hätte hinzufügen können, dass es ihm auch ganz einerlei sei; er stimmte übrigens dem Gekränkten darin bei, dass sie ein recht unangenehmes Wesen habe. „Sie scheint sich etwas darauf gut zu thun, dass sie gegen Lady Belvoirs Freunde ungezogen ist,“ bemerkte er.
Allerdings verlor Fräulein Leslie leicht die Geduld mit den Leuten, die Lady Belvoir als Freunde behandelte, und auch mit Lady Belvoir selbst, weil sie diese Herren so behandelte; ihre Gereiztheit war aber für die erfahrenere Freundin nur ein Gegenstand der Belustigung.
„Sehr schmeichelhaft ist es nicht für mich, wenn du sie Glücksjäger nennst,“ sagte sie dann wohl. „Ich halte sie im Gegenteil für wahrhaft und selbstlos Liebende, und ich muss es doch wissen.“
Was diese Herren auch sein mochten, sie gab sich jedenfalls unendliche Mühe, sie im Zustand der Unterwürfigkeit und Ergebenheit zu erhalten, und es gehörte ihre ganze Geschicklichkeit dazu, ein Zusammentreffen ihrer Besuche zu verhindern. Trotz seiner angebornen Bescheidenheit konnte sich Herr Schneider bald nicht mehr der Ueberzeugung verschliessen, dass eine schöne, begüterte und hochgeborne Dame auf dem besten Weg sei, sich in ihn zu verlieben. Es war kein Wunder, dass der kleine Mann darüber den Kopf verlor und den grössten Teil des Tages nicht mehr wusste, ob er auf den Füssen oder dem mutmasslichen Sitz seiner Intelligenz stehe.