Читать книгу Der verkannte Papst Alexander VI. - Walter Brendel - Страница 5

Einleitung

Оглавление

Ohne Zweifel gehört Alexander VI. zu den schillerndsten Papstgestalten. Die Schlagzeilen seiner Biografie lesen sich eher wie die eines Mafiapaten als die eines Heiligen Vaters: Korruption, Erpressung, Giftmorde, Skandale, Orgien im Vatikan, Inzest. „Der unheimliche Papst“ nennt ihn denn auch der Schweizer Historiker Volker Reinhardt. Der französische Schriftsteller Stendhal sah ihn als die „gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden“.

Ein Monster, der Antichrist leibhaftig, so urteilten schon die Zeitgenossen über Alexander. Verschlagen sei dieser Pontifex maximus, ein Meister der „dissimulazione“, der Täuschung, befand der venezianische Gesandte in Rom, Girolamo Donato.

Tatsächlich rief der Name Borgia neben Bewunderung auch Angst und Schrecken hervor, und das sollte er auch. Die Feinde sollten sich fürchten – und fügen.

Wer es nicht tat, musste damit rechnen, erdrosselt oder erdolcht aus dem Tiber gezogen zu werden. Andere sollen am Gift der Borgia gestorben sein. Die Söldner und Mordbuben Cesares, der die Truppen des Vaters befehligte, kannten keine Gnade. „Jede Nacht findet man in Rom vier, fünf Ermordete – Bischöfe, Prälaten und andere Leute; die ganze Stadt zittert vor dem Herzog“, berichtete ein Botschafter nach Hause.

Jede Nacht? Bei den Borgia weiß keiner so genau, wo „die Fakten enden und die Legenden einsetzen“, warnt Reinhardt. Zeitgenössische Chronisten hätten vieles „dazu erfunden“.

Zu den Legenden gehört natürlich die Geschichte, nach der Rodrigo Borgia für seine Wahl einen teuflischen Pakt einging.

Man will ihn gesehen haben, wie er sich mit zwei Dämonen vor dem Hauptaltar der Kirche von Santa Maria Maggiore traf.

Am Ende soll ihn der Teufel persönlich geholt haben; so bezeugte es der junge Geistliche Gian Pietro Carafa, der im Sterbezimmer Alexanders zugegen war.

Der selbst ernannte Augenzeuge wurde als Paul IV. später selbst Papst – und einer der leidenschaftlichsten Beförderer der Inquisition. Wie glaubhaft sind solche Berichte von Gegenspielern, die ihre ureigenen Machtinteressen hatten?

Wirkungsvoll waren sie auf jeden Fall. Der Teufelsglaube war Ende des 15. Jahrhunderts weit verbreitet. Die kulturglänzende Epoche der Renaissance zeigte sich auch als Zeit der Endzeitfurcht; Dürer schuf in diesen Jahren seine düsteren Holzschnitte der Apokalypse.

Hexenverfolgungen ängstigten die Menschen. Alexanders Vorgänger Innozenz VIII. hatte die Inquisition mit der päpstlichen Bulle „Summis desiderantes affectibus“ legitimiert und den Hexenwahn damit noch befeuert. Es waren düstere Jahrzehnte des Unrechts und der Grausamkeit, während gleichzeitig grandiose Ideen und Erfindungen geboren wurden, der Horizont der Welt sich weitete. Just im Jahr der Wahl Rodrigo Borgias zum Papst entdeckte Kolumbus die Neue Welt. Alexander VI. sollte es denn auch sein, der das Territorium zwischen Spanien und Portugal aufteilte.

Selbst dabei holte er sich seinen Profit heraus, in dem Fall ein Herzogtum für seinen Lieblingssohn Juan. Das war ein Dankeschön für gute Dienste – immerhin hatte der Papst die spanischen Könige Isabella und Ferdinand um einige Längengrade und damit riesige Einflusszonen begünstigt, auch wenn die Portugiesen das später erfolgreich monierten.

Alexander VI. hat den Nepotismus nicht erfunden. Verwandtenbegünstigung, Ämterkauf und persönliche Bereicherung waren in der Kirche schon länger verbreitet und trieben nun neue Blüten. Papst Sixtus IV. (1471–1484) aus der Familie della Rovere etwa beförderte gleich sechs Familienmitglieder in Kardinalswürden.

Das noch vom Großen Abendländischen Schisma geschwächte Papsttum tat alles, um seine wiedererlangte Herrschaft in Rom auszubauen und sich Einnahmen zu verschaffen. Dazu ließ sich der Vatikan neuerdings nicht nur kirchliche Verwaltungsakte teuer bezahlen, sondern er begann, Posten zu schaffen und diese zu verkaufen.

Rodrigo Borgia kannte die schmutzige Praxis, seit ihn sein Onkel, Papst Calixt III., 1457 zum päpstlichen Vizekanzler bestallt hatte.

Das Amt, das Rodrigo antrat, war in Bedrängnis, ein weitgehend politischer Posten, der ein Reich verteidigen musste. Frankreichs König Karl VIII. marschierte in Italien ein, am Silvestertag 1494 stand er in der Ewigen Stadt. Der Papst musste in der Engelsburg Schutz suchen.

Doch wie so oft hatte Alexander den längeren Atem: Mit einer „Heiligen Allianz“ europäischer Verbündeter konnte er den Eindringling schließlich ganz zurückschlagen.

Doch die Macht und die Gebiete, die er gewann, nutzte er vor allem zur Bereicherung seiner Familie: „All sein Trachten richtet sich darauf, seinen Söhnen Staaten zu verschaffen“, lautete das Urteil des Venezianers Donato. Seinen eigenen Sohn Cesare hatte er schon zum Kardinal gemacht, als der gerade 17 Jahre alt und noch nicht einmal zum Priester geweiht war. Insgesamt 16 Bischofstitel häufte Cesare an; doch ließ er sich bald von seinen Kirchenämtern befreien, um sich ganz der Kriegsführung widmen zu können.

Seine Schwester Lucrezia, auch sie illegitimes Kind der Lieblingsmätresse Vanozza, wurde unterdessen wie ein Kapital aus dem Familienvermögen hin- und her investiert in immer neue Hochzeiten, stets maximal gewinnbringend; die alten Ehemänner ließ mutmaßlich Cesare mit Hilfe von Würgeschlingen beseitigen.

Dass Kirchenfürsten Kinder mit Geliebten zeugten, war in der Epoche normal, nicht jedoch, dass sie die illegitimen Sprösslinge als leibliche Nachfahren anerkannten. Das tat Alexander bei mindestens sieben Kindern.

Lucrezia soll er vergöttert haben. Die selbstbewusste junge Frau, die im Kloster viele Fremdsprachen, auch Latein und Griechisch, studiert hatte, forderte die Kirchenwelt heraus. In einer Zeit, in der gebildete Frauen als Hexen verbrannt wurden, ging sie im Vatikan ein und aus, verkehrte ganz selbstverständlich mit den höchsten geistlichen Würdenträgern, wurde vom Vater in seiner Abwesenheit sogar einmal als Stellvertreterin eingesetzt.

Das musste provozieren.

Lucrezia Borgia wurde zur Femme fatale. In späteren Jahrhunderten, vor allem durch die französische Romantik, war sie die Giftmischerin, der männermordenden Salome gleich. Ihr Vater, dessen Appetit nach Frauen legendär war, soll mit ihr Inzest getrieben, sogar ein Kind gezeugt haben.

Reinhardt hält das für „abwegig“: Alexander habe genug willige Gespielinnen gehabt, die Blutschande hätte sein Image verheerend geschädigt. Schriftsteller wie Dumas, Ludwig Huna oder Victor Hugo, auch der Komponist Gaetano Donizetti sorgten dafür, dass der düstere Borgia-Mythos weiterlebte, obwohl Lucrezia sich als spätere Herzogin von Ferrara mit Krankenfürsorge, der Kunstförderung und großem Geschäftssinn als Einzige der Familie ein ehrbares Ansehen erwarb.

Während sie dämonisiert wurde, erntete ihr brutaler Bruder Cesare, der sogar die Ermordung seines Bruders Giovanni veranlasst haben soll, Lob; der Renaissance-Philosoph und Diplomat Niccolò Machiavelli hebt ihn in seinem berühmten Werk „Der Fürst“ als „Vorbild“ eines machtbewussten Herrschers heraus. Noch Friedrich Nietzsche feierte um 1880 Cesare als einen „Virtuosen des Lebens“, ihm gefiel dessen Ruchlosigkeit wider die christliche Moral.

Manche hielten gar den Sohn für den eigentlichen Spiritus Rector von Alexanders Pontifikat. Falsch, meint Reinhardt, der Papst habe ganz klar die Fäden in der Hand gehabt, Vater und Sohn hätten vielmehr eine perfekte Rollenteilung betrieben mit Cesare als Mann fürs Grobe. Er führte das Terrorregime in Rom und der Romagna, mit dem die Familie den alten Feudaladel von seinem Besitz verdrängte. Vater und Sohn ließen auch den venezianischen Kardinal Giovanni Michiel vergiften, um sich dessen Besitztümer anzueignen. Der Fall erregte ein solches Aufsehen, dass der nachfolgende Papst Julius II. 1504 dazu einen Kriminalprozess anstrengte.

Zorn und Hass auf die Borgia wuchsen, doch nur wenige trauten sich, öffentlich gegen die mächtige Familie aufzutreten.

Es brauchte erst einen Girolamo Savonarola, jenes berühmten, aber auch berüchtigten Bußpredigers aus Florenz, der zum Märtyrer werden sollte. Er wird heute verklärt dargestellt, doch am Ende wollte er auch nur eines: Macht.

Alexander ließ den Mönch exkommunizieren. Doch auch die Machtkämpfe um das von Savonarola damals beherrschte Florenz führten dazu, dass der Eiferer ins Gefängnis geworfen, gefoltert und schließlich am 23. Mai 1498 öffentlich hingerichtet wurde.

In all den Wirren und Skandalen führte einer akribisch Buch: der deutsche Zeremonienmeister des Papstes, Johannes Burckard, ein prinzipientreuer Traditionalist. In seinem Tagebuch notierte er alles, was im Vatikan und auch außerhalb vor sich ging.

Es kam nie zum offenen Bruch, aber begann sich der Chronist so für die Nachwelt zu distanzieren vom Skandal-Papst? Immerhin kopierte Burckard auch einen anonymen Brief, angeblich aus einem spanischen Heerlager an einen italienischen Edlen gesandt, in dem der Heilige Vater als „Verräter der Menschheit“, „Feind Gottes, Belagerer des Glaubens Christi und Unterwühler der Religion“ angeprangert wird; alles sei „beim Papste käuflich: Würden, Ehren, Ehebünde und -scheidungen“.

Der wohl fiktive Brief datiert vom 15. November 1501.

Da neigt sich Alexanders Pontifikat schon dem Ende zu. Der Papst stirbt im August 1503 überraschend nach plötzlichem Unwohlsein am Fieber.

Die Macht der Borgia stürzt nun wie ein Kartenhaus zusammen. Cesare landet später in einem spanischen Kerker, kann fliehen und stirbt 1507 schließlich bei einem Kampf.

Bei aller Wut, die nun gegen die Borgia losschlug: Von der Kurie wurde Alexanders Amtszeit hinter vorgehaltener Hand als durchaus erfolgreich bewertet.

Als Herrscher des Kirchenstaates hatte er sich ja durchaus klug gezeigt, das politische Gleichgewicht in Italien zwischen Frankreich und Spanien zu erhalten versucht, urteilen etwa August Franzen und Remigius Bäumer in ihrer Papstgeschichte. Für die Kirche allerdings, so ihre Bilanz, war sein Pontifikat dennoch „ein Unglück“.

Noch sein Tod löste wilde Gerüchte aus: War er womöglich selbst Opfer einer Vergiftung geworden? Hatten er und sein Sohn versehentlich aus Pokalen getrunken, die eigentlich für ihre Feinde bestimmt waren? Die Forschung hält längst auch eine profanere Ursache für möglich: Malaria.

Der Rest ist Legende.

Die Kritik an dem landläufigen Geschichtsbild von den verbrecherischen und sittenlosen Borgia, das etwa Alexander VI., um nochmals Stendhal zu zitieren, als die gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden erscheinen lässt, beschränkt sich nicht etwa auf den Versuch, lediglich einen Teil der gegen die Borgia erhobenen Vorwürfe zu entkräften oder zu mildern.

Sie versucht vielmehr nachzuweisen, dass dieses Geschichtsbild in seiner Gesamtheit mit den historischen Tatsachen nicht vereinbar ist und die Borgia das Opfer einer Legendenbildung geworden sind. So vertritt etwa Susanne Schüller-Piroli in einem 1963 erschienenen Werk mit dem Titel „Borgia. Die Zerstörung einer Legende“ die Auffassung, dass das Bild der Borgia im Laufe der Zeit eine regelrechte Dämonisierung erfahren hat.

Dies ist freilich nur eine von vielen Kritiken an dem herkömmlichen Borgia-Bild. Schon der den Päpsten sicher keine übermäßige Sympathie entgegenbringende Voltaire hat sich über die Verteufelung der Borgia lustig gemacht. Der große katholische Historiker der Päpste, Ludwig von Pastor, distanzierte sich von dem ausschließlich negativen Borgia-Bild ebenso wie der liberale Ferdinand Gregorovius, der nach einem eingehenden Quellenstudium in seiner Biografie über Lucrezia Borgia nachwies, dass diese sicher nicht das giftmörderische Ungeheuer war, als das sie vielfach dargestellt worden ist. Allerdings sieht auch das Bild, welches Pastor und Gregorovius von den Borgia zeichnen, immer noch wenig vorteilhaft aus. Die wohlwollendsten Beurteilungen der Borgia findet man häufig bei protestantischen, angelsächsischen Historikern. Es seien hier nur die Namen von Roscoe, Creighton, einem anglikanischen Bischof, und Garnett genannt. Nicht zu Unrecht meint daher Will Durant in seiner „Kulturgeschichte der Menschheit“ etwas skeptisch, dass sich das Urteil dieser Autoren über die Borgia durch große Milde auszeichne. Sein eigenes Urteil über die Borgia unterscheidet sich dann allerdings von dem der eben genannten Autoren wenig. Die wohl leidenschaftlichste Verteidigung der Borgia findet sich in dem fünfbändigen Werk des Paters Peter de Roo „Material for a History of Pope Alexander VI“.

Insgesamt kann man sich jedoch — trotz de Roo — nicht des Eindrucks erwehren, dass die Borgia in der Regel umso milder beurteilt werden, je weniger nah der Beurteilende der katholischen Kirche steht. Bei der Frage, ob dies ein Zufall ist oder tiefere Gründe hat, sollte man vielleicht eine Tatsache nicht außer Acht lassen:

Aus heutiger Sicht scheinen die Borgia römischen Cäsarengestalten wie Caligula und Nero näher zu stehen als unserer Gegenwart. Gleichwohl waren die Borgia-Päpste Calixt III. und Alexander VI. — von einer Ausnahme abgesehen — die letzten nichtitalienischen Päpste der Kirchengeschichte bis zu dem am 16. 1o. 1978 zum Papst gewählten Polen Karol Wojtyla. Zugleich waren sie nach dem „Exil“ der Päpste von Avignon, an dessen Beendigung Calixt maßgeblichen Anteil hatte, das einzige nichtitalienische Geschlecht, das wie die großen italienischen Häuser der Colonna, Orsini, Conti, Gaetani, Medici, della Rovere als Familie, oder besser als Dynastie, die Macht im Vatikan ausgeübt hat.

Nach dem von den Italienern als Maranen — eine Bezeichnung für getaufte, aber ihrem Glauben treugebliebene Juden — bezeichneten Borgia hat es bis zur Wahl von Johannes Paul II. nur einen nichtitalienischen Papst gegeben. Dies war der ehemalige Erzieher Kaiser Karls V., der Holländer Hadrian VI. Er wurde am 9. I. 1522 zum Papst gewählt, trat sein Amt am 31.8. 1522 an und verstarb schon ein Jahr später am I 5. 9. 1523. Es wurde von Gift gesprochen.

Im Gegensatz zu den Borgia-Päpsten war Hadrian, der als einziger der Renaissancepäpste ernsthaft den Versuch unternommen hat, die Kirche zu reformieren, über jeden moralischen Zweifel erhaben. Gleichwohl oder gerade deshalb zog sich Hadrian den unversöhnlichen Hass der Römer zu. Über seinen Tod berichtet Gregorovius: „Nicht der Tod Alexanders VI. war in Rom mit solcher Freude begrüßt worden. Die ausgelassene Jugend bekränzte die Haustüre des päpstlichen Arztes und heftete darauf die Inschrift: >Dem Retter des Vaterlandes. Der Senat und das Volk von Rom.< Als den vielleicht Einsamsten der Päpste hat ihn der Historiker Heinz Kühner wohl zu Recht bezeichnet.“ Der Hass, der diesem völlig integren Papst entgegengeschlagen ist, spricht sicher nicht gegen die Meinung derer, die, wie etwa Susanne Schüller-Piroli, die Auffassung vertreten, der Hass gegen die Borgia sei weniger eine Folge ihrer Sittenlosigkeit als ihrer Herkunft und der Tatsache gewesen, dass sie es unternommen haben, die Macht des römischen Adels im Kirchenstaat zu brechen.

Der verkannte Papst Alexander VI.

Подняться наверх