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Die kurze Zeit als Herrscher

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Gegen Abend brachen sie auf. Voran zogen die Spahis unter Jakub Agha. Dann folgten die Karamanen, eher zusammengelaufene Stämme als ein Heer. Ihre Anführer machten noch immer nachdenkliche Gesichter, wahrscheinlich wären sie am liebsten umgekehrt. Am Schluss ritt Dschem mit seinem Gefolge von eilends eingekleideten Dichtern und Sängern, die sich nur mit Mühe im Sattel halten konnten. Drei Tage später langten sie vor Brussa an. Dschem fand die Tore geschlossen. Eine Belagerung konnte er nicht durchstehen, es waren etwa viertausend Mann.

Dieser erste Misserfolg verwirrte Dschem. Er hatte offenbar geglaubt, alle Städte würden ihm ihre Tore öffnen und ihn freudig als Herrn anerkennen.


Dschem vor der Stadt

Hinter der Stadt lagerte Ajas Agha mit seinen Truppen. Am Morgen befahl Dschem den Angriff. Das Treffen mit den Truppen Ajas Paschas, endete mit einem vollen Erfolg für Dschem und das nur nach zwei Stunden. Danach ließ sich die nunmehr bereits zehntausend Mann zählende Streitmacht zur Mittagsmahlzeit nieder, da nahte von der Stadt her eine Menschenmenge. An ihrer Spitze ritten etwa zwanzig Würdenträger. Bald erkannte man auch den Verwalter von Brussa. Kein Zweifel, die Stadt öffnete dem Sieger ihre Tore. Dem Sieger! Dieses Wort berauschte Dschem mehr als Schiras-Wein. Er trug noch die Rüstung, das aus dünnen Ringen geschmiedete Kettenhemd. die Stiefel staubbedeckt - so stand er mitten unter seinem Gefolge. In einer Anwandlung von Großmannssucht stellte er einen Fuß zum Kuss vor; mit einer Stimme, aus der jedes Lachen verschwunden war, befahl er den Stadtobersten von Brussa aufzustehen. Am nächsten Morgen zogen Dschems Truppen in Brussa ein. Dschem hatte den Kriegern befohlen, sich gut auszuruhen und ordentlich zurechtzumachen. Er wollte den mit Füßen getretenen Stolz der alten Hauptstadt wiedererwecken und ihr einen Sultan und ein Heer vorstellen, die ihrer würdig waren.

Sämtliche Einwohner waren in den Straßen, samt ihren Säuglingen und Kranken. Von jedem Fenster, jedem Altan und jeder Mauer hingen Teppiche, gestickte Tücher, ja sogar seidene Bettdecken oder Mäntel herab. Die Stadt war geschmückt bis zu den Spitzen ihrer zahlreimen Minarette. Der neue Gebieter, von dessen Begleitern keiner mehr als fünfundzwanzig Jahre zählte, erhellte Brussa mit seiner Freude. Jung, schön, begabt, vergöttert, genoss Dschem die höchste Stufe des menschlichen Glücks.

Er war nicht der erste Sieger, der in Brussa einzog, schon andere aus dem Geschlecht Osmans hatten Sklavenketten und beutebeladene Karawanen in die Stadt geführt: Orhan, Murad und Bajezid der Blitz. Aber keinem wurde ein solches Glück als Zwanzigjährigem zuteil, keiner hatte einen so großen Sieg in seiner Jugend erlebt.

Dschem war in diesen Tagen unermüdlich. Konzentriert, stets beschäftigt, gab er seine Befehle. Er übte sich in der Macht. Nachdem er ohne prunkvolles Zeremoniell zum Sultan ausgerufen worden war (zum zweiten Mal innerhalb einer Woche!), ließ er Silbergeld mit seinem Monogramm prägen und jeden Tag in den Moscheen ein Gebet für sein Wohlergehen lesen.

Das war alles. Es genügte zu dieser Zeit, ein Herrscher zu werden. Dschem ging als Sultan in die Geschichte ein, obwohl seine Macht auf eine Stadt und auf achtzehn Tage beschränkt blieb.

Indessen trafen weitere Krieger in Brussa ein. Bei jedem neuen Trupp warf Dschem einen triumphierenden Blick in die Runde seines Hofstaates. Jeder Haufe zählte vielleicht zwanzig bis fünfzig Mann - turkmenische Horden oder Gemeinschaften voll Gebirgshirten, die ihre Frauen, ihre Herden und ihre Kinder in unsere Hauptstadt mitbrachten, in das vermeintliche Zentrum der Rebellion. Mit einer solchen bunten Schar konnte keiner die Macht verteidigen, geschweige denn sie erobern.

Es waren kaum fünfzehntausend Säbel beisammen, als - schon Mitte Juni - die Nachricht eintraf, dass Bajezid Chan an der Spitze des Heeres von der Hunkjar Tschairi auf dem Marsch nach Brussa sei.

Dschem schien völlig sorglos. Er verbrachte den Tag bei seinen Truppen und entwarf mit den Heerführern einen Plan für die bevorstehende Schlacht. Es war etwas überspanntes in seinem Bemühen, die Wahrheit zu vergessen und die Augen vor der Zahl der Truppen seines Bruders, der Kampferfahrung ihrer Paschas und Bajezids rechtlichem Anspruch zu verschließen. Dschem, der strahlende Liebling des Schicksals, glaubte hartnäckig, allen Tatsachen zum Trotz, an seinen höchst unwahrscheinlichen Sieg. Gegen Abend meldeten die ins Gebirge ausgesandten Kundschafter, dass Bajezid sein Lager drei Wegstunden vor Brussa aufgeschlagen habe. Er wollte eine offene Feldschlacht. Dschem war verwirrt, er hatte auf eine lange Belagerung gehofft, während der sich in Bajezids Truppe eine für ihn günstige Stimmung ausbreiten konnte. Die neue Lage durchkreuzte diese Pläne.

Der zwanzigste Juni nahte, ein Tag, den Dschem nichtvergessen würde. Er befahl die Stadt zu verlassen und nach Jenischehir zu ziehen. Er wolle nicht, dass Brussa seine Treue zu ihm bezahlen muss und dass deshalb auf freiem Feld gekämpft wird.

Er beriet sich mit den obersten Bey, Ja'kub Agha, und fasste einen seltsamen Entschluss. Seiner Ansicht nach, sagte er (später erfuhr man, dass Ja'kub Agha ihm dies geraten hatte), müsse sich unsere Streitmacht in zwei Flügel teilen. Der eine werde nach Nikaia aufbrechen, um Bajezids Truppen in den Rücken zu fallen, der andere sich bei Jenischehir zum Kampf stellen. Den zweiten, stärkeren Flügel sollte Ja'kub Agha befehligen.

Alles geschah so, wie Ja'kub angeregt hatte. Noch in der Nacht zogen die Truppen in zwei verschiedenen Richtungen ab. Am zwanzigsten kam es zu der Schlacht bei Jenischehir, doch der Angriff in Bajezids Rücken blieb aus – die Leute waren schon unterwegs geschlagen worden….

Gleich zu Beginn des Gefechts, als die Gegner einander noch in kleinen Plänkeleien abtasteten, Bajezid seine Krieger ausschwärmen ließ und Dschem ihnen eine lockere Kette unserer Reiterei entgegenzustellen versuchte, sprengte Ja'kub auf schaumbedecktem Pferd heran. Wirklich, sein Handwerk ist der Krieg, dachte im, denn der oberste Bey war offensichtlich in seinem Element. Er riet Dschem, sämtliche Spahis in den Kampf zu führen. Dschem stimmte zu. Innerlich wusste er aber, dass die fünftausend Spahis in dem Meer des ihnen entgegenstehenden Heeres regelrecht ertrinken würden. Die berittenen Spahis suchten eine Furt und fanden auch eine. Allen voran trat Ja'kubs Ross ins Wasser - der oberste Bey führte seine Leute zielstrebig an. Selbst im Fluss bewegten sich die Spahis so schnell wie möglich, jeder Augenblick war ja kostbar. Als sie das andere Ufer erreicht hatten, wandten sie sich in dichten Haufen in Richtung auf Bajezids Standort. Ja'kub Agha hatte sich dem Feind bereits auf Sichtweite genähert. Aufs äußerste gespannt, warteten wir darauf, Rufe, Stöhnen und Waffengeklirr zu hören, das heißt den feierlich-triumphalen Lärm einer Schlacht. Aber was geschah? Die Spahis, Dchems Hoffnung und Stolz, verschwanden lautlos in Bajesids Heer. Ja'kubs Verrat schien die Schuld an der Niederlage von Dschem zu nehmen. Vielleicht sah er in dieser Schandtat das Wirken des Schicksals, dem er sich unterwarf.

Er wahrte die letzten Reste seiner Sultanswürde. Sie reichten bis zum Zelt. Er schwang sich in den Sattel seiner schwarzen Stute, fasste die Zügel kurz und galoppierte gen Sonnenuntergang. In wildem Ritt legten die Verbliebenen bis Mitternacht einen Weg zurück, der sonst zwei ganze Tage erforderte - von Jenischehir bis in die Ermeni-Berge. Nur die Karamanen folgten. Sie warfen unterwegs immer wieder Bündel und Waffen weg, denn Dschem ritt, als jagte ihn der Teufel.

Ermeni ist ein höchst unwirtliches Gebirge, unbewohnt, ohne eine einzige Quelle. Man überquerten es nachts unter erstaunt herabschauenden großen Sternen. Nur der Hufschlag der Pferde und die Flüche der Karamanen durchbrachen die Grabesstille. Allen voraus, an der Spitze der geschlagenen Schar, ritt Kassim Bey, der Rangälteste nach Ja'kubs Desertion. Er war der letzte lebende Spross der Karamaner Fürsten. Etwa zwanzig Trupps folgten unter seiner Führung Dschem, um ihn auf seinem Rückzug zu schützen. Kassim kannte das Ermeni-Gebirge und die umliegenden Wüsten. Er hatte Dschem völlig in der Hand, aber er verriet ihn nicht. Vor Dschem und seinen Getreuen lag der Fluss Tekke. Dahinter begann Syrien.

Dschem und seine Gefährten wurden von einer Gruppe Turkmenen überfallen, die sie ihrer letzten Habseligkeiten beraubte. Am 26. Juni erreichten sie Konya, wo sie für den Moment sicher waren. Sie brachen allerdings bereits drei Tage später auf, um in Richtung Südost-Anatolien weiter zu fliehen. Sie würden damit mamlukisches Territorium erreichen, wo sie sich vor weiteren Verfolgungen durch Bayezid sicher glaubten.

Von Ereğli aus überquerten sie das Taurusgebirge, um nach Tarsus zu gelangen. Von den lokalen Fürsten wurde Cem und seine Anhänger – mittlerweile eine Gruppe von zweihundert bis dreihundert – gastfreundlich empfangen. Sie waren Vasallen der Mamluken und standen damit Sultan Bayezid feindlich gegenüber.

Nach der Nacht im Ermeni-Gebirge bemühte sich Dschem mit aller Kraft, sich selbst und die Welt zu überzeugen, dass er im Recht sei, dass er Hunderttausende hinter sich habe und einen großen Kampf führe. Keinerlei Zeichen verrieten, dass wir auf fremdes Gebiet überwechselten. Darin lag etwas Heimtückisches - alle verhängnisvollen Grenzen im menschlichen Leben sind so niederträchtig unsichtbar. Man steht noch diesseits, und ehe man recht zur Besinnung kommt, ist man plötzlich drüben. Das Unwiderrufliche ist geschehen, ohne dass man den entscheidenden Augenblick erfasst hat.

Als man Kaitbais, des Sultans von Ägypten, meldete, dass Dschem die Grenze überschritten hatte und sich auf seinem Gebiet aufhielt, ordnete er an, ihn mit allen Ehren in seine Hauptstadt zu geleiten, Kassim Bey und die Karamanen aber zurückzuschicken, um Dschems Familie aus Konya nachzuholen.

So traf Dschem mit einem kleinen Gefolge in Kairo ein. Er wurde im Palast des Diwidars, des Großwesirs, untergebracht. Zwei Tage später, suchte er Kaitbais, auf. Das war eine reine Höflichkeitsvisite.

Um Dschem das Warten erträglicher zu machen, schlug ihm sein Gastgeber vor, die heiligen Stätten in Mekka und Medina zu besuchen. An einen Einmarsch in Karaman war ja nicht zu denken, solange Bajezids Heer dort stand. Er nahm die Einladung mit Freuden an, die Untätigkeit in Kairo zermürbte ihn. Trotzdem brach er erst im Spätherbst des Jahres 1481 auf. Seine Wallfahrt dauerte ganze vier Monate. Währenddessen warteten die Ereignisse nicht, viel veränderte sich in Anatolien. Häufig kamen Boten nach Kairo. Von ihnen erfuhr man, dass Kassim Bey mehrfach die Grenze überschritten habe. Bei seiner Rückkehr hegte er neue Hoffnungen; er sagte, die Lage gestalte sich völlig zu Dschems Gunsten. Mehrere anatolische Sandschakbeys - Anführer der Spahis - hätten sich offen gegen Bajezid ausgesprochen und erwarteten seinen Bruder als ihren Retter. Der Wichtigste war zweifellos Mahmud Bey, der Verwalter von Angora.

Dschem kehrte im Winter nach Kairo zurück und traf gleich seine Vorbereitungen. Von den Vertrauensleuten zahlreicher anatolischer Beys umgeben, fühlte er sich jetzt nicht mehr verlassen und verbannt, ja er wurde zusehends sicherer. Dann kam der Tag, wo sich Dschem von Kaitbais verabschiedete. Damals wusste keiner, dass es eine Trennung für immer war. Die Truppen sollten früh am Morgen aufbrechen. Das Heer zählte nur wenige Tausend Mann, aber Dschem hatte seinen Ehrgeiz dareingesetzt, es uns in bester Ausrüstung vorzuführen. In bunter Schar ritten die Krieger hinter ihrem Gebieter, gewappnet für den Kampf.

Vor dem Abschied hörte Dschem laute Rufe, darunter eine Frauenstimme. Durch die Wachmannschaften drängte sich eine Frau. Ihr Gesicht war verhüllt, so dass man ihr Alter nicht feststellen konnte. An ihren Kleidern erkannte ich, dass sie einem höheren Stand angehörte. In den Armen hielt sie ein vielleicht ein oder zwei Jahre altes Kind. Die Frau erreichte Dschem. Wortlos hob sie das Kind hoch und setzte es vor Dschem in den Sattel. Dabei verschob sich ihr Schleier, und sie stand mit unbedecktem Antlitz vor ihm. Es war die zweite Frau des Eroberers, Dschems Mutter, die Serbin. Die Ähnlichkeit mit ihrem Sohn verblüffte - das gleiche helle Gesicht mit den hellen Augen. Ihr Erscheinen verwirrte ihren Sohn tief. Er wandte den Blick nicht von ihr, während seine Hände das Kind hielten, ohne die Zügel loszulassen.

Die unverschleierte Frau umfasste mit beiden Händen Dschems Hüfte (höher reichte sie nicht) und schmiegte sich mit ihrem ganzen Körper an ihn, so fest, als wollte sie ihn nie wieder freigeben. Mit geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen gab sie sich völlig dem letzten Beisammensein mit ihrem Sohn hin. Im Verhalten der beiden lag etwas Reines, zutiefst Menschliches.

Sehr sanft schob Dschem seine Mutter von sich. Eine Zeitlang ruhte seine Hand auf ihrem Haar, und sie betrachteten einander schweigend. Dann sagte die Frau etwas in ihrer fremden Sprache, Dschem hob das Kind hoch, damit die Truppen es sahen.

Jubelrufe brausten auf. Die Männer bekundeten dem obersten Heerführer ihre Treue und versprachen ihm den Sieg. Malunud Bey, der Herr von Angora, schlug sich tatsächlich auf Dschems Seite und einige andere Heerführer der Spahis folgten seinem Beispiel. Daraufhin begab sich Bajezid nach Aidos, während sich Kassim Bey an der Spitze der Karamanen mit Dschem und Mahmud vereinte, um Konya zu belagern. Vorher unterschrieb Dschem jedoch einen Vertrag, der besagte, das Karaman unter Kassim wieder ein selbständiger Staat werden sollte. Damit verschenkte Dschem etwas, was er nicht besaß. Die Osmanen würden ihm den Zerfall ihres jungen Reiches nicht verzeihen.

Der mamlukische Sultan El-Ashraf Seyfeddin Kaitbey war der mächtigste Gegenspieler der Osmanen. Als ihn die Nachricht erreichte, dass Cem und seine Anhänger sich Kairo näherten, sendete er ihm seine mächtigsten Hofbeamten mit der Botschaft entgegen, dass er am Hof von Kairo willkommen und sicher vor seinem Bruder Bayezid sei. Sultan Kaitbey selbst lag daran, dass sich die Nachfolgestreitigkeiten innerhalb des osmanischen Reiches fortsetzten. Auf die Bitte Dschems, ihn in seinem Kampf um den Thron zu unterstützen, ging er vorläufig allerdings nicht ein. Stattdessen versuchte er zwischen den beiden Brüdern zu vermitteln, während sich Dschem auf die Haddsch nach Mekka und Medina begab. Bayezids einzige Konzession an Dschem war das Angebot, ihn finanziell zu unterstützen, wenn er sich in der Nähe von Jerusalem niederlasse.

Attraktiver als die Offerte seines Bruders fand Cem das Angebot von Kasım Bey, ihn in einem Feldzug gegen Bayezid zu begleiten. Kasım Bey war der Herrscher über das Gebiet von Karamania gewesen, bis osmanische Truppen diese Region erobert hatten. Kasım Bey hatte Dschem auch darüber informiert, dass Mehmed Agha - unter Mehmed II. einst Oberbefehlshaber der Janitscharen - Dschem in seinem Kampf um den osmanischen Thron unterstützen würde. Von Sultan Kaitbey finanziell unterstützt und in Begleitung einer mamlukischen Truppe von 2.000 Soldaten brach Dschem am 26. März 1482 auf, um nach Adana zurückzukehren, wo Kasım Bey und Mehmed Agha mit ihren Truppen warteten. Seine Familie – darunter seine Mutter, sein Sohn Murad und dessen Mutter, seine Tochter Gevher Melek und mehrere Frauen seines Harems – ließ er im Schutz des mamlukischen Sultans zurück.


Der Komplex des Großpriorats Bourganeuf mit La tour de Zizim im Vordergrund

Bayezid war durch Spione über die Pläne seines Bruders und dessen Truppenbewegungen im Süden Anatoliens gut informiert. Während Dschem gemeinsam mit Kasım Bey und Mehmed Agha über das Hochplateau von Anatolien marschierte, versammelte er ein Heer von 200.000 Mann. Er musste allerdings damit rechnen, dass sich ähnlich wie Mehmed Agha noch mehr Truppenteile Dschem anschließen würden. Mit großzügigen Geldgeschenken versuchte er sich die Loyalität seiner Truppe zu erkaufen.

Dschem erlitt erneut eine Niederlage. Nachdem das vereinte Heer von Dschem, Kasım Bey und Mehmed Agha vergeblich versucht hatte, die Stadt Konya einzunehmen, hatten sie sich getrennt. Mehmed Agha sollte versuchen, Ankara einzunehmen. Dort unterlag er jedoch in einer Schlacht gegen einen der Gouverneure von Bayezid. Mehmed Agha selbst kam in der Schlacht ums Leben. Als die Nachricht vom Tode Mehmed Aghas Cem und Kasım Bey erreichte, zogen sie sich vor den heranrückenden Truppen Bayezids erneut in das unwegsame Taurusgebirge zurück.

Kaum drang Gedik Ahmed in Anatolien ein, da befahl er, Mahmud Beys gesamte Familie festzunehmen und nach Stambul zu bringen. Außer sich vor Zorn, verfolgte Mahmud Bey die Janitscharen, die seine Frauen und seine Kinder entführten. So lieferte er sich selbst in die Hände Suleiman Paschas, des Verwalters von Amasya, wurde geschlagen und umgebracht, und sein Haupt wurde Bajezid geschickt. Durch diese Dummheit verlor Dschem seinen hoffnungsvollsten Heerführer und seine beste Truppe.

Mitte des Sommers nahmen die beiden Brüdern Verhandlungen auf. Hätte Dschem sie früher eingeleitet, vor der Belagerung Konyas und der Niederlage Mahmuds, dann wäre ein Vergleich vielleimt nicht ausgeschlossen gewesen. Bayezid sollte von Istanbul aus über die europäischen Provinzen herrschen. Cem wollte von Bursa aus über Anatolien herrschen. Bayezid lehnte diesen Vorschlag ohne zu zögern ab und sammelte seinerseits Truppen in Iznik, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Bursa.

Nun aber, nach den Siegen, war Bajezids Antwort unbeugsam: Das Reich sei wie eine Braut, es lasse sich nicht unter zwei Bewerber teilen. Er legte seinem Bruder nahe, sein Kleid nicht länger mit dem Blute Rechtgläubiger zu beflecken und seine Tage in Jerusalern, außerhalb der Grenzen des Reiches, zu beschließen.

Diesem Entscheid Bajezids folgten rasche Taten: Gedik Ahmed zog nach Kilikien, um Dschem endgültig niederzuwerfen, der sich mit den Resten seines Heeres dorthin zurückgezogen hatte. Dschem wich nach Lykien aus.


Dschem mit seinen Hofstaat

Lykiens Gebirge sind völlig kahl. Einst, sagt man, zur Zeit der Phönizier und der alten Griechen, waren sie mit Zedernwäldern bedeckt. Aber die Zeder eignet sich vorzüglich für den Schiffsbau, und so schwammen die Wälder von Lykien im Laufe der Jahrhunderte unter fernhungrigen Reisenden. Händlern und Korsaren auf allen Weltmeeren davon.

Damals, 1482, wuchs in Lykien nicht das kleinste Gehölz. Wolkenbrüche, Stürme und heiße Wüstenwinde hatten die Berge nicht nur kahlgefegt, sondern sie auch in eine unheilvolle Einöde verwandelt, die ihresgleichen suchte. Lykien türmte seine glattgewehten, blutroten Sandhänge neben uns auf, es fiel wie ein riesiges Dach in großen Flächen zum Meer hin ab, auf denen kein Pferdehuf sicheren Halt fand. Lykien stöhnte und klagte heulend in seinen zahllosen engen Schluchten. Lykien war ein glühheißes, auswegloses Martyrium.

In diesem Land irrte Dschem umher, ein paar Tausend Besiegte, die den Glauben an ihr Glück verloren hatten. Ohne einen Laut glitt die Karawane wie eine kranke Schlange durch die engen Schluchten.

Nach der erneuten Niederlage hatte Cem eine Flucht nach Persien erwogen, um einer Gefangennahme durch die Truppen seines Bruders zu entgehen. Kasım Bey riet ihm jedoch, in Europa Exil zu suchen. Dschem wandte sich mit seiner Bitte um Asyl zunächst in einem Brief an die Republik Venedig. Venedig lehnte jedoch mit dem Hinweis auf den bestehenden Friedensvertrag ab. Auch Bayezid erfuhr durch seine Spione von den Annäherungsversuchen Dschems und bekräftigte daraufhin gegenüber Venedig erneut den bestehenden Friedensvertrag.

Dann kam der 25. Juni 1482. Dschem war voller Tatendrang aufgesprungen. Er hatte sich entschieden, nun galt es für ihn, zu handeln.

Er beauftragte einen Boten, zu den Rhodos Rittern zu fahren und sie in seinem Namen um gastfreie Aufnahme zu bitten. Er begründete es damit, dass er – um nach Rumelien zu gelangen - Schiffe benötigt und die erste Insel auf dem Weg nach Norden ist Rhodos. Dschem lächelte wie einer, der, sonst nicht gerade durchtrieben, unversehens einen schlauen Gedanken gehabt hat.

Ein Prinz als Geisel

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