Читать книгу Der Fall Ludwig XV. - Walter Brendel - Страница 5

Kindheit

Оглавление

Ludwig wurde am 15. Februar 1710 als dritter Sohn des Ludwig von Burgund und seiner Gemahlin Maria Adelaide von Savoyen geboren.

Sein Vater, der Herzog von Burgund war der älteste Enkel Ludwigs XIV. und Bruder Philipps V. von Spanien. Als Kind halsstarrig und jähzornig, wandelte ihn die Erziehung durch François Fénelon von Grund auf und machte ihn zum Hoffnungsträger der französischen Monarchie. Für ihn schrieb Fénelon auch seinen berühmten Erziehungsroman Les aventures de Télémaque. Dieser François Fénelon (* 6. August 1651 auf Schloss Fénelon im Périgord; † 7. Januar 1715 in Cambrai) war Erzbischof und Schriftsteller. Er stammte aus einer alten Adelsfamilie des Périgord. Da er jüngerer Sohn war und die Familie schon mehrere Bischöfe hervorgebracht hatte, wurde er früh für die kirchliche Laufbahn bestimmt. 1688 wurde er Madame de Maintenon vorgestellt, der „linker Hand“ angetrauten zweiten Gattin von Ludwigs XIV. Im Sommer 1689 wurde er wohl auch auf Vorschlag von Madame de Maintenon, deren geistlicher Berater er inzwischen geworden war, von Ludwig XIV. zum Erzieher seines 7-jährigen Enkels und eventuellen Thronfolgers, des Duc de Bourgogne, berufen. Dies verschaffte ihm eine einflussreiche Position am Hof und war sicherlich ausschlaggebend für seine Aufnahme in die Académie française (1693) sowie für seine Ernennung zum Erzbischof von Cambrai, Cambrai (1695). Allerdings scheint er mit dieser Ernennung nicht völlig zufrieden gewesen zu sein. Zumindest behauptet der bekannte Memoiren-Autor Saint-Simon in seinen Erinnerungen, dass Fénelon eher auf das vakante Erzbistum Paris spekuliert hatte.

Für seinen fürstlichen Zögling schrieb Fénelon (wie schon so häufig belehrende Werke: zunächst eine Sammlung von Fabeln, sodann die Aventures d’Astinoüs (= die Abenteuer A.s) und die Dialogues de morts (= Totendialoge), vor allem aber den umfänglichen, 1694–96 verfassten Abenteuer-, Reise-und Bildungsroman Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse (1733 in Deutsch erschienen als Die seltsamen Begebenheiten des Telemach).

In diesem pseudo-historischen und zugleich utopischen Roman führt der Autor den jungen Odysseus-Sohn Telemachos und dessen Lehrer Mentor (in dem sich Minerva alias Athene verbirgt und der sichtlich Sprachrohr Fénelons ist) durch diverse antike Staaten, die meist durch Schuld ihrer von Schmeichlern und falschen Ratgebern umgebenen Herrscher ähnliche Probleme haben wie das in Kriege verstrickte und verarmende Frankreich der 1690er Jahre. Er zeigt aber an einem Paradefall, wie sich diese Probleme dank der Ratschläge Mentors lösen lassen durch friedlichen Ausgleich mit den Nachbarn und durch Wachstum stimulierende Reformen, insbesondere die Förderung der Landwirtschaft und die Zurückdrängung der Luxusgüterproduktion.

Der Télémaque, der ab 1698 in Abschriften am Hof zirkulierte, wurde sofort interpretiert als kaum verschlüsselte Kritik am autoritären, zunehmend abgehobenen Regierungsstil König Ludwigs sowie an seiner aggressiven, kriegerischen Außenpolitik und seiner exportorientierten merkantilistischen Wirtschaftslenkung, die die Produktion und den Export von Luxusgütern unterstützte. Fénelons größter Gegner am Hof, sein einstiger Förderer Bossuet, gewann nun die Oberhand, nachdem er ihn schon seit 1694 in scheinbar theologisch motivierte Querelen über den Quietismus gezogen und 1697 versucht hatte, vom Papst eine Verteidigungsschrift verurteilen zu lassen, die Fénelon für Madame Guyon verfasst hatte, die nach und nach zum Quasi-Staatsfeind avanciert war (und 1698 inhaftiert wurde).

Anfang 1699 verlor Fénelon seinen Erzieherposten, und als im April sein Télémaque, zunächst anonym und ohne seine Zustimmung, im Druck erschien, wurde er vom Hof verbannt.

Dank dieser intellektuell und emotional vorzüglichen Unterrichtung galt der junge Herzog von Burgund bald als äußerst intelligent und politisch begabt. An geistigen Fähigkeiten und Arbeitswillen überragte er angeblich sowohl seinen Vater, den Grand-Dauphin, als auch seinen Sohn, den späteren König Ludwig XV.

Sein Tod an Masern (bzw. Scharlach, hier sind sich die Historiker nicht einig) war für die französische Monarchie ein großer Verlust. Der tödlichen Epidemie von 1712 fielen neben ihm auch seine Frau und sein 1707 geborener Sohn Louis de Bretagne zum Opfer. Da sein Vater bereits im Vorjahr gestorben war, wurde sein 1710 geborener Sohn Louis d'Anjou, der spätere König Ludwig XV., zum Thronfolger.

Aufgrund der großen Hoffnungen, zu denen er zu berechtigen schien, einerseits, seines vorzeitigen Todes andererseits wurde Louis in der Folgezeit gelegentlich von Dichtung und Geschichtsschreibung verklärt – insbesondere von Voltaire -, auch unter dem ungünstigen Eindruck, den die Regierung seines Sohnes, unserer Titelheld, auf die Zeitgenossen machte.

Die Mutter, Maria Adelaide von Savoyen wurde bereits mit elf Jahren in Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieg mit Louis de Bourbon, dauphin de Viennois für eine Ehe auserkoren. Zeitgenossen beschrieben sie als anmutig und gut gewachsen, lebhafte Augen und schöne schwarze Haare habe und dass sie sich ausgesprochen höflich und manierlich benommen habe. Da Maria Adelaide noch zu jung war, wurde sie zunächst nicht verheiratet und von ihrem künftigen Gemahl ferngehalten. Sie besuchte zur weiteren Ausbildung die von Madame de Maintenon 1684 gegründete Mädchenschule Maison Royale de Saint-Louis in Saint Cyr bei Versailles. Zum gesetzlich frühestmöglichen Zeitpunkt (7. Dezember 1697) fand sodann die Hochzeit der gerade erst 12-jährigen zukünftigen Dauphine mit dem Herzog von Burgund, dem ältesten Sohn des Grand Dauphin, mit großem Prunk in Versailles statt. Die Braut trug dabei ein silbernes, mit Rubinen übersätes und mit einer 8 Meter langen Schleppe versehenes Kleid.

Die Ehe wurde wegen der Jugend der Braut vorläufig noch nicht vollzogen. Ludwig XIV. lebte durch die kindlichen Späße Maria Adelaides sichtlich auf. Bis zu ihrem Tod war sie der erklärte Liebling des alternden Königs, den sie ständig zu unterhalten und aufzuheitern verstand. Bald konnte Maria Adelaide auch die Madame de Maintenon für sich einnehmen, die sie vertraulich als „matante“ anredete. Sie genoss in Versailles Freiheiten wie kaum ein anderes Mitglied der königlichen Familie. Der König zog sie sogar seinem Enkel vor. Sie berichtete ihrer Familie häufig brieflich über ihr außerordentlich freundschaftliches Verhältnis zu dem König, das dessen uneheliche, aber legitimierte Töchter ärgerte.

Die Gattin Ludwigs XIV., Maria Theresia, war bereits 1683 gestorben, und nun war Maria Adelaide trotz ihrer Jugend für den König die First Lady seines Hofs. Bei repräsentativen Akten durfte sie die Rolle der Königin übernehmen. In Versailles bewohnte sie die Prachtgemächer der verschiedenen Königin, die nach ihrem Geschmack renoviert wurden und im gleichen Stockwerk wie jene des Königs und der Madame de Maintenon lagen.

Das Elternpaar Ludwig XV., Maria Adelaide und ihr Gatte, der Herzog von Burgund, nahmen schließlich ein normales Eheleben auf und bekamen drei Söhne:

Ludwig, 1. Herzog der Bretagne (* 25. Juni 1704, † 13. April 1705)

Ludwig, 2. Herzog der Bretagne (* 8. Januar 1707, † 8. März 1712)

und letztlich den Vielgeliebten.

Ludwig XIV. war über die Geburt der Söhne sehr zufrieden, schien doch damit die Nachfolge gesichert.

Maria Adelaide liebte Schmuck und Vergnügungen, nahm an zahlreichen Bällen, Jagden, Spielen und Banketten teil und war oft der Mittelpunkt des von ihr bezauberten Hofes. Sie teilte überhaupt nicht die extrem religiösen Neigungen ihres Gatten und bemerkte einmal zu Ludwig XIV., dass, wenn sie vor ihrem Gemahl stürbe und danach wieder auf die Erde zurückkehren könnte, ihn mit einer Klosterschwester verheiratet fände.

Sogar auf dem Feld der Politik wagte Maria Adelaide Witze zu reißen und fragte Madame de Maintenon eines Abends in Anwesenheit Ludwigs XIV., warum England unter einer Königin besser regiert werde als unter einem König, und antwortete sich selbst, weil das Land unter einem König von Frauen regiert werde und unter einer Königin von Männern. Damit spottete Maria Adelaide auch über die Ranküne der heimlichen Gattin Ludwigs XIV. Dennoch belustigte sich der König an ihrer etwas boshaften Bemerkung.

Die junge Herzogin von Burgund suchte durch ihren Einfluss auf Ludwig XIV. ihre politischen Feinde, die sich um ihren Schwiegervater, den präsumtiven Thronfolger, scharten, in Schach zu halten. Ihre größte Gegnerin war die Gräfin Louise Françoise de Bourbon, eine legitimierte Tochter Ludwigs XIV. von dessen ehemaliger Mätresse Madame de Montespan. Die Gräfin von Bourbon suchte ihre Tochter Louise Élisabeth de Bourbon mit dem Herzog Charles von Berry, dem jüngsten Sohn des Grand Dauphin, zu verheiraten, der aber auf Betreiben Maria Adelaides vielmehr 1710 Gatte von Marie Louise Élisabeth de Bourbon-Orléans, der ältesten Tochter des Herzogs Philipp II. von Orléans, wurde. Durch Maria Adelaides Einfluss fiel auch der französische Feldherr Louis Joseph, Herzog von Vendôme in Ungnade.

Die Mutter

Der Vater

Maria Adelaide nahm oft an politischen Beratungen teil und war in viele bedeutende Staatsgeheimnisse und Beschlüsse eingeweiht. Laut dem französischen Historiker Charles Pinot Duclos soll sie ihr Wissen missbraucht haben, indem sie ihrem Vater alle für ihn interessanten Informationen mitteilte. Dies sei nach ihrem Tod aufgrund der Durchsicht ihrer Briefe ans Tageslicht gekommen. Dementsprechend soll Ludwig XIV. gegenüber der Madame de Maintenon geäußert haben, dass ihn das „kleine Frauenzimmer“ getäuscht habe.

Als der bisherige Thronfolger, der Grand Dauphin, am 14. April 1711 an den Windpocken starb, rückte sein Sohn, der 29-jährige Herzog von Burgund, zum Kronprinzen und dessen Gemahlin Maria Adelaide zur Dauphine auf, eine Stellung, die sie nur zehn Monate innehaben sollte. Denn 1712 brach eine Masernepidemie aus, und sowohl der Herzog als auch die Herzogin von Burgund erlagen dieser Krankheit, ebenso ihr ältester noch lebender Sohn, der fünfjährige Herzog der Bretagne. Maria Adelaide erkrankte im Schloss Fontainebleau, wo der Hof gerade Station machte, und starb am 12. Februar 1712 in Versailles. Kurz vor ihrem Ableben soll die erst 26jährige Dauphine, auf ihre Vergänglichkeit, auch im Gedächtnis des Versailler Hofes, anspielend, zur Herzogin von Guise gesagt haben: „Auf Wiedersehen, schöne Herzogin. Heute Dauphine, morgen nichts, übermorgen vergessen.“

Ihr sie innig liebender Gatte, der sich bei ihr angesteckt hatte, starb nur sechs Tage später, am 18. Februar, in Marly-le-Roi. Maria Adelaide wurde am 23. Februar gemeinsam mit ihrem Gatten in der Basilika Saint-Denis beigesetzt. Der kleine Herzog der Bretagne starb am 8. März 1712.

Nach dem plötzlichen Todes seiner Eltern und seines älteren Bruders wird der kleine Ludwig aufgrund der Primogenitur zum Dauphin ernannt.

Die Primogenitur ist ein Erbfolgeprinzip, nach dem nur der Erstgeborene das Erbe antritt und alle anderen Geschwister ausgeschlossen bleiben. Die Primogenitur galt vor allem in Monarchien für die Bestimmung des Thronfolgers. In der Regel konnten dabei nur Söhne die Erbfolge antreten; Töchter waren entweder ganz ausgeschlossen (Lex Salica) oder wurden gegenüber den Söhnen zurückgesetzt. Die Primogenitur sicherte den ungeteilten Bestand eines Erbes, im Falle eines Regenten also die Fortdauer einheitlicher Herrschaft über das bestehende Territorium. Je mehr in der frühen Neuzeit Herrschaftsgebiete funktionell und nach dem Selbstverständnis der Herrschaftsinhaber zu einem Staat wurden, desto erstrebenswerter wurde dieses Ziel. Die Primogenitur ließ die Geschwister des Erben ohne Versorgung aus der Erbmasse. Man half dem teilweise ab, indem man ihnen kirchliche Pfründen zukommen ließ. Nach der Reformation verloren die protestantischen Länder diesen Behelf. Indem die jüngeren Geschwister eine geistliche Position übernahmen, fielen sie auch als Zeuger legitimer, erbberechtigter Kinder aus. Sofern also der Erstgeborene bei der Fortpflanzung „versagte“, drohte die Familie auszusterben. In solchen Fällen wich man dann oft vom Hausrecht ab, in dem Primogenitur niedergelegt war, um die Fortdauer der Familie zu sichern.

Der Herzog von Anjou, nunmehr der letzte überlebende Dauphin in direkter Linie, hatte also innerhalb von wenigen Tagen sowohl seine Eltern als auch seinen letzten Bruder verloren. Diese Ereignisse und deren Folgen haben in der Psyche, im Charakter und im späteren Verhalten Ludwigs tiefe Spuren hinterlassen. Sein zartes Alter und seine angegriffen erscheinende Gesundheit waren Anlass für durchaus begründete Befürchtungen für die zukünftige Nachfolge auf dem Thron Frankreichs.

Wahrscheinlich verdankte der Herzog von Anjou seine glückliche Genesung dem entschiedenen und intuitiv richtigen Verhalten seiner Gouvernante. Während sich in den kritischen Tagen ein Stab von sieben Hofärzten um den mit dem Tod ringenden älteren Bruder, den Thronfolger, kümmerte und diesen mit dem damals praktizierten „Allheilmittel“, dem „Aderlass“, und dem Verabreichen von Brechmitteln zusätzlich schwächten, konnten sich die Gouvernante und die übrigen Betreuerinnen des Herzogs von Anjou mit ihrem Zögling in dessen Zimmer einschließen und jede Intervention der Ärzte mit Entschlossenheit verhindern. Sie begnügten sich damit, den kleinen Ludwig warm zu halten sowie ihn mit Zwieback und ein wenig Wein zu ernähren. Vieles spricht für die Annahme, dass sie ihm damit das Leben retteten.

Für Ludwig XIV. waren diese innerhalb so kurzer Zeit erfolgten familiären Todesfälle eine Tragödie. Besonders trauerte er um die verstorbene Dauphine und teilte seinen Kummer auch brieflich König Philipp V. von Spanien mit.

Da bis auf den erst zweijährigen Herzog von Anjou alle legitimen Erben Ludwigs XIV. verstorben waren, erhob der alte König seine illegitimen Söhne 1714 in den Rang

der Prinzen von Geblüt und stellte ihnen nach einem eventuellen Tod des Herzogs von Anjou sogar die Thronfolge in Aussicht. Dieser Fall trat allerdings nie ein, da aus dem Herzog von Anjou 1715 König Ludwig XV. von Frankreich wurde.

Ludwig als kleiner Dauphin

Es ist durchaus möglich, dass in den vielen Trauerfällen aus Ludwigs Familie die Ursprünge seiner Melancholie begründet waren.

Die wichtigste Bezugsperson Ludwigs in seiner Kindheit war seine 1710 auf diesen Posten berufene Gouvernante, die Herzogin von Ventadour. Diese stellte für ihn eine Ersatzmutter dar. Die Herzogin von Ventadour war eine Freundin der Marquise von Maintenon – der heimlichen Ehefrau Ludwig XIV. -, auf deren Anraten sie bei dem jungen Ludwig einen relativ liberalen Erziehungsstil anwenden ließ.

Die Herzogin von Ventadour (Charlotte Eléonore Madeleine de La Mothe-Houdancourt, duchesse de Ventadour, 1651–1744) war im März 1704 anlässlich der ersten Schwangerschaft der Herzogin von Burgund, der Mutter des Herzogs von Anjou, von Ludwig XIV. zur Gouvernante der »Kinder Frankreichs« (Enfants de France) ernannt worden. In dieser Funktion war sie zunächst mit der Betreuung und Erziehung des ersten Herzogs der Bretagne betraut. Als dieser neun Monate nach seiner Geburt 1705 verstarb, wurde sie in dieser Funktion erst wieder im Jahre 1707 nach der Geburt des zweiten Herzogs der Bretagne tätig. Drei Jahre später wurde auch der Herzog von Anjou ihrer Obhut übergeben. Die Gouverneure und Gouvernanten der „Kinder und Enkelkinder Frankreichs“ waren für diese die Vertreter ihrer Eltern. Die jungen Prinzen und Prinzessinnen hatten ihnen in gleicher Weise zu gehorchen wie ihren leiblichen Eltern oder Großeltern. Symbolisch fand die Unterordnung und der Gehorsam der kleinen Prinzen und Prinzessinnen ihren greifbaren Ausdruck z. B. darin, dass diese bei ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit bis zum siebten Lebensjahr stets von ihrer Gouvernante begleitet wurden, die sie an einem Band, sozusagen am „Gängelband“, führte. Selbstverständlich hatten die Gouvernanten und Gouverneure stets in dauernder Absprache mit den königlichen Eltern oder Großeltern zu agieren, die sich in der Regel auch mit großer Liebe und Zuwendung um ihre Kinder und Enkel kümmerten und engen Kontakt mit ihnen pflegten.

Der Herzog von Anjou hat diese elterliche Liebe und Zuneigung wegen der geschilderten Ereignisse nie erfahren. Seine Eltern lernte er nur aus Erzählungen kennen. Eine persönliche Erinnerung an sie konnte er nicht haben. Dies hat tiefe Spuren bei ihm hinterlassen. Im Alter von 38 Jahren schrieb er in einem Kondolenzbrief: „Ich habe das Unglück, nie erfahren zu haben, was über 72jährige Ludwig XIV. und die Herzogin von Ventadour, die das 60. Lebensjahr auch schon überschritten hatte. Zweifellos erfuhr er beim alten König die größte familiäre Liebe und Zuneigung. Ludwig XIV. war aber damals ein Ehrfurcht gebietender und strenger Urgroßvater, der von den Schicksalsschlägen, die seine Familie heimgesucht hatten, und von der schwierigen Lage, in der sich die Monarchie befand, gezeichnet war. Es kann deshalb nicht überraschen, dass der kleine Herzog von Anjou besonders affektive Beziehungen zu seiner Gouvernante, der Herzogin von Ventadour, entwickelte, die für ihn mehr als eine „Ersatzmutter“ wurde. Er nannte sie „Mama Ventadour“ (Maman Ventadour) oder kurz „Mama“ (Maman).

Der Herzogin von Ventadour war in ihrer Charge als Gouvernante zahlreiches Personal untergeordnet: zwei weitere Untergouvernanten, eine Amme, eine Wickelfrau, sechzehn Kammerfrauen und weiteres Dienstpersonal. Obwohl sie über dieses zahlreiche Hilfspersonal verfügen konnte, überkamen sie angesichts der großen Verantwortung, die aus ihrer schwierigen Mission und ihren vielfältigen Aufgaben resultierten, Zweifel, ob sie diesen in ihrem vergleichsweise hohen Alter auch in vollem Umfang gewachsen sei. Deshalb wandte sie sich immer wieder an die Marquise von Maintenon, die über einschlägige Erfahrungen im Umgang mit kleinen Kindern königlichen Geblüts und mit deren Erziehung verfügte. Dank der engen Beziehung, die zwischen der Maintenon und der Herzogin von Ventadour bestand, konnte die morganatische Gemahlin Ludwigs XIV. großen Einfluss auf die frühe Erziehung des kleinen Ludwig ausüben. Diese Einflussnahme sollte aber geheim bleiben, was auch tatsächlich weitgehend der Fall war, so dass spätere Historiker sie in ihrer Bedeutung unterschätzt haben.

Die Marquise von Maintenon hat in ihren Briefen der Herzogin von Ventadour immer wieder und nachdrücklich an Herz gelegt, bei ihren Erziehungsmaßnahmen keinerlei Zwang anzuwenden. Am 14.Juni 1715 schrieb sie ihr: „Ihren Bemühungen um unseren Schatz ist nichts hinzuzufügen, und Frankreich wird sehr zufrieden sein, wenn Sie ihn gesund und munter erhalten [...] Auf Grund meiner großen Erfahrung glaube ich, dass es vergebliche Mühe ist, Kinder zu zwingen, etwas zu lernen; man darf bei ihnen nicht den geringsten Zwang auszuüben. Und da Sie es unbedingt wünschen, dass ich Ihnen einigen Rat gebe, werde ich dies tun unter der Voraussetzung, dass Sie darüber ohne Ausnahme Stillschweigen bewahren. Da man niemals zu viel Verstand und Tugend besitzen kann, glaube ich, dass man nicht zu früh damit beginnen kann, diese Gaben zu pflegen und weiter zu vertiefen. Ich möchte, dass man ihm [d. h. Ludwig] nach und nach Verschwiegenheit beibringt, indem man ihn daran gewöhnt, für sich zu behalten, was man ihm anvertraut hat. Ich möchte, dass man von ihm nichts verlangt, wenn man ihm zuvor nicht die dafür gegebenen Gründe dargelegt hat. Es ist gefährlich, ihn daran zu gewöhnen, blind zu gehorchen, denn entweder ließe er sich dann von anderen beherrschen, oder er würde ebenfalls blinden Gehorsam von anderen verlangen. Ich möchte, dass er zu humanem Verhalten angehalten wird und dass man ihm niemals das Beispiel von Täuschung und Betrug gibt. Er möge lernen, auf das Wohlergehen der anderen bedacht zu sein, vor allen Dingen aber soll er dankbar sein.“

Die Herzogin von Ventadour hat diese Ratschläge offenbar befolgt, denn Madame Palatine, die Witwe des 1701 verstorbenen Bruders Ludwigs XIV., äußerte sich im Herbst 1714 kritisch über das Betragen des kleinen Herzogs von

Anjou. Er sei überhaupt nicht gut erzogen und viel zu verwöhnt. Er sei empfindlich und schwach, und man fürchte, ihm Anlass zum Weinen zu geben; außerdem lasse man ihm stets seinen Willen.

Sehr früh erlernte Ludwig das Lesen und Schreiben von seinem Lehrer, dem Abbé Robert Perot, einem Kanoniker an der Kathedrale von Chartres, dessen Wahl das Werk der Marquise von Maintenon war. Der von Perot erteilte Elementarunterricht im Lesen und Schreiben fiel bei seinem Schüler auf sehr fruchtbaren Boden. Bereits im Alter von vier Jahren kritzelte er

zahlreiche Briefe an den König. Perot führte seinen Schüler auch in die Grundzüge der Geschichte und der Geographie ein. Für letztere entwickelte sein Schüler alsbald ein besonderes Interesse. So berichtete die Herzogin von Ventadour im Oktober 1714 erstaunt, dass dieser geographische Karten genauso gut verstehe wie ein Erwachsener.

Ludwig XIV. verfolgte dank der Berichte, die die Gouvernante direkt an ihn oder an die Marquise von Maintenon richtete, aus der Nähe die Fortschritte bei der Erziehung des kleinen Dauphins. Zu Beginn des Jahres 1715 hielt der König deshalb auch den Zeitpunkt für gekommen, den Thronfolger bereits an gewissen Aktivitäten des Hofes und des Staates zu beteiligen. So nahm dieser in vorderster Reihe am 19. Februar 1715 an dem feierlichen und prunkvollen Empfang teil, den der König dem persischen Botschafter in Versailles zuteilwerden ließ. Natürlich trat der kleine Herzog von Anjou bei dieser Gelegenheit in Begleitung seiner Gouvernante auf. Am 18. April, am Gründonnerstag desselben Jahres, durfte er dem König bei der feierlichen Fußwaschung assistieren, bei der Ludwig XIV. dem ehrwürdigen katholischen Ritus entsprechend dreizehn Armen die Füße wusch. Auf diese Weise machte der König den kleinen Thronfolger schon frühzeitig mit einigen zentralen weltlichen und religiösen Funktionen und Pflichten bekannt, die dieser als König immer wieder wahrzunehmen haben würde.

Versucht man die äußere Erscheinung, die Grundzüge des Charakters des kleinen Thronfolgers sowie dessen Auftreten und Fähigkeiten zu skizzieren, wie sie sich in dessen früher Kindheit bis zum Tode Ludwigs XIV. am 1. September 1715 entwickelten und manifestierten, so kann man auf folgende Wesenszüge und Begabungen dieser kleinen Persönlichkeit verweisen. Da fällt zunächst die Schönheit seiner Gestalt, seiner gesamten äußeren Erscheinung auf, die von den Zeitgenossen übereinstimmend gepriesen wurde und die Ludwig XV. bis in sein hohes Alter bewahren sollte. Auffällig sind weiterhin seine hellwache und frühreife Intelligenz und sein ausgezeichnetes Gedächtnis. Wie alle Kinder seines Alters war er zumeist heiter und verspielt, er war lebhaft, und es hielt ihn nie lange still an einem Platz. Außerdem bereitete es ihm Freude, Personen seiner Umgebung zu necken oder ihnen kleine Streiche zu spielen. Schon früh vermochte er korrekt und anmutig zusprechen. Indessen zeigte sich alsbald eine zunehmende Schüchternheit, in der Öffentlichkeit und zumal mit ihm noch nicht bekannten Personen zu sprechen. Seine Gouvernante konstatierte: „Ganz allein ist er sehr nett; dagegen gibt er sich in der Öffentlichkeit ernst.“ Deshalb, so fuhr sie fort, wolle sie ihn daran gewöhnen zu sprechen, aber sie habe damit viel Mühe. Diese Schüchternheit sollte Ludwig XV. zeitlebens nicht ablegen.

Nach den ganzen Schicksalsschlägen war es noch ein Ereignis, dass sich besonders fest in dem fünfjährigen Kind einprägte. Dieses geschah vom 31. August zum 1. September 1715.

Es war die Stunde des Abschieds zwischen Urgroßvater und Urenkel und der Übergang von Ludwig XIV. zu Ludwig XV.

An diesen Tagen war im Schlosse Versailles der königliche Oberhofmarschall fieberhaft mit dem „Pompe funebre" beschäftigt. Er hat alle Vorbereitungen getroffen, damit das Sterben des großen Königs sich in den strengsten äußeren Formen und so, wie es dem König erwünscht sein wird, abspielen kann. Am dringendsten war es, zu bewirken, dass am heutigen Vormittag sämtliche Mitglieder des Königshauses, legitime wie illegitime, die Möglichkeit haben, sich im Schloss zu versammeln. Deshalb sind gestern eine Anzahl vierspänniger Wagen fortgerollt, besetzt mit je einem Hofkavalier. Denn jedes Mitglied des Königshauses -vom fünfjährigen Dauphin, vom Herzog von Orleans und „Madame", seiner Mutter Liselotte, bis herab zur jüngsten unehelichen Tochter -jedes Mitglied des Königshauses hat Anspruch darauf, die Aufforderung, dem Sterbensakt des Königs in nächster Nähe beizuwohnen, von einem besonderen Hofkavalier überbracht zu erhalten. Dabei ist es von größter Wichtigkeit, nicht gegen die Rangordnung zu verstoßen und jeweils den rangmäßig zustehenden Kavalier mit der Einladung abzusenden. Nun, es ist dem Oberhofmarschall zustatten gekommen, dass er sich insgeheim schon seit Monaten mit dieser schwierigen Aufgabe befasst hat!

So sind denn vom frühen Morgen an auf der Rückseite des Schlosses immer wieder prächtige Galawagen eingetroffen, denen vornehme Damen und Herren und Kinder entstiegen sind. Gepäckwagen mit riesigen, eisen- und lederbeschlagenen Koffern und Scharen von männlichen und weiblichen Bediensteten sind ihnen nachgefolgt, so dass im Laufe des Vormittags die ganze königliche Familie, die Kinder einbegriffen, um dem notwendigsten Bedarf an Garderobe und Bedienung in Versailles zugegen ist. Das Schloss ist so geräumig, dass diese Menge von Standespersonen mühelos in verschiedenen Appartements untergebracht werden kann. Man rechnet ja auch mit der Möglichkeit, dass die hohen Herrschaften mehrere Tage und Nächte in Versailles ausharren müssen.

Gegen Mittag erscheinen sämtliche Mitglieder der königlichen Familie im Großen Empfangssalon, ausgenommen natürlich die Kinder. Audi der kleine Dauphin Ludwig bleibt in der Obhut seiner Gouvernante in seinem Appartement zurück, bis sein Auftreten im Ablauf des Sterbezeremoniells erforderlich wird. Die Damen und Herren des Hofadels, die, wie üblich, schon zum Lever des Königs, freilich auch heute wieder vergeblich, aus Paris herbeigeeilt sind, haben einen großen Tag: sie können sich einer ebenso wichtigen wie zugleich vergnüglich ablenkenden Beschäftigung hingeben, indem sie nach und nach alle Glieder der Königsfamilie hochformell durch mehr oder weniger tiefe Verneigungen begrüßen und damit eine wohlabgestufte höfische Politik treiben.

Am nächsten Morgen - es ist der erste September Siebzehnhundertfünfzehn, ein Sonntag - überbringt der Erste Kammerdiener dem Oberhofmarschall die Order: die Abschiedszeremonie werde in der zehnten Stunde vor sich gehen. Darauf entsteht im Schloss ein lebhaftes Treiben. Die Mitglieder des königlichen Hauses werden in ihren Gemächern aufgestört und müssen sich in dem großen Vorraum versammeln, von dem aus man, wenn man zum Lever zugelassen war, in das Prunkschlafgemach des Königs gelangte.

Herzog Philipp von Orleans und seine Mutter Liselotte sind die ersten im Vorraum. Nach ihnen treffen dauernd weiter Angehörige des Hofadels, von Paris herbeigeeilt, ein.

Die Aufstellung der Trauergäste erfolgt unter dem scharfen Auge des Oberhofmar-schalls genau nach der Hofrangordnung: Zunächst der großen Prunktür, die in das Schlafgemach hineinführt, haben der Herzog Philipp von Orleans, die beiden legiti-mierten Söhne des Königs - Maine und Toulouse - und der fünfjährige Dauphin Ludwig Aufstellung nehmen dürfen, der Knabe freilich noch in der Obhut seiner Gouvernante, der würdigen Madame de Ventadour, die, hinter ihm stehend, ihn an seinen schwachen Schultern festhält und ihn beruhigend an sich drückt.

In gemessener Eile, begibt sich der Erste Kammerdiener durch den Spalt der Bettvorhänge zum König. Voller Neid denkt der Oberhofmarschall, dass einem Ersten Kammerdiener - und dabei einem bürgerlichen Subjekt! - doch noch wichtigere Förmlichkeiten obliegen als einem Hofmarschall, aber freilich: der Kammerdiener hat jederzeit einem schäbigen Klingelzeichen zu gehorchen, wenn es zweimal klingelt, muss er einen neuen Befehl entgegennehmen, nur, wenn es bloß einmal klingelt, darf der Fortgang der Zeremonie wie festgelegt folgen. Warum übrigens der Erste Kammerdiener diesmal ein wenig länger hinter dem Bettvorhang verweilt? Nun, der Oberhofmarschall vermutet wohl richtig: er muss seinem Herrn nach dem Abschied von dessen vielgeliebter Maintenon noch einmal das gebührende einwandfreie Aussehen verschaffen... jetzt verlässt der Erste Kammerdiener rückwärts wieder das Prunklager, gibt dem Zweiten Kammerdiener einen kleinen Wink, und beide schreiten langsam und feierlich mit streng beherrschten Gesichtern auf die Schranke zu. Dort fordern sie durch eine untertänige Verbeugung den kleinen Dauphin Ludwig auf, vor dem König zu erscheinen.

Madame de Ventadour, die Gouvernante des schüchternen Fünfjährigen, weiß sofort, dass sie nun für die weitere Durchführung zu sorgen hat. Im Gefühl ihrer Wichtigkeit schreitet sie pomphaft und sicher, das schutzbedürftige Kind um die Schultern gefasst, zu dem von Vorhängen umschlossenen Prunklager. Die Hofgesellschaft findet es groß und richtig vom König, dass er seinen Nachfolger in der Königswürde zuerst und allein an seinem Sterbebett wissen will. Aber wird er auch zu dem Kind sprechen? Wird er es überhaupt an sein Bett herantreten lassen?

Gouvernante und Kind haben vor den geschlossenen Bettvorhängen zu warten. Nochmals holt der Erste Kammerdiener zunächst den Befehl des Königs ein. Dann erst darf Madame de Ventadour, während der Kammerdiener den Vorhang ein wenig lüftet, das Kind an das Bett des Königs hinschieben. Durch einen Wink wird ihr bedeutet, das Kind auf das Bett und in die Ärmel des Königs zu legen. Nachdem sie dies getan hat, zieht sie sich sofort zurück. Der Kammerdiener lässt den Vorhang herabfallen, und Urgroßvater und Urenkel befinden sich allein hinter den geschlossenen Vorhängen.

Die Gouvernante aber tritt so dicht, wie es möglich ist, an den Bettvorhang heran - in dieser Situation ist ihr das Ungehörige erlaubt -, denn ihr liegt es ja ob, jedes Wort zu erlauschen, dass der König zu seinem Urenkel spricht, damit es als hohes Geschehen in die Geschichtsschreibung eingehen kann. Sie muss sich genauestens die Worte einprägen, um sie dem Kind, dass jetzt noch nichts damit anzufangen weiß, später zu erklären und für seine künftige Königslaufbahn aufzubewahren. Hinter dem Vorhang hält der König - aller Anstrengung, die es ihn kostet, zum Trotz - seinen Urenkel und Nachfolger fest in seinen Armen und drückt ihn an sein Herz. Anfänglich dringen nur unverständliche Flüsterlaute an das Ohr der Gouvernante. Schließlich aber vernimmt sie immer deutlicher: „... denn bald, Mein Kind ... bald werden Sie der König eines großen Königreiches sein... Versuchen Sie, Frieden mit Ihren Nachbarn zu halten! Ich habe den Krieg zu sehr geliebt... Eifern Sie mir hierin nicht nach ... und auch darin nicht, dass Sie einen zu großen Aufwand treiben, wie Ich es getan habe... Versuchen Sie, das Los Ihrer Untertanen zu erleichtern... Ich selbst habe das Unglück gehabt, es nicht tun zu können... Mein Liebling, Ihr werdet ein großer König werden, aber Euer ganzes Glück wird davon abhängen, dass Ihr Euch Gott unterwerft und dass Ihr stets bemüht seid, Euer Volk zu entlasten. Seid ein friedliebender Fürst und seht Eure Hauptaufgabe darin, Eure Untertanen von Lasten zu befreien. Profitiert von der guten Erziehung, die Euch die Herzogin von Ventadour zuteilwerden lässt, seid ihr gehorsam und befolgt auch, um Gott gut zu dienen, die Ratschläge des Paters Le Tellier, den ich Euch als Beichtvater gebe.“

Und dann erlauscht Madame de Ventadour noch, was sie mit ungemeiner Genugtuung erfüllt: dass der große König mit schwachen Flüsterworten dem Kind Dankbarkeit gegen seine Gouvernante empfiehlt.

Danach wandte sich der König an die Gouvernante und sagte zu ihr: „Ihnen, Madame, habe ich sehr zu danken für die Mühe, die Ihr Euch gebt, um dieses Kind zu erziehen, und für die zärtliche Zuneigung, die Ihr für es empfindet; ich bitte Sie darin fortzufahren, und ich ermahne meinen Urenkel, Euch alle möglichen Zeichen seiner Dankbarkeit zu erweisen.“ Der König umarmte das Kind noch zweimal und gab ihm – in Tränen ausbrechend – seinen Segen. Kurz darauf ertönt leise ein silberner Glockenton. Der Erste Kammerdiener lüftet den Vorhang ein wenig und bittet Madame de Ventadour stumm, das Kind wieder vom König wegzuholen. Ein leichenblasser, zitternder Knabe wird nun von seiner Gouvernante - mehr getragen als geschoben - an den Platz gebracht, den der Erste Kammerdiener dem ungleichen Paar in drei Schritt Entfernung vor den nunmehr wieder geschlossenen Bettvorhängen anweist.

Der erst fünfjährige Ludwig empfängt die Huldigungen nach seiner Proklamation als König

Als Ludwig XIV. am 1. September 1715 gestorben war, verließ der Herzog Philipp (II.) von Orléans, der zukünftige Regent, das Zimmer seines Onkels, dem er die letzte Ehre erwiesen hatte, und begab sich, gefolgt von einer großen Zahl von Höflingen und Würdenträgern, zu Ludwig XV., um dem neuen König seine Ergebenheit zu bekunden. Ein Knie gebeugt küsste er diesem die Hand und sprach: „Sire, ich komme,

um als erster Eurer Untertanen Eurer Majestät meine Aufwartung zu machen. Hier seht Ihr den Hochadel Eures Königreiches, der anwesend ist, um Euch seine Treue und Ergebenheit zu bekunden.“

Als das Kind hörte, dass man es „Sire“ und „Eure Majestät“ titulierte, wurde ihm bewusst, dass sein Urgroßvater gestorben und er damit König Frankreichs geworden war. Nachdem man seine Tränen getrocknet hatte, führte man ihn auf einen Balkon des Versailler Schlosses, wo eine im Hof versammelte Menge akklamierte und ihn als ihren neuen Herrn begrüßte.

Der Fall Ludwig XV.

Подняться наверх