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Ein dunkler Fleck auf Frankreichs beschwerlichen Weg zur Gleichheit
ОглавлениеJanuar 1793. Frankreich ist seit vier Monaten eine Republik. An diesem Tag ist Ludwig XVI. auf Befehl der gewählten Vertreter des Volkes öffentlich enthauptet worden. Marie Antoinette die Königin und der Thronfolger, Prinz Charles harren auf ihr Schicksal in einem Turm der Temple-Festung. Auch die ältere Tochter, Marie Therese und die Schwester des Königs, Élisabeth, sind hier festgesetzt.
1793 wird das Gottesgnadentum von der Revolution hinweg gefegt. Von den Sansculotten wurden die Kirchen zu militärischen Sektionen erklärt. Ein neuer Kult hält Einzug, die Freiheit und ein neuer Glaube, die Gleichheit.
Wie soll das Volk mit seiner abgesetzten Herrscherin verfahren? Ein Mann wird das Schicksal maßgeblich beeinflussen. Robbenspiere, der Unbestechliche, wie er genannt wird. Er ist der neue starke Mann der Revolution. Gerade hat er den übermächtigen Wohlfahrtsausschuss eingesetzt. Ein Exekutivorgan der Frankreich regierenden Volksvertretung, des Konvents. Doch die neue Staatsform ist bedroht. Als Antwort auf die Revolution marschieren an den Grenzen Koalitionstruppen auf, verbündete Heere der benachbarten Monarchien.
Unter ihnen ist Österreich, Marie Antoinettes Heimatland. Im Landesinnern probt die königstreue Fronde den Aufstand. Die Republik ist in Gefahr. Die Straße ruft nach Vergeltung. Bei diesem Volkszorn wittern die Extremisten ihre Chance. An ihrer Spitze Fouquier-Tinville, ein prominentes Mitglied des Pariser Stadtrats, Robbenspiers gefährlichster Gegenspieler.
Ein Machtkampf entbrennt, in dem das Leben Marie Antoinettes zum Spielball der Politik wird. Sechs Monate nach dem Tod des Königs beschließen die Abgeordneten des Konvents, Marie Antoinette in die Conciergerie zu verbringen, dass Gefängnis des Revolutionstribunals.
„Am 1. August 1793 hat der Konvent folgendes beschlossen:
Marie Antoinette, Witwe von Louis Capell, wir der Verschwörung gegen Frankreich bezichtigt. Sie verbleibt solange im Gefängnis, bis ihr Prozess beginnt.
Fouquier-Tinville
Der Beginn wird vom Nationalkonvent in einem weiteren Dekret festgelegt.“
Am 02.08. um 2 Uhr morgens wurde der Königin dieses Dekret bekannt gemacht; sie hörte es ohne die geringste Erschütterung zu verraten.
Nach Verlesung des Dekrets wird die Königin ihres Schmucks beraubt, die Ringe werden ihr von den Fingern gezogen. Sie packte ihre Kleidungsstücke zusammen, küsste ihre Tochter (seit dem 03.07. hatte man ihr den Dauphin genommen), empfahl ihre Kinder der Madame Élisabeth und folgte mit festen Schritten den Munizipalsoldaten. Sogar einen Spiegel hatte sie nur, weil eine Zofe ihn zu ihr schmuggelte. Marie Antoinette war tief gefallen, und es müssen diese kleinen Gesten der Freundlichkeit gewesen sein, die sie diese Zeit mit gesundem Geist überstehen ließ. Als sie unter einem Türbogen hindurchschritt, vergaß sie, sich zu bücken und stieß sich heftig den Kopf, dass das Blut aus der erhaltenen Wunde floss. Der Munizipalgardist Michonis fragte sie, ob sie sich wehgetan hätte. Sie antwortete: »Nein, mir tut jetzt nichts mehr weh.«
In Eile wird ein düsterer Raum für die Königin hergerichtet. Ein aufklappbares Eisenbett, zwei Matratzen, zwei Strohsessel, ein Kopfkissen, eine leichte Decke, dann noch einen Waschkrug und vor die feuchte Wand einen alten Teppich: mehr darf sie der Königin nicht zu geben wagen. Und dann warten sie alle in dem uralten, steinernen und halb unterirdischen Haus.
Man erlaubt ihr, sich gleich zur Ruhe in ihre Zelle zu begeben. Das Hausmädchen der Beschließerin, ein junges, armes Ding vom Lande, Rosalie Lamorlière, die nicht schreiben kann und der wir doch über die letzten Tage der Königin die wahrhaftigsten und ergreifendsten Berichte verdanken, schleicht der blassen schwarzgekleideten Frau ganz erschüttert nach und bietet sich an, ihr beim Auskleiden behilflich zu sein. „Ich danke dir, mein Kind,“ antwortet die Königin; „seit ich niemanden mehr habe, bediene ich mich selbst.“ Erst hängt sie noch ihre Uhr an einen Nagel in der Wand, um die Zeit messen zu können, die kurze ihr zugeteilte und doch unendliche Zeit. Dann entkleidet sie sich und legt sich zu Bett. Ein Gendarm mit geladenem Gewehr tritt ein, dann schließt sich die Tür. Der letzte Akt der großen Tragödie hat begonnen.
Sie bleibt allein. Angeklagt von einen Sondergericht, eingesetzt zu Eliminierung der Feinde der Republik. In einem Verlies, was als Vorzimmer des Todes gefürchtet wird.
Die Tochter eines Kaisers, Frau eines Königs, welche Erniedrigung. Auch das Licht wird ihr nicht gewährt. Alles auf Anweisung von Fouquier-Tinville.
Fouquier de Tinville wurde in Hérouël, seit 1843 Foreste, einem kleinen Ort 16 km westlich von St. Quentin, geboren und stammte aus einer wohlhabenden Familie alten französischen Adels der Picardie. Nach einigen Umwegen studierte er Jura und arbeitete seit 1765 für die Staatsanwaltschaft. 1774 kaufte er, nach Auszahlung eines erheblichen Erbes durch seine Familie, das Amt des Staatsanwalts und heiratete ein Jahr später in erster Ehe seine Cousine, mit der er fünf Kinder hatte. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er erneut und musste 1783 das Amt des Staatsanwalts wieder verkaufen.
Maßlos verschuldet erhielt er eine Stelle bei der königlichen Polizei und wurde 1789 Kommissar. Mit Unterstützung seines Cousins Camille Desmoulins wurde er 1792 zum Leiter einer Anklagejury. Während der Revolution änderte er seinen Namen zu Fouquier-Tinville, um seine adlige Herkunft zu verschleiern.
Als das Revolutionstribunal am 10. März 1793 gegründet wurde, wurde Fouquier-Tinville zum öffentlichen Ankläger ernannt; das Amt behielt er bis zum 28. Juli 1794. Zusammen mit Robespierre funktionierte er es zu einem Hauptinstrument der Revolution um. Nach außen trug er die Maske der Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit, tatsächlich folgten seine Anklagen dem jeweils herrschenden politischen Wind, wobei er jedoch auf persönliche Vorteilnahme strikt verzichtete. In seine Fänge war nun also Marie Antoinette geraten.
Der Königin-Prozess wäre für ihn die Erfüllung. Er brächte ihm Ruhm und Macht. Doch Robespierre misstraut dem Karrieristen. Der Unbestechliche umgibt sich wohl kalkuliert mit einem Kreis von Getreuen, wie Nicola, ein revolutionäres Urgestein, bereit für ihn durchs Feuer zu gehen. Robespierre wollte auch nur, dass sich das Volks beruhigt. Die Hinrichtung von Marie Antoinette hat er zunächst nicht im Sinn. Er wollte nur erst einmal Fouquier-Tinville brüskieren. Für Robespierre stellte die Witwe keine Bedrohung für die Revolution dar. Bei diesem gewieften Strategen beißt Fouquie auf Granit.
Robespierre hat sich die Macht im Konvent radikal gesichert. Weil die rechten Girondisten nicht mit ihm stimmten, erwirkte er ihre Verhaftung. Nun sieht er sich von jemand bedroht, der noch radikaler ist, als er.
Bis 1791 war Robespierre trotz seiner radikalen Forderungen ein Anhänger der konstitutionellen Monarchie. Allerdings war er gleichwohl der Ansicht, dass der König nicht das Recht haben sollte, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Dieser würde nämlich im Zweifel immer ein Interesse daran haben, seine eigenen Machtbefugnisse zu erweitern, die Vertreter der Nation würden hingegen ein Interesse daran haben, den Krieg zu stoppen.
Conciergerie bei Nacht
Er änderte jedoch seine Meinung im Juni 1791, als Ludwig XVI. mit der Flucht nach Varennes heimlich versuchte, Frankreich zu verlassen, um die Revolution von außen zu zerstören. Ludwig wurde nach Paris zurückgebracht, blieb König und bemühte sich weiterhin, die Revolution mit Hilfe der anderen Königreiche rückgängig zu machen. Dadurch brachte er sowohl Robespierre und die Jakobiner als auch die Girondisten weiter gegen sich auf. Allerdings war für Robespierre die Revolution weniger durch einen Krieg mit den anderen europäischen Nationen gefährdet als durch die Helfer des Königs in Paris und die Konterrevolutionäre. Im Juni 1791 wurde Robespierre – ohne sein Wissen – zum öffentlichen Ankläger am Kriminalgericht von Paris gewählt. Ende des Jahres war er nicht mehr Abgeordneter der Nationalversammlung, da er zuvor die Begrenzung der Amtszeit durchgesetzt hatte. Im April 1792 legte Robespierre auch sein Amt als Ankläger am Kriminalgericht von Paris nieder, um sich seinen Ruf als „der Unbestechliche“ zu bewahren.
Nach dem Tuileriensturm am 10. August 1792 wurde der König von der Nationalversammlung vorläufig für abgesetzt erklärt. Am selben Tag wurde Robespierre Mitglied der Kommune von Paris. Im September 1792 befanden sich die Armeen der Preußen und der Österreicher auf dem Vormarsch. Paris war bedroht, und die zum Kampf bereiten Pariser Bürger fühlten sich von den Anhängern des Königs bedroht. Unter den in den Gefängnissen einsitzenden Königstreuen und jenen, die dafür gehalten wurden, richteten sie daher ein Blutbad an. Diesem Septembermassaker fielen über tausend Menschen zum Opfer.
In dieser aufgeheizten Stimmung wurde Robespierre mit 338 von 525 Stimmen zum Mitglied der neuen Volksvertretung, des Nationalkonvents, gewählt. Gegen den König wurde Anklage wegen Hochverrats erhoben. Während die Girondisten und Danton Partei für den König ergriffen, schloss sich Robespierre in einer Rede der Forderung von Louis Antoine de Saint-Just nach dessen Hinrichtung an, da der König eine zu große Gefahr für die Revolution darstelle. Er erklärte den König zum Verräter Frankreichs und zum Verbrecher an der Menschheit. Der Nationalkonvent sprach sich am 18. Januar 1793 bei 361 zu 334 Stimmen für die sofortige Hinrichtung Ludwigs XVI. aus. Am 21. Januar wurde Ludwig XVI. durch die Guillotine enthauptet.
Am 27. Juli 1793 wurde Robespierre vom Nationalkonvent zum Mitglied des zwölfköpfigen Wohlfahrtsausschusses berufen. In der Folgezeit unterstützte Robespierre alle Maßnahmen gegen sogenannte „Feinde der Revolution“, was ihm seinen Ruf als „Blutrichter“ der Französischen Revolution eintrug. So war er daran beteiligt, Jacques Roux und alle Mitglieder der ihm unliebsamen Enragés zu verhaften und vor Gericht zu stellen. 1794 ließ Robespierre Jacques-René Hébert verhaften, weil er angeblich zum Aufstand aufgerufen hatte und dazu die Septembermorde von 1792 thematisiert hätte. Mit ihm wurde ein Großteil seiner Anhängerschaft hingerichtet, die sog. Hébertisten.
Am 30. März 1794 ließ der Wohlfahrtsausschuss Danton und dessen Anhänger verhaften und am 5. April auf der Guillotine hinrichten, weil sie angeblich Teil einer „Verschwörung des Auslands“ seien mit dem Ziel, die Monarchie wiederherzustellen. Im Nationalkonvent war zunächst Kritik an den Verhaftungen laut geworden, die Robespierre aber mit Drohungen zum Schweigen brachte:
„Ich behaupte, daß, wer immer in diesem Augenblick zittert, schuldig ist, denn die Unschuld hat von der öffentlichen Überwachung nichts zu befürchten.“
Insgesamt waren es in diesem April 258 Hinrichtungen auf Geheiß des Ausschusses. Im Juni 1794 gab es 688 Hinrichtungen, denn der von Robespierre und Saint-Just dominierte Wohlfahrtsausschuss erließ am 10. Juni 1794 oder 22. Prairial II mit dem so genannten Prairial-Dekret ein neues Gesetz, nach dem Angeklagten kein Rechtsbeistand zukommen durfte und jeder – selbst Konventsmitglieder – ohne einen Mehrheitsbeschluss des Konvents vor das Revolutionstribunal gebracht werden konnte.
Ihn unterstützten dabei seine engsten Vertrauten – unter anderem Couthon und Saint-Just, der allerdings zunächst gegen dieses Gesetz gewesen war. Jedoch überzog Robespierre im Wohlfahrtsausschuss seinen Machtanspruch und verlor endgültig seinen Rückhalt im Konvent.
Nach Robespierre war klar, dass die Gegner der Republik nur die Wahl zwischen einer Änderung ihrer Überzeugungen und dem Tod haben durften.
Robespierre, gemalt 1860 von Pierre Rock Vigneron (1789–1872), nach einem zeitgenössischen Pastell (um 1790) von Adélaïde Labille-Guiard.
Je grausamer die Regierung gegenüber den Verrätern auftrete, desto wohltätiger sei sie gegenüber den braven Bürgern, ließ Robespierre 1793 verlauten. Die Terrorherrschaft war demzufolge ein notwendiges Übel. Ohne Tugend, meinte Robespierre, sei Terror verhängnisvoll, ohne Terror die Tugend machtlos. Seit dem Frühjahr 1794 propagierte Robespierre auch den Kult des höchsten Wesens, der im Mai 1794 in der Verfassung verankert wurde.
So lange also die Schlacht um einen Prozess gegen Marie Antoinette nicht gewonnen war, blieb Fouquier nur eins, seine Beute überwachen zu lassen. Und dazu wurden je zwei Gendarmen in die Zelle von Marie Antoinette quartiert, die sie Tag und Nacht beobachteten.
Beinah zwei Monate hat die Königin ihren Sohn nicht mehr gesehen. Charles wurde ihr im Temple entrissen und in die Obhut des Schusters Simon gegeben. Antoine Simon, genannt Schuhmacher Simon, (* 21. Oktober 1736 in Troyes; † 28. Juli 1794 in Paris) war ein französischer Revolutionär, der im Juli 1793 die Aufgabe übertragen bekam, über den französischen Kronprinzen Louis Charles de Bourbon in dessen Haft im Temple-Gefängnis zu wachen.
Simon war Schuhmacher in Paris (in der Rue de Cordeliers), Mitglied des revolutionären Club de Cordeliers und im revolutionären Pariser Gemeinderat (Kommune). Er sollte nach einer Idee von Pierre Gaspard Chaumette für dessen Erziehung im Sinn der Revolution zu sorgen, was er mit seiner Frau Marie-Jeanne (1745–1819) bis zum 19. Januar 1794 übernahm.
Ludwig XVII. (1789), Gemälde von Alexander Kucharski
Zu dieser Zeit wurde seine Frau krank und er übernahm wieder städtische Aufgaben. Er versuchte den Kronprinzen vulgäre Sprache und Manieren beizubringen. Er unterstützte er Jacques-René Hébert darin, durch Befragung des Jungen Vorwürfe des Inzestes gegen seine Mutter Marie Antoinette zu sammeln.
Der eingefleischte Sansculotte sollte seine Erziehung also sichern und übernehmen.
Seine Position bescherte den Schuster eine unverhoffte Einnahmequelle. Das wollte er mit fanatischem Eifer beweisen. Der Mann von einer derart primitiven Intelligenz verstand sich nur darauf, den hilflosen Jungen zu züchtigen und betrunken zu machen.
Das Ergebnis dieser „Erziehung“ sollte im Prozess noch eine Rolle spielen.
Tag und Nacht wurde die Zelle der Königin durchsucht. Auch ihr letztes privates Stück, eine Taschenuhr, wurde ihr weggenommen.