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13. Die Hinrichtung des Wolfgang M.
ОглавлениеWir sind in Leipzig und schreiben das Jahr 1972. Am 29. September stirbt der Stasi-Oberleutnant Wolfgang M., angeblich eines natürlichen Todes. Als Ursache stehen Bluthochdruck und Unterzuckerung im Totenschein. Doch diese Angabe ist falsch.
Wolfgang M. war zum Tode verurteilt worden und wurde hingerichtet. Still und heimlich.
Man ging natürlich in der DDR nicht mit der Todesstrafe hausieren, denn sie kratzte am Image.
Bei Wolfgang M. wurde Unterzuckerung angegeben, bei anderen Hingerichteten stand im Todesschein Herzversagen. Eine gewisse Prosa medizinischer Art gehörte zum Standardmodell sozialistischer Objektivität. Herzversagen, dass stimmt eigentlich immer, wenn man einen Kopfschuss bekommt.
Die Todesstrafe wird in der DDR erst 1987 abgeschafft. Doch schon vorher wird sie nur im Geheimen vollstreckt, um den Ruf des Landes nicht zu schädigen. Die Verurteilten werden in Leipzig, wie schon geschrieben, hingerichtet und anonym bestattet.
Das statistische Jahrbuch der DDR wies auch die Todesstrafen aus, aber wer hat das schon gelesen, wem hat das wirklich interessiert? Es wurde alles was im Zusammenhang mit Mord und Totschlag zusammenhing, versschwiegen. Das war wichtig, um die Bevölkerung um die Bevölkerung in den Glauben zu halten, dass es so etwas im Sozialismus nicht gibt.
Die Todesstrafe wird nur bei besonderen Vergehen verhängt. Im Fall von Wolfgang M. ist das Westspionage und der Mord an seiner Frau. Die Tragödie beginnt im Frühjahr 1971 an der Ostsee. Stasi-Oberleutnant und Familienvater Wolfgang M. aus Berlin ist mit seinem Sohn in Urlaub, ohne Ehefrau Renate. Und wie es der Zufall so will, lernt er die Lehrerin Regina kennen.
Die Beiden verliebten sich ineinander und hatten sich nach dem Urlaub geschworen, Kontakt zu halten. Die ledige Lehrerin wusste allerdings nicht, dass er noch verheiratet war. Die heimliche Liebe geht nach dem Urlaub weiter. Eine Scheidung will Wolfgang aber vermeiden. Ein tadelloser Ruf als systemtreues und klassenbewusstes Mitglied der SED gehört zur Stasi-Karriere dazu. Auch ein Genosse der Staatssicherheit durfte ein Wechsel bei den Geschlechtern vornehmen. Und er durfte sich auch scheiden lassen.
Aber unser Oberleutnant hatte ja eine Parallelbeziehung geführt und dann wäre schon die Frage aufgetaucht, ob so eine Genosse noch geeignet ist oder ob er eine andere Aufgabe zugewiesen bekommt, denn die Partei war ja auch ein Erziehungsbetrieb. Die größte Eheberatung, die man sich vorstellen kann.
Zurück in Berlin schreibt Wolfgang M. seiner Geliebten regelmäßigen Briefe. Eines Tages kommt ihm seine Frau Renate auf die Schliche. Sie will die Scheidung, doch statt zuzustimmen schmiedet Wolfgang einen perfiden Plan. Er wollte seine Frau aus dem Weg räumen und hat das akribisch geplant. Die Tatvorbereitungsphase begann im Prinzip damit, dass er sie zur Absicherung der Kosten für die Beerdigung noch eine Lebensversicherung abschließen ließ.
M. täuscht sogar eine Bedrohung seiner Familie vor durch Staatsfeine vor. Ein angeblicher Drohbrief mit dem Inhalt: „Wir hängen euch auf, Staatssicherheitsschweine!“ soll das beweisen. In seiner Dienststelle spielt er den besorgten Ehemann, der wegen der Morddrohung um das Leben der Gattin fürchtet.
Der Täter glaubt also, dass der Tod der Ehefrau für ihn die gewinnbringendste Lösung wäre. Er hatte die Entscheidung getroffen, sie zu töten und musste sie nur noch in die Tat umsetzen.
Renate M. ist eine resolute Frau, sie arbeitet in der Textilindustrie, will zur Ingenieurin umschulen und ist auch in der Partei aktiv. Sie ist sogar in einer DDR-Doku über Frauen im VEB Treff-Modelle zu sehen. Privat macht sie sich aber Sorgen um das seltsame Verhalten ihres Mannes. Die Arbeitskollegen haben sich natürlich auch dementsprechend geäußert, dass Frau M. ihnen mitteilte, dass ihr Mann in letzter Zeit so komisch ist und sie abends immer so komische Ausflüge machten.
M. will mit seiner Frau immer ins Grüne fahren, sie wundert sich zwar, durchstreift aber dennoch die Wälder rund um Berlin mit ihm. Was sie nicht ahnt ist, dass M. im Trabant bereits Mordwerkzeug deponiert. Nun sucht der Offizier an der Seite seines ahnungslosen Opfers den geeigneten Ort für die geplante Bluttat. Zunächst erfolglos. Es hat ihm nicht gefallen, dass die Strecke so beleuchtet war und zu viel Fahrverkehr dort herrschte.
In M. reift dann der Plan, seine Frau in der Nähe eines Schießstandes mit seiner Dienstwaffe zu töten. Deshalb hat der Oberleutnant jetzt auch immer seine „Makarow“-Pistole dabei, die Standardhandfeuerwaffe für Volkspolizei, NVA und Stasi.
Und endlich, am Abend des 3. Mai 1971 bietet sich die perfekte Gelegenheit. Es wurde schon schummrig, als sie in die Gegend um Wandlitz fuhren. Dort täuschte er eine KFZ-Panne vor, lies das Auto in einem Waldweg rollen und bat seine Frau mit der Taschenlampe in den Motorraum zu leuchten. Und während die Frau in den Motorraum leuchtete, ging er noch mal in das Auto, entnahm seine Dienstwaffe und tötete seine Frau auf 50cm Entfernung von hinten mittels Kopfschuss.
Nachdem er den Schuss gesetzt hat, schleifte er seine Frau nach Unterholz und bei ihr noch Lebenszeichen. Er ging zum Auto zurück, entnahm ein Beil und mit der stumpfen und der scharfen Seite des Beiles schlug er seiner Frau auf dem Kopf.
Als er sie im Laub verscharren will, bemerkt er wieder Lebenszeichen und würgt sie mit einem Schal. Was geht im Kopf des Täters in diesen Minuten vor? Er will sie töten und vollzieht eine Tötungshandlung nach der anderen.
Nach der Tötung hat Wolfgang M. schon die nächsten Schritte geplant. Nach er die Leiche mir Laub und Ästen abgedeckt hat, das Beil hat er in den Wald geworfen, fuhr er nach Hause. Er legte sich schlafen, weckte am nächsten Morgen die Kinder, denen er sagte, dass die Mutter heute schon früher zur Arbeit musste.
M. geht wie gewohnt zur Arbeit ins MfS und meldet seine Frau als vermisst. Er sagt, dass er sie am Vorabend mit 1.000 Mark bei einer Arbeitskollegin abgesetzt hat, die sich das Geld leihen wolle und beteiligte sich dann auch aktiv an der Suche nach seiner Frau, indem er Arbeitskollegen anrief und nach den Verbleib seiner Frau fragte.
Vielleicht mimt er den besorgten Ehemann zu perfekt, denn schnell schöpft man im Büro Verdacht. Stasi-Kollegen nehmen ihm in die Mangel. Rund um die Uhr. Schließlich knickt Wolfgang M. ein. Er führt die Ermittler zum Tatort. Hier finden sie die Leiche von Renate M. Akribisch werden die Spuren gesichert. Nur zwei Tage nach dem Mord ist der Fall aufgeklärt.
M. droht ein hohes Strafmaß. Noch vor dem Prozess wird er in Unehren vom Ministerium für Staatssicherheit aus dem Dienst entlassen. So einen hatten sie in ihren Reihen, der mit dem Beil durch den Wald geht. Das hätte im Osten wie im Westen das Image von Mielkes Mannes enorm beschädigt.
Anstelle des wahren Familiendramas erzählt M. bei der Vernehmung eine abenteuerliche Spionagegeschichte. Er behauptet, der westdeutsche Geheimdienst BND habe ihm angeworben, erpresst und gezwungen, seine Frau umzubringen.
Die Funktion des Personenschutzes beinhaltete keine weiteren Kenntnisse, wie ein anderer Nachrichtendienst in der DDR arbeitete. Das Wissen von M. resultierte aus Defa-Filmen, die man im Fernsehen anschauen konnte und diversen Schriften. In den Ermittlungen und Vernehmungen wurde ziemlich deutlich, dass das Thema Spionage ein Fantasy Produkt von M. war. Eine Erfindung und Schutzbehauptung.
Wolfgang M. will angeblich in einer Berliner Gaststätte einen Herrn Junge kennen gelernt und sich mit ihm über seine Briefmarkensammlung ausgetauscht haben. Im Laufe des Gesprächs soll sich Junge als BND-Agent zu erkennen gegeben und M. angeworben haben für den westdeutschen Nachrichtendienst zu spionieren.
Auch wie er M. das wiedergibt, wie er sich mit den Agenten Junge vor der Dienststelle in Berlin-Weißensee getroffen habe und diese Junge ihm angerufen hat, so hat der BND definitiv in der DDR nicht gearbeitet, sondern man ist schon wesentlich konspirativer vorgegangen und nicht so dilettantisch. M. glaubt, dass ihm seine Märchengeschichte helfen wird und er nicht allein die Verantwortung für die Straftat übernehmen muss. Welsch ein armer Irrer.
Trotz der Entspannungspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten, Anfang der 70iger Jahre, tobt der Agentenkrieg zwischen Ost und West weiter. Sowohl die DDR, als auch die BRD versuchen immer wieder Spione im anderen deutschen Teil einzuschleusen. Und da hatte die DDR wesentlich bessere Karten und Erfolge. Letztendlich blieb die Spionageangst in den Köpfen der Nation bis zum Schluss präsent. Es gab ja auch in den achtziger Jahren spektakuläre Austauschaktionen auf der Glienicker Brücke, der sogenannten Agentenbrücke.
Am 10. Februar 1962 wurde Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel, Spitzenspion der Sowjets in den USA, gegen Francis Gary Powers, einen amerikanischen Piloten, der bei einem Spionageflug mit der U-2 über der Sowjetunion abgeschossen worden war, ausgetauscht. Obwohl die Aktion größtmöglich geheim gehalten werden sollte, sorgte der Austausch für Schlagzeilen in den Medien.
Nach mehr als 20 Jahren erfolgte wieder auf der Glienicker Brücke ein Austausch von Häftlingen beider Lager. Der DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel hatte vereinbart, dass 25 in der DDR und Polen inhaftierte westliche Agenten (u. a. Eberhard Fätkenheuer und Werner Jonsek) gegen vier im Westen von der CIA verhaftete Spione (u. a. Alfred Zehe und Alice Michelson ausgetauscht werden. Am 11. Juni 1985 erfolgte der Austausch von nunmehr 23 Inhaftierten gegen vier Spione.
Am 11. Februar 1986 wurden die vier im Osten inhaftierten Personen Anatoli Schtscharanski (UdSSR, Dissident, Regimekritiker, Oppositioneller, aus Sicht der UdSSR ein Agent, verurteilt wegen Verrats und antisowjetischer Agitation, später israelischer Handelsminister Natan Sharansky), der DDR-Bürger Wolf-Georg Frohn, der Tschechoslowake Jaroslav Javorský sowie der BRD-Bürger Dietrich Nistroy gegen fünf Häftlinge aus dem Westen ausgetauscht. Es handelte sich um Hana Koecher, KGB-Agentin, Heimat: Tschechoslowakei, Karel Koecher, KGB-Agent, Heimat: Tschechoslowakei, Jewgeni Semljakow, Computerspezialist der UdSSR, Jerzy Kaczmarek, Geheimdienstler der Polen und Detlef Scharfenorth. Lange war zuvor gestritten worden, ob Anatoli Schtscharanski als Freiheitskämpfer (Sicht der USA) oder Agent (sowjetische Auffassung) zu behandeln sei. Die Amerikaner setzten sich mit ihrer Auffassung durch und erwirkten, dass Schtscharanski vor den drei anderen zur Grenzlinie an der Glienicker Brücke gefahren wurde. Dort ließen ihn die Vertreter des KGB mit zu weiten Hosen und ohne Gürtel über die Brücke laufen, sodass er vor den laufenden Fernsehkameras ständig seine Hosen festhalten musste. Während die westlichen Medien ausführlich vom Ort des Geschehens berichteten, druckte im Osten lediglich das SED-Parteiorgan Neues Deutschland einige Zeilen über den Austausch auf der Glienicker Brücke: „Auf Grund von Vereinbarungen zwischen den USA und der BRD sowie der UdSSR, der ČSSR, der VRP und der DDR fand am Dienstag, den 11.2.1986 ein Austausch von Personen statt, die durch die jeweiligen Länder inhaftiert worden waren. Darunter befanden sich mehrere Kundschafter.“
Mit selbst produzierten Agenten-Lehrfilmen schult die Stasi ihre Mitarbeiter, um den Staat vor Schaden zu bewahren.
Das heißt im Fall von M., dass man seine Agentengeschichte ernst nimmt. So soll es zumindest in den Akten stehen, auch wenn es keinerlei Beweise dafür gibt. Und so hat M. mir seiner Märchengeschichte erreicht, dass er nun wegen Spionage und Mord verurteilt wird. Solche niederen Motive wie Mord darf es nicht geben, als muss ein anderes Ziel dahinter stecken und die seitenlange Anklageschrift erfindet noch einige Spionagemärchen dazu, obwohl M. nach unzähligen Verhören seine Spionage Story widerruft. Alles frei erfunden. Doch die Anklage wegen Spionage lässt sich nun nicht mehr stoppen.
Die Staatsanwaltschaft beantragt bei Erich Honecker persönlich, die Todesstrafe für M. Doch der Staatsratsvorsitzende lehnt ab. Dass die Todesstrafe zuletzt immer seltener zur Anwendung kam, hatte insofern etwas mit Honecker zu tun, weil das Ziel der staatlichen Anerkennung der DDR unter seiner Führung eine sehr hohe Priorität hatte. Und dazu zählten auch die Anerkennung der Menschenrechte und die Einhaltung einer gewissen Rechtsstaatlichkeit.
Trotzdem wird Wolfgang M. vom Obersten Gericht der DDR unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen eines Verbrechens der Spionage im besonders schweren Fall und wegen eines Verbrechens des Mordes zum Tode verurteilt. Man beachte, dass das Hauptaugenmerk auf der erfundenen Geschichte der Spionage liegt und auch warum Honeckers Nein zur Todesstrafe ignoriert wurde, bleibt ungeklärt.
Die Unabhängigkeit der Justiz von Partei und Staat existiert ja nur auf dem Papier. Die Gewaltenteilung kannte man nicht mehr. Die Justiz war parteilich und hatte der Partei zu gehorchen. 1972 wurde das Urteil in der zentralen Hinrichtungsstätte in Leipzig vollstreckt. Es ist nur einer von vielen Fällen, die erst nach der Wende und der Öffnung der Stasi-Akten in all ihren Einzelheiten bekannt wurden.