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II
ОглавлениеCharlotte Dareen erhob sich auch am Sonntag so früh wie stets. Beim Frühstück meldete ihr die Zofe, Herr Dareen sei noch nicht daheim.
Das war nichts Ungewöhnliches. Aber dass das Auto auch nicht bereitstand — das war noch nicht vorgekommen. Charlotte frühstückte allein und ohne Freude, fuhr dann mit der Untergrundbahn in den Tattersall. Sonst brachte Dareen seine Frau stets selber dorthin, wenn seine Zeit es erlaubte. Man hielt auf Ritterdienste.
In der grossen, spärlich erhellten Reithalle trabten ein paar junge Mädchen, die Charlotte schon zuweilen hier gesehen hatte. Graf Csaky stand gelangweilt im Sand und rief von Zeit zu Zeit seine Anweisungen hinüber. Mit diesen Damen war wenig Ehre einzulegen, die Tiere wurden träge wie ihre Reiterinnen. Als er Charlotte Dareen sah, liess er seine Schülerinnen im Stich und ging auf die elegante Frau zu, die er höflich begrüsste — sie war eine gute Reiterin, das genügte in seinen Augen, um einen Menschen wertvoll zu machen.
„Ist mein Mann schon hier?“
Graf Csaky verneinte sporenklirrend, küsste der Frau die Hand. Charlotte grüsste kurz, liess ihn stehen und ging zu den Ställen hinüber. Kam dann ins Rund geritten, mied die Kavalkade der Schülerinnen und liess ihre englische Stute in lässigem Schritt die Halle durchmessen. Graf Heino gab acht und dirigerte seine Zöglinge so geschickt, dass sie die Dame nicht störten.
Bald darauf fuhr Dareen vor. Sein Gesicht war von der Morgenluft rot und frisch, man sah ihm die durchwachte Nacht nicht an. Er war schon daheim gewesen. Im Dress stieg er zu Pferde.
„Guten Morgen, Charlotte. Du verzeihst. Eine Zündkerze war verschmiert, ich kam nicht rechtzeitig, um dich abzuholen.“
Sie nickte, und er setzte sich an ihre Seite. Der nervöse Fuchs tänzelte ungeduldig und wollte nicht schreiten. Nach einer Runde zog Dareen höflich den Hut, und sie grüssten sich mit einem flüchtigen Gruss. Dann ritt ein jeder für sich allein, wie und wohin es ihm beliebte. So machten sie es jeden Morgen von sieben bis acht.
Charlotte setzte sich in Trab und ritt in gemessenen Gängen. So fremd seine Frau ihm war — es war ein Vergnügen, sie aus der Ferne zu beobachten: jede Bewegung abgemessen und beherrscht, von lässiger Anmut erfüllt. Er sah seine Frau überhaupt sehr gerne von weitem, dann begriff er, dass er sie geheiratet hatte.
Die Übungszeit war nun vorbei. Graf Csaky entliess aufseufzend seine temperamentlosen Schülerinnen, und der Tattersall füllte sich allmählich mit eleganten, geschulten Reitern. Die frühe Stunde, in der viele ihre eigenen Tiere hier bewegten, galt ihnen als eine Art von Gottesdienst, den sie schweigsam und andächtig auf Redopp und Pesade zelebrierten.
Graf Csaky holte sich die prachtvolle Yorkshirestute eines auf Reisen befindlichen Amerikaners heraus — ein hohes, langbeiniges Tier, das er jeden Morgen bewegte. Er ritt an die einzelnen Gäste des Tattersalls heran und wusste für jeden mit seiner leisen, singenden Jungenstimme einen besonderen Gruss. Der einstige Husarenoffizier, vom Krieg aufs Pflaster gesetzt, war eine unschätzbare Akquisition des Direktors. Leider schien er verlobt zu sein; man sah ihn zuweilen mit seiner geradezu ärmlich gekleideten Braut — auch einer entthronten Adligen.
Verlobt ist noch nicht verheiratet, dachte der Direktor und prophezeite seinem Reitlehrer eine grosse Zukunft; denn dass da einmal ein Goldfisch anbeissen würde, war klar. Der Graf schien seine Verbindung auch nicht gerade tragisch zu nehmen; denn es wurden zuweilen duftende Briefchen im Tattersall für ihn abgegeben, die kaum von seiner Braut stammen konnten, dafür waren sie unter sich von zu verschiedener Art — wurden jedoch gleichwohl vom Grafen Heino nicht ungern in Empfang genommen.
Dareen ritt für sich ins Freie, dort traf er sich an den Sonntagvormittagen zuweilen mit seiner Diva, wenn sie gnädig war. Er schonte den Fuchs nicht, darum mochte Graf Csaky den Regisseur nicht leiden: Pferdeschinder — Menschenschinder. Das scheue Tier flog leicht über die Hürden und Hecken, und Dareen empfand, dass von allen Freuden ihm allein die Geschwindigkeit eine flüchtige Ruhe gab. Hier erblickte er Lydia Keriël.
Sie zog an der Seite des gräflichen Reitlehrers in einem schwebenden Galopp dahin, die Pferde hielten sich Kopf an Kopf, die acht Hufe wirbelten in seliger Wildheit über den stäubenden Sand. Und Dareen spürte, wie eine Blutwelle sich in seine Schläfen warf.
Hinter einer Hürde, welche die Pferde mit gestreckten Leibern übersprangen, schlug die Diva trabend einen Haken und hielt ihren Schimmel an. Dareen ritt über den weiten Platz auf sie zu — sachte im Schritt, es konnte gar nicht langsam genug gehen. Sie sah ihn schon, hob von ferne grüssend die Hand.
„Kleiner Graf: Dareen kommt. Reiten Sie heim!“
So war es immer: Wenn Dareen kam, mussten die anderen gehen. Der schlanke Junge richtete sich im Sattel auf, beugte sich tief und schwärmerisch über die Hand der glühend bewunderten Frau und zog davon, ohne den sich nähernden Regisseur zu beachten.
Als sie sich über den Hals der Pferde hinweg stumm die Hände reichten, war es ihnen, als gingen unsichtbare Schatten über den Himmel. Sie setzten sich nebeneinander. „Guten Morgen, Lydia“, sagte Dareen nachträglich.
„Ausgeschlafen?“ fragte sie nach einer Weile.
„Habe gar nicht geschlafen.“
„Das merkt man. Wie kam das, bitte? Gebummelt?“
Er lachte unwillig. „Nee, Liebste. Habe Ihren Film geschnitten, bis morgens um drei.“ Da kam über ihr Gesicht ein schnelles Leuchten: „Ah — schon? Na, und — sagen Sie: Wie sind die Bilder?“
Dareen musste sie ein bisschen zappeln lassen. „Scheusslich.“
Jäh sah er ihre Augen, den ganzen Ausdruck ihres Gesichts verändert, als sei durch Zauberkraft ein anderer Mensch an seine Seite gerückt. „Wie?! Hat dieser niederträchtige Buckel etwa wieder — —“
„Lydia —“, unterbrach er sie bittend und voller Vorwürfe gegen sich selbst, denn er kannte ja ihre Reizbarkeit — warum musste er also immer wieder anfangen? „Michel ist Ihr hingerissener Bewunderer — und die Bilder sind Gedichte von Sonne und Licht.“
„So —“, sagte sie vor sich hin. „So. Mehr nicht? Wie sind denn meine Bilder?“ Ihre Gerte zuckte in der Hand. Dareen strich sich über die Stirn. War heute wirklich Sonntag? — „Liebe — wenn ich nicht von der Notwendigkeit Ihres Schlummers allzusehr überzeugt gewesen wäre, so hätte ich Sie aus dem Bett getrommelt, um Ihnen Ihre — hören Sie: Ihre! — Bilder zu zeigen.“
Eine kindliche Fröhlichkeit brach quellend aus Lydia Keriëls Gesicht, ihre Zähne blitzten. „Das war lieb, Dareen.“ Sie beugte sich zu ihm hinüber — und abermals fing ihn das dunkle Lodern ihrer Augen ein ...
Im Schritt verliessen sie das Hürdenfeld, trabten gelassen in die Reitalleen hinüber. Beim Überqueren des Fussweges wurde die Schauspielerin von einigen Spaziergängern erkannt, bewundernde Blicke folgten ihr.
„Sie müssen die Kandare loser hängen“, sagte Dareen.
„Ich kann reiten“, gab sie ihm mit springend wiedergekehrter Schärfe zurück. „Wollen Sie mir vielleicht sagen, wie die Aussenaufnahmen geraten sind?“
Vor Dareen wippte der Pferdekopf, der Beschlag des Zaumzeugs blinkte. „Ich bin abgespannt und finde heute nicht die richtigen Worte. Wenn ich nur sage: Die Bilder sind herrlich, alles ist gut und schön — so haben Sie keinen Nutzen davon, denn es ist immer allerlei auszusetzen.“
„An mir —?“
„Lassen wir das“, wehrte er ab. „Sie sind ausserdem für Kritik heute nicht empfänglich.“
„Lieber Dareen — für Kritik bin ich immer empfänglich. Bloss nicht für Nörgeleien. Ich brauche Verständnis! Aber Sie sind heute schlecht gelaunt, wie mir scheint.“
„Ach was — kommt bei mir gar nicht vor.“
Lydia Keriël lachte. Der Regisseur drehte den Fuchsenkopf auf einen Weg, der zur Reithalle zurückführte — sehr zum Unmut seiner Diva, die nach einer Weile, während sie bissig in die Luft geschwiegen hatte, den abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufnahm.
„Lieber Freund — ich möchte wissen, ob ich Ihnen je etwas recht gemacht habe. Aber diese verrückte Doppelrolle — ich sage Ihnen, solchen Flausen folge ich nicht ein zweites Mal! In zehn Jahren vielleicht, wenn ich graue Haare habe —“
Dareen sah der Freundin über die zornige Stirn. Der schwarze Reithut, von einem Riemen unter dem Kinn gehalten, sass untadelig auf dem glatten Haar. „Liebste Freundin,“ sagte er leise, „Sie haben ja schon welche ...“
In Lydia Keriëls Augen kam eine kleine Furcht, ihr Blick suchte unsicher im Grün der Äste. „Die paar Strähnen haben nichts zu bedeuten. Graf Csaky sagt, das wär interessant.“ Der Regisseur brach in ein herzliches Lachen aus. „Dareen,“ rief sie ihm zu, „Sie sind grässlich!“
Es dauerte eine ganze Zeit, bis er seine beleidigende Fröhlichkeit besiegt hatte. „Und Sie sind köstlich, Lydia! Wissen Sie was? Lesen Sie ein Jahr lang prinzipiell keine Kritiken mehr, in denen Sie verhimmelt werden — denn wer Ihnen bloss Gutes zu sagen weiss, der ist Ihr Feind! Für Ihre Reklame sorge ich schon — — glauben Sie mir: Es ist kein Wort davon wahr! Schicken Sie Ihre Bewunderer weg, das ist ja alles Gewäsch, was die reden. Besonders den Grafen Csaky —“
„Das ist ein ganz entzückender Mensch!“
„Natürlich —“, höhnte er bitter. „Wer Sie anschwärmt, Lydia, das ist immer ein ganz entzückender Mensch — und wer Ihnen in unablässiger Mühe die Sporen gibt, wie man ein alleredelstes Pferd zureitet — —“
„Sie wollten sagen: dressiert ... “
Das Gespräch wurde scharf. Die empfindsamen Tiere spitzten unruhig die Ohren und knirschten im Gezäum. „Lassen wir das“, sagte Dareen. In seiner Stimme klang ein ruhiger Befehl.
Lydia kannte diesen Ton.
„Heute ist Sonntag,“ fuhr Dareen verwandelt fort, „geniessen wir ihn. Ausserdem haben wir beide morgen unsere ganze Nervenkraft nötig; es wird die schwierigsten Doppelaufnahmen geben — Sie dürfen sich ruhig auf zehn Stunden einrichten.“
Die Diva ritt in verstimmtem Schweigen an seiner Seite. Er verstand sie aber auch gar nicht, auf allen zarten Regungen ihrer Seele trampelte er herum! Sie hasste ihn — natürlich, was sonst? Es war klar, er sollte sich nur nichts einbilden —
Oh, Dareen — —
Vor der Reithalle stand Graf Csaky, den Zügel seines Yorkshire in den Arm geklemmt, und las vergnügt in einem rosigen Briefchen. Abseits wartete ein galonierter Diener. Als der Reitlehrer die beiden Herantrabenden bemerkte, steckte er das Papier errötend in die Tasche. Lydia ritt auf ihn zu, ihre Lippen verzogen sich spöttisch: „Na —?“
„Wieso ‚na—?’, Gnädigste?“
Die Schauspielerin nahm ihre Reitgerte und tippte ihn auf die Nasenspitze. Der Graf half ihr verlegen vom Pferde. Auch Dareen schwang sich aus dem Sattel, seine Bewegungen waren müde.
Am Nachmittag traf sich Isabel an einem der Untergrundbahnhöfe mit ihrem „kleinen Kameraden“, sie musste eine Weile warten, ehe er kam. Ein hellbrauner Sakko schmiegte sich um Heinos von Kraft und Jugend strahlende Gestalt, sein Stöckchen wirbelte in zwei Fingern durch die Luft. Als er Isabel sah, stutzte er einen Augenblick, denn es ging ihm immer wieder auf die Nerven, dass sie nur ein einziges gutes Sommerkleid hatte, und das — na! „Tag, Aschenputtel.“ Sie schüttelten sich die Hände. „Tag, lieber Märchenprinz“, sagte Isabel und knickste spöttisch.
Sie gingen in den Tiergarten hinüber, der von sonntäglichen Spaziergängern wimmelte. Mancher drehte sich nach dem an Kleidung ungleichen Paar um. Das war Heino unangenehm — Isabel war doch nicht sein Verhältnis — teils leider! — sondern die „Grosse Liebe“! Wenn sie sich nur etwas liebenswürdiger betätigen würde, hem ...
Die „Grosse Liebe“ schob ihren Arm in den seinen — obwohl sie merkte, dass er widerstrebte — aber dann tat sie’s natürlich erst recht. Wenn sie schon in Sack und Asche herumlief, dann wäre es Heino lieber gewesen, wenn man sie für seine Sekretärin gehalten hätte. Er selbst sah ja aus wie ein Attaché. Teufel — und man hätte es sein können, nach Geburt und Gaben. Dies Schicksal, dies verdammte Schicksal!
Er sah sie missbilligend an: „Liebes Herz — tu mir bloss den Gefallen und leg’ dir eine stilvollere Frisur zu.“
Sie lachte: „Das stört dich doch jetzt nicht, wenn ich den Hut aufhabe.“
„— aber was für einen ...“, erlaubte er sich.
„Jedenfalls einen, der vor drei Jahren sehr modern war, mein lieber Graf.“ Aber im Innern spürte sie jedesmal einen Stich, wenn er an ihrer äussern Erscheinung etwas auszusetzen hatte. Heino zuckte die Achseln und zog in Gedanken ein silbernes Etui aus der Westentasche — aber im selben Augenblick fiel ihm ein, dass sie das ja nicht sehen durfte. Nun war es einmal geschehen, und Isabel hatte es natürlich gleich bemerkt. „Fein!“ sagte sie mit einem lustig lauernden Seitenblick. „Gekauft —?“ Sie nahm ihm die Dose aus der Hand, und er liess es zu, dass sie die Zigaretten herausnahm und sich die Sache näher ansah. „Ah — ‚Lydia Keriël ihrem kritischen Bewunderer’ ... Sehr nett von deinem Abgott. Aber sag’ mal, Heino: Wieso Kritischer’?“
„Ja nun — sie fragt mich eben mal um meine Meinung.“
„In Filmangelegenheiten?“ Sie sah mit unbändigem Vergnügen, wie er sich in ihrem Kreuzverhör wand. „Erlaube schon!“ gab er ihr gekränkt zur Antwort. — „Ach, Isabel, warum quälst du mich in einem fort? Frau Keriël geht nie ins Kino, ausser in ihre eigenen Filme — dann erzähle ich ihr also. Das genügt ja auch — denn von den verrückten Amerikanerinnen kann sie doch nichts lernen.“
„Ah — und du sagst ihr das. Hm, Heino — ich werde mal Dareen erzählen, woher die Dame ihr Selbstbewusstsein bezieht.“
In einer Gartenwirtschaft eroberten sie einen gerade freiwerdenden Tisch am Seeufer. Der vielbeschäftigte Kellner übersah die beiden. Boote schaukelten im seichten Wasser, am Uferkranz standen helle, sommerlich gekleidete Menschen. Isabel beobachtete den Freund, der es auffällig vermied, sich dem Kellner bemerkbar zu machen. „Gehen wir“, sagte er endlich. „Der Kerl kommt ja doch nicht zu uns.“
„Fällt mir gar nicht ein, ich habe Hunger.“ Isabel nahm die Karte zur Hand und nannte ihre Wünsche. „Sei so gut und bestelle mir endlich einen Mocca double, sieben Mohrenköpfe, drei Baisers und vier Napoleonschnitten.“
Heino sah in die Luft. „Entschuldige, Isabel — ich habe nämlich bloss noch eine Mark fünfzig, summa summarum. Aber den Mokka sollst du haben.“
Ihr Blick wurde dunkel: „Lieber — du hast wieder gewettet, gespielt?“
Graf Csaky zog einen Haufen zerknitterter Lotterielose aus der Tasche und warf sie wütend über den Tisch. „Alles Nieten. Aber ich habe die Sache jetzt bald heraus. Ein fabelhaftes System. Da lernt bei mir ein Schieber reiten, der hat Unsummen damit verdient und bringt es mir aus Gefälligkeit bei. Das Glück ist nämlich auch berechenbar.“
Wie unmutig sie den Blick gesenkt hielt — rief jetzt mit einer kurzen, herrischen Bewegung den Kellner heran und bestellte einen Kaffee für sich und ein Bier für Heino. „Wenn du dir auf diese Weise Vermögen und Rang zurückholen willst, mein Lieber, dann kannst du lange warten.“
„Wenn du dir auf deine Weise, Pfennig zu Pfennig, Vermögen und Rang zurückholen willst, liebe Isabel“ — antwortete Heino gedrückt —, „dann werden deine Kinder immerhin bis zur Alvenslebenstrasse aufrücken. Ach, du“ — und er griff nach ihrer Hand —, „du glaubst ja selber nicht, dass du glücklich bist in deinem elenden Beruf —“
„Glücklich —?“ sagte Isabel, und ihr Blick verlor sich. „Gewiss nicht. Sicherlich weniger als du bei deinen Pferden. Aber ich bin fleissig. Ich will hoch, und mein Glück hab’ ich bei mir. Jetzt lerne ich an den Abenden englisch und französisch stenographieren. Dareen lobt mich — eines Tages wird er mich zu seiner Regieassistentin machen.“
„Und dann —?“
„Dann ist wieder ein neues Ziel. Ich warte, aber ich rege die Hände dabei. Manchmal meine ich, ich träume und müsste zerspringen in diesem Alltag, mit Schreibmaschine, Stenogrammblock und Klebepinsel. Glücklich? — Aber muss man glücklich sein? — Mir genügt es, wenn ich nicht zwecklos bin. Dass mein Vater ein Botschafter war und deiner ein Geheimrat im Auswärtigen — das ist ja schon gar nicht mehr wahr. Warum führst du eigentlich den Adel noch und vergoldest dir die zerrissenen Stiefelsohlen? Lass mich ausreden, Lieber —“, fügte sie hinzu, als Heino sie heftig unterbrechen wollte, und nahm begütigend seine widerstrebende Hand überm Tisch, „du hast natürlich keine zerrissenen Stiefelsohlen, das weiss ich — sondern lieber Schulden.“
„Du reitest immer auf mir herum, meine Liebe“ — Heino wehrte sich müde —, „als ob ich nicht auch tüchtig und fleissig wäre. Komm in meine Ställe und sieh’, wie da alles blitzt, und jeder Nagel an seinem Fleck. Wenn ich einen Aufgabenkreis hätte — — aber den kriegt man ja nicht. Gott — Reitlehrer und Kleberin — — das ist so stillos.“
Auf einen herabhängenden Ast hüpfte ein Rotkehlchen, plusterte selig den roten Bauch und piepste. Das war nun unser Sonntag ... „Stillos ist,“ sagte Isabel, „wenn sich nicht beugen will, was schon gebogen ist — und wenn man hofft, wo man nicht leistet.“
„Zahlen!“ rief Heino wütend dem Kellner zu. Isabel zog ihre Handtasche und schob ihm unterm Tisch ein paar Scheine hin. Der Kellner hatte es bemerkt und grinste verstohlen — aber durch ein reichliches Trinkgeld wurde dieser schlechte Eindruck wieder verwischt. Als Heino das übrige Geld in der Hand hielt, zwinkerte Isabel ihm zu, er lächelte dankbar und steckte das Geld in die Rocktasche. „Du kannst doch nicht mit deinen anderthalb Mark herumlaufen“, raunte sie ihm zu, „ich gebe dir nachher noch etwas. Dareen hat mir zwanzig Mark Aufbesserung versprochen.“
„Das ist ja fabelhaft —! Aber es wäre jedenfalls sehr lieb von dir. Weiss der Teufel, was los ist — bei mir kommen die Moneten immer geflügelt auf die Welt —“
Sie standen auf. Heino schob jetzt seinen Arm in den ihren — aber die Verbitterung drängte, immer wieder über seine Lippen. Vier Jahre liebte man sich — eine spröde Freundin — und keine Aussicht, im Lauf der Jahrzehnte standesgemäss zusammenzukommen ...
Isabel hasste dies zwecklose Klagen, und um ihn auf andere Gedanken zu bringen, erzählte sie ihm vergnügt, was Tamaroff und der bucklige Chefoperateur zu ihrem „Filmgesicht“ meinten. Darauf strich Heino sich nachdenklich ums glatte Kinn: „Du, höre mal — das wäre gar kein übler Gedanke. Du könntest — äh, wir könnten bald heiraten“, übersetzte er, weil er wusste, dass sie es ungern hörte, wenn er vom Gelde sprach. Aber sie zog ihren Arm schon unwillig an sich.
„Sieh einmal ins Atelier hinein, lieber Heino — dann vergeht dir die Lust, mich unter diesen Menschen zu sehen. Aber du kennst ja nur die Leinwand. Und die lockt — — lockt mich auch.“
Der Graf zuckte die Achseln. Dann mochte sie eben Klebedame bleiben, wenn sie das für vornehmer hielt. Aber er beobachtete sie entzückt, sie sah so hübsch aus, wenn sie böse war. Auf dem weiten Wege kamen sie in entlegenere Ecken, nur wenige Spaziergänger begegneten ihnen. Heino sah sich um — und als er keinen Menschen erblickte, küsste er sie stürmisch. Sie spürte sein Begehren und machte sich ruhig frei. „Es ist nicht gut, dass man vier Jahre umeinander herumgeht“, sagte er entschuldigend, aber er sah, dass auch ihr eine dunkle Röte in die Stirn gestiegen war.
„Dann sieh zu,“ antwortete sie ihm, „dass diese Zeit sich schneller endet, und hole deine standesgemässen Träume aus den Wolken herunter. Aber du wirfst dein Geld zum Fenster hinaus und wartest, dass dich der Zufall wieder hochbringt. Dir passiert das nicht, Heino — dir nicht.“
Sein Stock zischte. „Du willst damit sagen, ich wäre zu dumm dazu?“ Und als sie lachte, sprach er heftig weiter: „Verbringe diesen Abend allein, Isabel — mir hast du die Lust verdorben!“
So war es schon oft zwischen ihnen geschehen. Wenn sie sich nicht vertragen konnten, ging jeder seines Weges — — wenn man sich lange vergeblich liebt, wird man klug. Sie gaben sich die Hand. Das trifft sich ja ganz gut, dachte Heino im Davongehen — denn er hatte heute abend etwas vor, das in dem rosigen Brief am Vormittag gestanden hatte, und er hätte schwindeln müssen, um freizukommen.
Einen Augenblick wollte Isabel ihm nacheilen, denn ihr immer gedämmtes Blut drang auf. Dann hob sie die Hände an den Mund. „Dummer Bub!“ rief sie und lachte — aber es war ihr nicht danach zumut.