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Prolog

Gerd glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das ganze Dorf schien auf den Beinen. Auf dem breiten, mit Kastanien bestandenen Weg näherte sich Gerd der dunklen, verschworenen Gemeinschaft. Von weitem zerflossen die Schwarztöne und formten eine undurchdringliche Einheit. Der Weg war vom Schnee nur notdürftig geräumt. Der Kies knirschte unter seinen Schuhen.

Gerd trug seine braunen Hosen, die mit den Bügelfalten. Jeans? Kommt nicht in Frage, hatte seine Mutter am Morgen bestimmt. Die Parka hatte er sich nicht ausreden lassen.

Er stellte sich abseits. Am Eingang der Leichenhalle traten die Totengräber in ihren langen, schwarzen Umhängen von einem Fuß auf den anderen. Einer der Totengräber zog die Mütze ab und fuhr sich mit der Hand durch das schüttere Haar. Sicherlich hatten die vier Männer geflucht. Ausgerechnet jetzt, wo alles steinhart und der viele Schnee. Bestimmt hatten sie den Boden mit Spitzhacken aufbrechen müssen, mühsamste Schufterei, Schaufel für Schaufel. Der einfache Holzsarg ohne ein Kreuz stand verloren in der Leichenhalle, davor ein einziger Kranz. Gerd konnte die Schrift auf der Schleife nicht entziffern.

Die Trauergemeinde. Alte Frauen, die ihre flinken Augen hinter dicken, tief in die Stirn gezogenen Kopftüchern verbargen, Greise, die sich an Gehstöcken festklammerten, Männer, die betont lässig ihre Taschenuhren aus der Westentasche zogen, während ihre Frauen unverhohlen die Aufmachung der Wartenden begutachteten, Mädchen, die einander mit dem Ellbogen stießen, Jungen, die sich versteckt knufften und kniffen, ein gezischtes „Ruhe", vorgehaltene Hände, Köpfe, die sich nahe kamen, Flüstern, Nicken, Getuschel, zum Grinsen verzogene Münder, im Einklang zuckende Unterkiefer, Speichel, der am Kiefer festfror.

Wenige Meter von Gerd entfernt stand der alte Hausmann. Der hatte den Toten gefunden. Der Alte machte ein zufriedenes Gesicht und wippte leicht in den Knien. Hielt er nicht eine Zigarre in der Hand versteckt? Der Platz am Harmonium war leer. Gerds Finger begannen klamm zu werden. Überhaupt machte sich die Kälte breit, kroch durch die Parka, den Pullover, saugte sich auf der Haut fest, war nicht mehr abzuschütteln. Der Pfarrer ließ sich noch immer nicht blicken. Sonst war er doch die Pünktlichkeit in Person. Gerd schaute sich um. Niemand schien dem Toten nachzuweinen. Ziemlich weit vorne entdeckte Gerd seine Mutter. Endlich öffnete sich die Tür. Nur ein Messdiener mit einem Holzkreuz erschien, gefolgt vom Pfarrer. Sie kamen den Kiesweg herauf. Das Murmeln wurde leiser, das Gekichere erstarb. Erwartungsvoll teilte sich die Menge. Der Pfarrer betrat die Leichenhalle, die sonst von Angehörigen überquoll.

„Rufe unseren verstorbenen Bruder heim in Dein Reich. Wir bitten Dich, erhöre uns.“

„Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm.“

Die Totengräber packten den Sarg entschlossen und setzten ihn unsanft auf den kleinen, schwarz drapierten Friedhofswagen. Die Menge formierte sich. Am Grab hatten die Träger Probleme mit dem vereisten Untergrund, rutschten fast aus, kamen mit der Abseiltechnik nicht so zurecht. Ruckweise ließen sie den Sarg sinken. Die Zuschauenden schoben sich näher zum Grab, verfolgten gespannt jede Einzelheit der Vorführung. Der Pfarrer warf drei Schaufeln Erde auf den Sarg. Danach stimmte er „Wir sind nur Gast auf Erden" an. Einzelne Stimmen fielen ein.

„... gar manche Wege führen aus dieser Welt hinaus ...“

Gerd brachte keinen Ton heraus.


Dorfluft

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