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I. Reichseinigung und überseeische Expansion

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1454–1474 Heinrich IV., König von Kastilien
1458–1479 Johann II., König von Aragonien
1469 Heirat von Isabella und Ferdinand
1474–1504 Isabella, Königin von Kastilien
1478 Einsetzung der Inquisition
1479 Reichseinigung in Form einer Matrimonialunion
1479–1516 Ferdinand, König von Aragonien
1479 Frieden von Alcaçovas
1482 Beginn des Kriegs gegen Granada
1492 Sieg über Granada; Ende der Reconquista; Ausweisung der Juden; Amerikafahrt des Kolumbus; Veröffentlichung der ersten kastilischen Grammatik durch Antonio de Nebrija
1494 Vertrag von Tordesillas
1502 Zwangstaufe oder Ausweisung der Mauren
1503 Errichtung der Casa de la Contratación in Sevilla
1504–1555 Johanna die Wahnsinnige, Königin
1506 Anerkennung Philipps des Schönen als kastilischer König; Tod Philipps des Schönen und erste Regentschaft von Kardinal Cisneros
1507–1516 Regentschaft Ferdinands in Kastilien
1512 Eingliederung Navarras in die kastilische Krone

Lange Zeit galt in der Historiographie Spanien als ein früh geeinter, europäischer Nationalstaat.1 Im späten 15. Jahrhundert wurde mit der Eheschließung Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien (1469) die Grundlage für die zehn Jahre später erfolgte ‚Reichseinheit‘ gelegt. Wenn auch bis heute in den meisten historischen Werken an dieser Chronologie festgehalten wird, ist andererseits darauf hinzuweisen, daß trotz der (theoretisch) bestehenden religiösen und politischen Einheit sowohl während der vorangegangenen Jahrhunderte als auch in der Zeit danach die Vielfalt das herausragende Charakteristikum der spanischen Geschichte war. Von einem zentralistischen Einheitsstaat konnte keine Rede sein. Noch jahrhundertelang stellten sich die spanischen Herrscher nicht als Könige Spaniens, sondern als Monarchen der „spanischen Länder“ (las Españas) dar. Spanien blieb lange Zeit eine „zusammengesetzte Monarchie“ (monarquía compuesta); die Krone von Kastilien bestand aus verschiedenen historischen Bestandteilen, die im Laufe der Zeit allerdings weitgehend integriert wurden (das erst zwischen 1512 und 1515 eroberte Königreich Navarra behielt bis ins 19. Jahrhundert eine Sonderstellung innerhalb Kastiliens). Die Krone von Aragonien wiederum setzte sich im Osten aus dem Königreich Aragonien, der Grafschaft Katalonien und den Königreichen der Balearen und Valencias zusammen; die einzelnen Bestandteile waren zwar seit 1319 durch eine ewige Union verbunden, institutionell aber keineswegs integriert. Die Spannungen zwischen politischen Vereinheitlichungstendenzen und kultureller Verschiedenartigkeit sind bis heute ein Grundzug der spanischen Entwicklung.2

Einig sind sich die Historiker darin, daß die Regierung der „Katholischen Könige“ in mehrerlei Hinsicht einen Wendepunkt der spanischen Geschichte bedeutete: Die aus dynastischen Gründen zustande gekommene Union von Kastilien und Aragonien war die Voraussetzung für das moderne Spanien; die Eroberung des letzten islamischen Königreiches auf iberischem Boden, Granadas, bedeutete das Ende der Reconquista und den Beginn eines neuen Zeitalters; die relative religiöse Toleranz des Mittelalters und das (durchaus spannungsvolle) Nebeneinander der drei großen monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum wichen geistlicher Intoleranz und fanatischem Glaubenseifer; mit der ‚Entdeckung‘ Amerikas und der Eroberung und Missionierung des ‚neuen‘ Kontinents wurde die Grundlage für das koloniale Weltreich Spaniens gelegt. In einer auffälligen Entsprechung geschichtlicher Dynamik fallen damit der Abschluß eines jahrhundertelangen Kampfes auf der Iberischen Halbinsel und der Beginn einer ebenfalls jahrhundertelangen Kolonialherrschaft zeitlich zusammen. Die Frage liegt nahe, ob es über die zeitliche Koinzidenz hinaus einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen beiden weltgeschichtlichen Ereignissen gibt.3

Noch im frühen 15. Jahrhundert war nicht abzusehen, daß die verschiedenen Reiche auf der Iberischen Halbinsel in vorhersehbarer Zeit eine Einheit bilden würden. Das Königreich Kastilien war durch innere Wirren geschwächt und konzentrierte seine Energien auf die Fortführung der Reconquista, den seit Jahrhunderten andauernden Kampf zwischen Christen und Muslimen; den Ländern der Krone von Aragonien ging es vor allem um die Sicherung außeriberischer Interessen, vornehmlich in Süditalien; das Königreich Navarra im Norden der Halbinsel war um die Bewahrung seiner Unabhängigkeit bemüht; Portugal hatte sich seit Jahrhunderten im atlantischen Raum engagiert und zu jenem Zeitpunkt bereits eine Art Nationalbewußtsein entwickelt; und das im Süden gelegene, maurische Emirat Granada war das letzte islamische Reich auf der Halbinsel, gegen das Kastilien seit Jahrzehnten einen hinhaltenden Abnützungskrieg führte.

Von den fünf Reichen war Kastilien zweifellos das bedeutendste; ihm gehörten große Teile des Nordens, das Zentrum und der ganze Südwesten der Halbinsel. Kastilien umfaßte zwei Drittel des spanischen Gesamtterritoriums und hatte mit sechs Millionen mehr als sechs mal soviel Einwohner wie Aragonien. Lange Zeit wurde das entstehende moderne ‚Spanien‘ mit Kastilien gleichgesetzt. Während dieses schon weitgehend einheitsstaatlich organisiert war, stellte die Krone von Aragonien eine Art Föderation mit Katalonien, Valencia und Mallorca dar; auch Sizilien, Neapel und Sardinien gehörten zur Krone von Aragonien.4

Die Unterschiede zwischen Kastilien und Aragonien waren weitreichender Art und betrafen das Verwaltungssystem, die Besteuerung und die Verfassungen. Die kastilischen Stände (cortes) konnten keine starke Tradition begründen; Mitte des 15. Jahrhunderts entsandten nur noch 17 Städte Vertreter in die Cortes, in denen ganze Regionen (Baskenland, Galicien, Asturien) nicht repräsentiert waren. Auch Geistlichkeit und Adel nahmen an den Sitzungen nicht mehr teil. Die Schwäche der ‚parlamentarischen‘ Institutionen korrelierte mit der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelten Theorie des Absolutismus, derzufolge der König von Gottes Gnaden „absolute königliche Macht“ besaß; seine Macht leitete der König nicht von den Menschen her, sondern von Gott, dem allein er verantwortlich war.

Wenn auch in Kastilien die Lehre von der „absoluten königlichen Macht“ entwickelt wurde, stieß der Gebrauch dieser Prärogative an viele Grenzen. Der König war zwar alleiniger Gesetzgeber und Richter, seine Gesetze und Entscheidungen mußten sich aber im Rahmen des Rechts bewegen. Wenn Verfügungen gegen Gesetz und Recht verstießen, wurden sie zwar angenommen, aber nicht ausgeführt – gemäß der Formel Man gehorcht, führt aber nicht aus („Se obedece, pero no se cumple“). Bei der Festlegung neuer Steuern war die Zustimmung der Cortes erforderlich.

Im Unterschied zum entstehenden kastilischen Absolutismus entwickelte die Krone von Aragonien eine ausgeprägte Form des Konstitutionalismus. Die Macht des Königs leitete sich von einem „Vertrag“ her, den dieser mit dem Volk schloß. Jegliche politische Macht konnte nur auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen ausgeübt werden. Diese Theorie der „Vertragsherrschaft“ führte in den Ländern der Krone von Aragonien schon früh zu einer Begrenzung der königlichen Macht und zu einer Teilung der Souveränität zwischen Monarch und Cortes; diese stellten mächtige Vertretungen der Eliten dar, sie waren für Steuererhebungen und Ausgabenkontrollen zuständig, königliche Gesetzesinitiativen bedurften ihrer Zustimmung. Ein Oberrichter (Justicia) wachte über die Einhaltung der Rechte des Landes durch die Krone.5 Zwischen den Sitzungsperioden der Cortes unterstand der König außerdem der Generalidad oder Diputación, die als ständiger Ausschuß die Kontinuität der ‚parlamentarischen‘ Kontrolle sicherstellte. Das ‚geeinte‘ Spanien bestand Ende des 15. Jahrhunderts somit aus einer Verbindung des aragonesischen Konstitutionalismus mit dem kastilischen Absolutismus.

König Ferdinand von Aragonien (1479–1516) griff selten in den Verwaltungsapparat der ‚Gliedstaaten‘ seiner Krone (Aragonien, Katalonien, Valencia, Mallorca) ein, verbriefte vielmehr den Fortbestand der regionalen Sonderrechte (vor allem Kataloniens). Die Reiche der Krone von Aragonien waren vorerst nur in Personalunion miteinander vereinigt. Der König verbrachte nur wenige Jahre in seinen Kronländern, setzte vielmehr einen Vizekönig und (1494) den „Aragonienrat“ ein, der zur höchsten Verwaltungsbehörde für alle Kronländer – somit auch für Sizilien, Neapel und Sardinien – wurde.6

Über die Bedeutung der Umbruchzeit zu Ende des 15. Jahrhunderts ist unter Historikern viel gestritten worden. Immer wieder ging es um die Frage, welche Bedeutung die Reconquista für die weitere Geschichte Spaniens hatte. Zuerst ist darauf zu verweisen, daß die Reconquista als militärischer, machtpolitischer, wirtschaftlicher und siedlungsgeschichtlicher Aspekt einen Teil jener viel umfassenderen Bewegung bezeichnet, die eine fast acht Jahrhunderte andauernde geistig-kulturelle Auseinandersetzung mit dem Islam auf spanischem Boden bedeutete. Die Geschichte Spaniens von 711 bis 1492, die Eroberung weiter Teile der Iberischen Halbinsel durch die ‚Mauren‘ und die Rückeroberung durch die christlichen Königreiche, vor allem durch Kastilien – das im 11. Jahrhundert zur politisch und militärisch führenden Macht aufstieg –, stellen eines der erregendsten Kapitel abendländischer Geschichte und Kulturentwicklung dar. Das Ergebnis der Reconquista war eine folgenreiche Durchdringung und Verschmelzung verschiedener Kulturen; dieser Prozeß kann mit dem militant-ideologischen Schlagwort der ‚Rückeroberung‘ allein nicht adäquat erfaßt werden.7

Die muslimischen Berber, die 711 bei den „Säulen des Herkules“ (Gibraltar) über die Meerengen vorstießen, unterwarfen innerhalb weniger Jahre fast die gesamte Halbinsel; als Kalifat von Córdoba entwickelte dieses iberische Reich eine im damaligen Europa einmalige Blüte, die als politischer, wirtschaftlicher und kultureller Höhepunkt des Islam bezeichnet werden kann. Die ‚Rückeroberung‘ der islamisierten Halbinsel sollte sodann unter dem Zeichen zweier Legitimations- und Integrationssymbole erfolgen: Zum einen fanden die Sammlungsversuche in den christlichen Territorien unter dem mythisierten Ideal statt, die gotische Herrschaft wiedererrichten zu wollen; zum anderen mußte der Apostel Jakobus (Santiago), der „Maurentöter“ – bis heute Schutzpatron Spaniens –, als Integrationssymbol herhalten.8

Während das Kalifat von Córdoba auseinanderfiel und die arabischen Kleinkönige sich bekriegten, eroberten die Almoraviden und später die Almohaden große Teile Spaniens und errichteten eher fundamentalistische, religiös-politische Regime, die auf christlicher Seite scharfe Reaktionen hervorriefen. Allmählich wurde die Reconquista zum „heiligen Krieg“ und „Kreuzzug“ gegen die Feinde des Glaubens – ein Krieg, in dem die geistlichen Ritterorden eine große Rolle spielen sollten; eigentlich waren die jahrhundertelangen Auseinandersetzungen aber keineswegs ein von Heilswillen geleiteter Kreuzzug, sondern ein massives Geschäftsunternehmen, bei dem es darum ging, Territorien zu erwerben, Feudalherrschaften zu gründen und Existenzen für jüngere Söhne des Adels zu schaffen. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts hatte sich der kastilische Herrscher nach der Eroberung Toledos den Titel „Herrscher über ganz Spanien“ (Imperator totius Hispaniae) zugelegt. Insbesondere seitdem gab es ausgedehnte Friedensphasen, in denen Juden, Christen und Araber zusammenlebten und -arbeiteten. Toledo wurde zu einem internationalen Zentrum der Vermittlung griechisch-östlicher Wissenschaft und Philosophie. Aus diesem Zusammenwirken verschiedenartiger Kulturkreise, Sprachen und Religionen entstand eine einzigartige Synthese von mozárabes (arabisierten Christen), mudéjares (Moslems in christlichen Gebieten) und moriscos (getauften Moslems), die allesamt versierte Facharbeiter und geschickte Techniker waren. Ohne die Reconquista ist das heutige Spanien nicht denkbar; der Nationalstaat Spanien ist erst durch den Kampf gegen die Mauren entstanden.9

Auf die Frage, was die jahrhundertelange Herrschaft des Islam für Spanien bedeutet, sind sehr unterschiedliche Antworten gegeben worden. Die christlichen Chronisten, die zu Beginn der Neuzeit über die Ereignisse der vergangenen acht Jahrhunderte nachdachten, mußten unweigerlich die Hand Gottes am Werk sehen: Wie anders wären der Zusammenbruch des Westgotenreiches unter den Schlägen der Muslime und die allmähliche ‚Rückeroberung‘ des Territoriums unter dem Zeichen dieses christlichen Westgotenreiches zu erklären? Nur allmählich haben sich spätere Historiker von einer derart triumphalen Sicht entfernt. Für die neueren Interpretationsrichtungen wurde ein Streit bedeutsam, den vor ungefähr 50 Jahren zwei Intellektuelle, der Philologe Américo Castro und der Historiker Claudio Sánchez Albornoz, erbittert ausgetragen hatten. Beide Männer waren durch den Sieg Francos im Bürgerkrieg ins Exil getrieben worden, ersterer in die USA, letzterer nach Argentinien. Américo Castro vertrat die These, die gesamte Entwicklung Spaniens in der Neuzeit resultiere daraus, daß die Bewohner der Iberischen Halbinsel über Jahrhunderte hinweg einer menschlichen Gemeinschaft angehörten, die sich aus drei Gruppen von Gläubigen zusammensetzte: Christen, Muslime und Juden.10 Ein kulturelles Kräftedreieck aus islamischen, jüdischen und christlichen Einflüssen habe einzigartig zusammengewirkt und eine Mischkultur hervorgebracht, die nicht ausschließlich europäischen Ursprungs ist.

Gegen Castros Thesen läßt sich zweifellos manches einwenden; Kontinuität zwischen der westgotischen Zeit und dem frühchristlichen Mittelalter ist vielfach nachweisbar. Castros Opponenten, allen voran Claudio Sánchez Albornoz, warfen ihm denn auch vor, mit seiner Behauptung des Zusammenwirkens der drei großen monotheistischen Religionen habe er die spanische Geschichte aus jenem europäischen Verbund gelöst, der allein christlichen Ursprungs sei.11 Castros Thesen waren für die Katholiken seiner Generation eine gewaltige Provokation. Den eigentlichen Protest erregte die Behauptung, die spanische Bevölkerung, ihre Kultur und ihr Charakter seien nicht ausschließlich christlichen (und das hieß: europäischen) Ursprungs.

Heute erscheinen die Leidenschaften, die der Streit zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz hervorgerufen hat, weitgehend unverständlich. Kaum jemand bestreitet mehr, daß die drei Religionen und Kulturen vielerlei Spuren in Spanien hinterlassen haben. Im Gegenteil: Das über lange Phasen hinweg relativ friedliche Miteinander von Muslimen, Christen und Juden – die vielgepriesene, manchmal auch idealisierte convivencia – wird als Vorbild praktizierter religiöser Toleranz dargestellt; die kulturellen Zeugnisse des Mittelalters sind anerkannte Elemente der gemeinsamen nationalspanischen Kultur; die Reconquista wird nicht mehr als glorreiche Geburtsstunde eines national-katholischen Spanien verherrlicht, sondern gesellschaftlich und kulturell als eine Art Bürgerkrieg begriffen, in dem es den Christen um Machtausdehnung und Missionierung ging. Auch nachdem die politische Geschichte des Islam auf der Iberischen Halbinsel 1492 zu Ende gegangen war, blieb sein kultureller Einfluß noch jahrhundertelang wirksam. Die Mudéjarkunst im christlichen Spanien legt Rechenschaft davon ab. Eine neue Epoche begann, die trotz Inquisition, Vertreibungsedikten, und religiöser Intoleranz das islamische Erbe nicht verleugnete.

Allerdings geht die Debatte über den (tatsächlichen oder nur erwünschten) Einfluß des Islam auf die spanische Entwicklung der Neuzeit weiter. Als ein bemerkenswertes aktuelles Beispiel ist auf den Arabisten Serafín Fanjul zu verweisen, der in seinen Studien den „Mythos“ der im Mittelalter angeblich harmonisch nebeneinander bestehenden drei „Kulturen“ angreift und betont, daß „Al-Andalus“ keinerlei kulturelle Spuren in Spanien hinterlassen habe. Der Alltag zwischen Mauren und Christen war spannungsgeladen, häufig aggressiv, und die Bevölkerung eines Landstrichs definierte sich in bewußter Abgrenzung von der jeweils anderen Religion. Diese Deutung, die sich gegen die Sicht eines Américo Castro oder Juan Goytisolo wendet, kritisiert die romantisierenden und idyllisierenden Perspektiven der araberfreundlichen Schule;12 sie läßt zugleich deutlich werden, daß das Thema auch nach Jahrhunderten in Spanien immer noch erhebliche Emotionen zu wecken vermag.

Fragt man nach der inneren, politischen und nationalen Verfaßtheit Spaniens an der Schwelle zur Neuzeit, so ist einleitend auf die nachhaltigen Bestrebungen von seiten der Krone zu verweisen, einen frühneuzeitlichen, modern-absolutistischen Staat zu errichten. Seit ihrer Eheschließung im Oktober 1469 versuchten Ferdinand von Aragonien und Isabella von Kastilien, die späteren „Katholischen Könige“, die wichtigsten Staatsämter mit Angehörigen des Kleinadels und bürgerlichen Juristen zu besetzen. Diese Bestrebungen führten zwar zu einer Disziplinierung des kastilischen Adels, nicht jedoch zu seiner Entmachtung; trotz der ökonomischen Erstarkung der Krone behielt der Adel ein beachtliches Wirtschaftspotential bei. Die während der isabellinischen Epoche geschaffenen Grundlagen des Absolutismus im Königreich Kastilien gingen in erster Linie auf Kosten der Kirche, der Städte und der religiösen Minderheiten: Die Cortes wurden völlig entmachtet, die städtische Unabhängigkeit wurde zusehends eingeengt, die Landpolizei und städtische Miliz königlicher Aufsicht unterstellt. Die drei bedeutendsten militärischen Orden (Calatrava, Alcántara, Santiago) konnten weitgehend dem Einfluß der Kirche entzogen werden.13

Nachdem Isabella Ende 1474 die Thronfolge Kastiliens zu ihren Gunsten entschieden hatte, regelte sie kurz danach im „Abkommen von Segovia“ mit ihrem Ehemann Ferdinand die Aufteilung von Rechten und Kompetenzen. Ferdinand erhielt zwar ebenfalls den Königstitel für Kastilien, die eigentliche Königin und „Besitzerin“ des Reiches aber war Isabella; sie ernannte die obersten Militärs, die Statthalter und die Leiter der Zivilverwaltung. Die stark von aragonesischen Interessen beeinflußte Außenpolitik, die sich anfangs auf den Mittelmeerraum und Süditalien konzentrierte, wurde Ferdinand überlassen. Seit dem 14. Jahrhundert gehörten Sizilien und Sardinien, seit Mitte des 15. Jahrhunderts auch Neapel zu Aragonien; der italienische Besitz mußte gegen französische Begehrlichkeiten geschützt werden und band aragonesische Truppen in Italien.

Das Herrscherpaar einigte sich darauf, die meisten Regierungsgeschäfte zusammen durchzuführen. Sowohl der gemeinsame Wappenspruch (Tanto monta) wie die Wappensymbole – Pfeilbündel, Kette, Joch – betonten den Einheits- und Unteilbarkeitsgedanken. Das Herrscherpaar festigte gemeinsam die Monarchie und schwächte den Adel. Dieser konnte durch eine geschickte Reformpolitik schließlich von den Vorzügen eines Bündnisses mit dem Königtum überzeugt werden: Besondere Bedeutung dabei erlangte das Majoratsgesetz von 1505, das die Vererbung an den erstgeborenen männlichen Nachkommen und die Unveräußerlichkeit des immobilen Vermögens festlegt. 1479 endete der Erbfolgekrieg, im Friedensvertrag von Alcaçovas mit Portugal wurde die Grenze zwischen Kastilien und dem Nachbarland anerkannt. Da im gleichen Jahr Ferdinand seinem verstorbenen Vater auf den Thron folgte, waren nunmehr beide Kronen in einer Doppelmonarchie (Matrimonialunion) vereint. Allerdings behielten beide Königreiche ihre Autonomie, die Institutionen blieben getrennt.

Zukunftsweisend für den Aufbau eines ‚modernen‘ Staates wurde die Verwaltungsreform: Der seit dem 14. Jahrhundert bestehende Kronrat avancierte zu einem Regierungsinstrument der Monarchen; königlichen Sekretären, die zumeist Rechtsgelehrte waren, wurden die Staatsgeschäfte übertragen; das Kommunalsystem erfuhr auf Kosten der Macht der Aristokratie Verstärkung; mit Sondervollmachten ausgestattete königliche Vertreter hatten in den einzelnen Landesteilen die Oberhoheit der Krone sicherzustellen; die Rechtsprechung über Laien wurde dem Klerus als Lehensherr entzogen und königlichen Justizbeamten übertragen. Die innere Sicherheit oblag der „Heiligen Bruderschaft“ (Santa Hermandad), einem ehemals städtischen Schutzbund, der als Landpolizei wiedergegründet und schließlich zu einem Instrument der königlichen Finanzpolitik wurde. Während des Pontifikats des skandalumwitterten Alexanders VI. (1492–1503) konnte das Herrscherpaar bestimmenden Einfluß auf die Ernennung der Bischöfe gewinnen und damit die Basis zu einer Art ‚Nationalkirche‘ legen. In Zusammenwirken mit der Kirchenhierarchie entwickelte sich damals ein Staatsbewußtsein, das religiöses Denken und staatliche Einheit in eins setzte.14

Das Herrscherpaar erhob den Krieg mit Granada, wo die Nasridendynastie herrschte, zum ‚nationalen‘ Anliegen, um mit seiner Hilfe die kastilische Oligarchie hinter sich zu einen. Die Propaganda des Hofes hob die Rolle der Monarchen bei der Eroberung Granadas hervor und stellte diese als ersten Schritt zur Schaffung eines kastilischen Weltreiches dar. Die Impulse, die von der Eroberung Granadas ausgingen, bewirkten eine Wiederbelebung des teilweise verlorengegangenen Kreuzzugs- und Eroberungsdrangs des kastilischen Adels; dieser Faktor sollte wenige Jahre später zum Aufbau des spanischen Weltreiches beitragen. Innenpolitisch festigte der Feldzug die Stellung der Monarchen als militärische und politische Führer des Reiches; strategisch ist vor allem auf den erweiterten Zugang zum Mittelmeer zu verweisen.


Ferdinand und Isabella erobern am 2. Januar 1492 Granada. Holzrelief von Felipe Bigamy, 16. Jh., Granada, Capilla Real, Hauptaltar. Foto: AKG.

Die sozialen und ökonomischen Folgen der Eroberung des Königreiches Granada waren vielfältig: Für ihren Widerstand während der Reconquista waren die Bewohner der meisten maurischen Städte mit der Ausweisung nach Nordafrika bestraft worden; demgegenüber waren die Bedingungen bei der Übergabe Granadas großzügig. Den für ihren Fleiß bekannten niederen Volksschichten sollten ähnliche Existenzbedingungen ermöglicht werden, wie sie die mudéjares im christlichen Norden hatten: Sie sollten ihr Rechtswesen behalten, ihre Sitten und Gebräuche pflegen und ihre Religion frei ausüben können. Nach wenigen Jahren bereits wurden jedoch die Grundlagen dieses tolerant-offenen Spanien wieder zerstört, was sowohl mit staatspolitischen und wirtschaftlichen Überlegungen der Krone als auch mit wachsender Intoleranz seitens der christlichen Bevölkerung zusammenhing.

Als erste wurden die Juden verfolgt. Auf die umfangreichen Pogrome von 1391 folgte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine weitere antisemitische Verfolgungswelle, die 1478 in der Schaffung der Inquisition ihren Abschluß fand. Die Judenfeindschaft ist zu dieser Zeit nicht mehr ausschließlich religiöser Natur, sondern es beginnen sich Zuschreibungen auszubilden, die mit modernen rassistischen Vorstellungen vergleichbare Züge aufweisen. Zugleich artikulierten die ökonomisch bedrohten niederen Volksschichten in antijüdischen Pogromen ihren Protest gegen die bestehende soziale Ordnung.

Die Schaffung der Inquisition war auf mehrere Gründe zurückzuführen: Zum einen sollten soziale Bewegungen, die schnell unkontrollierbar werden konnten, abgefangen und kanalisiert werden; zum anderen sollte die Glaubensfestigkeit der wachsenden Zahl von Konvertiten, die Sorgen bereitete, überwacht werden; schließlich konnte die Krone die Inquisition – als einzige gesamtspanische Institution – bei der Durchsetzung zentralistischer Bestrebungen einsetzen. Finanzielle Beweggründe dürften zwar anfangs nicht zu den Hauptmotiven, die Inquisition einzurichten, gehört haben; im Laufe der Jahre wurde die Beschaffung von Mitteln aus Bußgeldern und dem Vermögen verurteilter Konvertiten aber zu einer wichtigen Aufgabe der Inquisition.15

Im März 1492 wurden die Juden aus Kastilien und Aragonien vertrieben; diese Maßnahme wurde in der Absicht ergriffen, den wachsenden Antisemitismus im Volk zu kontrollieren und die werdende Nation zu homogenisieren. Die Schätzungen über die Zahl der Vertriebenen schwanken zwischen 85.000 und 200.000. Zehn Jahre später wurden noch die mudéjares ausgewiesen oder zur Konversion gezwungen. Damit bot Kastilien das Bild eines religiösen Monoliths, wenn auch zahllose jüdische und moslemische Konvertiten weiterhin heimlich ihrem alten Glauben anhingen. Die Bestrebungen, das Christentum vor diesen vermeintlichen Renegaten zu schützen, sollten auf Jahrhunderte hinaus den Nährboden für die religiös-geistige Intoleranz in Spanien bilden.16

Die Einsetzung der Inquisition und die Verfolgung der conversos war in der Geschichtsschreibung Gegenstand vielfältiger Auseinandersetzungen. Américo Castro hat die These aufgestellt, die Inquisition sei von konvertierten Juden geschaffen worden, die dadurch ihre „Orthodoxie“ im christlichen Glauben beweisen wollten – eine Behauptung, die Benzion Netanyahu mit Nachdruck zurückwies. Dieser hob demgegenüber hervor, daß die Einrichtung der Inquisition eng mit dem Antisemitismus der Zeit zusammenhing. Das Paradoxe an der Inquisition bestand allerdings darin, daß sie vorgab, „Kryptojuden“ – also nur scheinbar zum Christentum übergetretene Juden, die insgeheim weiterhin Anhänger des Judentums waren – zu verfolgen, tatsächlich aber Christen hinrichtete. Die conversos waren nämlich, daran dürfte es heute keinen Zweifel mehr geben, keine verkappten Juden, sondern längst überzeugte Christen, die nur unter der (Androhung von) Folter angeblich judaisierende Handlungen „zugaben“.17

Mit dieser These revidierte Netanyahu die lange Zeit vertretene Behauptung, die „Katholischen Könige“ hätten die Inquisition eingesetzt, da sie die jüdische Häresie bekämpfen und die religiöse Einheit herbeiführen wollten. Netanyahu ging es demgegenüber um den Nachweis, daß die „Katholischen Könige“ mit der Gründung der Inquisition dem Drängen einer gewaltigen, fanatischen Volksbewegung nachgaben, die aus sozialen und ökonomischen Gründen harte Maßnahmen gegen die conversos forderte, nachdem diese wichtige und einflußreiche Positionen in der Gesellschaft erlangt hatten. Um sicherzustellen, daß die Inquisition mit aller Härte gegen die conversos vorgehen und auf diese Weise eine soziale Beruhigung im Volk eintreten würde, ernannten die Könige solche Christen zu Inquisitoren, die besonderen Haß auf die conversos hatten: die Dominikaner. Zugleich war Ferdinand und Isabella klar, daß die Inquisition nur relativ wenige conversos – insgesamt einige Tausend – verurteilen konnte, da die Prozesse sehr langwierig sein würden. Auf diese Weise konnten sie erreichen, daß die Volkswut besänftigt wurde und die große Masse der conversos im Land blieb – wenn auch einige geopfert werden mußten.

Nicht religiöse Überlegungen, sondern Rassendiskriminierung bedingten nach Netanyahu die Einrichtung der Inquisition; das ursprüngliche Ziel war die Eliminierung aller conversos. Die schließlich von den „Katholischen Königen“ eingeschlagene ‚Lösung‘ des Problems wich dann jedoch deutlich von den radikalen Forderungen der rassistischen Extremisten in ihrer Umgebung ab. Diese hatten die Ausrottung der mächtigen Minderheit der conversos gefordert. Das Königspaar lehnte auch die Vertreibung der konvertierten Juden oder den Erlaß besonderer diskriminierender Edikte gegen sie ab. Die Einrichtung der Inquisition sollte vielmehr eine Art Ventil darstellen, um die radikale Gegnerschaft großer Bevölkerungsgruppen gegen die conversos zu kanalisieren und auf diese Weise die Stabilität des Reiches sicherzustellen. Erst rund 40 Jahre nach Einsetzung der Inquisition – und schon nach dem Tode Ferdinands – nahm der rassistische Einfluß zu, bis schließlich 1520 Gesetze gegen alle conversos erlassen wurden; darin sei das rassistische Element der Inquisition zu erkennen.18

Gegen Netanyahus Thesen sind viele Einwände vorgetragen worden. José Antonio Escudero etwa, der Leiter des Inquisitionsinstituts, bezweifelt, daß ein König wie Ferdinand, der nachgewiesenermaßen antirassistisch eingestellt und Freund von conversos war, eine rassistische Inquisition gegründet haben könnte. Wieso sollte außerdem eine gegen Juden eingestellte rassistische Inquisition auch die moriscos verfolgt haben, später dann die Protestanten, die alten Christen, selbst Kleriker, Bischöfe und sogar einen Toledaner Kardinal? Rassistisch an der Inquisition sei nur das „Blutreinheitsprinzip“ gewesen; das aber war ein späteres Phänomen und hatte nichts mit der Genese der Inquisition zu tun. Gegen eine „rassistische“ Erklärung spreche auch die Überlegung, daß die Cortes von Kastilien, in der die alt-christlichen Oligarchien saßen, nie die Einführung der Inquisition forderten.

Auch Antonio Domínguez Ortiz hat sich gegen die Interpretation Netanyahus ausgesprochen. Insbesondere bezweifelte er, daß die conversos überzeugte Christen gewesen seien; in der Tradition der spanischen Geschichtsschreibung unterstellte er vielmehr einer beachtlichen Minderheit, daß sie insgeheim ihrem Glauben weiterhin anhingen und daher ein Element der Glaubensspaltung darstellten. Wären alle conversos tatsächlich überzeugte Christen gewesen, dann ließe sich die Inquisition nur als eine „Farce“ interpretieren, die mit rassistischer Zielsetzung organisiert wurde, um eine soziale Klasse zu eliminieren und politisch-ökonomische Vorteile für die Krone Spaniens zu erlangen. Davon könne aber keine Rede sein. Das Königspaar empfand ehrliche Verantwortung für die Einheit der Religion, da politische und religiöse Institutionen im frühneuzeitlichen Spanien sich nicht trennen ließen. Der Nachweis der Existenz ‚judaisierender‘ conversos habe zur Einrichtung der Inquisition und später zur Vertreibung der Juden geführt. Rassische Motive spielten keine Rolle, da die „Katholischen Könige“ in ihrer unmittelbaren Umgebung weiterhin conversos in hohen Positionen behielten. Auch könne von einem popularitätsheischenden Entgegenkommen dem niederen Volk gegenüber keine Rede sein, da dieses – von einigen Fanatikern abgesehen – sich stets in ängstlicher Entfernung von der Inquisition aufhielt. Wie andere Historiker wies auch Domínguez Ortiz den von Netanyahu vorgenommenen Vergleich zwischen der Inquisition und der „Endlösung der Judenfrage“ im nationalsozialistischen Deutschland entschieden zurück.

Die historische Rolle der „Katholischen Könige“ wird bis heute kontrovers beurteilt. Isabellas Panegyriker verweisen, in der Tradition ihrer Chronisten, auf die Konsolidierung eines weitgehend abgewirtschafteten Reiches, auf die inneren Reformen, die Stärkung der Monarchie bei gleichzeitiger Entmachtung des Adels, die Sanierung der Staatskasse, den Aufbau einer zentralistischen Verwaltung, die Reform des Klerus, die Eroberung Granadas oder die Förderung des Christoph Kolumbus; die Kritiker weisen demgegenüber auf die Unterstützung der Inquisition, die Vertreibung der Juden und Mauren, die Unregelmäßigkeiten bei ihrer Thronbesteigung und die stiefmütterliche Behandlung ihrer Tochter Johanna hin.

Nicht minder umstritten als Isabella ist in der Historiographie ihr Ehemann Ferdinand. Lange Zeit wurde der König von Aragonien als der Politiker schlechthin, als ruhmreicher „neuer Fürst“ dargestellt, etwa von Niccolò Machiavelli, von Baltasar Gracián oder im 17. Jahrhundert vom Ersten Minister Conde-Duque de Olivares, der ihn gegenüber seinem König Philipp IV. als Vorbild pries. Im Zuge der kastilischen Aufwertung Isabellas und der Schmähungen des aragonesischen Herrschers durch nationalistische Historiker vom Stile eines Ferran Soldevila wurde das Bild Ferdinands eingetrübt; schließlich erblickte man in ihm den Schuldigen für den Niedergang Kataloniens und dessen Unterordnung unter die Interessen Kastiliens. Neuerdings wird wieder, unter Rückgriff auf ältere Einschätzungen, Ferdinands Beitrag zum Ausbau eines modernen Staatswesens hervorgehoben. Wenn auch der Beitrag Ferdinands bzw. Isabellas für den iberischen Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit im einzelnen unterschiedlich gewertet wird, so sind sich die Historiker doch darin einig, in den „Katholischen Königen“ die Verkörperung der Renaissancefürsten schlechthin zu erblicken.19

An der Wende zur Neuzeit mag es in Spanien zwar gelungen sein, die politische und weitgehend auch die religiöse Einheit im Land herzustellen; ökonomisch und sozial aber entwickelten sich die einzelnen Landesteile keineswegs im Gleichschritt. Um eine allmähliche Vereinheitlichung im ökonomischen Bereich zu erreichen und den Störungen, die in den vorangegangenen Jahrzehnten durch politische Wirren im Finanz– und Währungssystem entstanden waren, zu begegnen, führten die Monarchen 1497 eine Währungsreform durch, mit der sie eine Währungseinheit, den Dukaten schufen; das bedeutete zwar noch nicht die Vereinheitlichung der Währungssysteme der beiden Königreiche Kastilien und Aragonien, war aber ein erster Schritt in diese Richtung. Weitere frühmerkantilistische und wirtschaftsdirigistische Maßnahmen trugen ebenso zur Gesundung der spanischen Wirtschaft bei wie die weitreichende Wiederherstellung der inneren Sicherheit, die Eroberung Granadas und die Einverleibung Neapels oder die Unterbindung der illegalen Ausfuhr von Gold- und Silbermünzen.20

Insgesamt blieb das entstehende Spanien jedoch in zumindest drei Wirtschaftsräume aufgespalten; die ‚Entdeckung‘ Amerikas und der Handel mit der Neuen Welt sollten sich auf das Wirtschaftsgefüge der verschiedenen Regionen sodann unterschiedlich auswirken:

Andalusien befand sich seit dem Ende der Reconquista in einem stetigen wirtschaftlichen Aufschwung; wegen der privilegierten Stellung Sevillas im Amerikahandel sollte der Süden am unmittelbarsten vom Kolonialgeschäft profitieren: Er erlebte eine Einwanderungswelle aus Nordspanien, die exportierbaren Produkte Oliven und Wein verdrängten den Kornanbau, die Tuch- und Seidenmanufaktur kamen zu neuer Blüte.

Kastilien verfügte nicht nur über das Eisen des Baskenlandes, sondern vor allem über die Wolle der über drei Millionen Merinoschafe; die Wolle entwickelte sich zum beherrschenden Wirtschaftsfaktor Kastiliens, und die „Katholischen Könige“ förderten nachhaltig die mächtige Schafzüchter-organisation Mesta.21 Die Wolle der Merinoschafe führte zum Aufblühen einer einträglichen Textilindustrie, deren Zentren in Cuenca, Segovia, Toledo und Córdoba lagen. Über den Schiffsbau und das Finanzwesen war der nordspanische Wirtschaftsraum mit Andalusien und den Kolonien verbunden.

Aragonien blieb vom lukrativen Amerikageschäft vorerst ausgeschlossen, da die katalanischen Kaufleute in den westlichen Hafenstädten keine Handelskonsulate errichten durften; die Länder der Krone von Aragonien blieben auf den stagnierenden Wirtschaftsraum des westlichen Mittelmeers begrenzt. Nach seiner Thronbesteigung 1479 hatte Ferdinand für den Bereich der Krone von Aragonien protektionistische Verordnungen und Reformbestimmungen zur Gesundung der städtischen Finanzen erlassen; hier kann man Ansätze jenes frühen Merkantilismus erkennen, der später so charakteristisch für Kastilien werden sollte. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Kataloniens läßt sich – nach der ökonomischen Zerrüttung der vorhergehenden Jahrzehnte – in das Jahr 1484 datieren; im folgenden Jahrzehnt gelangten katalanische Erzeugnisse (vor allem Tuchwaren) wieder in den Mittelmeerraum und in andere Regionen Europas. Der mediterrane Wirtschaftsverbund der Krone von Aragonien war jedoch von der Ökonomie Kastiliens, die ab Beginn des 16. Jahrhunderts zunehmend auf die ‚Neue Welt‘ ausgerichtet war, weitgehend getrennt.22

Die wirtschaftlichen Unterschiede machten sich somit vor allem zwischen Kastilien und Aragonien bemerkbar; außerdem trennten Zollschranken den mediterranen Wirtschaftsverbund der Krone von Aragonien und die zunehmend auf den Atlantik ausgerichtete Ökonomie Kastiliens. Trotz der relativen Absonderung der einzelnen Wirtschaftsräume waren insgesamt durchaus Bedingungen für einen raschen ökonomischen Aufstieg Spaniens vorhanden: ein expansiver Kapitalmarkt, erhebliches demographisches Wachstum, gute Handelsbeziehungen und entwicklungsfähige Märkte in Übersee. Allerdings trog der Schein: Die wirtschaftliche Grundlage war zwar entwicklungsfähig, aber auch bedrohlich schmal. Die folgenden Jahrhunderte sollten zeigen, daß Spanien machtpolitisch und territorial enorm expandierte, wirtschaftlich aber – im internationalen Vergleich – zusehends ins Abseits geriet und seine Stellung als Großmacht auf tönernen Füßen stand.

Im Innern hatte die Judenvertreibung eine starke Reduzierung der städtischen Mittelschichten und des Kaufmannsstandes zur Folge, und die Vertreibung der moriscos ein Jahrhundert später (1609–1614) führte zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Erzeugung. Unter Karl V. wurde die Wirtschaftskraft des spanischen Imperiums zunehmend zur wichtigsten Grundlage der universalistischen kaiserlichen Politik; das bedeutete aber, daß die überseeischen Reichtümer nicht produktiv zur Entwicklung Spaniens eingesetzt wurden. Auch die Auswirkungen der Edelmetallzufuhren aus Amerika beeinflußten die Lage in Spanien keineswegs nur positiv. Es kam vielmehr zur Entwertung der Kaufkraft, damit zur Preissteigerung und Preisrevolution. Das einzige Mittel, um die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, blieb somit eine vermehrte Besteuerung, deren Hauptlast – wegen der weitgehenden Steuerfreiheit von Adel und Klerus – Bürger (Gewerbe) und Bauern (Landwirtschaft) trugen. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzte ein unaufhaltsamer Niedergang ein.23

Die Zusammenhänge zwischen Reconquista und religiöser Uniformierung einerseits sowie der „Handelsrevolution“ des hohen Mittelalters andererseits mit der 1492 begonnenen Übersee-Expansion sind vielfältiger Art. Dabei war die ‚Entdeckung‘ des amerikanischen Kontinents durch Christoph Kolumbus (Cristóbal Colón) keineswegs Folge einer langfristig-planvollen Politik der spanischen Krone. Die vorangegangenen Entdeckungsreisen im nördlichen Atlantik und entlang der westafrikanischen Küste waren ausschließlich das Werk italienischer und portugiesischer Seefahrer gewesen; auch der Genuese Kolumbus hatte von 1476 bis 1484 in portugiesischen Diensten gestanden. Dem spanischen Hof fehlte es an Persönlichkeiten, die bereit gewesen wären, ihr politisches Gewicht für den Entdeckungsgedanken einzusetzen; Hinweise auf die zukünftige imperiale Rolle der „Katholischen Könige“ bezogen sich vor 1492 fast ausschließlich auf das Abendland und Nordafrika. Der Versuch, über den Atlantik neue Handelswege und -partner zu finden, hatte dazu geführt, daß seit dem späten 13. Jahrhundert insbesondere genuesisches Kapital auf die geographisch günstig gelegene Iberische Halbinsel abfloß. In der Folge wurden die iberischen Hafenstädte Barcelona, Valencia, Sevilla und Lissabon zu wichtigen Knotenpunkten der überregionalen Handels- und Linienschiffahrt. Gleichzeitig entwickelten sich die wirtschaftlich und politisch aufstrebenden iberischen Königreiche mit Hilfe genuesischer Geldmittel und genuesischen Sachverstandes zu bedeutenden Seemächten.24 Somit ist es sicherlich kein Zufall, daß der Genuese Christoph Kolumbus in iberischen Diensten die Neue Welt entdecken sollte. Die Italiener hatten auf den Kreuzzügen selbst kolonisiert und bei dieser mediterranen Kolonisation bestimmte Rechts- und Wirtschaftsformen entwickelt, die später auf Amerika übertragen wurden (etwa die Plantagenwirtschaft mit Sklaven). Zudem dienten Handelsstützpunkte sowie Plantagenkolonien der italienischen Städte im Mittelmeerraum als Vorbild für die iberische Kolonisation.

Die über den mediterranen Raum vermittelte Kontinuität zum mittelalterlichen Europa stellte somit die erste Voraussetzung für die überseeische Kolonisation dar. Als zweiter Ausgangspunkt kam die Kontinuität des „Kriegsunternehmertums“ hinzu, wie es jahrhundertelang in der Reconquista praktiziert worden war. Ergänzende Momente waren die Erstarkung des Königtums unter den „Katholischen Königen“ und als wichtiges Mittelglied die Kanarischen Inseln, die zum einen wegen ihrer geographischen Lage bedeutsam waren und als Übungsfeld für die Kolonisation – mit allen auch später wieder auftauchenden Exzessen und Konsequenzen – dienten.

Nachdem die Berichte des Kolumbus und anderer Seefahrer über die angeblich sagenhaften Schätze der Neuen Welt auf der Pyrenäenhalbinsel Verbreitung gefunden hatten, war ein rasch anwachsender Strom von Spaniern bereit, die Fahrt über den Atlantik zu wagen. Die Protagonisten dieses Ausgreifens nach Übersee waren in erster Linie – wie etwa Hernán Cortés – verarmte hidalgos, die nachgeborenen Söhne des Landadels, aber auch – wie im Falle von Francisco Pizarro oder Diego de Almagro – Männer aus den unteren Volksschichten. Sie waren Erben der jahrhundertealten Tradition der Reconquista, und ihre Beweggründe entsprangen vorrangig dem Machthunger und der Begierde auf Besitz.

Als Antriebe für die spanische Kolonisation Amerikas lassen sich somit ausmachen: zum einen der soziale Aufstiegswille bestimmter Kreise in Andalusien und Kastilien, wobei dieser Aufstieg entweder als Bereicherung durch Handel oder durch Beute erfolgen sollte; zum anderen der Machtwille der Krone, der eng mit der traditionellen Rivalität zwischen Spanien und Portugal zusammenhing; zum dritten schließlich die Missionierung (durch Franziskaner, Dominikaner und andere Orden), wollten einige Missionare doch sogar ein christliches Utopia in der Neuen Welt schaffen. Die Verbindung von Heldenideal mit durchaus aufrichtigem Glaubenseifer hat dazu geführt, die Conquista als Fortführung der Reconquista zu deuten.

Die – entgegen vielfachen Versprechungen – mangelnde Rentabilität der Neuen Welt führte zu einer Veränderung der ursprünglichen Konzeption. Da die Finanzierung des Gesamtunternehmens mehr Kapital erforderte als die Krone aufbringen konnte, wurden privater Initiative und privatem Kapital Anreize geboten; Kontrolle und Profit der Krone mußten allerdings gesichert bleiben. Das (portugiesische) Modell fester Handelsstützpunkte wurde damit zugunsten einer stärkeren Betonung von Herrschaftsbildung aufgegeben; nicht mehr Erweiterung des Handelsraumes war das primäre Ziel, sondern Ausweitung des Herrschaftsraumes. Die europäische Expansion wandelte sich von einem primär wirtschaftlichen zu einem vornehmlich politischen Vorgang.

Entwickelte sich im Laufe der ersten Jahrzehnte nach der Entdeckung die Goldgier zur auffälligsten Triebkraft, Amerika zu erobern, so handelte es sich hierbei nicht nur um ein individuelles Laster; zu berücksichtigen sind auch die wirtschaftlichen und sozialen Tendenzen der Zeit. So mangelte es an Zahlungsmitteln von stabilem Wert, die Krone war finanziell in Bedrängnis und der niedere Adel drohte infolge der Geldentwertung zu verarmen; das betraf insbesondere die unversorgten jüngeren Söhne, die sich mit dem Schwert in der Hand eine bessere Existenz erkämpfen wollten. Außerdem galt Reichtum nach den aristokratischen Wertvorstellungen der Epoche vor allem als Mittel zum Prestigegewinn, als Pfad zu sozialem Aufstieg und Nobilitierung.

Zwischen Spaniens Reconquista und Amerikas Conquista lassen sich somit vielerlei Kontinuitäten aufzeigen. Die Voraussetzungen lagen im mediterranen Raum des Spätmittelalters, in italienisch-portugiesisch-spanischen Rivalitäten und Beziehungen, im Kriegsunternehmertum der Iberischen Halbinsel, in den sozio-ökonomischen Verwerfungen der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen. Diese Bedingungen prägten nicht nur die ersten Expeditionen und Entdeckungen, sondern auch die Inbesitznahme und Kolonisierung des ‚neuen‘ Kontinents.

Als Träger der Expansion lassen sich drei Gruppen unterscheiden, die mit unterschiedlichem Gewicht und in wechselseitiger Beeinflussung auf die Kolonisation in Amerika einwirkten: die Krone, die Konquistadoren und Kolonisten sowie die Kirche.

Die spanische Conquista Amerikas vollzog sich in hohem Maße unter der Kontrolle der Krone und im Rahmen einer zielorientierten spanischen Politik. Die Gründung einer wirtschaftlichen Monopolbehörde, der Casa de la Contratación, in Sevilla machte deutlich, daß Schiffahrt und Handel nach Lateinamerika staatlich gefördert und kontrolliert sowie Zolleinnahmen und Abgaben aus den überseeischen Unternehmungen für die Krone gesichert werden sollten.25 Entsprechend den Zielen des frühmodernen Staates zielte die Kolonialpolitik der Krone bald zusätzlich darauf ab, in Übersee eine kontinuierliche staatliche Herrschaft zu errichten und einen möglichst homogenen Untertanenverband aufzubauen. Deswegen verfolgte sie auch das Ziel, die autochthone Bevölkerung Amerikas kulturell in eine christlich-spanisch geprägte Weltordnung einzubinden.26

Mit dem Ende der Reconquista wurde eine große Zahl militärisch geschulter und geprägter Menschen ‚freigesetzt‘, die aufgrund ihrer kriegerischen Vergangenheit alle Voraussetzungen für die koloniale Invasion Amerikas mitbrachten. Angelockt durch das Abenteuer und durch Erzählungen über den sagenhaften Goldreichtum der Neuen Welt, erhofften sie sich von den überseeischen Unternehmungen in erster Linie einen materiellen und damit sozialen Aufstieg. Bald waren die Konquistadoren auch bereit, sich auf Dauer in den neu erworbenen Gebieten niederzulassen, sofern damit der Erwerb von Herrschaft, Ämtern und wirtschaftlichen Privilegien verbunden war.

Die Kirche unterstützte die kolonialen Zielsetzungen der iberischen Könige, da sie aufgrund des Patronatskirchentums an die weltlichen Machtstrukturen gebunden war. Indem der Papst Portugal 1455 und Spanien 1486 bzw. 1508 das Patronatsrecht über neu eroberte Gebiete zusprach, erhielten die iberischen Herrscher den Auftrag und das Recht zur Christianisierung dieser Gebiete. Dieses Recht schloß die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten sowie die Besetzung aller kirchlichen Ämter ein. Dadurch war der Klerus zum treuen Staatsdiener bestellt und die kirchliche Verkündung an ihre gesellschaftlichen und politischen Prämissen gebunden. Die unmenschlichen Folgen der Kolonialherrschaft wurden denn auch als irdisches Martyrium der Indianer auf dem Weg zum ewigen Leben bezeichnet. Die kirchliche Botschaft wurde zum „moralischen Zement“, der das koloniale Herrschaftssystem verstärkte und legitimierte.27

Andererseits sahen die den Konquistadoren rasch nachrückenden Missionsorden in den Aspirationen der Eroberer und ihren Auswirkungen auf die Indianer ein entscheidendes Hemmnis für die Verbreitung des katholischen Glaubens. Der langjährige Wortführer dieser kirchlichen Gegenbewegung, Bartolomé de Las Casas (1474?–1566), entwickelte sich zum erbittertsten Gegner der Kolonisten. Unter seiner Führung bekämpften vor allem die allein an religiösen Belangen orientierten Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner, die sich weder von wirtschaftlichen noch von politischen Motiven leiten ließen, die Konquistadoren sowohl vor Ort als auch an den Königshöfen der Mutterländer.28

Der Historiker und Befreiungstheologe Enrique Dussel29 hat ein Interaktionsschema entworfen, aus dem das Zusammenwirken der für die Conquista relevanten Kräfte deutlich wird. Er geht von fünf Akteuren aus: dem Staat (der Krone), dem Geldkapital, den Konquistadoren, den Missionaren und dem „Herrschaftsobjekt“, also den Unterworfenen (Indios und später schwarze Sklaven). Letztere bildeten den gesellschaftlichen Block der Unterdrückten, die ersteren vier Kräfte stellten den Machtblock. Jeder dieser Akteure übte unterschiedliche Funktionen aus (s. Schema S. 26).

Die ‚Entdeckung‘ und Inbesitznahme Lateinamerikas durch Spanien erfolgte in zwei Schüben: Während der ersten Etappe, bis etwa 1508, brachten die Konquistadoren die Antillen unter ihre Kontrolle und erkundeten die zentral- und südamerikanischen Küsten. Nach der Schaffung von sicheren Operationsbasen vollzog sich in einer zweiten Etappe die eigentliche Eroberung und Durchdringung Zentral- und Südamerikas.

Noch bevor die spanische Expansion nach Amerika über das Stadium der Entdeckung hinauskam, meldete das prestigegeschwächte Portugal seinerseits Ansprüche auf Amerika an. Unter Berufung auf den früheren Vertrag von Alcaçovas (1479) machte Portugal geltend, daß die 1492 entdeckten Inseln portugiesisches Interessengebiet seien, würde man eine Linie von Kap Bojador nach Westen ziehen. Da Portugal durch den Besitz der Azoren viel günstiger zum neuen Kontinent lag, sah sich Spanien zu einer Einigung mit Portugal gezwungen. Zur Verbesserung ihrer Verhandlungsposition verlangten die „Katholischen Könige“ von Papst Alexander VI. mehrere Bullen.30

Unter der Vermittlung des Papstes lösten die beiden iberischen Mächte im Jahre 1494 im Vertrag von Tordesillas ihren Streit. Sie teilten die außereuropäische Welt durch einen um 270 kastilische Meilen nach Westen verschobenen Längengrad in eine kastilische und eine portugiesische Hälfte. Dadurch fiel mit Ausnahme Brasiliens ganz Lateinamerika in die Interessensphäre Spaniens.

Der Vertrag von Santa Fe (1492) zwischen Königin Isabella und Kolumbus hatte die Gründung von küstennahen Handelsstützpunkten vorgesehen, die als Monopolbetrieb der spanischen Krone den Handel mit der autochthonen Bevölkerung aufbauen und kontrollieren sollten. Die auf Hispaniola (Haiti) errichtete Handelsfaktorei erwies sich aber als Fehlschlag, da die Investitionen, die Gehälter der Angestellten und Warenlieferungen weit mehr Kosten verursachten, als der Tauschhandel mit den Eingeborenen an Gold einbrachte.31 Dieser wirtschaftliche Mißerfolg und die Tatsache, daß Portugal 1498 Indien auf östlichem Seeweg erreicht hatte und Spanien in der Heimschaffung von kostbaren Gütern zu übertreffen drohte, veranlaßte die Krone, ihre Strategie in Übersee zu ändern. Sie brach 1495 die Monopolvereinbarung mit Kolumbus und gewährte fortan privaten Expeditionen das Recht, ein bestimmtes Gebiet für Kastilien in Besitz zu nehmen. Als Gegenleistung wurden dem Anführer nicht nur der militärische Oberbefehl über die Expedition, sondern auch die zentralen zivilen und militärischen Ämter in der eroberten Region übertragen. Außerdem wurden der gesamten Mannschaft wirtschaftliche Privilegien in Aussicht gestellt. Nach Erhalt der königlichen Zustimmung, der sogenannten Kapitulation, mußte der Anführer die Expedition selbständig finanzieren und organisieren.32 Mit dieser Vorgehensweise erreichte die Krone mit einem Schlag zwei Ziele: Sie konnte die Kosten der Entdeckungs- und Eroberungsfahrten auf private Geldgeber abwälzen, behielt aber gleichzeitig die Kontrolle über die koloniale Entwicklung, indem sie die Ausreise der Expeditionen von ihrer Genehmigung abhängig machte.


Der Staat (1) kontrollierte als entscheidender Akteur mit seiner Herrschaft die gesamte Struktur der Conquista (c, d, e). Der Konquistador (2) rekrutierte sich häufig aus der sozialen Schicht des Adels, zumeist des verarmten Landadels, dessen Existenz wegen der Landwirtschafts- und Viehzuchtkrise in Spanien durch den Eroberungs- und Plünderungszug in Übersee materiell gesichert werden sollte. Die spanischen und immer häufiger auch die europäischen Kaufleute (3) – etwa die Fugger oder die Welser – streckten als Finanziers das erforderliche Kapital zur Finanzierung der Expeditionen vor. Die Schwäche des spanischen Bürgertums infolge der Mauren- und Judenvertreibung verlieh diesen Vertretern des Kapitals große Macht über die Krone und den Adel. Kirche und Missionare (4) spielten als Vertreter der spanischen Christenheit bei der Conquista eine wesentliche Rolle; die Amtskirche lieferte die religiöse Legitimation der Eroberung und führte die ‚geistliche Conquista‘ durch. Der Indio und später der Negersklave (5) bildeten als Herrschaftsobjekte die Basis der Machtpyramide, deren Ausbeutung das ganze System erst funktionieren ließ.

Mit der Abkehr vom Konzept der küstennahen Handelsstützpunkte zugunsten einer stärkeren Betonung gesicherter politischer Herrschaftsbildung veränderten sich die Pläne der Krone, wie der amerikanische Kontinent zu beherrschen sei. Nun sollte auch das transatlantische Festland durchdrungen und so rasch wie möglich für Spanien in Besitz genommen werden.33 Damit war der Übergang zur Eroberung des gesamten Kontinents und zur Siedlungskolonisation vollzogen.

Unmittelbar im Anschluß an die Eroberung eines Küstenstreifens erfolgte die Gründung von Städten. Sie dienten der Konzentration der zahlenmäßig der autochthonen Bevölkerung unterlegenen Konquistadoren, als militärische Stützpunkte und als Basen für die kolonialistische Durchdringung des jeweiligen Hinterlandes. Die Siedler strebten vor allem nach Gold, Arbeitskräften und Land. Da sie selbst nicht zur Leistung körperlicher Arbeit bereit waren, stieg der Bedarf an Arbeitskräften bei zunehmender Siedlungstätigkeit stetig an und löste räumlich immer weiter ausgreifende Sklavenjagden aus. Ähnlich raumgreifend wirkte sich der Hunger nach Edelmetallen und Landbesitz aus. Die durch den Staat kontrollierte Privatinitiative brachte den von der spanischen Krone erwünschten Effekt; innerhalb weniger Jahrzehnte wurde das hispano-amerikanische Kolonialreich in seinen annähernd endgültigen Umrissen geschaffen.34

Spanische Geschichte

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