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Der erste Tag

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In dem Augenblick, da die Verwerfung meines Revisionsantrages mir ausgehändigt wurde, fühlte ich nichts. Als aber der Barbier die Maschine ansetzte, um mir den Glattschädel des Strafgefangenen zu scheren, begann das Frösteln, und als ich in die neue Zelle geführt wurde, nun nicht mehr angeklagt, sondern verurteilt, brach ich zusammen.

Endlich allein, ich allein einem Schicksal ausgeliefert. Kaum, daß der Stuhl zitterte, auf dem ich niederfiel. Hier gibt es kein Ausweichen. Die vollständige Vereinzelung meines Geschickes ist schon Tod.

Ich bin in der „sicheren“ Zelle der Todeskandidaten. Das winzige Fenster geht nach Norden, den Gang der Sonne kann man nur am Schatten des Gefängnisturms abmessen, der über die gegenüberliegende Häuserwand marschiert.

Wenn ich mein Gesicht in die blaukarierten Kissen drücke, mischt sich meinem heißen Atem der Angstschweiß meiner Schicksalsvorgänger. Der üble Geruch ist ihre letzte Spur auf Erden. Ich fühle den Gestank wie einen Strick, an dem man mich hinter den anderen Mördern herschleift.

Gut. Die Jagd ist zu Ende. Unverwundet bin ich in die Netze der Jäger gefallen. Das Fangmesser blitzt ... Gut.

Mein Leben ist abgeschlossen. Durch den merkwürdigen Zufall, daß man sich nicht mit meiner Verurteilung wegen Mordes an Clarissa und Sylvia Eckbohm begnügt, sondern noch Anklage erhoben hat wegen Mordes an Ferdinand Eckbohm, bin ich in ein Vakuum geraten. Ich bin ein Toter, der sich gegen einen zweiten Tod verteidigen soll. Ich bin ein Toter, der noch eine bestimmte Frist zu leben hat. Ich habe vier Wochen Zeit.

Vier Wochen. Ich werde wider Willen die Tage zählen. Ich werde wider Willen mich angstvoll gegen das Zerrinnen dieses kärglichen Daseins stemmen. Ich werde natürlich nicht an meinen Tod glauben, bis zu dem Augenblick, in dem ich auf den Block festgeschnallt werde.

Achtundzwanzig Tage. Einundzwanzig Tage bis zur Verhandlung, sieben Tage bis zur Bestätigung. Wir haben heute den 22. März 1920, am 18. April 1920 werde ich hingerichtet.

Die ersten Stunden sind mit Zittern dahingegangen. Jetzt habe ich Tinte, Feder, Papier. Ich darf schreiben. Meine Verteidigung in der Mordsache Ferdinand Eckbohm. Ich kann schreiben, ich werde der ganzen Geschichte auf den Grund kommen.

Letzten Endes spüre ich nämlich ganz genau, daß ich vollständig zu Recht verurteilt bin, oder besser: daß zu Recht mich dieses Urteil vernichtet. Ich habe das nicht gekonnt, wozu ich Macht hatte, ich bin schwindelnd über ein Drahtseil zwischen Türmen gegangen. Wie kann ich mich beklagen, daß ich mir auf dem Markt den Kopf zerschmettere, mich wundern über die Wut der Budiker, denen mein Hirn die Schokolade bespritzt.

Pölke, mein Wärter, hat mir Sylvias Kissen wieder hereingeschmuggelt. Ich sah im Dämmern, daß er Tränen in den Augen hatte. Als er fort war, lagen auf meinem Tisch Zigaretten, Streichhölzer und eine Kerze. Ich habe das Licht ganz abgeblendet. Es beleuchtet nur den winzigen Umkreis, auf dem ich schreibe. Sonst würde eine Wache kommen und polternd in meine Zelle brechen.

Aber ich will diesen ersten Tag leichtsinnig beenden. Ein bißchen zittern mir auch die Hände. Ich werde im Dunkeln eine Zigarette rauchen und dem Regen nachhorchen, der eilig über das Schieferdach in die Traufen gleitet. Ich werde ein wenig in den Regen hinausriechen, man kann manchmal den Geruch von Gras und jungen Stachelbeerblättern bis hier hinauf spüren.

Gegen Morgen

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