Читать книгу Cloverlane Farm - Waltraud Batz - Страница 7
Tag 3
ОглавлениеAls Hannah am nächsten Morgen nach einem erfrischenden Marsch durch die in dichte Nebelschwaden gehüllte Landschaft überpünktlich die Reithalle betrat, war weit und breit noch niemand zu sehen. Die Pferde in den Boxen waren ruhig und fraßen, ab und zu hörte man ein Schnauben. Hannah klopfte an die Bürotür, erhielt aber keine Antwort. Sie schaute vorsichtig hinein, aber der kleine Raum war leer.
Sie ging durch die Stallgasse hinaus und über den Hof zu dem Gebäude, in dem sie gestern gegessen hatten. Abgestandene, miefige Luft schlug ihr entgegen, als sie die klapprige Tür öffnete.
„Tür zu, es zieht!“ schrie es ihr aus unbekannter Quelle entgegen. Hannah schloss schnell die Tür hinter sich. Maria, eine der Praktikantinnen oder auch Reitlehrerinnen, so ganz konnte Hannah ihre Funktion noch nicht einordnen, schaute mit einem Handtuchturban auf dem Kopf aus einem der Zimmer, die von dem schmalen Flur hinter dem Aufenthaltsraum abgingen.
„Geh mal rüber ins andere Haus, der Kurs geht heute ein bisschen später los, gestern Abend wurde es ein bisschen länger bei uns!“ Sie lachte und verschwand wieder im Zimmer. Hannah bedankte sich für die Information und wechselte von einer Baracke in die nächste.
Auch hier roch es fürchterlich nach Schlaf, nassem Holz und missgelaunten Menschen, welche unübersehbar den Flur bevölkerten, in vielerlei Zuständen. Manche waren noch im Schlafanzug, andere schon angezogen und einige standen an, um sich im Flur die Haare zu föhnen.
„Guten Morgen“, sagte Nora zu Hannah.
„Oh, hallo, Guten Morgen! Warum steht ihr hier an? Habt ihr hier nur eine Steckdose?“
„Nee, aber nur einen Steckdosenadapter.“
Hannah ließ das unkommentiert. „Wann geht’s denn heute los?“
„So in einer Stunde. Wir haben es gestern etwas übertrieben. Wir wollten im Ort was essen, es hatte aber schon alles zu, außer der Burgerbude, und da wollten wir nicht hin. Also haben wir drüben im Aufenthaltsraum total urig Bohnen aufgewärmt und dann bis um drei was getrunken und alte Videos geguckt von Pferdeveranstaltungen und Cross-Country-Turnieren. Echt cool! Das will ich auch machen! Und, stell dir vor, wir machen beim Turnier mit! In einer Woche oder so. Ich hab uns direkt mal angemeldet. Ich krieg dann noch fünfzig Euro von dir. Und hundert fürs Leihpferd.“
Hannah brauchte einen Moment, um das soeben Gehörte zu erfassen. „Moment mal. Du hast mich, ohne mich zu fragen, einfach mal so zu einem Turnier angemeldet, das hundertfünfzig Euro extra kostet?“
Nora sah Hannah an. „Ja!“ sagte sie und ihre Augen funkelten begeistert.
„Warum? Hättest du nicht vorher wenigstens fragen können?“
„Ach komm. Du fandst das doch gestern auch total toll!“
„Wir haben noch überhaupt nicht darüber geredet, wie ich das fand. Falls es dir entgangen sein sollte, ich bin nach dem Unfall zurück zum Stall, das Pferd von Tina zurückbringen. Wie geht es ihr eigentlich?“
Nun brauchte Nora einige Momente, um nachzudenken. „Ach so. Sorry, das hab ich gar nicht so mitbekommen. Tina geht’s wohl ganz gut, aber es ist was mit ihrem Knie.“
Soweit nichts Neues also.
„Du kannst ja Jane fragen, ob du die Anmeldung zum Turnier wieder zurückziehen kannst“, schob Nora hinterher. „Ach, und, noch was, das wird dir gefallen!“
Hannah zweifelte langsam an Noras Verstand, war aber auch gleichzeitig gespannt, welch Absurdität nun kommen würde. Das war Noras Spezialität: Spontaneität, kombiniert mit einer naiven Begeisterung, eine manchmal recht explosive und verhängnisvolle Mischung. Hannah erinnerte sich wieder daran, warum sie den Kontakt zu Nora in den letzten Jahren eingeschränkt hatte und froh war, wenn sie sie mal nicht im Stall traf, in dem Nora seit einiger Zeit nun Springstunden bei Hannahs Freund Konstantin nahm.
„Die haben hier ja nicht nur die Schulpferde für die Reitkurse, sondern auch Verkaufspferde! Auch Dressurpferde! Für dich! Da hab ich Jane gleich gesagt, wir würden gerne welche angucken und ausprobieren und sie war total begeistert. Vielleicht finden wir hier Pferde! Oh, ich muss los, ich bin dran mit Haare föhnen! Treffen wir uns doch nachher in der Reithalle!“ Mit diesen Worten widmete sich Nora ihren Haaren. Noras blonde Locken brauchten weit mehr Aufmerksamkeit als Hannahs schulterlange Pferdeschwanzfrisur. Da Nora auch noch nicht geschminkt war, war es sinnlos, hier zu warten und so ging Hannah wieder rüber zur Reithalle.
Sie schaute in die Box von Geronimo, der auch gleich nach vorne kam und seine Nase an die Gitterstäbe drückte.
„Na, du Legende? Wie geht’s?“ fragte Hannah ihn leise und streichelte ihn so gut es durch das Gitter ging.
Jane betrat schnellen Schrittes den Stall und machte eine Vollbremsung, als sie Hannah sah. „Ah, hallo, ich hab noch was für dich, kommst du bitte mal mit ins Büro?“ Ohne eine Antwort abzuwarten lief sie zügig die Stallgasse entlang. Hannah folgte ihr.
„So, warte, hier hab ich‘s irgendwo ...“, murmelte sie und fand die gesuchten Papiere in einem der eingestaubten Ablagefächer auf dem überfüllten, kleinen Schreibtisch.
„Ähm, Jane, Nora war da etwas voreilig. Sie hat mich gar nicht gefragt, ob ich bei dem Turnier überhaupt mitmachen will. Ich wusste davon nichts. Der Urlaub ist teuer genug für mich, ich möchte jetzt nicht noch mal hundertfünfzig Euro zusätzlich ausgeben.“
Jane sah mit erhobenen Augenbrauen zu Hannah und ließ das Papier sinken, das sie in der Hand hielt. „Ach so. Das ... ist aber jetzt zu spät. Ihr seid beide schon gemeldet und Nora hat auch schon für dich bezahlt. Da war gestern Abend Meldeschluss. Sorry, klär das bitte mit ihr. Hier, das sind deine Unterlagen.“
Jane gab Hannah einige dilettantisch zusammengeheftete Papiere. Sie blätterte sie durch. Es waren der Anmeldebogen, eine Seite mit Kleingedrucktem und ein schematischer Plan der Geländestrecke.
„Komm mit, ich zeig dir dein Pferd für die Prüfung. Das reitest du dann ab sofort auch in den Reitstunden. Wir müssen noch ein bisschen üben.“ Jane lächelte, verließ das Büro und steuerte zielgerichtet auf eine Pferdebox zu, Hannah folgte.
„Das hier ist Gloria. Sie ist zwar nicht so groß, springt aber super. Sie ist trächtig, aber jetzt ist es noch ok, sie zu reiten. Die macht das mit links, auch wenn du nicht so routiniert bist.“
Hannah schaute in die Box. Dort drin stand das kleine, dicke Pony, naja gut, sagen wir Kleinpferd, das Nora hätte reiten sollen. Gloria kam nach vorne zum Gitter. Die dunkelbraune Stute versuchte, mit den Lippen Hannahs Finger zu schnappen.
„Jane, ich weiß nicht.“
„Du machst das schon. Deine Freundin will unbedingt wieder Leonardo reiten. Sie hätte lieber mal Gloria behalten.“ Jane lachte. „Sie überschätzt sich ziemlich, kann das sein?“
„Naja, zumindest ist sie plötzlich Feuer und Flamme für‘s Geländespringen. Sie springt zu Hause auch, aber das hier ist doch was anderes. Wir springen eher in der Halle oder auf dem Platz.“
Jane lachte. „Wir werden sehen. Sie sagte auch, ihr wollt eventuell mal bei unseren Verkaufspferden schauen?“
„Gucken kann man ja mal, klar.“
„Schön.“
Die ersten Reitschüler kamen nach und nach in den Stall und als alle da waren, verkündete Jane das heutige Programm: Zunächst eine Aufwärmrunde in der Reithalle und danach durfte jeder eine Runde auf der Geländestrecke reiten, zum besseren Kennenlernen der Strecke und des Pferdes. Danach konnten noch Einzelstunden genommen werden, gegen Aufpreis natürlich. Soviel zum Plan.
Die Praxis sah anders aus, aber zumindest war bis zur Mittagspause jeder ungefähr eine Stunde lang in der Reithalle unterwegs gewesen. Diesmal gab es keine Totalausfälle, aber trotzdem verliefen die Reitstunden weit turbulenter, als Hannah sich das gewünscht hätte. Drei Leute fielen runter, eine davon über einem Sprung, verletzte sich aber glücklicherweise nicht. Nora und Leonardo kamen relativ gut zurecht, bis es dem Wallach zu langweilig wurde und er wieder mit seinen Galopprunden in der Halle anfing. Hannah hatte zu diesem Zeitpunkt gerade die Halle mitsamt der sehr braven Gloria verlassen und überließ Nora ihrem Schicksal.
„Kommst du mit in die Essraum?“ fragte es neben Hannah. Babette, die kleine Französin mit den roten Haaren, stand mit Reithelm in der Hand vor Glorias Box.
„Ja, gerne.“ Hannah brachte noch den Sattel weg und das Pferd stürzte sich wie verhungert auf den Berg Heu in der Boxenecke.
„Oh, was hast du denn da?“ fragte Babette neugierig, während sie in den altersschwachen Schränken des Aufenthaltsraumes nach einem Teller suchte, auf den sie ihr soeben geschmiertes Mittagspausenbrot legen konnte. Da sie keinen sauberen fand, nahm sie sich ein Blatt Küchenrolle und setzte sich neben Hannah auf das große Sofa.
„Ich weiß es selbst nicht. Habe ich heute Morgen in meiner Pension mitbekommen.“ Hannah klappte ihre Lunchbox auf.
„Ach, du wonnst gar nischt ier?“
„Nein.“
„Warüm nicht?“
„Nora hat den Reitkurs für uns gebucht, aber vergessen, die Unterkunft mitzubuchen.“
„Oh.“ Babette biss in ihr Brot und äugte neugierig in Hannahs Lunchbox.
„Ja, und als wir dann hier ankamen, war nur noch ein Bett frei. Deshalb wohne ich in einer Pension so zwanzig Minuten zu Fuß von hier ...“ sagte Hannah und schaute fasziniert in die Plastikbox auf ihrem Schoß. Dort waren tetrisartig mehrere Sachen hineingestapelt, kein Platz blieb ungenutzt. Hannah fand zwei Stücke Quiche vor, einen kleinen Joghurtbecher mitsamt ebenso kleinem Löffel, sowie ein Minikistchen mit geschnittenen Karotten. Daneben lag ein Trinkpäckchen und ein Schokoriegel rundete das Menü ab.
„Woah, das ist ja superb!“ sagte Babette und Hannah hatte kurzzeitig die Befürchtung, dass sie ihr die Box aus der Hand reißen und damit wegrennen würde.
Nach und nach kamen auch die anderen Reitkursteilnehmerinnen in den Raum, zumindest die, die nicht verletzt, noch beschäftigt oder so verdreckt waren, dass sie erst mal duschen mussten. Auch Nora kam kurze Zeit später frisch zurechtgemacht in den überfüllten Raum und schob sich zwei Scheiben Toastbrot in den Toaster. Hannahs Mittagessen bekam nicht nur von Babette gierige Seitenblicke zugeworfen.
Nachdem Jane einige Zeit später vorbeigeschaut und verkündet hatte, dass nun jeder für sich eine Runde auf dem Parcours drehen konnte, leerte sich der Raum nach und nach. Als eine der letzten ging auch Hannah rüber zum Stall. Sie war zügig fertig und führte Gloria raus auf den Hof, wo sie zwei anderen Reitkursteilnehmerinnen in Richtung Parcoursstart folgte.
Die kleine Stute erwies sich als gute Springerin. Auch sie rannte zwar an einigen Hindernissen vorbei oder weigerte sich, darüber zu springen, aber alles in allem klappte es gut.
Nach etwa der Hälfte des Parcours wurde Hannah unter lautem Geschrei und Gequieke von Nora und Leonardo überholt, kurze Zeit später holte sie sie aber wieder ein. Leonardo stand auf einer Wiese und fraß, Nora stand zerknirscht daneben und hielt sich den Rücken.
„Ist was passiert? Hast du dir wehgetan?“ fragte Hannah und ließ Gloria ebenfalls fressen.
„Nee, geht schon, er hat eine Vollbremsung gemacht, weil er fressen wollte und da bin ich runtergerutscht“, gab Nora zu.
„Oh, ok.“
Nora stieg unter Zuhilfenahme eines Steins am Wegrand wieder auf. „Heut Abend fahren wir in die nächstgrößere Stadt, Cloverton oder wie die heißt. Die mit der Kirche. Willst du mit?“
Sie ritten nun nebeneinander, die Traktorspur führte leicht bergab und war breit genug dafür.
„Nein, danke, das wird mir zu viel. Du, ich mach das hier jetzt gemütlich zu Ende und dann lauf ich zurück zur Pension. Oder kannst du mich fahren? Das wäre echt prima.“
„Nee du, ich will ja danach noch eine Reitstunde in der Halle nehmen. Und wir brauchen das Auto heute Abend, sonst hätt ich dir natürlich den Schlüssel gegeben. Komm doch mit, das wird bestimmt lustig. Wir wollen erst mal ins Pub, ein bisschen vorglühen und dann gibt’s da wohl irgendwo was, wo man Tanzen kann, ne Dorfdisco oder so.“
„Das ist nicht so meins, aber danke.“
„Echt nich? Ach komm! Und warum willst du denn nicht mehr reiten? Nimm doch noch Zusatzstunden! Dafür sind wir doch hier ...“ Nora schaffte es gerade so, Leonardo vom Fressen abzuhalten. „Naja, musst du wissen, ich find‘s hier auf jeden Fall super! Bis später dann oder eben morgen!“ Mit diesen Worten galoppierte Nora davon und bekam gerade so noch die nächste Kurve.
Hannah schüttelte den Kopf und ließ den Rest der mehrere Kilometer langen Springstrecke gemütlich angehen. Unterwegs traf sie noch andere Reiter und ließ an Engstellen auch einige passieren. Sie kam sehr entspannt wieder auf dem Hof an, wo ein reges Treiben zwischen Reitplatz und Reithalle herrschte. Hannah versorgte ihr Pferd, warf einen kurzen Abschiedsgruß in die Reithalle und lief zur Pension zurück, nicht ohne dem Auto einen sehnsüchtigen Blick zuzuwerfen.
Als sie gerade bei der Pension ankam, fuhr Mary mit dem Auto aus der Garage und hielt neben Hannah an. „Colin reitet jetzt aus, geh mit!“ sagte sie laut und ihr Fenster fuhr wieder hoch. Sie winkte und verließ dann das Grundstück. Colin stand mit finsterem Blick vor der Haustür und Arrow kam schon quer über die Wiese auf Hannah zu geschossen. Wenigstens einer freute sich über ihre Anwesenheit.
„Hallo“, sagte Colin und band sich seinen Schuh zu.
„Hi“.
„Willst du mitkommen zum Ausreiten? Jetzt gleich?“ fragte er und widmete sich seinem anderen Schuh. Etwas an Colin war anders. War er beim Frisör gewesen? Er richtete sich wieder auf und sah Hannah an. Sie bemerkte erst jetzt, dass er grünbraune Augen hatte und seine Haare wirkten kürzer.
„Willst du nun mit ausreiten oder nicht?“
„Äh ...“
„Ja gut, dann komm.“ Sie hatte gerade nach freundlichen Worten gesucht, um das Reiten abzuwenden, aber Colin hatte ihr Gestotter wohl als begeisterte Zustimmung aufgefasst. Sie fügte sich in ihr Schicksal und folgte ihm. Wenigstens regnete es nicht mehr, es war aber immer noch recht kühl. Colin steuerte nicht den Pferdestall an, sondern sein Haus, Hannah folgte ihm.
Sie betraten den großzügig verglasten Vorraum des Hauses und er verschwand in der Tür gegenüber, um kurz darauf mit einem Stapel sauberer, zusammengefalteter Pferdedecken aus Fleecestoff auf dem Arm wieder aufzutauchen.
„Na los“, sagte er und hielt Hannah die Haustür mit einem Fuß auf. Er stellte sicher, dass Hannah die Tür auch wirklich fest zugezogen hatte, bevor er mit den Decken im Arm in Richtung Stall ging. Hannah folgte ihm und Arrow lief freudig neben ihnen her. Colin brachte die Decken in den Anbau links der Scheune und dann gingen sie gemeinsam zum Paddock auf der anderen Seite des Gebäudes. Colin nahm sich eins der Halfter, gab Hannah ein zweites und schob die oberste der beiden Torstangen aus der Halterung. „Du nimmst Polly, das ist die graubraune Stute da hinten. Polly ist Marys Pferd, sie ist früher viel Kutsche mit ihr gefahren. Sie ist jetzt schon fast fünfundzwanzig und nicht mehr so ausdauernd, aber genau das Richtige für einen gemütlichen Ausritt. Ich will erst mal sehen, wie du reitest, bevor ich dich auf ein anderes Pferd lasse.“
Hannah nickte. Das war wenigstens mal eine klare Ansage. Sie zog der noch halb schlafenden Polly das ausgeblichene, blaue Halfter über und diese folgte ihr brav. Colin fischte sich ein großes, sehr schlankes, dunkelbraunes Pferd vom Paddock.
„Ist da Vollblut drin?“ fragte Hannah.
„Bei dem hier? Ja, ist eines“, antwortete Colin knapp, band das Pferd fest und verschwand wieder im Anbau.
Hannah durfte ihr Pferd putzen, aber das Satteln übernahm Colin selbst. Er half Hannah routiniert beim Einstellen der Steigbügel und gurtete noch einmal nach. Dann schwang er sich auf sein eigenes Pferd und ritt vor zu der Stelle, an der sie gestern Abend die Aussicht aufs Meer genossen hatten. Hannah folgte ihm und sie ritten den Weg nach unten. Die Luft war sehr frisch, es war windig, aber wunderschön. Das Meeresrauschen und die Schreie der Möwen ließen tatsächlich so etwas wie Urlaubsstimmung und Freude am Reiten in Hannah aufkommen. Arrow schien ebenfalls seinen Spaß zu haben und lief fröhlich neben den Pferden her.
Sobald der Weg gerade verlief, trabte Colin nach kurzer Ankündigung an und sie ritten ein ganzes Stück weit parallel zum Strand. Polly war flotter unterwegs, als Hannah vermutet hatte. Sie fand es erfrischend, nicht ständig an dem Pferd herumzerren zu müssen und ließ Polly die Zügel lang.
„Wir gehen jetzt hier rüber zum Strand!“ rief Colin gegen das Meeresrauschen an. „Alles klar bei euch?“ Er schaute zuerst zu Polly und erst dann zu ihrer Reiterin.
„Ja, alles klar“, rief Hannah zurück und nahm dann doch die Zügel etwas kürzer. Jetzt fiel ihr auch auf, was an Colin anders war. Der Bart war weitgehend abrasiert und nur noch um den Mund herum vorhanden, was in Hannahs Augen um Längen besser aussah als vorher.
„Was?“ fragte er.
„Dein Bart ist ab!“ antwortete Hannah, während Polly sich ihren Weg zwischen einigen großen Steinen hindurch zum fast steinfreien Sandstrand suchte.
Er grinste. „Ja, war mal Zeit!“
Sie ritten nebeneinander an dem breiten Strand entlang, nur wenige Meter von der Brandung entfernt.
„Das ist echt toll hier!“ rief Hannah und sie meinte es auch so. Die Atmosphäre hier am Strand, das Meeresrauschen und der Geruch von Salzwasser in der Luft hatte etwas tief Bewegendes. Auch den Pferden schien es zu gefallen, die wurden nämlich beide etwas lebendiger.
„Wir traben jetzt ein Stück und dann lass sie einfach laufen!“ rief Colin, während er sein Pferd in einigen engen Kreisen lenkte und somit noch vom Losgaloppieren abhielt.
„Ok!“ konnte Hannah noch antworten, als Polly schon in einem mehr als ungemütlichen, hoppeligen Trab hinter Colins Pferd herrannte.
„Na, dann lauf“, sagte Hannah zu Polly und drückte die Beine ran. Die Stute wachte nun vollends auf und galoppierte los. Colin einzuholen war utopisch, dazu war er schon viel zu weit weg, aber Polly rannte, so schnell sie konnte, genau geradeaus. Hannah genoss es, sich beim Reiten auf nichts anderes konzentrieren zu müssen, als darauf, wie sie sich fühlte. Und sie fühlte sich großartig. Es war das erste Mal seit Monaten oder vielleicht sogar Jahren, dass sie wieder wirklichen Spaß am Reiten hatte.
Nach einer Weile ging Polly die Luft aus, sie wurde langsamer, fiel in einen schaukeligen Trab und danach wieder in den Schritt und Hannah klopfte ihr den Hals. Das kleine, dicke Pferd dampfte und war nassgeschwitzt. Polly schnaufte und bebte und schaute mit hocherhobenem Kopf um sich. Sie schüttelte sich und trottete weiter. Auch Hannah schaute sich um. Sie schob sich den Reithelm höher und wischte ihre nassen Haare zur Seite. Arrow stand mit hängender Zunge einige Meter weiter, freute sich, dass Hannah ihn gesehen hatte und sprintete wieder zurück zu Colin. Der wartete mit seinem Pferd ein gutes Stück weiter vorne an einer Düne.
„Und, wie war‘s?“ fragte Colin freundlich grinsend, als Hannah und Polly bei ihm ankamen, Polly immer noch schwer schnaufend.
„Super!“ antwortete Hannah wahrheitsgemäß.
Colin nickte. „Schön! Dann mal gemütlich zurück.“ Er lenkte sein Pferd auf einen Pfad, der durch einige mit langem Gras bewachsenen Sanddünen nach oben führte und Hannah und Polly folgten ihm. Fast hätte Hannah doch noch ihren Sturz des Tages erlebt, als Polly eine Vollbremsung hinlegte und sich den Kopf an ihrem Vorderbein rieb.
Der Pfad führte zurück auf den breiten Kiesweg, der sich an der Küste entlang zog. Sie trafen sogar unterwegs einige dick eingepackte Wanderer, die sicherlich auch froh waren, bald wieder ins Warme zu kommen.
„Macht ihr auch Ausritte für Touristen?“ fragte Hannah und trieb Polly etwas an, sodass sie neben Colins Pferd lief.
„Nein, noch nicht. Ist aber in Planung.“ Polly verlor wieder den Anschluss und reihte sich dicht hinter Colins Pferd ein und er musste nach hinten rufen. „Du hast ja vielleicht den Anbau am Haus gesehen. Wir haben jetzt noch zwei Zimmer mehr. Mit etwas Glück können wir also in der nächsten Saison vier oder auch fünf Zimmer vermieten und auch Ausritte anbieten.“
Da Polly noch langsamer und die Kommunikation dadurch schwieriger wurde, ritten sie hintereinander nach Hause.
„Hier, nimm die Decke“, sagte Colin und nahm Hannah Pollys Sattel ab. Hannahs und Colins Hände berührten sich dabei kurz, seine Finger waren genauso kalt wie ihre. Er lächelte.
„Woah ich bin froh, reinzukommen, so schön es hier draußen ist“, sagte Hannah.
„Vielleicht kriegen wir noch mal ein paar schöne Tage“, antwortete er und trug den Sattel und die zwei Zaumzeuge weg.
Nachdem die Pferde halbwegs trocken, gefüttert und wieder zurück auf den Paddock gebracht waren, blieb Colin auf dem Weg zurück zum Haus bei der Abzweigung zu seinem eigenen Haus stehen. „Mary ist heute nicht da, sie ist im Ort, Bridge spielen mit ihren Freundinnen“, sagte Colin.
„Ah, ok.“
„Geh ruhig schon mal rüber, ich komm in einer Stunde rüber und dann mache ich uns was zu essen.“
Hannah nickte und ging zum Haus zurück. Arrow konnte sich erst nicht entscheiden, mit wem er gehen sollte und folgte dann Hannah zum Haus.
„Gehst du mit mir, um zu gucken, ob ich mich alleine im Haus ordentlich benehme?“ fragte sie den Hund. Arrow stellte seine Ohren auf und schien zu lächeln.
„Du verstehst alles, hm?“ fragte sie ihn, als sie die Haustür aufschloss. Seine Knickohren hoben sich erneut an, sodass eins fast gerade nach oben stand, was sehr lustig aussah. Sie ließ ihn ins Haus, zog Schuhe und Jacke aus und stieg dann erst mal unter die warme Dusche. Das tat mehr als gut. Der Gedanke, dass sie wie Nora nun in einem zugigen Mehrbettzimmer sitzen und zum Duschen anstehen musste, verband Hannah eher mit schlimmen Jugendherbergserinnerungen und nicht mit der Vorstellung eines schönen Urlaubs. Schön war der Urlaub ab heute – der Strandgalopp hatte wirklich Spaß gemacht, aber der Reitkurs gefiel ihr immer noch nicht. Dafür wurde ihr Colin immer sympathischer.
Hannah nutzte die Gelegenheit und meldete sich zu Hause und bei ihrem Freund. Konstantin hatte wohl schon mehrfach mit Nora telefoniert wegen irgendwelcher Verkaufspferden. Hannah legte auf, nachdem Konstantin sie angeschrien hatte, weil sie sich weigerte, ihm heute Abend noch Videos und genau vorgegebene Bilder zu acht der vom Stall angebotenen Verkaufspferde zuzuschicken. Hannahs Kommentar, dass das ja Nora tun könne, wenn sie eh schon in täglichem Kontakt mit ihm stand, machte ihn noch wütender. Und Hannah würde sicherlich jetzt nicht erneut zum Stall und wieder zurück laufen.
Sie atmete durch und ließ sich die Laune nicht verderben. Konstantin war in letzter Zeit unausstehlich und aus der anfangs durchaus ausgewogen erscheinenden Partnerschaft war seit nun fast einem Jahr ein Wettbewerb geworden, der Hannah mehr als ermüdete. Konstantin war durch seine Erfolge als Springreiter und Reitlehrer derart arrogant geworden, dass er es in Hannahs Augen mit seinem Ehrgeiz übertrieb. Er hatte mittlerweile so viele Reitschüler und Berittpferde, dass er vor elf Uhr abends kaum nach Hause kam und an Hannah immer weniger Interesse zeigte, reiterlich und auch als Person. Anfangs hatte er sie weit mehr unterstützt und sie hatten auch außerhalb des Stalles viel unternommen, aber in letzter Zeit kümmerte er sich lieber um seine Karriere und seine Reitschülerinnen. Hannah stellte mit Erstaunen fest, dass ihr der Streit mit ihm gerade kaum wichtig war.
Sie ging in Hausschuhen runter ins Erdgeschoss. Sie kam sich ein wenig wie ein Eindringling vor, so alleine in dem fremden Haus. Aber ganz alleine war sie ja nicht.
Sie fand Arrow im Kaminzimmer. Sein Schwanz klopfte vor Freude auf sein Hundebett, als er sie sah. Der Raum war sehr gemütlich, und eindeutig nachträglich an das Haus angebaut, wahrscheinlich zusammen mit dem Esszimmer. Ein Panoramafenster bot einen wunderschönen Blick in den Garten. Die Wände des Raumes waren dunkelrot gestrichen und es gab mehrere Sessel und auch ein kleines Sofa, direkt am Fenster.
Hannah setzte sich und schaute raus. Der Ausritt vorhin war wirklich schön gewesen und sie erinnerte sich an die Zeiten zurück, als sie noch nicht in einem Netz aus Dressurtraining, Nachwuchspferden, Erfolgsdruck und Turnierstress gefangen war. Sie wusste, dass es an ihr lag, sich dort herauszuwinden, aber mit einem Partner wie Konstantin konnte man das nicht ignorieren, schließlich war genau das sein Leben. Viel mehr seins als ihres. Sie liebte Pferde. Sie ritt, seit sie klein war und hatte mit ihrem eigenen Pferd auch oft an Turnieren teilgenommen und dabei Erfolge erzielt, aber sie mochte auch das ungezwungene Zusammensein mit dem Pferd und eben auch mal einen frischen Galopp im Gelände. Immer nur Runde um Runde in der Halle zu drehen, unter sich ein aufgedrehtes Jungpferd, das kaum zu halten war, weil es gar nicht wusste, wo es mit seiner Energie und Kraft hinsollte – das war nicht ihre Welt. Sie hatte bereits oft mit Konstantin darüber gesprochen und auch mehrfach Bedenken angemeldet, die er und ihr Umfeld aber jedes Mal im Keim erstickt hatten. Hannah erkannte erst jetzt hier mit einem gewissen Abstand, dass sich ihr reiterliches Leben in den letzten Jahren sehr fremdgesteuert entwickelt hatte.
„Oh, hallo, da bist du ja, alles klar?“ Colin stand frisch geduscht in Pulli, Jeans und Hausschuhen in der Tür und wurde von Arrow mit einem sachten Schwanzwedeln bedacht.
„Ja, alles klar. Sag mal, was für eine Rasse ist er eigentlich?“ fragte Hannah und wies auf Arrow.
Colin grinste. „Kurzhaarcollie.“
„Ach, die gibt’s auch mit kurzem Fell? Ich kenn nur Lassie, aber die jeden Tag zu kämmen wär nicht meins.“
„Genau deshalb haben wir so einen.“ Colin streichelte Arrow über den Kopf.
„Soll ich was in der Küche helfen?“ fragte Hannah.
„Ja, gerne.“
„Deine Mutter lässt nicht gerne Fremde hier rein, oder?“ fragte Hannah vorsichtig, als sie Colin in die Küche folgte. Arrow trottete hinter den beiden her und legte sich unter den Tisch in der linken Raumecke, der vor einer altmodischen Eckbank stand.
„Ja, Mom ist da speziell. Gäste haben in ihren Augen in der Küche nichts verloren.“
Die Küche war im modernen Landhausstil eingerichtet und strahlte eine große Gemütlichkeit aus. Durch mehrere, große Sprossenfenster war sie schön hell und in dem kleinen gewächshausartigen, verglasten Anbau hinter der Spüle standen diverse Töpfe mit Küchenkräutern.
„Das ist echt toll hier.“
Colin räumte einige Kartoffeln auf die Arbeitsplatte. „Ja, die Küche hat Mom selbst geplant, hier ist alles genauso, wie sie es haben wollte. Sie backt und kocht sehr viel“, sagte er und zog eine Schublade auf. „Und sehr gut“, fügte er hinzu und überreichte Hannah einen Gemüseschäler und ein Schneidbrett. „Du kannst die Kartoffeln schälen, wenn du magst. Du magst doch hoffentlich Steak?“
„Ja, klar.“
„Gut.“ Colin lächelte. „Wir haben gerade echt tolles Fleisch da, aus unserem Nachbarort. Wie war denn der Kurs heute? Besser als gestern?“ Colin wandte sich zum Kühlschrank um und suchte etwas darin. Während Hannah die Kartoffeln schälte, berichtete sie Colin von ihrem Tag und ließ auch ihre Enttäuschung über Nora sowie die Beschreibungen der Unterkunft und des Aufenthaltsraums nicht aus.
„Ja, das haben wir schon oft gehört, wir hatten schon viele Gäste hier, die dort Kurse gemacht haben. Der Stall hat in der Umgebung, was das Sportliche betrifft, traditionsbedingt einen sehr guten Ruf, und es kommen ja auch aus ganz Europa Reitgäste dorthin. Wobei, momentan würden sie es wahrscheinlich noch nicht mal schaffen, ihre Zulassung zu verlängern. Das Hotel ist innen wirklich schön gemacht und ist genau wie das Restaurant vor allem eins: Teuer. Zum dortigen Essen will ich jetzt nichts sagen, nur, dass ich dort nichts essen würde.“
„Oh, warum?“ fragte Hannah und beförderte die geschälten Kartoffeln in einen Topf mit Wasser, den Colin schon bereitgestellt hatte.
„Sie nehmen es mit der Hygiene nicht so genau, mehr will ich dazu nicht sagen, sonst vergeht mir der Hunger.“ Er lächelte abschließend.
„Ok.“ Hannah lächelte ebenfalls und stellte den Topf auf den Herd.
„Und reiterlich ... nun ja ... das merkst du ja selbst.“ Colin bereitete weiter die Steaks vor und schnitt einen Berg an Zwiebeln klein. „Momentan läuft es da nicht rund. Früher war das anders.“
Hannahs Handy klingelte. Colin sah kurz hoch, weil er das Geräusch nicht zuordnen konnte, schnitt dann aber weiter die Zwiebeln in Ringe. Hannah schaute auf das Display, es war Nora. Hannah musste sich fünf Minuten lang anhören, dass Konstantin sauer auf sie, Hannah, sei und wie sie sich es denn erlauben könne, ihm seine Bitte bezüglich der Pferdevideos und -bilder abzuschlagen, immerhin würde er vielleicht sogar ein oder zwei Pferde dort kaufen wollen und er hätte sie ja auch schon so lieb beraten. Sie hatte sich nämlich heute schon mal die Verkaufspferde angeschaut.
„Nora, ich hab jetzt keinen Nerv auf sowas. Wenn ihr beide da so Feuer und Flamme seid, dann schick du ihm doch Bilder und beratet euch gegenseitig. Aber lass mich da raus. Ich werde jetzt nicht in den Stall laufen, Videos machen und dann wieder zurücklaufen. Mach du ihm doch die Bilder, du musst nur schräg über den Hof! Ich bin nicht eure Sekretärin!“ sagte sie etwas zu laut und legte auf. Sie brummte kurz wütend und stellte ihr Handy auf lautlos. Arrow stand neben ihr und sah sie an und auch Colin schaute zu ihr rüber, mit roten Augen vom Zwiebelschneiden, aber auch besorgt. Eine Haarsträhne hing ihm über die Augen. Und warum zur Hölle war der Kerl plötzlich so gutaussehend? War das ein anderer als gestern? Der Bart, erinnerte Hannah sich selbst, es war der Bart. „Was?“ fragte sie.
„Ist alles ok? Ist etwas passiert?“ fragte Colin und pustete sich die Haare aus den Augen.
„Ach ... Nora und mein seltsamer Freund meinen jetzt, unbedingt die Verkaufspferde anschauen zu müssen und ich soll ihm Videos machen und Bilder schicken. Das kann Nora erledigen, die ist sie doch viel näher dran als ich! Ich lauf doch jetzt nicht da rüber! Was denken die sich?“
Colin hob fragend eine Augenbraue. „Wahrscheinlich nichts. Dein Freund ist auch hier? Wo wohnt der denn? Drüben im Hotel?“
„Nein, er ist nicht hier. Aber er ist auch Noras Springtrainer und jetzt sind beide besessen davon, hier Pferde zu kaufen.“
„Er ist Springreiter in Deutschland?“
„Ja. Mittlerweile ganz erfolgreich sogar.“
„Wie heißt er?“
Hannah nannte den vollständigen Namen, aber Colin kannte ihn nicht.
„Ja. Und er trainiert auch. Pferde und Reiter.“
„Und das ist dir alles zu viel? Haben die was miteinander?“ Colin hatte, ohne es zu wissen, Hannahs momentane Gefühlslage präzise zusammengefasst.
„Das hab ich mich auch schon gefragt. Und ja, mir ist alles zu viel.“
„Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen“, sagte Colin und legte die Steaks in die Pfanne. Das laute Zischen machte vorerst jede weitere Unterhaltung unmöglich, außerdem war Colin derart konzentriert bei der Sache, dass Hannah ihn nicht unterbrechen wollte. Immerhin stand ein wohlschmeckendes Essen gerade weit oben in ihrer Prioritätenliste.
„So, dann lass es dir mal schmecken, ich hoffe das passt so für dich“, sagte Colin und stellte Hannah einen Teller voller Zwiebeln und Bratkartoffeln hin. Zumindest sah man das Steak unter all den anderen Sachen kaum. „Hier ist noch Kräuterbutter“, sagte er und stellte einen kleinen Teller in die Mitte des Tisches.
„Danke, es riecht schon mal sehr lecker.“
Colin lächelte und holte noch eine große Flasche Cola und zwei dicke Scheiben Brot zum Tisch. Sie aßen an dem Tisch bei der Eckbank, Colin fand es hier um Längen gemütlicher als drüben im offiziellen Esszimmer. „Da essen wir immer nur, wenn Gäste da sind“, sagte er und schnitt sein Steak an. Hannah nickte und wünschte einen guten Appetit. Wie alles, was sie bisher hier zu essen bekommen hatte, war auch das Steak vorzüglich.
„Und, willst du dir die Verkaufspferde anschauen?“ fragte Colin und klang dabei ehrlich interessiert.
„Ja, klar, warum nicht. Aber der ganze Transport und das alles ... und ist ja nicht so, dass wir in Deutschland keine Pferde hätten.“
Colin grinste. „Sehr gute sogar. Was hättest du denn gerne?“ Er trank einen Schluck.
„Schwierige Frage. Meinen Wallach hatte ich fünfzehn Jahre lang – seit ich selbst fünfzehn war. Ich hab ihn bekommen, da war er gerade angeritten. Er war ein tolles Pferd. Dressur, Gelände, alles kein Problem. Dafür einen Nachfolger zu finden, wird schwierig, auch vom Emotionalen her.“
„Ja, das glaube ich. Willst du denn wieder Turniere reiten? Ihr habt gerade im Dressurbereich in Deutschland wirklich tolle Pferde.“
„Ja, das schon. Ich weiß es einfach nicht. Durch Konstantins ständige Turnierbesuche und seine Verbissenheit hab ich da echt keine Lust mehr drauf. Mal ein Turnier ist ja schön und gut ... aber von Frühjahr bis Spätherbst fast jedes Wochenende auf teilweise mehreren Turnieren zu sein, diese Leistungsbesessenheit und der Erfolgsdruck, und Pferde als Material zu sehen oder Geldanlage ... das ist nicht meine Welt. Er hat da Spaß dran. Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass ich das echt nicht brauche. Er hätte besser Börsenmakler werden sollen.“
Colin stand auf und brachte die leeren Teller in die Spülmaschine. „Und momentan hast du kein Pferd?“ fragte er, während er den Gefrierschrank öffnete.
„Nein, momentan reite ich seine Jungpferde und eine Stute, die er quasi für mich gekauft hat, die aber ihm gehört. Ich habe sie weder selbst ausgesucht, noch ist sie mir sympathisch. Sie ist ein tolles Pferd, rein sportlich gesehen und hat auch eine super Abstammung, aber ist nicht meins. Ich mag sie nicht. Was ich genau will, weiß ich gar nicht. Aber heute das am Strand, das hat echt Spaß gemacht. So viel Spaß hatte ich seit Jahren nicht mehr. Immer nur in der Halle an den armen Pferden herumzuzerren, das will ich nicht. Ich will ein Pferd, mit dem ich auch mal rausgehen kann ein paar Stunden, ohne dass es sich gleich verkühlt oder vor einem fliegenden Blatt einen Affentanz aufführt, weil es sowas noch nie gesehen hat.“
Colin kam mit einer großen Packung Eiscreme und zwei Löffeln wieder zum Tisch zurück. „Mom hasst das, wenn ich das Eis direkt aus der Packung esse, aber sie ist ja nicht hier, also hau rein.“
Hannah nahm sich von dem Eis und redete sich in Rage. Nach weiteren zwanzig Minuten wusste Colin so gut wie alles über sie und gleichzeitig nichts. Sie wusste ja selbst nicht, was sie wollte, weder reiterlich noch im Leben.
„Gut, also halten wir fest: Dein Job gefällt dir nicht mehr, dein Freund und du, ihr habt euch auseinandergelebt, du willst ein nettes Pferd für‘s Gelände und hin und wieder mal ein Turnier, deinen Eltern ist alles egal, deine Freundin, Bekannte, was auch immer, ist irgendwie komisch und jetzt musst du hier auch noch an einem Cross-Country-Turnier teilnehmen, obwohl du Springen gar nicht magst.“
Hannah ließ ihren Löffel im Eis stecken und lehnte sich zurück. „Ja, genau! Präzise zusammengefasst!“
„Danke.“
Sie sahen sich an und mussten beide gleichzeitig loslachen. Genau in diesem Moment kam Mary in die Küche, erfasste mit einem Blick die im Eis steckenden Löffel und dass der Gast in der für Gäste verbotenen Küche saß. Dass der Hund ebenfalls in der Küche war und auch noch an einem Stück Steak kaute, konnte sie gottseidank nicht sehen, Arrow hatte seine Beute nämlich unter die Eckbank geschleppt.
„Aha“, sagte sie nur und verließ die Küche sofort wieder.
„Lass uns aufräumen“, sagte Colin leise. Hannah half beim Wegräumen des Geschirrs und Saubermachen des Tisches und verzog sich danach in ihr Zimmer.