Читать книгу Der Parkhausfinne Band 1 - Waltraud Batz - Страница 6

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Kapitel 2 – Alles muss man selbst machen!

Nach einem Zwischenstopp bei ihrer Lieblingspizzeria fuhr Bärbel nach Hause und sah liebevoll zu dem Essensstapel auf dem Beifahrersitz. Sie musste wieder an Teemu denken und grinsen. Doch was war das da neben dem Pizzakarton? Sie hob ein Haar hoch und betrachtete es im letzten Licht der untergehenden Sonne. Blond, aha. Die Finnen warfen also bereits ihr Winterfell ab. Und das im Februar! Musste ein heißer Sommer werden.

Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht legte sie das finnische Premiumhaar zurück an die Vorderkante des Beifahrersitzes und schob es mit dem Finger immer weiter, bis es hinunterfiel. Teemu hin oder her, ein Haar hatte auf den schwarzen Ledersitzen nichts verloren!

Vorsichtig trug Bärbel ihr Essen nach oben in ihre Wohnung. Die Pizza schmeckte fantastisch, wie immer. Diese Pizzeria war ein Phänomen. Die Einrichtung entsprach der Kombination Operationssaal-Schlachthaus mit einem Schlag Eisdiele, die Bedienung war schwer von Begriff und langsam, unfreundlich noch dazu und das Liefern dauerte meist über eine Stunde, obwohl Bärbel nur zwei Autominuten entfernt wohnte. Aber die Pizza war einfach unschlagbar und es gab in der Nähe keine nennenswerten anderen Restaurants, also hielt sich die Pizzeria dort seit Jahren.

Es ging doch nichts über eine gesunde Ernährung! Während auf dem Fernseher das Polarfrost-Konzert lief, blätterte Bärbel in dem Finnland-Reiseführer, den sie spontan vorhin in der Buchhandlung gekauft hatte. Allein die finnischen Eigennamen waren schon eine Klasse für sich und klangen teilweise wirklich niedlich. Warum so viele Doppelbuchstaben und so viele ‚i’? Was Wales an Vokalen zu wenig hatte, hatten die Finnen zu viel.

Später am Abend erinnerten ein herzhaftes, immer wiederkehrendes Gähnen und ein Blick auf die Uhr Bärbel daran, dass es nun an der Zeit war, sich so langsam in Richtung Bett zu bewegen. Auf dem Weg dorthin sah sie noch am Computer nach neuen E-Mails und wurde überrascht.

Corinna hatte ihr geschrieben. Was wollte die denn? Bärbels Neugier war geweckt. Früher hatte Corinna zu ihren besten Freundinnen gezählt, aber seit mehreren Jahren war der Kontakt zwischen ihnen eingeschlafen. Corinna hatte sich nach ihrem Zahnmedizinstudium zielgerichtet ein Leben in den oberen Gesellschaftsschichten aufgebaut. Ihr Mann war passenderweise Kieferchirurg und beide lebten mittlerweile in einer der teuersten Vortaunus-Wohnlagen. Im Frankfurter Westend hatten sie zwar mal eben ein saniertes Penthouse im Stilaltbau gekauft, aber auf der Straße war einfach kein Platz für den wachsenden Fuhrpark an Luxuslimousinen. Und immer im Nachbarstadtteil parken zu müssen hatten beide unschön gefunden.

Bärbel dagegen hatte sich nach zwei Semestern BWL-Studium dann doch für eine Ausbildung entschieden und war damit in Corinnas Gunst augenblicklich stark gesunken. Dass Bärbels damaliger Freund Jörg lediglich Maler gewesen war, hatte sie in Corinnas Augen endgültig ins gesellschaftliche Aus befördert. Bärbel trug es mit Fassung. Ihr derzeitiger Job in der Auftragsabwicklung einer großen, internationalen Autospedition machte ihr grundsätzlich Spaß und brachte gutes Geld ein. Er dürfte ruhig ein wenig herausfordernder sein, aber irgendwas war ja immer. Ihre Wohnung lag zwar im elften Stock eines Hochhauses, war aber günstig, ruhig und gefiel ihr gut. Und vom Balkon aus konnte sie die Frankfurter Skyline sehen und fast sogar das Mittelmeer, wenn die Alpen nicht wären.

Bärbel starrte immer noch feindselig auf die Mail von Corinna, nahm aber ihren Finger von der Entfernen-Taste und las. Madame Wichtig wollte mal wieder mit alten Freunden essen gehen, aha. Wie kam das denn? Nostalgische Gefühle? Aber warum eigentlich nicht? Es waren einige Leute eingeladen, die sie seit längerem aus den Augen verloren hatte, das würde sicherlich interessant werden. Bärbel sagte zu.

Am nächsten Morgen musste Bärbel sich beeilen, um rechtzeitig im Büro zu sein. Sie brauchte für die Strecke zur Arbeit fast doppelt so lange wie sonst, alle Ampeln waren rot und es schienen nur Fahranfänger unterwegs zu sein.

Bärbel bekam so einige missbilligende Blicke zugeworfen, als sie um fünf nach neun die Tür des Gemeinschaftsbüros aufriss. Aufgrund des Durchzuges, den eine ihrer Kolleginnen morgens immer veranstaltete, fiel die Tür mit einem lauten Schlag hinter Bärbel zu und diverse Ausdrucke und Faxe wehten durch das Zimmer. Hui, hier war was los! Stimmung! Aber wenigstens waren jetzt alle wach.

Bärbel sammelte auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch die heruntergefallenen Papiere wieder ein und setzte sich. Irgendein Witzbold hatte ihren Stuhl verstellt, ihr Lieblingskollege kicherte schon. Da brauchte man echt keine Feinde mehr, wenn man solche Kollegen hatte. Bärbel hatte ein gutes Verhältnis zu ihren Kollegen, außer zu den zwei älteren Herren am hintersten Tisch des Büros. Die sprachen nicht mehr mit ihr, seit sie einen Kollegen eines anderen Unternehmensbereiches gefragt hatte, wie das wäre, wenn sie gern einen Mustang aus den USA hätte. Sie hatte wirklich nur Infos haben wollen. Das Ganze war ein absurdes Hirngespinst gewesen, aber er hatte ihr sofort begeistert angeboten, ihr auf einem der nächsten Transporte einen mitzubringen, zu Spitzenkonditionen.

Die Arbeit ging heute gut von der Hand, es war Freitag und ab nächster Woche hatte Bärbel Urlaub. Und, sie hatte gestern den finnischen Kerl im Auto gehabt!

„Alles klar bei dir?“, fragte Hilde, die Kollegin, die Bärbel gegenüber saß.

„Japp, alles gut.“

„Du hast doch irgendwas. Du bist so gut gelaunt!“ Um diese Aussage zu unterstreichen, klatschte sie in die Hände. Sie war eben eine Frohnatur.

„Ja, bin ich. Ich hatte gestern Teemu Perhonen im Auto.“

Hilde runzelte die Stirn. „Hä? Was ist das?“

Sie war manchmal ein bisschen schwer von Begriff, aber alles in allem sehr nett. Es gab Schlimmere, mit denen man hätte am Tisch sitzen können. Hilde stand kurz vor der Rente, galt als gute Seele der Abteilung und hütete hingebungsvoll das Telefon des Abteilungsleiters, die Kaffeevorräte, das Büromaterial und die Abteilungspost.

„Kennst du Koch und weg?“, fragte Bärbel.

„Schon mal gehört, ja. Was ist das noch mal genau?“

„Das ist eine Fernsehsendung.“

„Ach da, wo die so kochen? Und mit draußen und so?“ Hilde hatte mit wenigen Worten das Sendekonzept von Koch und weg präzise zusammengefasst.

„Ja, genau.“

„Und was hattest du davon jetzt im Auto?“

„Den lustigen Finnen, der in der Sendung mitmacht.“

Hilde schaute Bärbel interessiert über die obere Kante ihres Computermonitors hinweg an. „Ich glaube, ich erinnere mich, aber ich bin nicht sicher.“

„Sagt dir Polarfrost was?“

„Ist das nicht ein Tiefkühlessenlieferdienst?“

„Nee, Polarfrost ist eine Musikgruppe. Was du meinst, ist bofrost.“

„Och, ich bestell da ganz gern, die haben tolle Sachen.“

„Ja.“ Manchmal hatte Bärbel das Gefühl, dass Hilde schwerhörig war oder irgendwann mal gegen eine Wand gelaufen. Vielleicht auch beides.

Hilde nickte abschließend. „Heute ist Schnitzeltag in der Kantine, ich freu mich schon so!“

Sie war so leicht glücklich zu machen. Und heute gab es sogar Cordon Bleu, quasi den König der Schnitzel.

„Ja, ich mich auch“, murmelte Bärbel.

Kurz nach zwölf war es in der Kantine rappelvoll, wie immer am Schnitzeltag, der firmenintern auch liebevoll Schnipotag genannt wurde. Bärbel und ihre Kollegen fanden gerade so noch Plätze an einem der längsten Tische des großen Raumes, eingequetscht zwischen der riesigen Pflanze mit den pieksigen Blättern, die einem immer halb im Essen hingen auf der einen und der heute mal wieder extrem aufgedrehten Azubimannschaft der Firma auf der anderen Seite.

Bärbel ging gerade gedankenverloren noch einmal die Geschehnisse von gestern durch, als Hildes Stimme sie in die Realität zurückholte. „So, Bärbel, jetzt erzähl noch mal in Ruhe, was war jetzt dieses Tehmuhuperon, das du im Auto hattest? Was mit Musik? Ich hoffe, es hat dir dein tolles Auto nicht dreckig gemacht.“

„Nur ein Haar verloren“, murmelte Bärbel.

„Oh je, meine Katzen haaren auch gerade so, ganz schlimm.“ Hilde schüttelte den Kopf und bedachte Bärbel mit einem mitleidigen Blick, um dann nach speziellen, nur ihr selbst bekannten Kriterien ein Pommes auszuwählen und zu essen.

„Nein, Hilde, nur ein Haar, ein einzelnes, nicht schlimm. Vergiss es einfach.“

Hilde zog die Augenbrauen hoch. „Und warum hattest du das im Auto? Das Temuhperhonn?“

Jetzt, nachdem der Name das zweite Mal gefallen war, dieses Mal verständlicher, schauten einige der Azubimädels zu ihnen herüber. Bärbel hoffte inständig, dass Hilde nicht noch verraten würde, was Bärbel für ein Auto fuhr, sonst sah sie schon eine Traube schreiender Mädchen ihr Auto aufbrechen, am Beifahrersitz riechen und das güldene Haar wie den Heiligen Gral nach oben recken.

„Das ist keine Sache, Hilde, sondern eine Person. Und ich bin mit dem im Parkhaus zusammengestoßen, weil wir es beide eilig hatten. Und dann hab ich ihn zum Flughafen gefahren, damit er sein Flugzeug nicht verpasst.“

„Ach. Das ist aber nett von dir.“ Hilde hatte die faszinierende Eigenschaft, ohne Zwischenstufe zwischen grenzdebiler Idiotie und entwaffnender Normalität hin- und herzuwechseln.

„Ja, ich bin halt total nett“, murmelte Bärbel und versuchte weiterhin, den Zahnstocher aus ihrem Cordon Bleu zu pulen, ohne die umsitzenden Leute zu verletzen.

Ihre Tischnachbarinnen starrten immer noch. Bärbel schaute rüber und hob zweimal schnell hintereinander beide Augenbrauen.

„Echt?“, hauchte eins der Mädels.

„Ja.“

„Und, wie war er?“, flüsterte die Auszubildende ehrfürchtig.

Wie er war? Bärbel fand die Situation langsam total amüsant, zumal noch eine andere Kollegin nun aufmerksam zuhörte, eine, die Bärbel gegenüber fast schon mütterliches Verhalten an den Tag legte und ihr nur zu gern Tipps gab, was ihre Lebensgestaltung anbelangte.

„Hm, naja, er hat nicht viel gesagt.“ Bärbel zuckte mit den Schultern.

„Und dann?“, fragte eine andere Auszubildende mit zitternder Stimme. Und dann? Und dann? Bärbel witterte ihre Chance und wartete, bis ihre Welterklärungshilfe gerade das Glas zum Trinken ansetzte.

„Dann hatten wir wilden, hemmungslosen Sex bis zur totalen Ekstase.“

Alle lachten. Bärbel beobachtete zufrieden aus dem Augenwinkel heraus, wie ihre Ersatzmutter in spe versuchte, sich die Fairtradeökobionade aus ihrer bunt geblümten Bluse zu tupfen.

„Echt?“, fragte Hilde schockiert.

„Nein, natürlich nicht!“, sagte Bärbel etwas zu laut. Das wäre ja was gewesen. Da hätte Musikheld Perhonen bestimmt mehr als nur ein Haar verloren. Hilde brauchte einen Moment, den Witz zu erfassen, aß dann aber weiter.

„Ist der in echt auch so toll wie im Fernsehen?“, fragte es erneut von der Seite.

„Japp, noch viel toller.“

„Ui. Wow. Krass.“ Die Azubis erhoben sich und brachten ihre Tabletts weg. Bärbel wartete auf die ehrfürchtigen Verbeugungen, wurde aber bitterlich enttäuscht.

Das Telefon war endlich still. Wahrscheinlich war es Königin Corinna gewesen, die ihr Ausgehgefolge zusammenstellen wollte. Bärbel hatte sich dagegen entschieden aufzustehen, allein bei dem Versuch hätte sie sich bestimmt böse verletzt, immerhin war sie gerade in ihre Sofadecke gewickelt. Corinna würde schon eine E-Mail schreiben.

Der Bollywoodfilm im Fernsehen war jetzt wichtiger. Diese Filme waren ja sowas von kitschig, aber auch das musste manchmal sein. Viel Handlung gab es meist nicht, und woher immer plötzlich diese Scharen an Tänzern kamen, konnte auch niemand beantworten, aber es war alles schön bunt und gleichzeitig traurig und Liebe und ach.

Bärbel seufzte und verlor sich erneut ein bisschen in Selbstmitleid. Konnte sie nicht einfach mal beim Einkaufen oder einem ihrer Hobbys einen netten Kerl treffen? Vom Aussehen her in Richtung Teemu, tierlieb, Nichtraucher, mit Humor bitte und noch 317 anderen Eigenschaften, die alle unabdingbar waren. Sie war wahrscheinlich dann doch zu anspruchsvoll.

Vor dem Zubettgehen schaute Bärbel nach neuen Mails und es traf sie fast der Schlag. Siebzehn Mails wegen des geplanten Essengehens. Siebzehn! Warum einfach, wenn es auch umständlich ging. Sie erstellte eine Onlineumfrage, trug ein, wann sie konnte und verschickte den Link an alle. Als sie nach dem Zähneputzen noch mal nachschaute, hatten schon sieben Leute die Terminumfrage ausgefüllt. Na also, ging doch!

Der Parkhausfinne Band 1

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