Читать книгу Management-Kybernetik - Werner Boysen - Страница 8
Vorwort
ОглавлениеUnsere (Wirtschafts-)Welt, in der Menschen miteinander und mit Maschinen intensiv kommunizieren, ist durch eine zunehmende dynamische Komplexität gekennzeichnet, die oft nicht vollständig verstanden werden kann. Deshalb neigen Entscheider1 dazu, diese Komplexität zu reduzieren – oft reduzieren sie sie aber unangemessen, weil sie einfache mentale Modelle einsetzen. Exponentielle Entwicklungen, Kipppunkte und die Umkehr von Trends werden oft nicht erkannt, unterbewertet, ausgeblendet oder sogar ignoriert.
So werden viele Fehlentwicklungen nicht an ihrer Wurzel vermieden, sondern lediglich Scheinlösungen für akut aufpoppende Symptome geliefert. Bestehende Probleme verschärfen sich dadurch oft sogar, bis Systeme kippen. Die Folgen beobachten wir in der Politik, im Klimaschutz, im Umgang mit Rohstoffen und im Management von Unternehmen.
In der Regel treten sicht- und spürbare Phänomene allerdings erst zeitverzögert auf; Entwicklungen werden deshalb lange ignoriert oder verdrängt. Gegenmaßnahmen werden oft erst eingeleitet, wenn der »Schmerz« nicht mehr zu unterdrücken ist. Je länger aber mit Gegenmaßnahmen gewartet wird, desto schärfere Maßnahmen müssen schließlich eingeleitet werden, um »in den grünen Bereich« zurückzukehren. Weil richtige Entscheidungen oft Einschränkungen mit sich bringen, sind sie unpopulär. In der Folge drohen richtige Maßnahmen »weichgespült« zu werden und ihre Wirkung zu verfehlen, während sich die Probleme weiter verschärfen.
Oft werden für globale Probleme auch nur lokale Maßnahmen eingeleitet, die nicht greifen können. Andererseits scheitern globale Abstimmungen häufig an divergierenden Interessen, fehlendem Verständnis für komplexe Zusammenhänge und langen Entscheidungswegen. Oft beobachten wir Scheinlösungen, die kaskadenartig weitere Probleme auslösen. Nicht selten wird das Eintreten der Wirkung grundsätzlich richtiger Maßnahmen gar nicht abgewartet, sondern zu früh wieder davon abgelassen. Stattdessen erkaufen sich Entscheidungsträger vermeintliche Sorgenfreiheit und gefühlten Komfort mit dem weiteren Verbrauch von Ressourcen. Zu diesen verbrauchten Ressourcen zählen nicht zuletzt auch Menschen, die physisch und psychisch unter der fortdauernden Problematik leiden.
»Für alles gibt es zwei Gründe – einen guten Grundund den tatsächlichen Grund.«
Winston Churchill
Durch unser kurzsichtiges Handeln entziehen wir uns unsere Lebensgrundlage. Wir sollten erkennen, dass wir ein Teil unserer Welt sind und sie nicht »austricksen« können, ohne selbst Konsequenzen zu erleiden.
Da viele Problemstellungen komplex sind, müssen wirksame Maßnahmen ganzheitlich vernetzt angelegt werden. Sowohl an Themen von weltpolitischer Relevanz als auch in Unternehmen arbeiten in der Regel hervorragende Experten in ihren Fachbereichen, denen es aber oft nicht gelingt, nachhaltige Lösungen zu finden. Die großen Verbesserungshebel finden wir nämlich heute nicht in den Fachbereichen selbst, sondern darin, die Fachleute zur Suche nach abgestimmten Lösungswegen in einen Diskurs zusammenzubringen. Das ist meines Erachtens eine der wichtigsten Managementaufgaben geworden. Durch den Einsatz kybernetischer Prinzipien kann es gelingen, dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Mein Interesse an der Kybernetik wurde bereits in einer meiner ersten Berufsstationen geweckt, als ich im Fahrzeugversuch arbeitete. Obwohl versierte Fachabteilungen hervorragende Komponenten einbrachten, enttäuschte dann oft das Zusammenspiel dieser Komponenten im Fahrzeug. Dadurch geprägt, stellte ich auch in meinen weiteren beruflichen Stationen genau diese Potenziale in Organisationen fest, die nicht aus fachlichen Defiziten resultierten, sondern aus mangelhafter Abstimmung zwischen betrieblichen Funktionen. Klassische Vorgehensweisen werden den Herausforderungen in unserer dynamisch-komplexen Welt offensichtlich nicht mehr gerecht.
Mein Doktorvater, Prof. Dr. Thomas Fischer, erschloss mir noch im alten Jahrtausend den Zugang zur Kybernetik, den ich vor allem durch meine Verbindung zur Deutschen Gesellschaft für System Dynamics methodisch ausbauen konnte. Etwa seit dem Jahr 2000 konnte ich aus der wissenschaftlichen Diskussion praxisgerechte Methoden und Werkzeuge ableiten und sie in meinen Beratungs- und Interim-Management-Projekten in der Unternehmenspraxis erproben und konsequent weiterentwickeln.
Anfang der 1990er-Jahre berichtete ich als Werkleiter in Castilla y León, Spanien, an Francesco Balasso, ein italienisches Mitglied des Verwaltungsrates der VAW (der Vereinigten Aluminium-Werke). Für mich war es damals faszinierend, mit welcher Treffsicherheit dieser erfahrene Manager erkannte, wo etwas »im Argen« lag. Auch wenn die Ursachen für Missstände nicht unmittelbar ersichtlich waren, erfasste Francesco Balasso mit ruhiger und sicherer Hand die wirksamen Zusammenhänge und benannte die zugrunde liegenden Ursachen für Probleme. Auf meine Frage, wie und aufgrund welcher Fähigkeit er dies bewerkstelligen könne, sagte er nur: »Il naso«. Francesco Balasso war für mich ein großes Vorbild und ein wichtiger Mentor. Diese Fähigkeit wollte ich mir auch aneignen.
Inzwischen – etwa 30 Jahre später – wage ich zu sagen, dass ich vor dem Hintergrund eines breiten und profunden Methodenwissens und eines großen Erfahrungsschatzes weiß, welche Hebel in der Praxis Erfolg versprechen. In über 30 Jahren Erfahrung in Management und Beratung habe ich ein Portfolio aus einem Methodenmix von bewährten klassischen und kybernetischen Methoden herausgearbeitet. Kybernetische Prinzipien, angewandt auf das Management, bieten nachweislich wirksame und heute unverzichtbare Lösungsansätze für die oben angesprochenen Fehlentwicklungen.
Mit dieser Einführung in die Management-Kybernetik möchte ich einflussreiche Persönlichkeiten und potenzialstarke Führungsnachwuchskräfte an geeignete, praxiserprobte Instrumente heranführen, mit denen sie dynamische Komplexität besser verstehen und wirklich wirksam werden können, und zwar nachhaltig und zum Nutzen aller eingebundenen Parteien – für eine bessere (Geschäfts-) Welt. Nicht alle hier vorgestellten Instrumente sind wirklich neu, aber die Kombination bewährter klassischer mit kybernetisch fundierten neuen Instrumenten ist dafür geeignet, Unternehmen resilient zu machen.
Was können Sie konkret von der Lektüre dieses Buches erwarten? Sie erhalten einen komprimierten Einblick in die praktischen Möglichkeiten der Management-Kybernetik. Sie werden erkennen, dass in unserer Welt die dynamische Komplexität unaufhaltsam weiter zunimmt. Sie werden verstehen, warum traditionelles Management in dynamisch-komplexen Umfeldern nicht funktioniert und weshalb wir im Management kybernetisch denken müssen. Sie werden die dazu notwendigen Grundlagen über die Kybernetik erlernen und werden in die relevanten Aspekte der Management-Kybernetik eingeführt. Sie werden sich nützliche zusätzliche Fähigkeiten zur Verbesserung Ihres Management-Handwerks aneignen. Außerdem werden Sie an praxiserprobte Methoden und Instrumente herangeführt, damit Sie die Qualität dynamisch-komplexer Systeme verbessern und die Komplexität besser bewältigen können.
Weil die Kybernetik sich als Querschnittswissenschaft mit »dem Dazwischen« befasst, wird in diesem Buch nicht auf die Managementgebiete selbst eingegangen; vielmehr wird die Qualität der Verbindungen zwischen den Fachgebieten beleuchtet.
In einer knappen Form, wie sie das Format dieses Buches vorgibt, kann ich keine detaillierte Blaupause für die Umsetzung liefern, aber durchaus wertvolle Stimuli für die Selbstreflexion und Referenzpunkte für ein Benchmarking Ihrer Organisation vorschlagen. In dieses Buch ist viel praktische Erfahrung aus meinem Beratungsund Managementengagement eingeflossen. Damit Sie den besten Nutzen aus diesem Buch ziehen können, empfehle ich Ihnen, bei den einzelnen Kapiteln die gegebenen allgemeingültigen Empfehlungen auf Ihr eigenes Geschäft mit seinen besonderen Herausforderungen zu beziehen. So entwickeln Sie systematisch Ihre genetisch wachsende (sich am erlernten Wissen erweiternde) Fallstudie zum kybernetischen Management.
1 In diesem Buch werden der besseren Lesbarkeit halber in der Regel die männlichen grammatischen Formen verwendet; es sind aber die weiblichen und alle anderen denkbaren Formen immer mitgemeint bzw. eingeschlossen.