Читать книгу CORONA - Lasst sie sterben, wo sie sind... - Werner Meier - Страница 9

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Über dem Spreebogen und dem Regierungsviertel war gerade der Sonntag aufgegangen. Er legte sich sanft auf Büroflügel mit verglasten Wintergärten, die das Machtzentrum flankierten, den Kubus des Kanzleramtes, mit verglasten Sichtbetonfassaden auf der Eingangsseite und zum Kanzlergarten hin. Ein Baldachin aus weißem Sichtbeton hing im unteren Bereich der vorderen Fassade. Im Foyer mit wellenförmigen Decken führten raumgreifende Treppen weiter durch das Gebäude. Dort hauste auch Muttis Hausdrachen. Wie sie andere nannten. Flüsternd, hinter vorgehaltener Hand. Der weiche Mund tarnte ihr Durchsetzungsvermögen. Ein ausgeprägtes Grübchen am Kinn gab einen Hinweis darauf. Ihr graues Haar saß wie ein Helm auf ihrem schmalen Kopf. Die dicken Brillengläser vermittelten fälschlicherweise altjüngferliche Naivität, die strahlend blauen Augen vertrauensseliges Entgegenkommen, ihre blütenweiße Kragenbluse mit Rüschenknopfleiste unter dem dunkelblauen Blazer wirkte bieder. Dazu trug sie einen dunkelgrauen glatten knielangen Rock und schwarze Pumps mit niedrigen breiten Absätzen. Sie war 53, nur einsvierundfünfzig. Ihr Ego hatte es nicht nötig, sich sichtbar größer zu machen. Die sie wegen ihrer zierlichen Erscheinung nicht ernst genommen hatten, hatten meist keine Zeit bekommen, ihre Fehleinschätzung zu korrigieren.

M lehnte sich in ihrem schwarzen Ledersessel mit flexibler Lehne zurück, die Augen geschlossen, beide Hände vorne fest auf den Armlehnen. Sie dachte über das Vieraugen-Gespräch mit der Kanzlerin nach, das sie zum gemeinsamen Morgenkaffee mit ihr bis eben in deren Büro über die Corona-Lage geführt hatte. Die Chefin war besorgt über die Lockerungen, ärgerte sich maßlos über Sorglose im Land und noch mehr über die Seuche, die über den großen Teich herüber schwappte.

Der Wahnsinnige im Weißen Haus hatte die Büchse der Pandora geöffnet.

Nicht mal ihr gegenüber würde die Chefin den US-Präsidenten so nennen. Aber M stellte sich gerne vor, wie sie in ein Kissen biss, um nicht laut loszuschreiben, nachdem sie wieder mal mit ihm zu gehabt hatte. Inzwischen hatte der Irre Corona in den Focus seiner immer grotesker werdenden Botschaften gestellt. Mit seinen verharmlosenden wie wirren Äußerungen und Twittern zu Covid19 schickte er täglich eine neue hochgiftige Mixtur aus Fake und Irrsinn auf die Reise um den Globus, gegen die es kein Eindämmungsmittel gab. Das Gaga-Virus erwies sich als auch hochansteckend. Rasend schnell fraß es sich global bis ganz nach oben. Und das Gaga-Virus sprach täglich aus dem Weißen Haus an die Welt. Warum Infizierte nicht Desinfektionsmittel trinken könnten, hatte der irre Donald sinniert. Was äußerlich wirkte, müsste es schließlich auch von innen. Jüngst im Juni hatte er bei einer Wahlkampfveranstaltung gemeint, je mehr getestet würden, umso mehr Infizierte würde man natürlich finden. Man sollte einfach langsamer testen. Gegen die Hirnseuche schützte kein 2-Meter-Abstand, keine Maske, und es war kein Impfstoff zu erwarten. Und der Vatikan hatte bis jetzt keinen wirksamen Exorzismus gegen das Gaga-Virus in eigenen Reihen. Der frühere Päpstliche Botschafter in den USA hatte ein Pamphlet verzapft, als wäre Donalds wahnsinniger Geist in seine Erzbischof-Klamotten geschlüpft. Noch schlimmer: zu den Unterzeichnern gehörten deutsche Bischöfe und ein Kardinal. Nach ihrer Überzeugung diente Corona als Vorwand für die Errichtung einer Weltregierung, um alle Menschen unter Kontrolle zu bringen. Dabei hatte das Christentum genau darum blutige Kriege geführt. Die aus Raum und Zeit gefallenen klerikalen Wirrköpfe schienen jetzt Konkurrenz zu wittern, die ihnen mit Corona- statt Gottesfurcht ihre Gläubigen abspenstig machen wollte. Pegida und AfD witterten im Virus-Wirrwarr fette Jagdgründe und dockten massiv an. Sogar ein Mitarbeiter im Bundesinnenministerium hatte die Coronamaßnahmen als unnötig angeprangert und das unter dem Briefkopf des Ministeriums verbreitet. Was bei Verschwörungsfans die Überzeugung festigte, das Papier beweise die Nichtexistenz des Virus und das Wissen der Regierung darum. Das wäre der wahre Grund warum der Whistleblower geschasst worden war. Der kein Whistleblower war, sondern ein Irrläufer. Die Spinner der Welt waren dabei, sich um Donald zu vereinen und sich zu radikalisieren.

Vielleicht würde es dem Irren das Maul stopfen, wenn er sich das Virus selbst einfangen würde, hatte M. gedacht, es nicht ausgesprochen. Die Chefin hätte das nicht gebilligt.

M hatte Mühe gehabt, das Gespräch auf ihre aktuellen Bauchschmerzen zu lenken. Auch im politischen Inland war Gefahr von einem Großmaul im Verzug. Corona hatte die bundesweiten Umfragewerte für Bayernkönig Markus besorgniserregend in die Höhe schießen lassen. Und er hielt sich hartnäckig mit vorne. Wobei es passte, dass der Bayer von einer Seuche hoch geschwemmt worden war, dachte M böse. Die Chefin war darüber nicht glücklich. Das war nicht ihre Vorstellung davon wem sie die Republik übergeben wollte. Hatte M jedenfalls bis jetzt geglaubt. Sie war entsetzt, als die Chefin eine Einladung des Bayern nach Herrenchiemsee angenommen hatte. Von nicht wenigen eigenen Parteimitgliedern verärgert zur Kenntnis genommen, weil mitten in der Coronakrise als öffentlicher Ritterschlag für ihre Nachfolge verstanden. Gegen Armin in Nordrhein-Westfalen. Sie hatte nochmal versucht ihr wenigstens die Kutsch- und Dampferfahrt mit Markus in letzter Minute auszureden. Ganz gegen ihre Natur hatte die Chefin sich vergnügt die Hände gerieben.

„Das wird ein Mordsspaß.“

M fragte sich jetzt ob die Chefin noch wusste was sie tat und verstand, dass der Bayer mit kaltem Kalkül in ihrem Kielwasser schwamm. Sie war immer noch ganz oben in der bundesweiten Beliebtheitsskala des Politbarometers. Und er demonstrierte den Schulterschluss mit ihr, schmuste sich bei jeder Gelegenheit als ihr Nachfolger an. Vielen war schon jetzt nicht mehr klar folgte der Bayer dem Corona-Kurs der Kanzlerin, oder sie schon seinem.

Keinem der Maßkrugpolitiker dort unten im Süden konnte man trauen. Für M regierte dort immer schon Mafia. Dem Bayern war sonnenklar, dass er den bundesweiten Hype um sich nur Corona zu verdanken hatte, für ihn ein Wettlauf mit der Zeit. Weil der Hype mit Corona verfliegen würde. Noch klopfte die Katastrophe ans hohe Haus. Ein möglicher nächster Kanzler aus den Reihen der intriganten Schwester.

Nicht, wenn M das verhindern konnte.

„Morgen, Blödmann.“

Grüßte mich Ayala an diesem Sonntagvormittag. „Blödmann“ war ihre Pauschale für Y-Chromosomträger, seit ihr Lover einen Dozentenjob in Atlanta an- und seine Ehe mit über den großen Teich genommen hatte. Ayala hatte ihn andersrum verstanden.

„Allah und dir auch guten Morgen, Wüstenprinzessin. Kriegen wir Sandsturm?“

Treffer registrierte ich grinsend am Blick, den sie mir zufunkelte.

Ich verabschiedete mich in die Küche. Als ich raus kam hatte ich die Weißwürscht aus zwei getrennten Töpfen auf den Tellern, um Verwechslungen auszuschließen. Der hinter der Wurschttheke im Supermarkt hatte mich stirnrunzelnd an die Regale mit Eingeschweißtem verwiesen. Schon beim Lesen der Zutaten auf der Dreierpackung für 2, 59 Euro von Vegan Wonderland war mir anders geworden. Kein Kalbskopf, kein Sauspeck, kein Häutelwerk. Bloß Wasser, Weizeneiweiß, Kokosfett, Weizenstärke, Hefeextrakt, Sonnenblumenöl, Zwiebeln, Zitronenschale.

„Bittschön, Weißwürscht ohne Wurscht. Was du nicht isst, schmeiß ich weg!“

Immerhin nahm sie süßen Senf und ein Weißbier dazu. Es gab noch Hoffnung. Ich hatte meine Terrasse als meinen persönlichen Biergarten möbliert. Wir hockten auf groben Bänken im Paradies. Das Weiß der Wildkirsche auf der großen Wiese war zwar schon vergangen. Die anderen aber trieben´s voll im Saft, als gäb´s kein Morgen mehr. Die Jahreszeiten waren in Panik, wussten nicht mehr so richtig, wann sie dran waren, ob sie überhaupt noch drankommen würden. Frühling und Sommer wussten von Jahr zu Jahr weniger wer von ihnen wer war. Der Winter musste längst befürchten, bald ganz übersprungen zu werden.

Was wegen Corona gerade verboten oder erlaubt war, wusste von Tag zu Tag niemand mehr so genau. Ayala und ich verzichteten seit ihrer Genesung bei unseren Begegnungen auf Masken, hielten aber Abstand. Nasenund Mundschutz war anfangs dringend empfohlen, aber nicht verfügbar. Dann waren sie Pflicht und genügend da, aber die Nullachtfuffzehn-Ausgaben von den meisten Experten nicht mehr empfohlen. Weil sie angeblich kaum schützten, Träger eher zur Sorglosigkeit beim Abstandhalten verführten. Bis jetzt wusste niemand genau wo überall im Körper Covid-19 was mit welchen möglichen Folgeschäden anstellen konnte. Nach heutigem Kenntnisstand war nicht sicher, ob Genesene noch ansteckend waren, immun gegen mich war Ayala in jeder Beziehung. Feine blaue Seide fiel locker auf den Ausschnitt ihres grauen T-Shirts, führte als Kompromiss zur Maske durchsichtig über Mund und Nase und endete oben als Kopftuch. Ich hatte sie noch nie ohne gesehen und rätselte wieder ob sie kurzgeschoren oder Mähne darunter trug, blond, schwarz, brünett, oder kirschrot wie ihre Lippen? Ich mochte ihre schmucken Kopftücher, sogar den „Blödmann“. Beides sagte mir, dass sie sich noch nicht zur Grüßgottdeutschen hatte assimilieren lassen. Mir graute vor dem Morgen, an dem Ayala mich nach Leitkultur begrüßen würde.

„Guten Morgen, Josef, wie geht es dir heute?“

Eine vor was oder wem auch immer kuschende Ayala war allerdings nicht zu befürchten. Selbstverständlich wie Kopftuch, weil sie es wollte trug Ayala auch Bikini, wenn sie sich auf ihrem Balkon sonnte, oder an einem öffentlichen Badesee lag. Sie lebte ihren muslimischen Glauben, ließ sich aber vom Islam nicht gängeln, geschweige denn unterdrücken. Sie forderte ihre verfassungsmäßig garantierte Freiheit als gleichberechtigte Frau ein, lebte ihren Alltag deutsch im 21. Jahrhundert, ließ sich dabei von muffiger Deutschtümelei so wenig vereinnahmen, wie von altpatriarchalischen Religionsfantasien.

Zwei Biergartenbänke am Tisch erlaubten uns locker zwei Meter Abstand. Ayala schob die Seide von Mund und Nase unters Kinn und ich versuchte, über den Rand meiner Lesebrille Rückschlüsse auf ihre Laune zu ziehen. Brille hatte ich aufgesetzt, weil ich damit seriöser ausschaute, fand ich. Sie hatte über mein Angebot von vor einer Woche nachgedacht.

„Ich gebe nicht die Quotenmuslima für dein Underground-Blättchen.“

„Schiss vor Shitstorm hast. Wegen dem Kopftuch, gib´s zu.“

„Wegen des Kopftuchs, Genetiv wenn schon, Blödmann. Und ich hab keinen Schiss vor Arschlöchern.“

„Dann schreib uns eine Kolumne über Studieren in Bayern in Zeiten von Corona! Gern witzig anghaucht.“

„Witzig angehaucht. Hörst du dir selber noch zu? Eure erste gedruckte Ausgabe ist beschlagnahmt worden, bevor ihr ein einziges Exemplar verkauft habt. Du stehst ständig mit einem Bein auf dem Index.“

Der Start war holprig gewesen. Die Titelseite der ersten Kuh mit zwei Ärschen hatte einen Shitstorm entfesselt, vom üblichen Hassmob inklusive AfDlern, von Parteichristlichen und Berufsbayern. Obwohl noch gar nicht erschienen. Die Zeitung hatte sogar eine Anzeige zum geplanten Verkaufsstart abgelehnt. Wegen des Titels. Der Ministerpräsident als schwarzer Kreuzritter im Staub liegend, neben dem bayerischen Löwen, der ihn abgeworfen hatte und ihn anfauchte.

„Ich trag keine AfD-Laufburschen.“

Die Auslieferung der ersten gedruckten Auflage von 800 Exemplaren hatte dann die lokale Staatsgewalt verhindert, wegen Verunglimpfung des Freistaats und seines obersten Repräsentanten. Nach einer vom Oberbürgermeister persönlich erwirkten einstweiligen Verfügung hatte Polizeidirektor Schwammerl die Ausgabe noch in der Druckerei einkassieren lassen. Der bei der Zeitung frisch zum Redaktionsleiter berufene Kasperl war mit persönlicher Autoren- und Schlagzeile gekommen.

Unser OB stoppt Teufelswerk gegen unsere bayerische Heimat und unseren Ministerpräsidenten!

Was schon egal war. Kein Kiosk in Heiligbrück hatte die Kuh verkaufen wollen. Mein Anwalt hatte mir von einer Klage gegen die einstweilige Verfügung abgeraten. „Faktisch haben Sie Majestätsbeleidigung begangen.“ Faktisch gab´s den Paragraphen nach Böhmermann nicht mehr, hatte ich eingewandt und mein Anwalt ein Totschlagargument gebracht.

„Wir leben in Bayern.“

„Schlampenschorsch schreibt Horoskope für uns.“

Versuchte ich Ayala zur Mitarbeit zu bewegen.

„Er heißt Georg, nicht Schlampenschorsch.“

Korrigierte mich Ayala, was ich übersprang. Mit Schlampenschorsch. ärgerte ich Georg, seit ich ihn an einem Sonntag in seinen Porsche hatte steigen sehen. In heißen Höschen, Netzstrumpfhosen und Stöcklpumps auf dem Weg zu einem Slutwalk in der Hauptstadt. Über seinen Horoskopen fürs online-Magazin erschien natürlich sein richtiger Name Georg Brunnhuber. Anderen ihre Sterne zu deuten empfand er als Berufung, hatte das freiberuflich für ein Taschengeld, aber mit Leidenschaft für die Leser der Heiligbrücker Zeitung getan, bis Kasper Redaktionsleiter wurde und ihn von einem Tag auf den anderen feuerte. Er misstraute Georgs Nähe zu mir, weil wir in einem Haus wohnten. Finanziell hatte Georg die Horoskopschreiberei nicht nötig. Mit Sci-Fi-Groschenromanen unter dem Pseudonym Burt Logan machte er Kohle wie´s Böse. Mit Titeln wie >Das Grauen kam von XMY12<. Menschen standen sprach- und willenlos auf Laufbändern, die sie in einem Lichttunnel verschwinden ließen. Anfangs hatte ich mich gefragt, ob der geneigte Leser das als Wiedergeburt der Menschheit verstehen sollte, oder als ihr Ende. Letzteres, wusste ich inzwischen. In Brunnhuber-Logans Zukunftsvisionen gingen Zivilisationen dauernd und zwangsläufig den Bach runter. Jetzt mit Blick auf Corona erschien Schlampenschorsch mir tatsächlich unheimlich visionär, und ich überflog zwischendurch seine Horoskope. So ganz nebenbei. Ich warf Ayala noch einen Köder hin.

„Ich kann dir vierhundertfünfzig pro monatliche Kolumne anbieten. Das wär deine Nettomiete an Tschälo.“

Das Hausküken biss nicht an.

„Ich gehe jetzt.“

Sie hatte alle drei Veganer verputzt. Mein Blick folgte ihren festen Apfelbacken im roten Hosenboden. Ein Reflex ohne einen Hinterngedanken auf mehr. Die jungen Äpfel hingen längst zu hoch für mich alten Sack. In Ayalas knappen Einssechzig steckte eine Menge mehr Power als in meinen träge überfüllten Einssiebzig. Sie strampelte früh auf ihrem feuerroten Drahtesel zum Bahnhof, fuhr dann eineinhalb Stunden mit Bahn und U-Bahn zur Uni in der Hauptstadt. Dort eine bezahlbare Wohnung finden war schwieriger als am Südpol einem FKK-Klub beitreten.

Sonntag hin oder her. Forster würde an Jane Doe zugange sein, und ich hatte seine Handynummer auf Kurzwahl und einen guten Draht zu ihm, siezte ihn beim Vornamen, seit er sein Faible fürs mehr oder weniger Verdaute literarisch austobte. In >Forsters Leichenschmausküche<. Garniert mit Episödchen aus seinem Totenreich. Nouvelle Cuisine mit verkaufsträchtigem Ekelfaktor. Ich hatte die Story unserer Societykolumnistin Fanny Weyer unterjubeln wollen, aber der damalige Redaktionsleiter Helge Hinrichs dagegen entschieden.

„Sie sind unser Kriminalreporter, Kollege Teufel. Ihr Job, wenn ein Forensiker unter die Buchautoren gegangen ist. Vertiefen Sie Ihre Kontakte."

Mein Artikel war in der Gesamtausgabe erschienen und mir bewusst geworden, dass auch die Chefredaktion einen Hang zum Abartigen hatte. Ein Freiexemplar mit Dankeswidmung von Forster stand in meinem Bücherregal neben zwei Bänden über forensische Sexualforschung. Ein Geschenk von Tantchen zu meinem Einstand bei der Zeitung. Keine Ahnung, wieso sie glaubte ich könnte es spannend finden, dass sich gestörte Typen kopfüber an den Eiern aufhängten.

Tatsächlich erreichte ich Forster in seinem Keller.

„Was schreit das Weib so, Mark? Ist Ihnen eine Scheintote aufgwacht?“

„Die Netrebko schreit nicht, sie gibt Aida, die versklavte Königstochter, die sich in den feindlichen Heerführer Radames verliebt.“

Er war gerade dabei, Jane Does Gesicht für ein druckbares Foto herzurichten und erwartete gleich Twiggy zur rechtzeitigen Freigabe noch für die Montagausgabe der Zeitung.

Xenia Minkin, Heiligbrücks jüngste ehrgeizige Staatsanwältin hatte sich schon als Herrin des Verfahrens eingeklinkt. Sie brachten schon ihre Soldaten in Stellung. Von Minkin wusste ich nur, dass sie vor einem Jahr aus Bielefeld ins bayerische Hinterland versetzt worden war. Ihren Spitznamen Twiggy hatte sie mitgebracht. Das dürre Kultmodel der 60er war lange vor ihrer Zeit, und vermutlich hatte sie selber googeln müssen, um rauszufinden, wer hinter Twiggy steckte. Ihr Spitzname machte auch in Heiligbrück die Insider-Runde und darüber hinaus. Ich fand Twiggy nicht sehr weit hergeholt. An Minkin hingen Klamotten wie noch an der Stange, und eine pinky Haarsträhne in die Stirn bis übers rechte hellblaue Auge versuchte verzweifelt, Pfiff in ihr käsiges Totenkopfgesicht zu bringen. Sie galt schon als Protegé des Behördenchefs. Natürlich ging damit das Gerücht, dass Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Rigobert de Mille sie vögelte. Oder sie ihn. Ich fragte mich wer dann wen mehr benutzte. Er mit seiner Chefstellung ihre Karriereabhängigkeit von ihm, oder machte sie ihn sich als femme fatale gefügig? De Mille führte eine Ehe auf Papier, getrennt von seiner Frau Karin. Die war in einem Maschinenbaukonzern durchgestartet, nachdem die drei Kinder aus dem Haus waren, und managte mittlerweile das Werk in Istanbul. De Milles Ego ertrug ihren Erfolg schlecht.

Mir fiel ein, dass Leichen bundesweit schon routinemäßig auch schnell auf Corona getestet wurden.

„Nun ja, Jane Doe ist Covid-19 negativ.“

Jane Doe war zweifellos im Fluss ertrunken, konnte Forster inzwischen auch schon bestätigen, allerdings mit kaum Wasser in der Lunge.

„Nun ja, Ertrinkungslunge kann sogar trocken sein, wenn eingeatmetes Wasser sofort in die Blutbahn resorbiert wird.“

„Jane Doe hat die Augen zughabt, Mark!“

„Nun ja…“

Eine pauschal gültige forensische Regel für Augenlider gab es nicht, nur den wahrscheinlichen Normalfall, wobei die Lider sich im normalen Sterben bis auf wenige Millimeter schlossen. Jane Does am Puppenstrand hätte ich weit aufgerissen erwartet, noch vom Todeskampf gegen das Ertrinken, danach von Strömungen und einsetzender Totenstarre am Schließen gehindert. Ich hatte meine eigene These, warum das nicht der Fall war.

„Das Mädel hat wenig Wasser gschluckt, weil´s bewusstlos war, als es im Fluss glandet ist, Mark. Dem Tod schon so nah, dass es im Wasser nicht mehr aufgwacht ist. Drum waren die Augen zu.“

„Nun ja.“

„Kommens, das war kein Badeunfall in Reizwäsch, und das scharfe Outfit von unserm letzten Stadtgspenst hat das Mädel auch nicht zufällig anghabt. Und ich weiß, dass Twiggy das Verfahren gleich an sich grissen hat, bei der Geschwindigkeit entweder in vorauseilendem Gehorsam, oder schon auf Anweisung. Mir kommt´s jedenfalls panisch vor. Und von Twiggy über den Oberstaatsanwalt bis ins Rathaus ist´s bloß ein Katzensprung. Die Amigos sind nervös, Mark.“

„Nun ja…“

Was Obrigkeit anging, hielt Forster sich mit Kommentaren gerne bedeckt, besonders mir gegenüber. Weil unsere Meinungen über Gehorsam weit auseinander gingen.

Jane Does Körper war zerschunden, von Strömung über auch felsiges Flussbett geschleift. Verletzungen vom Sturz einen Abhang runter wie in der Erzählung vom Hotzenplotz konnten sich darunter leicht verstecken. Falls vorhanden, enttarnte man die nicht einfach durch Handauflegen. Wie Forster mir ironisch bestätigte.

„Nun ja, ich bin forensischer Patholologe, kein Magier.“

„Könnt Sex im Spiel sein, Mark?“

„Nun ja, Jane Doe ist nicht von einer Matratze bei mir gelandet, sondern aus einem Flussbett, und das erst gestern. Und sie hat kein Hinweisschild für mich um den Hals getragen.“

Tatsächlich nagten neben natürlicher Zersetzung und Abschleifungen in fließenden Gewässern auch deren Bewohner am Tod. Bilder, die ich nicht unbedingt auch noch in meinem Kopf haben musste. Ich war Forster fast dankbar dafür, dass er sich nicht festlegen konnte oder wollte, ob Jane Doe vaginal, anal angegriffen, oder sogar noch jungfräulich ertrunken war. Was nebenbei auch heißen hätte können, dass es zur Penetration nur nicht mehr gekommen, weil vorher schon was schiefgelaufen war.

„Vielleicht mit einer Vergewaltigungsdroge, und man hat sich mit der Dosis vertan.“

„Nun ja, ich arbeite nicht mit Vielleichts.“

Hieß die Toxis waren noch nicht so weit.

Fesselspuren verneinte Forster definitiv. Wenn wer die Weiße Frau der Legende hätte nachstellen wollen, war er nicht bis ins kleinste Detail gegangen. Außerdem hatte der Stadtschreiberling die ertränkte Herzogin nie körperlich wieder auftauchen lassen. Die Flussdämonen hielten sie gefangen, ließen sie als Weiße Frau mit den Nebeln nur als Rachegeist aufsteigen.

Jetzt war das Böse in Fleisch und Blut über Heiligbrück gekommen. Wenn wer sie ins Wasser geworfen hatte, hatte er nicht versucht die Leiche zu beschweren, damit rechnen müssen, oder gewollt damit gerechnet, dass sie früher oder später am Puppenstrand angeschwemmt würde. Weil quasi alles von flussabwärts dort landete. Vielleicht doch keine schiefgelaufene Sexnummer. Die gewollte Inszenierung eines gut organisierten Mörders? Der sich mit seinem Plan im Kopf ein Banini-Nightset besorgte, erst danach einem Mädel auflauerte. Weshalb Kurtisane dem nicht genau passten. Weil es ihm primär darauf nicht ankam? Schon gar nicht auf die Nachstellung der Legende. Sondern auf die Weiße Frau in gleicher scharfer Bettwäsche gedoubelt, womit der Oberbürgermeister und sein honoriger Geistervereinsvorstand zuletzt auch ihre Hauptdarstellerin hatten geil durch die Ruine geistern lassen. Was in erster Reihe männlichem Publikum die Mühe wert war, zum Finale nochmal vom Fluss zur Ruine hochzusteigen.

„In ihren Magen habens bestimmt schon reinglurt, Mark.“

Das machte ihm Laune. Tote Mägen lockten Forster wie Honigtöpfe Yogi Bär. Jane Does hatte noch einiges hergegeben, Teigreste, Käse aus Pflanzenmilch, Waldpilze und Pepperoni. Ich tippte auf vegane Pizza und wusste, wo die ein Renner war. Nicht, dass ich vegane Pizza mochte. Ich mochte überhaupt keine Pizza.

Draußen vorm Rialto am Kaiserplatz war Gästen maskenlos erlaubt, allerdings höchstens zwei Leute an einem Tisch, mit verordnetem Abstand. Zwei Tische von dem Dutzend waren noch frei. Ich hockte mich an einen und ließ mir einen Kaffee von Toni bringen, Salvatores Kellner. Salvatore hieß gebürtig Bertram, Toni immer schon Toni. Am übernächsten Tisch, der neben mir war auch unbesetzt, löffelten scheinbar zwei aus der Truppe der Golden Girls dunkelbraune Masse aus Glasschalen. Ich wandte mich an Toni.

„Ist dir in den letzten paar Tagen ein zierliches Mädel aufgfallen, mit feuerroten Haaren bis über die Hüften? Die vegane Pizza bstellt hat?“

„Teufel, du bist heut schon der zweite, der mich danach löchert.“

Ein junger Kripomann im Safarilook mit einem großen schwarzen Hund war mit der gleichen Frage schon zwei Stunden vor mir dagewesen. Herrchen hatte dem Hund zwei Kugeln Vanille gekauft. Toni fand´s komisch, dass Herrchen Hund zu Hund sagte, als hätte er den Namen vergessen. Ich klärte Toni auf.

„Er ist nicht sein Herrchen, bloß sein Seelenverwandter, und Hund heißt Hund.“

Wie auch immer, Toni bedauerte. Dem Kriponesen hätte er auch nichts anderes sagen können als mir jetzt. Solch feuerrote Haarpracht wär ihm natürlich aufgefallen. Oder dem Chef. War aber nix. Wie gesagt, die vegane Pizza war ein Renner. Viele bestellten sie, und es gab sie auch zum Mitnehmen.

„Vielleicht hat´s wer anderer gholt, Teufel, und sie habens zusammen ganz woanders verputzt.“

Ich machte mich im Frosch stadtauswärts zum Rest des Nachmittags in süßer Teufelscher Sonntagstradition: Apfelstrudel bei Tante Martha. Nur dass wir uns inzwischen maskiert und mit Abstand trafen, weil wir beide zur stark gefährdeten Risikogruppe gehörten.

CORONA - Lasst sie sterben, wo sie sind...

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