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Jakob Jünkerath

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Er war sieben Jahre älter als ich und für mich der beste Fußballer der Welt.

Ich bewunderte ihn schon als elfjähriger Pimpf, wenn ich ihm als Zuschauer auf dem Sportplatz zu jubelte. Schon als kleiner Straßenfußballer wollte ich so werden wie er. Wenn er als Mittelfeldspieler des Vereins „Adler 09 Niederfischbach“ und als Kopfballspezialist die Bälle haargenau servierte, das war nicht nur für mich, sondern auch für viele Beobachter, große Klasse.


Eines Tages fiel mir auf, dass Jakob Jünkerath nicht mehr zu sehen war. Ich suchte ihn auf den Dorfstraßen, fragte noch bei anderen, fußballbegeisterten Leuten, aber nichts, keiner wusste, wo er war. Jakob war wie vom Erdboden verschwunden. Wir Jungs konnten uns keinen Reim daraus machen.

Man schrieb das Jahr 1945, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Anfang Januar tauchten zwei fremde Männer im Dorf auf. Sie trugen teure, schwarze Ledermäntel und machten meist ein strenges und wichtiges Gesicht.

Mein Freund Gottfried wurde von ihnen nach Jakob Jünkerath gefragt und viele andere auch, aber keiner wusste was. Allerdings hatte ich manchmal den Eindruck, dass manche Dorfbewohner untereinander flüsterten und tuschelten.

Nach drei Tagen waren die fremden Männer – Gott sei Dank – wieder verschwunden und wir Jungs hatten sie auch bald wieder vergessen.

Vier Monate später war der Krieg zu Ende.

Wir bestaunten die amerikanischen Soldaten, sie spielten auf der Straße Volleyball und waren zu uns Halbstarken sehr freundlich. Bald hörte ich auch wieder etwas von unserm Fußballverein. Und plötzlich, für mich ganz unverhofft, lief mein Idol Jakob wieder auf dem Platz und zauberte seine Kunststücke. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht bis in den letzten Winkel. Gleichzeitig wuchs die Spannung mit der Frage: Wo war er in den vergangenen vier Monaten gewesen? Wo hatte er sich aufgehalten?


Mein Opa hat mir das dann in Ruhe erklärt. Ich hing an seinen Lippen, ich wollte das nun ganz genau wissen. Jakob Jünkerath war ein Halbjude, (für mich war es damals noch ein neues Wort) deshalb war er auch zum Militärdienst nicht geeignet. Seine Mutter hat irgendwann gespürt, dass ihr einziger Sohn in großer Gefahr war. Von seinem Vater hatten sie schon seit fast drei Jahren nichts mehr gehört. Deshalb handelte die Mutter jetzt sofort. Unser Freund wurde also noch frühzeitig von zwei verschwiegenen Leuten auf einem zehn Kilometer entfernten, kleinen Bauernhof im hügeligen, bewaldeten Siegerland evakuiert und dort in einer Scheune vier Monate lang versteckt. Die Gestapo, das waren die Männer mit den Ledermäntel, haben Jakob jedenfalls nicht gefunden.

Noch Jahre später erzählten die Dorfbewohner von dem lebensgefährlichen Wagnis, welches die Bauersleute Christian und Mathilde auf sich genommen hatten, da sie ihn bis zum Kriegsende verborgen hielten. Mein Opa sprach dann immer von einer mutigen Tat.

Aber nun war Jakob wieder da. Er arbeitete in einer Blechwarenfabrik, wo Ofenrohre hergestellt wurden. Trotz der schlimmen Zeit ließ ihn der Fußball nicht los. Wieder standen wir Jungs an der Seitenauslinie des Sportplatzes und staunten über seine fußballerischen Fähigkeiten. 21mal konnte er mit dem Ball dribbeln, ohne dass das Leder den Boden berührte.

Bei ihm hatte ich einen Stein im Brett. Deshalb konnte ich ihn auch dazu bewegen, eine Schülermannschaft zu gründen. Er hat uns dann lange Zeit 14tägig betreut und trainiert. Das war ein großer Erfolg und wir waren alle sehr stolz.

Jakob Jünkerath blieb dem Verein und dem Ort noch viele Jahre eng verbunden. Sein Charakter und seine Persönlichkeit standen in hohem Ansehen. Er hat mir in schwieriger Zeit Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen beigebracht. Wenn ich heute, nach 70 Jahren, meinen Heimatort besuche, denke ich sofort an Jakob Jünkerath, er hat mir in einer entscheidenden Lebensphase viel wertvolles Gedankengut mit auf den Weg gegeben.

Ein 80jähriger erinnert sich

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