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Panzer vor der Haustüre

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Er rumpelte über die Dorfstraße. Von weitem dröhnten die Panzerketten, welche sich rücksichtslos in die dünne Straßendecke eingruben. Als nach zehn Minuten das lärmende Ungetüm an mir vorbeizog, überkam mich ein ehrfürchtiges Staunen über dieses großartige Fahrzeug. Ich hatte in meinem dreizehnjährigen Leben schon viele verschiedene Waffengattungen gesehen und teilweise auch ausprobiert, aber dieses fauchende Ungetüm war absolute Spitze.


So etwas hatte ich in Natura noch nicht gesehen. Es war schon immer mein Wunsch, einmal einen richtigen Panzer zu sehen. Ich wollte in aber nicht nur sehen, ich wollte ihn riechen, fühlen und hören. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, und ich nutzte sie mit allen Sinnen. Nun kam auch mein Freund Günter von der anderen Straßenseite und schrie mir ins Ohr: „Wo ist denn der Fahrer?“

Er hatte Recht. Das Monstrum wirkte wie ferngesteuert, wie von einem anderen Stern. Und der Panzer fuhr weiter und mittlerweile siebzehn Kinder liefen hinterher. Nach hundert Metern fuhr er langsamer, und dann blieb er stehen. Wir Kinder standen im Nieselregen und wollten wissen: „Was passiert jetzt?“ Und es passierte etwas. Die Klappe auf dem Turm ruckelte etwas und wurde dann von innen hoch gehoben.

Ein Soldat kam zum Vorschein, nach den Schulterstücken zu urteilen war es ein Feldwebel. Da kannten wir uns aus. Nun kletterte auch noch ein Unteroffizier aus der Luke. Die Soldaten untersuchten die Bodenbeschaffenheit in einer großen Mulde, welche direkt neben unserem Haus lag. Bisher hatte sich noch niemand für diese Senke interessiert. Jetzt aber hatte ich den Eindruck, dass dieses Stück Erde plötzlich ein sehr wichtiger Punkt war.

War es auch, denn der Unteroffizier kraxelte wieder in den Panzer und lenkte das große Fahrzeug mit viel Lärm und viel hin und her mitten in das große Loch. Ja, und dann stand der Panzer da. Wie aus Erz gegossen. Für mich und meinen Freund ein Anziehungspunkt erster Güte. Einmal durften wir sogar einen Blick vom Turm nach unten in das Innere des Fahrzeugs werfen.

Nach drei wunderschönen, sonnigen Tagen, im Frühjahr 1945 gab es plötzlich Unruhe in der Nachbarschaft. Mein Opa, meine Mutter, Tante Gertrud und noch andere Frauen trafen sich öfters bei uns im Keller.

Sie flüsterten untereinander mit ernsten Mienen, und manchmal sah ich, dass meine Mutter verweinte Augen hatte. Ich schnappte auch Wortfetzen auf: wie Panzer, Amerikaner, große Geschütze, Gefahr. Mitten in der Nacht weckte mich mein Bruder und meinte: „Es liegt was in der Luft.“ Ich hörte, wie Tante Gertrud unten im Haus mit einem schreienden Kind hin und her lief. Gleichzeitig vernahm ich einzelne, schwache Detonationen in weiter Ferne. Ich fand das alles nicht so sehr wichtig, drehte mich auf die andere Seite und schlief sofort wieder ein. Der Schreck am anderen Morgen war gewaltig. Der Panzer war weg, er war wirklich nicht mehr zu sehen. Ich sah nur noch die Spuren in dem Asphalt, und die waren dann in einer matschigen Nebenstraße verschwunden. Wir hatten schon keine Schule mehr, und was sollten wir nur mit dem ganzen Tag anfangen?

Drei Tage später, morgens um 11 Uhr, waren sie da, die amerikanischen Soldaten. Sie waren friedlich und schenkten uns weißes Brot. Einen Tag später kamen drei amerikanische Offiziere.

Sie inspizierten die Spuren des deutschen Panzers, machten Skizzen und befragten meine Mutter, die aber nichts verstehen konnte. Viel später erst habe ich verstanden welches Glück wir hatten, dass der große deutsche Panzer beizeiten das Weite gesucht hatte. Es wäre noch lange auf beiden Seiten geschossen worden, und es hätte sicher auch Tote und Verletzte gegeben, weil in der Nachbarschaft ja viele Kinder, Frauen und alte Leute lebten. Auch unser Haus hätte einige Treffer abbekommen. Alle Dorfbewohner waren der Meinung, dass eine göttliche Vorsehung uns wohl gesonnen war.

Ein 80jähriger erinnert sich

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