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Irena

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Wenn sie nicht vom Portier telefonisch avisiert worden wäre, ich hätte Irena nicht erkannt. Als sie so vor mir stand, an der vorsichtig geöffneten Tür, hatte mich die Anspannung der ganzen Situation, die Angst vor der allgegenwärtigen Gefahr und die Sorge um Sefire bereits so im Griff, dass ich erst an einen Trick dachte: Eine Polizistin verschafft sich mit einer Finte Einlass in mein Zimmer, in das Zimmer eines Mädchenräubers.

Irena genoss meinen verdutzten Blick, mein angstvolles Entsetzen, dann lachte sie aus vollem Halse und streckte mir ihre Hand entgegen. Des Rätsels Lösung lüftete sie erst, nachdem ich die Tür wieder sorgsam geschlossen hatte. Mit Schwung zog sie sich eine Perücke vom Kopf!

"Na, wie findest du die Idee? Hoffentlich passt sie auch!" Mit diesen Worten ging sie, selbstsicher wie immer, meinem Gast entgegen, drückte ihr fest die Hand, nahm Sefire in ihre Arme und küsste sie andeutungsweise auf beide Wangen.

"Wir holen dich schon hier raus, keine Bange! - übersetz' das mal!" forderte sie mich auf. Aber auch das war wieder eine ihrer Maschen, denn ich glaubte, mich genau daran erinnern zu können, dass sie sogar fließend Französisch sprach.

"Mach' du das doch selbst. Du bist doch ?ne perfekte Fremdsprachen-Sekretärin!"

"Na ja, ich wollte ja nur mal dein Kauderwelsch genießen, du sprachfauler Weltmann, du!"

Es war ihre Art, sich mit mir anzulegen. Ein Ton, der mir schon damals nur für kurze Zeit erträglich war. Heute traf er auf mein bereits reichlich strapaziertes Nervenkostüm. Und sie sollte mich noch wesentlich intensiver nerven, denn nun begann sie mit aller Eloquenz und Bravour, französich mit Sefire zu parlieren, so dass ich Mühe bekam, irgendein Wort zu verstehen. Dabei war es mir verständlicherweise sehr wichtig, über jede Einzelheit informiert zu werden, die sie da miteinander besprachen. Ich hatte auch meine liebe Not, immer wieder ihre Lautstärke zu dämpfen.

"Also wir machen das so. Der ganze Feudalschuppen hier ist sozusagen von den Bullen umstellt. Um jede Ecke blinzelt ein Haus-Detektiv. Und wir müssen darauf gefasst sein, dass die AZ morgen mit dieser Schlagzeile aufmacht: GLUTÄUGIGE PERSERIN AUS LUXUSHOTEL ENTFÜHRT. Oder zumindest: IRANISCHE DIPLOMATENTOCHTER FLIEHT IN DIE FREIHEIT! oder so. Vielleicht sogar mit Foto. Also nur auf Verkleidung setzen, scheint mir zu riskant. Wir müssten irgendeine falsche Spur legen! Ich habe mir gedacht, wir werfen diesen Schleier, diesen Tschador oder wie man das nennt, in den Eisbach. Oder irgendwo ans Ufer. Dann denken alle, Sefire wäre ins Wasser gegangen."

Sefire verfolgte unsere Pläne mit äußerstem Erstaunen. Ich glaube, sie hatte sich das alles viel einfacher vorgestellt. Und die Sache mit dem Bach mochte mir auch nicht gefallen. Aber wie das so ist: Eine Idee gebiert die andere. Plötzlich kam mir ein besserer Gedanke:

"Das mit dem Tschador, das ist ein guter Tipp. Aber wie wäre es, wenn Sefire einen Brief an ihre Familie schreiben würde, so etwa ‚Liebe Eltern und Geschwister, es geht mir gut. Ich habe den Weg in die Freiheit gewählt, weil ich das Leben in Teheran so nicht länger aushalten konnte. Es tut mir leid, dass ich euch Kummer bereite. Aber ich hoffe, dass ich euch alle irgendwann gesund wiedersehen werde. Wenn ihr diesen Brief lest, bin ich schon auf dem Wege nach Paris, nein, besser: nach Rom oder New York. Lebt wohl! Eure Sefire’ und diesen Brief legst du, Irena, gleich bei deinem Rückweg auf eine Bank im Englischen Garten. Nicht zu nahe beim Hotel. Und morgen früh wird er gefunden und alle nehmen an, Sefire sei schon über alle Berge."

Sogar Sefire musste über diesen Einfall lachen.

"Mensch, dir fällt ja direkt mal was Gutes ein!" So lautete Irenas hämischer Kommentar. Aber immerhin, auch sie war bereit, mitzuspielen.

"Was aber, wenn sie unten meine Tasche kontrollieren und das Zeug finden?"

"Das dürfen sie nicht. Das würde auch das Hotel überhaupt nicht zulassen. Außerdem kannst du ja deinen Saunakram oben drauf legen."

"Und mit trockenen Haaren und kein bisschen geröteter Haut an der Rezeption vorbeispazieren. Noch dazu mit einer völlig anderen Frisur!"

Ängste über Ängste. Aber schließlich kamen wir zu der Überzeugung, dass soviel übertriebene Sorge fehl am Platze sei.

"Es wird nun Zeit für die Anprobe, und da sollte der junge Mann mal ins Badezimmer verschwinden!" meinte Irena und ließ aus ihrem Buko eine ganze Aussteuer quellen: ein paar Blusen und zwei Röcke, ("ziemlich lang, damit man ihre Beine nicht erkennt!"), einen Schal und mehrere Mützen, ein Pillbox-Hütchen, ja, und sogar Dessous, und zuletzt noch ein paar abgewetzte Jeans und einen Mantel. Zwei Paar Schuhe steckten noch in einem Beutel. So verschwand ich also im Bad und kam immer erst dann wieder heraus, wenn es galt, die Verkleidung zu begutachten. Schließlich einigten wir uns auf Jeans und Bluse. Das passte alles wie angegossen. Pillbox stand Sefire geradezu phantastisch. Würde aber soviel Aufmerksamkeit auf sie ziehen, dass es uns zu gewagt erschien.

Dann übten die beiden Mädchen verschiedene Formen von Make-up, Lidschatten, Lidstrich, Lippenstift, Puder. Schließlich - mit der Perücke - hatten wir alle das Empfinden, Sefire sei auf keinen Fall wiederzuerkennen.

Während Sefire ihren Brief auf Hilton-Papier niederschrieb, leerte Irena ein Fläschchen nach dem anderen aus der Minibar. Sie musste sich Mut antrinken.

Zuletzt übergab sie mir mit süffisantem Lächeln ihren Hausschlüssel und konnte es sich nicht verkneifen, noch eine kleine Boshaftigkeit damit zu verbinden:

"Kommt er dir nicht bekannt vor? Aber jetzt ist er nur für Sefire, für den Fall, dass sie ein paar Tage bei mir bleiben will. Und ich warne dich! Du kriegst bestimmt Ärger mit meinem neuen Schlüsselbubi! Hätt'st dich ja besser um mich kümmern können!"

Und dann schwätzte sie noch ein paar französische Worte mit Sefire, aus denen ich unschwer heraushören konnte, dass sie ihre Geschlechtsgenossin vor mir Wüstling zu warnen bemüht war.

"Eigentlich müsstest du ja in der Wanne schlafen. Das kann ich gar nicht verantworten, dass du mit einem so rassigen Weib das Schlafgemach teilst! Reiß' dich ja zusammen!"

Dann flüsterte sie mir noch ins Ohr, Sefire habe sehr viel Geld bei sich. Mehrere 500-Euro-Scheine und ganze Bündel von Dollarnoten mit Leukoplast am Körper festgeklebt. "Wenn das man keinen Ärger gibt!"

Mit dem Tschador in ein Handtuch eingewickelt und dem daran gesteckten Brief, den bisherigen Kleidungsstücken von Sefire, verborgen unter dem etwas angefeuchteten Bademantel - für den Fall der Fälle, dass kontrolliert würde - verließ Irana gegen 23 Uhr mein Zimmer. Ihre Haare hatten wir etwas strähnig gemacht, ihre Gesichtshaut mit Lippenstift gerötet. So müsste es ihr eigentlich gelingen, ohne Verdacht zu erwecken, das Hotel verlassen zu können.

Sefire

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