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Mandy

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Nein, für Bettina war der Tag gelaufen. Sie stürmte heraus aus dem Musentempel. Wohin? In den Hofgarten! Und weiter in den Englischen Garten! Nur Laufen, Laufen, Laufen. Das Adrenalin musste raus! Noch eine Runde um den Kleinhesseloher See. Am Chinesischen Turm eine Bratwurst? Nein, der Appetit war ihr vergangen. Sie fand einfach keine Ruhe. Mehr noch, ja viel mehr als der Auftrag für die Lesben-Recherche hatte sie getroffen, dass sie ihrer selbst nicht mehr sicher war. Die Lesben-Recherche, das hatte sie in Google schon oberflächlich mitbekommen, konnte sie zu einem wesentlichen Anteil vom PC aus erledigen. 1,4 Millionen Eintragungen fand sie allein unter „Lesben München“. Eine schier unübersehbare Vielfalt bot sich ihr da. Wie Piggy – dieser Name hatte sich an der Namenlosen bereits festgesetzt – ganz richtig vermerkt hatte, hatten Politik und Ideologie das Feld stark beackert. Da gab es die Rosa Liste und jede Menge Emanzentum. Ein, zwei Stunden im Internet, da konnte sie sich einen guten Überblick verschaffen. Dennoch blieb es ihr wohl nicht erspart, auch persönlich in die Szene einzutauchen, um ihre Story mit „human touch“ zu bereichern.

Dafür eine Kontaktanzeige aufgeben? Dafür gab es jede Menge Angebote. Mit Fotos – wenn man sich in eine der Kontaktbörsen einwählen würde. Das Alter muss man eingeben, das Alter der gewünschten Partnerin. Natürlich den Beruf und Bildung. Etwas Geld würde sie schon investieren müssen, um schließlich an die eine oder andere Lesbe, von der einen Sorte und von der anderen, heranzukommen. Man würde sich treffen, sich beschnuppern. Man konnte sich sogar als „Neu in der Szene“ outen. Sozusagen als lesbische Jungfrau. Aber das und die Bestellung einiger Publikationen erledigte sie wie selbstverständlich mit journalistischer Routine. Mit Sicherheit würde sie dabei ein paar gebrochene Herzen zurücklassen. Oder?

Dieses Oder ließ sie nicht schlafen. Das waren einfach ein paar Signale zuviel an diesem Tag: Dass der Chef ausgerechnet sie für diesen Artikel ausgewählt hatte, und dass dann noch diese mollige Miss Piggy trotz vieler leerer Tische unbedingt an ihrem Tisch Platz nehmen musste. Wenn sie wenigstens doof gewesen wäre. Aber sie schien ein ziemlich aufgeweckter Typ zu sein. Gepflegt noch dazu. Kontaktfreudig. Ob sie sich melden würde?

Bettina setzte sich wieder an ihren PC. Sie bestellte das Probeexemplar einer Lesben-Zeitung und gab bei drei Kontaktbörsen ihre Wünsche ein.

Doch wenn sie glaubte, dadurch nunmehr Ruhe zu finden, weil damit ein paar Weichen gestellt waren, hatte sie sich getäuscht. Lesbisch – was ist das überhaupt? Sind das die Gene? Kann man da gar nicht anders? Oder sehnt man sich nur nach wissender Zärtlichkeit? Möchte man alles Maskuline verbannen? Sich nur von Frau zu Frau austauschen – in jeder Beziehung? Trifft man da eher die im Geschlechterkampf Gescheiterten? Solche, die alle Illusionen über eine liebevolle Partnerschaft von Mann und Frau begraben haben? Aus welchen Gründen? Brutalität? Gewalt? Erniedrigung? Unterwerfung? In einer Kontaktanzeige war ihr die Headline aufgefallen „Ich bin fett – na und?“ Keine Chance mehr, von einem adretten Mann umflirtet zu werden, höchstens von perversen Typen.

Schon am nächsten Tag fand Bettina eine Reaktion auf eine ihrer Kontaktanzeigen. So schnell? Hatte diese Mandy auch eine schlaflose Nacht mit dem Internet verbracht? Die Stimme am Telefon war angenehm, ein bisschen rauchig heiser. Als Treffpunkt vereinbarten sie den Biergarten am Chinesischen Turm. Kennzeichen: eine große lila Umhängetasche. Kupfergetöntes, gesträhntes Haar. Heller Sommermantel.

War sie je so aufgeregt, wenn sie sich mit einem Mann verabredet hatte? Nein. Aber das geschah ja auch nicht per Kontaktanzeige. Man hatte sich vorher irgendwo gesehen, gesprochen. Jetzt jedoch war Bettina kurz davor, Angst vor der eigenen Courage zu haben. Herzklopfen bis unter die Kinnspitze. So etwas hatte sie noch nie gemacht. Von Ferne schon erspähte sie die lila Tasche. Musterte die graue Maus dazu. Glatt gekämmte, strähnige Haare, die Kupfertönung ziemlich rausgewachsen, Jeansjacke, hellrosa Bluse. Genau so stellte sie sich eine Hartz-IV-Empfängerin vor. Arbeitslos, mutlos, vor sich ein Mineralwasser auf dem verwitterten Tisch. Unsicher, ängstlich schaute sich Mandy nach allen Seiten um. Und war sehr überrascht, als sich Bettina zu erkennen gab. Bettina im Biergarten-Gewand, Dirndl-Andeutung, nicht zu vornehm, kleines Make-up. Aber immer noch ein paar Klassen über Mandy.

Wie begrüßt man sich in einer solchen Situation? Wie eine solche Frau, die zusammengekauert wie ein Bündel Hilflosigkeit um 11 Uhr einsam in einem Biergarten verabredet ist? Nun – sie steuerte geradenwegs auf sie zu, streckte ihr beide Hände entgegen. Mandy erhob sich, sichtlich überrascht, ließ sich umarmen und auf beiden Wangen andeutungsweise busseln. Ein Lächeln ging über ihr Gesicht, während sich Bettina innerlich noch mehr verkrampfte: Diese Mandy schrie förmlich nach jemand, der sie beherzt an die Hand nahm, nach jemanden, auf den sie sich dauerhaft verlassen kann – aber am allerwenigsten nach einer Journalistin, die von nichts weiter als von beruflicher Neugier getrieben war, und keinesfalls bereit, sich zu binden.

„Ich will mir erst einmal was zum Trinken holen. Kann ich noch was mitbringen? Wollen wir nicht irgendetwas essen?“

„Ich hab’ ja mein Wasser!“

Sollte Bettina Mandy mit Sie anreden, um ihr mit dem normalen Respekt zu begegnen? Oder verriet sie sich damit, dass sie nicht zur Lesben-Community gehört. Ist dort nicht das schwesterliche Du üblich?

„Ein paar Weißwürste? Oder ein Leberkäs? Oder ein Salat? Oder lieber was Süßes und ein Kaffee? – auf meine Kasse?“

Mandy reagierte verlegen: „Wenn du unbedingt willst, dann bring mir eine Bratwurst mit Kartoffelsalat. Wasser habe ich hier in der Tasche!“ Sie deutete auf eine mitgebrachte Volvig-Flasche. Thüringischer Singsang.

Zuerst saßen sie sich ziemlich sprachlos gegenüber. Beschäftigten sich mit ihren Bratwürsten. Beäugten sich. Kein Hauch von erotischer Spannung. Keine Blicke auf erogene Zonen. Nichts dergleichen.

„Du musst wissen, ich habe das noch nie gemacht. Hat ne Kollegin für mich da rein gesetzt. Ich hab’ ja gar keinen Computer und so Sachen. Aber weil ich immer so alleine bin, dachte ich mir ....“

Bettina schob die Pappteller mit den Senfresten zur Seite und ergriff die Hände dieser Frau. Einfach so. Ließ sie lange schweigend so in ihren Händen ruhen.

„Die sind ein bisschen rau! Das kommt vom Putzen! Da kriegt man solche Hände!“

Bettina fasste sie noch fester und streichelte sie ein bisschen. Ja, natürlich, ihre Hände verrieten natürlich viel. Von sorgfältiger Maniküre, Nagellack, zarter Haut. Büroarbeit.

„Und was machst du so, dass du dich hier so mit mir verabredest? Bist du auch so allein? Kann ich gar nicht verstehen, bei deinem Aussehen, bei deinem Schick!“

Ja, was sollte Bettina von sich preisgeben. Lügen? Etwas vorgaukeln? Irgendwie was von gescheiterter Berufswahl?

„Ich halte mich auch gerade so über Wasser. Wollte mal Journalistin werden. War zu spät für den Einstieg, für eine richtige Ausbildung und Festanstellung. Habe vorher zu lange mit Männern die Zeit vertrödelt. Träume von Heiraten. Alles geplatzt. Schreibe jetzt mal dies und mal das, und wenn ich Glück habe, wird es gedruckt. Dann kommt ein kleines Honorar. Leben kann man davon kaum. Daneben gebe ich noch Nachhilfe. Manchmal berate ich Leute, die mit ihrem Leben nicht zurecht kommen, ausgerechnet ich.“

„Kannste gleich bei mir anfangen. Aber ....“, Mandy verkniff ihr Gesicht zu einem verlegen Lächeln, „det kann ich mir nich leisten!“

Bettina wurde plötzlich gewahr, dass sie noch immer Mandys Hände umfasste. Ein sehr angenehmes Gefühl. Diese Wärme. Als ob über ihre Hände Energien rüber und hinüber fließen würden.

„Wollen wir ein paar Schritte laufen, durch den schönen Park, oder hast du es eilig?“

„Nee, wenn du meinst, Bettina ....“

„Du kannst Betty zu mir sagen. Das mag ich. Tina mag ich überhaupt nicht. Aber Betty, das ist okay! – Mandy, das klingt nach DDR?“

„Klar, ist ja auch nicht zu überhören. Mandy, eigentlich heiße ich ja Manuela, aber Mandy, das war bei uns schick. Das klang ein bisschen nach Amerika, nach dem Westen, nach dem Klassenfeind!“

„Was machst du in München?“

„Ach, na ja, ich bin mit meinem Freund hierher gekommen. Der hat sowas von München geschwärmt. Jede Menge offene Stellen im Büro, bei BMW und so. War ja auch zunächst so. Habe bei ner Firma angefangen. Aber die hat dann bald zugemacht. Dann habe ich im Kaufhof ausgeholfen, Dekorationsgehilfin. Hat mir nicht so gefallen. Seither suche ich.“

„Und dein Freund?“

„Der hat sich verduftet. Dem war ich als Ostfrau nicht mehr fein genug. Erst ist er fremdgegangen. Dann habe ich ihn rausgesetzt. Ja – und dann? Stehste da, allein. Was mit nem Mann anfangen? Stehe ich nicht mehr drauf. Die wollen immer gleich Sex, immer gleich ins Bett. Alles andere interessiert die doch nicht. Kein Gespräch, oder mal bummeln, mal ins Theater – auch das wäre mein Traum. Und du? Du bist doch auch keine Lesbe! Hast auch die Nase voll mit Männern – oder?“

„Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht mehr, was ich bin. Mit nem Kerl zusammenwohnen, nee, das kommt wohl nicht mehr infrage. Und Affären? Die strengen an, die nerven. Dann habe ich mir gedacht, eine nette Frau kennenlernen, genau wie du, zum miteinander reden, bummeln, sich besuchen, Musik hören, gammeln – und immer ohne die Bedrohung, dass man unbedingt Sex haben muss. Zärtlichkeit ja, einfach so sich fallenlassen können!“

Bettina und Mandy, die eigentlich Manuela heißt, fanden eine schattige Bank. Um sie herum quirlte das Leben. Radfahrer, Jogger, Mütter mit Kinderwagen, Verliebte, Hunde-Ausführer, Einsame zogen an ihnen vorbei. Bettina schrak innerlich immer wieder zusammen: Ja, sie kannte sich selbst nicht mehr. Hatte sie doch einfach so ihren Arm um Mandy gelegt. Ihre Wärme zu spüren, da war ein Drang nach Nähe. Mandy hatte ihre Jeansjacke abgestreift. Mandy, die Hartz-IV-Empfängerin. Muss sich eifrig bewerben.

„Eigentlich bin ich auch arbeitslos!“ meinte Bettina. „Aber mich beim Arbeitsamt melden? Da habe ich mich bisher vor gedrückt. So habe ich meine Freiheit. Muss ja nicht alles beim Finanzamt angeben.“

„Und wer kommt zu dir, um sich beraten zu lassen?“

„Nun zum Beispiel so jemand wie du. Jemand, der sich fragt, ob das alles gewesen ist in seinem Leben. Ob’s noch eine Chance gibt, irgendwas zu erreichen. Irgendeine Erfüllung zu finden. Oder doch noch eine Ausbildung zu beginnen.“

„Ausbildung? Ausbildung, um dann weiter arbeitslos zu sein? Chancenlos?“

„Mandy, chancenlos, das gibt es nicht. Man darf sich nicht aufgeben.“

„Ach, lass uns gehen. Ich wohne eine Viertelstunde von hier. Da kann ich uns einen Kaffee machen. Aufgeräumt ist es aber nicht. Für wen denn auch?“

„Für dich selbst; Mandy! Du müsstest es dir doch wert sein. Du musst wieder was aus dir machen. Vielleicht kann ich dir helfen!“

Bettina wusste nur zu gut, dass sich das so leicht daher sagt. Eine Mandy, allein, ohne besondere Ausbildung, in einer teuren Stadt wie München, ängstlich, jeden Cent dreimal umdrehen. Was blieb ihr da anderes, als sich nach einer Partnerin umzusehen? Nur kein Mann! – Es war nicht nur Neugierde, die sie nur zu bereit fand, mit Mandy in deren Dachkammer hinaufzusteigen. Bettina kannte sich selbst nicht mehr.

Wohnschlafkammer unter schrägen Wänden, eine kleine Küche, ein winziges Duschbad mit Klo. Heute, an einem solchen Sonnentag schier unerträglich warm.

„Mach dir’s bequem!“ Bequem auf dem noch aufgeklappten Schlafsofa? Nein, Mandy schob die verknautschte Wäsche einfach zusammen. Ohne zu zögern befreite sie sich von der Bluse. „Heiß ist’s! Ich weiß oft nicht, wie ich hier überleben soll. Im Winter ist es zu kalt. Im Sommer zu heiß. Im Winter ziehe ich mir drei Pullover übereinander, im Sommer lasse ich manchmal alle Hüllen fallen. Aber dann schwitzt man auch.“

Dann saßen sie Seit an Seit auf der Couch, die schon bessere Tage gesehen hatte. Bettina zitterte innerlich. Mandy nur mit diesem schwarzen BH. Viel Frau, viel Busen, viele Leberflecke. Auf einmal ertappte sie sich dabei, dass sie Mandy durch die Haare fuhr. Sie erschrak. Suchte schnell nach einer Begründung.

„Ich würde dir gern deine Haare wieder tönen und dich richtig schick machen! Aber dafür müssten wir wohl zu mir fahren. Vielleicht gehen wir abends noch ins Kino oder zu einer Vernissage. Irgendwo ist immer was los in München!“

Ihre Hände wanderten von den Haaren auf die Schultern. Mandy ließ es offenbar gern geschehen. Verharrte wie erstarrt.

„Du musst verstehen, Betty, ich habe noch nie eine Frau angefasst. Ich wundere mich über mich selbst. Ich bin ja keine Lesbe. Ich weiß gar nicht, was das ist. Interessiert mich auch eigentlich nicht, was die da tun. Nur allein sein, allein sein, das wollte ich nicht mehr. Jemanden wie dich neben mir haben, deine Hände, deine Gedanken, wie du mit mir sprichst, das ist schon mehr, als ich erwartet hatte.“

Dann wandte sie sich Bettina zu und umarmte sie. Fest, ganz fest, so dass sich ihre Brüste herausquetschten. So, dass sie beide nach hinten fielen. Und Bettina unter den vollen Brüsten nach Atem ringen musste. Dass sie den salzigen Schweiß auf den Lippen spürte – und genau in dieser Sekunde war es ihr, als ob sich ein Schalter umlegte. Genau in dieser Sekunde! Nein, genau das wollte sie nicht. Genau dagegen stemmte sich in ihr in dieser Sekunde alles. Keine weichen Brüste küssen! Nein, diese Brustwarzen, plötzlich ekelte sie sich davor. Der ausgeleerte, runterhängende BH, diese Entzauberung. Sie versuchte, sich und Mandy wieder aufzurichten. Jetzt nur keinen Fehler machen, keine seelischen Verletzungen, nicht bei Mandy, nicht bei ihr. Nicht Mandy von sich weisen; aber wieder Distanz herstellen. Distanz zwischen den pendelnden weichen, schweißglänzenden Brüsten, den viel zu nahen Lippen, den strähnigen Haaren.

Mandy begriff zunächst gar nichts. Auch ihr war die Situation total entglitten, war ihr peinlich. Umarmen ja, aber mehr doch nicht. Nicht dieses nach hinten Umkippen, diese ungewollte Attacke, wie wohl sie sich immer mal wieder Gedanken gemacht hatte, wie sich von Frau zu Frau die Körper anschmiegen, Brüste auf Brüste, Schenkel auf Schenkel. Aber nun der Kontrollverlust. Der dunkle Schweißfleck auf Bettinas Bluse, ihre hängenden Brüste, der auf den Bauch gerutschte BH. Mit vielen entschuldigen Wörtern, Satzfetzen stand sie auf. Sah wohl die starren, ängstlichen Augen der anderen. Der Fremden. Der Freundin? Und rannte ins Bad unter die Dusche.

Bettina wäre am liebsten sofort geflohen. Nur raus aus der Wohnung. Raus aus der intimen Nähe. Die immer noch intimer wurde, denn Mandy hatte die Tür hinter sich nicht zugezogen. Nackt unter der Dusche. Fragte überdies noch, ob auch Betty schnell eine erfrischende Dusche genießen wolle. Beide nackt? Und man kannte sich erst anderthalb Stunden? Der Schalter war umgeschlagen. Was eben noch im Reich der Phantasien so überaus reizvoll, so süß, so zärtlich, sanft an ihr vorübergezogen war, dieses verführerisch andere, neue Szenario von Erotik, hing nun in Fetzen herab wie der ausgeleerte Push-up-BH. Wie nun sich aus der Affäre ziehen? Ohne Mandy zu verletzen? Ohne sie noch tiefer hinabzustoßen in ihre Verzweiflung?

Mandy aber wusste nichts von diesem Schalter. Ahnte nichts von der umgeschlagenen Sehnsucht. Nichts von Bettinas Zerrissenheit. Unverhüllt trat sie, sich abtrocknend, in den Raum. Geradezu unschuldig – hatten sie sich nicht auf ein Lesben-Inserat hin kennengelernt? Wie sollte sie Scham empfinden, sich gegenüber dieser Bettina nackt zu zeigen? Nein, nun hatte sich für sie das Tor zum Neuen geöffnet. Nun trat sie in ihrer Nacktheit an Bettina heran und wollte ihre schweißgefleckte Bluse öffnen. Nestelte an den Knöpfen. Bettina erlebte sich starr und hilflos. Hob ihre Hände, faltete sie hinter ihrem Kopf. Was tun? Als ob eine andere Bettina neben ihr stehen würde, ließ sie es geschehen. Ließ sie die Knöpfe öffnen. Ließ sie Mandys Hände die Bluse aus dem Rocksaum ziehen. Stand sie nun auch da im rosa BH, ausgeliefert der vermeintlich ersehnten Zärtlichkeit. Nein, Mandy geizte mit den Sekunden. Wollte nicht erst die Häkchen auf dem Rücken lösen, sondern zog gierig die rosa B-Körbchen herab. Bettina hatte nicht viel zu bieten. Ihre Brüste kamen ihr immer als zu dürftig vor. Aber in dieser Körperhaltung sprangen sie förmlich nach vorn.

Erst als sie spürte, wie Mandy ihren Busen gegen ihren zu pressen versuchte, löste sich in ihr die Starre. Nein, nein und nochmals nein – das wollte sie nicht. Und hätte sie es sich noch so oft in Träumen vorgestellt.

„Lass uns nichts überstürzen, Mandy! Nicht so schnell! Nicht gleich alles! Lass mir Zeit!“ flehte sie und entzog sich der engen Umklammerung. Drängte die nunmehr Verängstigte zurück.

„Habe ich was falsch gemacht?“

„Nein, Mandy, aber vielleicht später mal, später. Jetzt nicht. Lass uns reden. Lass uns wieder in den Park gehen oder ins Café.“

Total verunsichert standen sich jetzt die beiden Frauen gegenüber, die Nackte, die schnell nach ihrem Handtuch griff, und Bettina, die ihren BH wieder zu richten versuchte. Ihr Atem ging schnell. Röte stand ihnen im Gesicht. Schweißtropfen.

Am liebsten wäre Bettina gleich aus der Wohnung geflüchtet. Ehrlich wäre es gewesen. Denn der Schalter hatte sich umgelegt. Nein, so wollte sie ihre Recherche nicht weiterführen. Wenigstens das hatte sie bisher erbracht: dass sie keine wirklich lesbischen Neigungen ausleben könne. Phantasien hin, Phantasien her – die Wirklichkeit hatte sie jäh eines anderen belehrt.

Beide tranken noch einen Cappuccino auf der Leopoldstraße. Mandy konnte ihre Tasse nur unter Zittern zum Munde führen, so sehr war sie noch von ihrem untauglichen Ausflug auf unbekanntes sexuelles Terrain mitgenommen. Bettina genehmigte sich noch einen Cognac. Es würde lange dauern, bis sie das alles verkraftet und verarbeitet hätte. Ohne Mandy noch mehr ins Aus zu stoßen. Am liebsten hätte sie die letzten Stunden total ausradiert.

Die Recherche

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