Читать книгу Truski - das Römermädchen vom Reitstein - Werner Siegert - Страница 10

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Elsterhorst in der Krise

Elsterhorst rief von unterwegs ein Taxi. Da, wo ihn niemand sehen konnte, packte er sich und Rinaldo auf den Rücksitz und gab seine Adresse an. Er wollte nicht noch einmal ins Büro zurück. Er fürchtete, Beschuldigungen ausgesetzt zu werden ob seines Verhaltens auf dem Friedhof, so wie es der Sender LOOK MUC verzerrt dargestellt hatte. Wie könnte er diesen total verfälschten Eindruck jemals wieder löschen?

Auch beim Aussteigen fühlte er sich beobachtet. Litt er an Verfolgungswahn? Diese Sutter hatte ihn als den „Polizisten mit dem Hund“ öffentlich gemacht. Und Rinaldo war jetzt an jedem Kiosk zu sehen.

Vielleicht hatte der Junge auch noch unbemerkt ein Foto von ihm gemacht, das dann auch noch irgendwann in YouToube oder einer anderen Verblödungsplattform auftauchen könnte. Einmal drin, kam man nie wieder raus. Es gibt keinen Radiergummi fürs Internet! Totsein genügt bei weitem nicht.

Warum das Ganze? Alles nur Wichtigtuerei! entschied er.

Also schob er den Hund in seine Wohnung und ging ohne ihn ein paar Straßen weiter, um etwas zu Essen zu kaufen. Dann saß er da hinter seinem Couchtisch und tunkte tiefsinnig die Pommes frites in die Tomatensoße, während Rinaldo gierig an einem Schnitzel schmatzte. Kein Fernsehen heute, kein Radio.

Gerade hatte er beschlossen, eine Flasche Rotwein zu öffnen und sich damit – wenn schon nicht in einen Vollrausch – so doch in den Schlaf zu trinken. Fast hätte er vergessen, die zweite Hand zu den anderen Reliquien ins Kühlfach zu legen. Da läutete die Türglocke.

Nein, ich bin nicht da. Heute Abend nicht. Er war wild entschlossen, nicht zu öffnen. Niemandem!

Aber das Klingeln hörte nicht auf. Rinaldo sah ihn an. Er würde jeden Augenblick anfangen zu bellen. Und das hätte das ganze Haus aufmerksam gemacht.

Reporter, dachte er. Zeitungsmenschen. Paparazzi. Entsprechend reserviert war sein Ausdruck, als er nach langem Zögern doch die Türe öffnete. Rinaldo fegte herbei. Knurrte, bellte, drehte sich tänzelt herbei

„Mensch, Maurice! Hast du geschlafen oder was?“

„Schorsch!“ sagte Elsterhorst. Du hast mir gerade noch gefehlt, wollte er sagen.

„Was soll das?“ kam ihm der andere zuvor. „Bin ich nicht dein alter Schulfreund – und Detektiv? Ja, Detektiv! Du kannst dir doch vorstellen, dass mich das alles brennend interessiert. Aber warte, ich habe dir jemand mitgebracht!“ Er wandte sich in das inzwischen wieder dunkle Treppenhaus.

„Judith! Du kannst kommen. Der Herr Kommissar hat uns aufgemacht.“

Jetzt kannte der Hund wieselnde, quietschende, jaulende Freude, kannte er die Frau doch von vielen hundelebensfreudige Begegnungen.

„J u u d i t h ?“

Und schon führte er Judith Schwertfeger herein, seinen Arm vertraulich um ihre Schultern gelegt.

„Maurice!“ sagte sie zu ihrem alten Freund, der sich allerdings am liebsten in Luft aufgelöst hätte. „Ich bin stocksauer. Du kannst dir doch denken, dass es wichtig für mich ist, wenn Ihr hier alte Römer oder sogar eine Etruskerin ausgrabt. Muss ich das aus der Zeitung erfahren?“

„Und müsst Ihr alles in die Gegend schreien? Ich habe doch mit diesen Römern gar nichts zu tun! Wieso hast du in London davon erfahren?“

„War doch ein riesiges Titelbild, mit dem der INTERNATIONAL STAR aufgemacht hat!“

Judiths Erscheinen, zusammen mit Georg Weickert, hatte Elsterhorst völlig aus dem Konzept gebracht. Er gab die Tür frei und die beiden gingen ohne Umschweife auf die Couch im Wohnzimmer zu. Rinaldo schleckte Judith beide Hände ab. Etruskerin? War das etwa der Fall, von dem der Kollege Velmond kurz gesprochen hatte? Zusammenreimen konnte er sich das alles nicht.

Im Unterschied zu Judith hatte der schwarze Labrador den ihm fremden Weickert, ihm nicht ganz geheuren Gast, kurz beschnüffelt, fand ihn verdächtig und legte sich in die Mitte des Zimmers. Die Schnauze auf den Fremden gerichtet. Jener sollte wissen, dass dies hier sein Revier ist, wo er Judith und sein Herrschen zu beschützen hatte.

„Also“, fragte Elsterhorst, „was ist los mit Euch? Besonders mit dir, Judith? Da lässt du eine Ewigkeit nichts von dir hören und wunderst dich, dass ich nicht sofort ans Telefon renne, wenn sie hier irgendwo ein paar Knochen finden?“

„Ein paar Knochen? Ein ganzes Skelett!“

„Nun verstehe sie doch, Maurice“, schaltete sich Weickert ein, „wir waren immer ein Team, schon auf der Schule, als du die Kleine behütet hast und du mir aus allen Verlegenheiten heraushalfst. Und nun sitzt sie da in London bei ihrem Verlag und hier spielt sich die Story ihres Lebens ab. Ich habe sie angerufen. Und sie kam. Wir kommen direkt vom Flughafen.“

Elsterhorst warf Judith einen misstrauischen Blick zu.

„Ich hätte dich auch abgeholt“, sagte er. Und dann zu Georg:

„Und du? Interessierst du dich jetzt auch für alte Knochen?“

„Nein, für frischere. Besonders, wenn es Handknochen sind. Mensch Maurice, jetzt gib uns endlich etwas zu trinken!“

Elsterhorst hatte seine Fassung wieder gewonnen. Er stellte Gläser auf den Tsch und entkorkte die Rotweinflasche.

„Ich habe noch mehr davon“, sagte er. „Also, auf uns!“

Judith nippte nur an ihrem Glas.

„Ich brauche jetzt erst einmal ein Glas Wasser.“ Als Elsterhorst sich erheben wollte, wiegelte sie ab: „Nein, lass’ nur, ich hole es mir schon.“

Sie ging in die Küche. Als sie wieder kam, hielt sie keineswegs ein Glas Wasser in der Hand, sondern eine fest verschlossene Tupperschale. Sie stellte sie auf den Tisch und sah Elsterhorst herausfordernd an.

„Judith! Was hast du in meinem Kühlschrank verloren! Was soll das?“

„Ich wollte mir nur ein paar Eiswürfel holen. Und was finde ich? Das hier! Und nun frage ich dich, Maurice: Was hat eine tiefgekühlte Katzenpfote in deinem Kühlschrank zu suchen?“

„Hundepfote!“

„Nein, Katzenpfote!“

„Rinaldo“, rief sie. „Komm mal her. Gib Fuß!“

Er kam und Judith fasste seine dargereichte Pfote und legte neben die Pfote aus der Schale auf den Tisch.

„Nun?“ sagte sie. „Hat Rinaldo etwa ausfahrbare Krallen? Ist da irgendeine Ähnlichkeit?“

„Nein“, gab Elsterhorst kleinlaut zu. „Also keine Anspielung auf London! Kein etruskischer Racheakt? Was aber dann?“

Weickert, der stumm dem allen zugesehen hatte, griff ein.

„Also, Maurice, was ist los? Du bist mal wieder in der Klemme. Das sehe ich dir an. Lass` dir helfen.“

Diesen Tonfall kannte Maurice. Er war schon einmal darauf hereingefallen – und hatte es bitter bereut. Aber jetzt – er hatte kaum geschlafen, fast nichts gegessen und in der Aufregung zwei Glas Rotwein in einem Zug ausgetrunken. Seine Widerstandskraft war erschöpft. Also redete er. Erzählte alles, was sich bisher zugetragen hatte – von den Händen bis zur Pfote.

„Sind diese ominösen Hände etwa auch in deinem Kühlschrank?“ fragte Weickert.

Elsterhorst nickte.

„Die Plastikpäckchen?“ fragte Judith. „Und ich dachte, du hättest ausnahmsweise einmal Lebensmittel gebunkert.“

Weickert setzte zu einer längeren Rede an. Niemand unterbrach ihn.

„Also Maurice, da läuft ein Hand-ab-Mörder frei herum Ja, ich habe den Artikel am Flughafen gelesen. Du sollst ihn finden und dem Spuk ein Ende bereiten. Jemand bedroht oder erpresst dich mit einer Katzenpfote. Und was machst du? Du verschanzt dich mitsamt den Leichenteilen in deiner Wohnung, lässt dich volllaufen und pflegst deine Depression. Sag’ mal geht es noch schlimmer?“

Elsterhorst schwieg gekränkt.

Weickert fuhr fort:

„Ich mache dir einen Vorschlag. Du erinnerst dich doch an Luisa de Valmont?“

„Die verrückte Hellseherin? Die mit dem unsäglichen Mummenschanz?“

„Ja, die. Gut, ich glaube auch nicht an das ganze Theater, was sie da aufführt. Aber eines ist sicher: Manchmal trifft sie direkt ins Schwarze. Ich habe es selbst erlebt. Was immer es ist, was sie erleuchtet, Sternenstaub, kosmische Strahlen oder ganz einfach Intelligenz und gesunder Menschenverstand – ihre Ratschläge sind meistens sehr hilfreich.“

„Ich soll ihr das Zeug schicken?“ Elsterhorst Miene drückte Entsetzen und Verachtung aus.

„Nein, mein Lieber, wir packen unsere Koffer, stecken Hände und Pfote ins Handgepäck und fahren in die Eifel. Dann kommst du auch mal raus aus diesem Loch.“

„Jetzt?“

„Nein, aber morgen früh. Ich fahre Judith in ihr Hotel und gehe nachhause. Und du schläfst deinen Rausch aus und bist um zehn Uhr reisefertig. Sage deiner Behörde, dass du eine Spur verfolgst. Stimmt ja auch. Also? Wir holen dich und Rinaldo hier ab.“

Elsterhorst war zu müde um sich zu wehren.

Er nickte nur und brachte die beiden wortlos zur Tür.

„Wartet hier!“ Weickert hatte Rinaldo am Halsband gefasst. „Ich gehe noch schnell mit ihm auf die Straße.“ Er zerrte den widerstrebenden Hund über den offenen Durchgang zum Aufzug.

Elsterhorst sah Judith an: „Schöö, dass du daa bis!“

„Schön, dass du das sagst.“

Dann ging sie. Rinaldo kehrte erleichtert zurück.

Elsterhorst legte die Pfote behutsam wieder in dasTiefkühlfach, brachte Rinaldo eine Schüssel Wasser und warf sich in voller Kleidung auf die Couch.

Er schlief sofort ein.

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