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»Die Liebe zum Ballett hat mir niemand nehmen können« – Maria-Helena Buckley
Оглавление»Ballett ist wie eine Religion für die, die es ernsthaft machen.« Dass Kunst eine zentrale Rolle in Maria-Helena Buckleys Leben spielt, wird ihr bereits in die Wiege gelegt: Beide Eltern sind Künstler und fördern die Talente ihres Kindes, wo sie können. Weil es ihr an Körperspannung fehlt, schickt der Vater sie zum Ballettunterricht in eine private Akademie um die Ecke mit bestem Ruf. Bald liebt sie das Tanzen, und mit neun Jahren ist es ihr dann schon ernst: Sie hat viel Ballett gesehen, sich von einer ehemaligen Tänzerin des New York City Ballet, bei der sie zwischenzeitlich trainiert hat, begeistern lassen und träumt davon, ebenfalls auf der Bühne zu stehen. Täglich nimmt sie Trainingsstunden und wechselt mit 14 an eine private Ballettschule, wo sie das Glück hat, von einer der großen Primaballerinen ihrer Zeit unterrichtet zu werden, die sich auch als wunderbare Lehrerin erweist.
»Ich lebte in der Illusion der Wichtigkeit dessen, was ich machte, besonders als Kind: Ballett, das war das Heiligste und Schönste, was es auf der Welt gab. Das half auch über Probleme mit meinen Eltern und im Privatleben hinweg. Sogar als ich später am Theater schwierige Zeiten hatte: Die Liebe zum Tanz hat mir niemand nehmen können. Wenn alles schön war, dann war es wirklich schön. Dann gab es nichts, was ich damit vergleichen könnte. Es gibt nichts Schöneres als diesen Beruf.«
Mit 16 trainiert sie in den Winterferien bei der Ballettkompanie der Oper mit und nimmt kurze Zeit später an der Audition für das Corps de Ballet teil – mit Erfolg. Zwar soll sie eigentlich das Abitur machen, doch der Unterricht lässt sich mit dem Engagement nicht vereinbaren, und Buckley bricht die Schule ab. Zwei Wochen nach Antritt steht sie bereits in Schwanensee auf der Bühne. »Als ich angefangen habe, war es viel, viel schöner als geträumt. Später kamen dann die Intrigen, Schmerzen und Eifersüchteleien dazu, die hatte ich so nicht erwartet. Man merkt es erst, wenn es einen selbst betrifft. Aber anfangs war alles ein Traum.«
Für die jungen Eleven wird nachmittags ein Extratraining angeboten, in dem Buckley ganz akribisch Grundlagen lernt. Sie merkt schnell, dass ihre Technik noch nicht perfekt ist. Sie hat Angst vor den schwierigen technischen Stellen: Manchmal klappt es, manchmal nicht, erwartet wird aber, dass es immer 100-prozentig klappt. Zum Glück helfen ihr die Ballerinen der Kompanie bei der Verbesserung ihrer Technik und vervollständigen so ihre Ausbildung.
Mit 18 wechselt sie an ein kleineres Stadttheater, nicht zuletzt weil ihre Hauptmentorin, ihr großes Vorbild, ebenfalls dorthin engagiert wird. Hier lernt sie ihre spätere beste Freundin, eine gleichaltrige Tänzerin, kennen. Allen Vorurteilen vom Konkurrenzkampf in der Ballettwelt zum Trotz gehen die beiden ihren weiteren Berufsweg zusammen, tanzen an den gleichen Häusern und werden etwa zeitgleich befördert; sie unterstützen sich mental – und teilen vor allem ihre Ballettbesessenheit. »Wir waren echte Ballettfanatiker. Die anderen haben uns schon fast belächelt dafür, dass wir uns den ganzen Tag ausschließlich mit Ballett beschäftigten. Abends haben wir Vorstellungen angeguckt, im Theater oder auf Video, und haben gemeinsam getanzt, geübt, viel Spaß gehabt.« Sie kaufen sich jedes Ballettbuch, später auch Bücher zur Anatomie und Physiologie und eignen sich so im Selbststudium Wissen an, mit dem sie bis zu diesem Zeitpunkt noch kaum in Berührung gekommen sind.
Nach zweieinhalb Jahren wechseln beide an die Oper der Großstadt zurück, zunächst mit einem Gruppenvertrag. Es dauert drei weitere Jahre harter Arbeit, bis Buckley zur Solistin ernannt wird, ihre Freundin später sogar zur Ersten Solistin. »In den großen klassischen Kompanien muss man sich in der Hierarchie hocharbeiten. Das war mir immer klar. Deshalb war ich auch nicht wie viele meiner Kollegen geschockt, als ich bei meinem ersten Engagement in die Gruppe gesteckt wurde, obwohl ich doch vorher in der Ausbildung die ganzen Solo-Partien gelernt und meine Primaballerinenträume kultiviert hatte.«
Buckley sieht ihren Solotänzerinnen-Status vor allem als Ergebnis jahrelanger Arbeit an, Dranbleiben und Sich-Durchbeißen ist ihre Devise, und dafür liefert ihr ihre Liebe zum Tanz die nötige Motivation. Außerdem entspricht sie körperlich dem Klischee der klassischen Tänzerin: langer Hals, hübscher Kopf, schöne Füße, Technik, Ausstrahlung. Und sie wird – wie viele ihrer Solo-Kollegen auch – innerhalb der Kompanie entdeckt und gefördert: von einem Gastchoreographen, der sie von Anfang an in seinen Stücken gut besetzt.
Dass sie so viele Jahre bei einer Kompanie bleibt, hat sie nie geplant, lange denkt sie, dies sei nur ein Zwischenstopp. Sie tanzt beispielsweise am American Ballet Theatre vor und bekommt die Chance, dort anzufangen. Da sie zeitgleich ihren zukünftigen Mann in der alten Kompanie kennenlernt, entscheidet sie sich letztlich aus privaten Gründen dagegen. Im Nachhinein bedauert sie es etwas, dass sie mit 30 nicht noch einmal den Sprung gewagt hat und zu einem spannenden Choreographen in eine kleinere Kompanie gewechselt ist:
»Ich war 20 Jahre auf der Bühne, mit Spitzenschuhen, Tutu und Krönchen, war glücklich, hatte eine sehr gute Position und sehr viel Glück. Aber wenn ich sehe, wie die Choreographen mit ihren Leuten arbeiten, vermisse ich das manchmal. In einer kleineren Kompanie zu arbeiten, nicht in dieser großen Hierarchie, und vielleicht individueller, wo es dann auch um mich geht, wo sich ein Choreograph mit mir beschäftigt und mir auch Freiheiten lässt. Hier haben die Gastchoreographen natürlich auch Stücke für die Kompanie gemacht, aber es gab immer schon ein Schema, in das man reinpassen musste. In einer kleineren Kompanie ist man plötzlich wichtig.«
Im Verlauf ihrer Bühnenkarriere kann Buckley beobachten, wie sich gewisse Dinge in den großen Ballettkompanien verändern. So hat sich etwa das Corps de Ballet stark verjüngt; Jugend, hohe Beine und ein schöner Körper scheinen nun in stärkerem Maß ausschlaggebende Kriterien für ein Engagement zu sein. Für Buckley hat sich damit eine Kluft zwischen Gruppe und Solisten, dem ›Dekor‹ und den Rollen aufgetan. Früher bestand durch die Altersdurchmischung im Corps eine Hierarchie, welche die Gruppe zusammenhielt: Die Jüngeren konnten sich von den Älteren etwas abschauen, wurden von ihnen korrigiert und häufig auch getröstet. Das ist nun nicht mehr möglich; dafür ist der Tanz noch sportlicher, athletischer und virtuoser geworden. Außerdem bringen die Berufsanfänger mittlerweile andere Erwartungen mit: Sie möchten schneller etwas erreichen – durchaus verständlich, wenn umgekehrt von ihnen verlangt wird, dass sie als fertige Tänzer an die Bühnen kommen und ihnen auch als Eleven keine Zeit mehr eingeräumt wird, ihre Ausbildung durch Extratraining und allmähliches Sammeln von Bühnenerfahrung zu vervollständigen. Dadurch sei, so Buckleys Eindruck, der Respekt den Älteren gegenüber etwas verloren gegangen. Die Neuen werden in der Regel rascher mit Solopartien betraut, allerdings hoffen sie oft vergeblich auf eine Beförderung, da keine Zeit bleibt, jemanden wirklich aufzubauen. Auch das Rollenstudium findet weniger Raum: »Die Direktoren sehen irgendwo Talent, und auf die Bühne, fertig, los, die wird das schon irgendwann kapieren.«
Der Abschied von der Bühne beginnt für Maria-Helena Buckley schleichend, eine lange Phase des Abbaus. »Plötzlich bekam ich nicht mehr so viele und gute Rollen, obwohl sich bei mir leistungsmäßig nichts verändert hatte. Ich hatte immer geglaubt, dass es reicht, sein Bestes zu geben, gut zu sein. Man muss aber auch politisch korrekt sein, das heißt, viel Zeit vor der Ballettdirektion verbringen und immer wieder nachfragen.« Buckley muss damit zurechtkommen, dass andere ihre Rollen übernehmen, dass sie mit ihren 33 Jahren plötzlich als alt abgestempelt wird, obwohl sie das Gefühl hat, künstlerisch erst richtig in Fahrt zu kommen. »Vorher war alles so anstrengend. Jetzt weiß ich, warum ich das mache, und jetzt darf ich nicht mehr.« Da man nach 15 Jahren Festengagement am selben Haus unkündbar wird und bis zur Rente in einer anderen Position weiterbeschäftigt werden muss, bekommen die meisten Tänzer kurz vorher ihr Kündigungsschreiben – so auch Buckley. Doch darf das laut Gesetz niemals der offizielle Grund der Kündigung sein. »Sie dürfen nicht sagen, warum jemand wirklich gehen muss, also erfinden sie ihre Gründe. Das ganze Negative, das nagt am Selbstbewusstsein. Man zweifelt viel an sich, man muss trotzdem den Mut haben, auf die Bühne zu gehen, aber man wird immer unsicherer.«
Für Buckley ist es eine riesige Enttäuschung zu erleben, wie respektlos die Ballettdirektion sie behandelt. »Du gibst alles, deine Seele, und dann wird dir einfach in einem Brief gesagt: Tschüss, alles Gute für Ihre Zukunft. Kein Gespräch mit dem Intendanten. Man ist nicht darauf vorbereitet, dass man ohne Probleme ersetzbar ist. Es zählt überhaupt nicht, was du geleistet hast. Das ist sehr, sehr schwer.«
Es dauert eine Weile, bis der Schmerz nachlässt. »Man muss sehr aufpassen, dass man nicht verbittert wird. Ich bin froh, dass ich den Leuten von der Direktion mittlerweile wieder normal begegnen kann. Aber das hat eine Zeit gedauert.«
Als Tänzerin sieht Buckley für sich keine Alternativen. Sie will keine halben Sachen machen und hört von einem Tag auf den anderen mit dem Tanzen komplett auf – was dazu führt, dass sich alle alten Verletzungen bemerkbar machen und sie unter starken Schmerzen leidet. Zum Glück hat sie noch während ihrer aktiven Tanzzeit die Kamera entdeckt, die ihr, wie sie im Rückblick sagt, vielleicht das Leben gerettet hat. Heute, zwei Jahre nach Ende ihrer Bühnenkarriere, ist Maria-Helena Buckley in einem neuen Beruf angekommen, in dem sie ihrer großen Leidenschaft Ballett weiterhin treu bleiben kann: als selbstständige Tanzfotografin.
»Die Traumwelt, in der ich damals gelebt habe, hat sich verändert, aber es war ein Traum, ein guter Traum von mir, der zwischendurch auch Alpträume beinhaltete. Das Aufwachen war sehr schmerzhaft, aber es hat mir auch etwas Neues gegeben. Jetzt wo ich draußen bin, kann ich sagen, dass man in dieser Traumwelt auch sehr geschützt ist – trotz aller Probleme und Dramen. Allein in der freien Szene mit drei Berufen, das ist schon eine ganz andere Geschichte.«