Читать книгу AH-HOTEP oder: Die Befreiung Ägyptens - Wieland Barthelmess - Страница 5

Der wiedergeborene Mond

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Kannst du den Mond sehen,

brauchst du dich um die Sterne nicht zu kümmern.

Vor fünf Monaten erst war Pharao Senacht-en-Re Ahmose die weiße Krone des südlichen Landes aufs Haupt gesetzt worden. Erleichtert hatte das Volk zur Kenntnis genommen, dass Pharao seinen kriegerischen Namen zwar auch zu seinem Thronnamen gemacht hatte, der aller Welt zeigen sollte, dass er seinen Gegnern mutig gegenübertreten würde. Zu seinem Horusnamen jedoch, der die Art und Weise seiner Machtausübung umriss, wählte er das schlichte Meri-Ma’at – Der die Ma’at liebt. Es war die Ankündigung einer um Gerechtigkeit bemühten Herrschaft, die Ausgeglichenheit und Frieden versprach.

Die Krönung war ein großes Ereignis, zu dem aus dem ganzen Land die Menschen zusammengeströmt kamen. Sogar eine Gesandtschaft aus dem fernen Kefdet hatte den weiten Weg auf sich genommen, um dem neuen König zu huldigen und ihm wertvolle Geschenke zu überbringen. Immerhin hatte Apopi die durch sein Herrschaftsgebiet nilaufwärts fahrende Delegation nicht daran gehindert, Waset zu erreichen. Der missgünstige Hirtenkönig aus Avaris, hatte allerdings selbst keinen Gesandten auf den Weg geschickt, als ob er damit zum Ausdruck bringen wollte, dass er die Herrschaft Senacht-en-Res nicht anerkannte. Schlau hatte Teti-scheri darauf bestanden, dass nach der Inthronisation sämtliche Geschenke öffentlich vorgeführt wurden. So hatte manch einer der Gaufürsten noch schnell etwas seinen Gaben hinzugefügt, damit nur nicht der Eindruck entstand, dass er mit den anderen nicht mithalten konnte.

„Wir bedauern, dass einige wenige der Fürsten auf die Überreichung von Geschenken verzichten mussten“, verkündete Teti-scheri zum Abschluss der Darbietung der Gaben. „Doch es ist sicherlich besser so, denn es herrscht offenbar Armut in ihren Palästen. Und bevor sie ihrem Volk die Geschenke abpressen, die sie dann doch nur in ihrem eigenen Namen überreichen, ist es besser, das Volk unbehelligt zu lassen.“

Apopi soll sich maßlos über ihre Worte geärgert haben, wie man Teti-scheri später hintertrug. Das Volk hatte sie jedoch mit Erleichterung und Dankbarkeit aufgenommen, schienen sie doch ein Versprechen zu sein, dass Pharao sein Volk zukünftig nicht mit hohen Abgaben bedrängen würde. Noch mehr ärgerte sich Apopi allerdings darüber, dass die Große königliche Gemahlin bei der Parade der königlichen Truppen den kaum seinem Säuglingsalter entwachsenen Thronfolger dem Heerführer, General Nacht-min, in den Arm gelegt hatte, damit er ihn seinen Truppen vorantrug. Die Soldaten sollen so begeistert gewesen sein, dass ihr Jubel sogar das Gebrüll der Nilpferde übertönte. Das Kind soll währenddessen selig gelächelt und munter mit den Armen gerudert haben, als ob es die Soldaten noch zusätzlich anfeuern wollte.

In den vergangenen Monaten hatte Teti-scheri alles versucht, um den alten Palast in Waset etwas freundlicher und weniger finster zu gestalten. Doch es war kaum zu glauben, wer alles seitens des Hofstaates Vorbehalte anmeldete. Die altehrwürdige Heiligkeit des Ortes würde gestört, fürchteten die Priester, die Tradition gebrochen, die Geschichtsschreiber und die Hofdamen beklagten sich über die naturgetreuen, neuartigen Wandmalereien der Künstler aus Kefdet, die sie regelmäßig erschreckten, weil die feinfühligen Damen meinten, in den endlosen Fluren einer lebendigen Maus oder einer aufflatternden Ente zu begegnen. Und auch die Sänger, die seit der Zeit in Sedjefa-taui den Hof des Südens zum Strahlen gebracht hatten, konnten in Waset kaum zur Geltung kommen, da nahezu an jedem zweiten Tag Musik, Tanz und Gesang aus religiösen Gründen als unpassend angesehen wurden. Senacht-en-Re sah sich zudem von zahllosen Würdenträgern bedrängt, die ständig versuchten, in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen. Insbesondere die Priester des Mondgottes Ah sahen ihre Stunde gekommen. Nahezu täglich wollten sie Pharao dazu bewegen, ihre Tempel mit größeren Vollmachten und umfangreicheren Zuwendungen auszustatten. Senacht-en-Re war dies alles überaus lästig, so dass es Teti-scheri keinerlei Mühe kostete, ihn davon zu überzeugen, rechtzeitig vor der Geburt ihres zweiten Kindes die königliche Residenz wieder nach Sedjefa-taui zu verlegen.

Die königlichen Barken erreichten den dortigen Nordpalast keinen Tag zu früh. Noch am Abend ihrer Ankunft zog sich Teti-scheri in die Geburtslaube zurück und schenkte mitten in der Nacht, just als der Vollmond am höchsten stand, wie vorhergesagt, einer gesunden Tochter das Leben. Ah-hotep sollte sie heißen - Die den Mond zufrieden stellt.

Wieder war Senacht-en-Re so oft es ging bei seinem Kind und quälte die Betreuerinnen mit den immer gleichen Fragen: Hat Ah-hotep zugenommen? Ist sie gewachsen? Hat Ah-hotep gelächelt? Hat sie auch genügend getrunken? Pharao war vollkommen vernarrt in seine Tochter; mehr noch als in seinen Sohn und Thronfolger, der sich mehr und mehr als launisches Schreikind herausstellte. Bekam er nicht augenblicklich, was er begehrte, ließ er sich zu Boden fallen, strampelte mit den Beinen und hielt die Luft an, bis er blau anlief, so dass Teti-scheri ihm bei einer solchen Gelegenheit kurzerhand den Inhalt ihrer Handwaschschale über den Kopf goss. Der königliche Hof war entsetzt, war der kleine Trotzkopf doch immerhin der Thronfolger, der eines Tages die Macht besitzen würde, ein derartiges Verhalten nach Belieben zu vergelten. Teti-scheri war jedenfalls der Meinung, dass ihr Mann den Sohn mit seiner übertriebenen Fürsorge und Nachgiebigkeit verhätschelte.

Sobald er laufen konnte, schickte sie ihren Erstgeborenen, wann immer es möglich war, nach Gebtu hinüber, damit er dort in Gesellschaft der Soldaten lernte, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintanzustellen. Leider musste Teti-scheri feststellen, dass die Soldaten den Prinzen in seiner Selbstbezogenheit noch zusätzlich unterstützten. Eine der Ammen, die ihn regelmäßig begleitete, beklagte sich, dass der Prinz unersättlich war und insbesondere vor versammelter Mannschaft nach ihrer Brust verlangte. Um sie zu quälen, biss er zudem oft und gerne zu, während die Soldaten gröhlten. Alle Versuche, Seqen-en-Re abzustillen, scheiterten an seinem lautstarken Protest. Als er eines Tages mitten auf dem Marktplatz von Gebtu einer der Ammen die Kalasiris vom Leib riss und sich wie ein ausgehungertes Tier auf ihre bloßgelegten Brüste stürzte, hatte Teti-scheri genug von den Launen ihres Sohnes und steckte ihn mit seinen fünf Jahren vor der Zeit in die Palastschule. Sie ließ eigens einen Priester des Amun aus Waset kommen, der für seinen weisen Umgang mit Kindern berühmt war.

Sequen-en-Res Schwester Ah-hotep war genau das Gegenteil: Sie war ein stets freundliches Kind, das feinfühlig auf ihr Gegenüber reagierte, gleichwohl aber sehr genau wusste, was es wollte. Anstatt zu schreien und zu toben, bemühte sich Ah-hotep um die Zuneigung der Menschen, die, von ihrem Liebreiz überwältigt, ihr schließlich bereitwillig zustanden, was sie begehrte. Zudem war sie ein ausgesprochen hübsches Kind mit lebhaften großen Augen, die jedem das Gefühl gaben, dass er von ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung angeblickt wurde. Sobald sie einen Raum betrat, sah man sich nach ihr um. Teti-scheri überlegte oft, was es wohl sein mochte, das ihrer Tochter schon als Kind diese Wirkung verlieh. Senacht-en-Re war fest davon überzeugt, dass es der Mondgott Ah höchstselbst gewesen sein musste, der ihr einen Teil seiner Strahlkraft übereignet hatte.

Ah-hotep war gerade einmal zwei Jahre alt, als Teti-scheri abermals einer Tochter das Leben schenkte: Sat-Djehuti-sat-ibu – Tochter des Thot und Tochter ihres Vaters. Die Tatsache, dass man das Mädchen als Tochter des Thot bezeichnete, sollte den Fürsten von Chemenu für sich einnehmen, da es schließlich die Heimstatt dieses Gottes war. Chemenu stand zwar unter der direkten Herrschaft des Apopi, hatte seinen einstigen Rang aber nie vergessen und hoffte, ähnlich wie Men-nefer und Waset, auf eine Wiederherstellung der alten Herrlichkeit unter seiner Führung. Der Namenszusatz Sat-ibu, in dem das Wort abu aus der Sprache der Fremdherrscher des Deltas anklang, wollte Pharao als Zeichen des Entgegenkommens ihnen gegenüber verstanden wissen. Teti-scheri versuchte alles, ihren Mann davon abzubringen, sich derart bei den Feinden in Avaris einzuschmeicheln. Doch dieses Mal setzte er sich durch. Er herrschte sie schließlich streng an: „Es ist längst schon entschieden, Weib!“

Seit der Geburt von Sat-Djehuti-sat-ibu ging Ah-hotep vollkommen in ihrer Rolle als ältere Schwester auf und bemühte sich um ihr Schwesterchen, als sei sie deren Mutter. Nur ihren grobschlächtigen Bruder Seqen-en-Re mied sie, der sie, sobald er sich unbeobachtet fühlte, zwickte und nach ihr trat, nur um sie zum Weinen zu bringen. Er konnte sich diebisch darüber freuen, wenn der ganze Hofstaat Kopf stand, um herauszufinden, was seine Schwester zum Weinen gebracht hatte. Er genoss die Macht und die Wirkung seiner kleinen Niederträchtigkeiten. Eigentümlicherweise verpetzte Ah-hotep ihren Bruder jedoch nie, sondern litt stattdessen stumm.

Der Hof von Sedjefa-taui strahlte heller denn je. Und Senacht-en-Re war fest davon überzeugt, dass diese Strahlkraft ausreichen würde, die Überlegenheit des Südens augenfällig werden zu lassen. Teti-scheri wurde jedoch nicht müde, ihren Gatten darauf hinzuweisen, dass all der Glanz zu nichts nutze wäre, wenn der Hirtenkönig aus Avaris mit dem lächerlichen Namen tatsächlich eines Tages seine Truppen aussenden würde. Nein, Teti-scheri war der festen Überzeugung, dass nur ein schlagkräftiges Heer Apopi davon abhalten konnte, seinen Appetit auf den Süden zu stillen. Teti-scheri setzte auf Abschreckung und ließ den königlichen Truppen jedwede Unterstützung zukommen, die sie ihnen gewähren konnte. Pharao hingegen war der Meinung, dass ein für beide Seiten einträgliches Auskommen miteinander vor allem dadurch gewährleistet werden konnte, wenn man enger zusammenarbeitete. Also wurden Handelsabkommen geschlossen, die beiden Teilen des Landes zugute kamen. Der wertvolle Bechenstein stand nun auch wieder den Bildhauern des Nordens zur Verfügung, wohingegen der weiße Kalkstein aus dem heiligen An, mit dem schon die Pyramiden des Ersten Reiches verkleidet worden waren, nun wieder nach Waset geliefert wurde. Gleich von der ersten Lieferung hatte Pharao Senacht-en-Re einen eindrucksvollen Getreidespeicher für das Volk von Waset errichten lassen; natürlich nicht, ohne an dessen Eingang für alle sichtbar in den Stein meißeln zu lassen, wem das Volk diese Wohltat zu verdanken hatte. Sogar das dort gelagerte Getreide war aus dem Norden eingeführt worden. Schließlich weideten sogar die Rinder des Südens auf den saftigen Wiesen des Deltas, während die feinen Töpferwaren aus der Gegend von Sedjefa-taui wieder in Avaris erhältlich waren. Man gestattete einander, dass Schiffe das jeweils andere Hoheitsgebiet ungehindert durchqueren konnten, was Teti-scheri sogleich für noch engere Kontakte zu Kefdet nutzte. Andererseits beäugte sie jedes der Schiffe aus dem Norden, das in Richtung Nubien segelte, mit dem größten Argwohn. „Apopi schmeißt sich dem elenden Kusch an den Hals“, schimpfte sie jedes Mal, wenn eines seiner Schiffe am Nordpalast von Sedjefa-taui vorbeifuhr.

Pharao Senacht-en-Re glaubte fest daran, dass sich die beiden Landesteile durch einen intensiven Warenaustausch langsam wieder annähern würden. Und da der Süden erstrahlte wie der volle Mond am Nachthimmel, bräuchte man sich, wie er meinte, um die Sterne nicht zu kümmern. Teti-scheri war diesbezüglich weitaus weniger zuversichtlich. Zum einen hielt sie den Hof von Avaris nicht nur für ein funkelndes Sternchen am Firmament. Was die Gebildetheit und die Blüte der Kultur betraf, mochte der Süden dem Mond alle Ehre machen. Doch für die Herren in Avaris zählte nur, was sie in Händen hielten, so dass Teti-scheri zum anderen, nicht müde wurde, vor der militärischen Überlegenheit der Anbeter des Seth eindringlich zu warnen. Bevor der Süden nicht ebenso gerüstet war wie der Norden, wäre ihrer Meinung nach ein dauerhafter Frieden nicht zu erreichen.

„Doch wenn wir allzu sehr aufrüsten“, gab Pharao zu bedenken, „werden sie sich bedroht fühlen und zu einem Erstschlag greifen. Nein, wir werden nur ganz vorsichtig, im Verborgenen unsere Truppen verstärken. Ansonsten aber besser auf gegenseitige Abhängigkeiten setzen.“

„Du magst die Warenlieferungen, die wir regelmäßig nach Avaris schicken, nennen wie du magst“, ereiferte sich Teti-scheri. „Sie sind dennoch nichts weiter als Tributzahlungen. Und unsere Rinderherden, die auf den Weiden des Nordens grasen, sind für Apopi nichts anderes als ein Faustpfand, mit dem er sich unseres Wohlverhaltens zu versichern weiß. Käme es zum Konflikt, kochten unsere fetten Rinder allesamt in den Töpfen des Nordens.“

So unterschiedlicher Ansicht Pharao und die Große königliche Gemahlin auch in vielen Bereichen waren, welche die Zukunft ihres Landes betrafen, so sehr achteten sie darauf, dass nichts von ihren Meinungsverschiedenheiten nach außen drang. Hätte Apopi doch alles in Bewegung gesetzt, um einen Keil zwischen sie zu treiben, wäre ihm auch nur ein Wort davon zu Ohren gekommen. Während Pharao Senacht-en-Re ein erstaunliches Geschick an den Tag legte, die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Landesteilen auszubauen, förderte Teti-scheri die königlichen Truppen, wo immer es ging. Eine Zuwendung hier, ein üppiges Geschenk dort, vor allem aber die enge Bindung an den Thronfolger ließen die Truppen so loyal werden, wie schon lange nicht mehr in der Geschichte Kemets. Pharao ließ seine Frau gewähren, mahnte allerdings vorsichtige Diskretion an, um ja keinen Verdacht zu erregen, dass man möglicherweise Feindseligkeiten vorbereitete. Senacht-en-Re hatte sich die Außenpolitik vorbehalten, natürlich mit Ausnahme der Kontakte zu Kefdet, während er seiner Großen königlichen Gemahlin als oberster Hausherrin die Gestaltung des Inneren überließ. Er wunderte sich zwar, dass die umfangreichen Umbauten sowohl des Nord- als auch des Südpalastes in Sedjefa-taui kein Ende zu nehmen schienen und dass monatelang trutzige Kasematten aus Ziegeln errichtet wurden, sah es aber lediglich als Demonstration des Verteidigungswillens, die allen zeigen sollte, dass man den Glanz der Paläste auch zu behüten wusste.

Paheri, dem eigens aus Waset herbeigerufenen Priester des Amun, dessen Namen treffender Weise soviel bedeutete, wie „Der, den der Himmel geschickt hat“, gelang es immerhin, seinem Schüler Seqen-en-Re beizubringen, wie wichtig es war, die Ma’at zu erhalten; die göttliche Ordnung der Dinge, ohne die alles im Chaos versinken würde. Dazu gehörte es, dass er seinen Eltern unbedingten Respekt zollte, aber auch, dass er die Würdenträger des Reiches ihrem Rang entsprechend behandelte und nicht wie Fellachen abkanzelte. Leider hatte der Thronfolger jedoch eine unübersehbare Neigung zu Jähzorn und Grausamkeit. Der Nachtigall, die seine Schwester Ah-hotep in einem Käfig hielt, biss er vor ihren Augen den Kopf ab, nur weil sie sich während des Unterrichts wieder einmal als die besser Vorbereitete gezeigt und ihn belehrt hatte.

„Du lernst besser, dich unterzuordnen“, schrie er sie an, „denn als meine Große königliche Gemahlin wird dir schließlich gar nichts anderes übrig bleiben.“

Pharao versuchte, Haltung zu bewahren und redete geduldig auf seinen Sohn ein. Er müsse lernen, Achtung vor dem Leben zu haben, denn als Pharao wäre es seine vornehmste Aufgabe, für den Erhalt der Ma’at zu sorgen. Was schließlich auch bedeutete, dass man sich selbst dem geringsten Lebewesen gegenüber respektvoll verhielt und es nicht leichtfertig tötete. Und schon gar nicht, um seiner eigenen Schwester und zukünftigen Großen königlichen Gemahlin Schmerz zuzufügen.

„Was für ein Getue!“, maulte der gerade einmal sechsjährige Thronfolger und gähnte seinem Vater frech ins Gesicht. „Es war doch nur ein blöder Vogel!“

Kaum hatte er ausgesprochen, landete Teti-scheris Hand klatschend auf seiner Wange. Jeden einzelnen ihrer fünf Finger konnte man dort zählen. Seqen-en-Re war derart überrascht, dass er wie versteinert dasaß und nichts entgegnete. Doch in seinen Augen konnte Teti-scheri sehen, wie ihr unverhohlener Hass entgegenblitzte. Es wurde nie wieder über diesen Vorfall gesprochen, obgleich Teti-scheri sich auf ewig Vorwürfe machte, dass sie, die niederer Abkunft war, den zukünftigen Pharao geohrfeigt hatte.

Während Seqen-en-Res Erziehung von nun an vor allem in den Händen des weisen Paheri lag, der voller Geduld wahre Wunder an dem Gottessohn vollbrachte, indem er ihn lehrte, seinen Jähzorn zu zügeln und seine Macht nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit hemmungslos auszukosten, verbrachte der Thronfolger jeden zweiten Nachmittag in Gebtu unter der Anleitung von General Nacht-min. Sollte er bei Paheri lernen, eines Tages ein so weiser wie gerechter Pharao zu sein, so wurde er von Nacht-min im Kriegshandwerk unterwiesen. Eines Abends, als die königliche Familie den frischen Nordwind auf der Terrasse des Nordpalastes genoss, kam Seqen-en-Re mit dem Vorschlag auf, die Streitmacht seines Vaters durch eine schlagkräftige Reiterei sowie eine eigens zu gründende Streitwagentruppe aufzurüsten, die schließlich auch der Hauptpfeiler von Apopis Armee waren. Pharao war überhaupt nicht begeistert. War der südliche Landesteil doch nicht gerade berühmt für seine Pferdezucht. Also müsste man die kapriziösen Tiere zunächst einmal einführen, was kaum unbemerkt von Apopi zu bewerkstelligen war.

„Ich verhandle doch nicht monatelang mit den Gesandten aus Avaris, um Handelserleichterungen zu erreichen“, jammerte Pharao, „nur um sie mit den Gäulen misstrauisch zu machen und letztendlich zu verprellen! Nein, wir sollten besser die Finger davon lassen.“

„Aber alle Edlen des Nordens reiten neuerdings auf Pferden“, meldete sich die kleine Ah-hotep zu Wort. „Ich möchte auch reiten.“

„Sich auf dem Rücken von Pferden dem Volk zu präsentieren, macht zweifelsfrei einen überaus erhabenen Eindruck“, pflichtete Teti-scheri ihr bei. „Und es würde dem Glanz des südlichen Hofes durchaus gut zu Gesichte stehen, wenn die königliche Familie zu einem der nächsten offiziellen Anlässe hoch zu Ross in Waset einreiten würde.“

Pharao ließ sich schließlich umstimmen, bestand aber darauf, dass man sich keinesfalls in Avaris nach den Pferden erkundigen solle. Teti-scheri bemühte also ihre Verbindungen zu Kefdet, das seinerseits enge Handelskontakte zu Wilusa pflegte, das wiederum als einer der Hauptumschlagplätze für edle Pferde berühmt war, die man aus den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres einführte. Es dauerte nahezu ein ganzes Jahr bis ein Schiff von der Insel im Grünen Meer eintraf, das sieben Pferde, zwei Hengste und fünf Stuten, geladen hatte sowie, tief verborgen in seinem Bauch, vier in ihre Einzelteile zerlegte Streitwagen. Eines der bedauernswerten Tiere, zum Glück keiner der beiden Hengste, war während der langen Überfahrt auf hoher See gestorben. Umsichtig hatte man die Tiere von einem Pferdebändiger begleiten lassen, den Teti-scheri sogleich zum Vorsteher der Pferde ernannte, obwohl der Mann erbärmlich stank und äußerst ungepflegt war. Da aber niemand sonst im Reich des Südens so recht wusste, wie man mit den scheuen Tieren umzugehen hatte, blieb ihr schließlich keine andere Wahl. Sie ließ die Tiere sogleich in die Garnison von Gebtu bringen, wo Murschili, wie der neu ernannte Vorsteher der Pferde hieß, dafür sorgen sollte, dass sie sich vermehrten. Zugleich wies Teti-scheri die begabtesten Handwerker an, die mitgebrachten Streitwagen zu studieren, um sie anschließend nachzubauen.

Pharao hatte die Angelegenheit mit den Pferden längst schon wieder vergessen, war ihm doch zwischenzeitlich von seiner Großen königlichen Gemahlin ein zweiter Sohn geboren worden, dem nun all seine Aufmerksamkeit und Zuwendung galt. In Anbetracht dessen, dass er später einmal, wenn sein Bruder Seqen-en-Re Pharao geworden war, ihm in militärischen Dingen zur Seite stehen sollte, bestand Teti-scheri darauf, ihn Ka-mose zu nennen. Dies klang ganz ähnlich wie Ah-mose, bedeutete aber „Der Stier ist wiedergeboren“, was, wie Teti-scheri meinte, ein ganz vorzüglicher Name für einen General sei.

„Und wer kümmert sich um den Mond, der die Sterne überstrahlen soll“, beklagte sich Pharao.

„Natürlich Ah-hotep“, erwiderte seine Große königliche Gemahlin. „Niemand wird ihm größeren Glanz verleihen können, als unsere älteste Tochter.“

Die kommenden Jahre waren geprägt von allgemeinem Wohlstand und Wohlergehen, so dass kaum jemand in Kemet, weder im Norden noch im Süden, an Aufständen oder einer Machtübernahme interessiert war - durch wen auch immer. Teti-scheri hatte noch einer weiteren Tochter das Leben geschenkt, Ah-mose Inhapi, die Pharao ebenfalls gewohnt liebevoll umsorgte. Die Handelsbeziehungen zwischen dem Süden und dem Norden waren immer weiter ausgebaut worden, so dass inzwischen tatsächlich niemand mehr im Land Hunger leiden musste. Es war mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden, wenn Expeditionen aus dem Norden ins Wadi Hammamat aufbrachen, um dort für Pharao Apopi Steine abzubauen, während man den Rindern des Südens gestattete, auf den Weiden des Deltas rund und fett zu werden. Nur Teti-scheri spuckte noch immer fluchend aus, wenn sie sah, wie wertvolle Bechensteine auf riesigen Lastbarken in den Norden verschifft wurden.

Sobald Ah-hotep zehn Jahre alt geworden war, wurde ihr von ihrer Mutter offiziell die Aufgabe übertragen, sich um den Glanz des Südens zu kümmern. Dies bedeutete jedoch keineswegs, dass das Mädchen einsame Entscheidungen oder zukunftsweisende Überlegungen über die Außenwirkung der Herrschaft Pharao Senacht-en-Res anstellen musste. Nach wie vor gab es zahllose Berater und Bedienstete, die dies für sie übernahmen. Doch geschah dies alles nun in Ah-hoteps Namen. Und da auch Teti-scheri sie nach wie vor dabei unterstützte, strahlte der Mond des Südens heller denn je.

Unter Ah-hoteps nomineller Leitung waren die beiden Paläste in Sedjefa-taui zum neuen Machtzentrum des Südens ausgebaut geworden. Wurde der Südpalast zum Zentrum der Verwaltung, blieb der Nordpalast die Residenz der königlichen Familie. Beide waren mit hohen Mauern umgeben worden oder besser gesagt: Man hatte die Hänge der beiden Hügel, auf denen die Paläste standen, bis auf den gewachsenen Fels abgetragen und durch beeindruckende Kasematten aus Lehmziegeln ersetzt. Niemand würde deren glatt gemauerten Wände erklimmen können, ohne vollkommen deckungslos den Pfeilen der Bogenschützen ausgeliefert zu sein. Hoch droben auf den mächtigen Kasematten, thronten die strahlend weiß getünchten Paläste und blickten weit über das Tal des Nils, so dass man sie schon von weitem leuchten sah. An ihren Eingängen ragten, wie vor den Tempeln, lange Stangen in den Himmel, an denen sich bunte Banner wie Schlangen im Wind wanden. Ah-hotep hatte Teti-scheris Kontakte nach Kefdet genutzt, um über dessen Verbindungen zu den eigentlich mit Avaris verbündeten Stadtstaaten des östlichen Mittelmeeres himmelhohe Stämme von Libanonzedern einführen zu lassen. Wie stolz war sie, als sie ihren ersten Brief an den Herrscher von Kefdet schreiben ließ!

Jedem Besucher des Südpalastes, der die langen und steil nach oben führenden Treppen erklomm, wurde eindrucksvoll vor Augen geführt, dass er sich wie ein Pilger der göttlichen Sphäre der königlichen Familie näherte - hoch droben, über dem Rest der Welt thronend. Empfangen wurde der Besucher von einem riesigen, von zahllosen Säulen gestützten Thronsaal, der einen majestätischen Blick über das Niltal gestattete. Auf seiner rückwärtigen Seite führte er jedoch in einen sorgfältig bepflanzten Garten, der mit seinem künstlichen Wasserlauf das Reich Pharao Senacht-en-Res repräsentierte. Nirgendwo in ganz Kemet gab es köstlichere Malereien als hier. Die Räume funkelten vor Gold und edlen Steinen und der Duft der Götter wehte aus zahllosen Räucherschalen durch die Flure, während der Wind sich in den erlesensten Stoffen fing, die in bunten Bahnen aufgehängt, Schutz vor der Sonne boten. Geblendet von all dem Luxus und der eindrucksvollen Architektur, übersah man leicht, dass dies alles nur errichtet worden war, um den Palast bestmöglich verteidigen zu können. Obwohl die Befestigungen sechs Mann hoch aufragten, gingen sie ‑ aus der Ferne betrachtet ‑ wegen der Farbe ihrer Ziegel in der Landschaft auf, aus deren Erde sie schließlich geformt worden waren. Niemand konnte ahnen, dass sich in den Kasematten überdies enorme Lagerräume verbargen, in denen Getreide für mehr als ein Jahr, vor allem aber Waffen gelagert werden konnten. Für Kriegszeiten gab es sogar unterirdische Kasernen. Ah-hotep hatte alles versucht, um die kleinen Luken in den Unterkünften wenigstens ein bisschen größer machen zu lassen, damit etwas mehr Licht und Luft hereinkäme. Aber der Architekt Mentu-hotep erklärte ihr geduldig, dass jede, auch noch so kleine Lücke im Mauerwerk, dessen Festigkeit minderte. Eigentlich, so sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen, seien die jetzigen Luftschächte bereits viel zu gefährlich; denn um nichts anderes handelte es sich im Grunde genommen, da die Mauern so stark waren, wie drei Mann hoch sind. Ah-hotep verstand seine Bedenken, doch bestand sie zugleich darauf, dass den armen, eingesperrten Soldaten stattdessen irgendetwas anderes zu gute käme. Schließlich erwartete man von ihnen, dass sie ihr Leben für die königliche Familie hergaben. So kam man überein, in jeder der finsteren Unterkünfte einen Schrein für eine Gottheit errichten zu lassen, an dem die Soldaten beten und opfern konnten. Die Nachricht von Ah-hoteps Fürsorge hatte sich schnell verbreitet und insbesondere bei den Soldaten eine dankbare Zuneigung entfacht, über die sie sich aufrichtig freute. Obwohl sie selbst noch ein Kind von gerade einmal zwölf Jahren war, nannte man sie nun bereits die Mutter der Nilpferde. So wurden nämlich die in Gebtu stationierten Soldaten genannt, die in selbstloser Aufopferung und mutig bis zuletzt für die königliche Familie kämpften; zierte ihre Standarte doch ein Nilpferd, das, einmal gereizt, kaum noch zu besiegen war. Pharao jammerte zwar zunächst, als er die Kosten für die zusätzlichen Arbeiten überschlug, die zum Errichten der Schreine notwendig waren, ließ sich dann aber doch von Teti-scheri überzeugen, dass jeder einzelne Schrein seine Kosten auch wert war. Nun strahlte der wiedergeborene Mond nicht nur weithin sichtbar über dem Süden, sondern er wurde auch innig geliebt.

Der Nord- sowie der Südpalast von Sedjefa-taui waren somit eigentlich nichts anderes als uneinnehmbare Forts, wenngleich auch in Gestalt prächtiger Paläste. Nicht nur ihr stolzer Vater staunte, wie grandios Ah-hotep diese Aufgabe gelöst hatte, wenngleich natürlich jeder wusste, dass ihre Mutter ihr dabei mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Die beiden prächtigen Forts bewachten das westliche Nilufer, während die befestigten Orte Qena, Quni, Gebtu und Gesy auf dem östlichen Ufer lagen. Fuhr man mit dem Schiff stromaufwärts nach Süden und hatte Iunet mit seinem Hathor-Tempel hinter sich gelassen, musste man jedes dieser sechs Forts passieren, die sich, abwechselnd auf dem linken wie dem rechten Flussufer, jeweils in Sichtweite befanden. Chancenlos, wer hoffte, unentdeckt an ihnen vorbeizukommen und dem Tode geweiht, wer dies gegen den Willen Pharao Senacht-en-Res versuchen sollte. Ohne es so aussehen zu lassen, waren die sechs Befestigungsanlagen, zu einem undurchdringlichen Riegel geworden, der den Süden Kemets gegenüber dem Norden beschützte.

Regelmäßig besuchte nun auch Ah-hotep die Garnison in Gebtu. Nie versäumte sie es, kleine Geschenke mitzubringen, die den Soldaten zeigen sollten, wie sehr ihr an deren Wohlergehen gelegen war. Eine Extra-Ration Bier, eine Lieferung der neuartigen Bogen, die aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt waren und eine deutlich verbesserte Durchschlagskraft hatten oder aber einfach nur neue Liegen für die Unterkünfte der Nilpferd-Truppe. Sie sorgte wahrlich für sie wie eine Mutter für ihre Söhne und wurde von ihnen dafür auch schwärmerisch verehrt. Nachdem es Ah-hotep gelungen war, über die Vermittlung durch Kefdet Zedernholz für den Palast einzuführen, versuchte sie nun, an größere Mengen des wertvollen Holzes zu gelangen. Auf Monate hinaus arbeiteten die königlichen Werkstätten an eindrucksvollen Schmuckstücken, deren Gold man mühselig aus der verborgenen Mine in der Nähe des Wadi Hammamat gewonnen hatte. Sollten sie doch als Geschenke nach Kefdet geschickt werden, in Erwartung einer Gegengabe in Form von Zedernholz.

Als endlich fünf mit Zedernholz beladene Schiffe aus Kefdet an Avaris vorbei nilaufwärts segelten, verspottete Apopi das dumme Mädchen, das das Gold seines Vaters vergeudete, nur um dessen Harem aus duftendem Zedernholz errichten zu können. Dass man das Holz aber nicht wegen seines Wohlgeruchs einführte, sondern wegen seiner Festigkeit, kam ihm nicht in den Sinn. Ihr Bruder Sequen-en-Re hatte in Gebtu derweil einen streng bewachten Stichkanal graben lassen, der zu einem tief im Landesinneren gelegenen, künstlichen See führte, wo man unbeobachtet vom Rest der Welt aus dem wohlriechenden Holz eine Flotte starker Schiffe zu fertigen plante, die irgendwann einmal in der Lage sein sollte, eine Streitmacht den Nil hinunter zu tragen. Die zukünftige Große königliche Gemahlin Ah-hotep sorgte wahrlich wie eine Mutter für ihre Nilpferde.

Seqen-en-Re war fest davon überzeugt, dass die im Geheimen zu erbauende Flotte stark genug sein würde, um die Herren in Avaris mit einem Überraschungsangriff aus dem Land jagen zu können. Ah-hotep und ihre Mutter warnten den Thronfolger allerdings davor, allzu zuversichtlich zu sein. Mindestens noch einmal soviel Zedernholz war ihrer Meinung nach nötig, um eine entsprechend schlagkräftige Flotte zu erstellen, die eine ausreichende Anzahl von Soldaten transportieren konnte. Die Goldgewinnung im Wadi Hammamat war jedoch überaus schwierig und zeitraubend. Also versuchte Ah-hotep ihren Vater davon zu überzeugen, eine Streitmacht in den Süden zu entsenden, um wie früher Zugriff auf die Goldminen im elenden Kusch zu erhalten. Gab es doch in der Grenzregion zu Nubien immer wieder Aufstände und lästige Scharmützel genug, um einen einleuchtenden Grund zur Befriedung des Landes zu haben. Pharao wollte jedoch nichts davon hören. Er würde keinesfalls einen Krieg vom Zaun brechen, zumal man überhaupt nicht abschätzen konnte, ob Apopi nicht doch den Nubiern zur Hilfe eilen würde, indem er seinerseits einen Angriff auf Waset unternahm, während die Soldaten im Süden kämpften. Pharao Senacht-en-Re, der sich inzwischen immer häufiger schwach und müde fühlte, wollte die letzten Jahre seines Lebens nicht noch auf dem Schlachtfeld verbringen müssen. Nein, seine Regentschaft sollte als eine Zeit des Friedens in die Annalen eingehen. Bald schon würde er seinen ältesten Sohn offiziell zum Nachfolger erklären, wenn Ah-hotep endlich alt genug war, um ihn zu heiraten.

Doch Ah-hotep hatte es nicht im Geringsten eilig, zur Großen königlichen Gemahlin ihres Bruders ernannt zu werden. Zum einen hatte sie großen Gefallen daran gefunden, dafür verantwortlich zu sein, den Mond weithin sichtbar erstrahlen zu lassen ‑ eine Aufgabe, die schließlich durch Kinder, die ausgetragen, geboren und erzogen sein wollten, abgelöst werden würde – und zum anderen gehörte eine Ehe mit ihrem gewalttätigen, den Umgang von Soldaten gewöhnten Bruder nicht gerade zu ihren Wunschträumen. Nein, solange es möglich war, würde sie das Unabwendbare hinauszögern wollen. Ihre Mutter Teti-scheri unterstützte sie dabei so gut es ging. Geheime Treffen mit Ärzten und weisen Frauen wurden abgehalten, die sie die absonderlichsten Dinge tun hießen. Ah-hotep beschränkte sich jedoch auf Opfergaben an Gott Ah, war es doch der Mond, der den Rhythmus des Blutflusses der Frauen vorgab - und der war eindeutig ihr Verbündeter. Mit jedem neuen Monat fragte Seqen-en-Re nach, ob es denn nun endlich soweit wäre und er seine Schwester zu seiner Großen königlichen Gemahlin machen könne. Schließlich musste Ah-hotep allergrößte Vorsicht walten lassen, damit niemand von ihren einsetzenden Blutungen erfuhr. Der Thronfolger sprach sogar seine Mutter an, ob sie der Tochter nicht etwas ins Essen mischen könne, was Teti-scheri jedoch empört zurückwies. Er ließ sich schließlich Galbanharz aus Syrien herbeischaffen, dem man nachsagte, dass es zuverlässig die Monatsblutung auslösen könne. Es gelang Seqen-en-Re, eine von Ah-hoteps Dienerinnen davon zu überzeugen, dass sie ihrem Vaterland einen unschätzbaren Dienst erweisen würde, wenn sie ihrer Herrin kleine Dosen des Harzes unter das Essen mischte. Sein scharfer und bitterer Geschmack verriet es jedoch, so dass der Palast in heller Aufruhr war, weil man einen feigen Anschlag auf das Leben der Königstochter vermutete. Als am nächsten Tag auch noch die Dienerin mit durchgeschnittener Kehle in einer der Abfallgruben aufgefunden wurde, vermutete jedermann zwischen Tjeni und Elephantine, dass der arglistige Apopi dahintersteckte: Hatte Ah-hotep doch maßgeblichen Anteil daran, dass der Mond über Kemet so hell strahlte wie schon lange nicht mehr.

Teti-scheri vermutete jedoch ihren Ältesten hinter der vermeintlichen Vergiftung und sprach mit Pharao darüber. Der war außer sich. Zum einen über seinen skrupellosen Sohn, zum anderen aber auch über die Ränkeschmiede der Weiber, mit der sie die gottgegebenen Funktionen ihrer Körper zu beeinflussen suchten. Es sei nichts anderes als ein Vergehen gegen die Ma’at, meinte er. Und um all dem ein Ende zu bereiten, bestimmte er, dass Sequen-en-Re demnächst offiziell zu seinem Nachfolger erklärt und bei selbiger Gelegenheit Ah-hotep zu dessen Großer königlicher Gemahlin erhoben werden würde. Nachwuchs wäre dann eine private Angelegenheit zwischen Ehemann und Weib und die beiden Kinder würden sich gewiss schon irgendwie einig werden. Seinen Sohn allerdings auch zum Mitregenten zu erheben, lehnte er jedoch rundweg ab. Denn dadurch würde ihm dessen Kriegstreiberei nur zu leicht gemacht. Nein, Seqen-en-Re würde mit seinen Plänen warten müssen, bis er, Senacht-en-Re Ah-mose zu Osiris geworden war.

Seqen-en-Re war verletzt von der Entscheidung seines Vaters, ihn nicht zum Mitregenten zu ernennen. Er warf ihm vor, dass er das Volk nur einlullte mit seinen faulen Kompromissen, ja, es regelrecht mit Wohlleben und einem auskömmlichen Dasein bestach, damit es den unehrenhaften Status des Vasallentums klaglos hinnahm. Sein Vater sah dies vollkommen anders, meinte er doch, dass die Sorge um das Wohlergehen des Volkes zu den obersten Aufgaben eines Pharaos gehörte, während Sequen-en-Re so vergängliche wie fragwürdige Dinge wie Ruhm und Ehre an die erste Stelle setzte. Seine Mutter sowie Ah-hotep, von denen er wusste, dass ihnen seine Überlegungen eigentlich keineswegs so abhold waren, wie sie nun den Eindruck erweckten, hielten jedoch fest zu Pharao. Die Götter hatten ihn auf diese Position gesetzt und sie würden schon ihre Gründe gehabt haben.

Es war ein herrlicher Tag im vierten Monat des Peret, kurz vor der Zeit der Reife, als Pharao Senacht-en-Re Ah-mose, seinen Erstgeborenen offiziell zum Thronfolger und seine älteste Tochter zu dessen Großer königlicher Gemahlin ernannte. Da die Feiern in Waset stattfanden, schon allein, um die religiöse Bedeutung dieser Erhebung zu betonen, hatte alle Welt vermutet, Seqen-en-Re würde auch zum Mitregenten erklärt werden. Sogar Apopi hatte eine Delegation entsandt, die von seiner Tochter Harta begleitet wurde. Offensichtlich hatte er gehofft, dass es nach all den Jahren gedeihlicher Koexistenz vielleicht sogar eine Verbindung zwischen beiden Häusern geben könnte. Als Geschenk ließ er eine wertvolle Opferplatte überreichen, auf der sein Name eingraviert war. Und zwar nicht, wie sonst üblich, sein Thronname, sondern der Horusname, der die Absichten seiner Regierung unmissverständlich zum Ausdruck brachte: Apopi-se-hetep-taui – Apopi, der die beiden Länder zufrieden stellt.

Unverrichteter Dinge kehrte Harta nach Avaris zurück. Pharao vermied jedoch einen Affront, indem er Apopi wissen ließ, dass sein Sohn von der Schönheit und dem Liebreiz Hartas völlig hingerissen war, am Tag der Erhebung seiner Schwester zu seiner Großen königlichen Gemahlin aber selbstverständlich nicht noch eine weitere Frau zur Gattin nehmen konnte. Zu gegebener Zeit, wenn Seqen-en-Re schließlich den Thron bestieg, würde er sich aber mit Gewissheit Hartas erinnern. Nach außen hin war der unglücklichen Begegnung somit der Stachel des Affronts genommen. Doch aufgelöst in Tränen berichtete Harta ihrem Vater, dass sie kaum je eine schönere Frau als Ah-hotep gesehen habe und sie sich alleine schon aus diesem Grund bei der öffentlichen Gegenüberstellung mit ihr herabgesetzt fühlte. Bei dieser Gelegenheit war sie von Ah-hotep in einem unbeobachteten Augenblick angesprochen worden.

„Ach, wie nett, dass Dein Vater auch den Süden zufriedenstellen möchte. Aber wie Du siehst, strahlt der Mond so hell über unserem Land wie schon lange nicht mehr.“

Apopi war also gewarnt, dass mit Sequen-en-Re und seiner Großen königlichen Gemahlin anders umzugehen sein würde, sobald der Prinz erst einmal den Thron bestiegen hatte. Er hoffte also, dass Pharao Senacht-en-Re noch viele Jahre vergönnt sein würden, damit bis dahin genügend Gras über die Sache gewachsen war und die Menschen sich an das friedliche Nebeneinander der beiden Teilstaaten gewöhnt hatten.

Die erste Nacht mit Seqen-en-Re war so, wie Ah-hotep es befürchtet hatte.

„So, Schwesterchen“, grinste er sie an. „Jetzt wird erst einmal gemacht, was ich dir sage. Setz dich! Und zieh dich aus!“

Ah-hotep empfand es als erniedrigend, was ihr Brudergemahl von ihr verlangte. Nicht dass es Dinge waren, von denen sie noch nie gehört hätte oder auf die sie nicht vorbereitet gewesen wäre. Es war Seqen-en-Res Blick, der Ton in seiner Stimme und sein grobes Verhalten, die Ah-hotep sich zu einer Sklavin erniedrigt fühlen ließ; zu einer Sache, mit der man tun und lassen konnte, was man wollte. Natürlich musste sie als Ehefrau all das tun, was ihr Mann von ihr verlangte. Aber sie hatte sich so sehr gewünscht, dass Seqen-en-Re sie, wenn nicht herzlich, so doch wenigstens freundlich dazu auffordern würde. Barsch befehlend nahm er sich jedoch, was immer er wollte und empfand offensichtlich große Lust dabei.

Die ersten Wochen wurden für Ah-hotep zu einer wahren Leidenszeit, was man ihr auch ansah. Ihrer Mutter gegenüber hatte sie auf Nachfragen immer behauptet, dass die geschlechtlichen Begegnungen mit ihrem Bruder angenehm gewesen seien. Doch Teti-scheri kannte ihre beiden Kinder. Schließlich schüttete Ah-hotep eines Tages der Mutter ihr Herz aus.

„Halt durch, mein Kleines!“ riet ihr Teti-scheri. „Sieh zu, dass du bald einem Sohn das Leben schenkst, dann hast du deine Ruhe. Und damit er möglichst schnell ein wenig Abwechslung findet, sollte man ihm eine Nebenfrau geben.“

Ah-hotep starrte ihre Mutter erschrocken an. „Harta?“

„Bist du irre geworden?“ Teti-scheri erschrak nun ihrerseits. „Das wäre das Allerletzte, woran ich dächte. Der zukünftige Pharao besteigt das Entlein aus Avaris und zeugt grässliche Bastarde. Niemals!“ Mit zärtlicher Stimme fuhr sie fort. „Nein, keine Frau aus fremdem Haus wird Mutter des übernächsten Pharaos. Wir werden eine reinblütige Dynastie gründen, frei von schädlichen Vererbungen. Es wird schon allein etliche Generationen dauern, bis die Verunreinigungen durch mich, die ich ja nicht königlichen Geblüts bin, aus dem Blut der Gottkönige ausgeschwemmt sein werden. Nein, ich habe da an Sat-djehuti-sat-ibu und Ah-mose Inhapi gedacht.“

Ah-hotep wollte ihren Ohren nicht trauen. Beide ihrer Schwestern sollten dem Erbarmungslosen vorgeworfen werden? Satdji, wie sie alle nur nannten, war gerade zwölf geworden und Inhapi noch nicht einmal acht.

„Ach was!“, kam als Antwort. „Sie sind alt genug! Satdji ist rollig wie eine Katze. Neuerdings stolpert sie ständig vor den Wachen. Und Inhapi hat sowieso nichts anderes im Kopf als Kleider, aufwändige Perücken und stundenlanges Schminken. Wer weiß, vielleicht bringt die Ehe etwas Abwechslung in ihr ödes Leben. Ich rechne aber schon damit, dass mein Sohn den Anstand aufbringt, das Kind noch eine Weile in Ruhe zu lassen. Und wenn nicht … Inhapi ist kräftig genug, dies alles zu überstehen. Man könnte fast meinen, sie wäre eine Kriegerin, so wie Du. Wenn sie nur nicht so … so beschränkt wäre. Nein, die Blutlinie der Familie muss rein bleiben.“

Jeden dritten Morgen goss Ah-hotep nun etwas von ihrem Urin über die Getreidekörner, die zu diesem Zweck in einer Alabasterschale bereit standen. Es dauerte nicht lang und die ersten keimten. Einen Tag später zeigten fast alle Leben. Dies war ein recht zuverlässiges Zeichen für eine Schwangerschaft und da Ah-hotep sich tatsächlich kurz darauf ständig übergeben musste, andererseits aber auch Heißhunger auf die eigentümlichsten Dinge entwickelte, schworen die Geburtshaushelferinnen, dass es keinen Zweifel daran gäbe, dass die Frau des Thronfolgers schwanger war. Sobald sich ein Bäuchlein zeigte und Seqen-en-Re Angst davor hatte, das Kind in ihrem Bauch mit seiner „Geschlechtskeule“ zu erschrecken ‑ denn so nannte er sein Glied ‑, wurde ihm Satdji zur Nebenfrau gegeben. Ah-hotep stand wenige Wochen vor ihrer Geburt, als auch Satdji schwanger war.

Als wäre die offizielle Anerkennung Seqen-en-Res zum Nachfolger der Anbeginn seines Leidens gewesen, kränkelte Pharao seither. Zuerst bekam er juckende Pusteln an seinem Körper, die ihn Tag wie Nacht quälten. Kaum war er genesen, bekam er Fieber, einen trockenen Husten sowie Leibschmerzen. Teti-scheri machte sich nun aufrichtig Sorgen um ihren gerade einmal dreißigjährigen Ehemann, besonders nachdem genau an jenen Stellen, wo vorher die Pusteln waren, kleine, wässrige Quaddeln entstanden, die aussahen wie Brandblasen. Die Ärzte taten natürlich wie immer so, als ob sie die Angelegenheit völlig im Griff hätten. Der Überzeugendste sprach von der Eselserkrankung, nachdem Pharao ihm auf seine Nachfrage hin erzählt hatte, dass er vor einiger Zeit einen Esel berührt habe, als er in Waset war.

„Einen Esel!“, schrie der gesamte, gaffende Hofstaat. „Der Gute Gott hat einen Esel berührt!“

Teti-scheri war sofort davon überzeugt, dass der Arzt recht haben musste. Wurde der Gott Seth, den die Fremdherrscher in Avaris als den Höchsten ihrer Götter anbeteten, doch oft mit einem Esel gleichgesetzt. War es doch der Esel, den selbst die trostlosesten Wüsten nicht schreckten, in denen Seth hauste … Den bösen Menschen im Delta sei alles zuzutrauen, klagte Teti-scheri und befahl dem Arzt, ihren Mann augenblicklich zu heilen. Unter inständigen Bittgesängen wurde aus feinstem Kuchenteig ein Eselsphallus gebacken, den man anschließend in fettes Fleisch einwickelte und der Hauskatze zum Fraß vorwarf. Durch seine Beschwörungsformeln, so versprach der Arzt, würde schließlich aus der Hauskatze die Göttin Mafdet werden.

„Mafdet?“, fragte Teti-scheri erstaunt. „Das ist aber eine alte Göttin. Könntest du nicht eine bekanntere anrufen? Bastet etwa oder die Löwengöttin Sachmet zum Beispiel, von denen man heutzutage weitaus häufiger spricht.“

Der Arzt bedauerte und sagte seine Formeln für Mafdet auf. Dummerweise war die Hauskatze, die Pharao liebevoll, aber völlig zu Unrecht „mein Mäusefresserchen“ nannte, andere Leckerbissen gewohnt. Ah-hotep musste trotz der ernsten Lage fast laut losprusten, als man schließlich sämtliche Katzen, derer man im Palast habhaft werden konnte, in Pharaos Schlafgemach schleppte. Es dauerte nicht lange und es gab eine unsägliche Balgerei, um die fragwürdige Delikatesse. Bevor man es sich versah, war das fette Fleisch verschwunden. Übrig blieb ein arg ramponierter Eselsphallus aus Kuchenteig.

„Aha“, staunte Teti-scheri. „Jetzt verstehe ich. Als Göttin kann Mafdet sich einen so mächtigen Gott wie Seth nicht zum Feind machen und ihn direkt angreifen. Also wickelt man etwas Leckeres darum und lässt die Bestien ihren Hunger stillen. Wenn dabei unbeabsichtigterweise das Umwickelte Schaden nimmt, ist es nichts weiter als ein Unglücksfall. Wenngleich ein erheblicher.“ Ein Lächeln huschte über Teti-scheris Gesicht, als sie das vollkommen zerfetzte Kuchenglied betrachtete.

Es dauerte keine Woche und Pharao war wieder vollkommen genesen. Er war ganz der Alte. Er freute sich über den zu erwartenden Nachwuchs seiner Töchter, konnte er es doch kaum noch abwarten, endlich einmal wieder den Duft eines Neugeborenen riechen zu können. Für Pharao Senacht-en-Re Ah-mose war es der schönste und berückendste Duft überhaupt.

Sein Sohn und Thronfolger hatte sich gewandelt. Jetzt, wo jeder, der Ah-hotep untersucht hatte, ihm bestätigte, dass es ein Junge werden würde und auch seine Gemahlin der festen Überzeugung war, das sie einen Sohn austrug, zeigte er sich ihr gegenüber zumindest respektvoll. Denn falls sie tatsächlich eine Königsmutter werden sollte, hätte sie zukünftig deutlich mehr Macht. Aber auch Satdji wurde nun höflich von Seqen-en-Re behandelt. Obgleich alle Orakel behaupteten, dass es ein Mädchen werden würde, bestand sie darauf, dass ihr eine Erscheinung im Schlaf geweissagt hatte, dass es ein großer König werden würde, der in ihrem Bauch heranwuchs. Selbst Inhapi, das ständig fröhlich schnatternde Ding, wurde von Seqen-en-Re behandelt, wie ein lieb gewordenes Spielzeug. Meistens ging sie ihm jedoch einfach nur auf die Nerven. Jedenfalls berührte er sie zunächst nicht, sondern wartete lieber darauf, bis die Knospe endlich erblüht war, wie er zu sagen pflegte. Manchmal, so hatte Ah-hotep beobachtet, sah er ihre kleine Schwester schon recht eigentümlich an. Doch solange sie jedes Mal nur albern kicherte, wusste Ah-hotep, dass der Thronfolger diesbezüglich kein ausgeprägtes Interesse an der kleinen Schwester haben würde. Er mochte seine Frauen zitternd vor Angst, auf jeden Fall jedoch erniedrigt sehen. Eine kichernde Inhapi entsprach weniger seinen Vorstellungen, obwohl sie mit ihrem kräftigen Körperbau, fast schon an einen Knaben erinnerte. Hätte sie sich nur nicht so auffallend geschminkt, frisiert und gekleidet. Doch wahrscheinlich war es genau dies, was Seqen-en-Re an ihr gefiel, war er doch Soldat durch und durch und bewunderte, wie man allenthalben wusste, alles Männliche. Und dazu gehörte, jedenfalls nach seinem Verständnis, dass man sich Frauen einfach nahm und nicht erst langwierig umwarb. Es war allerdings kaum zu erwarten, dass Inhapi sich nicht bereitwillig auf eine geschlechtliche Vergnügung mit ihrem Bruder eingelassen hätte. Doch eine derartige Bereitschaft hatte schon sein Interesse an Satdji merklich schwinden lassen, die es jedes Mal in Verzückung versetzte, wenn ihr Bruder zu Seqen-en-Re Qeni wurde – zu Seqen-en-Re, dem Starken.

Einen Tag vor Ah-hoteps Niederkunft hatte das Wasser, das Pharao des Morgens abschlug, eine braune Verfärbung angenommen. Zunächst sah man dies nur als ein Zeichen an, wenngleich auch für kein gutes. Doch als Ah-hotep tags darauf, wie vorhergesagt einem kräftigen Buben das Leben schenkte, hatte man schnell wieder darüber vergessen. Selbst Pharao war von seiner Rolle als glücklicher Großvater vollkommen eingenommen und nutzte jeden freien Augenblick, um nach seinem prächtigen Enkelsohn zu sehen. Teti-scheri, die es sich nicht hatte nehmen lassen, ihrer Tochter auch bei der Geburt beizustehen, stellte erleichtert fest, dass Ah-hotep ebenso leicht gebären konnte, wie ihre Großmutter Neferu, die erst im vergangenen Jahr gestorben war. Offensichtlich hatte Ah-hotep die Gnade problemloser Schwangerschaften von ihr geerbt, während die kleine Satdji eher nach Sobek-em-saf, der Mutter ihres Vaters kam und sich Tag um Tag mehr quälte.

Das ganze Land jubelte, war doch der Fortbestand der Dynastie gesichert. Trotz der Proteste sämtlicher Damen der königlichen Familie bestand Seqen-en-Re darauf, seinen Sohn so bald als möglich den Truppen der Nilpferde zu präsentieren. Obwohl es ihr große Schmerzen bereitete, wollte Ah-hotep nicht darauf verzichten, ihren Gemahl hoch zu Ross zu begleiten. Der Pferdebändiger Murschili, der auf bewundernswerte Art und Weise dafür gesorgt hatte, dass die Pferdezucht in Kemet hatte Fuß fassen können und vor allem auch überaus erfolgreich darin war, ließ für Ah-hotep eigens eine sanftmütige Stute bereithalten, die selbst erst ein Fohlen geboren hatte. Es war ein unvergleichliches Bild, als der Thronfolger, begleitet von seiner strahlend schönen Gemahlin und dem neugeborenen Sohn, hoch zu Ross vor seinen Truppen erschien. Das lebhaft umhertollende Füllen, das Ah-hoteps Pferd begleitete, sowie der kräftige Prinz in den Armen seiner Mutter, trieb selbst den hartgesottensten Kriegern das Wasser in die Augen. Welch ein Anblick: Dies war Kemets Zukunft.

Selbstverständlich hatte man den Kleinen wie seinen Vater und Großvater Ah-mose genannt. Jetzt, wo auch sein Sohn einen Sohn hatte, meinte Pharao, dass er sein irdisches Dasein getrost beenden könne. Zu dem braunen Wasser waren in letzter Zeit nämlich heftige Leibschmerzen und Krämpfe hinzugekommen. Teti-scheri ließ augenblicklich den Leibarzt rufen, als sie davon hörte. Das braune Wasser war nichts anderes, als mit Blut vermischter Urin, wurde besorgt festgestellt. Ausgelöst wurde diese Erkrankung durch Giftsamen, die Aaa genannt wurden und von Dämonen, die dem Gott Seth hörig waren, des Nachts in den Körper des Schlafenden eingebracht wurden. Heilen könne man diese Aaa-Krankheit zwar nicht, sehr wohl aber für Linderung sorgen, indem man den Leidenden vor allem süße Speisen verabreichte. Obgleich Pharaos Diät von nun an vor allem aus Honig, Milch, süßem Kuchen, Feigen und Weintrauben bestand, was bei ihm früher wahre Glückzustände ausgelöst hätte, wurde er von Tag zu Tag schwächer und kränklicher. Teti-scheri bestand darauf, dass nun Tag und Nacht ein Priester sowie ein Bewaffneter vor Pharaos Schlafzimmer standen, um weitere Heimsuchungen durch die Dämonen Seths zu verhindern. Zwischendurch gab es jedoch auch immer wieder Tage, an denen er sich gut und erholt fühlte. Pharao besuchte dann seinen Enkel, nahm ihn in den Arm und sog den Duft des Säuglings ein, war er doch fest davon überzeugt, dass ihm dies am zuverlässigsten Linderung verschaffte.

Eines Tages war der Palast in heller Aufregung und als Pharao den Raum seines Enkels betrat, blickte er nur in verweinte Gesichter. Geschüttelt von Weinkrämpfen hielt Ah-hotep ihr totes Kind im Arm, während Sequen-en-Re hilflos daneben stand. Ein Dämon hatte des Nachts das Leben des kleinen Ah-mose genommen. Mitten im Schlaf hatte das Kind aufgehört zu atmen und war schon fast kalt, als Ah-hotep ihren Sohn am Morgen wecken wollte. Pharao war fest davon überzeugt, dass es alleine seine Schuld war. Nur weil er sich so augenfällig bewachen ließ, war der ausgesandte Dämon stattdessen zu seinem Enkel gegangen und hatte den Giftsamen in seinem Leib abgelegt. Hätte der böse Geist doch lieber ihn heimsuchen sollen, anstatt des göttlichen Kindes, auf dem so viele Hoffnungen ruhten. Teti-scheri versuchte zwar, Pharao derartige Gedanken auszureden, lag ihrer Ansicht nach der Grund für Ah-moses plötzlichen Tod doch wohl eher im Erbe ihrer Mutter, der gerechtfertigten Neferu, die zwar leicht Kinder gebären konnte, von denen aber kaum eines das erste Jahr überlebt hatte. Doch sie konnte Pharao nicht davon überzeugen. Geplagt von Vorwürfen sowie von Schmerzen zog er sich immer mehr zurück.

Seqen-en-Re ersetzte seine Trauer durch unbändige Wut. Er besuchte seine Truppen und ließ sie wissen, was der königlichen Familie, ja, dem ganzen Land widerfahren war. Die Soldaten schlugen ihre Waffen gegen die Schilde und schrieen nach Rache, gab es für sie doch keinerlei Zweifel daran, wer der Urheber allen Übels war. Ihr Gebrüll war sogar im Südpalast von Sedjefa-taui, auf der anderen Seite des Nils zu hören, so dass Pharao ein Machtwort sprach und andächtige Trauer um das verstorbene Kind einforderte. Allein die Tatsache, dass nun noch die Nebengemahlin des Thronfolgers ein Kind erwartete, konnte sowohl die Soldaten als auch Seqen-en-Re vorerst beruhigen.

Sat-djehuti-sat-ibu litt sehr unter der Schwangerschaft. Teti-scheri versuchte ihre Tochter zu trösten, indem sie ihr darlegte, dass sie offensichtlich nach ihrer anderen Großmutter Sobek-em-saf käme. Die hatte auch immer unter den Schwangerschaften zu leiden gehabt, brachte dafür aber Kinder zur Welt, die nicht gleich im ersten Lebensjahr starben. Es war nur ein schwacher Trost für Satdji, ließ sie aber dennoch hoffen.

Trotz ihrer Trauer bestand Seqen-en-Re darauf, dass Ah-hotep, jetzt wo ihre Schwester hochschwanger war, für die Zeugung eines weiteren Kindes zur Verfügung stünde. Sie bat und bettelte, doch erst zu warten, bis Satdji entbunden hätte. Aber Seqen-en-Re war der Ansicht, dass keine Zeit zu verlieren war. Hatte sich doch wieder einmal herausgestellt, dass Weibsleute unzuverlässig waren. Entweder starben ihnen die Kinder im Bauch oder sie waren derart schwächlich, dass sie wenige Wochen nach der Entbindung irgendwelchen Dämonen zum Opfer fielen. Er, Sequen-en-Re der Starke, brauchte einen Sohn, sonst wären all seine Anstrengungen umsonst. Erbarmungslos bestand er darauf, sich zunächst einmal anzusehen, was die Geburt des Kindes mit Ah-hoteps Körper angerichtet hatte. Von ihren noch immer prallen Brüsten war er überaus angetan und bestand darauf, ihre Milch zu kosten. Ansonsten schätzte er sich glücklich, über eine derart mächtige Geschlechtskeule zu verfügen, da die Geburt ja wohl doch Spuren hinterlassen habe, die nur allzu leicht auf Kosten der Lust gehen konnten. Ah-hotep ließ alles klaglos über sich ergehen, in der Hoffnung, bald wieder schwanger zu werden.

Die Getreidekörner in der für Ah-hotep bereitgestellten Alabasterschale keimten wieder, als Sat-djehuti-sat-ibu sich weinend vor Schmerz und zitternd vor Angst in die Geburtslaube des Palastes zurückzog. Ganze drei Tage bleib sie dort, ohne dass Nachricht über eine Entbindung gekommen wäre. Teti-scheri war schließlich der ewigen Beschwörungsformeln und Zaubersprüche überdrüssig geworden und ließ bei den Ärzten nachfragen, ob sie nicht einen Rat hätten, was man tun könne, um die Wehen zu befördern. Doch sie erklärten sich schlichtweg für nicht zuständig, da sie ausschließlich Krankheiten heilten und eine Schwangerschaft nun einmal keine Krankheit war. Vielleicht konnte aber eine Verräucherung von Hanfblüten helfen, damit das von Ängsten geplagte Kind wenigstens etwas Entspannung fand. Teti-scheri war nicht überzeugt, denn Satdji hockte seither nur apathisch in einer Ecke und wimmerte leise vor sich hin.

Durch Zufall hatte Murschili, der Pferdebändiger, von Teti-scheris Bemühungen erfahren, als er gerade im Palast war, um die neuesten, erfreulichen Zahlen zur Pferdezucht zu überbringen. Er gab seinen trächtigen Stuten immer Petersilienwurzelmus, so berichtete er, was erstaunliche Erfolge zeitigte.

„Nun, Satdji ist zwar kein Gaul“, fasste Teti-scheri ihre Gedanken zusammen, „aber mehr als kotzen wird sie schon nicht.“

Kurze Zeit nachdem Sat-djehuti-sat-ibu eine große Schüssel des eiligst angefertigten Muses verspeist hatte, übergab sie sich derart heftig, dass gleichsam nebenbei auch das Kind aus ihr herauskam. Es war ein Mädchen, das man in Erinnerung an den neulich erst verstorbenen Prinzen ebenfalls Ah-mose nannte. Seqen-en-Re war an einem Mädchen jedoch nicht allzu sehr interessiert. Er warf nur einen kurzen Blick auf das Neugeborene und ordnete an, das unablässig schreiende Bündel in einen rückwärtigen Raum zu verlegen, da ihn das Gebrüll beim Arbeiten störte. Am nächsten Tag war das Kind tot.

Wie ein dunkler Schleier legten sich die Todesnachrichten über das Land. Offensichtlich war dem Mond etwas von seinem Glanz abhanden gekommen. Und kaum jemand zweifelte daran, dass es übler Zauber gewesen sein musste, der so viel Unglück gebracht hatte. Besonders Pharao hatte der Tod seiner Enkelkinder mitgenommen. Kaum ansprechbar lag er in seinem Bett und hoffte nur noch darauf, möglichst bald zu Osiris werden zu können. Inzwischen war sein Wasser nicht mehr nur braun, sondern blutrot. Krämpfe plagten ihn und er hatte immer häufiger starke Fieberschübe, während denen er völlig unzusammenhängende Dinge von sich gab. Seqen-en-Re gab schließlich unmissverständlich zu verstehen, dass seiner Meinung nach das Land einen regierungsfähigen Pharao benötigte und nicht einen vorzeitig gealterten, kranken, hilflosen Mann. Fast hätte ihn Teti-scheri geschlagen, als er ihr dies herausfordernd ins Gesicht sagte. Doch sie zügelte sich und ließ stattdessen Pharaos Schlafgemach von zwei weiteren, bedingungslos ergebenen Kriegern bewachen. Sie ließ nach Murschili, dem Pferdebändiger schicken, dessen Petersilienwurzelmus Sat-djehuti-sat-ibu so gute Dienste erwiesen hatte. Vielleicht wisse er ja auch eine Medizin für Pharao. Erstaunt gab er ihr zu verstehen, dass alle Welt das Land Kemet für seine Ärzte bewunderte. Wie sollte ausgerechnet er, der Hethiter, da mithalten können, da er sich wohl mit Pferden gut auskannte, aber von Menschen nichts wusste. Denn nirgendwo auf der Welt gäbe es eine Remedur gegen das Unabwendbare, den Tod. Weinend brach Teti-scheri zusammen. Und da ihn die kleine Frau in ihrem Schmerz dauerte und er in diesem Augenblick nichts weiter als einen leidgeprüften Menschen vor sich sah, nahm Murschili die Große königliche Gemahlin in den Arm und hielt sie einfach nur ganz fest, ohne ein Wort zu verlieren.

Pharao Senacht-en-Re Ah-mose, der stets ein stattlicher Mann gewesen war, lag wie ein vertrocknetes Häufchen Elend in seinem Bett und wartete auf den Tod. Teti-scheri hatte wieder genügend Kraft sammeln können, um sich zu ihm zu setzen und seine Hand zu halten. Er spürte ihre Berührung und sah sie mit glasigen Augen an. „Danke“, war alles, was er sagte, als er ihre Hand drückte.

Als die Sonne aufging und ihre goldenen Strahlen über das Land aussandte, verließ die Große königliche Gemahlin Teti-scheri das Schlafgemach ihres Mannes.

„Lasst es das ganze Land, lasst es alle Welt wissen: Pharao Senacht-en-Re Ah-mose ist zu Osiris geworden.“

AH-HOTEP oder: Die Befreiung Ägyptens

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