Читать книгу AH-HOTEP oder: Die Befreiung Ägyptens - Wieland Barthelmess - Страница 6
Der Teich der Nilpferde
ОглавлениеDas Nilpferd vernichtet deinen Widersacher
und wütet gegen deine Feinde
Es war an Ah-hotep, die Begräbnisfeierlichkeiten für ihren Vater, Pharao Senacht-en-Re Ah-mose auszurichten. Eigentlich wäre dies ja die Aufgabe des ältesten Sohnes gewesen, doch der war dringend mit anderen Dingen beschäftigt. Jeden Morgen fuhr er mit dem ersten Licht nach Gebtu hinüber und kehrte erst mit den letzten Sonnenstrahlen, manchmal in der Nacht und gelegentlich auch erst anderntags wieder. Niemand im Palast sprach darüber, aber jeder wusste, was er dort tat. In Gebtu war die Nilpferd-Legion stationiert, aus der Seqen-en-Re die schlagkräftigste Armee des Reiches formen wollte. Jetzt, wo er bald zum Pharao gekrönt sein würde, galt es, jeden Tag zu nutzen. So fuhr er Tag um Tag den streng bewachten Kanal entlang, der zum geheimen See im Hinterland führte, auf dem, geschützt vor neugierigen Blicken, die neu erbaute Flotte lag. Ein Dutzend Schiffe umfasste sie bereits und am nächsten Dutzend wurde gerade eifrig gebaut. Gleich neben dem See hatte Seqen-en-Re die Planierung einer riesigen Fläche angeordnet, um dort die Streitwagentruppe den richtigen Umgang mit ihren neuartigen Gefährten üben zu lassen. Der Pferdebändiger Murschili war ihm auch hierbei eine große Hilfe.
Ah-hotep war froh, dass sie freie Hand hatte, das Begräbnis ihres Vaters vorzubereiten. Sie nutzte die siebzig Tage der Einbalsamierung, um ihr Wissen über einen den alten Traditionen folgenden Beisetzungsablauf aufzufrischen. Zuviel war in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Vergessenheit geraten, während Ah-hoteps Vorfahren sich darin aufrieben, die ständigen Angriffe aus dem Norden wie auch aus dem Süden abzuwehren. Der Sarkophag für Pharao Senacht-en-Re sowie die Grabbeigaben waren längst schon angefertigt worden. Wie jeder Pharao hatte auch Senacht-en-Re sofort nach seiner Krönung mit deren Herstellung beginnen lassen, so dass manche der Gegenstände schon seit bald zwanzig Jahren bereitlagen. Doch den Ablauf des Leichenbegängnisses musste Ah-hotep nun bestimmen. Und sie würde allergrößte Sorgfalt darauf legen, dass er den alten Vorschriften genügte, aber auch ihrem Vater gerecht wurde.
Zunächst waren die Priester abweisend, als sie Ah-hotep in ihren Tempeln aufsuchte. Wie sollte eine derart atemberaubend schöne, junge Frau auch so klug sein, um ernsthaft mit ihnen über die Bedeutung der Riten zu sprechen? Nein, sie wird eines der üblichen Palastdämchen sein. Und die Verehrung, die sie bei den Soldaten genoss, mochte auch genau dieser Schönheit geschuldet sein - zumal sie diese ja auch nicht gerade zu verbergen suchte. Ah-hotep wusste nur zu gut, was in den Köpfen der Priester vorging. Zwischen Überheblichkeit, wohlwollendem Mitleid und schierer Geilheit konnte sie auch noch etliche andere Gemütsregungen erkennen. Ihnen allen war gemein, dass man sich ihr turmhoch überlegen fühlte. So jung Ah-hotep auch war ‑ gerade siebzehn war sie erst geworden ‑, so hatte sie doch vieles über den Umgang mit Würdenträgern in langen und hitzigen Debatten mit Architekten, Generälen, Schatzmeistern und nun auch Priestern gelernt. Es war genauso, wie ihre Mutter Teti-scheri immer gesagt hatte: Versetze dein Gegenüber nicht in Angst! Erschrecke ihn nicht, indem du zeigst, dass du mindestens ebenso klug bist wie er. Sei freundlich, sei schön, sei liebreizend. Aber frage nach und sei, bis man dich eines Besseren überzeugen kann, hart in deiner Ansicht, die mit einem Lächeln vorgetragen, süß schmecken soll wie Honig. Vor allem: Höre zu, was sie dir sagen. Und zwar nicht nur mit ihrem Mund, sondern auch mit ihren Augen, ihren Händen und Füßen.
Wahrscheinlich war es genau diese Gabe Ah-hoteps, sich ihren Gesprächspartnern mit aufgeschlossener Aufmerksamkeit zuzuwenden, welche deren anfängliche Vorbehalte schnell schwinden ließ. Und da ihre Einlassungen nie verletzend, sondern stets mit großer Freundlichkeit und ebensolchem Kenntnisreichtum vorgetragen wurden, hörte man ihr am Ende mit gewogenem Interesse zu. Sie ließ erkennen, dass ihr lediglich daran gelegen war, ihr Gegenüber ‑ genauso wie sich selbst ‑ vor Fehlern und Irrtümern zu bewahren.
So wunderte es schließlich niemanden, dass Ah-hotep nach der Verwaltung und den Streitkräften, nun auch die Priesterschaft davon überzeugen konnte, dass sie bei der Großen königlichen Gemahlin stets ein offenes Ohr finden würde. Seqen-en-Re zollte ihr aufrichtigen Respekt dafür. Ja, er beneidete seine Schwester für diese Gabe, an der es ihm so sehr mangelte. Seine Versuche, Vertrauen zu gewinnen, waren oft genug gescheitert. Doch da er wusste ‑ auch wenn die Welt ansonsten verlogen war ‑, dass seine Gemahlin und Schwester Ah-hotep in unbedingter Loyalität zu ihm stand, ließ er sie gewähren und kümmerte sich um seine Angelegenheiten.
Das Begräbnis Pharao Senacht-en-Re Ah-moses geriet zu einem Ereignis, von dem man noch lange sprach. Vorbildlich wurde allen Göttern Genüge getan, selbst den Geringsten unter ihnen. Und genauso vorbildlich wurde der Gerechtfertigte in einer würdigen und doch zu Herzen gehenden Zeremonie auf der anderen Seite des Nils zu Grabe getragen. Ah-hotep schenkte dem Volk ein Fest für die Seele. Ein jeder wünschte sich ein solches Begräbnis, bei dem man sehen konnte, wie geschätzt und geliebt der Verstorbene war. Da aber auch der Leib umhegt sein wollte, was zudem vollkommen im Sinne des Verstorbenen war, ließ Ah-hotep die Getreidespeicher öffnen und an jedermann Brot und Bier verteilen. Da sie allerdings auch hier genau hinsah, musste sie feststellen, dass vieles von dem, was dem Volk gegeben werden sollte, schon längst versickert war, bevor es dort überhaupt ankam. Dies würde das erste Problem sein, dass sie angehen musste, sobald Seqen-en-Re gekrönt war.
Gleich im Anschluss an die Begräbnisfeierlichkeiten wurde die Erhebung Seqen-en-Re Ah-moses zum Pharao begangen. Ah-hotep hätte es lieber gehabt, wenn noch etwas mehr Zeit zwischen den beiden Festen gelegen hätte, waren die siebzig Tage der Einbalsamierung doch nicht genug, um auch ihre Handelskontakte in Kefdet zu informieren, damit sie rechtzeitig zu den Feiern eintreffen konnten. Wie gerne hätte sie eine Gesandtschaft aus Kefdet empfangen! Sie wären die vielen tausend Iterus gekommen, nur um Pharao zu ehren. Unbeugsam bestand Sequen-en-Re jedoch darauf, dass er sobald als möglich inthronisiert werde, um das drohende Chaos zu vermeiden, das in einer Zeit ohne König allüberall lauerte. Solange der Thron unbesetzt war, konnte alles geschehen - und Apopi war auch alles zuzutrauen. Doch wäre Seqen-en-Re erst einmal von den Priestern des Amun als Pharao bestätigt worden, musste selbst Apopi seine Ernennung hinnehmen. Noch war die im Geheimen aufgebaute Armee nicht schlagkräftig genug, um eine kriegerische Auseinandersetzung zu bestehen.
Ah-hotep hatte das Ihre getan, damit die Inthronisierung Pharao Senacht-en-Re Ah-moses ein grandioses Fest wurde, das aller Welt zeigte, wie hell der Mond über Waset leuchtete. Sie hatte jeden, der ein Haus in der Hauptstadt besaß, dazu verpflichten lassen, dass er zumindest die der Straße zugewandte Seite frisch tünchen ließ. Die wenigen, die nicht dazu in der Lage waren, oder dies zumindest behaupteten, wurden kurzerhand enteignet. Würden sie doch auch ansonsten nichts in die Instandhaltung ihrer Gebäude investieren können. Es entbrannte schließlich ein regelrechter Wettbewerb darin, wessen Haus schöner und prächtiger wiederhergestellt war. Am Vortag des großen Ereignisses hatte Ah-hotep eigens eine Hundertschaft von Hilfsarbeitern abstellen lassen, damit die Straßen Wasets gründlich gereinigt wurden. Streunende Hunde und Schweine wurden eingefangen, die Hunde ertränkt, die Schweine geschlachtet und ihr Fleisch an die Bewohner und Besucher der Stadt verteilt. Nur die Katzen ließ man unbehelligt, damit sie auch weiterhin Mäuse jagten - waren sie doch überdies aus diesem Grunde auch heilig.
Dem Gesandten Apopis drohten die Augen überzugehen. Er hatte den Auftrag, Glückwünsche zu überbringen, sich zugleich aber auch ein wenig umzusehen und über den Zustand des südlichen Reiches sowie die Absichten des neuen Herrschers zu informieren. Alles deutete darauf hin, dass man bemüht war, einen Neuanfang zu wagen. Waset glänzte wie eine eben erst errichtete Stadt und ihre Bewohner waren stolz, unter ihrem neuen Pharao zu leben. Obwohl die Existenz sowohl der Flotte als auch der neu gegründeten Streitwagentruppe noch immer das am besten gehütete Geheimnis des Landes war, ließen sich Sequen-en-Re und seine Große königliche Gemahlin nicht wie üblich in Sänften in den Tempel zur Krönung tragen, sondern benutzten den Streitwagen. Ah-hotep hatte sich von Murschili den Umgang mit den nur schwer zu kontrollierenden Gefährten zeigen lassen und lenkte ihren Wagen inzwischen nahezu ebenso sicher wie Pharao. Zudem hatte sie sich, gemeinsam mit den Handwerkern der königlichen Werkstätten, eine neue königliche Kopfbedeckung anstatt des üblichen Nemes-Tuches ausgedacht: Die Chepresch-Krone. Ihre hoch aufgewölbte Form ließ an einen Helm denken, doch war sie in tiefstem Ägyptisch Blau gefärbt, der Farbe des Göttlichen. Zudem war sie über und über mit kleinen goldenen Kreisen besprenkelt. Es sah aus, als ob sich ein Stück des nächtlichen Sternenhimmels über Pharaos Haupt gewölbt hätte. Wie beim Nemes-Tuch hielten eine aufgerichtete Uräusschlange sowie ein Geierkopf unmittelbar über der Stirn alles Böse fern. Klug wusste Ah-hotep auf diese Weise zu vermeiden, dass Seqen-en-Re lediglich die Weiße Krone des Südens aufs Haupt gesetzt bekam, während Apopi die Rote Krone des Nordens noch immer auf seinem Asiatenschädel trug. Die Blaue Krone stand ohne jegliche geographische Begrenzung für die von den Göttern gegebene Herrschaft schlechthin.
Es war ein beeindruckendes Bild wie Pharao in seinem Streitwagen Einzug in Waset hielt, gefolgt von der Großen königlichen Gemahlin in einem ebensolchen Gefährt. Die goldenen Kreise auf seiner Chepresch-Krone funkelten im Sonnenlicht. Und war nicht auch unter dem prächtigen Gewand seiner Großen königlichen Gemahlin eine leichte Wölbung zu erkennen, wenn der Fahrtwind den Stoff an ihren Leib presste? Es war, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, ein beredtes Versprechen auf die Zukunft. Etwas Neues kündigte sich für alle sichtbar an.
Sämtliche Fürsten des Landes waren angereist, um ihre Geschenke und Glückwünsche zu überbringen, aber auch, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, mit wem sie es zukünftig zu tun hätten. Wer war es, der nun auf dem Thron des Südens saß? Dem Beispiel ihrer Mutter Teti-scheri folgend, ließ auch Ah-hotep die Geschenke öffentlich ausstellen, so dass sich das Volk als die eigentlich Beschenkten fühlen konnte. Gespannt wartete man auf die Gabe Apopis, die auf einem Ochsenkarren herbeigeschafft wurde. Es war eine lebensgroße Statue des Königs, die aus Bechenstein gefertigt worden war, den man, vertraglichen Vereinbarungen folgend, im Herrschaftsbereich Seqen-en-Res im Wadi Hammamat gebrochen hatte. Die Inschrift auf dem Sockel zeigte deutlich, wen sie darstellte: Apopi Neb-chepesch-Re – Apopi, mit der Schlagkraft des Re.
Es ging ein Raunen durch die Menge, als der Gesandte Apopis die Statue enthüllte. Seqen-en-Re wurde rot vor Wut, so dass Ah-hotep fürchtete, die Adern auf seinen Schläfen könnten platzen. Dies war ein doppelter, wenn nicht gar dreifacher Affront. Indem er ihm eine Statue von sich überbringen ließ, machte Apopi deutlich, dass er es war, dem Sequen-en-Re ihm zu huldigen hatte. Überdies war sie aus Bechenstein gefertigt, der ausschließlich im Herrschaftsbereich Seqen-en-Res gefunden wurde und über den Apopi dennoch nach Gutdünken verfügen konnte. Er gab dem schwer zu bearbeitenden Stein die Form seines Abbilds und zeigte damit zugleich, dass auch die Steine des Südens seinem Willen unterlagen. In der Inschrift des Standbildes drückte sich zudem die unmissverständliche Warnung aus, dass Apopi über eine gottgleiche Schlagkraft verfügte.
Es wurde allerseits erwartet, dass das Abbild Apopis mit Räucherwerk begrüßt wurde. Also erhob sich Ah-hotep schweigend, griff eine Räucherpfanne und stellte sie unmittelbar vor die Statue. Doch anstatt des einem Gott angemessenen Weihrauchs oder wenigstens arabischer Myrrhe nahm sie eine Handvoll jener vom gemeinen Volk benutzten Kyphi-Kügelchen und warf sie in die Glut. Es herrschte atemloses Schweigen, bis langsam ‑ zunächst nur vereinzelt, bald aber immer lauter werdend – Gelächter aus der Menge drang. Schließlich belachten Tausende die Geste Ah-hoteps, die ihre Wertschätzung unmissverständlich zum Ausdruck brachte. Man lachte Pharao Apopi aus. Später, so berichtete der Gesandte aus Avaris nach seiner Rückkehr, als die offiziellen Feierlichkeiten beendet waren und die Menschen ausgelassen in den Straßen von Waset tanzten, hatte er mit ansehen müssen, wie einige Übermütige zunächst Mäusedreck, später sogar Nilpferdkot in die Räucherschale warfen. Es war schlichtweg erniedrigend.
Apopi tobte vor Wut. Die Weiber des Südens seien allesamt Hexen, schrie er, und Ah-hotep war eindeutig die Tochter ihrer hinterlistigen Mutter Teti-scheri. Offenbar war es an der Zeit, dass er ein Exempel statuierte, um ihnen ihre freche Überheblichkeit ein für alle Mal auszutreiben. Als abermals ein mit Zedernholz beladenes Schiff aus dem fernen Kefdet an Avaris vorbeisegelte, ließ es Apopi kurzerhand beschlagnahmen. War ihm doch zu Ohren gekommen, dass man gleich am Tag nach der Krönung Seqen-en-Res seinen Namen aus dem überreichten Standbild ausgemeißelt und durch jenen des verstorbenen Pharaos Senacht-en-Re ersetzt hatte. Seither brannte in der Räucherschale zu Füßen der Statue wertvollster Weihrauch.
Nun war es an Ah-hotep, sich wegen der beschlagnahmten Ladung Zedernholz über Apopi zu ärgern. Teti-scheri versuchte, ihre Tochter zu beruhigen, da derartige Aufregungen, wie man wusste, das Kind in ihrem Bauch nur allzu leicht zu einem streitsüchtigen Menschen machen konnten. Seqen-en-Re reagierte augenblicklich und ließ in aller Heimlichkeit die im Norden weidenden Rinderherden zurückholen. Sobald sie Abedju erreicht hatten, verwehrte er den Steinbrucharbeitern Apopis den Zutritt zum Wadi Hammamat, so dass sie unverrichteter Dinge wieder nilabwärts fahren mussten. Pharao hatte auch seinen Bruder Ka-mose aus Men-nefer zurückbeordert, da er fürchtete, dass Apopi ihn als Geisel nehmen könnte, um entsprechendes Wohlverhalten einzufordern. Offiziell war Ka-mose im dortigen Tempel des Ptah in die Kulthandlungen um den Apis-Stier eingeweiht worden. Tatsächlich sollte er in der dortigen Garnison jedoch die überlegene Waffentechnik der Hyksos ausspionieren. Bei seiner Rückkehr waren alle erstaunt, wie der Junge sich in den letzten zwei Jahren entwickelt hatte. Er war zu einem ruhigen, verständigen Jüngling herangewachsen, von dem man kaum glauben mochte, dass er erst zwölf Jahre alt war.
Ah-hotep stand kurz vor der Niederkunft, als sie eine Expedition nach Tjaou ans Rote Meer ausrüstete, damit sie von dort aus nach Punt in See stäche. Denn auch in diesem geheimnisvollen Land, so hatte man ihr erzählt, gäbe es Zedern, wenn auch nicht solche mit derart festem Holz, wie jene, die über Kefdet aus dem Lebnon-Gebirge oder aus Alaschija kamen. Die Schatzkammer des Palastes in Sadjefa-taui war reichlich leer geworden, um die Handelsreisenden angemessene Geschenke mit sich führen zu lassen, die schließlich entsprechende Gegengeschenke auslösen sollten. Auch wenn er eigentlich zu jung und unerfahren war für eine derart gefährliche und strapaziöse Reise, entschloss sich Seqen-en-Re, seinen jüngeren Bruder mitzuschicken. Weniger weil er meinte, dass Ka-mose Wesentliches zum Erfolg hätte beitragen können, sondern weil der Unternehmung in Begleitung eines königlichen Prinzen sogleich ein ganz anderes Maß an Autorität zufallen würde. Ka-mose war jedenfalls vollkommen begeistert, Teil dieses Abenteuers sein zu können, während Teti-scheri und ihre Tochter Ah-hotep beträchtliche Bedenken hatten, ihren Sohn und Bruder derartigen Gefahren auszusetzen.
„Weibergerede!“ Damit war es für Seqen-en-Re beschlossene Sache.
Ah-hotep verabschiedete ihren kleinen Bruder sehr herzlich. Sie mochte den stillen, nachdenklichen Burschen, hatte aber auch Gewissensbisse, ihn für ihre Karawane zu missbrauchen. Natürlich hatte Seqen-en-Re Recht: Nicht nur, dass man einem königlichen Prinzen nirgendwo einen Wunsch abzuschlagen wagte, sondern weil seine Gegenwart auch die eigenen Leute anstachelte, stets ihr Bestes zu geben. Vielleicht war es auch tatsächlich gut, Ka-mose bei dieser Gelegenheit, wie Pharao meinte, einmal die Atmosphäre eines Kriegszuges schmecken zu lassen. Es wird sich herausstellen, wie es sein wird, dachte Ah-hotep und eilte zu dem kleinen Tempel, den Pharao Seqen-en-Re als Erste seiner Amtshandlungen gleich nach der Krönung hatte erbauen lassen. Sie betete zu Ah, dem Mondgott, der zugleich Schutzgott ihrer Familie war, damit dem kleinen Bruder eine glückliche Heimkehr vergönnt sei. Sie bat aber auch um den wirtschaftlichen Erfolg der Mission und zog dann ein Amulett aus den Falten ihres Gewandes, von dem niemand wissen durfte, dass sie es überhaupt besaß. Es zeigte den Gott der Fremdherrscher des Nordens, Seth, den Mörder des Osiris, der in den Wüsten herrschte. Doch auch ihn, den Schlimmsten ihrer Feinde, wollte sie zumindest um die gesunde Heimkehr des Bruders bitten. Er war der Herr der Wüste, welche die Karawane schließlich durchqueren musste, um zunächst zum Meer zu gelangen. Und jeder wusste, dass man leichter auf dem Meer überlebte, als in der bergigen Wüste des Ostens. Da Ah-hotep jedoch von ihrer Mutter gelernt hatte, dass man immer versuchen sollte, mit seinen Gegnern im Gespräch zu bleiben, wollte sie auch Seth anrufen. Wie oft schon hatte sie gegenteilige Meinungen umstimmen können. Vielleicht gelang es ihr ja auch in diesem Fall, den unerbittlichen Gott der Wüste zu überzeugen, den Bruder und seine Kameraden zu verschonen und gesund heimkehren zu lassen. Dann eilte sie zum Mammisi hinüber, wo die Geburtshelferinnen schon auf sie warteten.
Nicht nur Teti-scheri schüttelte den Kopf. Schnell und nüchtern, ohne jegliches Aufheben hatte Ah-hotep ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Es war ein Mädchen, ein wunderhübsches dazu, wie alle in der Geburtslaube meinten. Und da das Kind ihrer armen Schwester Satdji erst vor wenigen Wochen verstorben war, gab sie ihm dessen Namen, fügte allerdings noch den Zusatz hinzu, der sie als die Kleine kennzeichnete: Ah-mose-scheri.
Pharao war es verhältnismäßig einerlei, wie das Kind genannt werden sollte, war es doch nichts weiter als ein Mädchen. Als ob dies der Nachlässigkeit Ah-hoteps zu verdanken gewesen wäre, teilte er ihr nüchtern mit, dass sie sich, sobald sie wieder empfängnisbereit sei, zur Verfügung stellen solle, damit er den Fehler ausmerzen könne. Teti-scheri blinzelte ihrer Tochter zu: Murschili könne ihr mit Sicherheit eine Kräuterzubereitung nennen, mit der dies hinauszuzögern sei.
„Murschili? Der Pferdebändiger aus den Bergen hinter dem Grünen Meer?“ Ah-hotep wollte es kaum glauben, dass ihre Mutter mit dem zwar netten, aber maulfaulen und ständig nach Pferden riechenden Mann Umgang hatte.
„Niemand kennt Pferde besser als er. Doch darüber hinaus weiß er auch über die Menschen Bescheid. Ich sag’s dir“, Teti-scheris Stimme nahm einen verräterisch schwärmerischen Ton an, „keiner versteht Frauen besser als er.“
„Ach so“, wunderte sich Ah-hotep.
Der gar nicht einmal so übel schmeckende Kräutersud tat seine Wirkung. Doch eines Abends platzte Seqen-en-Re nach seiner Rückkehr vom geheimen Teich völlig unerwartet in Ah-hoteps Gemächer. Ungewaschen und verdreckt wie er war, ließ er sie wissen, dass es ihm einerlei sei, ob sie empfängnisbereit war oder nicht. Er würde sie ab sofort jeden Abend bespringen, bis sie endlich wieder schwanger war. Ah-hotep setzte den Kräutertrank augenblicklich ab und hoffte, dass bald wieder ein Kind in ihrem Bauch heranwuchs. Es dauerte nicht lang und das Getreide keimte abermals in ihrer Alabasterschale.
Ah-hoteps zweite Tochter kam genau an jenem Tag zur Welt, als Prinz Ka-mose mit seiner Karawane wieder in Gebtu eintraf. Bevor sie in der Geburtslaube verschwand, hatte man Ah-hotep nur noch sagen können, dass er wohlauf war und mit sagenhaften Reichtümern wiedergekehrt sei. Also beeilte sie sich, das Anstehende zu erledigen, da sie am Abend, wenn er von seiner Reise berichten würde, unbedingt anwesend sein wollte. Murschilis Petersilienwurzelbrei half auch ihr.
Pharao war verärgert, dass Ah-hotep einem weiteren Mädchen das Leben geschenkt hatte. Man könnte fast meinen, sie tat es mit Absicht, schimpfte er. Fast wollte er sie schon vom abendlichen Rapport ihres gemeinsamen Bruders Ka-mose ausschließen. Dann besann er sich jedoch ihrer stets kenntnisreichen Einlassungen und verzichtete darauf. Stattdessen besuchte er Sat-djehuti-sat-ibu, die er nicht mehr bemüht hatte, seit sie ihre Tochter verloren und von da an nur noch ein bedrücktes Gesicht zur Schau gestellt hatte. Also entschied Ah-hotep allein über den Namen des Mädchens und nannte sie Ah-mose Henut-em-pet – Ewige Gebieterin des wiedergeborenen Mondes. Seqen-en-Re, das wusste sie, würde den Namen keinesfalls mögen. Lehnte er doch grundsätzlich Namen ab, die Frauen als Gebieterinnen benannten.
Noch geschwächt von der Niederkunft ließ sich Ah-hotep in einer Sänfte in die große Halle des Palastes von Sedjefa-taui tragen. Sequen-en-Re würdigte sie keines Blickes, sondern besah sich, was Ka-mose alles aufgestapelt hatte, damit die Familie einen Eindruck von den Dingen bekommen konnte, die er von der Exkursion zurückgebracht hatte. Das Jahr, das er fort gewesen war, hatte ihn verändert. Er war gewachsen, er war kräftiger geworden und das Kindliche in seinem Gesicht nahezu verschwunden.
„Wie viel Zedernholz hast du mitgebracht?“, fragte Pharao ohne sich überhaupt nach dem Wohlbefinden seines Bruders zu erkundigen.
„Leider nicht viel“, entgegnete der.
„Was?!“ Die Adern traten auf Pharaos Schläfen hervor. „Wir haben dich eigens ausgeschickt, damit du uns welches besorgst und du bringst diesen Plunder hier?“
„Dieser Plunder ist Gold, Elfenbein und Ebenholz. Weihrauch, Myrrhe und Gewürze“, gab Ka-mose entrüstet zurück.
„Mit dem Quatsch können sich die Weiber behängen oder Schmuckkästlein für ihre Geschmeide fertigen lassen. Ich aber will Schiffe bauen. Hörst du, richtige große Schiffe, auf denen ich eine Streitmacht nilaufwärts schicken kann.“
„Dann hättest Du mich nicht nach Punt schicken sollen. Dort gibt es kaum noch Zedern. Sie sind fast alle schon längst abgeholzt. Für zwei oder drei Schiffe mag es aber ausreichen, was ich mitgebracht habe.“
„So, so … Für zwei oder drei Schiffe … Ich brauche aber mindestens noch zehn Schiffe! Oder kann man etwa aus Elfenbein und Ebenholz Schiffe bauen? Wohl kaum!“
Ah-hotep versuchte, Pharao zu beruhigen. „Zunächst sollten wir uns doch wohl darüber freuen und dankbar sein, dass unser Bruder Ka-mose wieder gesund bei uns ist. Zudem ist es ja auch alles andere als wertloser Plunder, den er mitgebracht hat.“
„Für mich ist es das aber“, brüllte Pharao. „Was soll ich mit dem Kram? Ich brauche Schiffsbauholz und zwar schnell. Dass du, meine liebe Schwester und Gemahlin, deinen kleinen Bruder natürlich verteidigst, leuchtet mir ein. Ist er doch genauso nutzlos wie du. Schau dir doch den Krempel an! Straußenfedern, Leopardenfelle, Gold und duftendes Puder. Und du wirfst eine Tochter nach der anderen, während das ganze Land auf einen Thronfolger wartet!“
„Nun beruhige dich erst einmal wieder.“ Fauchend wie die Löwengöttin Sachmet war Teti-scheri aufgesprungen und zu ihrem Sohn getreten.
„Fass mich nicht an, Mutter!“, schrie Seqen-en-Re. „Ich bin kein Kind mehr, das du schlagen kannst!“
„Dann benimm dich auch so!“ Ruhig fuhr Teti-scheri fort. “Sowohl dein Bruder als auch deine Schwester setzen ihr Leben für dich und ihr Land aufs Spiel, vergiss das nicht. Wir müssen das Beste aus den Gegebenheiten machen. Lass uns in aller Ruhe überlegen, was zu tun ist.“
„In aller Ruhe?“ Seqen-en-Re wollte sich auf keinen Fall beruhigen. „Apopi kapert die Schiffe, die zu uns unterwegs sind, er gibt Anweisung, dass die Getreidelieferungen an uns zu unterbleiben haben. Er ist dabei, uns auszuhungern.“
„Dann müssen wir eben zusehen, wie wir die ausgebliebenen Lieferungen ausgleichen können“, sprang Ah-hotep ihrer Mutter bei. „Indem wir brüllen und toben wird keines unserer wahrhaft zahllosen Probleme gelöst. Ich habe dir schon vor Wochen einen Plan zur verbesserten Bewässerung unserer Länder vorgelegt. Ich habe eine Aufstellung machen lassen, aus der hervorgeht, dass wir ganz Waset ein Jahr lang ernähren können, wenn wir die Zuwendungen an die Tempel im Land nur um ein Zwölftel verringern. Und seit Monaten bitte ich dich, deine Generäle nicht wie königliche Prinzen zu behandeln und ihnen Paläste zu bauen.“
„Das verstehst du nicht, du dumme Gans!“ Seqen-en-Re wandte sich zum Gehen. „Wir müssen sie bei Laune halten und uns ihrer Loyalität versichern.“
„Du hättest deinem Vater besser zuhören sollen“, warf Teti-scheri ein. „Hat er nicht immer gesagt, dass gekaufte Loyalität ebenso wertlos ist wie gekaufte Liebe? Was hältst du davon, deine Generäle für dich zu gewinnen, anstatt sie zu bestechen?“
Seqen-en-Re sah sie entgeistert an. „Weibergeschwätz! Ich bin Pharao, ich habe die Macht zu befehlen und sie müssen folgen.“
„Sie werden dir folgen“, gab Ah-hotep zu bedenken, „genauso wie dein ganzes Volk dir gehorcht. Aber meinst du nicht, dass es besser ist, wenn sie dir wegen der Stimme ihres Herzens folgen, anstatt aufgrund von Peitschenhieben, Gold oder Vergünstigungen? Mach, dass sie deine Vorhaben unterstützen! Mach, dass sie dich lieben!“
„So kann nur ein Weib reden. Was kümmert es mich, weswegen sie mir folgen. Hauptsache ist, sie gehorchen. Und sei es nur, weil ich Seqen-en-Re Ahmose, der Starke bin. Und nun verlangt es mich nach meinen Soldaten. Macht ihr meinetwegen, was ihr wollt. Von mir aus auch, damit sie uns lieben. Ka-mose wird mich begleiten, damit er hier nicht auch noch zum Weib wird. Er kann sich um die Streitwagentruppe kümmern und ihr vorstehen. Dieser zwielichtige Murschili steht hoch in der Gunst der Männer und ist doch nichts weiter als ein Fremdling.“
Seither war Seqen-en-Re nur noch selten im Palast anzutreffen. Für ihn sollte das trutzige Fort am Teich der Nilpferde zu seinem neuen Zuhause werden. Nur gelegentlich ließ er sich noch zum Westufer des Nils übersetzen, von besorgten Dienerinnen Ah-hoteps bei ihrer Herrin angekündigt, sobald sie die Barke Pharaos den Nil überqueren sahen. Schon bald keimten wieder die Körner in Ah-hoteps Alabasterschale.
Ah-hotep nahm Seqen-en-Res Aufforderung, nach Gutdünken zu handeln als königlichen Befehl. Nachdem sie schon gleich nach der Krönung nahezu die Hälfte der leitenden Beamtenschaft ausgetauscht hatte ‑ waren doch die Beweise allzu drückend gewesen, dass sie in die eigenen Taschen gewirtschaftet hatten ‑, ließ sie nun unverzüglich das neue Bewässerungssystem in Angriff nehmen. Und tatsächlich: Die Ernten verdoppelten sich nahezu. Sie sorgte dafür, dass es in jedem größeren Ort Priester gab, die über medizinisches Wissen verfügten und dieses auch dem einfachen Volk zur Verfügung stellten. Seither fielen viel weniger Arbeitskräfte aus. Gleichzeitig senkte sie die Lebensmittelzuteilungen an die Tempel und erhöhte stattdessen deren Zuwendungen an Räucherwerk, damit sie nicht behaupten konnten, sie seien beraubt worden. Ka-moses Expedition hatte die Lager voll davon sein lassen und Ah-hotep konnte die Priester tatsächlich überzeugen, dass den Göttern Weihrauch, Myrrhe und Gewürze als Opfergaben mindestens ebenso lieb waren wie Brot, Bier und Ochsenfleisch. Brot und Bier wurden nun mit zuverlässiger Regelmäßigkeit an das Volk ausgegeben. Ah-hotep versäumte auch nicht, regelmäßig die Nilpferd-Truppen zu besuchen, wenn sie sich aufs Ostufer übersetzen ließ, um ihren Gemahl über den Fortgang der Schwangerschaft, aber auch über die Fortschritte bei der Umgestaltung des Landes zu informieren. Nie vergaß sie, den Soldaten eine Zuwendung zukommen zu lassen. Manchmal war es nur süßer Kuchen aus der Palastküche, gelegentlich eine Extraration Brot, Bier oder manchmal sogar auch ein stattlicher Ochse. Da die meisten Menschen in der Umgebung von Waset den geheimnisvollen, im Verborgenen seienden Gott Amun verehrten, der seit alters her insbesondere von den Bauern und Landarbeitern verehrt wurde, ließ Ah-hotep am Teich der Nilpferde einen kleinen Tempel für diesen Gott errichten. Seqen-en-Re hielt dies zwar für vollkommen überflüssig, ließ sie jedoch gewähren. Die Dankbarkeit und Begeisterung, die seine Soldaten daraufhin Ah-hotep entgegenbrachten, beanspruchte er jedoch gerne auch für sich.
Obgleich Apopi den Süden von nahezu allen Warenlieferungen aus dem Norden abgeschnitten hatte und die Handelsbeziehungen auf ein Minimum beschränkte, strahlte der Mond heller denn je über dem südlichen Landesteil. Ja, es wurden sogar Lieder darüber gesungen, dass es den Menschen selten einmal besser gegangen war, als unter der Herrschaft Pharao Seqen-en-Res und seiner Großen königlichen Gemahlin Ah-hotep. Gleichwohl wusste sie, dass sie nicht auf ewig ohne den Handel mit dem Norden würde auskommen können. Wenn doch Seqen-en-Re nur ein wenig verbindlicher wäre, dachte Ah-hotep. Sie selbst würde sicherlich sogar mit dem garstigen Apopi auskommen. Eine zeitlang überlegte sie, ob sie nicht vielleicht hinter Pharaos Rücken versuchen sollte, Kontakt aufzunehmen, um das Schlimmste abzuwenden. Doch Teti-scheri redete ihr ins Gewissen und Ah-hotep musste ihr schließlich recht geben: Es wäre eindeutig Hochverrat gewesen.
Ka-mose hatte sich sehr gut entwickelt, wie Ah-hotep bei ihren Besuchen am Nilpferdteich feststellen konnte. Er war abermals gewachsen und überragte seinen gedrungenen Bruder nun fast um Haupteslänge, was diesen maßlos ärgerte. Ähnlich wie seiner Schwester sagte man ihm nach, dass er die Gabe hatte, Menschen zusammenzubringen und für sich einzunehmen. Die Soldaten schienen Ka-mose jedenfalls zu lieben und Ah-hotep meinte zu spüren, dass sie für ihren Kommandanten auch bereitwillig in den Tod gehen würden. Vor Seqen-en-Re hingegen schienen sie sich zu fürchten. Nun, Ah-hotep mochte sich nicht weiter ausmalen, wie er sie manchmal behandelte. Denn schon drohten hilflose Mütter ihren aufsässigen Söhnen, dass sie in Pharaos Truppe kämen, wenn sie nicht artig wären. Da man aber nichts Genaues über die dortigen Zustände wie über die Truppe im Allgemeinen wusste, kursierten bald die unmöglichsten Gerüchte. Man ließe die Soldaten Menschenfleisch verspeisen, damit sie möglichst angriffslustig und bösartig wurden. Auch wurde behauptet, dass sie sich untereinander paarten und weitere Soldaten gebaren, die sie bei Vollmond ausspieen. Andere wiederum wollten gehört haben, dass sie Nilpferde begatteten, die grässliche Ungeheuer in die Welt setzten, die ausschließlich die Heqa-Chasut aus dem Norden fraßen. Auf jedem Markt erzählte man davon, wie Ah-hotep zu Ohren gekommen war. Sie war sehr beunruhigt deswegen. Würde es doch nicht mehr lange dauern, bis man auch Apopi von diesen Geschichten berichtet hätte. Sie gab Anweisung an die Grenzposten, genau darauf zu achten, wer nilaufwärts kam, um beim kleinsten Verdacht Meldung zu machen. Eines Tages würde es sich herumsprechen, überlegte sie, was dort östlich von Gebtu vor sich ging. Zählte die Nilpferdtruppe doch mittlerweile 160 Streitwagen, 500 Bogenschützen und nahezu 6000 Fußsoldaten. Und dies bedeutete, dass inzwischen sehr viele Familien darüber nachdachten, wo ihre Söhne abgeblieben waren. Über die vielen sehnsüchtigen Bauernmädchen, die ihres Liebsten verlustig gegangen waren, wollte sie am besten überhaupt nicht nachdenken. Ah-hotep lächelte. Sie würden gewiss einen Weg finden, um wenigstens in finsterer Nacht einen flüchtigen Kuss von ihrem Meri zu bekommen. Und sicherlich würden sie auch Dinge erfahren, die eigentlich niemand wissen sollte. Nein, es würde kein Weg daran vorbeiführen, die Geheimnistuerei zu beenden, bevor Apopis Spione Wind davon bekamen. Denn sonst würde sich Pharao gegenüber Apopi rechtfertigen müssen, warum er das Ausbildungslager verborgen gehalten hatte. Konnte es doch nur bedeuten, dass Pharao hinterhältig Übles plante. Nein, so kam es Ah-hotep in den Sinn, Pharao müsse das Vorhandensein seiner Elitetruppe augenblicklich öffentlich machen. Am besten mit einer Parade.
Noch in der Nacht ließ sich Ah-hotep nach Gebtu übersetzen, um Pharao dringend zu empfehlen, in allernächster Zeit eine große Parade zu veranstalten. Seqen-en-Re wurde weiß vor Schreck, als man ihm meldete, dass die Große königliche Gemahlin soeben, mitten in der Nacht, den Kanal zum Nilpferdteich hinauffuhr. Konnte es doch nur bedeuten, dass etwas geschehen sein musste oder Gefahr im Verzug war. Ah-hotep kannte das Gesicht ihres Ehemanns, das er machte nachdem sie ihm ihre Überlegungen mitgeteilt hatte, aus den Tagen als er noch ausschließlich ihr Bruder war. Es zeigte, dass er nichts von dem verstand, was sie soeben gesagt hatte.
„Mir soll’s recht sein“, sagte er schließlich. „Von mir aus schon morgen. Ich habe diese Geheimnistuerei längst satt. Es wird Zeit, dass wir dem Volk unsere Stärke auch zeigen.“
Ah-hotep war erleichtert. Jetzt galt es nur noch, einen Anlass für eine derartige Parade zu finden. Man konnte ja schließlich nicht einfach ohne triftigen Grund sechseinhalbtausend Mann durch Waset marschieren lassen. Zur Not könne man ja immer noch irgendeinen Aufruhr im Grenzgebiet zu Kusch hochspielen, zu dessen Niederschlagung die Truppen ausrücken würden. Insubordination gab es jedenfalls dort unten im Süden häufig genug.
„Wann kommt dein Kind zur Welt?“, fragte Seqen-en-Re.
Ah-hotep stutzte, weil er das vergessen hatte. „In zwei Wochen, wenn alles gut geht.“
„Kannst du mir versprechen, dass es ein Sohn wird?“
„Wie sollte ich? Ich werde dir nichts versprechen, was ich nicht halten kann“ entgegnete Ah-hotep.
„Gibt es denn keine Anzeichen?“
„Du weißt doch, wie das ist. Einer will dir Gutes und legt die Anzeichen so aus, dass sie jenes ankündigen, was du hören möchtest. Ein anderer will dir Übles und sagt das Schlimmste voraus. Wer Recht hat, weiß man wie immer erst, wenn man sieht, was geworden ist.“
„Weibergeschwätz!“ Pharao ärgerte sich. „Ich bin Soldat. Ich weiß was geschieht, wenn ich den Speer schleudere.“
„Du weißt aber genauso wenig, ob du die Schlacht gewinnen wirst, bevor du sie geschlagen hast.“
„Gebier mir einen Sohn, Weib! Und die Parade wird zu seinen Ehren abgehalten werden. In zwei Wochen also.“
Ah-hotep war in den folgenden Tagen sehr beschäftigt. Sie musste die Priester darüber informieren, dass sie gedachte, einen Sohn zur Welt zu bringen, den sie kurz nach seiner Geburt als Thronfolger bestätigen sollten.
„Und wenn ihr noch weitere Söhne habt“, fragte der Vorsteher der Priester des Amun. „Was tut ihr, wenn sie sich in späteren Jahren als geeigneter als der Erstgeborene herausstellen?“
„Wir haben keine andere Wahl“, beharrte Ah-hotep. „Wir müssen das Wagnis eingehen.“
„Gut.“ Paheri, der Priester des Amun, verbeugte sich. „Was aber ist, wenn das Kind ein Mädchen wird.“
„Dann werden wir sie einfach zur Großen königlichen Gemahlin des zukünftigen Pharaos erheben.“ Ah-hotep lächelte.
„Eines Pharaos, der noch gar nicht geboren ist?“
„Warum nicht? Wir müssen sowieso eines der Mädchen dazu bestimmen.“
„Aber gleich unmittelbar nach der Geburt?“ Der Priester war keineswegs überzeugt.
„Was wäre, wenn einer der Götter durch ein Orakel zu uns spricht und wir nur seinem Willen folgten? Wozu dann noch warten. Dann kann man die Erhebung auch gleich nach der Geburt vollziehen.“
„Ich verstehe.“ Paheri verbeugte sich abermals. „Du wirst dabei an ein Orakel des Familiengottes Ah gedacht haben, vermute ich.“
„Keineswegs“, lächelte Ah-hotep ihn an. „Man würde nur eine Intrige der Familie dahinter vermuten. Und die königliche Familie oder den Adel müssen wir nicht überzeugen, mit denen können wir reden. Aber das Volk müssen wir dafür gewinnen, dass es unser Handeln für gut und richtig hält. Doch welchem der Götter, dessen Orakel dies anzeigte, würde das Volk am ehesten vertrauen? Re? Der ist weit fort in Iunu, das zudem unter der Fuchtel der Hirtenkönige steht. Oder Osiris? Der kümmert sich in Abedju um die Toten. Oder Horus etwa, der sich in Pharao vermenschlicht hat?“ Ah-hotep sah dem Priester des Amun in die Augen. „Wir brauchen ein Orakel des Gottes, den die Bauern und Landarbeiter anbeten, dem die Menschen von Waset vertrauen. Der Verborgene, der nur im Finstren ist: Amun.“
Paheri verbeugte sich wiederholt. „Amun also.“ Er verstand sofort, dass er mit seinem Einverständnis die königliche Familie auf Generationen hinaus, an die Priester des Amun binden konnte. Diese Gelegenheit ließ er sich nicht entgehen, wie Ah-mose vorhergesehen hatte. „Dann sei es so wie du sagst: Also Amun.“
Ah-hotep wollte nichts dem Zufall überlassen und plante die Erhebung des königlichen Kindes bis in alle Einzelheiten. Sie sorgte dafür, dass drei Tage vorher nur das Allernotwendigste an Bier in Waset zur Verfügung stand, dafür aber genügend Brot. Sie ließ die Straßen reinigen, die herrenlosen Hunde und Schweine einfangen und urinieren abseits des Nils unter Strafe stellen. Sämtliche Blumen der königlichen Gärtnereien sollten nach Waset geschickt werden, um die Straßen zu schmücken. Sie sorgte sogar dafür, dass ein zuverlässiger Augenzeuge anwesend sein würde, damit Apopi von ihm über das Ereignis informiert werden konnte. Vor allem jedoch über die Sechseinhalbtausend bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, die auf dem neuesten Stand der Militärtechnik waren. Von den Schiffen auf dem Teich der Nilpferde durfte Apopi jedoch keinesfalls etwas erfahren, um sich nicht unmittelbar bedroht zu fühlen.
Ah-hotep hatte alles aufs Genaueste vorbereitet und sogar die Stunde ihrer Niederkunft festgelegt. Als es soweit war, aß sie von Murschilis Petersilienwurzelmus und begab sich ins Mammisi, wo man schon auf sie wartete. Pharao war sogar eigens aus Gebtu herübergekommen, um sofort von der Geburt seines Sohnes und Thronfolgers zu erfahren. Es herrschte betretenes Schweigen als das Kind aus Ah-hoteps Leib glitt, einmal kräftig schrie und dann mit staunenden Augen in die Welt blickte, als ob es über den Mangel an Begeisterung verwundert wäre. Es war abermals ein Mädchen. Teti-scheri ließ es sich nicht nehmen, höchstpersönlich genau nachzusehen, bevor sie es glauben wollte.
„Aber was für ein hübsches Kind es ist“, rief eine der Geburtshelferinnen entzückt und alle stimmten sogleich mit ein. Es war, darin waren sich alle einig, das schönste Kind, das seit langem geboren worden war.
Ah-hotep konnte Pharao Seqen-en-Re im Palast brüllen hören. „Was für ein Weib! Was nützt mir ihre Klugheit, wenn sie nur wieder Weiber in die Welt setzen kann!“ Er fuhr augenblicklich nach Gebtu zurück, ohne sich das Kind überhaupt anzusehen oder sich nach dem Befinden der Mutter zu erkundigen. Nun war es abermals an Ah-hotep, einen Namen für das Kind zu finden. Und da jeder, der das Neugeborene sah, wegen seiner Schönheit augenblicklich in Entzücken geriet, nannte sie es Ah-mose Nefertari – Der Mond ist wiedergeboren und sie ist der schönste von allen.
Das Orakel des Amun erkannte in dem Neugeborenen, die Frau, die dem Land eines Tages vorstehen und ihm goldene Zeiten bescheren würde. Und so richtete man, dem Gott zu Willen, die Einsetzung des Mädchens als zukünftige Große königliche Gemahlin aus. Pharao Seqen-en-Re der Starke würde Mutter und Kind mit einer großen Truppenparade zum Tempel geleiten. Und da bereits genug über Pharaos Truppen gemunkelt wurde, waren die Straßen von Waset schwarz vor Menschen. Jeder wollte einen Blick auf das göttliche Kind werfen, über dessen Schönheit so viel geredet wurde. Aber jeder wollte auch mit eigenen Augen sehen, was aus den Söhnen, Brüdern und Liebsten geworden war, die bei den Nilpferden dienten.
Ah-hotep hatte User-Month, den Bruder des Fürsten von Men-nefer eingeladen, von dem sie wusste, dass er in enger Beziehung zu Apopi stand. War er ihr doch schon des Öfteren behilflich gewesen, das eigentlich strikte Handelsembargo des Nordens über inoffizielle Kanäle zu umgehen. Ah-hotep war der festen Überzeugung, dass man den Kontakt miteinander nicht gänzlich abreißen lassen durfte. „Wer miteinander redet, schlägt sich nicht“, lautete ihre Devise und Apopi hatte User-Months Beziehungen ebenfalls schon verschiedentlich genutzt. Wie immer, wenn er den Süden besuchte, wohnte User-Month im königlichen Palast zu Waset, wo Sat-anjotef, die ältere Schwester von Ah-hoteps Vater, noch immer eine großzügige Wohnung unterhielt. Verursachte dies doch weitaus weniger Aufmerksamkeit, als wenn User-Month bei der königlichen Familie in Sedjefa-taui untergebracht worden wäre. Selbstverständlich saß er während der Parade auf einem Ehrenplatz neben Sat-anjotef, von wo aus er alles bestens beobachten konnte.
Zuerst ließ Ah-hotep die königlichen Fanfarenbläser aufmarschieren, die mit den dumpfen, eindringlichen Tönen ihrer Posaunen die Luft zum Vibrieren brachten. Es waren übermächtige Töne, die diese Demonstration der Macht einleiteten. Dann erschien Pharao auf seinem Streitwagen aus Elektron, die Blaue Krone auf dem Kopf. Ah-hotep folgte ihm auf einem bunt bemalten, aber nicht weniger prächtigen Streitwagen, der von Murschili gelenkt wurde, hielt sie doch das Neugeborene in ihren Armen. Seqen-en-Re war zunächst überhaupt nicht einverstanden gewesen, dass es der Hethiter sein sollte, der den Wagen der Großen königlichen Gemahlin steuerte. Da er aber keine offizielle Stellung innehatte, die es ihm erlaubt hätte, an der Parade teilzunehmen, bestand Ah-hotep darauf, dass er es war, der ihren Wagen lenkte. Ebenso wie ihre Mutter Teti-scheri war sie nämlich der Meinung, dass man Murschili, der soviel zum Erfolg der Truppenausbildung beigetragen hatte, eine derartige Ehrung schuldig war. Pharao hatte schließlich nachgegeben, da ihn derlei Schnickschnack, wie er es nannte, eigentlich weniger interessierte. Ihm war einzig und allein daran gelegen, die Macht und Unbesiegbarkeit seiner Soldaten eindrucksvoll in Szene zu setzen.
Obwohl Ah-hotep große Aufmerksamkeit darauf verwendet hatte, die Straßen Wasets sauber und aufgeräumt erscheinen zu lassen, wirbelten allein die einhundertsechzig Streitwagen, die vorneweg fuhren, Unmengen von Staub auf. Es war sprichwörtlich atemberaubend. Das Volk hörte das Donnern der Räder, das Prasseln der Hufe und jubelte. Es schrie sich in eine bis dahin kaum gekannte Ekstase der Macht und Überlegenheit. Wer sollte Pharao Seqen-en-Re den Starken noch bezwingen können? Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die mehr als sechstausend prächtig ausgerüsteten Fußsoldaten vorbeidefiliert waren. Ihre Waffen und Rüstungen blitzten in der Sonne und das Stampfen ihrer Füße brachte die Mauern zum Erbeben. Die Augen zahlloser Mütter und Väter suchten unter ihnen nach den Söhnen, Männer und Frauen nach ihren Brüdern, Kinder nach den Onkeln und etliche Bauernmädchen fielen seufzend in Ohnmacht, als sie ihren Meri inmitten dieser unbezwingbaren Streitmacht entdeckten. Der Jubel muss bis hinunter nach Avaris geklungen haben, dessen war sich jeder sicher.
Pharao Seqen-en-Re war überaus zufrieden mit der Wirkung, welche die Zurschaustellung seiner militärischen Schlagkraft erzielt hatte. Die erste spürbare Folge war, dass die Unruhen an der Grenze zum elenden Kusch augenblicklich aufhörten. Aus Angst vor einer möglichen Vergeltung hatten sich die Unruhestifter bis weit nach Nubien hinein zurückgezogen und hielten erst einmal still. Sehr viel wichtiger war jedoch, dass das Volk nun restlos davon überzeugt war, dass Pharaos Armee jeden, auch noch so mächtigen Feind würde schlagen können. Keiner würde es wagen, die Grenzen des südlichen Reiches ungebeten zu übertreten, würden die Truppen Pharaos doch wie der Sturmwind über ihn hinwegfegen.
Auch User-Month war sichtlich beeindruckt. Natürlich hatte man in Avaris schon längst vermutet, dass der Süden aufrüstete. Dass man dort aber inzwischen über eine derart schlagkräftige Streitwagentruppe verfügte sowie über Bogenschützen, deren Kriegsgerät, was Durchschlagskraft und Reichweite betraf, offensichtlich jenem des Nordens keinesfalls unterlegen war, sorgte bei einigen Beobachtern für einen regelrechten Schock. Ah-hotep stattete ihrer alten Tante Sat-anjotef einen kurzen Höflichkeitsbesuch ab, bei dem sie die Gelegenheit hatte, auch ein paar Worte mit User-Month zu wechseln. Er verehrte die Große königliche Gemahlin, deren Schönheit und Klugheit er über alle Maßen bewunderte. Ah-hotep wusste dies und gönnte ihm die Gelegenheit, sich an ihrer Gegenwart zu erfreuen. Sie bat ihn in den Schattentempel inmitten des für Sat-anjotef abgeteilten Bereichs des weitläufigen Palastgartens, wo sie ungestört unter vier Augen reden konnten und rechtzeitig darauf aufmerksam würden, wenn sich jemand näherte.
Nachdem man gegenseitig zum Ausdruck gebracht hatte, wie wohl der jeweils andere aussah, teilte Ah-hotep ihrem Gegenüber mit, dass Apopi keinerlei Bedenken haben musste, dass Pharaos Streitkräfte sich gegen ihn wenden könnten. Galt die Abschreckung doch den Aggressoren aus dem elenden Kusch, die sich bereits feige in ihre Löcher verkrochen hatten. Nun, ließ User-Month sie wissen, Apopi wäre mit Gewissheit nicht erfreut, davon zu hören. Direkt bedroht würde er sich jedoch keineswegs fühlen, da seine Ohren überall waren und er schon Wochen vorher erfahren würde, wenn eine derart große Armee den langen Marsch in den Norden unternahm. Es sei denn, so User-Month, die Armee verfügte über Mittel und Wege, schneller ans Ziel zu gelangen.
„Wie du gesehen hast, sind ihnen keine Flügel gewachsen“, scherzte Ah-hotep.
„Aber vielleicht Schwimmhäute“, entgegnete User-Month und sah ihr fragend ins Gesicht.
„Du hörst zu sehr auf die Gerüchte der Bewohner von Waset. Was wird nicht alles behauptet. Die Soldaten würden mit Menschenfleisch gefüttert und paarten sich mit Nilpferden. Nein, es wäre uns sehr daran gelegen, wenn Apopi sich nicht beunruhigte. Ist er nicht noch immer dabei, den Palast in Avaris auszuschmücken? Lass ihn wissen, dass die Steinbrüche im Wadi Hammamat zu seiner Verfügung stehen.“
„Zunächst wird er wohl weniger Interesse daran haben, ist er doch zur Zeit vor allem damit beschäftigt, die frechen Überfälle einiger libyscher Stämme abzuwehren, die immer wieder marodierend einfallen.“
„Oh, schrecklich diese Wilden. Bei uns sind es die Nubier, die ständig Schwierigkeiten machen. Wegen ihnen hat Pharao schließlich auch die Armee aufstellen lassen.“
„Apopi wird keinesfalls erfreut sein, wenn er davon hört“, sagte User-Month und sah Ah-hotep fragend an.
„Es ist, wie es ist“, entgegnete sie und zuckte mit den Schultern. „Auch wir müssen uns in die Lage versetzten, uns gegen freche Räubereien verteidigen zu können. Es wäre besser, Apopi gewöhnte sich daran. Lass es ihn wissen.“
User-Month reiste am nächsten Morgen ab. Und Ah-hotep war sicher, dass er in Men-nefer nur einen kurzen Halt einlegen würde, um seinen Bruder ins Bild zu setzen, aber bald schon nach Avaris weiterreisen würde. So geschah es dann auch.
Die Feiern zur Erhebung der jüngsten Tochter Pharao Seqen-en-Res zur Großen königlichen Gemahlin eines noch zu zeugenden Sohnes schienen kein Ende nehmen zu wollen. Es lag freilich weniger an der Freude über das Neugeborene, als vielmehr an der überraschenden Darbietung königlicher Macht, die schließlich auch ein Wiedersehen mit den lange verschollenen Söhnen und Brüdern gebracht hatte, die während der Zeit der geheimen Ausbildung verschwunden waren. Schon allein deshalb waren die Menschen überglücklich. Wie lange schon hatte Kemet keine derartige Armee mehr besessen, wie sie hinter Pharao und seiner Großen königlichen Gemahlin hermarschiert war? Wer würde es nun noch wagen, sich gegen den Willen Seqen-en-Res des Starken zu stellen? Das Volk war trunken vor Glück, hatte ihnen Pharao doch das Gefühl zurückgegeben, den frechen Fremden im Norden ebenbürtig zu sein und ihnen endlich die Stirn bieten zu können. Ja, je mehr Bier floss, desto selbstsicherer wurde die Einschätzung, wie mit den Gegnern seiner Majestät zu verfahren sei. Die Wände der Häuser von Waset zierten über Nacht Darstellungen des Königs, der seine Feinde bei den Haaren packte, um ihnen den Schädel einzuschlagen. Auf der ersten Zeichnung an der Wand des Hauses von Neferu-Re waren es noch fünf Feinde, denen Pharao den Schädel einschlug, auf jener Amun-em-hets bereits fünfzehn und auf der Villa des Bürgermeisters Hepu, konnte man dreißig grässlich anzuschauende Asiaten sehen, die Pharao beim Schopf gepackt hatte.
Auch Pharao feierte ausgelassen, wie Ah-hotep in ihren Räumen im Palast von Waset hören konnte. Sie hatte angekündigt mit ihrer Jüngsten Ah-mose Nefertari wieder zu ihren übrigen Kindern nach Sedjefa-taui zurückzukehren, wo die Luft besser und das Leben ruhiger war. Am Abend vor ihrer Abreise erschien Sequen-en-Re in ihren Räumen. Er war betrunken und torkelte. Ah-hotep wusste, was dies bedeutete.
„Du schuldest mir noch einen Sohn, Weib“, herrschte er sie an. „Los, bück dich!“
Gleich am nächsten Morgen reiste Ah-hotep mit ihrem Gefolge nach Sedjefa-taui zurück. Auf der halben Tagesreise flussabwärts wurde ihr erst vollständig klar, dass sich etwas Grundsätzliches in der Landschaft, die an ihr vorüberzog, verändert hatte. Die Menschen zu beiden Seiten des Nils verneigten sich nicht mehr nur ehrfürchtig, sondern sie jubelten begeistert, wenn die Barke der Großen königlichen Gemahlin an ihnen vorüberfuhr. Das Gefühl der Unterlegenheit, das die Menschen in Kemet bedrückt hatte, seit die Fremdherrscher in Avaris saßen, war einem neuen Selbstwertgefühl gewichen. Über einhundert Jahre waren es die Menschen inzwischen gewohnt, sich nach den neuen Herren richten zu müssen; nach Fremden, die sich das Land der Väter frech angeeignet hatten. Doch die einstige Größe Kemets wurde den Menschen ständig wie ein immerwährender Vorwurf vor Augen geführt: Wie mächtig musste das Land einst gewesen sein, um derartige Tempel und die in den Himmel ragenden Pyramiden erbauen zu können? Pharao Seqen-en-Re der Starke hatte seinem Volk nun endlich gezeigt, dass man dies nicht mehr länger hinnehmen musste. Eines Tages würde seine Armee stark genug sein, um die alte Größe wiederherzustellen. Vielleicht morgen schon?
Aus dem ganzen Land strömten nun junge Männer herbei, um sich in Pharaos Armee zu verpflichten. Selbst aus dem reichen Norden kamen sie. Apopi konnte ihnen zwar ein auskömmliches Leben bieten, aber nicht ihre verletzten Seelen heilen, welche die Erniedrigung der Fremdherrschaft mit sich brachte. Sie glühten vor Begeisterung, ihren Teil dazu beitragen zu können, die Hirtenkönige aus dem Land zu fegen und Kemet endlich wieder zum mächtigsten Land auf Erden zu machen. Das einstige Gefühl, allen anderen Völkern überlegen zu sein, blühte wieder auf. Wenn es jemand wagen würde, den fremden Herren die Stirn zu zeigen, dann Pharao Seqen-en-Re der Starke. Jeden Morgen wenn Pharao vor seinen Soldaten erschien, schlugen sie mit ihren Waffen auf die Schilde und brüllten sich ihre Begeisterung aus dem Leib. Ah-hotep betrachtete diese Entwicklung jedoch mit zwiespältigen Gefühlen; brachten verletzte Seelen doch selten genug den richtigen Antrieb hervor, mangelte es ihnen doch zumeist an Abgeklärtheit und Nüchternheit. Sie wusste, dass ein in seiner Ehre gekränktes Volk unberechenbar sein konnte.
Natürlich dauerte es nicht lange, bis auch Apopi im fernen Avaris von den Veränderungen im Süden erfahren hatte. Die einzige Gegenmaßnahme, die ihm einfiel, war Stärke zu zeigen. Um die Situation nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, verzichtete er jedoch auf unverhohlen geäußerte Drohungen. Es waren keine drei Monate seit der Parade vergangen, als User-Month abermals im Südpalast von Sedjefa-taui vorstellig wurde: Er habe eine Botschaft von seiner Majestät Apopi Se-hetep-taui ‑ Apopi, der die zwei Länder zufriedenstellt – an Seqen-en-Re, den Fürsten der südlichen Stadt. Schon allein diese Anrede war ein Affront, da sich Apopi nicht an einen Gleichrangigen wandte, sondern an jemanden, der ihm zur Gefolgschaft verpflichtet war. Im selben Tonfall war auch die Nachricht abgefasst.
„Es ist König Apopi, ihm werde Leben, Wohlstand und Gesundheit zuteil, der mich zu dir geschickt hat, um dich Folgendes wissen zu lassen: Ziehe dich vom Teich der Nilpferde zurück, der sich im Osten der Stadt befindet! Denn sie lassen nicht zu, dass Schlaf zu mir kommt bei Tag und bei Nacht, weil ihr Gebrüll an meine Ohren dringt. Auch mein Volk, ja, alle leiden unter ihrem Geschrei.“
Seqen-en-Re war sprachlos. Avaris lag gut zehn Tagesreisen entfernt. Von einer Lärmbelästigung konnte also sicherlich nicht die Rede sein. Gemeint waren also eher der Anlass und der Inhalt des Gebrülls seiner Soldaten. Wusste Apopi Bescheid, dass seine Nilpferd-Truppe über Schiffe verfügte? Bluffte er nur? Oder war Apopi besser informiert, als Seqen-en-Re dachte? Nirgendwo hatte der Asiat durchblicken lassen, was er tatsächlich wusste. Er gab lediglich den unmissverständlichen Befehl, dass man den Teich und somit auch das Ausbildungslager aufgeben solle, damit das Geschrei der Soldaten, welches das Wohlbefinden aller störte, endlich aufhörte. Ihr Rufen nach der Einheit Kemets, nach der Vertreibung der Fremdherrscher, nach der Gesamtherrschaft Pharao Seqen-en-Res hatte augenblicklich zu unterbleiben.
User-month verabschiedete sich hastig, hatte er doch schon einige Geschichten über Pharao Sequen-en-Res Jähzorn gehört. Der machte das Gesicht, das Ah-hotep von Kind auf kannte: Er hatte kaum etwas von dem verstanden, was ihm gesagt wurde. Was er aber sehr wohl verstanden hatte, war, dass ihm ein Befehl gegeben wurde. Und zwar in einer respektlosen, selbstherrlichen Art. Man hielt es noch nicht einmal für nötig, ihm zu drohen, denn offensichtlich ging man davon aus, dass er den königlichen Wunsch augenblicklich umsetzen würde. Seqen-en-Re versammelte all seine Beamten und Generäle um sich, damit er sich mit ihnen beratschlagen konnte, wie er auf die Nachricht Apopis reagieren solle. Die Beamten zuckten einer wie der andere mit den Schultern. Sie könnten Pharao keinen Ratschlag geben und vertrauten auf die Weisheit des Guten Gottes. Die Generäle hingegen, waren der Meinung, dass es endlich an der Zeit sei, loszuschlagen. Sie hatten keinen Zweifel daran, dass sie nach all den Jahren der Ausbildung auch siegreich sein würden. Und brannten die Soldaten nicht regelrecht darauf, endlich gen Avaris zu ziehen, um Apopis Gedärme durch den Sand zu schleifen? Seqen-en-Re ließ sich von ihrer Kampfeslust beinahe anstecken. Erst Ah-hoteps Warnung, dass die Flotte noch nicht vollständig und sämtliche Soldaten noch längst nicht ausreichend ausgebildet seien, ließ ihn zögern. Er beklagte zwar, dass Weiber immer die Saat des Zweifels in mutige Herzen streuen müssten, bat seine Generäle aber dennoch, sich noch etwas zu gedulden, bis er eine Entscheidung getroffen habe, da er erst den Rat der Götter einholen wollte.
Bis in seine Gemächer, in die sich User-Month zurückgezogen hatte, hörte er Seqen-en-Re toben, als wäre er dem Irrsinn verfallen. Sogar Ah-hotep erschrak sich, hatte Pharao doch tatsächlich Schaum vor dem Mund. Sicherlich, die letzten Schiffe standen erst noch vor der Vollendung, was ihn aber keineswegs davon abhalten könne, Apopi augenblicklich anzugreifen, schrie er. Er würde ihm vor den Toren seiner prächtigen Stadt den Bauch aufschlitzen und jeden seiner asiatischen Untertanen sowie die elenden Kollaborateure dabei zusehen lassen, wie er ihn ausweidete. Jeder, der sich widersetzte, würde den Zorn Seqen-en-Res des Starken zu spüren bekommen.
„Vielleicht ist es genau das, was Apopi will“, gab Ah-hotep zu bedenken. „Er ist längst gewarnt und wird dich und deine Truppen erwarten. Wir sollten uns klug verhalten und versuchen, Zeit zu gewinnen, damit wenigstens die noch in Bau befindlichen Schiffe fertig gestellt und zudem noch etliche Soldaten mehr ausgebildet werden können.“
Es war, als redete man mit einem rasenden Nilpferd, das einmal in Rage geraten, alles niedertrampelte, was ihm zu nahe kam. Fast schon wollte Seqen-en-Re seine Große königliche Gemahlin schlagen. Nur ihr bereits sich wölbender Bauch, in dem womöglich der längst erwartete Thronfolger heranwuchs, hielt den Tobenden davon ab. Geduldig redeten Ah-hotep und Teti-scheri auf den Wütenden ein, der weder vor Räucherschalen, noch vor wertvollen Alabastervasen, Stühlen oder Trinkgefäßen Halt machte. Die große Halle im Südpalast von Sedjefa-taui sah aus, als wäre eine Herde Nilpferde hindurchgeprescht. Selbst die Diener waren nicht mehr sicher und flohen jammernd vor der Wut des Guten Gottes.
Erst Ka-mose gelang es, den Bruder halbwegs zu beruhigen. Man bräuchte sicherlich noch nahezu ein halbes Jahr, um die Schiffe fertigzustellen. Außerdem sollte man besser die nächste Nilflut abwarten, um mit der Flotte möglichst nah an die Mauern von Avaris heranzukommen. Wie Seqen-en-Re ja selbst wusste, würde man nur mit einem Überraschungsangriff Erfolg haben. Also wäre es das Beste, man hielt Apopi hin, schickte ihm wertvolle Geschenke, die ihn schließlich glauben machen würden, man täte alles, um seinen Zorn abzuwenden und sich zu fügen.
„Zu fügen?“, brüllte Sequen-en-Re. „Die Zeit sich zu fügen ist endgültig vorbei!“
„Aber gewiss doch“, pflichtete Ka-mose ihm bei. „Die Zeit sich zu fügen, ist vorbei. Doch ist es auch klug, dies Apopi jetzt schon wissen zu lassen? Wäre es nicht besser, er glaubte, dass du furchtsam wie unser Vater um Frieden bemüht wärst? Bestimmt stehen Apopis Truppen in diesem Augenblick längst schon bereit, um die unseren gebührend zu empfangen. Glaube nur nicht, dass er nicht weiß, welch ein Hitzkopf du bist. Und ein unüberlegter Überfall unsererseits würde ihm nur entgegenkommen. Nein, lass uns die Angelegenheit hinauszögern, um Zeit zu gewinnen. Vielleicht werden ihn ja auch die Libyer noch ein wenig beschäftigen.“
„Das ist die Taktik von Weibern“, fluchte Seqen-en-Re und sah seinen Bruder Ka-mose an. „Und die Taktik von Bürschchen, die allzu lange unter der Fuchtel von Weibern gestanden haben. Es ist nichts Ehrenvolles daran, den Schwanz einzuklemmen und winselnd wie ein Dorfköter vor Apopi im Staub zu kriechen.“
„Niemand wird vor Apopi im Staub kriechen“, entgegnete Ka-mose ruhig. „Apopi soll nur denken, dass wir dies täten. Die Überraschung wird dann nur umso größer sein.“
Jeden zweiten Tag besuchte Ah-hotep nun User-Month in seiner prachtvollen Wohnung im Palast, die ihm dennoch wie ein Gefängnis vorkam. Sie versicherte ihm, dass man selbstverständlich genauso verfahren werde, wie Apopi es gewünscht hatte. Allerdings sei man noch immer dabei, die Nachricht an ihn entsprechend abzufassen, vor allem aber, die Schatzkammern nach angemessenen Geschenken für ihn zu durchsuchen. Ah-hotep müsse ihn also bitten, sich noch etwas zu gedulden. User-Month, der die Begegnungen mit Ah-hotep Tag um Tag herbeisehnte, fügte sich bereitwillig in sein Schicksal, auf eine Antwort noch warten zu müssen. Bot ihm diese Zeit des Wartens doch die Möglichkeit, die bewunderte Frau jeden zweiten Tag sehen und sprechen zu können. Ah-hotep verbrachte ganze Abende mit dem Mann, der ihr schließlich so vertraut wurde, wie kaum jemand sonst. Und auch User-Month genoss die Zeit mit der klugen Frau, mit der er sich auf Augenhöhe austauschen konnte. Sie war keine der üblichen dummen Palastgänse, die nur nachschnatterten, was sie anderswo gehört hatten. Es waren zwei Seelen, die einander nah waren. Und bezaubernd schön war sie überdies auch noch. Bei Isis! Solch ein Weib hatte er sich immer gewünscht.
Irgendwann einmal wurde ihm jedoch klar, dass er noch Wochen und Monate würde ausharren können, ohne eine Antwort für Apopi zu erhalten. Wenn er es nicht war, der seinen Rückreisetermin festsetzte, würde er für immer im Südpalast von Sedjefa-taui hocken bleiben und darauf warten. Er sprach Ah-hotep also ganz offen an. Es brach ihm fast das Herz, als Ah-hotep ihn in seiner Einschätzung bestätigte.
„Es ist meine vornehmste Aufgabe als Große königliche Gemahlin für das Wohl meines Volkes zu sorgen“, sagte sie ihm ganz ruhig und berührte dabei wie zufällig seine Hand mit ihrem kleinen Finger. „Dennoch werde ich die Gespräche mit dir vermissen, User-Month. In meiner kleinen, ganz persönlichen Schatztruhe, in der ich die schönsten Augenblicke meines Lebens bewahre, gehören die Abende mit dir zu den wertvollsten Erinnerungen, glaube es mir.“
Er glaubte es ihr, ohne jeden Zweifel. Dennoch fühlte er sich genasführt, benutzt und verraten und setzte seine Abreise auf den nächsten Tag fest. Sein Schiff wurde mit Fleisch und süßem Kuchen beladen sowie zahllosen weiteren schönen Dingen, die in den Palastwerkstätten gefertigt worden waren und die er Apopi überbringen sollte. Fehlte nur noch die Nachricht an Apopi. Seqen-en-Re ließ sie User-Month kurz vor seiner Abreise zukommen.
„Geh und sage deinem Herren: Was immer du auch wünschst, ich werde es tun.“
Nach Monaten der Abwesenheit erreichte User-Month mit reichen Gaben und einer überaus wortkargen Antwort den Hafen von Avaris, in dem Dutzende von Schiffen bereitlagen, um einer möglichen Bedrohung augenblicklich begegnen zu können. Seqen-en-Re hatte sich wider Erwarten nicht zu unüberlegtem Handeln hinreißen lassen. Apopi war natürlich klar, dass es nur die Frauen der königlichen Familie aus Waset sein konnten, die dahintersteckten.
„Möge Seth die hinterlistigen Weiber Teti-scheri und Ah-hotep zu Staub und Asche werden lassen“, fluchte er und ließ das mitgebrachte Fleisch sowie den Kuchen an die Armen der Stadt verteilen, traute er den Frauen aus dem Südpalast in Sedjefa-taui doch durchaus zu, ihm auch mit Gift beikommen zu wollen. Einen Angriff auf den Süden seinerseits schloss er aus. Schon seine Vorgänger hatten sich an Waset die Zähne ausgebissen. Denn mit einem militärischen Sieg allein, der freilich außer Frage stand, wäre es nicht getan. Die eroberten Gebiete müssten ja schließlich auch gehalten und befriedet werden. Für die Menschen dort wollte gesorgt sein, denn nichts war gefährlicher als ein unzufriedenes, hungerndes Volk ohne Zuversicht. Jahrelange Scharmützel hatten seine Vorgänger, nach ihrem Sieg über Waset nahezu zermürbt. Zudem hatten die Sympathien seines eigenen Volkes den unterdrückten Brüdern und Schwestern im Süden gegolten und für zusätzliche Unruhe gesorgt. Allein der Gedanke an die Kosten, die eine Verwaltung der eroberten Gebiete verursachen würde, ließ ihn Abstand von derartigen Plänen nehmen. Nein, er musste erreichen, dass Seqen-en-Re ihn seinerseits überfiel, damit er als Aggressor und Apopi als Verteidiger des Landes angesehen wurde. Selbst mit den Hexen Teti-scheri und Ah-hotep würde er nach Seqen-en-Res Vernichtung besser zurechtkommen als mit dem unberechenbaren, jähzornigen Wüterich. Noch hatte die Große königliche Gemahlin keinen Sohn geboren, so dass es nicht ausgeschlossen war, dass es nach Seqen-en-Res Tod zu Thronstreitigkeiten kommen könnte. Auch dies keine guten Aussichten für die Stabilität des Landes. Besser wäre es, Seqen-en-Re zu bändigen. Wäre er nur halbwegs so kooperativ wie sein Vater, so wäre schon viel gewonnen. Vielleicht könnte es ja gelingen, seiner habhaft zu werden und ihn dann zu einem Umdenken zu bewegen. Vielleicht könnte es auch notwendig werden, dass die Große königliche Gemahlin Ah-hotep sich noch einmal vermählte, solange kein Thronfolger geboren war. Apopi verzichtete darauf, User-Month wegen seines unnötig langen Aufenthaltes in Sedjefa-taui zu maßregeln. Er solle sich in Men-nefer bereithalten. Vielleicht würde er ja noch gebraucht.
Stattdessen sandte Apopi einen Priester des Seth mit der folgenden Botschaft in den Süden: „Fürst des Südens! Es ist König Apopi, ihm werde Leben, Wohlstand und Gesundheit zuteil, der mich zu dir geschickt hat, um dich Folgendes wissen zu lassen: Gott Seth, der unser Gott ist, zeigt sich in vielem, was da ist. Insbesondere in den Nilpferden, die in eurem Teil des Landes jedoch gejagt und verfolgt werden. Du sagst, dass du tun wirst, was ich will. Schicke mir also deine Nilpferde allesamt, damit sie hier im Norden Seth dienen und es ihnen wohl ergehe.“
Ah-hotep war gerade von einer weiteren Tochter entbunden worden, als der Priester in Sedjefa-taui eintraf, so dass man ihn tagelang auf eine Audienz warten ließ, obwohl man eigentlich darauf brannte, zu erfahren, was Apopi geantwortet hatte. Doch es galt, soviel Zeit als möglich herauszuschinden. Seqen-en-Re weigerte sich, das Neugeborene überhaupt anzusehen und ließ Ah-hotep wissen, dass er nun die Ehe mit seiner Schwester und Nebenfrau Ah-mose Inhapi vollziehen werde, die gerade vierzehn Jahre alt geworden war. Es sei ihm einerlei, welchen Namen das Neugeborene trüge, wurde Ah-hotep mitgeteilt. Da der Säugling jedoch nach seinem Vater kam, insofern dass er unablässig schrie und brüllte und dadurch die Ruhe des gesamten Hofstaates beeinträchtigt wurde, nannte Ah-hotep ihr Neugeborenes Ah-mose Nebet-tah – Wiedergeborener Mond und Herrin des Palastes. Und natürlich hatte sich Ah-hotep auch daran erinnert, wie sehr sich Seqen-en-Re jedes Mal ärgerte, wenn Mädchen die Bezeichnung Herrin oder Gebieterin in ihrem Namen trugen …
Als der Priester des Seth nach langen Tagen des Wartens endlich vor Pharao und dem versammelten Hofstaat seine Nachricht überbringen konnte, schlug ihm zunächst eisiges Schweigen entgegen. Die Beamten nestelten betreten an ihren Gewändern und die Generäle bekamen ebenso hochrote Köpfe wie Pharao. Als Seqen-en-Re sich wieder halbwegs gefangen hatte, forderte er den Boten auf, seine Nachricht zu wiederholen.
„Du sagst, dass du tun wirst, was ich will. Schicke mir also deine Nilpferde allesamt, damit sie hier im Norden Seth dienen und es ihnen wohl ergehe.“
Wortlos zückte Seqen-en-Re seinen Dolch und rammte ihn dem Priester in den Hals. Die Generäle murmelten beifällig und die Beamten jammerten, dass der Mord an einem Gesandten ein Kriegsgrund sei.
Teti-scheri war außer sich. „Wie kannst du es wagen, den königlichen Palast in ein Schlachthaus zu verwandeln“, schrie sie ihren Sohn an. „Mit deiner sinnlosen Tat hast du alle anderen Möglichkeiten einer Erwiderung ein für alle Male ausgeschlossen. Es ist eines Pharaos unwürdig …“
„Weib!“, unterbrach sie Pharao Seqen-en-Re. „Auch wenn du mich geboren hast: Ich werde nicht zögern, dir ebenso das Maul zu stopfen, wenn du nicht augenblicklich schweigst!“
Teti-scheri hatte keinerlei Zweifel daran, dass ihr Sohn diese Drohung auch wahr machen würde, spürte sie doch bereits seinen blutigen Dolch an ihrer Kehle.
Der gesamte Palast geriet in Aufruhr. Hatte doch Pharao Seqen-en-Re der Starke den Gesandten Apopis ermordet und auch seine eigene Mutter mit dem Tod bedroht. Die Ma’at, das Gleichgewicht der Dinge, die einzuhalten doch Pharaos vornehmste Aufgabe ist, war durch sein eigenes Tun außer Kraft gesetzt. Das Chaos drohte!
Während in jedem Tempelchen und in jedem Schrein im Nordpalast Opfer dargebracht und Bittgebete gesprochen wurden, war Pharao mit seinen Generälen nach Gebtu aufgebrochen, um den unverzüglichen Vorstoß der Truppen nach Avaris vorzubereiten. Es blieb nun auch keine andere Wahl mehr. Man konnte die Ermordung des Gesandten sicherlich noch einige Zeit vertuschen, indem man den Leichnam verschwinden ließ. Aber eines Tages, und wahrscheinlich schneller als gedacht, würde Apopi davon erfahren. Bis dahin mussten die Truppen längst vor den Toren von Avaris stehen. Eilends wurden Lebensmittel herbeigeschafft und auf die Schiffe verladen. Seqen-en-Re verzichtete trotz aller Ratschläge darauf, gleichzeitig einen Tross mit Lebensmitteln, Waffen und Wundärzten über Land zu schicken, damit die Soldaten versorgt werden konnten. Denn er war sich seines Sieges vollkommen sicher und meinte, dass das geplünderte Avaris seine Soldaten schließlich mit allem Nötigen versorgen werde.
Am Tag bevor die Truppe aufbrach, erschien Seqen-en-Re in voller Rüstung, den Chepresch auf dem Kopf, mit seiner Leibwache im Südpalast von Sedjefa-taui. Er traute nun niemandem mehr und hielt es sogar für möglich, dass seine eigene Familie ihn aus dem Weg schaffen wollte, nur um den feigen Frieden mit Apopi zu bewahren. Er würdigte seine Mutter Teti-scheri keines Blickes, sondern steuerte direkt auf die Privatgemächer Ah-hoteps zu, die soeben die kleine Ah-mose Nebet-tah versorgte.
„Unsere Schwester Ah-mose Inhapi, meine Nebenfrau, erwartet ein Kind“ herrschte er Ah-hotep an. „Ich gebe dir heute eine letzte Möglichkeit, mir einen Sohn zu gebären. Wenn ich siegreich aus Avaris zurückkehre, wird entweder sie oder du mir einen Thronfolger geboren haben. Bete zu Tawret und flehe Bes an, dass es endlich ein Sohn wird, sonst werde ich dafür sorgen, dass du verstoßen wirst.“
Ah-hotep versuchte, ihrem Mann und Bruder verständig zu machen, dass es allein im Willen der Götter lag, welchen Geschlechts ein Kind war und dass schließlich auch er deren weisen Ratschluss zu befolgen habe.
„Befolgen?“, schrie er wie von Sinnen. „Ich bin Pharao Seqen-en-Re der Starke und werde niemandem mehr folgen. Nicht einmal mehr den Göttern, außer Ah, der dafür sorgen wird, dass der Mond wieder über ganz Kemet strahlt.“
Ah-hotep nahm ihre kleine Tochter in den Arm und hielt sie schützend vor sich. „Du hast dein jüngstes Kind noch nicht einmal angesehen. Es ist gesund, es ist munter und wird uns allen viel Freude bereiten.“
„Leg es beiseite, Weib! Mag es zusehen, wie der zukünftige Pharao des wiedervereinten Kemet gezeugt wird. Und jetzt bück dich!“
Früh am Morgen des nächsten Tages stand der gesamte Hofstaat des Südpalastes auf den Kasematten und spähte zum anderen Ufer des Nils hinüber, wo der Kanal des Nilpferdteiches in den Fluss mündete. Es war ein ergreifendes Schauspiel, als Pharaos Schiff als erstes den Kanal verließ und die übrigen Schiffe sich eines nach dem anderen hinter ihm versammelten. Allein Ah-mose Inhapi winkte, die sich in eine hautenge Kalasiris gekleidet hatte, damit die noch sanfte Rundung ihres Bauches auch gut zur Geltung kam. Die übrigen Frauen und Männer des Palastes standen stumm und blickten auf den Nil hinunter, wo sich die Flotte unter dem Rhythmus der Trommelschläge langsam wie eine religiöse Prozession in Bewegung setzte, bald aber schon beträchtlich an Fahrt gewann und schließlich hinter der Biegung des Flusses vor Iunet verschwand.
Ah-hotep hatte mit Ka-moses und Murschilis Hilfe eine kleine Reitertruppe ausgesandt, die der Flotte an Land folgte. Sie sollte regelmäßig berittene Boten zurückschicken, damit man im Palast über den Fortgang des Kriegszugs informiert war. Am Abend des zweiten Tages traf der erste Bote ein. Er berichtete, dass die Flotte bereits tags zuvor unter dem nicht enden wollenden Jubel der Landbevölkerung Tjeni erreicht hatte, das als letzter sicherer Ort im Herrschaftsbereich Seqen-en-Res galt. Doch auch weiter flussabwärts wollte der Jubel nicht abreißen. Einige der Gaufürsten entlang des Nils huldigten Seqen-en-Re und begrüßten die Befreiung von der Fremdherrschaft. Die meisten jedoch ergriffen die Flucht nach Norden oder versteckten sich irgendwo im Hinterland, bis sie absehen konnten, für wen es geraten erschien, Partei zu ergreifen. Das einfache Volk jubelte den Befreiern jedoch nach wie vor zu.
Langsam breitete sich auch im Palast eine Art Siegestaumel aus. Nirgendwo hatte es bislang erwähnenswerten Widerstand gegeben. Pharao Seqen-en-Re der Starke war nilabwärts gefahren, als besuchte er seinen angestammten Herrschaftsbereich. Der Fürst von Sauti war geflohen und hatte Seqen-en-Re seine Stadt kampflos überlassen, sogar in Qus hatte man ihn jubelnd empfangen, was für Apopi ein empfindlicher Schlag gewesen sein dürfte, endeten dort doch wichtige Karawanenstraßen, von denen er nun abgeschnitten war. Als Seqen-en-Re Chemenu mit den nahe gelegenen Alabastersteinbrüchen erreichte, hatte es den ersten nennenswerten Widerstand gegeben. Neheri, der Fürst des Hasengaus, meinte gegenüber Apopi loyal bleiben zu müssen und schickte seine mit altertümlichen Waffen ausgestatteten Bauernkrieger aus. Pharao Seqen-en-Re der Starke ließ sie von seinen Streitwagen zermalmen. Unverhofft und umso dankbarer war die Stadt der Plünderung entgangen. Ah-hotep war jedoch augenblicklich klar, dass die wohlhabende Stadt nur deswegen die Brandschatzung erspart geblieben war, weil Pharao keine Zeit verlieren wollte und möglichst schnell so weit als möglich nach Norden vorrücken musste, bevor Apopi seine Truppen gesammelt hatte. Irgendwann einmal, so war Ah-hotep überzeugt, würde der Vorstoß leider zum Erliegen kommen. Noch aber waren sie und ihre Mutter die einzigen, die derartige Befürchtungen hegten. Das Volk jubelte sich in einen vorzeitigen Siegestaumel und selbst die hochgestellten Beamten waren nicht davor gefeit. Etliche von ihnen machten sich daran, den Kadaver bereits aufzuteilen, bevor das Wild überhaupt erlegt worden war. Seit Generationen verschüttete Herrschaftsansprüche tauchten ebenso überraschend auf, wie ein unbedingtes Überlegenheitsgefühl gegenüber den Menschen des Nordens, vor allem aber gegenüber den fremden Herrschern. Der Mond, so jubelte man, leuchtete strahlend über Kemet.
In Neferusi, nicht weit von Chemenu entfernt, blieb der Vormarsch stecken. Die zu einem Fort ausgebaute Stadt widerstand dem Ansturm von Seqen-en-Res Truppen. Niemand, nicht einmal Pharao, wollte Abstand von den eigenen Siegesphantasien nehmen und glaubte an eine lediglich kurzfristige Verzögerung. Doch die Tage vergingen, ohne dass den Verteidigern Neferusis beizukommen war. Seqen-en-Re, zu dessen Plan es unbedingt gehörte, schnell vorzudringen, beging schließlich einen nicht wieder gut zu machenden Fehler: Er teilte seine Armee auf. Schweren Herzens ließ er die Streitwagen unter dem Befehl seines Bruders Ka-mose vor Neferusi zurück, damit die Stadt endlich vom Angesicht der Erde getilgt werde. Mehr als einmal schärfte Pharao seinem Bruder ein, dass er auf ihn zählte, müsse doch unbedingt vermieden werden, dass Neferusi ihm in den Rücken fallen konnte, während er weiter flussabwärts zog. In Menat-Chufu schlug Seqen-en-Re abermals erbitterter Widerstand entgegen. Hier ließ er fünf Schiffe mit nahezu tausend Mann Besatzung zurück, um sich nicht aufhalten zu lassen.
In der Stadt Hut-nesu – deren Name, einem bösen Omen gleich, Haus des Königs bedeutete – war das Ende des Vorstoßes gekommen. Denn dort erwartete Apopi seinen Widersacher mit einer schlagkräftigen Streitmacht. Als der Bote kam, um diese Nachricht zu hinterbringen, beschlichen Ah-hotep die schlimmsten Befürchtungen. Das Volk jubelte jedoch nach wie vor, glaubte es doch fest daran, dass Apopi gestellt und dies sein unausweichliches Ende wäre. Selbst die Beamten konnten nicht von ihren liebgewordenen Träumen von einem grandiosen Sieg lassen und beruhigten einander damit, dass Seqen-en-Re der Starke schon einen Ausweg finden werde, um auch diese Auseinandersetzung für sich zu entscheiden.
„Wie bislang jede Auseinandersetzung“, entzückten sie sich. „Eilt Pharao Seqen-en-Re Qeni doch von Sieg zu Sieg!“
Ah-hotep mied die Maulhelden, die sich mit ihren Einschätzungen und Vorhersagen zu übertreffen suchten, ohne auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, dass es auch einen weniger günstigen Ausgang geben könnte. Noch waren Neferusi und Menat-Chufu nicht gefallen und ihr Widerstand nicht gebrochen. Doch jeder wischte die Bedenken fort, wie eine lästige Fliege. Nein, wer nicht an einen Sieg glaubte ‑ so die allgemeine Stimmung im Lande ‑, war ein Volksverräter, ein Defätist, einer, der den eigenen Leuten in den Rücken fiel.
Apopi, hinter den dicken Mauern von Hut-nesu, tat das, womit er schon einmal gegenüber Seqen-en-Re Erfolg gehabt hatte: Er provozierte ihn. Apopi ließ sich einfach nicht blicken, als ob er die Belagerer vor seinem Haus schlichtweg ignorierte. Jeden Morgen kam Seqen-en-Re nun in seinem Streitwagen vor die Mauern von Hut-nesu gefahren und schrie sich die Seele aus dem Leib, dass der Feigling sich doch endlich blicken lassen solle. Er würde ihm den Leib aufschlitzen, damit seine Gedärme in der Sonne verdorrten und sein Kadaver von den Geiern gefressen werden konnte. Doch nichts rührte sich.
Am dritten Tag – Apopi hatte es vorhergesehen – kam Seqen-en-Re direkt vor das Haupttor der Stadt gefahren, um mit seinen üblichen Pöbeleien anzuheben. Plötzlich wurde das Tor aufgestoßen und aus einigen in der Nacht ausgehobenen und abgedeckten Gruben vor den Mauern stürmte ein Dutzend Soldaten der königlichen Garde und bugsierte den vollkommen überraschten und wild um sich schlagenden Seqen-en-Re samt seinem Streitwagen durch das Stadttor, das augenblicklich wieder hinter ihnen geschlossen wurde. Bis seine Soldaten verstanden hatten, was überhaupt geschehen war und ihm schließlich zur Hilfe eilen konnten, war Pharao Seqen-en-Re schon längst hinter den mächtigen Mauern Hut-nesus verschwunden. Seine Truppen unternahmen sogleich einen Sturmangriff, wurden aber, bevor sie die Mauern erreichten, von Apopis Bogenschützen dezimiert. Das Heer aus dem Süden war führerlos und ‑ weitaus schlimmer noch ‑ Pharao Seqen-en-Re Ah-mose war in den Händen seiner Feinde.
Noch am selben Tag ließ Apopi seinen Thron auf dem größten Platz der Stadt vor dem Tempel des Seth aufstellen, um dort, vor den Augen des versammelten Volkes sowie des Adels, sein Urteil über den abtrünnigen Vasallen zu fällen. Jeder sollte sehen können, was mit Verrätern geschah, die sich gegen Pharao Apopi auflehnten. Mit auf den Rücken gebundenen Händen musste der Angeklagte vor seinem Richter im Staub niederknien. Schon allein dies war eine Erniedrigung, die Seqen-en-Re kaum ertrug. Jede einzelne seiner Verfehlungen wurde aufgezählt: Die Missachtung der Aufforderung, seine in aller Heimlichkeit ausgebildeten Truppen aufzulösen. Die abermalige Missachtung der Aufforderung, seine Truppen dem Oberbefehl seines Lehnsherrn zu unterstellen, mit der sein Lehnsherr Pharao Apopi ‑ dem Leben, Wohlstand und Gesundheit zuteil werden möge ‑ seine große Geduld unter Beweis gestellt hatte. Die Ermordung des Boten seines Lehnsherrn, der ein hochgeehrter Priester des Seth war. Die ungerechtfertige Besetzung der Städte Sauti und Qus. Wobei er sich im letzteren Fall auch noch wegen der Behinderung der königlichen Karawanenwege verantworten musste, die dem Land nachhaltigen Schaden zugefügt hatten. Der dreiste Überfall auf die Stadt Chemenu, bei dem 847 loyale Krieger ihr Leben lassen mussten. Die Belagerungen der Städte Neferusi und Menat-Chufu, die noch immer andauerten. Und schließlich die Belagerung von Hut-nesu, bei der er gefangen genommen und zur Verantwortung gezogen werden konnte.
Die Zuschauer jubelten, weil man einen derart üblen Verbrecher endlich zur Rechenschaft ziehen würde. Es konnte keinen Zweifel daran geben, dass der Angeklagte in allen Punkten schuldig war und somit sein Leben verwirkt hatte. Wie alle Verräter und Feinde würde er mit dem steinernen Streitkolben niedergestreckt und dadurch vom Leben zum Tode befördert werden. Das Todesurteil war augenblicklich zu vollstrecken. Pharao Apopi Neb-chepesch-Re ‑ Apopi, der Herr mit großer Schlagkraft wie Re – würde nach alter Vorväter Sitte die Hinrichtung höchstselbst vollziehen. Dem Delinquenten wurde ob der Eindeutigkeit seiner Verfehlungen das Recht des letzten Wortes verweigert.
Apopi baute sich vor dem knienden Seqen-en-Re auf und hielt den bald tausend Jahre alten Streitkolben in Händen, mit dem bereits Pharao Chufu zahllose Verräter hingerichtet hatte. Die Zuschauer hielten den Atem an.
„Freiheit für Kemet!“, konnte Sequen-en-Re Ah-mose gerade noch rufen. „Fort mit den Herrschern der Fremdlän …“
Die Zuschauer schrieen auf.
Der Streitkolben hatte die linke Seite von Seqen-en-Res Gesicht zerschmettert. Obwohl der Schlag mit aller Kraft ausgeführt worden war und ihn grässlich entstellte, hielt sich Seqen-en-Re auf den Knien, bis ihm schließlich doch die Sinne schwanden und er vornüber kippte. Mit dem Gesicht nach unten blieb er im Staub liegen. Das Volk jubelte und schrie! Und obgleich keiner seiner Soldaten vor den Mauern von Hut-nesu die Hinrichtung mit angesehen hatte, wusste jeder von ihnen, was geschehen war: Pharao Seqen-en-Re der Starke war gefallen.
Auf Tage hinaus würde man den Toten auf dem Marktplatz liegen lassen, streunenden Hunden, Geiern und wildlaufenden Schweinen zum Fraß vorgeworfen, bis man ihn schließlich seinen führungslosen Truppen überreichen würde, damit sie ihn bestatteten. Denn immerhin ‑ das konnte selbst Apopi nicht außer Betracht lassen ‑, war der Tote königlichen Geblüts.
Am nächsten Morgen wurde Apopi, gleich als er geweckt wurde, davon in Kenntnis gesetzt, dass der Hingerichtete noch immer lebte. Apopi mochte es kaum glauben und ging im ersten Morgengrauen zum Marktplatz, um sich selbst davon zu überzeugen. Tatsächlich: Seqen-en-Re der Starke atmete noch. Der Hauptmann der Leibwache bot sich an, dem Sterbenden den Todesstoß zu versetzten. Doch Pharao Apopi zögerte. Vielleicht war dies ein Fingerzeig der Götter, grenzte es doch an ein Wunder, dass Seqen-en-Re noch immer Leben in sich hatte. Vielleicht war ein halbtoter Fürst noch von größerem Nutzen als ein toter, der den Thron nur für einen Nachfolger frei machte. Vielleicht war ein hilfloser Herrscher, dem es nicht vergönnt war zu sterben, nützlicher als ein toter Held, der sich im Kampf aufgeopfert hatte. War es doch zu erwarten, dass die Menschen Seqen-en-Re als Helden ansehen würden, alleine schon, weil er sich mit zerschmettertem Gesicht so lange auf den Knien hatte halten können …
„Wird er überleben?“, fragte Apopi den Hauptmann.
„Er hat die Nacht überlebt. Also wird er die nächsten Tage auch überleben.“
„Oh, dann wird er aber ein zorniger Überlebender“, sagte Apopi mit einem eiskalten Ton in der Stimme. „Er wird toben vor Wut. Er wird dürsten nach Rache, doch er wird es niemandem sagen können, obwohl er es am liebsten laut herausschreien würde. Nein“, Apopi berührte Seqen-en-Res Gesicht mit seinem Fuß, „dieser Mund wird nie mehr schreien.“
„Dafür werden seine Arme aber wieder ein Schwert führen.“
Beide schwiegen. Dann sagte der Hauptmann: „Es sei denn …“
„Siehst du, genau dasselbe habe ich eben auch gedacht.“ Apopi starrte auf den Schwerverletzten. „Mach, dass er sich nicht mehr bewegen kann. Er kann alles hören, er kann mit dem einen Auge, das ihm blieb, alles sehen, er erinnert sich an alles, doch er kann nichts mehr tun. Versorge anschließend seine Wunden, damit er auch überlebt. Dann übergib ihn seinen Leuten. Der Süden wird einen Fürsten haben, der zu nichts mehr fähig ist, außer zu leiden. Regungslos wird er liegen und kann noch nicht einmal mehr Befehle geben. Er wird zu einem Fluch für sein Land, weil er, stumm und gelähmt, dessen Geschick nicht mehr lenken kann. Denn erst wenn ein Pharao stirbt, kann ihm der nächste nachfolgen. Doch wenn Seqen-en-Re der Starke tatsächlich über so viel Kraft verfügt, dass er seinen Namenszusatz verdient, dann wird er noch auf Jahre und Jahrzehnte hinaus in einem nutzlos gewordenen Haufen Fleisch und Knochen weiter leben.“ Apopi wandte sich zum Gehen. „Hauptmann! Lähme ihn!“
Es war nur ein kurzer, tiefer Stich in den Nacken. Doch ließ er Seqen-en-Res Glieder ein allerletztes Mal zucken. Luft röchelte aus seinem zerschlagenen Mund, die eigentlich zu einem Schrei hätte geformt werden sollen. Das Dunkel kam abermals über ihn und raubte ihm die Sinne.
Gegen Mittag wurde das Tor von Hut-nesu geöffnet und ein Ochsenkarren wurde hindurchgelassen. Stur trotteten die Ochsen immer geradeaus, bis sie die Linien der Angreifer erreicht hatten. Immer häufiger schauten Soldaten in den Wagen und liefen schließlich in heilloser Flucht davon.
„Es ist Pharao Seqen-en-Re Ah-mose! Wirklich, es ist Pharao!“
Alles schien in völliger Auflösung zu sein. Wer nicht gleich floh, rannte ziellos und laut jammernd umher. Erst als einer der Hauptleute in den Karren gesehen hatte, blieben einige stehen und kehrten um.
„Er lebt! Er lebt! Pharao Seqen-en-Re Qeni, der Starke, er lebt!“
Man hatte sogar seine Wunden versorgt, wie man schnell feststellte, Gesicht und Nacken verbunden und ihn gewaschen. Seine Unterarme waren grotesk angewinkelt, als wolle er einen Ball auffangen. Doch seine Finger waren zu Klauen verkrampft, die nichts würden halten können. Sein rechtes Auge, das von keinem Verband verdeckt war, starrte voller Angst und Wut in die Runde.
Ja, Pharao lebte. Und man musste ihn so schnell wie möglich nach Hause bringen.
Schneller als der Wind hatte sich die Nachricht verbreitet. Zuerst erreichte sie Menat-Chufu, wo die Belagerung sofort abgebrochen wurde. Lange bevor die Truppen aus Hut-nesu mit Pharao zu den dort zurückgebliebenen fünf Schiffen gestoßen waren, hatte man auch schon in Neferusi davon erfahren. Ka-mose fuhr mit seinem Streitwagen am Ufer des Nils flussabwärts, seinem verletzten Bruder entgegen. Die Nachricht lief inzwischen weiter flussaufwärts. In Chemenu, das so glücklich über die Verschonung vor der Plünderung gewesen war, erinnerte man sich seiner 847 Söhne, die von Pharao Seqen-en-Res Streitwagen niedergewalzt worden waren. Gerade als die kleine, dort verbliebene Garnison überlegte, ob sie aufgeben solle, traf der Truppenrückzug mit dem zu Tode verletzten Pharao ein. Da hatte die Nachricht längst schon Qus passiert und den Fürsten von Sauti dazu veranlasst, noch ein paar Wochen länger an dem sicheren Ort zu bleiben, wohin er sich zurückgezogen hatte. Vier Tage bevor der Tross Sedjefa-taui erreichte, waren Teti-scheri und Ah-hotep im Bilde.
Tatsächlich - Pharao lebte. Kaum in Sedjefa-taui angekommen, wurde er von Bord gebracht und in den Palast getragen. Um ein Wundliegen zu vermeiden, hatte man ihn auf weiche Kissen gebettet, in denen er regelrecht versank. Nur die beiden verkrampften Hände ragten über den Rand der Trage wie kahle Äste eines toten Baumes in den Himmel. Wer sie sah, erschrak sich zu Tode.
Im Palast wurde Pharao, wie es sich gehörte, im Thronsaal aufgebahrt, war es doch der angemessene Platz, den ihm niemand streitig machen wollte. Teti-scheri weinte, als sie ihren Sohn dort liegen sah, den verbundenen Kopf auf dem Kissen, die Hände in die Luft gereckt, als ob sie einen Schrei gestisch wiedergeben wollten. Seqen-en-Re blickte mit dem rechten Auge wild um sich, hilflos ausgeliefert. Sogleich sollten die Ärzte sich um ihn kümmern. Doch sie meinten, sie könnten lediglich dafür sorgen, dass Pharaos Wunden sauber verheilten. Es sei verwunderlich genug, dass er den zerstörerischen Schlag auf seine linke Gesichtshälfte überhaupt überlebt hatte. Und auch den tiefen, zerstörerischen Stich in den Nacken, konnten sie nicht ungeschehen machen.
Sat-djehuti und Ah-mose Inhapi schluchzten laut auf, als sie ihren Ehemann vor sich liegen sahen. Man konnte ihnen ansehen, wie sehr sie sich vor dem hilflos Geifernden ekelten, dessen Arme wie tote Äste in die Luft ragten und der sie mit seinem weit aufgerissenen Auge anstarrte. In ihren Gesichtern war deutlich die Furcht zu lesen, ihm eines Tages wieder zu Diensten sein zu müssen. Nur Ah-hotep unterdrückte ihren Schreck und versuchte, mit ihm zu reden. So widerwärtig ihr der Bruder auch oft genug gewesen war, so sehr dauerte er sie nun, für den Rest seines Lebens dazu verdammt, in einem bewegungslosen Körper zu stecken. Doch sein rechtes Auge hatte jenen Blick, den Ah-hotep von Kind auf kannte. Ihr Bruder, von schmerzlindernden Trünken benommen, hatte noch immer nicht verstanden, wie sein Leben in Zukunft aussehen würde.
Doch er verstand es schon recht bald. Ah-hotep konnte den Augenblick der Erkenntnis in seinem Auge ablesen. Sie hatte ihm ihren dicken Bauch gezeigt und Seqen-en-Re dämmerte es, dass er kein weiteres Kind mehr würde zeugen können. Von da an war nur noch Hass und Wut in seinem Blick.
Erleichterung fand Ah-hotep zunächst nur in der Tatsache, dass Apopi die Fliehenden nicht verfolgt hatte. Auch plante er keinen Rachefeldzug - zumindest nicht in unmittelbarer Zukunft. Ka-mose hatte die meisten der Soldaten mit bewundernswerter Stärke und Umsicht zurück nach Hause gebracht. Etwa ein Viertel war desertiert, ein weiteres Viertel gefallen. Die heimgekehrte Hälfte war nur wegen des Vorbildes, das sie in dem jüngeren Bruder Pharaos hatte, sowie wegen seiner überzeugenden Worte bei der Truppe geblieben. Ka-mose war gerade einmal achtzehn Jahre alt und wusste dennoch, seine Krieger wie ein Vater zu beruhigen. Seine Streitwagenmacht war glücklicherweise ohne allzu große Verluste erhalten geblieben, ebenso wie die Schiffe, die allesamt, bis auf eines, zurückgekehrt waren. Ah-hotep schämte sich fast dafür, weil sie erleichtert aufgeseufzt hatte, als sie davon erfuhr. Doch es hatte sie über lange Jahre derart viele Mühen gekostet, das Holz für die Flotte beizubringen, dass sie froh war, sie nahezu unbeschädigt zurückbekommen zu haben. Jener Teil der Truppe, der Hut-nesu belagert hatte, war jedoch entwaffnet worden. Der Schatzmeister hatte nichts Besseres zu tun, als Ah-hotep vorzurechnen, wie hoch der Schaden war. Die Waffenschmiede des Südens würden auf Jahre hinaus beschäftigt sein, um die verlustig gegangenen Waffen zu ersetzen.
Pharaos Wunden heilten, doch an seinem Zustand änderte sich nichts. Sein rechtes Auge rollte wild hin und her und man hoffte, erahnen zu können, was er damit ausdrücken wollte. Geduldig versuchte Ah-hotep, irgendwelche Zeichen mit ihrem Gemahl abzusprechen. Ein Rollen des Auges auf und ab sollte ein Ja, von links nach rechts ein Nein bedeuten. Manchmal klappte es sogar, dass sie ihn verstand. Meistes jedoch nicht. Dann konnte sie nur noch mehr Wut und Hass in Seqen-en-Res Blick sehen.
Anstehende Entscheidungen wurden ihm von den Würdenträgern vorgetragen, die jedoch selten genug auf ein einfaches Ja oder Nein zusammengefasst werden konnten. Die Ausdeutungen Ah-hoteps wurden immer häufiger angezweifelt, da sie nur selten einmal jemand nachvollziehen konnte. Nicht, dass man ihr misstraute. Nein, sie würde ganz gewiss nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Doch frei von Irrtümern war sie deswegen keinesfalls. Schließlich lag die alleinige Entscheidungsgewalt nach wie vor bei Pharao, so dass es galt, seinen Willen in Erfahrung zu bringen. Doch Pharao wurde immer mehr zu einem lediglich wild um sich blickenden Auge voller Hass und Zorn. Vielleicht, gab Ah-hotep zu bedenken, solle man so verfahren, wie bei einem unmündigen Kind, das noch zu jung war, um weitreichende Entscheidungen selbst zu treffen, und einen Vormund mit den Befugnissen eines Regenten einsetzen. Pharaos Auge starrte sie böse an. Auch die Priester hatten gewichtige Einwände. War bei einem Kind das Herz durch mangelnde Erfahrung noch nicht vollständig ausgebildet, so war dies bei Pharao Seqen-en-Re, ihm werde Leben, Wohlstand und Gesundheit zuteil, nicht der Fall. Es gelang ihm lediglich nicht, seinem vorhandenen Willen und seinen Entscheidungen auch Ausdruck zu verleihen. Wer konnte schon mit Sicherheit sagen, was die Zuckungen seines Auges bedeuteten.
Die Folge war, dass das Land von einer lähmenden Unsicherheit überzogen wurde. Ohne es auszusprechen, warteten alle auf den Tod Seqen-en-Res und verschoben bis auf weiteres alles, was zu verschieben war. Doch was wäre, wenn er tatsächlich stürbe? Sowohl Ah-mose Inhapi als auch die Große königliche Gemahlin Ah-hotep waren schwanger von ihm. Wenn eine von beiden einen Sohn gebären sollte, gäbe es endlich einen Thronfolger. Schenkten beide einem Sohn das Leben, hätte Ah-hoteps Kind den Vorrang, war sie doch die Große königliche Gemahlin. Ah-mose Inhapi hasste ihre Schwester dafür und es hieß, sie bemühte sogar schwarze Magie, um die Angelegenheit in ihrem Sinne ausgehen zu lassen.
Ah-mose Inhapi kam etwa sechs Wochen vor Ah-hotep nieder. Es war ein Mädchen, das sie Ah-mose Henut-tjemehu nannte – der wiedergeborene Mond, Gebieterin der Tjemehu. Obschon Ah-mose Inhapi keinerlei Verbindung zu den Tjemehu hatte, einem kriegerischen Stamm aus der libyschen Wüste, benannte sie ihre Tochter als deren Herrin. Setzten die Tjemehu in jenen Tagen Apopi doch arg zu und waren aus diesem Grunde von den jungen Leuten des Südens sehr umschwärmt. Immerhin hatte ihr freches Rauben und Brandschatzen die Folge, dass sich Apopi zunächst um den Westen kümmern musste und den Süden vorerst in Ruhe ließ. Man unterstellte ihnen hehre Freiheitsliebe, doch es war der schiere Hunger, der sie antrieb. Ah-hotep ahnte, dass der Grund für diesen Namen in der namenlosen Furcht ihrer kleinen Schwester vor Apopi lag, den sie, seit Seqen-en-Re so schrecklich zugerichtet zurückgekehrt war, mehr fürchtete als die grässliche Ammit, die in der Unterwelt saß und die Herzen der Sünder zerfleischte.
Die Hoffnung aller lag nun einmal mehr auf der schwangeren Ah-hotep. Was wäre es für ein gnädiges Zeichen, wenn sie endlich einen Sohn gebären würde! Wenige Tage nachdem sie dreiundzwanzig Jahre alt geworden war, schenkte die Große königliche Gemahlin Ah-hotep ihrer fünften Tochter das Leben. Und damit das Kind, wenn man ihr eines Tages die Geschichte ihres Vaters erzählte, nicht glauben musste, dass sie ihrer Mutter als Mädchen weniger willkommen gewesen war, nannte Ah-hotep ihre Jüngste Ah-mose Tut-merisi – der Mond ist wiedergeboren als Vollkommenste jener, die geliebt werden.
Nun war allen klar, dass nur Pharaos jüngerer Bruder Ka-mose als Thronfolger in Frage kommen konnte. Eigentlich, so wurde allerorten geäußert, konnte man sogar froh darüber sein, dass kein Säugling zum Nachfolger Pharao Seqen-en-Res erhoben werden musste. Denn Ka-mose war inzwischen ein so erfahrener wie angesehener und beliebter junger Mann, der mit achtzehn Jahren alt genug war, augenblicklich die Regierungsgewalt zu übernehmen. Das Volk feierte ihn als Kriegshelden und die Verwaltungsbeamten schätzten seine aufgeschlossene Art, mit der er stets bereit war, auch gegenteilige Argumente anzuhören. Allerdings konnte niemand vorhersagen, wie lange Pharao Seqen-en-Re noch leben würde. Und so lange er am Leben war, würde er auch Pharao bleiben. Erst jetzt wurde jedermann klar, welchen Fluch Apopi über das Land gebracht hatte.
Ah-hotep und Teti-scheri sprachen bei den Priestern vor, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, die Herrschaft den Glaubensgrundsätzen folgend an Ka-mose zu übertragen. Sie verstünden ihr Begehren zwar sehr wohl, teilten ihnen die Priester nach langen Beratungen mit, denn es sei wahrlich ein großes Unglück, das mit dem gelähmten Pharao über den Süden gekommen war. Doch selbst ein freiwilliger Verzicht Seqen-en-Res auf die Herrschaft sei keinesfalls möglich. Er konnte die Macht, die ihm von den Göttern verliehen worden war, nicht einfach nach Gutdünken weiterreichen. Nein, man würde warten müssen, bis Seqen-en-Re zu Osiris geworden war.
Kurz darauf erschien Baba, der oberste Befehlshaber der Flotte im Palast. Seine tiefe Sorge um den Gehorsam und die Loyalität der Streitkräfte ließ ihn vor die Große königliche Gemahlin und die Königsmutter treten, wie er sagte. Weder Ka-mose noch er konnten letztendlich die Befehle, die sie den Truppen gaben, durch die Autorität Pharaos legitimieren. Wusste doch jeder im Reich, dass Pharao nicht mehr in der Lage war, seinen Willen auch mitzuteilen. Noch gehorchten die Truppen aus Respekt und Liebe zu Ka-mose, doch könnte es genauso gut geschehen, dass sie irgendwann einmal den Gehorsam verweigerten. Apopi stellte vorerst keine Gefahr dar, da er allzu sehr mit den Tjemehu beschäftigt war. Doch die Fürsten im elenden Kusch kamen einer nach dem anderen wieder aus ihren Rattenlöchern gekrochen, um sich ein Stück von Kemet zu holen. Über kurz oder lang würde kein Weg daran vorbeiführen, sie in ihre Schranken zu verweisen, indem man einen Kriegszug in den tiefen Süden unternahm. Doch wer, so fragte Baba, könnte den entsprechenden Befehl erteilen, wenn nicht Pharao?
Selbst der Vorsteher der königlichen Werkstätten wandte sich an die hohen Frauen. Seit der Rückkehr der entwaffneten Truppen arbeitete man mit Hochdruck an der Herstellung neuer Waffen. Doch langsam machte sich ein zwar noch zurückhaltendes, aber doch zunehmendes Murren breit, von dem er befürchtete, dass es schnell lauter werden könnte. Schließlich wusste niemand nachweislich zu bestätigen, dass es tatsächlich Pharaos Wille war, wenn sämtliche Einfuhren und Erzfunde zunächst den königlichen Waffenschmieden zur Verfügung gestellt wurden. Es gab kaum noch Kupfergeschirr auf den Märkten und Gegenstände aus Bronze waren bereits völlig verschwunden.
In Waset waren die Preise für Lebensmittel regelrecht aus dem Ruder gelaufen, klagte der Bürgermeister Tetiki bei einer der allmonatlichen Audienzen, da Pharaos regelnde Autorität fehlte. Inzwischen waren immer mehr Bewohner auf die königlichen Zuteilungen angewiesen, über deren Höhe ebenfalls schon kräftig gemurrt wurde. Denn niemand konnte dem Volk bestätigen, dass ihr Umfang auch tatsächlich Pharaos weisem Ratschluss entsprach. Die Ma’at, dies kündigte sich allenthalben an, war in Gefahr, außer Kraft gesetzt zu werden. Das Chaos drohte! Das Land brauchte nichts so sehr, wie die Autorität eines von den Göttern bestätigten Herrschers, der seine Macht auch auszuüben wusste. Sowohl Ah-hotep als Großer königlichen Gemahlin als auch Teti-scheri als Mutter des Königs war klar, dass es an ihnen lag, eine Lösung zu finden.
Irgendwann einmal sprach irgendwer das Unaussprechliche aus, das alle schon lange dachten: Pharao Seqen-en-Re Ah-mose musste endlich sterben können. Doch wer, so fragte man sich, sollte die schreckliche Bürde des Königsmordes auf sich nehmen? Würde doch spätestens beim Totengericht sein Herz von der schrecklichen Ammit verschlungen werden und somit den Königsmörder auf alle Zeit verdammt sein lassen. Wie würden die Götter reagieren, wenn Sterbliche den von ihnen eingesetzten Pharao meuchelten? Wie das Volk? Würde man seinem Nachfolger, der schließlich von dem schnöden Mord profitierte, dasselbe Vertrauen, denselben Gehorsam entgegenbringen? Es stand zwar außer Frage, dass eine Lösung gefunden werden musste, doch welcher Art sie sein konnte, wusste niemand zu beantworten.
Je mehr Zeit ins Land ging, desto mehr Fragen tauchten auf und desto unsicherer wurde die Gesamtsituation. Es schien bald nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das Land unregierbar wurde. War es das, was die Götter wollten? Es war jedenfalls das, was Apopi wollte. Zuvorderst die Militärs, aber auch die hohen Verwaltungsbeamten und schließlich sogar die Priester wiesen nachdrücklich darauf hin, dass dies keineswegs der Wille der Götter sein konnte. Liebten sie doch Kemet und würden nicht mit ansehen wollen, wie das Land zugrunde ging. Doch wer würden die Mutigen sein, fragten sie bei einer Ratsversammlung, die bereit wären, Kemet aus dieser Misere zu führen? Ah-hotep beschlich eisiges Grauen, als sie die fragenden Blicke der Würdenträger auf sich ruhen spürte. Und auch Teti-scheri weigerte sich strikt, über einen Beitrag ihrerseits überhaupt nachzudenken.
Während sich Seqen-en-Res Gesundheitszustand zwar nicht besserte, so doch immer mehr stabilisierte, sprach man bei Audienzen vor der königlichen Familie über die Gefahren, die von verdorbenem Essen ausgehen konnten. Ah-hotep hörte entsetzt zu, hatte sie doch das Gefühl, dass man sie dazu anstiften wollte, Pharao zu vergiften. Man berichtete von der diesjährigen Schlangenplage, die bereits mehr Opfer als üblich gefordert hatte und beklagte den Tod von Ah-hoteps Tante Sat-anjotef, die bei einem Schwächeanfall in ihrer Badewanne ertrunken war. Eines Morgens fand Ah-hotep vor ihrer Wohnung im Nordpalast einen Strauß aus Mohnkapseln und Dolden des Gefleckten Schierlings, während man vor die Tür ihrer Mutter eine Handvoll Mandragora-Wurzeln gelegt hatte, die bis vor kurzem in Kemet unbekannt, erst von den Hyksos als Rauschmittel eingeführt worden waren. Bald wurde vor Ah-hoteps Tür ein Korb mit einer lebenden Kobra abgestellt, die sie beinahe gebissen hätte, als sie den Deckel anhob, um nachzusehen, was sich darin befand. Und Teti-scheri war sich absolut sicher, dass das Schälchen mit gemahlenem Arsen, das man vor ihrer Tür fand, keineswegs als Aufforderung gedacht war, das Pulver zur Entfernung ihrer Körperhaare zu benutzen, da sie penibel auf Haarlosigkeit achtete. Die beiden Frauen waren vollkommen verstört, weil man offenbar von ihnen erwartete, den Bruder und Sohn umzubringen.
Es war Ka-mose, der bei einer Unterredung mit Mutter und Schwester das Gespräch auf das allgegenwärtige, doch nie offen ausgesprochene Thema brachte. Sie bestätigten zwar seine Einschätzung, dass es für das Land unbedingt besser wäre, wenn Pharao endlich stürbe, doch wollten sie nichts, aber auch gar nichts darüber hören und davon wissen. Doch wenn es dann eines Tages soweit wäre, würde Ah-hotep als verwitwete Große königliche Gemahlin sich selbstverständlich mit ihrem Bruder Ka-mose verbinden, schon allein um den Fortbestand der Dynastie zu sichern; aber auch, um dem Land endlich wieder die so dringend benötigte Stabilität zu geben.
„Es bedarf manchmal eines mutigen Mannes“, sagte Teti-scheri zu ihrem Sohn beim Abschied, „der, um sein Land zu retten sogar soweit gehen würde, seine eigene Seele zu opfern.“
Sie weinte die ganze Nacht, fürchtete sie doch, dass keine der Seelen ihrer beiden Söhne jemals das heilige Lichtland erreichen würde. Und auch was die ihre betraf, plagten sie gehörige Zweifel.
In langen Nächten beredete sich Ka-mose mit seinen Generälen und Admiralen. Sie sagten ihm ihre volle Unterstützung zu und garantierten auch für die Loyalität der Truppe, wenn er nur endlich den Thron besteigen und das Land aus der misslichen Situation führen würde, in der es sich befand. Niemand würde Fragen stellen, dessen waren sie sich sicher, wenn nur endlich die Zeit der bleiernen Reglosigkeit zu Ende ginge. Als nur noch seine beiden engsten Vertrauten, General Baba sowie der Pferdebändiger Murschili, anwesend waren, teilte Ka-mose ihnen mit, dass er entschlossen sei, dem Leben seines hilflosen Bruders ein Ende zu setzen. Er hielt es jedoch für unwürdig, wenn ein derart großer Krieger, vergiftet, ertränkt oder erstickt werden würde. Sie pflichteten ihm bei und sagten ihm zu, auch bei dieser, der schwersten seiner Aufgaben, fest an seiner Seite zu stehen.
„Ich habe schon so viele Menschen für das Wohl meines Landes getötet“, stellte Baba fest, „und werde mich auch für den Tod eines gelähmten Gottes vor Osiris bei der Wägung des Herzens rechtfertigen können.“
„Und mich schreckt das Totengericht vor Osiris nicht“, sagte Murschili. „Ich komme aus dem Lande Hatthi. Unsere Götter sind allwissend, so dass ich ihnen nicht erklären muss, warum ich so und nicht anders gehandelt habe. Letzten Endes ist es eine Frage der Vernunft – und nicht der Moral. Das Land braucht einen handlungsfähigen Herrscher.“
Zur finstersten Stunde der Nacht schlichen drei Gestalten in das Schlafgemach Pharao Seqen-en-Re Ahmoses. Er schlief tief und fest. Alle drei stellten sich nebeneinander auf die rechte Seite seines Bettes. General Baba, eine der typischen Streitäxte seiner Truppen in der Hand, der Pferdebändiger Murschili mit einem hethitischen Kriegsbeil und Ka-mose mit dem Dolch, den sein Bruder ihm geschenkt hatte, als er vor Jahren von der Expedition nach Punt zurückgekehrt war. Plötzlich öffnete Pharao sein unversehrtes Auge und starrte zur Reglosigkeit verdammt den Dreien ins Gesicht.
„Es tut mir leid, Bruder“, sagte Ka-mose mit fester Stimme und meinte in Seqen-en-Res Auge Einverständnis, ja, dankbare Erleichterung zu erkennen. Dann schloss Pharao das Auge und erwartete sein Ende.
Noch bevor der Morgen graute, war der Leichnam Pharao Seqen-en-Re Ah-moses den Einbalsamierern übergeben worden, damit sie mit ihrer Arbeit beginnen konnten. Als die Sonne aufging wurden Teti-scheri und Ah-hotep informiert und als das Taggestirn eine Handbreit über dem östlichen Horizont stand, wussten schon alle im Palast Bescheid: Pharao Seqen-en-Re Qeni war in der Nacht überraschend gestorben. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile im ganzen Land und niemand fragte, was geschehen sei. Stattdessen atmete man erleichtert auf, sei es doch sowohl für das Land, als auch für den gequälten König besser so. Waren die davongetragenen Verletzungen doch sicherlich auch schwer genug, um jederzeit zum Tode führen zu können. Es wurde noch nicht einmal getuschelt. Und war es doch einmal der Fall, dann wurde abschließend bestätigt, dass es eine gute Entscheidung war, den Gequälten sterben zu lassen. Fraglos nahm man hin, was alle so lang erhofft hatten.
Teti-scheri und Ah-hotep baten Ka-mose, sie ins Haus der Einbalsamierer zu begleiten, wollten sie doch von Sohn und Bruder Abschied nehmen. Drei tiefe, frische Wunden klafften in seinem Schädel. Eine oberhalb des Haaransatzes, eine auf der Stirn und eine weitere knapp unterhalb des rechten Auges, das weit offen stand. Ah-hotep war erleichtert, dass ihr toter Bruder und Gemahl sie nicht mit jenem altbekannten Blick anstarrte, der nichts als Unverständnis ausdrückte. So fiel es ihr leicht, sich einzureden, dass Seqen-en-Res letzter Blick Verstehen und Billigung ausdrückte.
Um ihren Teil beizutragen, ordneten die Königsmutter sowie die Große königliche Gemahlin an, das Herz des Verstorbenen nicht in seiner Brust zu belassen, sondern irgendwo an einem geheimen Ort, getrennt vom Leib des Königs, zu bestatten. Auch wenn Seqen-en-Re dadurch das Fortleben im Lichtland verwehrt bleiben würde, so konnten sie damit doch wenigstens dafür sorgen, dass Ka-mose keine Vergeltung im Jenseits zu befürchten hatte, noch von der Rache eines Wiedergängers verfolgt werden konnte.
Die Große königliche Gemahlin sowie ihre Mutter vergossen viele Tränen, was alle, die sie sahen verwunderte. War der Verstorbene doch alles andere als ein wahrhaft liebender, rücksichtsvoller Ehemann und Sohn gewesen. Von der Schuld, die beide Frauen auf sich genommen hatten, ahnte niemand etwas.