Читать книгу HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron - Wieland Barthelmess - Страница 6

Die Herrin der Paläste

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Wie im Fluge waren die Tage bis zur Abreise vergangen, gab es doch letztendlich mehr vorzubereiten, als Hat-schepsut gedacht hatte. Hapu-seneb sprach kurz vor der Abreise vor und gab ihr eine Liste mit den Ornaten, die sie mitzunehmen hätte. Das offizielle Gewand der Gottesgemahlin war golddurchwirkt, ausladend und schwer. Und in Nubien war es sehr heiß. Doch Hapu-seneb blieb unerbittlich: Zumindest bei der Erhebung Turis müsse Hat-schepsut es tragen. Dazu noch die fürchterliche Geierhaube unter der man in einem fort schwitzte. Das Ding roch auch schon ganz muffig. Das Innenfutter würde natürlich sofort ausgetauscht werden, versprach der Hohepriester. Dass sie die Schlangenkrone mitnehmen musste, war Hat-schepsut allerdings klar. Inzwischen hatte sie viel geübt und schließlich gelernt, das schwere Ding richtig auf dem Kopf zu balancieren. Von dem Räucherwerk und den speziellen Sistren, die mitgenommen werden mussten, wollte sie dann nichts mehr hören. Dies alles könne Hapu-seneb mit Sit-Re besprechen.

Die arme Frau rannte in den Tagen vor der Abreise aufgeregt von einem Ende des Palastes zum anderen. Sie nahm ihrer Herrin natürlich das meiste ab, was die Vorbereitungen betraf, aber mit dem Reiseziel Nubien war Sit-Re leider so überhaupt nicht vertraut. Kurz bevor das Gepäck an Bord gebracht wurde, hatte sie es jedoch noch geschafft, eine sinnvolle Kollektion an Kleidern und anderen, dringend notwendigen Dingen zusammenzustellen. Eigentlich hatte Hat-schepsut gehofft, noch ein wenig mehr Zeit mit ihrer neuen Freundin Isis verbringen zu können, aber ihre Treffen waren immer nur kurz und somit von organisatorischen Angelegenheiten geprägt. Nun, sie würden auf der langen Schiffsreise genügend Zeit haben, einander besser kennen zu lernen. Dennoch war sich Hat-schepsut inzwischen sicher, dass Isis ausgezeichnet in den Palast passte. Sie war bildschön, nicht dumm und wusste sich zu benehmen. Außerdem war sie beseelt von dem Gedanken, ein Leben bei Hofe zu führen. Sie würde alles tun, um dieses Ziel auch zu erreichen. Noch war sie ein wenig naiv und gutgläubig, aber dies, dessen war sich Hat-schepsut vollkommen sicher, würde sich bald ändern.

Thot-mose war ein paar Mal zu Hat-schepsut herübergehuscht, um sein mit Angst beladenes Herz zu erleichtern. Er fürchtete vor allem die Hitze, die seinem Ausschlag keinesfalls zuträglich sein konnte. Aber er fürchtete auch die Krokodile sowie die Schlangen - und die Nubier im Allgemeinen. Ihre schwarzen Gesichter mit den breiten Nasen machten ihm Angst. Hat-schepsut hielt ihm vor, dass Turi einer seiner besten Freunde sei. Und Turi war schwarz wie die Nacht. Ja, das mochte wohl stimmen, aber über all die Jahre war Turi doch einer von ihnen geworden, gab Thot-mose zu bedenken, auch wenn seine Haare noch immer kraus und die Haut schwarz wie Kohol war. Turi sah zwar aus wie ein Nubier, war aber keiner. Stolz zählte Thot-mose sämtliche Kampagnen gegen Nubien auf, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt worden waren. Sogar die jeweiligen Regierungsjahre der einzelnen Pharaonen, in denen sie stattgefunden hatten, wusste er zu nennen.

„Und was ist jedes Mal dabei herausgekommen“, fragte Hat-schepsut schnippisch. „Siege über Siege! Beruhige dich also, mein Lieber. Oder glaubst du etwa, unser Vater würde uns irgendeiner Gefahr aussetzen wollen?“

„In Pharao Ka-moses siebtem Jahr haben die Kraushaarleute Buhen erobert, nachdem sie Dämonen geschickt hatten, die alle dort krank gemacht haben. Du siehst also, wie durchtrieben sie sind.“ Thot-mose war nur schwer von seinen Ängsten abzubringen.

„Und was ist Buhen heute? Eine Stadt, die gleichsam im Kernland Kemets liegt. So ändern sich die Zeiten.“ Hat-schepsut war derart voller Vorfreude auf die Geheimnisse Nubiens, dass sie das ständige Genörgel ihres Bruders nicht mehr hören mochte.

„Es soll Stechfliegen dort geben, die so groß sind wie unsere Amseln und die nubischen Nilpferde sollen jedes Boot angreifen, das sich ihnen nähert.“

„Ich weiß“, erwiderte Hat-schepsut spöttisch, „und die Nubier fressen sich gegenseitig auf.“

„Wirklich?!?!“ Thot-mose schauderte es.

„Onkel Pen-Nechbet hat davon erzählt, erinnerst du dich nicht?“ Hat-schepsut gab sich unerschrocken. „Allerdings erst, nachdem er sie in Pnubs eingeschlossen hatte und sie all ihre Vorräte aufgebraucht hatten.“

„Und genau da fahren wir hin?“

„Ja, die neu erbaute Hauptstadt Nubiens ist unser Ziel, das schöne Pnubs.“

„Ich habe heute endlich den schon lange geplanten Tempel für deine Brüder Amun-mose und Wadj-mose in Auftrag gegeben, durch deren Tod ich zum Thronfolger geworden bin.“ Hat-schepsut sah Thot-mose fragend an. „Man weiß ja nie, was geschieht. Ich hoffe, dass sie mir ihren Schutz gewähren. Was meinst du? Ich kannte sie ja kaum.“

„Aber sicher“, versuchte Hat-schepsut ihren Halbbruder zu beruhigen. „Wadj-mose wird dir seine Klugheit schenken und Amun-mose seine Kraft. Aber sag mir, wie hast du so schnell die Mittel für den Tempel auftreiben können?“

„Ich hab einen Teil meiner Weingärten im Fayum verkauft. Ich trinke sowieso lieber Bier. Und du weißt ja, die Verwaltung von weit entfernten Gütern bringt immer nur Schwierigkeiten mit sich.“

Hat-schepsut konnte ihr Missfallen kaum verbergen. Einen guten Weingarten zu verkaufen, war schon sehr unvernünftig. „Wenn du magst, kann sich mein Schreiber Nefer-khaut zukünftig auch um deine Angelegenheiten kümmern“ schlug sie ihrem Bruder vor. „Er leistet hervorragende Arbeit.“ Hat-schepsut hoffte, dass Thot-mose zustimmen würde, denn dann würden derartige Dummheiten gewiss nicht wieder vorkommen.

Erfreulicherweise zeigte sich Thot-mose überaus erleichtert, endlich auch diese Last losgeworden zu sein und stimmte dankbar zu. „Der Schreiber meiner Mutter hat das alles bislang für mich erledigt.“

„Nun, wie mir scheint, hat er dich nicht wirklich gut beraten. Lass mich nur auf dich Acht geben, Brüderchen“, sagte Hat-schepsut erleichtert. „Und hab keine Angst: Ich werde auch in Nubien auf dich aufpassen. So wie früher auch, als wir noch klein waren.“

Endlich war es soweit und der Abreisetag war angebrochen. Mit dem ersten Morgenlicht legte die königliche Barke begleitet von einem kleineren königlichen Boot sowie drei Kriegsschiffen im Hafen von Waset ab. Ahmes stand auf der Terrasse des Palastes und winkte Pharao und der Tochter nach. Sie war nicht wirklich einverstanden damit, dass er Hat-schepsut und ihren Halbbruder mitnahm, nur um die Nubier zu beeindrucken. Doch jeder hatte ihr bestätigt, dass es keinerlei Grund zur Sorge gab: Nubien war befriedet und würde es wohl auch bleiben. Es gab jedenfalls keinerlei besorgniserregende Anzeichen. So machte der kleine Konvoi auch eher den Eindruck, als wäre er zu einer Lustreise aufgebrochen, wenngleich er von drei Schiffen beschützt wurde, die mit bis an die Zähne bewaffneten Soldaten besetzt waren. Doch wenigstens hatte man die Schiffe mit Girlanden geschmückt, damit sie einen weniger kriegerischen Eindruck machten.

Die ersten drei Nächte, würde man in den Städten Nechen, Nubet und schließlich Sunu in den Palästen der jeweiligen Bürgermeister oder Gaufürsten verbringen, erläuterte Sen-en-Mut seinen Schülern den Ablauf der Reise. Dort war man von den vorausgeschickten Transportschiffen informiert worden, dass königlicher Besuch zu erwarten war. Entsprechend vorbereitet würde man diese drei Städte sicherlich auch antreffen, versicherte Sen-en-Mut. Gleich hinter Sunu, sobald man den ersten Katarakt überquert hätte, würde das eroberte Nubien beginnen. In Ermangelung angemessener Räumlichkeiten, würde man die darauf folgenden zwei, vielleicht auch drei Nächte an Bord verbringen müssen, bis man Miam und nach weiteren drei Tagen schließlich Buhen erreicht hätte, das sich mit großen Zeremonien auf den Besuch einstellte. Es war vorgesehen, wenigstens zwei Tage in Buhen zu bleiben. Es könnten aber auch leicht drei werden, wie Sen-en-Mut meinte, da Pharao dort größere Veränderungen in der Verwaltung vornehmen müsse und zudem die Wehrhaftigkeit der dortigen Verteidigungsanlagen in Augenschein nehmen wollte. Der letzte Abschnitt der Reise würde sie durch eine trostlose Wüstenei führen, bis man schließlich nach weiteren drei Tagen an Bord kurz nach der Überwindung des dritten Kataraktes Pnubs, das Ziel der Reise erreicht hätte. Thot-mose zog den Kopf ein und machte sich ganz krumm, als er die Worte „trostlos“, „Wüstenei“ und „Pnubs“ hörte. Das Äffchen strich ihm mit seiner kleinen Hand unbeholfen über den Kopf, als ob es ihn trösten wollte. Sen-en-Mut teilte mit, dass er die Stationen der Reise dazu nutzen werde, seinen Schülern Näheres über die jeweiligen Orte beizubringen, die auf dem Weg lagen. Thot-mose seufzte unwillkürlich, da er wieder einmal ellenlange Aufzählungen erwartete, die er würde auswendig lernen müssen. Hat-schepsut hingegen brannte vor Wissbegier und wollte sogleich Näheres über Djerti erfahren, dass bereits in der Ferne am rechten Nilufer in einer engen Flussschleife auftauchte. Aufmerksam lauschte sie Sen-en-Muts Ausführungen über den großen Month-Tempel, der vor über eintausend Jahren von Userkaf, dem ersten Pharao der fünften Dynastie errichtet worden war. Als habe er seinen Schützlingen ein Geheimnis anzuvertrauen, senkte Sen-en-Mut seine Stimme: Gott Month war seinerzeit neben Gott Amun der Hauptgott Wasets. Mit Erstarken der Amun-Priester wurde er jedoch immer mehr aus Waset vertrieben und fand in Djerti seine neue Heimat.

„Oh, dann sollten wir dort besser nicht Halt machen“, schlussfolgerte Thot-mose. „Denn Month ist dann bestimmt nicht gut auf uns zu sprechen. Und schon gar nicht auf die Gottesgemahlin des Amun.“ Er lachte, als habe er einen köstlichen Witz gemacht.

„Aber nein“, rief Hat-schepsut voller Eifer. „Lasst uns kurz dort anlegen, nur ganz kurz. Wäre es nicht eine schöne, eine verbindende Geste, wenn die Gottesgemahlin des Amun dem Gott Month ihre Aufwartung machte? Ein Gebet, ein Opfer nur. Die Anhänger des Gottes werden sich freuen, dass sie nicht vergessen sind.“

Sen-en-Mut stutzte zunächst, musste dann aber doch zugeben, dass dies eine noble Geste wäre. Er würde sich sogleich auf die königliche Barke übersetzen lassen, um mit Pharao über Hat-schepsuts Einfall zu sprechen. Denn natürlich musste der König sein Einverständnis geben. So geschah es dann auch und Pharao war derart begeistert von Hat-schepsuts Idee, dass er sich entschloss, ebenfalls außerplanmäßig in Djerti anzulegen, um mit seiner Tochter und dem Thronfolger gemeinsam den Gott zu ehren.

Zunächst guckten die Menschen in Djertis Hafen noch ungläubig als die königliche Barke mit drei Kriegsschiffen und einer weiteren Barke völlig unerwartet anlandete. Sie konnten es kaum glauben, dass der Gute Gott höchstpersönlich ihrer Stadt und ihrem Tempel einen Besuch abstattete. Hat-schepsut war der Meinung, dass es unter Umständen angebracht sein könnte, wenn es der Thronfolger war, der voranschritt, wurde Month als Kriegsgott doch insbesondere von den Soldaten verehrt. So wäre dies eine gute Gelegenheit für Thot-mose, sich bei den Truppen beliebt zu machen. Dann würde der Besuch auch eindeutig zeigen, dass sowohl der zukünftige wie der gegenwärtige Pharao nicht vergaßen, diesen Gott zu ehren. Pharao war ausgesprochen stolz auf seine so kluge wie umsichtige Tochter.

Als Pharao, der Thronfolger und die Gottesgemahlin des Amun wieder den Tempel des Month verließen, waren die Straßen dicht gesäumt von Menschen, die das Unfassbare mit eigenen Augen sehen wollten. Offenbar war es der Thronfolger, er führte schließlich den Zug an, der auf diesem Besuch bestanden hatte. Der Jubel war unbeschreiblich.

„Siehst du“, flüsterte Hat-schepsut ihrem Bruder ins Ohr. „Dieser Jubel gilt nur dir allein. Hörst du, wie sehr man dich liebt?“

Kaum waren sie wieder am Hafen angelangt, als General Pen-Nechbet zu bedenken gab, dass man nun möglicherweise in Senet und Necheb verstimmt sein könnte, wenn man ohne Halt an diesen Städten vorbeifuhr, um nur Nechen anzulaufen. Er selbst stammte aus Necheb, gab Onkel Pen-Nechbet zu bedenken und er würde für seinen Teil voller Eifersucht auf die anderen Städte am Weg blicken, die Pharao mit seinem Besuch beehrt hatte. Pharao machte ein gequältes Gesicht.

„Dann müssen wir morgen auch in Edfu Station machen, bevor wir gegen Abend Nubet erreicht haben werden. Sei es drum“, entschloss sich Pharao. „Es ist nicht gut, wenn es den Anschein hat, dass der Vater ein Kind dem anderen vorzieht.“

Bis der Konvoi das ein Stück weiter südlich am westlichen Nilufer gelegene Senet erreicht hatte, waren bereits Tausende von Menschen im Hafen zusammengeströmt, um zu sehen, ob die königliche Gesellschaft auch ihre Stadt mit ihrem Besuch beehren würde. Hier war es der Tempel des Chnum, in dem die hochwohlgeborenen Personen beten und opfern konnten. Der widderköpfige Chnum war einer der Schöpfergötter, welche mitgeholfen hatten, die belebte Natur zu erschaffen. Auf seiner Töpferscheibe hatte Chnum am Anfang der Zeit Pflanzen und Tiere, aber auch die Menschen aus Ton geformt; jetzt unterstützte er seine Tochter Setjet beim Hervorrufen der Nilflut. Sen-en-Mut war mit seinen Schülern zufrieden, da sie die Geschichte des Gottes bereits kannten. Auch in Senet jubelten die Massen, zeigte der Besuch ihres gegenwärtigen wie auch ihres zukünftigen Königs doch deutlich, wie sehr ihnen die Stadt und ihre Bewohner am Herzen lagen.

Bis der Konvoi Necheb erreichte, war die Sonne bereits am Sinken. Wie immer war auch hier das Gerücht schneller als jede Barke. Jubelnd wurden die Besucher empfangen. Hier befand sich das Heiligtum der Nechbet, der Landesgöttin des südlichen Kemet, die zusammen mit Wadjet, der Göttin des Nordens, die Schutzgöttin Pharaos war. Er trug sie neben der Kobra des Nordens als Geierkopf stilisiert auf der Stirn. Es wäre ein Versäumnis gewesen, hätte sich Pharao ihres Schutzes nicht vergewissert, indem er zu ihr betete und ihr Opfer darbrachte. Natürlich vermuteten die Bewohner, dass sie den königlichen Besuch allein Pen-Nechbets Einfluss zu verdanken gehabt hatten, der schließlich einer von ihnen war. Niemand widersprach, so dass er die Huldigungen seiner Heimatstadt ungestört genießen konnte.

Es dämmerte bereits, als der königliche Konvoi endlich in Necheb ablegte. Eigentlich hätten sie schon lange vor dem Einbruch der Dunkelheit in Nechen eintreffen sollen, wo man sie sicherlich schon voller Ungeduld erwartete. Doch die unvorhergesehenen Zwischenaufenthalte hatten den Zeitplan des königlichen Besuchs endgültig durcheinander gebracht. Jetzt zu später Stunde war es angenehm auf dem Nil zu fahren. Der Nordwind wehte, die Sterne glitzerten um die Wette und die Luft war angenehm frisch. Fast war Hat-schepsut ein wenig enttäuscht, als sie schon so bald die Lichter der Stadt in der Ferne sich im Nil spiegeln sah. Es war nicht ganz ungefährlich bei Dunkelheit den Strom zu befahren, konnte man dabei doch nur allzu leicht ein Stück Treibholz, ein Krokodil oder gar eines der Nilpferde übersehen. Gerade die Nilpferde, die bei Nacht den schützenden Fluss verließen, um weit ins Land hinein zu ihren Fressplätzen zu laufen, tummelten sich nun in Ufernähe. Thot-mose stand angespannt im Bug der Barke und klammerte sich an der Reling fest, um ja nicht über Bord zu gehen, falls es zu einem überraschenden Zusammenstoß kommen sollte. Auch das Äffchen spürte seine Angst und hielt sich furchtsam an Thot-moses Ohren fest. Doch die Kapitäne der Schiffe waren erfahren genug, um den sich im Nil spiegelnden Lichtschein der Stadt genau zu beobachten und um somit festzustellen, ob die glatte Wasseroberfläche von irgendetwas gestört wurde. Tatsächlich fühlte sich eine Nilpferdmutter in Ufernähe in die Enge getrieben und meinte, ihr Junges verteidigen zu müssen. Mutig griff sie eines der Begleitboote an, das mit Soldaten besetzt war. Das Schiff war mindestens zehnmal so groß wie das riesige Tier und dennoch versuchte es immer wieder, seine Hauer in die Planken des Schiffes zu rammen. Erst als eine Gruppe tapferer Soldaten einen dieser Angriffe nutzte, um das tobende Tier mit seinen Speeren zu durchbohren, beruhigte sich das Wasser wieder und war spiegelglatt wie zuvor. Derjenige, der endgültig den tödlichen Stoß ausgeführt hatte, wurde augenblicklich zu Thot-moses Held, so dass er verkündete, ihn noch am Abend mit einer goldenen Fliege sowie einer Beförderung auszeichnen zu wollen. Hat-schepsut jedoch suchte mit den Augen das Ufer nach dem erbärmlich schreienden Jungtier ab, das nach seiner Mutter rief. Irgendwo im Schilf musste es sich versteckt halten. Hat-schepsut hoffte, dass es dort auch blieb, denn die Soldaten würden nicht einen Augenblick zögern, das Kleine wie seine Mutter zu töten. Sie gelobte, ebenfalls noch am Abend der Nilpferdgöttin Tawret zu opfern, damit sie diesen Frevel verzieh.

Nechen, die Stadt des Horus, war eine der ältesten Städte des Landes und erwartete die Reisenden mit Fackelschein und Jubelrufen. Insbesondere der Erbprinz, den man auch als Horus im Nest bezeichnete, würde dem falkenköpfigen Gott huldigen müssen, als dessen Nachfolger er schließlich galt, bis er den Thron bestiegen hatte. Doch für einen Besuch des Tempels war es nun bereits zu spät. Das Licht des Tages war längst schon der Nacht gewichen. Thot-mose wusste, was dies bedeutete: Er würde morgen, gleich mit dem ersten Tageslicht, die Opferriten abhalten müssen. Und da Hor-meni, der Bürgermeister von Nechen seine hochwohlgeborenen Gäste in seinem Palast natürlich entsprechend willkommen heißen wollte, hatte er ein üppiges Festmahl ausgerichtet, das sicherlich bis tief in die Nacht dauern würde. Thot-mose maulte, dass er in dieser Nacht wohl kaum genügend Schlaf bekommen würde und am liebsten auf der Barke zurückgeblieben wäre. Doch Hor-meni hatte in seinem Palast großzügig Räume für seine Gäste herrichten lassen, so dass es einer Beleidigung gleichgekommen wäre, wenn Thot-mose die Barke nicht verlassen hätte. Hat-schepsut rief ihm in Erinnerung, dass er sich gerade als Thronfolger einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber Horus keineswegs leisten konnte. Und auch Hor-meni galt es, nicht zu enttäuschen, der sich gegenüber der königlichen Familie schon seit Langem durch besondere Treue und unerschütterliche Loyalität ausgezeichnet hatte.

„Komm, reiß dich zusammen“, flüsterte Hat-schepsut ihrem Bruder ins Ohr, als sie die Barke verließen. „Hor-meni hat es wahrlich verdient, dass du freundlich, nett und aufmerksam zu ihm bist. Es ist deine Pflicht, Thot-mose. Also vergiss das Bett. Und es hat auch bestimmt niemand etwas dagegen, wenn du den Affen mitnimmst.“

Eigentlich hätten die Gäste sich zunächst in die für sie vorbereiteten Räume zurückziehen sollen, um sich ein wenig auszuruhen, frisch zu machen und schließlich für das Festmahl neu zu kleiden. Doch es war inzwischen so spät geworden, dass man die Neuankömmlinge unmittelbar in den Festsaal des Bürgermeisters führte, um sogleich das Essen auftragen zu lassen. Glücklicherweise hatte Sit-Re an das Tuch sowie die Kanne Wasser gedacht, so dass sich Hat-schepsut wenigstens die Hände waschen konnte, die vollkommen verschwitzt waren. Sit-Re schaffte es sogar, ihrer Herrin in einer verschwiegenen Ecke die Augen mit Kohol nachzuziehen, ihr eine frische Kalasiris überzuwerfen und ihr eine nubische Perücke aufzusetzen, auf der die Schlangenkrone einen besseren Halt hatte. Man raunte, als Hat-schepsut den Festsaal betrat. Thot-mose sah dagegen wie ein gerupftes Gänslein aus und blickte auch so drein, als Hat-schepsut sich neben ihn setzte, während das Äffchen sie so herzlich begrüßte, als hätten sie sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

Pharao begrüßte die Versammelten und ließ sich ebenso begrüßen wie auch seine ihn begleitenden Kinder. Es wurde also wieder einmal viel geredet. Er ginge nach Nubien, legte Pharao der erhabenen Runde dar, um den endgültigen Frieden zu finden, ja, vielleicht auch Freundschaft und dauerhafte Zusammenarbeit zum beiderseitigen Vorteil …

„Ab morgen kümmere ich mich um dein Auftreten“, flüsterte Hat-schepsut derweil ihrem Bruder zu und drückte seine Hand unter dem Tisch. „Einverstanden?“ Thot-mose nickte so dankbar wie erleichtert. „Denn so geht das ja nicht. Dein Schurz hat Flecken und deine Tunika ist ebenso durchgeschwitzt wie dein Nemes-Kopftuch. Sieh dir Vater und mich an! Sind wir nicht nahezu so vollkommen wie immer?“ Sie lachte so herzhaft, dass ihr Vater, der soeben seine Rede beendet hatte und überhaupt nicht wusste, worum es eigentlich ging, dennoch mitlachte. Ja, auch er hatte sich irgendwo umgekleidet und strahlte im leuchtenden Weiß besten königlichen Leinens.

„Ich hoffe nur“, tuschelte Hat-schepsut ihrem Vater zu, als er sich setzte, „dass sie bald mit den Duftkegeln kommen. Wir sehen zwar frisch aus, aber wir riechen wie die Hyänen.“

Pharao lachte abermals herzhaft, während Thot-mose in sich zusammensackte. Hat-schepsut glaubte sogar zu sehen, wie sich Wasser in seinen Augen sammelte.

„Ich werde mich ab morgen auch darum kümmern“, sagte sie zu Thot-mose, drückte seine Hand und lächelte ihm ins Gesicht. „Vertrau mir. Ich bin dazu da, dass ich auf dich aufpasse. Und ich werde es auch tun.“

„Aber meine Mutter kümmert sich doch schon um mich“, widersprach er.

„Deine Mutter ist weit weg in Waset. Und außerdem kümmert sie sich zuallererst um sich selbst und dann um dich.“ Thot-mose zuckte zusammen. „Versteh mich nicht falsch“ fuhr Hat-schepsut fort. „Ich mag Mut-nofret. Sie ist eine gute Frau. Aber leider ist sie auch ein wenig eitel und sehr begierig darauf, endlich Königsmutter zu werden. Sie kann es kaum erwarten.“

„Es tut mir leid“, entschuldigte Thot-mose seine Mutter, die er, wie jeder wusste, innig liebte. „Sie ist, wie sie ist. Und irgendwann wird sie ja bekommen, was sie will.“

„Aber ja doch“, entgegnete Hat-schepsut mit einem strahlenden Lächeln, „eines Tages ist sie Mutter des Königs. Aber bis dahin kümmert sie sich eben vor allem um sich selbst. Die Ausgaben deiner Mutter, was Kleidung, Schmuck und Einrichtungsgegenstände belangt, sind außerordentlich hoch.“ Hat-schepsut verzog ihr Gesicht, um Thot-mose zu zeigen, dass es ihr leid tat, ihn darüber aufklären zu müssen. „Noch sagt keiner etwas. Noch! Ach, Thot-mose, dabei wäre es Mut-nofrets Aufgabe, sich um dich zu kümmern.“ Hat-schepsut nickte ihrem Bruder zu. „Ich werde ihr das also ab morgen abnehmen.“

Dankbar lächelte Thot-mose seine Schwester an. Er hob ihre noch immer unter dem Tisch ergriffene Hand zum Mund und küsste sie. „Ich danke dir, Schwester.“

Im selben Augenblick brandete ein Jubel auf, der einem leicht die Sinne hätte rauben können. Allerdings verstanden weder Hat-schepsut noch Thot-mose zunächst den Anlass, waren sie doch zu sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen, so dass sie die Blicke gar nicht gemerkt hatten, die auf ihnen lagen. Zwar hatte niemand der Anwesenden auch nur ein einziges Wort von dem verstanden, was der Thronfolger und die Gottesgemahlin des Amun soeben miteinander geflüstert hatten, doch die Art und Weise, wie sie miteinander gesprochen hatten, hatte man sehr wohl zur Kenntnis genommen! Man ergötzte sich daran, wie sie miteinander umgingen. Es musste wahre Liebe sein, welche die beiden verband. Ein jeder hatte es sehen können. Und wenn diese beiden Kinder die Zukunft Kemets waren, unter deren Führung das Land fortdauern würde, so konnte es nur eine Zukunft voller Glück sein.

Lange bevor die Sonne am nächsten Morgen ihre ersten Strahlen aussandte, war Hat-schepsut aus ihren Räumen geschlüpft und pochte an der Tür, hinter der ‑ wie sie wusste ‑ Thot-mose schlief. Seine Haushälterin Merit-Amun, die ‑ wie es so häufig der Fall, ja, fast üblich war ‑ früher Thot-mose als Amme gedient hatte, öffnete verschlafen die Tür.

„Was ist?“, knurrte sie ohne recht wahrzunehmen, wer vor ihr stand.

„Es ist Zeit, das Bad für den Prinzen vorzubereiten“, ordnete Hat-schepsut an. „Beim ersten Sonnenlicht hat Thot-mose im Tempel der Horus zu sein. Und zwar frisch gebadet, den Duft der Götter verströmend und makellos gekleidet. Du hast doch genügend Kleidung mitgenommen?“

„Was kümmert’s dich“, entgegnete Merit-Amun mürrisch. „Mut-nofret, des Prinzen Mutter hat für alles gesorgt. Sie ist es schließlich auch, deren Anweisungen ich zu befolgen habe. Und sie hat nichts davon gesagt, dass ich Thot-mose zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett jagen soll. Der Junge braucht seinen Schlaf.“

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, zwängte sich Hat-schepsut an der verschlafenen Dienerin vorbei. „Ab heute tust du das, was ich dir sage. Ich kümmere mich nun um das Wohlergehen des Thronfolgers.“

„Bei den Titten der Tawret! Noch bist du nicht Thot-moses Große königliche Gemahlin“, widersprach die Dienerin standhaft. „Da kann ja jeder kommen und Anordnungen geben.“

Hat-schepsut deutete auf eine verschlossene Türe. „Da?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, hatte sie schon den Raum betreten. Der schwere, süßliche Geruch von Verwesung kam ihr entgegen. „Thot-mose“, sie rüttelte ihren schlafenden Bruder an der Schulter. „Aufstehen! Du musst dich fertig machen für deinen Besuch im Tempel des Horus.“

Erschrocken fuhr Thot-mose hoch. „Hat-schepsut! Was machst du denn hier?“

„Ich kümmere mich um dich“, entgegnete sie mit einem Lächeln, das keinen Widerspruch duldete. „Sei so gut und sag Merit-Amun Bescheid, dass sie ab sofort meinen Anordnungen Folge zu leisten hat.“ Und an die Dienerin gewandt fuhr sie fort: „Bereite das Bad vor. Und spare nicht wieder an duftenden Essenzen. Was dir zugeteilt wurde, kannst du auch getrost für Thot-mose verwenden. Du musst nicht sparen, damit möglichst viel davon für Mut-nofret übrig bleibt, hörst du.“

„Hat sie jetzt hier das Sagen“, fragte Merit-Amun nach.

„Ja, ja“, jammerte Thot-mose. „Sie hat jetzt das Sagen. Sie kümmert sich jetzt um mich.“ Die Dienerin verneigte sich stumm.

„Sobald sich die Sonne zeigt, sollten wir am Tempel des Horus sein“, verabschiedete sich Hat-schepsut. „Ich werde dich gleich abholen, damit wir gemeinsam dorthin gehen können.“ Kurz bevor sie durch die Tür schlüpfte, drehte sie sich noch einmal um. „Ach, Merit-Amun. Du sollst nicht denken, dass ich deine Bemühungen um Thot-mose nicht zur Kenntnis nehme. Ich danke dir sogar von Herzen dafür.“ Schnell reichte sie zu der verdutzten Dienerin hinüber und drückte ihr einen goldenen Ring in die Hand. Auf dessen Platte war Hat-schepsuts Name in allerfeinsten Hieroglyphen eingraviert. Der liegende Löwe sowie der thronende Herrscher waren wahre Meisterwerke der Goldschneidekunst. Merit-Amun schluckte als sie das kühle, schwere Gold in ihrer Hand fühlte.

Einerlei wie die treue Dienerin sich entscheiden würde, überlegte Hat-schepsut während sie in ihre Räume zurückeilte, es würde ab sofort ein anderer Wind wehen. Trug Merit-Amun morgen Hat-schepsuts Ring, so hatte sie sich für alle Welt erkennbar auf ihre Seite gestellt. Trug sie ihn nicht … Nun, dann entlohnte er sie zumindest für ihre jahrelangen Bemühungen um Thot-mose. Sie konnte sich damit in ihrem Heimatdorf leicht zur Ruhe setzen. Doch wie Hat-schepsut die Seelen der Dienerinnen kannte, insbesondere jener, die einstmals Ammen waren, so liebten sie ihre Mündel abgöttisch und würden alles tun, um auch für den Rest ihres Lebens bei ihnen bleiben zu können. Merit-Amun war bestimmt keine Ausnahme. Also war sich Hat-schepsut sicher, dass sie morgen den Ring tragen würde.

Sie trug ihn bereits am Finger, als Hat-schepsut kurz darauf ihren Bruder abholte. Hat-schepsut lächelte Merit-Amun zu. „Ich freue mich, dass du bei Thot-mose zu bleiben gedenkst. Er liebt dich aufrichtig. Und wir beide, du und ich, haben doch dasselbe Ziel: Dass es Thot-mose wohl ergeht. Du hast ihm soviel Gutes getan über all die Jahre. Tu es bitte auch weiterhin.“ Hat-schepsut, die Gottesgemahlin des Amun gab der alten Frau sogar einen angedeuteten Kuss auf die Stirn und Merit-Amun schloss die Augen und atmete tief ein. Sie roch den Duft der Götter, der ihr die Gewissheit gab, in der Ma’at zu leben.

In blendendes Weiß gekleidet und duftend wie ein junger Gott erschien Thot-mose mit der Gottesgemahlin des Amun im Tempel des Falkengottes. Die Priester waren entzückt von dem beflissenen Paar, das seine Pflichten so ernst nahm und trotz des Festmahls von gestern Abend tatsächlich mit den ersten Sonnenstrahlen im Tempel erschienen war. Sen-en-Mut hatte ihnen die Riten erklärt, so dass sie nicht unvorbereitet erschienen. So waren die Priester schließlich zutiefst beeindruckt von den beiden Kindern, die ihren Gott so ehrten, wie es sich gehörte.

Als der königliche Geleitzug wenig später im Hafen von Nechen ablegte, um seine Reise fortzusetzen, war der Jubel der Einwohner schier unbeschreiblich. Hatte der Thronfolger ihrem Gott Horus doch die Ehre erwiesen, ihn in seinem Tempel zu besuchen, ihn anzubeten und zu ihm zu opfern. Zudem hatte ihm Thot-mose noch eine stattliche Zuwendung zugesprochen. Zunächst war Pharao über das Ausmaß der Spende ein wenig verärgert. Doch schließlich musste auch er Hat-schepsut beipflichten, die der Ansicht war, dass man gar nicht wissen könne, wozu es eines Tages gut sein mochte. Auch ein Bauer musste sich in Geduld üben, bis sich seine Aussaat irgendwann einmal bezahlt machte.

„Also wenn du auf diese Art und Weise ein Land regierst“, lachte Pharao, „bist du bald verloren. Es gibt nämlich keine armen Könige, mein Kind. Jedenfalls nicht lange. Vergiss das nicht! Vergiss das nie, hörst du …“ Er küsste seiner Tochter zärtlich die Hand.

Unter einem Baldachin an Deck der Barke wartete Sen-en-Mut bereits mit Isis auf Hat-schepsut und Thot-mose, um endlich mit dem Unterricht beginnen zu können. Heute würden seine Schützlinge Wissenswertes über die Städte Edfu und Nubet erfahren, die sie heute anlaufen würden. Hat-schepsut erinnerte sich an die Erzählungen Ah-hoteps, wonach Edfu zwar die Hauptstadt des fruchtbaren Falkengaus war, aber trotzdem nichts weiter als ein ausufernd gewuchertes Bauerndorf. Selbst der Gaufürst lebte in einem Gebäude, das eher einem stattlichen Gutshaus als einem Fürstenpalast glich. Auch wenn man so etwas wie höfisches Leben dort nicht erwarten dürfe, war der Falkengau doch einer der reichsten und zuverlässigsten Lebensmittellieferanten des ganzen Reiches. Den ganzen Tag würden sie an üppigen Feldern und riesigen Plantagen vorbeifahren. Es war gutes, schwarzes Land, es war heiliges Land. Dementsprechend wäre das in schlichter Bescheidenheit lebende Fürstenpaar mit größtem Respekt zu behandeln, erinnerte Sen-en-Mut seine Schüler. Gegen Abend, so berichtete er weiter, würde man Nubet erreichen, wo man auch die Nacht verbringen werde. Und zwar in der Residenz des obersten Schreibers der Felder.

„Residenz“, fragte Isis skeptisch. „Also, wenn ich Residenz höre, muss ich immer an einen Gutshof mit Rinderställen direkt neben dem Wohngebäude denken.“

Sen-en-Mut sah sie grinsend an. „Ich war noch nie in Nubet. Aber man erzählt viel von der Pracht der dortigen Residenz. Wir dürfen also gespannt sein.“

„Oh“, rief Isis erfreut und strich ihre Kalasiris glatt. „Wir dürfen gespannt sein.“ Die beiden Mädchen kicherten.

„Hauptsache, sie haben ein Bad dort“, grummelte Thot-mose.

„Davon ist ganz bestimmt auszugehen“, beendete Sen-en-Mut das Thema und begann von der langen Geschichte Edfus zu erzählen, dessen weiße Häuser bereits weit in der Ferne am westlichen Nilufer aus dem satten Grün der Plantagen herausleuchteten.

Edfu war so, wie Hat-schepsut es von Ah-hotep gehört hatte: Ein riesiges, ausuferndes Bauernkaff. Der Gaufürst war vollkommen durcheinander, weil er den Guten Gott zu Gast hatte. In einer wurmstichigen Sänfte, die nach Kuhstall roch, wurde Isis in das Haus der Gastgeber getragen. Manchmal hatte sie Angst, dass die Bauernburschen, die sie in dem beängstigend knarrenden Tragstuhl den Hügel hinauf schleppten, auf dem die Villa des Gaufürsten stand, über den nächsten Stein stolpern könnten. Sie betete insgeheim zu Upuaut, dem Finder der Wege, und versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Pharao, der Thronfolger und auch Hat-schepsut hatten natürlich ihre eigenen Sänften und Träger dabei und konnten sich entspannt zurücklehnen. Sie machten einen Umweg über den Horus-Tempel, um auch seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu huldigen, die man in Edfu verehrte: Hor-Behdeti, Hor-Behdeti-em-cherepuef-en-Re, Hor-Behdeti-em-set-wenep, Hor-Behdeti-Re-Min und wie sie alle hießen. Pharao interessierte allein die Tatsache, dass es hier war, wo Horus der Sage nach seinen entscheidenden Sieg über Seth errungen hatte.

Gaufürst Hor-hotep, der ständig betonte, dass sein bescheidenes Heim sicherlich nicht den Ansprüchen der hochwohlgeborenen Gäste genügen würde, hatte für ein überaus üppiges Mittagsmahl gesorgt. Berge von Gebratenem und ausladende Schüsseln mit Gemüse und Eintöpfen wurden aufgetragen. Eigentlich war Hat-schepsut überhaupt nicht sonderlich hungrig. Doch alles duftete so einladend, dass sie es nicht lassen konnte, von allem zu kosten und sei es nur ein klitzekleiner Happen. Während Thot-mose mit leidender Miene an einem Entenbein herumnagte und seinen Affen mit Datteln fütterte, entzückte sich Hat-schepsut an der überraschenden Vielfalt der dargebotenen Köstlichkeiten. Ihr Vater, der ansonsten immer so vernünftig und zurückhaltend war, ließ sich von ihrer Begeisterung mitreißen. Schließlich empfahlen sie einander Leckerbissen, die der jeweils andere keinesfalls versäumen dürfe. Der Gastgeber sah es mit Freude, großem Gefallen und zufriedenem Stolz. Die dazu aufspielenden Musiker waren zwar nicht im Geringsten das, was man höfisch nennen konnte, allerdings dennoch virtuos, so dass sich Hat-schepsut vornahm, sich stärker um die Qualität der in ihren Diensten stehenden Musiker, Sängerinnen und Tänzer zu kümmern, sobald sie wieder in Waset war. Es musste der königliche Hof sein, an dem die bei weitem besten Künstler des Landes beschäftigt waren. Der königliche Hof sollte zukünftig auch diesbezüglich der Stern sein, nach dem alle anderen sich zu richten hatten.

Wider Erwarten fand es Hat-schepsut außerordentlich nett und entspannt in der Provinzstadt. Nach ein paar Bechern Wein war der Gaufürst sogar richtig lustig geworden. Er berichtete, dass man sich in Edfu noch heute die Geschichte erzählte, wonach die große Ah-hotep seine Großeltern überraschend besucht hatte und mit ihnen den schlichten Eintopf aß, den es nur alltags gab. Die Große königliche Gemahlin war seinerzeit mit ihrem noch kleinen Sohn Ah-mose auf dem Weg zu seinem im Sterben liegenden Vater Ka-mose, dem Gerechtfertigten. Ah-hotep hatte sich an diesem Abend satt und rund gegessen, so sehr mochte sie den Eintopf.

„Jawohl“, freute sich Hat-schepsut, „noch lange gab es bei uns in der Familie diesen Eintopf, auf dem Ah-hotep immer wieder bestanden hatte. Aber das, was wir heute zu essen bekamen, war gewiss nicht weniger köstlich.“

„Wie hätte ich auch vor meinen Ahnen bestehen können“, brachte Hor-hotep gerührt hervor, „wenn ich euch nicht ebenso von den Leckerbissen aus Efdu überzeugt hätte.“

Wieder an Bord bestand Hat-schepsut darauf, sich unbedingt ein wenig ausruhen zu wollen. Eigentlich hatte Sen-en-Mut vorgehabt, seinen Unterricht sofort fortzusetzen, doch auch er hatte schließlich so reichlich von den schmackhaften Speisen genossen, dass er sich ebenfalls schläfrig fühlte. Außerdem wusste man ja, wie gefährlich es sein konnte, einem vollen Magen bei seiner Verdauungsarbeit keine Ruhe zu gönnen. Erbrechen, Eingeweideaussackungen, ja, sogar faule Zähne konnten die Folge sein. Also zogen sich Hat-schepsut und Thot-mose in das kleine Zelt am Heck der Barke zurück und machten es sich auf ihren Liegen gemütlich, während Sen-en-Mut und Isis sich jeweils ein Fleckchen auf dem Boot suchten, wo sie ungestört ein wenig schlummern konnten. Derweil setzten sich Sit-Re und Merit-Amun vor das Zelt, um jederzeit ihrer Herrin oder ihrem Herrn zu Diensten sein zu können. Die Beiden kannten sich bereits seit Jahrzehnten. Sie waren immer höflich und respektvoll miteinander umgegangen, wussten sie doch nur zu gut um die Pflicht der jeweils anderen. Nun waren sie Verbündete. Stolz streckte Merit-Amun ihre flache Hand aus und ließ den Ring in der Sonne funkeln. Sit-Re hielt die Ihre daneben. Auch sie trug einen Ring mit Hat-schepsuts Namen. Er war aus tiefblauer Keramik, so dass man fast hätte meinen können, er sei aus Lapislazuli.

„Ach, irgendwann einmal wird sie dir auch einen aus Gold schenken“, versuchte Merit-Amun die vermeintliche Traurigkeit Sit-Res zu trösten.

Die lachte nur und zupfte an einer Kette, die sie um den Hals trug und die unter ihrer Kalasiris verschwand. Es gab Gerüchte im Palast, was an dieser Kette wohl hängen mochte. Gar nichts, meinten die einen spöttisch, während andere wiederum die unglaublichsten Erklärungen hatten. Von Edelsteinen war die Rede und von Gold. Doch niemand hat das Ende von Sit-Res Kette jemals gesehen.

Am späten Nachmittag, die Sonne hatte bereits ihr gelbes Licht angenommen, setzte Sen-en-Mut den Unterricht fort.

„Dass wir ausgerechnet in Nubet übernachten müssen“, seufzte Isis, „das nur eine Residenz und keinen Palast aufzuweisen hat.“

„Pharao hat bei seiner Reiseplanung auch die Lage der Gastgeber zu berücksichtigen“, versuchte Sen-en-Mut die Entscheidung zu erklären. „Solch ein Besuch kann im Ruin der bedauernswerten Leute enden. Man hat ja nicht nur den Hofstaat zu Gast, sondern auch die drei, ihn begleitenden Schiffe mit allen Soldaten, Seeleuten und Dienern. Es ist also angeraten, nur an solchen Orten Gast zu sein, die man anschließend nicht vollkommen verarmt zurücklässt. Wie ich schon sagte: Nubet wird von Beamten beherrscht. Allerdings von sehr vermögenden Beamten, so dass wir in der Tat gespannt sein dürfen.“ Sen-en-Mut räusperte sich. „Und nun zu den beiden Tempeln Nubets. Zum einen wird dort der Krokodilgott Sobek verehrt, zum anderen aber auch Hor-wer …“

Sobald sich in der Ferne die ersten Häuser der Stadt zeigten, entschuldigten sich Isis und Hat-schepsut. Sie hätten sich nun für den abendlichen Empfang vorzubereiten und auch Thot-mose solle dies tun. Wie ein Delinquent wurde er von Merit-Amun abgeführt. Sie hatte bereits sein Bad in einer hinter einem Vorhang verborgenen Sitzbadewanne vorbereitet, die aus Kupfer getrieben war und um die ihn Hat-schepsut beneidete. Auch sie hätte lieber ihre eigene Wanne gehabt. Doch Pharao war der Meinung, dass eine Wanne pro Barke vollkommen ausreichend sei.

Nubet begrüßte die Ankömmlinge mit seinem riesigen Hafen und den gemauerten Kais, die mit Statuen geschmückt waren. Von hier aus wurde das Getreide des Südens in den Norden verschickt; zu Zeiten der Ernte musste hier ein unglaublicher Trubel herrschen. Jetzt, wo die Ernte abgeschlossen war und man sich auf die Nilflut vorbereitete, blieb nur die weitläufige Kaianlage, die man zur Begrüßung der Gäste mit Blumen geschmückt hatte. Alles war voller Menschen. Die Würdenträger hatten sich im Hafen versammelt und waren herausgeputzt, als ob sie an Krönungsfeierlichkeiten teilnehmen wollten. Obwohl sie es anfangs insgeheim verflucht hatte, war Hat-schepsut nun doch froh, dass sie sich in das große Ornat der Gottesgemahlin des Amun gekleidet hatte, einschließlich einer dicken, nubischen Perücke, der Geierhaube und der Schlangenkrone. Sie hatte Thot-mose überreden können, die Blaue Helmkrone zu tragen, deren eigentümlich geschwungene Form seinem hageren Gesicht mit der übergroßen Nase etwas geradezu Außerirdisches verlieh, so als sei er nicht von dieser Welt.

Sobald sich der Konvoi dem Hafen auf Hörweite genähert hatte, war der Jubel der dort versammelten Menschen zu vernehmen. Noch nie zuvor hatte ein regierender Pharao Nubet einen offiziellen Besuch abgestattet, so dass dieser Tag auf alle Zeiten im Gedächtnis seiner Bewohner bleiben würde. Und als man die hohen Gäste in ihren Sänften von Bord trug, fürchtete Hat-schepsut, dass sie taub werden könnte, so laut war das Geschrei. Sen-en-Mut hatte seine Schüler darauf vorbereitet, dass sie von Pinu-djem Meri-Amun begrüßt werden würden, dem obersten Verwalter der Stadt. Er sei einer der zuverlässigsten Beamten Pharaos und für seine Loyalität und Rechtschaffenheit im ganz Land berühmt. Sicherlich trug er seinen Namen zu Recht, der ihn als angenehmen Liebling Amuns bezeichnete. Doch leider, so musste Sen-en-Mut einräumen, der gelegentlich mit ihm zu tun gehabt hatte, war Pinu-djem ein wenig langweilig und vollkommen humorlos. Insbesondere in Richtung Hat-schepsut meinte Sen-en-Mut, dass es wohl besser wäre, lustige oder auch geistreiche Anmerkungen zu unterlassen.

Pinu-djem Meri-Amun, der in ein überaus prunkvolles Festtagsgewand gekleidet war, warf sich augenblicklich vor Pharao in den Staub, sobald der in seiner Sänfte von der Barke herunter getragen wurde. Pharao winkte huldvoll und lehnte sich sogar weit aus seiner Sänfte, um dem Beamten aufstehen zu heißen. Einen größeren Gunstbeweis konnte sich kaum jemand vorstellen. Voller Stolz geleitete Pinu-djem also seine hohen Gäste zur Residenz, in der neben dem ihm vorbehaltenen Wohntrakt auch die Verwaltungsräume, wie Schreiberstuben, Dienstzimmer der Beamten, eine Bibliothek sowie das Archiv untergebracht waren. Leider wählte er nicht den direkten Weg, wie Hat-schepsut sogleich feststellte, sondern absolvierte einen kleinen Umweg nach dem anderen, nur um mit stolz geschwellter Brust an möglichst vielen Einwohnern seiner Stadt vorbeiparadieren zu können. Sollten sie doch alle zumindest einen Blick auf das denkwürdige Ereignis werfen können. Seine Gemahlin Bint-Anat begrüßte die Gäste schließlich im Innenhof der Residenz und führte sie persönlich zu den ihnen zugewiesenen Gemächer. Zuerst Pharao, dann den Thronfolger und schließlich die Gottesgemahlin des Amun. Doch auch Turi sowie Ah-mose Aa-metju und seine Kinder User-Amun und Isis bekamen eigene, wenn auch nicht ganz so großzügige Wohnungen zugewiesen. Sogar Sen-en-Mut und die Pharao begleitenden Verwaltungsbeamten kamen in den Genuss einer eigenen Unterkunft.

Hat-schepsut war überrascht, wie großzügig sie untergebracht war. Wie üblich war der Eingangsbereich ein schmaler Flur, der – falls dies je nötig sein sollte ‑ von einem einzigen Bewaffneten verteidigt werden konnte. Von dort zweigte, kurz bevor der Flur in den Aufenthaltsraum mündete, ein geräumiges Zimmer ab, das für Sit-Re vorgesehen war. Der Hauptraum selbst war von zahllosen Säulen gestützt und zur Gartenseite hin offen. Vor kurzem erst hatte man Hecken gepflanzt, wie Hat-schepsut sofort erkannte, die ihren Bereich des Gartens von dem der anderen abtrennte. Gleich nebenan zur Linken hatte Thot-mose seine Wohnung bezogen, während zur Rechten ihre neue Freundin Isis mit Vater und Bruder untergebracht waren. Das Schlafzimmer war klein, doch ausreichend. Dafür war das Bad umso großzügiger bemessen. Hat-schepsut konnte es kaum abwarten, bis die in den Boden eingelassene Wanne mit frischem Wasser gefüllt war, das sie nach Herzenslust parfümieren ließ. Es strömte hier tatsächlich aus der Wand. Ein Entenkopf aus purem Gold spie es aus. Man musste nur seinen Schnabel öffnen, wie Sit-Re sogleich herausgefunden hatte und schon sprudelte das während des Tages von der Sonne in einer Zisterne angenehm aufgewärmte Wasser heraus. Sit-Re schimpfte zwar, weil sie feststellte, dass die Wanne nach Gebrauch mühsam eimerweise ausgeschöpft werden musste, beruhigte sich allerdings schnell wieder, als zwei Dienerinnen vorstellig wurden, die für derartige Arbeiten abgestellt worden waren.

Kaum berührte die Sonne den westlichen Horizont, als Hori, der Haushofmeister Pharaos anklopfte. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass sich Hat-schepsut abermals in das Ornat der Gottesgemahlin nebst Geierhaube und Schlangenkrone gekleidet hatte und ließ sie wissen, dass sie sich so bald als möglich vor der Wohnung Pharaos einzufinden hätte, damit schließlich alle gemeinsam in den Festsaal zu ihren Gastgebern schreiten konnten. Er nahm Hat-schepsuts Frage vorweg: Selbstverständlich könne Sit-Re sie auch dieses Mal begleiten. War sie doch mit allen Notwendigkeiten wie Wasserkrug, Trockentüchern, Riechsalz, Schminke und Parfüms ausgestattet. Hat-schepsut staunte jedes Mal, wo ihre Dienerin immer wieder noch einen weiteren geheimen Aufbewahrungsort fand. Verborgen in Sit-Res Kalasiris gab es überraschend viele eingenähte Taschen, Gurte und Bändel, die allesamt sehr nützlich waren.

„Na, sind denn auch alle da“, fragte Pharao gutgelaunt als er seine Wohnung verließ und auf die Wartenden stieß.

„Vergib mir“, stotterte Ah-mose Aa-metju. „Meine Tochter Isis fehlt noch. Du weißt ja: die Frauen.“ Doch erleichtert setzte er sofort hinzu: „Aber dort kommt sie ja schon.“

Pharao machte ein missmutiges Gesicht. Er würde keine Ausnahme machen und auf einen verzogenen Fratz warten, der sich für eine Dame hielt. Doch einen Blick auf das Gör, das beinahe eine Verspätung verursacht hätte, wollte er sich dennoch gönnen. Er blickte Isis mitten ins Gesicht. Augenblicklich sank sie in sich zusammen, so dass alle dachten, sie sei ohnmächtig geworden. Hatte ihr der Gute Gott doch immerhin mitten ins Gesicht gesehen. Und sie, zu seinen Füßen am Boden kniend, streckte es ihm nun mit einem Lächeln voller Glückseligkeit entgegen.

„Oh, welch Liebreiz uns begleitet“, freute sich Pharao. „Nichts ziert einen Mann mehr, als eine schöne Frau an seiner Seite.“

„Wie Recht du wieder hast“, sagte Hat-schepsut und zwinkerte ihrem Vater zu. Sie nahm Isis bei der Hand, legte sie in jene des Thronfolgers und hakte sich bei ihrem Vater unter. Thot-mose hatte die ganze Zeit mit offen stehendem Mund nach dem schönen Kind gegafft. Nun sagte er mit einer Mischung von Hingerissensein, Erstaunen und Tadel nichts weiter als: „Aber Isis …“

Das Mädchen hatte sich sehr wohl an die höfischen Gepflogenheiten gehalten und vermieden, mehr Schmuck anzulegen als die über ihr stehenden Damen. Im Gegenteil, sie trug lediglich ein Halsband aus einfachen bunten Fayenceperlen. Es reichte allerdings weit in ihren gewagt tiefen Ausschnitt hinunter. Alle Blicke folgten dem Verlauf der Perlen: Vorbei an den Schlüsselbeinen, dorthin, wo der Busen sich sanft zu heben beginnt, über die runden, festen Hügel, deren Spitzen gerade einmal von hauchdünnem Stoff bedeckt waren, sich aber gleichwohl als neckische Erhebungen zeigten. Über einen sanft gewölbten Bauch bis hinunter zum Nabel folgten die Blicke der Kette, wo genau auf dessen Höhe eine Blüte des Blauen Lotos hing. Erst jetzt schien es Thot-mose klar zu werden, wie schön Isis tatsächlich war. Bislang war sie nur eine Freundin. Nun aber entdeckte er in sich ein neues Gefühl, nämlich das des Begehrens, des haben und besitzen Wollens. Er starrte sie an, als sei sie eine Erscheinung.

„Solltest du nicht besser an der Seite deines zukünftigen Gemahls gehen?“, sprach Pharao seine Tochter an.

„Noch bin ich nicht seine Große königliche Gemahlin“, entgegnete Hat-schepsut freundlich. „Ich bin jedoch die Gottesgemahlin des Amun. Und wer vermag schon Gott Amun auf Erden besser zu vertreten als du.“

Durch lange Gänge und an prächtig blühenden Gärten vorbei schritten die königlichen Gäste zum Festsaal. Hat-schepsut nutzte die Gelegenheit, mit ihrem Vater über etwas zu reden, das ihr auf der Seele brannte.

„Sei so lieb, Babu, und nimm sie Thot-mose nicht weg. Isis ist es einerlei, ob sie seine Nebengemahlin wird oder deine. Thot-mose aber nicht. Und du hast selbst gesagt, dass es nichts gibt, was einen Mann mehr schmückt als eine schöne Frau. Thot-mose braucht sie nötiger als du.“

Pharao sah seine Tochter erstaunt an. „Na, sag einmal. Ich lass mir doch nicht von dir in mein Liebesleben hineinreden.“ Er lachte ungläubig. „Ich nehme mir, was ich will. Ganz einfach. Denn es steht mir zu.“

„Es liegt mir fern, mich darum zu kümmern, wer sich in deinem Bett wälzt“, entgegnete Hat-schepsut mit fester Stimme und winkte einigen Zuschauern huldvoll zu, denen sie auf ihrem Weg begegneten. „Ich kümmere mich aber um Thot-mose. Ich gebe Acht auf ihn und ich werde versuchen, ihn vor jeglichem Leid zu bewahren. Nur deswegen bitte ich dich, Babu. Tu es deinem Sohn zuliebe.“

Pharao sagte kein Wort. Ein paar Schritte später schenkte er seiner Tochter einen langen Blick und lächelte sie an. “Wie alt bist du jetzt? Zwölf, nicht wahr?“

Hat-schepsut nickte. „Ich werde bald dreizehn.“

„Welcher König würde sich nicht eine Große königliche Gemahlin wünschen, wie du sie eines Tages Thot-mose sein wirst. Ich weiß, ich bin kein besonders guter Vater, denn ich beneide meinen Sohn darum …“

Es war ein überraschend kurzweiliger, gut gelaunter Abend. Die Speisen waren hervorragend, wenn auch ein wenig überzogen extravagant, wie Hat-schepsut meinte. So gab es mit Datteln, Honig und Feigen gefüllte Nilbarsche, mit Weintrauben gestopfte Singvögel oder auch in Granatapfelsaft geschmorte Kalbszungen, die so rot leuchteten, dass man meinen konnte, sie seien noch roh und nur gehäutet. Die Musik klang bereits etwas anders als in Waset. Das Nubische machte sich hier bereits bemerkbar. Und zwar sowohl in der Musik als auch in der Aufmachung der Damen, die hier deutlich kräftigere Farben bevorzugten. Und man trug sehr tiefe Ausschnitte, stellte Hat-schepsut fest, eine Tatsache, die auch Pharao beschäftigte, als er seine erfreuten Blicke auf Erkundungsreisen schickte. Insofern dürfte das schier endlose Dekolleté von Isis’ Kleid kaum größere Aufmerksamkeit hervorrufen, dachte Hat-schepsut. Die schönsten Frauen des Landes, ja, der ganzen Welt lagen ihrem Vater zu Füßen. Also sollte es ihm nicht allzu schwer fallen, auf Isis zu verzichten.

Hätte man Isis gefragt, was aber natürlich niemandem in den Sinn gekommen wäre, so hätte sie wohl Pharao bevorzugt, obgleich er soviel älter war als sie. Allerdings wäre sie nichts weiter als eine seiner zahllosen Haremsdamen gewesen, die unter Umständen zur Nebenfrau erhoben werden würde, falls sie Pharao und Kemet einen gesunden Sohn schenkte. Hat-schepsuts Freundschaft würde sie außerdem verlieren, denn die hatte sie an der Seite von Thot-mose vorgesehen. Nein, dem Thronfolger gehörte eindeutig die Zukunft. Und es gab keinen Zweifel daran, dass er Isis, so wie er sie bisweilen ansah, einen größeren Platz in seinem Leben einräumen würde als der Vater, von dem man wusste, dass er kein Kind von Traurigkeit war. Zudem bliebe ihr die Gottesgemahlin des Amun auch weiterhin zugetan.

Pinu-djem Meri-Amun und seine Gemahlin Bint-Anat kümmerten sich rührend um ihre Gäste. Sie achteten höchstpersönlich darauf, dass kein Teller und kein Becher lange leer blieben. War ihnen doch offenbar sehr daran gelegen, ihren Gästen zu zeigen, dass ihre Heimat Nubet der Hauptstadt Waset in nichts nachstand, was Gastfreundschaft, Überfluss und Luxus betraf. Nein, antwortete Bint-Anat freimütig auf Hat-schepsuts Nachfrage, sie vermisse Waset keineswegs. Denn hier in Nubet lebte es sich sehr viel entspannter als in der Hauptstadt. Seit den Siegen des großen Ah-mose waren die wenigen Hyksos-Familien, die das Land auf gar keinen Fall verlassen wollten, aus dem Delta nach Nubet oder noch weiter in den Süden übergesiedelt. Und seit Pharao Amun-hoteps Feldzügen hatten sich außerdem noch sehr viele Menschen aus Nubien hier niedergelassen. Hier sah man Haut in all ihren Schattierungen. Vom milchigsten Weiß bis zum samtigsten Schwarz. Blonde Syrerinnen gingen mit kraushaarigen Nubierinnen auf den Markt, schlanke äthiopische Schönheiten schäkerten mit rundlichen Mädchen aus Asien, während die Männer beim Bier beisammen saßen und schwätzten. Hier in Nubet konnte sie ohne missgünstige Anfeindungen leben, erzählte Bint-Anat, was in Waset kaum möglich war.

Hat-schepsut sah sie fragend an.

„Es ist allein schon wegen meines Namens“, klärte Bint-Anat sie auf. „Er bedeutet soviel wie Tochter der Anat. Und Anat ist die Tochter des Gottes El sowie der Göttin Aschera, die beide in Syrien verehrt werden.“

„Ach, dann bist du Syrerin“, fragte Hat-schepsut interessiert.

„Nein, ich bin in Avaris geboren, so wie meine Eltern und deren Eltern auch. Sie gehörten zu den wenigen Hyksos, die seinerzeit das Land nicht verlassen wollten, sondern in Kemet geblieben sind.“

„Ich verstehe. Eine mutige Entscheidung“, pflichtete Hat-schepsut bei.

„In der Tat. Aber Kemet war seit jeher unsere Heimat, auch wenn irgendwelche unserer Vorfahren Asiaten waren. Mein Gemahl Pinu-djem hat sich dennoch für mich entschieden, obgleich ihm durch seine Verbindung mit mir eine viel versprechende Karriere in Waset verwehrt geblieben ist.“ Offenbar war Bint-Anat entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, Hat-schepsut als Vertreterin der herrschenden Familie, auch diese Folgen ihres Befreiungskampfes vor Augen zu führen. „Es war nicht leicht für ihn, sich gegen seine Familie durchzusetzen“, bestätigte sie. „Hier unten im Süden ist es den Menschen jedoch einerlei, ob man asiatische Vorfahren hat oder nubische. In Waset wird man dafür gehasst.“

„Dann war es also wahre Liebe, was dich und deinen Gemahl zusammengeführt hat“, staunte Hat-schepsut. „Eine Liebe wie sie in den Liedern der Dichter besungen wird. Sehr ungewöhnlich für unsere Kreise, in denen Liebe eine eher untergeordnete Rolle bei der Wahl der Ehepartner spielt.“ Hat-schepsut war in der Tat beeindruckt. „Ich habe noch nie einen Menschen kennen gelernt, der aus Liebe geheiratet hat. Außer bei den Bediensteten vielleicht und bei Onkel Pen-Nechnet. Doch sag mir, nutzt die Liebe sich nicht ab? Jedenfalls erzählt man sich, dass dem so ist. Nimmt man es doch immer als Argument gegen eine Liebesheirat.“

„Alles nutzt sich ab“, zuckte Bint-Anat mit den Schultern, „wenn man es nicht genügend pflegt.“

Pharao war ziemlich erstaunt, als seine Tochter bei der kurzen Ansprache, die sie als Gottesgemahlin des Amun zu absolvieren hatte, ihre Gastgeber besonders hervorhob. Sie wisse, dass Gott Amun voller Stolz auf das rechtschaffene Paar blicke, sagte sie. Es möge ein Beispiel sein für zukünftige Generationen, in denen man alte Feindseligkeiten endgültig überwinden werde. Pharao meinte somit, nicht hintanstehen zu dürfen und lobte Pinu-djem Meri-Amun für seine Zuverlässigkeit und Rechtschaffenheit. Und damit sie sich für den Rest ihres Lebens seiner Dankbarkeit erinnerten, versprach er dem überraschten Paar einen kleinen Weingarten in Djesdjes, dessen köstlicher Tropfen sie stets an die königliche Zugewandtheit erinnern möge. Bei der Vorstellung Turis als Vizekönig von Nubien griff Pharao schließlich die Worte seiner Tochter auf, die von der Überwindung alter Feindseligkeiten sprachen. Unter der Führung Kemets würde es allen Menschen gut gehen können, auch jenen in Nubien oder Syrien.

Es war schon weit nach Mitternacht, als Pharao meinte, sich zurückziehen zu wollen. Was nichts anderes bedeutete, als dass alle, die mit ihm gekommen waren, sich ebenfalls verabschieden konnten. Es war spät genug geworden, so dass davon auszugehen war, dass der König sich wohl gefühlt hatte, insbesondere da sowohl die Speisen als auch die Musik von ihm ausführlich gewürdigt worden waren. Hat-schepsut hatte etliche höchst interessante Gespräche geführt und Sit-Re hatte kaum einmal von der Wasserkanne und dem Tuch Gebrauch machen müssen. Gut gelaunt gingen die Gäste zu Bett.

Die Entfernung von Nubet nach Sunu war geringer als die Tagesstrecken von gestern und vorgestern. Zudem würde man die Fahrt heute nirgendwo unterbrechen, gab es doch nur vereinzelte Höfe, allenfalls einmal ein Dorf, die einen Zwischenstopp nicht lohnten. So ließ man sich mit dem Aufbruch etwas mehr Zeit als sonst und genoss ein üppiges Frühstück. Doch der Kapitän mahnte, es könne bei dem herrschenden Niedrigwasser auch regelrechte Schiffsstaus geben, wenn der Fluss nämlich an manchen Stellen nur in schmale Rinnen aufgeteilt zu befahren sei. Dann hieß es warten, bis ein Schiff nach dem anderen durch die Rinnsale gefahren war. Isis wunderte sich, warum man die übrigen Schiffe, nicht einfach dazu auffordern würde, Platz zu machen, um den königlichen Konvoi vorzulassen. Geduldig erklärte ihr Sen-en-Mut, dass es schlicht und einfach zu eng sein würde, um überhaupt Platz zu machen.

Der Abschied ging nach Hat-schepsut Geschmack ein wenig zu schnell vonstatten. Gerne hätte sie sich von ihren Gastgebern noch ein wenig inniger verabschiedet, doch Pharao drängte plötzlich darauf, so bald als möglich abzureisen.

„Dein Vater hatte gestern Nacht noch Besuch“, flüsterte Sit-Re mit Verschwörermiene. „Deshalb …“

„Jemand den wir kennen?“ Hat-schepsut war erschrocken, hoffte sie doch, dass Isis keinen Fehler gemacht hatte.

„Aber sicher“, raunzte Sit-Re. „Die kleine Schwarze mit der engen roten Kalasiris, die gleich hinter den Würdenträgern saß und den ganzen Abend wie ein Täubchen herübergegurrt hat.“

„Ach, die …“ Hat-schepsut war erleichtert.

„Dein Vater hat sie sofort gesehen“, lachte Sit-Re. „Und nun fürchtet er Abschiedstränen und flehentliche Bitten, in den königlichen Harem aufgenommen zu werden. Also: Schnell weg von hier!“

Ein frischer Nordwind war gnädig und trieb die Schiffe flott aus dem Hafen. Hat-schepsut glaubte in einer vermummten Gestalt auf dem Kai jene schwarze Schönheit von gestern zu erkennen. Melodramatisch warf sie sich auf die Knie, zerriss ihr Gewand, raufte sich die Haare und breitete hilflos die Arme aus, als ob ihr gerade das Liebste entrissen würde. Pharao bekam von all dem nichts mit, denn er saß auf seiner königlichen Barke auf dem Thron und schaute nilaufwärts voraus.

So langsam war zu spüren, dass man sich Nubien näherte. Es wurde unentwegt heißer, so dass selbst der Wind keine rechte Erfrischung mehr brachte. Beiderseits des Ufers gab es nichts als abgeerntete Felder, Dattelpalmenplantagen und gelegentlich einmal eine Büffelherde. Dazwischen leuchteten die feuerroten Blüten der Granatapfelbäume und weit verstreut lugten weiß getünchte Häuser aus dem Grün. Sen-en-Muts Unterrichtungen, in denen er über Sunu erzählte, konnten seine Zuhörer halbwegs fesseln. Dort, in Sunu, trafen etliche Karawanenstraßen auf den Nil, so dass die Stadt sich über die Jahrhunderte zu einem bedeutenden Handelszentrum entwickelt hatte. Früher einmal war es die südlichste Stadt Kemets gewesen. Kurz dahinter begann Nubien und dementsprechend war es dereinst die bedeutendste Zollstation des Landes, schwer bewacht von einer großen Garnison. Inzwischen lag die Grenze sehr viel weiter im Süden. Aber wie alle Städte, die den Endpunkt eines Karawanenwegs darstellten, war Sunu überaus lebhaft. Bemühte man sich dort doch, die ausgehungerten Reisenden mit all dem zu versorgen, was deren Herz und Leib begehrte. Zudem gab es dort ja noch immer die Garnison mit Hunderten von jungen Männern, welche die Angebote der Stadt ebenfalls gern in Anspruch nahmen. So gab es Badehäuser und Gaststätten aller Art sowie Herbergen, in denen man alles Mögliche tat, nur nicht schlafen. Isis kicherte und Thot-mose bekam einen roten Kopf. Zudem braute man hier ein besonders starkes Bier, fuhr Sen-en-Mut fort, das schnell betrunken machte. Für manch einen sittenstrengen Mann und für fast jede Frau in Kemet war Sunu der Inbegriff der Verderbtheit und des Lasters. „Wir werden also auf kürzestem Wege vom Hafen zum Palast des Gaufürsten gebracht“, fasste Sen-en-Mut zusammen. „Es wird nicht ganz zu vermeiden sein, dass es zu unerwünschten Begegnungen kommt, doch unser Zug wird zu beiden Seiten von Soldaten eskortiert.

„Unerwünschten Begegnungen“, krächzte Thot-mose verschreckt, so dass auch der auf seiner Schulter dösende Affe aufschreckte. „Was ist denn darunter zu verstehen?“

„Nun, leichte Mädchen, Lustknaben, Betrunkene, Aussätzige und all so was.“ Sen-en-Mut verspürte keinerlei Lust, sich näher darüber auszulassen. „Der Palast des Gaufürsten ist jedoch bei weitem der Prächtigste auf unserer Reise. Nacht-neb-tep-nefer Anjotef ist ein mächtiger Mann, auf dessen Stimme im ganzen Land gehört wird. Und wie es der Name ankündigt, den ihm seine Eltern gegeben haben, war er der starke Herr vollkommenen Handels geworden, der den Geist seines Vaters in sich trägt. Seine Familie ist überaus vermögend. Und das schon seit vielen Generationen.“

„Aber gibt es nicht schon seit Jahren und Jahrzehnten Gerüchte“, wandte Hat-schepsut ein, „die besagen, dass die ehrenwerte Familie von Anjotef vor allem zu ihren Gunsten zu wirtschaften weiß?“

„Die gibt es“, bestätigte Sen-en-Mut. „So wie es sie bei jeder reichen Familie im Land gibt. Doch solange keine eindeutigen Beweise vorliegen, muss man sie als üble Nachrede betrachten. Bislang wurden keine Machenschaften nachgewiesen, welche die üblichen kleinen Gaunereien überstiegen. Es ist also angebracht, Anjotef nicht zu unterschätzen. Er ist ein kluger und gebildeter Mann, den man mit allem Respekt behandeln sollte. Man sollte auch bedenken, dass Anjotef zu den eitlen Menschen gehört.“

„Ich finde es empörend, dass man offenbar von kleinen Gaunereien weiß, sie aber dennoch durchgehen lässt.“ Hat-schepsut war der Meinung, dass dies eindeutig gegen die Ma’at sei.

„Der Schaden wäre größer als der Nutzen, würde man dem mit aller Strenge nachgehen“, entgegnete Sen-en-Mut und zuckte mit den Schultern. „Solange es Anjotef nicht übertreibt und ansonsten zuverlässig ist … Man hat ihn und sein Tun jedenfalls im Auge.“

„Und weiß er das“, wollte Hat-schepsut wissen.

„Davon ist auszugehen. Er wäre dumm, wenn er es nicht wüsste“, beendete Sen-en-Mut seine Einführung.

Immer seltener wurden nun die grünen Flächen beiderseits des Flusses. Die weite Fruchtlandebene war ständig schmaler geworden, bis sie schließlich nur noch schüttere, aneinander gereihte leere Felder aufwies. Doch selbst die waren bald verschwunden und einer Wüstenebene gewichen, in die sich der Nil tief eingeschnitten hatte. Links und rechts türmten sich haushoch Felsen und Geröll. Der andernorts so gemächlich dahinfließende, breite Strom, war hier zu einem halbwegs reißenden Fluss geworden, so dass die Kapitäne einige Mühe hatten, gegen die Strömung voranzukommen. Inmitten des Nils tauchten nun immer häufiger Inseln und Inselchen auf, die meisten kaum mehr als schroffe Felsen. Hat-schepsut verstand nun sehr gut, wie schnell es in dieser Jahreszeit zu den gefürchteten Schiffsstaus kommen konnte, denn nicht jedes von den Inseln abgeteilte Rinnsal war tief genug für eine Durchfahrt. Teilweise hatte man sogar den Eindruck, als ob der Fluss sich zwischen all dem Geröll in einem plätschernden Rinnsal verlieren würde. Es waren die Vorboten des ersten Kataraktes, der gleich hinter Sunu auf die Reisenden wartete. Doch überraschend weitete sich das enge Tal wieder. Die Ufer waren nach wie vor kahl, doch gab es nun zahllose, auch größere Inseln, die allesamt sattgrün bewachsen waren. Es war als führe man in einen riesigen Garten, der von zahllosen Wasserläufen durchströmt war. Am östlichen Ufer sah man dann auch schon Sunu liegen: Reich und prächtig wie eine üppige Oase in öder Wüstenei.

Selbstverständlich hatte man sich auf Pharaos Ankunft vorbereitet. Kaum, dass die ersten Späher den Konvoi erblickt hatten, wurden Räuchergefäße entzündet, es wurde mit Sistren gerasselt und die Priester ließen ihre düsteren Gesänge hören. Nein, Pharao steuerte nicht wie sonst üblich Elephantine an, die größte der Inseln im Nil mit ihren prächtigen Tempelbauten, sondern das am östlichen Nilufer gelegene Sunu, das Hat-schepsut auf den ersten Blick nichts weiter zu sein schien, als ein riesiger Marktplatz, auf dem alles feilgeboten wurde, was es überhaupt in Kemet zu erstehen gab. Auf einem niedrigen Hügel oberhalb der Stadt prangte der weitläufige Palast des Gaufürsten, der von einem blühenden Garten umgeben war. Hat-schepsut musste unwillkürlich an ein Stück frischen Käses denken, das fest und fett mit Blüten verziert dargeboten wurde. Von dort aus hatte man mit Sicherheit eine atemberaubende Aussicht auf das Niltal - und die Welt, dachte Hat-schepsut.

Es war tatsächlich so, wie Sen-en-Mut es angekündigt hatte. Sunu war eine reich gewordene Karawanenstadt, in der nichts weiter zählte als das Geschäft. Zwischen den einfachen Bauten der Handwerker ragten mehrstöckig die Häuser der Kaufleute empor, die neben den Handelskontoren, auch Lagerhallen und die privaten Wohnungen umfassten. Dazwischen Gast- und Badehäuser, die von den fremdartigsten Gestalten bevölkert wurden, die mit ihren Karawanen von weit her gekommen waren. Dem Beispiel Wasets folgend hatte man die Färber ein Stück weiter flussabwärts angesiedelt, ebenso wie die Schmiede. Allerdings gab es zahlreiche Kupferwerkstätten in der Stadt, von denen zwar weder eine Geruchsbelästigung noch eine Feuersgefahr ausging, deren stetiges Hämmern sensible Gemüter jedoch in den Irrsinn treiben konnte. Heute war wegen des königlichen Besuchs allerdings ein Feiertag, so dass niemand arbeitete und sich die Bewohner im Hafen versammelt hatten, um einen Blick auf den Guten Gott, seinen Sohn und die Gottesgemahlin des Amun zu werfen. Die Luft war erfüllt von Jubelrufen, heiligen Gesängen und dem Gottesduft, den ein jeder wahrnehmen konnte.

Der Gaufürst wartete ebenfalls am Hafen; mitsamt Familie und Hofstaat, was zugegebenermaßen recht beeindruckend war. Die Damen kleideten sich hier genauso wie in Waset, stellte Hat-schepsut erstaunt fest. Nubisch waren hier nur die Perücken, die fast alle trugen – und natürlich ein Großteil der Bevölkerung: Die Mehrzahl der Gesichter war schwarz. Es folgte die übliche Begrüßung. Um sich nicht in den Dreck werfen zu müssen, war der Boden vor Anjotef und seiner Familie mit dicken Teppichen ausgelegt worden, deren fremdländische Muster verrieten, dass sie von weit her aus dem Osten über Babylon eingeführt worden waren. Die bereitstehenden Sänften standen jenen Pharaos in nichts nach, außer dass ihre Verzierungen aus Elektron waren und nicht aus purem Gold. Isis war überaus erleichtert, heute nicht wieder in einem altersschwachen, stinkenden Tragstuhl befördert zu werden. Nachdem die entsprechenden Nettigkeiten und Willkommensgrüße ausgetauscht worden waren, formierte sich in Windeseile der Konvoi aus Sänften. Der Gaufürst und seine Gemahlin vorneweg, gefolgt von Pharao, der Gottesgemahlin des Amun, dem Thronfolger, der seinen Affen ängstlich festhielt und Turi. Dahinter zankten sich die Würdenträger um die verbliebenen Sänften. Währenddessen rückten die Bewaffneten an, um den Konvoi links und rechts zu eskortieren. Isis war es gerade noch mit Hilfe Sen-en-Muts gelungen, die letzte freie Sänfte für sich zu beanspruchen. Großherzig gestattete sie ihrem Lehrer, ebenfalls darin Platz zu nehmen und sie zu begleiten. Die ganze Aufstellung des königlichen Sänftenzuges verursachte ein derartiges Geschrei und Durcheinander, dass man hätte fürchten können, alles würde nun im Chaos enden. Doch von hoch droben, vom Palast erklangen plötzlich Fanfaren und ließen alle einhalten. Das Volk sank auf die Knie und jubelte ihren Herrschern zu. Dennoch sah Hat-schepsut, wie einige Menschen stehen blieben. Schwarze Gesellen aus dem tiefsten Nubien, die nicht wussten, was sich gehörte; Fremde aus Asien, anscheinend Nomaden, die keinerlei Ahnung hatten, was gerade vor sich ging; aber auch junge Frauen, die überaus freizügig gekleidet waren. Thot-mose versuchte, wegzuschauen, verspürte er doch immer häufiger ein ihn verstörendes Interesse an Dingen, die ihn früher kalt gelassen hatten. Die kaum verdeckten Brüste, das geheimnisvolle Dreieck des Schoßes, das sich dunkel unter den dünnen Gewändern abzeichnete … Es gab sogar einen offenbar irrsinnig Gewordenen, der vollkommen zerlumpt und verdreckt irgendwelche Dinge rief, die Hat-schepsut überhaupt nicht verstand. Freundlich und bewundernd waren sie jedoch wohl kaum. Es dauerte nicht lang, da erschien eine Gruppe Medjau. Sie gaben dem Schreier ein paar Kopfnüsse und führten ihn schließlich fort. Die Umstehenden lachten oder schimpften dem Störenfried hinterher.

Der Palast war beeindruckend. Hat-schepsut war erstaunt, hätte sie doch niemals erwartet, dass jemand anderes als Pharao, solch einen Palast besitzen könnte. Anjotef musste in der Tat ein sehr reicher Mann sein. Überall waren Elfenbeinschnitzereien, die teilweise mit Gold ausgelegt waren. Die meisten der Statuen waren aus dem berühmten roten Granit gefertigt, der hier geschlagen wurde. Er war so hart, dass seine Bearbeitung nur sehr erfahrenen Bildhauern in langen Arbeitsstunden gelang. Alleine deswegen waren die daraus gefertigten Statuen überaus wertvoll. Hat-schepsut wusste, dass ihr Vater, den neuerbauten, äußersten Pylon des Amun-Tempels zu Waset mit zwei Obelisken schmücken wollte, die gleich vor dem Hauteingang aufgestellt werden sollten. Sie hatte Pharao gebeten, mitkommen zu dürfen, wenn er mit dem Architekten Ineni im Steinbruch die geeigneten Felsen aussuchte. Dies würden sie morgen, gleich nach der Abreise erledigen, da sie dann unmittelbar an den Steinbrüchen vorbeikamen.

Die Vorstellung Turis als zukünftiger Vizekönig wurde von Pharao mit denselben Worten vorgenommen, die er bereits gestern gewählt hatte. Hier in Sunu schenkte man der Tatsache, dass Turi nubischen Bluts war, jedoch kaum noch größere Beachtung. Stammten doch viele der höchsten Beamten am Hofe Anjotefs aus dem Süden. Das Festmahl war, wie nicht anders zu erwarten, beeindruckend. Anjotefs Köche versuchten nicht, mit ausgefallenen Zusammenstellungen den Gaumen zu kitzeln, sondern umschmeichelten den Geschmackssinn ihrer Gäste mit einer schlichten Küche, in der jedoch nur die allerbesten Zutaten verwendet wurden. Die musikalischen Darbietungen waren so kunstvoll, dass Hat-schepsut etliche Male ganz ergriffen lauschte.

„Na, kleine Frau des großen Gottes …“ Hat-schepsut konnte ihre Überraschung kaum verbergen, als sich Anjotef neben sie setzte. „Mir scheint, als ob die Musik dir Gefallen bereitete.“

„Das tut sie“, entgegnete Hat-schepsut aufrichtig. „Ich werde wohl zukünftig darauf achten müssen, dass mir meine lieben Amun-Priester nicht allzu oft musikalische Darbietungen als unpassend ausreden werden.“

„Wie man hört, sollte dir das keine Probleme bereiten. Die Amun-Priesterschaft liegt dir zu Füßen.“

„Dennoch führen sie an nahezu jedem zweiten Tag religiöse Vorbehalte an, die Musik nicht angemessen erscheinen lassen. Bei euch in Sunu kennt man derartige Beschränkungen aber offenbar nicht.“

„Auf der Insel Elephantine schon“, erklärte Anjotef. „Aber nicht in Sunu selbst. Sunu ist eine durch und durch weltliche Stadt.“

„Ich habe es gesehen, als wir zu deinem Palast gebracht wurden. Fremde Besucher zuhauf und zahllose Mädchen, die außerhalb der Gesellschaft stehen.“

„Außerhalb der Gesellschaft?“ Anjotef lachte. „Bei uns nicht. Bei uns zahlen auch sie Steuern und werden dafür von den Medjau beschützt, wie jeder andere Bürger auch.“

Hat-schepsut blickte erstaunt.

„Wir sind damit das Problem der Zuhälterbanden losgeworden“, erläuterte Anjotef. „Aber Sunu ist ja auch keine Stadt voller Priester wie Waset. Die stecken hier allesamt auf Elephantine.“

„Und was war das für ein Krakeel, das der verlumpte Mann angestimmt hat, bevor man ihn fortführte?“

„Oh, du sprichst vom alten Imichet!“

„Imichet, der in der Götterschaft ist? Was für ein seltsamer Name.“ Hat-schepsut war erstaunt, dass man den Störer offenbar bei Namen kannte.

„Er ist nicht mehr ganz richtig im Kopf“, erklärte Anjotef. „Früher war er Priester auf Elephantine. Ein Priester der Setjet. Man hat ihn jedoch wegen seiner übertrieben strengen moralischen Vorstellungen aus den Diensten des Tempels entlassen. Nun bettelt er und lungert herum und versucht die Menschen aufzustacheln, wieder zum wahren Glauben zurückzukehren. Dem Glauben unserer Vorväter.“

„Und? Gelingt es ihm?“

„Wo denkst du hin? Sunu ist durch und durch eine Stadt der Sinnesfreuden. Wer also würde sich seine hervorragenden Geschäfte schon durch überkommene moralische Bedenken zunichte machen lassen?“

„In Sunu wohl kaum jemand“, nickte Hat-schepsut.

„Und du?“, fragte Anjotef. „Wirst du als Große königliche Gemahlin die alte Moral wieder einführen wollen, sobald Thot-mose auf dem Thron sitzt?“

„Das wird Pharao entscheiden.“

„Ach was?“ Anjotef lächelte vielsagend. „Ich dachte immer, du würdest es sein, die entscheidet. Dein Halbbruder wird nicht allzu viel beitragen können, fürchte ich. Zu welchen Entscheidungen auch immer. Was aber letztendlich einerlei ist, sobald er nur eine verständige Große königliche Gemahlin an seiner Seite hat. Sie wird sich auf unsere Loyalität immer verlassen können.“

„Deine Worte klingen süß, Anjotef, wie reife Weintrauben. Ich denke, ich werde sie stets im Gedächtnis bewahren.“

„Das ist sehr gut so“ entgegnete Anjotef. „Erinnere dich ihrer getrost, falls es die Gegebenheiten erfordern.“

„Das werde ich gewiss tun“, erwiderte Hat-schepsut höflich. „Pharao wird sicherlich nichts tun, was den Handel stören könnte. Ist es doch der Güteraustausch, der ein Land zu wahrer Blüte führt. Und jeder Krieg ist Gift für den Handel.“ Hat-schepsut sah Anjotef ins Gesicht. „Man muss die Schätze fremder Länder nämlich nicht unbedingt rauben, man kann sie auch rechtmäßig erwerben. Denn Raub führt schließlich doch immer nur zu Bitterkeit und Rachegedanken. Und wie wir beide wissen, bilden beide kein dauerhaftes Fundament für eine lange Zeit des Friedens.“

„Das sind sehr kluge und vernünftige Überlegungen. Also hoffen wir, dass Turi seine Arbeit als Vizekönig auch gut machen wird.“

„Wie du weißt, ist ihm Ah-mose Aa-metju, der Gaufürst von Sauti sowie sein Sohn User-Amun beigestellt. Turi wird ihre Ratschläge nicht vernachlässigen. Er wird für Frieden sorgen. Denn es ist der Wille Pharaos ebenso, wie jener des Thronfolgers.“

„Ja, das Land braucht endlich Ruhe, um sich entwickeln zu können“, pflichtete Anjotef ihr bei. „Siegreiche Feldzüge können das Herrschaftsgebiet Kemets zwar vergrößern, aber eroberte Gebiete zu unterhalten, ist immer kostspielig.“ Zufrieden lehnte sich Anjotef zurück. „Wir sehen einer Regentschaft des Thronfolgers also zuversichtlich entgegen.“

„Das solltet ihr auch“, erwiderte Hat-schepsut versöhnlich. „Thot-mose wird kein Pharao sein, der Kemet von einem Kriegsabenteuer ins nächste stürzen wird.“

Als sie nach Mitternacht die ihr zugewiesenen Gemächer im Palast zu Sunu betrat, hatte Sit-Re mittlerweile dafür gesorgt, dass Hat-schepsut sich augenblicklich zu Hause fühlte. Dutzende von Polstern hatte sie herbeibringen lassen und schließlich auch darauf geachtet, dass die in Hat-schepsuts Augen sicherlich scheußlichsten Einrichtungsgegenstände verschwunden waren. Die altmodischen, ungepolsterten Klappstühle, an denen man sich gehörig zwicken konnte, vor allem aber die zahllosen Schreine für die absonderlichsten Gottheiten wurden bis auf wenige entfernt. Nicht etwa weil Hat-schepsut sich an ihnen wegen der Götter, für die sie standen, gestört hätte, sondern weil die handwerkliche Ausführung dieser Zimmerschreine meistens deutlich zu wünschen ließ. Provinzhandwerker schufen eben Provinzhandwerk. Und das war dazu geeignet, Hat-schepsuts Augen zu beleidigen. Augenblicklich hatte Sit-Re gemeinsam mit Merit-Amun auch die Räume des Thronfolgers denselben Säuberungen unterzogen. Thot-mose sollte sich erst gar nicht an den geschmacklosen Ramsch gewöhnen.

Man hatte der Gottesgemahlin tatsächlich Räume zugewiesen, von denen aus sie einen grandiosen Blick über die Stadt und auf den Nil mit seinen Inseln hatte. Zufrieden setzte sie sich auf eine Bank und blickte auf den ewig dahinströmenden Strom, auf dessen Inseln noch immer etliche Lichter flackerten. Nach jenem Gespräch mit Anjotef ahnte sie, dass sie nicht alleine stand mit ihrer Überzeugung, eine friedliche Regentschaft könnte für das Land ersprießlicher sein, als eine Zeit ständiger Kriege und Eroberungen. Vielleicht war die Epoche der ritterlichen Könige, die sich vor allem auf dem Schlachtfeld zu beweisen wussten, tatsächlich endgültig vorbei. Vielleicht würde eine Epoche der Künste und Wissenschaften, ein Zeitalter des Handels und der Verträge hereinbrechen, so wie es sich bei Pharao Amun-hotep, Hat-schepsuts Großonkel, bereits angedeutet hatte.

Gleich am anderen Morgen, noch bevor an Aufbruch zu denken war, ließ sie Sen-en-Mut rufen, um ihn zu fragen, was er von ihren Einschätzungen hielt. Er war abwägend wie immer. Zwar teilte er ihre Meinung, dass eine Zeit des Friedens den Menschen und der Welt förderlicher wäre. Allerdings gab er auch zu bedenken, dass nur aus der Zerstörung Neues entstehen konnte. Gott Seth, der Krieg und Zerstörung bringt, würde heutzutage kaum noch angebetet werden, da ihn die Hyksos für ihre Zwecke missbraucht hatten. Doch er gehörte neben Osiris, Isis und Horus zu den ältesten Göttern Kemets.

„Es hat also seine Gründe“, wollte Sen-en-Mut ein Schlusswort finden, „warum Seth zu diesen ersten Göttern gehört. Es liegt in der Ma’at begründet, die sich im Gleichgewicht der Dinge ausdrückt. Und die Ma’at bleibt nur erhalten, wenn zum Sprießen das Vergehen hinzukommt.“

„Seth, der Gott des Krieges und der Zerstörung, kann also auch ein Segen spendender, ein wohltätiger Gott sein“, fasste Hat-schepsut ihre Gedanken zusammen.

„So ist es. Man sollte ihn nicht benachteiligen.“

„Er ist wankelmütig wie ein kleines Kind“, widersprach Hat-schepsut. „Ein Krieg kann so leicht auch verloren werden. Und dann hat er nichts als Leid gebracht. Gewinnt man ihn, so bringt er neben dem Leid wenigstens noch Ruhm und Ehre. Aber nein, ich mag Kriege nicht, sie bringen nur alles durcheinander. Ruhm und Ehre muss doch auch anders zu erringen sein, als mit Waffengewalt.“

„Ja, und zwar durch Wunder, die man erschafft“, lächelte Sen-en-Mut, „indem man nämlich die Ma’at erhält. Aber auch durch Wohlstand, der dem ganzen Land zugute kommt.“

„Oh, ich werde Thot-mose jeden Tag daran erinnern“, versprach Hat-schepsut. „Er soll einmal ein großer Herrscher werden.“

Die Verabschiedung von Sunu und Anjotef wurde mit allem Pomp begangen, so dass es schon spät am Vormittag war, bis der Konvoi endlich die Granitsteinbrüche erreicht hatte. Seit Pharao vor Jahren den Ersten Katarakt in langwieriger und gefährlicher Arbeit hatte ausheben lassen, konnten ihn auch größere Schiffe problemlos passieren. Hat-schepsut und ganz besonders Thot-mose waren jedenfalls sehr enttäuscht, als sie ihn durchfuhren. In ihren Augen war dies kein Katarakt mehr. Noch nicht mal mehr eine Stromschnelle. Lediglich einen einzigen Strudel hatte Thot-mose entdecken können. Und der war so schwach, dass man eine Katze hätte hineinwerfen können, ohne dass sie ertrunken wäre. Thot-mose schmollte.

Kaum am Steinbruch angekommen, sprang Ineni, den Pharao mit der Auswahl der Felsblöcke für seine Obelisken beauftragt hatte, mit Kennerblick von Felsblock zu Felsblock und klopfte mit einem kupfernen Hammer darauf herum, meinte er doch, anhand des Klanges erkennen zu können, ob die Steine grundsätzlich geeignet waren. Schnell winkte er einen Diener mit einem riesigen Holzhammer zu sich und ließ ihn abermals auf jene Felsen schlagen, die in die nähere Auswahl gekommen waren. Ineni legte sein Ohr auf den Stein und zückte schließlich einen kleinen, geradezu zierlichen Hammer, den Pharao ihm einst für seine Verdienste geschenkt hatte. Er war aus dem seltenen, überaus festen Metall gefertigt, das im Land der Hethiter als Meteoriteneisen vom Himmel fiel. Händler hatten das rare Stück in Wilusa eingetauscht. Das Hämmerchen gab ein lange nachklingendes Plinkplink von sich und der Baumeister machte ein zufriedenes Gesicht. Stolz erklärte Ineni der ihm gebannt zuschauenden Hat-schepsut, dass er eine gleichmäßige Beschaffenheit des Felsens erfühlen könne, wenn an dessen anderem Ende jemand auf ihn einschlug. Und tatsächlich: Auch Hat-schepsut spürte ein kaum merkliches Zittern, ein sanftes Beben, das aus dem Gestein zu kommen schien, wenn der Diener mit dem Holzhammer zuschlug, obschon er mehrere Schritte weit entfernt war. Es war wie der tiefe Gesang der Priester, der den Körper zum Erbeben brachte; nur unendlich viel schwächer und kaum zu erspüren. Wie Ineni legte auch Hat-schepsut ihr Ohr an den Felsen und lauschte den Tönen, die aus dem Stein drangen, sobald der Baumeister seinen Eisenhammer benutzte. Sie waren spitz und schmerzten fast schon im Ohr, obwohl sie kaum zu vernehmen waren.

Pharao brach in lautes Gelächter aus, als er seine Tochter mit dem Architekten an den Felsen lauschen sah. So gebannt horchten sie in den toten Stein, dass sich ihre Nasen fast berührten und ihre Augen zu leuchten begannen, wenn der Klang in ihr Ohr drang. Zum Vergleich ließ Ineni Hat-schepsut an einem anderen Felsen lauschen, der allerdings nur einen einmaligen dumpfen Ton von sich gab. Dies, so meinte Ineni, sei ein Zeichen dafür, dass der Felsbrocken nicht mehr intakt, sondern in seinem Inneren gesprungen sei und somit nicht für seine Pläne tauge. Pharao hatte ihn nämlich beauftragt, zwei Obelisken für den Tempel in Waset zu errichten, die eine Höhe von jeweils 260 Schesep haben sollten. Und da sich Hat-schepsut über die Größe nicht im Geringsten erstaunt zeigte, setzte er nach.

„Kind, das ist so hoch als ob ein Dutzend Mann einander auf den Schultern stehen“, er streckte den Arm in die Luft als könne er damit die wahre Höhe abmessen. „Solch ein Obelisk kann nur aus dem besonders festen Granit aus Sunu gefertigt werden, denn er soll ja dünn und schmal werden wir ein Sonnenstrahl. Jedes andere Gestein könnte jederzeit bersten!“

Natürlich durften Obelisken nicht aus verschiedenen Gesteinsblöcken zusammengesetzt werden, sondern mussten aus einem einzigen Monolithen herausgeschlagen werden. Sie mussten so präzise gearbeitet sein, dass sie, einmal aufrecht hingestellt, auch stehen blieben. Es war ihr enormes Eigengewicht, das sie stabilisierte – aber eben nur, wenn sie unbedingt gleichmäßig zugehauen worden waren und absolut waagerecht standen. Die alten Pharaonen hatten gewusst, die Welt mit unvorstellbar großen Bauwerken zu beeindrucken. Heutzutage zeigte man jedoch seine technischen Fähigkeiten und sein Wissen, mit dem man den schwer zu bearbeitenden roten Granit aus Sunu zu filigranen, hoch in den Himmel ragenden Nadeln verwandelte. Bewunderte man die alten Pharaonen wegen ihrer Macht, mit der sie Berge versetzen konnten, so würde man deren Nachfolger für ihr Wissen und ihre Geschicklichkeit bewundern. Zudem waren Obelisken ein Sinnbild der Ma’at: Nur wenn sie vollkommen gleichmäßig zugehauen waren, wenn sie absolut perfekt waren, verlieh ihnen ihr Eigengewicht die nötige Stabilität. Eine kleine Abweichung genügte, um den Erfolg der ganzen Unternehmung zu gefährden. Um die Jahrtausende zu überdauern, mussten sie Wind und Wetter widerstehen und sogar dem Beben der Erde. Dies war nur möglich, weil sie nicht durch irgendwelche Zapfen fest mit dem dann schwankenden Boden verbunden waren, sondern weil sie frei standen. Sie konnten wanken, ja, sie konnten sogar tanzen, wenn das Beben schwer genug war. Im schlimmsten Falle, so meinte man, berechnet zu haben, würden sie von ihrem ursprünglichen Standort etwas weiterrücken. Dadurch aber, dass sie sich verschlankten während sie in den Himmel ragten, blieb das größte Gewicht immer an ihrer tiefsten Stelle.

Hat-schepsut war fasziniert und Ineni war voll des Lobes und der Bewunderung für ihr Verständnis der Steine. Dies sei eine Gabe, meinte er und keineswegs selbstverständlich. Nur wenige würden sie besitzen und um sie sich zu erarbeiten, bräuchte man ein ganzes Leben. Sie nahm ihm das Versprechen ab, dass er sie noch ausführlicher in das Wesen der Steine einführen würde. Er gab es nur zu gerne und löste es später begeistert ein. Es gab eine Zeit, in der Hat-schepsut sich so oft es ging in Inenis Werkstatt aufhielt, um mehr über das Wesen der Steine zu erfahren. Manche der Höflinge nannten sie damals nur spöttisch die granitene Dame.

Pharao wollte die Reise endlich fortsetzen und musste nun seine Entscheidung treffen, welche der Felsen bearbeitet werden sollten. Er ließ Ineni rufen, der ihm raten sollte. Wie eine eifrige Schülerin folgte Hat-schepsut ihm hinterher.

„Lass uns sehen, was deine Tochter heute gelernt hat“, bat Ineni. „Ich bin gespannt, zu welchen Felsen sie dir rät.“

„Nun, mein Rosenknöspchen“, lächelte Pharao, der es für einen Spaß hielt, eine unerfahrene Dreizehnjährige eine derart wichtige Entscheidung treffen zu lassen. „Aus welchen der Felsen soll ich die Obelisken hauen lassen?“

Hat-schepsut sah sich um. „Sie sollen wie Brüder sein, wie ein Ei, das dem anderen gleicht. Also kannst du sie nur aus einem einzigen riesigen Felsen schlagen lassen, in dem sie beide stecken. Der eine kopfüber, der andere kopfunter.“ Sie kniff ihre Augen zusammen und sah zum Steinbruch hinüber. „Die vordere Klippe bietet sich an, da sie schon halb frei geschlagen ist und geradewegs dazu einlädt, sich die Obelisken vorzustellen, die noch in ihr stecken. Aber es könnte sehr gut sein, dass sie birst, wenn man sie vollends abschlägt und sie sich dann vom Hang löst. Dort hinten, auf der Höhe der hinteren Klippe kommt der gewachsene Felsen zum Vorschein. Man könnte die Rohform der Obelisken ganz bequem aus dem Felsboden schlagen. Vorhin, als Ineni dort der Hammer aus der Hand fiel, spürte ich ein ganz feines Beben unter meinen Füßen und der Klang war ganz rein.“

Pharao sah Ineni fragend an.

„Bei Ptah, dem Gott der Handwerker!“ Ineni war zutiefst beeindruckt. „Besser hätte ich es nicht sagen können. Deine Tochter versteht die Steine besser als die meisten anderen Menschen. Sie kann sehen, was in ihnen steckt. Sie hört, was sie ihr sagen und sie fühlt ihre Stärke.“

„Nun denn“, lachte Pharao. „Dann ist die Entscheidung gefallen. Die hintere Klippe also. Und nun lasst uns aufbrechen. Der Weg nach Nubien ist noch weit.“

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron

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