Читать книгу Das Geheimnis vom Planeten Calinor: Die Raumflotte von Axarabor - Band 210 - Wilfried A. Hary - Страница 6

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„ Ich halte das nicht mehr länger aus!“, gestand Eranore Selaski ihrem Spiegelbild.

Sie sah dieses Gesicht, von dem andere behaupteten, es sei schön, obwohl es ihr selbst überhaupt nicht gefiel. Sie sah diese Person, die andere in ihr zu sehen glaubten und von der sie fest überzeugt war, dass sie das gar nicht sein konnte.

„ Ich weiß schon immer, dass mit dir was nicht stimmt. Und dennoch willst du unbedingt Mutter werden? Wieso eigentlich? Weil es dich innerlich dermaßen danach drängt, dass du dem nicht widerstehen kannst? Und wieso klappt es dann einfach nicht? Obwohl medizinisch angeblich alles in Ordnung ist mit dir und deinem Mann?“

Ein Selbstgespräch wie so viele schon zuvor. Sie war jetzt zwanzig Jahre alt und hatte bereits unzählige Sitzungen bei Therapeuten hinter sich gebracht. Weil sie schon als Kleinkind so sehr darunter gelitten hatte.

Sie nannten es Identitätskrise. War das wirklich ihr Ernst? Wie konnte denn eine Identitätskrise ein Leben lang anhalten?

Sie wusste von anderen Menschen, die von sich behaupteten, im falschen Körper zu sein. Dabei meinten sie allerdings „im falschen Geschlecht“. Beinahe neigte sie dazu, solche zu beneiden. Denn sie war keineswegs nur im falschen Geschlecht, sondern sie war definitiv in einem Körper, der ihr von Anfang an völlig fremd geblieben war.

Und dann dieser unbändige Kinderwunsch, den sie tatsächlich schon verspürt hatte, als sie selber noch ein Kind gewesen war.

Konnte es denn eigentlich noch widersprüchlicher sein? Einerseits sah sie im Spiegel diese Person, die sie unmöglich selbst sein konnte – und andererseits wollte sie dennoch unbedingt Mutter werden? Was bis dato nicht hatte klappen wollen, aus Gründen, die kein Mediziner bislang hatte herausfinden können?

Dies als Fazit konnte halt nur kommentiert werden mit solchen Worten, die alles ausdrückten, was sie als so permanent unerträglich empfand:

„ Ich halte das nicht mehr länger aus!“

Aber was wäre denn die Alternative gewesen?

Bisher war ihr noch keine passende eingefallen, denn bei alledem hatte sie eine Lösung schon immer ausgeschlossen:

Selbstmord!

Aber auch da wusste sie eigentlich nicht, wieso sie es überhaupt dermaßen ablehnte. Wenn sie es doch tatsächlich nicht mehr länger aushalten konnte…

Es war ja nicht das Leben an sich, das ihr dermaßen zuwider war, das sie eben nicht mehr auszuhalten vermochte, sondern es war ganz einfach die Tatsache, wahrlich im falschen Körper zu sein und es einfach nicht fertig zu bekommen, endlich Mutter zu werden.

Als würde ein Kind tatsächlich all ihre Probleme lösen können. Probleme, die niemand nachvollziehen konnte, noch nicht einmal sie selbst.

Gerade wenn sie sich so im Spiegel betrachtete. Da war eigentlich nichts, was sie tatsächlich hätte stören können. Außer eben, dass diese Person, die sie da anstarrte, unmöglich sie selbst sein konnte.

„ Das ist keine Identitätskrise!“, entschied sie das ungefähr tausendste Mal für sich. „Du bist ganz und gar einfach nur total verrückt im Kopf. Eine Art Wahnsinn, den niemand bändigen kann.“

Man hatte sie vollgepumpt mit Medikamenten. Schon als Kind. Eben aus der Furcht heraus, sie könnte sich selbst etwas antun, obwohl das definitiv niemals bei ihr der Fall gewesen war. Aber man hatte es ihr nicht geglaubt. Nicht ihre Eltern, nicht die Ärzte und Therapeuten, die sich mit ihr abgemüht hatten.

Jetzt war sie zwanzig Jahre alt und hatte keine Eltern mehr. Seit zwei Jahren. Auf ihren achtzehnten Geburtstag war sie mit ihren Eltern unterwegs gewesen. In deren neuem Auto. Zu einem Vergnügungspark für Erwachsene.

Bis ihr Vater das Ampelsignal überfahren hatte. Doch nur, weil sie im Auto alle drei herumgealbert hatten. Das hatte ihn als Fahrer zu sehr abgelenkt.

Ausgerechnet also während einer jener Momente, in denen sie sich zumindest hatte einbilden können, einigermaßen glücklich sein zu dürfen, war es zu diesem tödlichen Zusammenstoß gekommen. Tödlich für ihre Eltern, nicht für sie.

Ganz im Gegenteil: Man hatte sie zwar ebenfalls aus dem total verbeulten Autowrack geschweißt und schleunigst ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht, doch sie war vollkommen unverletzt geblieben. Trotz der weitgehend zerfetzten Kleidung wohlgemerkt.

Es war den Medizinern in der Notaufnahme wie das totale Wunder vorgekommen. Ihr selber nicht. Weil sie sich noch niemals in ihrem inzwischen ja schon zwanzigjährigen Leben verletzt hatte. Wieso auch immer. Sie hatte sich darüber jedenfalls auch noch niemals Gedanken gemacht, sondern nahm es hin, wie es war.

Schließlich war das da im Spiegel ja nicht ihr eigener Körper, nicht wahr? Es war der Körper einer Fremden, den sie durch deren Augen betrachtete, ohne zu begreifen, wie das überhaupt möglich sein konnte.

„ Ich bin halt völlig wahnsinnig!“, argumentierte sie, wenngleich nur zu sich selbst. Sie hütete sich wohlweislich davor, jemanden an diesen Gedanken teilhaben zu lassen.

Auch nicht ihren Lebenspartner, der nichts wirklich von alledem wusste. Sie hatte ihm zwar gebeichtet, psychische Probleme zu haben, die sie jedoch voll und ganz im Griff hätte, weil es dafür passende Medikamente gab. Und wenn sie nur regelmäßig ihre Medikamente nahm, durfte sie völlig normal leben.

Einerseits die Wahrheit, weil sie diese Medikamente tatsächlich nahm, eben schon so lange sie überhaupt zurückdenken konnte. Andererseits trotzdem eine Lüge, weil sie gar nichts dadurch in den Griff bekam, außer dass ihre Therapeuten sie nicht noch länger mit sinnlosen Fragen löcherten. Sie musste einfach nur behaupten, dass die Medikamente ihr halfen. Dann erschien alles gut. Dann hatte sie ihre Ruhe.

Auch mit ihrem Lebenspartner Krumir Daron lief es dadurch gut. Von ihm aus gesehen. Nicht wenn sie ehrlich gewesen wäre.

Gut, sie spürte durchaus, dass dieser Körper hier, den sie nicht als ihren eigenen empfand, irgendwie Krumir liebte. Sehr sogar. Aber sie selbst…? Sie hatte einfach dem nur stattgegeben, wie nur sie selbst wusste. Sie hatte sich auf ihn eingelassen, weil dieser fremde Körper sich dermaßen zu ihm hingezogen fühlte. Nach wie vor, wohlgemerkt. Und als sie ihm ihren Kinderwunsch geäußert hatte, war er geradezu begeistert gewesen.

Und dann hatten sie es probiert. Immer wieder. Ohne Ergebnis allerdings.

Dann diese ganzen Untersuchungen. Sie hatten sich beide untersuchen und testen lassen und galten beide als vollkommen gesund. Auch was möglichen Nachwuchs betraf. Und wieso wollte es trotzdem nicht klappen?

Sie hatte dafür nur eine Antwort parat – und behielt diese wohlweislich für sich, um nicht wieder Probleme zu bekommen mit ihren Therapeuten und letztlich dann auch mit Krumir:

„ Ich bekomme kein Kind von ihm, weil es der falsche Körper ist!“

Hätte sie jedoch jemand gefragt, was denn wohl der richtige Körper gewesen wäre, hätte sie keine Antwort dafür gefunden.

Ein Grund mehr zu resümieren:

„ Ich halte das nicht mehr länger aus!“

Ohne dass ihr auch nur im Entferntesten der Schimmer einer Alternative einfallen würde.

Sie riss sich von diesem verhassten Spiegelbild los und verließ die Wohnung. Wie immer, wenn sie sich dermaßen am Ende fühlte. Als könnte sie vor sich selber fliehen, obwohl sie im wahrsten Sinne des Wortes in sich selber fest steckte.

Im falschen Geschlecht geboren zu werden war sicherlich eine schlimme Sache. Doch dagegen gab es Hilfe mittels Operation. Aber ganz und gar im falschen Körper? Wie sollte man operativ den Körper entfernen können? Es war geradezu absurd und würde sicherlich jeden anderen unweigerlich zum Selbstmord treiben.

Eranore versuchte hingegen vergeblich mal wieder zu fliehen, in den nahen Stadtpark. Immerhin ein Park, der auf der ganzen Welt als ziemlich einmalig galt. Eine Welt mit drei Milliarden Einwohnern, ersten zaghaften Anfängen in Sachen Raumfahrt, weitab von jeglicher kosmischer Zivilisation, regelrecht isoliert in einem Bereich der Galaxis, der von niemandem bislang erforscht worden war.

Und dennoch waren sie Menschen hier auf CALINOR. Auch wenn sie von Axarabor und seiner Raumflotte nicht einmal etwas ahnen konnten. Weil Menschen dem Durchschnitt entsprachen. Weil Menschenarten die häufigsten Arten waren in der gesamten Galaxis, vielleicht sogar im gesamten Universum. Selbständig entstanden auf ganz verschiedenen Welten, die dennoch vieles gemeinsam hatten. Eben auch diese Art von sogenanntem intelligentem, höherem Leben.

Dinge allerdings, die Eranore Selaski sowieso niemals interessiert hätten. Sie war dermaßen gefangen in ihrem eigenen Leid, ihren eigenen Sehnsüchten, ihrer eigenen Resignation, dass dies allein schon ihr Denken maßgeblich bestimmte.

Alles andere war und blieb für sie mehr oder weniger Nebensache.

Sie hatte es damals verkraftet – verkraften müssen! -, dass ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Besser als selber gedacht. Immerhin Eltern, die sie niemals verstanden hatten. Wie denn auch, wenn sie sich selbst noch nicht einmal verstehen konnte? Immerhin hatten sie ihr genügend Vermögen hinterlassen, dass sie davon leben konnte, ohne in Not geraten zu können. Solange sie sorgsam damit umging.

Nun, Krumir benötigte ihr Vermögen nicht. Er hatte eine leitende Stellung in einem internationalen Konzern. Vielleicht mit ein Grund dafür, dass ausgerechnet sie beide zusammen waren? Er schwor zwar seine Liebe ihr gegenüber, doch irgendwie spielte auch mit eine Rolle dabei, dass sie niemals von ihm finanziell abhängig sein würde.

Oder war das auch nur etwas, was sie sich einbildete? Wie eigentlich alles, was sie ganz und gar nicht mehr ertragen konnte?

Es war nichts los in diesem Teil des extrem weitläufigen Parks. Trotz strahlendem Sonnenschein. Wo waren all die Menschen, die sonst um diese Zeit hier flanierten?

Eine Art von Einsamkeit, die nicht völlig ungewöhnlich war, aber doch selten. Eranore jedoch vermisste niemanden. Sie genoss es regelrecht, hier auch einmal allein zu sein. Da war einerseits das Blumenmeer, wie es seinesgleichen auf der ganzen Welt suchte, andererseits der Tropengarten mit seinem futuristisch anmutenden durchsichtigen Dach. Man konnte den gesamten Bereich abgrenzen, falls das Wetter zu schlecht wurde, etwa im Winter. Um die Tropenpflanzen zu schützen, die hier wuchsen und gediehen.

Gern flanierte Eranore auch hier. Obwohl es hier von Insekten nur so wimmelte, die außerhalb des Tropengartens wenig Überlebenschancen hatten, wenn nicht gerade Hochsommer herrschte.

Wenn sie von einem dieser Insekten gepikst wurde, sah sie fasziniert zu, ohne etwas dagegen zu tun. Es war ja nicht ihr eigener Körper, nicht wahr?

Heute jedoch mied sie den Tropengarten. Sie ging in den anderen sogenannten Kernbereich, den mit den ausgedehnten grünen Wiesen, die sorgsam gepflegt wurden. Während der Regenzeiten dienten sie als Flutwiesen. Dann, wenn der breite Fluss über die Ufer trat, der sich durch die ganze Stadt PROMADA schlängelte. Daraus war ja dann ursprünglich die Idee für diesen einmaligen Park inmitten der Stadt geboren worden. Die ausgedehnten Flutwiesen, die all diese überschüssigen Wassermassen aufnahmen und so die Stadt vor Überschwemmungen schützten, waren bei schönem Wetter beliebte Ausflugsziele zum Picknicken und auch zum Sonnenbaden. Die anschließenden Parkanlagen, wie beispielsweise das Blumenmeer oder der Tropengarten, waren nur konsequente Weiterentwicklungen gewesen dieser durchaus praktischen Idee.

Eranore jedenfalls genoss es in vollen Zügen und merkte dabei, dass es ihr innerlich tatsächlich ein wenig besser ging.

Einerseits zumindest, obwohl sie andererseits genau wusste, dass sie sich nur mal wieder erfolgreich etwas vorzumachen versuchte. Denn den tief verwurzelten eigentlichen Frust konnte niemand wirksam bekämpfen. Er blieb nicht nur, sondern war im Laufe der Zeit zu einem immer größer werdenden Problem heran gereift.

So groß immerhin, dass sie eben der Meinung war, es nicht mehr länger aushalten zu können.

Sie blieb stehen, starrte in den wolkenfreien, strahlend blauen Himmel, an der blendend hellen Sonne vorbei, spürte diesen grausamen Widerspruch in sich:

Dass sie einerseits den Moment zu genießen vermochte, obwohl andererseits in ihr diese unbeschreiblich grausame Resignation längst die Überhand gewonnen hatte.

Sie schloss ergeben die Augen und wünschte sich mal wieder nichts sehnlicher als endlich doch ein Kind zu bekommen.

Gab es denn wirklich kein höheres Wesen wie das eines Gottes, zu dem so viele Menschen voller Glauben beteten, um diesen sehnlichsten aller Wünsche zu erfüllen?

Dass sie schon im falschen Körper zu leben gezwungen war, das war an sich doch schon grausam genug und würde sich offensichtlich in keiner Weise ändern lassen, aber ihr Kinderwunsch…? Das war doch tatsächlich etwas, was erfüllt werden konnte.

Sie riss die Augen wieder weit auf, ungeachtet dessen, dass sie dadurch von der Sonne auch dann geblendet wurde, wenn sie nicht unmittelbar hinein sah, und da erkannte sie so etwas wie einen dunklen Punkt über sich, mitten in der Luft.

Sie blinzelte überrascht, doch das Bild blieb. Aus dem Punkt wurde ein Fleck. Ein zappelnder Fleck, um genauer zu sein.

Sie blinzelte erneut.

Und dann fiel ihr dieser „Fleck“ direkt vor die Füße.

Sie starrte darauf und traute ihren Augen nicht. Es war vom Himmel gefallen. Buchstäblich, und es war alles andere als nur ein Fleck. Nein, es handelte sich um ein… nacktes Baby. Ein Mädchen, um genauer zu sein, das bitterlich weinte.

Kein Wunder, denn es war wohl ziemlich unsanft dort auf der Wiese gelandet.

Eranore fühlte sich wie betäubt, als sie sich nach dem Baby hinunter beugte.

Das Baby sah sie – und beruhigte sich sogleich. Ja, es lächelte sie sogar an!

Eranore blinzelte erneut, doch das Bild des lächelnden Babys blieb.

Ganz vorsichtig nahm sie die Kleine auf die Arme und wiegte sie sanft.

„ Wo bist du denn her gekommen?“, fragte sie dabei.

Irgendwie klang es ziemlich dümmlich, fand sie im Nachhinein. Zumal die Kleine sie überhaupt nicht verstehen konnte, geschweige denn antworten.

In ihrem Innern spürte dabei Eranore Selaski etwas, was sie noch niemals zuvor wirklich gespürt hatte:

Ein echtes Glücksgefühl!

Nein, nicht das, was sie sich immer selbst vorgemacht hatte, wenn sie es hatte schaffen wollen, zumindest vorübergehend glücklicher und damit zufriedener zu sein. Jetzt war dieses Gefühl in der Tat endlich einmal echt. Und es hatte mit diesem kleinen Wesen zu tun, das ihr buchstäblich vom Himmel vor die Füße gefallen war.

Wann hatte man davon jemals etwas gehört?

Aber wann hatte man jemals von jemandem gehört, der in einem Körper leben musste, den er nicht als seinen eigenen ansehen konnte?

Das Geheimnis vom Planeten Calinor: Die Raumflotte von Axarabor - Band 210

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