Читать книгу Moderne Alchemie und der Stein der Weisen - Wilfried B. Holzapfel - Страница 7
Die Blüte der Alchemie
ОглавлениеMarie: Helen, hast du dir schon mal eines der vielen Bücher über Alchemie aus dem Regal unseres großen Alchemisten angesehen?
Helen: Nein, wieso?
Marie: Nun, in diesen Büchern findet man einiges über die Entwicklung der Naturwissenschaften und damit auch einen ersten Weg in die Welt der hohen Drücke. Schau dir mal dieses Bild 4 einer Alchemistenküche hier an, mit all den verschiedenen Geräten zum Zerkleinern, Destillieren, Kondensieren, Sublimieren, Separieren, Dekantieren, Kristallisieren, Schmelzen, Filtrieren, Verbrennen, Vermischen, Verdünnen, Potenzieren und vielen anderen merkwürdigen Prozeduren.
Helen: Was haben die alles gemacht? Zerkleinern kenne ich noch! Dann wird es aber immer merkwürdiger!
Marie: Ja, ich wollte dir nur zeigen, dass diese Alchemisten schon viele neue Begriffe und neue Prozeduren eingeführt haben, die heute vielleicht nur noch die Fachleute kennen. Dazu haben sie dann auch noch eine alte Symbolsprache verwendet, die ähnlich wie unsere heutigen Verkehrsschilder eine bessere internationale Verständigung ermöglichte, denn all das Wissen wurde mal in arabisch, mal in hebräisch, mal in griechisch und mal in Latein niedergeschrieben. Hinzu kam noch, dass man die Temperatur ja auch noch gar nicht richtig messen konnte. So musste man die Temperatur mit Begriffen wie warmes Wasser, schwache Glut, schwache Flamme oder heiße Glut umschreiben und auch für solche Begriffe gab es dann noch extra Symbole.
Weißt du, dass der alte Begriff des Potenzierens auch heute noch bei den Apothekern für mehrfaches Verdünnen von homöopathischen Lösungen verwendet wird?
Wenn man sich so ein Bild einer Alchemistenküche näher ansieht, kann man erahnen, dass hier mit vielen merkwürdigen Apparaturen nur einfache chemische Prozesse ausprobiert wurden.
Diese Alchemistenküchen hatten im Mittelalter schon eine lange Tradition hinter sich. Schon für die Gewinnung von Kupfer aus Kupfererz und das Legieren von Kupfer mit Zinn zu Bronze in der "Bronzezeit" musste man bereits eine besondere Handwerkskunst der Metallbearbeitung beherrschen. Die spätere Eisengewinnung und auch das besondere Schmieden von Schwertern mit gut gehärteten Klingen wurde schließlich als besondere Kunst angesehen, mit vielen wohl behüteten Regeln. Durch Patentanmeldung konnte man damals das Wissen noch nicht schützen! Die Vorschriften und Arbeitsschritte waren sicher nicht so genau festgelegt, dass man immer das gleiche Ergebnis erhielt. Damit die Arbeit zum erhofften Ziel führte, musste man deshalb wohl jedes Mal auch noch die Götter anrufen und in der letzten Verzweiflung vielleicht auch einen Pakt mit dem Teufel eingehen. Kam doch das Wissen der Alchemisten im Wesentlichen aus der heidnischen Welt des Morgenlandes mit fremden Götzen und ketzerischem Glauben. Sicher war die Metallgewinnung und Metallveredelung bei den alten Ägyptern schon eine hohe Kunst, die von den Priestern in den Tempeln gehütet wurde. Dabei wurden Bronze und Eisengegenstände auch in verschiedener Weise mit Gold überzogen und neue härtere Goldlegierungen hergestellt, was dann auch vielfach als "Goldmachen" bezeichnet wurde. Schon früh spielte dabei das Quecksilber eine große Rolle. Vereinigte dieses flüssiges Metall in sich doch so unterschiedliche Eigenschaften wie die von Wasser und von Metallen.
Helen: Aber Quecksilber ist doch heute auch noch ein besonderes Metall!
Marie: Ja, ja, das stimmt schon. Nur bei den wenigen Metallen, die man damals kannte, spielte es natürlich noch eine größere Extrarolle. Wie es damals so üblich war, wurden die neu gefundenen Stoffe oft auch nach Göttern benannt und ihre Eigenschaften wurden mit göttlichen Eigenschaften verglichen. Quecksilber (im Englischen: Mercury) wurde mit Eigenschaften des Gottes Merkur verglichen, Gold mit der Sonne, dem Sonnengott, oder auch mit Jupiter, dem höchsten Gott. Silber entsprach Luna, dem Mond, der in den südlichen Ländern ja immer als liebliches, weibliches Wesen angesehen wird. Das weniger edle Kupfer wurde mit Venus verglichen, Eisen mit Mars, Jupiter mit Zinn und Saturn mit Blei. Auch wenn man dann die besonderen Verfahren zur Herstellung einer bestimmten Legierung aufschreiben wollte, war es jeweils vorteilhaft, in diesen Kochrezepten Abkürzungen und Verschlüsselungen mit alten Symbolen zu verwendenBS1671. Mit diesen besonderen Zeichen konnten dann nur die Adepten, die eingeweihten Schüler, diese Geheimrezepte lesen, und sicher wurden dabei auch oft bewusst recht irreführende Namen mit eingeführt. Ein paar dieser Symbole der alten Alchemisten sind in den Bildern 5 und 6 zusammengestellt und miteinander verglichen.
Die gleichseitigen Dreiecke hatten in der Symbolsprache der alten Griechen ja schon eine ganz besondere Bedeutung: Das aufrechte Dreieck war ein Symbol für männlich und für Feuer, das nach unten zeigend Dreieck wurde weiblich als Dreieck der Venus und als Symbol für Wasser verwendet. Beide Dreiecke übereinander ergeben den sechszackigen Stern als vollkommene Vereinigung dieser gegensätzlichen Elemente. So kann man den Stern hier auch als Symbol für den himmlischen Urstoff, die materia prima, ansehen. Wenn dieser so symmetrische Stern in unsere Welt gelangt, zerfällt er in seine irdischen Bruchstücke, in die zwei Gegensatzpaare Feuer und Wasser einerseits, und andererseits in Luft und Erde, wobei diese beiden Elemente hier als Dreiecke mit Querstrich dargestellt werden.
In der Welt der Alchemisten tauchen diese Symbole immer wieder zusammen mit anderen Zeichen auf, die viel über den damaligen Wissensstand aussagen. In besonders schöner Weise wird dieser Wissensstand für das sechzehnte Jahrhundert dargestellt in dem Frontispiz, der linken Seite vor der eigentlichen Frontseite, aus dem Werk von Basilio ValentinoBV1717, in dem eine alte chemische Schrift des Trithemii de SponheimTr1482 aus dem Jahre 1482 ins Deutsche übertragen wird.
In der entsprechenden Abbildung 6 deutet der große Kreis zunächst einmal an, dass bei der Schöpfung in diesem Weltenkreis aus dem umgebenden Chaos, dem „Confusum Chaos“, eine erste Ordnung entstand. Hier erscheinen jetzt die vier Elemente in dem von dem äußeren Kreis eingeschlossenen Quadrat. Diese vier Elemente sind durch einen inneren Kreis verbunden mit drei „Prinzipien“, die durch die drei Symbole für Salz, Schwefel und Quecksilber dargestellt sind. Der nächste Kreis umschließt den sechszackigen Stern, der ja nichts anderes ist, als die Überlagerung der vier Element-Symbole. Im innersten Kreis steht dann das Symbol der Sonne über dem Symbol für den Mond, ähnlich wie Yin und Yang in der asiatischen Symbolik für männlich und weiblich, wobei im Mittelmeerraum die Sonne ja männlich und der Mond weiblich ist.
Helen: Marie, meinst du nicht, dass dieses Bild doch schon so etwas Ähnliches wie die moderne Tafel für die chemischen Elemente ist?
Marie: Na ja, es zeigt wohl eine Ordnung für die Elemente der alten Griechen, aber auch viele spekulative Zusammenhänge in diesem alten Weltbild der Alchemisten auf. Heute würde man die drei hier mit eingetragenen Stoffe Salz, Schwefel und Quecksilber als typische Beispiele für die drei wesentlichen Bindungstypen in der modernen Chemie ansehen. Die Salze wie Kochsalz, Pottasche, Natron oder Soda, die du vielleicht noch aus Omas Küche kennst, die bei den Alchemisten wohl bekannt waren, und die sich alle leicht in Wasser lösen, sind typische Vertreter der ionischen Bindung. Diese besonders einfachen Salze bestehen jeweils aus zwei ganz unterschiedlichen Atomsorten, einem unedlen, chemisch sehr reaktionsfreudigen Metall, wie z. B. Natrium (Na) oder Kalium (K), und einem Salzbildner, einem Halogen, oder anderen Bestandteilen von Säuren, wie z. B. Kohlendioxid (CO2). In diesen Salzen gibt das Metallatom ein Elektron an ein Atom des Salzbildners ab, so dass beim Aufbau dieser Salzkristalle sich nicht mehr neutrale Atome sondern positiv und negativ geladene Ionen zusammenlagern. Bei solchen Stoffen spricht man deshalb von Ionenbindung.
Ganz anders ist die Sache bei Schwefel. Im Schwefel gibt es keine Ionen. Die Bindung der Schwefelatome muss also durch andere Kräfte erfolgen. Seit man mehr über den Aufbau der Elektronenschalen der Atome weiß, versteht man auch diese Bindung zwischen gleichartigen Atomen viel besser. Grob gesprochen werden hier unvollständig gefüllte Elektronenschalen der Atome dadurch gefüllt, dass sich zwei Atome ein gemeinsames Elektronenpaar teilen. Die Wissenschaftler sprechen dann von kovalenter Bindung. Das beste Beispiel für einen Stoff mit kovalenter Bindung ist der harte, glasklare Diamant, der nur aus reinem Kohlenstoff (C) besteht. Auch die meisten wasserunlöslichen Kristalle und Schmucksteine sind gute Beispiele für Stoffe mit kovalenter Bindung.
Ja, und das Quecksilber ist hier ein Vertreter für die metallische Bindung, die durch die Verteilung von gemeinsamen Elektronen über viele Nachbaratome zu einem anderen Bindungstyp bei den Metallen führt. Dabei sind diese bindenden Elektronen praktisch über den ganzen Metallkristall oder Metalldraht verteilt und ermöglichen so auch die Leitung von elektrischem Strom.
Helen: Willst du damit sagen, dass die alten Alchemisten ahnten, dass unterschiedliche Bindungskräfte für die Unterschiede zwischen den drei Stoffklassen, Salzen, schwerlöslichen (kovalenten) Kristallen und Metallen, verantwortlich sind?
Marie: Von Bindungskräften hat man damals wohl noch nicht gesprochen. Der Aufbau der Materie aus Atomen war damals auch nur eine theoretische Spekulation. Die Reaktionsfreudigkeit verschiedener Stoffe hat man viel menschlicher als "Affinität", also eine Art Zuneigung, angesehen. Aus dem Bild 6 kannst du aber noch mehr über die Welt der Alchemisten erfahren. Da gab es die Vorstellung, dass alle Materie letztlich aus einem Urstoff, der materia prima, entstanden ist. Das wird in diesem Bild einmal durch die Vereinigung der vier Elemente in dem sechs-zackigen Stern verdeutlicht, und dann noch einmal weiter innen durch die Vereinigung von Sonne und Mond im innersten Kreis.
Helen: Reden nicht heute die Kosmologen auch von einer "großen Vereinigung" aller Materie und aller Bindungskräfte in einer Art Ursuppe zur Zeit, als die Welt in einem Urknall entstand?
Marie: Ja, das klingt sehr ähnlich. Das werde ich dir später noch genauer erklären.
Die Alchemisten des Mittelalters waren ja die Universalgelehrten ihrer Zeit. Neben chemischen Prozessen der Metallveredelung, neben medizinischen Kenntnissen und einem umfassenden Wissen über alle möglichen Götterlehren, Religionen und Legenden hatten diese Alchemisten auch ein breites Wissen über die Philosophie und Naturlehre der alten Griechen.
Da gab es einmal den Naturphilosophen Demokrit, der allein aus logischen Überlegungen zu der Auffassung kam, dass alle Materie aus verschiedenen kleinsten, unteilbaren Teilchen bestehen müsste. Aus dem griechischen Begriff für unteilbar, a-tomos, entstand so unser Wort Atom. Da Harmonie und Symmetrie in dieser Zeit besonders in der Philosophie eine große Rolle spielten, meinte dazu Platon, dass diese Atome irgendwie aus gleichseitigen Dreiecken aufgebaut sein müssten. Mit vielen Dreiecksflächen, aber auch aus Quadraten und regelmäßigen Fünfecken baute er dann "ideale" hochsymmetrische Körper zusammen, die er als Modelle für verschiedene "Atome" ansah. Aber auch die vier verschiedenen Erscheinungsformen der Materie als Erde, Wasser, Luft und Feuer versuchte er so zu erklären. Heute nennen wir seine Modelle Platonische Körper, und du wirst sehen, dass diese Modelle in etwas anderer Form auch bei den modernen Alchemisten wieder auftauchen! Einige dieser Körper siehst du im nächsten Bild.
Helen: Aber werden die Atome heute nicht meistens als Kugeln dargestellt?
Marie: Für einzelne freie Atome in einem Gas sind Kugeln ein brauchbares Bild. Aber bei Kugeln denkt man immer sofort an eine feste Oberfläche, die es bei den Atomen so nicht gibt, und damit stößt das Bild der kugelförmigen Atome bei den chemischen Verbindungen und erst recht bei festen Stoffen, den Salzen, kovalenten Kristallen und Metallen, an seine Grenzen. In einem besseren Bild bestehen die Atome aus einer weiten, nebelartigen Hülle aus unheimlich leichten, ganz diffus verteilten Elektronen mit negativer Ladung ohne scharfe äußere Oberfläche und einem winzigen, schweren Kern mit positiver Ladung. Wichtig für den Aufbau der Atome ist dabei auch, dass alle Elektronen völlig gleich aussehen. Sie haben alle die gleiche negative elektrische Ladung. So nimmt man dann die Ladung eines einzelnen Elektrons als Maß für alle Ladungen, und bezeichnet sie oft als -1.
Die Atome eines chemischen Elements besitzen alle die gleiche Zahl von Elektronen und gleich viele positive Ladungen in dem winzigen Kern. Damit kann man allen chemischen Elementen eine "Ordnungszahl" geben, mit der die Elektronenzahl und die Kernladungszahl dieses Elements angezeigt wird. Mit trickreichen Apparaturen kann man die einzelnen Atome auch wiegen und stellt dabei fest, dass nicht nur die Ladung der Atomkerne sondern auch ihre Masse in gleichmäßigen Portionen von einem Element zum nächsten zunimmt. So bekommt der Wasserstoff als leichtestes Element die Ordnungszahl 1 und auch die Massenzahl 1. Der Kern dieses normalen Wasserstoffatoms besteht damit nur aus einem Teilchen, dem positiv geladenen Proton mit der Massenzahl 1.
Aber Achtung, es gibt auch noch neutrale Teilchen mit der Massenzahl 1, die man dann Neutronen nennt. Damit wird die Massenzahl der Atomkerne nicht nur von der Zahl der Protonen sondern auch von der Zahl der Neutronen mitbestimmt. So gibt es neben den normalen Wasserstoffatomen mit der Massenzahl 1 auch noch andere mit der Massenzahl 2 und sogar 3. Die Wissenschaftler sprechen dann vom Isotop oder von den verschiedenen Isotopen eines Elements. Das führt dazu, dass die mittleren Massen der chemischen Elemente keine glatten Zahlen mehr sind, sondern nur grob der doppelten Kernladungszahl entsprechen.
Helen: Ja, damit verstehe ich, dass in dem Bild 8 hier oben die Kerne für die verschiedenen Atome unterschiedlich groß gezeichnet sind.
Marie: Du siehst aber auch, dass in diesem Bild die Atome immer noch so gezeichnet sind, als hätten sie eine scharfe Oberfläche! Es ist nicht einfach, die heutigen Modellvorstellungen über die Atome und den ganzen Mikrokosmos in einfachen Bildern darzustellen. Hier oben sind auch die Atomkerne im Verhältnis zur Größe der Elektronenhülle viel zu groß gezeichnet!
Neben diesem schematischen Bild eines Atoms siehst du hier oben auch noch das Bild eines Moleküls, in dem zwei (kleine) Wasserstoffatome mit einem (größeren) Sauerstoffatom fest verbunden sind. Der Bindungswinkel für die beiden Wasserstoffatome ist in diesem Wassermolekül gut bekannt, aber die Ladungsverteilung ist hier auch wieder nur sehr grob modellhaft dargestellt.
Anders sieht das bei Ionen aus. Da haben einzelne Atome einen Teil ihrer Ladung aus der Elektronenhülle an die Umgebung oder an andere Atome abgegeben. So entstehen dann die positiven und negativen Ionen, die in den späteren Bildern wichtig werden, wobei die Ladungsverteilung hier wieder nur sehr schematisch dargestellt ist.
Helen: Ja, die Probleme mit der Darstellung von Molekülen kenne ich vom Schreibtisch unseres Alchemisten. Da stehen verschiedene Figuren mit Stahlkugeln und Magnetstäben, aber auch ein paar Modelle mit angeschnittenen Kugeln, die wie Lego-Bausteine über Druckknöpfe miteinander verbunden sind. Er nannte diese Figuren: Kalottenmodell.
Marie: Ja, wenn man sich die Anordnung von Atomen in einem Kristall vorstellen will, sind solche Modelle sehr hilfreich. Die Vorstellung von Demokrit mit seinen kleinen, regelmäßigen Körpern gibt es aber auch heute noch in etwas anderer Form.
Schau dir mal die dichte Packung von Kugeln im nächsten Bild an!
Wenn man hier den Raum um die Kugeln herum jeweils symmetrisch auf alle Nachbarkugeln aufteilt, dann entsteht ein regelmäßiger Körper mit 12 gleichen Flächen, die jeweils zu den nächsten Nachbaratomen hinweisen.
Was da entsteht, nennt man Rhombendodekaeder, weil dieser Körper 12 gleiche, rhombischen Außenflächen besitzt. Das ist zwar keiner der schönen Körper des Platon, aber mit vielen solchen Körpern als "Atomen" könnte man wie mit Lego-Steinen ein Kristallgitter aufbauen, das dann die gleichen Symmetrie-Eigenschaften hätte wie diese dichte Kugelpackung. Weißt du, ideal gewachsene Kristalle sind immer aus solchen kleinsten Einheiten ganz regelmäßig aufgebaut. Bei vielen Elementen enthalten diese Einheiten dann genau ein Atom in der Mitte, und wenn diese Einheiten dabei ohne Drehung nur gegeneinander verschoben sind, dann nennen die Kristallographen ein solches Gitter "primitiv". Die vielen verschiedenen Gittertypen, die bei den chemischen Elementen auftauchen, zunächst bei normalem Druck und später auch noch unter hohem Druck, führen ja gerade zu der bunten Welt der Elemente, die im Bild 2 schon mal vorgestellt wurde. Später werden wir uns dieses Bild noch in allen Einzelheiten ansehen!
Pass auf, die nächste Abbildung 10 zeigt dir noch ein Beispiel!
Im diesem Kristallgitter von Diamanten hat jedes Atom starke Bindungen zu 4 gleichwertigen, nächsten Nachbarn. Schneidet man hier genauso wie schon oben die kleinsten Kristallbausteine heraus, die wieder den ganzen Raum mit allen Zwischenräumen ausfüllen, dann haben diese "Atome" die Form von einem Tetraederstumpf. Die 4 großen Sechseck-Fläche liegen genau in den Mitten der Verbindungslinien zu den 4 nächsten Nachbaratomen und die 6 kleinen Dreiecksflächen an diesem Tetraederstumpf zeigen, dass jedes Atom neben den 4 nächsten Nachbarn genau von 6 zweitnächsten Nachbarn in diesen Richtungen umgeben ist.
Helen: Diese Bilder erinnern jetzt aber recht genau an die Vorstellungen der alten Griechen. Da hat sich doch gar nicht soviel geändert. Die Griechen dachten vielleicht an Körper mit festen Oberflächen, und jetzt sind diese Oberflächen bei den neuen Konstruktionen nur gedachte Flächen und im Zentrum dieser Körper befindet sich jeweils ein Atomkern. Aber diese Vorstellungen sind doch sehr ähnlich!
Marie: Ja und in modernen Büchern der Physiker oder bei Kristallographen kannst du noch viele solche Figuren heute wieder finden. Dort spricht man dann von der Wigner-Seitz-Zelle, weil die zwei Physiker E. P. Wigner und F. Seitz genau solche Formen für viele einfache Kristalle konstruiert haben, um damit die Eigenschaften der Kristalle besser zu beschreiben.
Es gibt aber noch einige andere Gedanken der alten Griechen und alten Alchemisten, die wir in anderer Form heute noch in den Vorstellungen der modernen Naturwissenschaftler wieder finden.
Das Sein und das Werden, das Ewige und das Vergängliche, die Ruhe und die Bewegung waren Begriffe, die für das Weltbild damals ganz wesentlich waren. Befruchtung, Geburt, Wachstum, Reifung, Vereinigung, Tod mit Transzendenz der Seele und Verwesung des Körper wurden als Begriffe auch in die Alchemie übernommen, um chemische Prozesse zu beschreiben. Unser Begriff Essenz zum Beispiel stammt aus dieser Zeit und ist von dem lateinischen Wort "esse" für unser Wort "sein" abgeleitet. Essenz ist das unveränderliche Wesen einer Sache. Bei allen Lebenszyklen muss es auch eine Essenz, etwas Ewig-Bleibendes geben. Zu diesem Bild gehörten auch die vier Elemente der Griechen, die vier Essentia der Alchemisten: Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Latein war ja die Sprache der Gelehrten im Mittelalter und der lateinische Begriff Essentia für diese vier Elemente erinnert noch daran, dass diese Elemente anders als unsere heutigen chemischen Elemente nicht einzelne Stoffe, wie Kupfer, Silber, Gold, Quecksilber oder Schwefel bezeichneten, sondern Formen des Seins im Wandel der Natur.
Im Mittelalter wurde viel mystisches Zeug an diese Vier-Elemente-Lehre angehängt. Neben den regelmäßigen Körpern des Platon und der Lehre des Aristoteles, der meinte, die vier Elemente würden verschiedene Mischungen der vier Eigenschaften heiß, trocken, feucht und kalt darstellen, tauchten dann auch bei Paracelsus Naturgeister wie Salamander, Sylphen, Undinen und Gnome auf. Oft wurde auch ein Zusammenhang zwischen den vier Elementen und den vier Erzengeln Uriel, Raphael, Gabriel und Michael hergestellt. Sogar die verschiedenen menschlichen Temperamente oder Typen wie cholerisch, sanguinisch, phlegmatisch und melancholisch wurden den vier Elementen zugeordnet.
Marie: Nach dieser Aufzählung all der Eigenschaften, die mit den vier Elementen im Mittelalter verbunden wurden, möchte ich dir jetzt doch zeigen, wie unser Alchemist das heute sieht. Dazu hat er in dem bunten Bild 13 für die vier Elemente zunächst mal vier bunte Symbole eingezeichnet. Am Rand hat er auch noch die von Aristoteles hinzugefügten Eigenschaften kalt-heiß sowie feucht-trocken eingetragen. Der Pfeil links zwischen kalt und heiß zeigt an, wie die Temperatur zunimmt. Zwischen feucht und trocken ist auch ein Pfeil eingefügt, der zum heutigen Weltbild besser passt, wenn man hier statt feucht und trocken einen Maßstab für die dichte des Stoffes oder noch besser für den äußeren Druck einführt. Der Temperaturachse gibt man dann natürlich auch noch einen passenden Maßstab. Du siehst schon, wenn man von Bildern der alten Alchemisten zu modernen Vorstellungen übergehen will, werden physikalische Größen, die man messen kann, sehr wichtig.
Das waren neue Gesichtspunkte, die in der Zeit von Galileo Galilei um 1600 in die Naturwissenschaften eingeführt wurden. Sinngemäß soll er gesagt haben, dass man alles messen soll, was man messen kann, und alles, was man nicht messen kann, soll man messbar machen. Das war ein völlig neues Weltbild, eine Zeitenwende in der Naturbetrachtung!
Was diese Zeitenwende für das bunte Bild 13 bedeutet, werde ich dir gleich zeigen, aber vorher möchte ich dir noch die alte Frage stellen, ob man die Natur mit diesen vier Elementen, mit diesen vier Essenzen, vollständig erklären kann, oder ob nicht vielleicht doch noch eine fünfte Essenz, eine Quintessenz, zur vollständigen Beschreibung der Materie fehlt?
Aristoteles sprach da von einem Äther, der die ganz Welt erfüllt. Andere Alchemisten glaubten wohl eher an einen Urstoff, den sie in ihrem Latein auch materia prima oder prima materia nannten. Sicher war dabei wohl immer umstritten, ob die prima materia eher der Urstoff für alle vier Elemente oder doch vielleicht eher so etwas wie eine fehlende Quintessenz sein sollte, eine himmlische, unwandelbare Substanz. Es gab also immer wieder die Fragen: