Читать книгу Die letzten Keiths auf Balumoog - Wilhelm Ernst Asbeck - Страница 7

Am Vorabend der Katastrophe.

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Von der Boptee- bis zur Volgsbüll-Schleuse zog sich ein breiter Wasserlauf durch den Hagebüllerkoog. Zwischen Bopsee und Königsbüll zweigte sich eine breite Wehl bis zur Ilgrofschleuse ab. Zahlreiche andere Wasserarme, Siele genannt, befinden sich auf der Insel.

Ein reges Leben herrschte hier noch bis vor kurzem. Schiffer aus Husum, Stade, Hamburg und Holland hatten Vieh, Getreide und sonstige Lebensmittel geladen.

Frauke steht auf der Wurft und sieht das letzte Segel in der Ferne entschwinden.

Ruhig wird es wieder im Lande.

Die Erntearbeiter sind nach dem Festlande gezogen — Stille und Einsamkeit ringsumher. — Eine schier erdrückende Stille!

Die junge Frau schreitet über den Hof. Erk kommt ihr entgegen, die kleine Jongbon an der Hand.

Das Kind sucht, sich vom Vater zu befreien. Es will zur Mutter! Nun hat es seinen Willen erreicht und läuft lachend in ihre ausgebreiteten Arme.

Wie wohl diese sorglose Heiterkeit inmitten all des Schweren, Niederdrückenden tut! — —

Es ist Zeit zum Abendessen.

Am Tische sitzen Bauer, Bäuerin, Knechte und Mägde beisammen.

Die alte Kresse spricht das Gebet:

„Herr Jesu-Christ, sei unser Gast,

Und segne, was du uns bescheret hast!“

Seltsam schleppend und feierlich spricht sie die schlichten Worte.

Schweigsam ist sie geworden, seitdem Frauke auf dem Hofe ist. Nie spricht sie unaufgefordert ein Wort, und, wird sie gefragt, so gibt sie einsilbige, mürrische Antworten.

Wie eine Erlösung klingt das muntere Geplauder Jongbons. Sie ist der Liebling und Verzug aller.

Die junge Mutter atmet erleichtert auf, als sie sich mit ihrem Kindchen allein im Schlafzimmer befindet.

Im Bettchen liegt die Kleine und plappert das Nachtgebet:

„Im Namen Gottes schlaf ich ein;

Der Herr wird mein Beschützer sein.

Beschütze mich auch diese Nacht,

Vor allem bösen Ungemach!“

Frauke wendet sich zum Gehen, aber das Mädel ist noch zu munter, um sogleich einzuschlafen; zudem möchte es auch etwas Lustiges hören, etwas, was es versteht, und worüber es lachen kann. — Ein Wiegenlied!

Geduldig setzt sich die Mutter noch einmal zu ihrem Töchterchen und singt:

„Bimmel, bimmel beier,

Di Koster mei nin Anje

Wat ma hin dann?

Hi mei wull Speck en Roggebruad,

Een Aaje ön e Pön.“ a)

Ein fröhliches Gekräh und einen Kuß erntet sie zum Danke.

Draußen vor der Tür steht Frauke und preßt die Hand aufs Herz.

Erk tritt an sie heran.

„Was ist Dir?“ fragt er.

Sie klammert sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, an ihn; als könne dieser starke Mann sie vor aller Not und Gefahr schützen und flüstert:

„Die Angst, die furchtbare Angst!“

Er schließt sie fest in seine Arme: „Aber vor was fürchtest Du Dich denn?“

„Vor einer Gefahr, die ich nicht sehen kann aber unabwendlich nahen fühle!“

Schweigend küßt Erk die geliebte Frau.

Noch lange stehen beide am Fenster und schauen hinaus in die Nacht. Vom Deich her hört man das Rollen der finsteren See, und weit draußen im Westen flammt es gespenstisch auf. In langen Abständen folgt ein schwaches Donnergrollen.

*

Im westlichen Zipfel des Bupheveringkooges haben die Fluten sich tief in das Land hineingewühlt. Hart an dieser Bucht liegen, weithin zerstreut, wohl an die zwanzig Hütten und Katen. Wie verängstigte, hilfesuchende Kinder haben sie sich hinter dem Damm verkrochen. Und doch sind die Bewohner dieses armseligen Dorfes Nachkommen reicher Halligleute, die einst auf dem Eiland Balum in Wohlstand ein sorgloses Leben führten, bis die große ‚Manndränke‘ in den furchtbaren Tagen und Nächten des 15. bis 17. Januars 1362 die meisten ihrer Ahnen zu sich in die Tiefe zog, die Wenigen aber, die mit dem Leben davonkamen, zu Bettlern machte. Man überließ ihnen ein wenig Land, armseligen Boden, und auch diesen gab man ihnen nur, weil der große, dünn bevölkerte Koog Hände benötigte, um die zerstörten Deiche zu erhöhen und zu befestigen.

Die drei Kirchspiele Westerwoldt, Osterwoldt und Bophever befanden sich inmitten der reichen, fruchtbaren Marsch.

Gemeinsame Gefahr hatte das Band der Volksverbundenheit geflochten, und die wohlhabenden Bauern halfen den um Hab und Gut gebrachten Flüchtlingen über die schlimmste Not hinweg.

Die Balum-Siedler trugen den Kopf nicht minder hoch als die übrigen Insassen des Kooges, und ihr Gruß ‚Eala, fria Fresa‘b) klang genau so selbstbewußt und stolz wie der ihrer Nachbarn. Und doch, auch hier war eine unsichtbare Grenze zwischen Reich und Arm gezogen, und noch jetzt, nach mehr als zweieinhalb Jahrhunderten, wurden die ‚Fremden‘ den Einheimischen gegenüber nicht als vollwertig anerkannt.

Die Folge war, daß diese kleine Gemeinde sich um so fester zusammenschloß und Leid und Freude in treuester Verbundenheit teilte. Nie mehr war es den Leuten gelungen, sich wieder zu Wohlstand emporzuarbeiten; aber fest klebten sie an der Scholle, die Liebe zur Heimat ließ ihnen Kämpfe und Sorgen gering erscheinen.

Kämpfe und Sorgen!

Ihr ganzes Leben war ein Ringen mit den Gewalten der Natur. Waren einige Jahre vergangen, in denen das Meer sich friedlich zeigte und sie in Ruhe ihre Ernte einbringen und ihr Vieh weiden lassen konnten, so bewies ihnen der ‚blanke Hans‘ doch immer wieder aufs neue, wie feindlich er ihnen gesonnen blieb. Deichbrüche und Überschwemmungen suchten Land und Leute heim.

Die Balumer waren fromm und gottesfürchtig. Ihr Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, wieder, wie vor Zeiten, eine Kirche im Dorfe zu haben; doch nicht einmal für eine bescheidene Kapelle vermochten sie das Geld aufzubringen.

Stolz ragten die Gotteshäuser der drei reichen Dörfer über das weite, flache Land hinaus — wie trutzige, unbezwingliche Burgen waren sie anzuschauen.

Wenn die Männer der Bucht zu ihnen hinüberblickten, so regte sich wohl etwas wie Neid in ihrer Seele; aber stärker blieb doch das Gefühl der Dankbarkeit. Durch die ganze Insel waren die Pfarrer gewandert, von Wurft zu Wurft, und hatten geschildert, wie von 1625 bis 1630 Jahr um Jahr das salzige Meerwasser in den Koog eingedrungen sei, und wie das breite Siel, das sich vor der Bucht bis zur Ilgrofschleuse durch die Niederung zieht, die eindringenden Fluten nicht zu fassen vermochte, und die Ebene in einen See verwandelte.

Besonders wiesen sie auf die Not der armen Bewohner von Balum hin.

Da zeigte es sich, daß hinter der stolzen Maske der Bauern ein fühlendes Herz verborgen war. Wie ein Mann erhob sich die ganze Bevölkerung der Insel, um den bedrängten Brüdern zu Hilfe zu eilen.

Fester und höher denn je türmte sich nun der schützende Wall, und endlich fühlten sich die Menschen sicher und geborgen.

*

In der trüben Morgendämmerung des 10. Oktober 1634 kommt die Flut auf. Die Wasserrinnen des Wattenmeeres füllen sich.

In einiger Entfernung vom Deich stehen ein paar Fischer und hantieren an ihren aufgestellten Uferzäunen. Sie leeren die Netze in Weidenkörbe aus. Gute Beute hat ihnen die See gebracht, vor allem viele schmackhafte Schollen.

Einige barfüßige Männer und Frauen begegnen ihnen. Alle tragen Körbe und ein an einem rechenähnlichen Gerät befestigtes Netz unter den Armen. Sie kehren heim vom Garneelenfang — das sind kleine Krebstiere. Jetzt wird die Beute besichtigt. Auch sie können mit dem Ertrag ihrer Arbeit zufrieden sein. Einige Taschenkrebse, die mit ins Garn gingen, werden herausgesucht und wieder ins Wasser geworfen, denn sie leben mit den Garneelen nicht auf friedlichem Fuße.

Im Ort beginnt alsbald eine emsige Tätigkeit. Die grünlichgrauen Krebslein werden in siedendes, salziges Wasser geschüttet; mit rotglühenden Feuerzangen wird der Kesselinhalt umgerührt.

Jetzt treffen auch die Tuulgräber ein. Sie haben im Watt aus den vertorften Moor- und Waldresten, die tief unter den Sand- und Schlickschichten ruhen, ihre freilich kümmerliche, salz- und schwefelhaltige Feuerung herausgegraben. Aus der ausgelaugten Asche des verbrannten, salzhaltigen Seetorfs wird das Salz gesotten. Viele hundert Jahre alt ist diese Art der Salzsiederei. Es ist ein mühseliges Brot. 800 Pfund Asche liefern etwa 300 Pfund Salz.

So versuchen die Leute von Balum sich außer dem Ertrag von Ackerbau und Viehzucht mancherlei Nebeneinnahmen zu schaffen.

Hoffnungsfroh blicken sie in die Zukunft. Vier Jahre haben sie jetzt in Ruhe und Frieden ihre Ernten einbringen können. Es geht aufwärts; und nicht lange mehr wird es währen, dann wird sich auch aus der Mitte ihrer Halden ein bescheidenes Gotteshaus erheben, dann wird endlich auch Segen auf ihrer Arbeit ruhen!

*

Aus der Tür seines kleinen, sauberen Hauses tritt Ipke, der Schnitzer.

Er ist der klügste und angesehenste Mann im Orte, wortgewandt und schreibkundig. Ihm sind die Geschäfte eines Gemeindevorstehers übertragen.

Er macht einen Rundgang durchs Dorf. Überall wird er freundlich aufgenommen. Wer einen Rat oder Hilfe braucht, wendet sich an ihn. Vor allem aber ist er der Liebling der Kinder, denn keiner versteht es wie er, die unscheinbarsten Dinge durch seine Schnitzkunst in niedliches Spielzeug zu verwandeln; zudem kann er Märchen erzählen und lustige Lieder singen.

Eine Reise hat er vor! Zur alten Kirche will er; aber vordem wird er noch nach Balumoog hinüber fahren.

Balumoog, dieses Auge, das wie ein grüner Kranz aus dem Meere hervorschaut!

Fest verbunden fühlen sich noch heute die Buchtbewohner mit den Trümmern ihrer einstigen Heimat. Oft und gern sind sie dort drüben zu Gast, und große Freude herrscht im Orte, wenn von dieser Hallig Besuch zu ihnen kommt.

Ipke verabschiedet sich von seinen Freunden. Gute Wünsche begleiten ihn. Alle rufen ihm „Auf frohes Wiedersehen!“ zu. — Niemand ahnt, daß es ein Abschied fürs Leben ist.

*

Balumoog und die Geschichte des Geschlechtes der Keiths sind so eng mit einander verbunden, daß eins ohne das andere gar nicht denkbar ist.

Vor vielen hundert Jahren hatten Uwes Ahnen mit wenigen stammesverwandten Familien sich hier niedergelassen und dieses Vorwerk menschlicher Siedlung begründet. — Damals sah die Gegend freilich noch anders aus. In weiter Ferne brandeten die Wogen der Nordsee, und zahllose Felder und Wiesen umgaben den Ort. Keine Sturmflut trug ihre Wellen bis in seine Nähe. — Doch das Meer ist geduldig. Unablässig nagte es an den Ufern, Tag für Tag, Nacht für Nacht löste es kleine Erdbrocken von der Küste, wühlte sich im Laufe der Jahrhunderte näher und näher an Balum heran. Springfluten beschleunigten das Werk der Zerstörung. —

Die große reiche Insel Nordstrand mit ihrer blühenden Hafenstadt Rungholt hatte sich längst durch Dämme geschützt; aber dieses einsame Bollwerk lag zu weit entfernt; den Bewohnern blieb nur die Wahl, den gefährdeten Ort zu verlassen oder sich selbst, so gut sie es vermochten, zu helfen.

Das Geschlecht der Keiths war zu stolz, um als Bettler zum reichen Nachbarn zu gehen. —

In jahrelanger, mühsamer Arbeit wurde Land auf Land getragen, bis eine hinreichende Erhöhung geschaffen war, die selbst die höchste Flut nicht erklimmen konnte. — Strandhafer und Gras wuchsen auf der Wurft; mit Flechtwerk und schweren Steinen wurden die Ufer der Hallig gegen das Meer verteidigt. — Dicht gedrängt standen nun die Gehöfte um ihre Kirche. Vor jedem Wohnhause befand sich eine ausgemauerte Zisterne, in der das kostbare Regenwasser aufgefangen wurde. — Das Vieh, — Kühe, Schafe und Geflügel, — war in rohgezimmerten Ställen untergebracht.

Ein Keith hatte dieses Werk geschaffen, und er konnte mit seiner Arbeit zufrieden sein, denn auf lange Zeit hinaus waren Leben und Wohlstand der Bewohner Balums gesichert. Noch dehnte sich zwischen der Halde und der Nordsee weites, fruchtbares Vorland.

Unablässig aber nagte das Meer an den Ufern; Schritt für Schritt fraß es sich näher an die Hallig heran.

Jahrhunderte gingen und kamen.

Jetzt ragten beim höchsten Wasserstand nur noch die Wiesenflächen wie grüne Inseln aus dem Meere, und ringsum dehnte sich zur Ebbezeit das Watt, dort, wo einst blühende Felder und Weideland gestanden hatten.

Das Jahr 1362 begann.

Der Januar brachte Sturm und eisige Kälte. Es war am Tage des heiligen Marcellus, als der Sturm zum Orkan anschwoll. Schon im ersten Anprall war das Vorland mit schäumenden Fluten und Eisschollen bedeckt. Höher und höher stiegen die Wasser; reißende Strudel umbrausten das einsame Eiland.

Einen vollen Tag und eine ganze Nacht kämpften die entfesselten Elemente gegen die Halde; und als endlich am folgenden Mittag der Orkan sich legte und die Fluten allmählich verebbten, bot Balum ein trauriges Bild.

Der reißende Strudel hatte den Damm untergraben; krachend stürzten Erdmassen ins Meer, das Gotteshaus, Höfe und Ställe in die Tiefe ziehend. Gierig wälzt sich das Wasser in die entstandene Lücke; weiter und weiter fraß es sich in die Hallig hinein, bis das Werk von Menschenhand den Gewalten der Natur unterlag und aus dem Kirchspiel Balum das Eiland Balumoog wurde.

Nicht minder schlimm erging es den Bewohnern Nordstrands. Die Fluten wälzten sich durch den Hever, eine flußartige Einbuchtung, an der die Stadt Rungholt lag, durchbrachen die Wälle, und sowohl der Ort selbst als auch die meisten der Kirchspiele versanken im Meer. Eine Nacht hatte genügt, das Gesamtbild der nordfriesischen Inselwelt umzugestalten. Weite Flächen Landes verschwanden; die alte Hafenstadt Wendingsted auf Sylt ging zugrunde. Viele tausend Menschen und unzählige Pferde, Kühe und Schafe ertranken; die fruchtbarsten Ackerländer, Wiesen und Felder waren vernichtet.

Die Keiths aber sind ein zähes, tapferes Geschlecht.

Wieder wurde mit unermüdlicher Ausdauer und Mühe Erde auf Erde getragen, bis eine Wurft entstand, deren Höhe keine Springflut erreichen konnte. Schwere Steine schafften die Halligleute von weither herbei, mit denen sie ihren Damm schützten, und Strandhafer wurde gesät, dessen Wurzeln sich tief in den Boden graben und dem Erdreich Halt und Widerstandskraft verleihen.

Als in jahrelangem Schaffen das neue Werk vollendet war, wurden Pfähle in den Hügel gerammt und hierauf die Häuser erbaut. Schwere Eichenbalken, die Sturm und Wetter trotzten, dienten als Baumaterial. Über jeder Tür waren eiserne Klammern, zu Jahreszahlen geformt, angebracht, die noch späten Geschlechtern verkünden sollten, daß hier eine Friesentat vollendet wurde, die Jahrhunderte überleben würde.

Nun mag der ‚blanke Hans‘ ans Fenster klopfen!

Zeiten gingen und kamen. — Die ruhig zehrende See und verheerende Wasserfluten hatten Land auf Land verschlungen. Manche Hallig, bewohnt oder nur von Vogelschwärmen bevölkert, war dem unerbittlichen Meer zum Opfer gefallen. Weite Gebiete der Uthlande, wie die nordfriesische Inselwelt genannt wird, waren verschwunden, aber Balumoog stand!

Zwei Hügel erhoben sich nun. Der eine mit Uwe Keiths und Ulf Karstensens Gehöften, der andere, etwas niedrigere, mit den Wohnstätten von Agge Tomsen und Emma Meiken, der Witwe.

Freundlich schaute das grüne Eiland aus dem weiten Meere hervor.

Friedvoll lebte die kleine Gemeinde in ihrer Abgeschiedenheit.

*

Die Tür von Uwe Keiths Haus wird aufgerissen, und hinaus stürmen mit lautem Freudengeheul zwei Jungen im Alter von etwa fünf und sieben Jahren. Ihnen folgt, so schnell es nur die Füße tragen wollen, ein zweijähriges Mädel.

„Onkel Ipke kommt!“ rufen die Drei immer und immer wieder und laufen schon lange, bevor das schwerfällige Boot das Ufer erreicht hat, am Strande aufgeregt hin und her.

Der Holzschnitzer springt aus dem Kahn und zieht ihn aufs Land. Dann hebt er lachend die jauchzenden Kinder eines nach dem anderen in die Höhe. Nun geht’s ans Auspacken. Eskel, der Älteste, erhält einen fein geschnitzten, dickbäuchigen Fischkutter mit einem braunen Leinensegel; Dirk bekommt einen kleinen Kastenwagen, in dem er Sand, Muscheln und Steine ausfahren kann. Für die kleine Kerrin hat Ipke eine Puppe geschnitzt und sie mit bunten Farben bemalt.

Während die Kinder mit ihren Schätzen glückstrahlend abziehen, ist Uwe Keith die Böschung heruntergekommen und begrüßt den gern gesehenen Gast.

Frauke-Mutter deckt indessen schon den Tisch, um den Freund durch einen kräftigen Imbiß und einen guten Trunk zu erfreuen.

Keith besitzt eines der schönsten Hallighäuser in den Uthlanden. Es ist aus kräftigen norwegischen Hölzern erbaut, und die Wände sind mit Ziegelsteinen und Muschelkalk ummauert. Am Giebel befindet sich die Jahreszahl 1365 und die Hausmarke seines Geschlechtes: der kräftige Baumstamm mit den zahlreichen Ästen.

Die beiden Männer haben Platz genommen, während die Frau noch eine Weile in der Küche zu tun hat.

Ipke schaut sich im Zimmer um. Alles atmet Ruhe und Beschaulichkeit. Vor dem Fenster stehen Töpfe mit Blumen und die Sanduhr; im Winkel Stuhl und Spinnrad, auf dem Klapptisch das Messingtranlämpchen. Zur Linken befindet sich das breite Wandbett, an der Rückwand ist die Strohmatte als Wärmeschutz angebracht, und von der Decke hängt ein Strick mit Holzgriff zum Aufrichten. Die große, reichgeschnitzte Eichentruhe, worin sich Fraukes Brautausstattung befunden hatte, bildet das Prunkstück des Raumes. Einige Seebilder schmücken die Wände.

Die Hausfrau gesellt sich zu den beiden Männern.

Langsam, bedächtig, jedes Wort abwägend, wird die Unterhaltung geführt.

Eine große Ehre ist Ipke zuteil geworden. Für die alte Pellworm-Kirche soll er ein Kreuz mit einer Christusfigur schnitzen. Er ist sehr stolz über diesen Auftrag und will ein Werk schaffen, woran sich noch viele kommende Geschlechter erbauen werden.

Umständlich übermittelt er die Grüße der Balum-Leute und erzählt von den kleinen Freuden und Sorgen, die ihr Dasein ausfüllen, von ihren Zukunftsplänen und Hoffnungen.

Dann kommt er auf den starken Deich zu sprechen und endlich auf die Prophezeiung und das traurige Ende der alten Meike. Auch von Per Godbersen, dem Mörder berichtet er. Niemand hat ihn wieder zu Gesicht bekommen; aber alle wissen, daß sein Opfer ihn zu sich ins Moor hinabgezogen hat.

Endlich ist Ipke bei dem Punkte angelangt, um dessentwillen er zur Hallig fuhr. Man ist drüben um die Sicherheit der Bewohner des kleinen Eilandes besorgt und fürchtet, daß es nicht mehr widerstandsfähig genug sei, um den bevorstehenden Sturmfluten Trotz bieten zu können. Keith soll mit den Seinen und den übrigen Familien der Wurft wenigstens während der Wintermonate hinter den festen Deich ziehen; dort sind sie sicher und geborgen, und jedermann im Kooge ist bereit, ihnen Unterkunft zu bieten.

Uwe blickt zum Fenster hinaus.

In weiter Ferne zieht sich ‚der goldene Ring‘ um die große Insel; hochmütig und stolz ragt er aus den Fluten hervor.

Nach langer Pause kommt die Antwort: „Ipke, ich danke Dir und Euch allen da drüben für den Beweis Eurer Freundschaft; aber wir fühlen uns sicherer auf unserer Halde als hinter jenem Deich. Mir deucht, daß Meike ihn nicht als Schutz anerkennen wollte; denn ihre Weissagung bezog sich auf Nordstrand, nicht auf unsere Hallig. Wie dem aber auch sei, dieser Boden, auf dem, so weit unser Geschlecht zurückdenken kann, meine Ahnen lebten, ist mir heilig, und eher werde ich auf ihm zugrunde gehen als ihn verlassen!“

Der Gast blickte bedenklich auf Frauke.

„Jeder von uns weiß, wie plötzlich und unerwartet die Gefahr um diese Jahreszeit hereinbrechen kann. So laß mich wenigstens sie zum festen Land bringen. In ihrem Zustand bedarf sie der Ruhe und Sicherheit, und dort ist Beistand zur Hand, sobald sie ihn benötigt. Jedes Haus steht ihr offen.“

Die Frau aber hat sich an ihren Mann geschmiegt und sagt:

„Bevor es so weit ist, daß ich Hilfe benötige, geht noch ein Monat ins Land. Also mache Dir keine Sorge! Aber von meiner Scholle werde ich deswegen doch nicht gehen; denn dort, wo Uwe ist, will auch ich sein, in den Stunden der Freude, der Not und, wenn es sein muß, auch des Untergangs.“

Keith spricht: „Ihr seht Gespenster. Unser Grund und Boden steht sicher, und unsere Häuser sind nicht auf Sand gebaut; wir fürchten nicht den ‚blanken Hans‘!“

Vergebens sind auch die Wege zu Ulf Karstensen, Agge Tomsen und der Witwe Meiken. Niemand denkt daran, den angebotenen Schutz in Anspruch zu nehmen.

Ipke bleibt die Nacht auf Balumoog.

Am anderen Morgen, bei hellem Sonnenschein, fährt er fort. Am Ufer steht die ganze kleine Gemeinschaft und winkt ihm nach. Kinderlachen begleitet seine Abfahrt.

Weit draußen im Sonnenglast verschwindet das Segel.

Langsam kehren die Menschen in ihre Behausungen zurück. Ein seltsam schmerzliches, bedrückendes Gefühl ist über sie gekommen. Nur die Kinder am Strande lachen und spielen. Sie freuen sich an den schönen Dingen, die ihnen Onkel Ipke besdiert hat. Sie ahnen noch nicht, wie schnell sich Freude in Leid und Abschied in Tod zu verwandeln vermögen.

Die letzten Keiths auf Balumoog

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