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Die Karawane München

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Die Hauswände vor mir flimmern. Die Neuhauser Straße flimmert, so weit ich sehen kann – die Sonne hält die Stadt umklammert, die Hitze lässt ihr die Luft ausgehen. Die Kuppeln der Frauenkirche lösen sich auf, sind unwirklich geworden. Wie Täuschungen hängen sie unter dem blassblauen Himmel, eine die Augen schmerzende Halluzination. Hier bewegt sich alles langsam. Auf der Schattenseite stoßen und rempeln sich die Menschen, einfache und elegante Menschen, hastige und müde schleichende Menschen und die, die am Ende zu sein scheinen. Ihre Gesichter lassen erkennen, dass sie nicht hier sind, ihre Gedanken gehen nach vorne, da wo sie hinstreben und es erträglicher zu sein scheint, oder sie hängen dem nach, wo sie herkommen.

Auch die, die einen Platz im Schatten eines Straßencafés ergattert haben, unter einer Markise oder unter einem der kolossalen Sonnenschirme, wirken teilnahmslos, ausgelaugt und puppenhaft, und ihr Blick geht ins Leere. Lebhafter wirken jene, die sich über eine Mahlzeit hermachen. Ihr Kopf hängt über dem Teller, aber der Blick geht in die Runde, versucht von dem lahmen Treiben einiges zu erhaschen.

In bodenlange Schürzen gewickelt, gelangweilt und müde, lehnen die Kellner an den Türrahmen und tun so, als hätten sie alles im Blick. Manchmal stößt sich einer ab von der Hauswand oder dem Türpfosten, er schleicht zwischen den Tischreihen hin, um leere Gläser oder Teller einzusammeln, oder er beugt sich zu einem Gast und rechnet ab. Mechanisch scheucht er mit einem Tuch die Fliegen von den Resten, ein sinnloses Unterfangen.

Ein Kind beginnt zu singen, eine nicht zu benennende Melodie, und für den Text muss eine Reihe von „Ta, ta, ta ...“ herhalten: Scharfe, knallende Ts und leicht ins O übergehende As. Dann, nach kurzem Nachdenken, singt es mit lauter und alle anderen Geräusche übertönender Stimme: „ ... macht mir auf, ihr Kinder, ist so kalt der Winter ...“

Ringsum bricht Gelächter los, und schlagartig verstummt der Gesang. Sogar der Kellner zwingt seinen Mund zu einem etwas schiefen, herablassenden Grienen.

Unterdessen zieht eine Karawane von Mohammedanern vorüber und lässt den Kindergesang vergessen. Vorneweg stolziert ein dickleibiger älterer Mann im weißen bodenlangen Burnus, auf dem Kopf einen schwarzen Fes, der alles Fleisch seines griesgrämigen Gesichts zusammenzuhalten scheint. Rhythmisch mit einem Silberstock auf das Pflaster stoßend, gibt er gleichsam den Nachfolgenden Marschtakt: Die ihm auf den Fersen folgen, das ist ein Geschwader von schwarz und weiß gekleideten Frauen, neben denen Jungen laufen, jeder in einem weißen, sich bauschenden Gewand, ihre Gesichter wie Milchkaffee, mit schwarzen, aufmerksamen Augen. Voller Interesse betrachten sie das lahme Leben links und rechts, und manchmal meint man Hochnäsiges und Geringschätziges auf ihren Gesichtern zu sehen. Vor allem der Mann an der Spitze erweckt den Eindruck, als wären die anderen auf der Straße die Besonderheit und nicht er mit seinem Gefolge. Die schwarz gewandeten Frauen tragen Schleier und alle, bis auf den voranschreitenden Pascha, der schwarze Lackschuhe trägt, schlappen und schlurfen in Sandalen. Sie marschieren mitten auf der Straße, da wo die Hitze am größten ist. Manchmal neigt sich eine der Verschleierten zu einer anderen hin, um sie auf etwas aufmerksam zu machen. Dann bewegt sich ganz leise der Schleier um den Mund, oder er bläht sich, als wollte er wegfliegen.

Die Menschen im Schatten sehen auf, nicht alle, wundern sich und werfen vielleicht eine Bemerkung zum Nachbarn über den Tisch, oder sie schütteln den Kopf, weil dieser Aufzug für sie doch zu befremdlich ist.

Einer ältlichen hageren Frau, mit zerfurchtem und sonnenverbranntem Gesicht, ein Mensch aus dem Gebirge, die sich gerade eine gehäufte Gabel Sauerkraut und Püree in den Mund stopft, verschlägt der Vorbeimarsch der Karawane die Sprache.

„Jesses, Maria und Josef! Ha ma scho Fasching?“ wundert sie sich, und dabei fällt etwas von ihrem Essen auf den Teller zurück. „Wo kumma die her?“

„Aus dem Morgenland!“ klärt sie ein Mann mittleren Alters auf. Er stopft seine Pfeife, und als er einige Züge getan hat, sagt er augenzwinkernd: „Die gehen zum Stachus Wassertreten ...“

„Wassertreten? Mei, gibt’s denn dös?“ staunt die Frau und legt die Hand auf den vollen Mund. Ihre Schultern zucken, sie darf jetzt nicht lauthals loslachen.

„Das kommt hier öfter vor“, sagt der Mann mit ernstem Gesicht. „alle paar Tage ...“

„Die waschen die Füß? Am Stachus? Das glaubt doham koaner nich ...“

„Doch, doch ... Es ist so!“ Der Mann nickt.

Die Frau wendet sich ihm ganz zu, wartet auf weitere Erklärungen, aber der Mann lehnt sich zurück und schließt die Augen, um sich dem Tabakgenuss hinzugeben. Mehr kann sie von ihm nicht erwarten, das merkt sie, und sie wendet sich wieder ihrem Essen zu. Plötzlich hat sie es eilig, sie isst nur noch ganz wenig von Haxe, Kraut und Püree. Dann schnellt sie in die Höhe, reckt sich auf die Zehenspitzen und winkt den Kellner heran, um zu zahlen. Beinah überstürzt bepackt sie sich mit Tüten und Taschen und stapft forschen Schritts die Neuhauser Straße zum Stachus hinunter.

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